Das Erwachen der Macht: Zum Einschlafen, oder?

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Man kann als 75jähriger, der im Zweiten Weltkrieg zur Welt kam, einen Film wie den neuen Aufguss von Star Wars nicht unbelastet von dieser Kriegs-Vorgeschichte genießen. Parallel zum Spektakel auf der Leinwand läuft noch ein ganz anderer Film mit: Das aktuelle Thema der Flucht nach Europa aus Kriegsgebieten wie Syrien, Afghanistan, Ukraine und Sudan plus etlichen anderen afrikanischen Unruheherden.

Als mich mein ältester Sohn einlud, mit ihm in den neuen, siebten Teil der Saga vom Krieg der Sterne zu gehen, zögerte ich erst einen Moment. Aber dann war mir als Fan von Science-Fiction von Kindheit an klar: Muss ich sehen. Will ich sehen. Sollte ich sehen. Allerdings gingen wir dann nicht nur zu zweit ins Mathäser-Kino, sondern waren eigentlich zu sechst. Außer meinem 44jährigen Sohn und mir 75jährigen SF-Oldie waren da noch dabei (wenn auch nur in Gedanken, als virtuelle Realität, gewissermaßen):
° ein etwa siebenjähriger Jürgen vom Scheidt,
° ein etwa 15jähriger JvS,
° ein 38jähriger JvS
° und dazu, gewissermaßen unvermeidlich, ein mir zwar unbekannter, aber doch irgendwie inzwischen sehr vertrauter junger Syrer, vielleicht Mitte zwanzig, der gerade mit Frau und Kind aus dem aktuellen Kriegsgebiet im Nahen Osten unter ständiger Lebensgefahr geflohen ist.

Nachdem dies inzwischen mein sechster Beitrag zum aktuellen Blog-Gewitter ist (weil das Thema mich einfach nicht mehr loslässt), drängte sich der fiktive Mann aus Syrien geradezu auf. Denn man staune: Geflüchtet wird in Das Erwachen der Macht ebenfalls – vor den Attacken der Ersten Ordnung mit ihren planetenzerstörenden Waffen. Allerdings sieht man Flüchtende nur für ein paar Sekunden. Das Kriegsgeschehen überlagert alles. Bis auf den dann doch sehr berührenden, sehr entschleunigten Moment, wo Hans Solo seine Prinzessin Leia umarmt und sie ihn bittet, den “verlorenen Sohn” zurückzubringen.

iStock / Jacartoon; Spektrum der Wissenschaft
iStock / Jacartoon; Spektrum der Wissenschaft

Um es vorab klarzustellen (weil hier viel vom Krieg und seiner scheinbaren Unausweichlichkeit die Rede ist:) Die Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan kommen zu uns nach Europa, weil hier seit siebzig Jahren
KEIN KRIEG IST!

Ich liebe Science-Fiction von Kindesbeinen an. Wahrscheinlich war Sindbad der Seefahrer die Initialzündung. Das ist zwar ein Märchen und streckenweise pure Fantasy – aber ist das Star Wars nicht ebenfalls?
Das Märchenhafte beginnt schon ganz simpel bei der Frage: Wer bezahlt das alles? Gigantische Raumflotten und Schwärme von Kampfjets, die fast allesamt kaputtgeschossen werden. Wenn man, wie ich gerade, in die Buchführung akribisch die Einnahmen und Ausgaben für Dezember 2015 notiert (17. Dezember: Büromaterial: 17,22 €, Umsatzsteuer 19%) kommt man schon ins Grübeln, was so ein Todesstern kosten könnte und wie sich all diese Weltraumkriege finanzieren lassen. Und was Überlichtgeschwindigkeit, Antigravitation, Gedankenlesen und diese lächerlichen Lichtschwerter (!) angeht – pure Fantasy allenthalben.
Was allerdings die Finanzen angeht, stimmt die Rechnung auf einer völlig anderen Ebene allemal:
° für George Lucas (welcher der Disney Corporation die Rechte an seiner Schöpfung für sagenhafte vier Milliarden Dollar verkauft hat) ebenso wie
° für die Disney Corporation, die aus der Investition von vier Milliarden locker ein Mehrfaches als Gewinn herausquetschen wird. Das kann Hollywood besser als sonst jemand auf diesem Planeten, die deutsche Firma Volkswagen mit ihrem Abgasschwindel vielleicht mal ausgenommen.

Dennoch habe ich den Film, im voll besetzten Riesensaal des Mathäser-Kinos, unbelastet genießen können.
 

Achtung: Spoiler!
Als sich in einer früheren Episode (der zweiten) herausstellte, dass der abgrundböse Darth Vader der Vater von Luke Skywalker und Prinzessin Lea Organa ist, war das ein echter Schocker. Wenn sich in dieser siebten Episode herausstellt, dass Han Solo der Vater des nicht minder bösartigen Aufgusses von Darth Vader namens Kylo Ren ist, der seinen Vater sogar heimtückisch mit dem Lichtschwert ermordet – geschenkt. Mal abgesehen davon, dass überhaupt nicht verständlich ist, warum er das tut (oder habe ich da eine wichtige Information verpasst, weil ich vielleicht kurz eingeschlafen war?). Wenn jeder von seinem Vater enttäuschte Sohn seinen Erzeuger ermorden würde und als Ausrede nur die Einflüsse irgendeiner dunklen Seite irgendeiner Macht hätte – na dann gute Nacht!
Irgendwie berührend war dann doch die Schluss-Szene, als endlich der verschwundene und sehnsüchtig gesuchte Luke Skywalker gefunden wird und Rey ihm sein Lichtschwert überreicht. Wobei man freilich beim Verlasssen des Kinos das blöde Gefühl hat, wie bei jeder Droge und jedem Rausch nur für den nächsten Trip, Episode 8, angefüttert worden zu sein.
Aber einen triftigen Grund, sich diesen Film anzuschauen gibt es doch: Die wirklich großartige Daisy Ridley*! (Wobei man auch hier das Gefühl hat, dass diese Figur der Rey als kämpferischer und zugleich fürsorglicher junger Frau wo anders geklaut wurde: nämlich von der beeindruckenden Katniss Everdeen aus Die Tribute von Panem.)
* Daisy Ridley – das erweckt zwei Namens-Assoziationen: "Daisy Duck" (welche weder die Schauspielerin noch die Figur der "Rey" nun wirklich nicht ist) und “Ridley Scott”, Regisseur von solchen SciFi-Spektakeln wie Alien, Der Marsianer und vor allem Blade Runner.

 

Anmerkungen vom Rand der Galaxis
George Lukas hat mit Star War seine eigene Mythologie geschaffen, die der neue Regisseur Abrams, ein wenig modernisiert, nahtlos fortführt. Zu nahtlos für meinen Geschmack.
Er hat sich dabei der literarischen Vorbilder bedient, die auch mich als Jugendlichen sehr beeindruckt haben, allen voran Edmond Hamiltons The Star Kings (deutsch: Herscher im Weltenraum) und The Incredible Planet von John W. Campbell. Aber kräftig geklaut aus allen möglichen Quellen hat ja auch James Cameron für seinen Avatar – ein Film, der mich übrigens sehr viel mehr berührt hat als es Star Wars jemals konnte. Aber dieses Klauen ist okay; es gehört zum kreativen Prozess, der immer auch ein gesellschaftliches Phänomen ist und sich aus vielen vertrauten Quellen speist – schon damit die Konsumenten etwas damit anfangen können.
Zu Hamiltons The Star Kings möchte ich ergänzen, dass er bei aller platten Kriegspielerei und Verehrung feudalistischer Sternenreiche mit Kaisern und Königen und Baronen* zumindest passager auch die schreckliche Seite der Kriegsopfer sieht, zu der auch die Veteranen gehören.
*Da haben viele amerikanische SF-Autoren und -Filmer eine echte Macke: Nicht nur George Lucas, sondern auch Isaac Asimov (mit seiner Foundation-Saga), Frank Herbert (Dune), A.E. van Vogt (The Mixed Men) and many many more.
 

Traumatisierung in der Weltraumoper
Gelegentlich kommt sie doch vor: Die Traumatisierung, welche Kriegsteilnehmer erleiden. (Der Vietnam-Veteran Joe Haldeman hat daraus sogar einen ganzen Roman gemacht: Der ewige Krieg).
In Edmond Hamiltons The Star Kings heißt es gleich zu Beginn, bevor der Held in sein galaktisches Abenteuer gerissen wird:

Wieder fuhr Gordon plötzlich aus dem Schlaf empor. Und diesmal war er ein wenig besorgt. Stimmte mit seinem Verstand etwas nicht mehr? Er hatte schon oft gehört, dass es ein schlechtes Zeichen war, wenn man anfing, Stimmen zu vernehmen. Er war ohne eine Schramme im Krieg durchgekommen, aber vielleicht hatten jene Jahre, in denen er auf den Pazifik hinausflog, seinem Verstand geschadet. War es vielleicht wirklich bei ihm so weit, dass eine verspätete Psychoneurose zum Ausbruch kam?
“Hol’s der Teufel, ich rege mich tatsächlich über solche Kindereien auf!” sagte Gordon grob zu sich selbst. “Das kommt nur daher, dass ich nervös und ruhelos bin.”
Ruhelos ? – Ja, das war er! Er war es die ganze Zeit gewesen, seit der Krieg zu Ende war und er nach New York zurückkehrte.
Man kann wohl einen jungen Buchhalter aus einem New Yorker Versicherungsbüro herausnehmen und aus ihm einen Kriegspiloten machen, der einen Dreißig-Tonnen-Bomber so sicher bedient, wie er seine Finger gebraucht. Man konnte das wohl tun, man hatte es jedenfalls mit Gordon getan. Aber nach drei Jahren Krieg war es nicht ganz einfach, diesen Piloten mit einem Sträußchen im Knopfloch und einem `Ich danke Ihnen´ zu entlassen und an den Büroschreibtisch zurückzuschicken. Gordon wusste auch das aus bitterer Erfahrung.
(Hamilton 1947, S. 7/8)

Fünffaches Fazit des Filmbesuchs

Der siebenjährige JvS: Toller Film!

Der 15jährige JvS: Klasse Film, der mir aber irgendwie sehr bekannt vorkommt.

Der 38jährige JvS: Der erste Krieg der Sterne, den ich 1978 in Zürich sah, war der Hammer! Den sollte ich mir wieder mal anschauen. Dieser neue Film ist wie ein Aufguss “1:1” davon, mit denselben Figuren, den selben Lichtschwerter-Duellen, den selben Computerspiel-Flugkampf-Sequenzen. Langweilig. Zum Einschlafen. Bis auf die alerte neue Figur der Rey, die alles wieder rausreißt – und dann natürlich Han Solo, gespielt vom Urgestein Harrison Ford mit dieser tollen Ausstrahlung des Schmuggler-Kriegers.

Der 75jährige JvS: Mir kann man nichts mehr vormachen. Ich weiß, was Krieg wirklich bedeutet – das hier ist gequirlte Kinderkacke. Wirklich beeindruckend ist die neue Figur der Rey, hervorragend gespielt von Daisy Ridley. George Lukas hat mit dem Ur-Star Wars seine eigene Mythologie geschaffen, die der neue Regisseur Abrams, ein wenig modernisiert, nahtlos fortführt. Zu nahtlos für meinen Geschmack. Und von sense of wonder, dem wichtigsten Gewürz jeder SF-Suppe, (fast) keine Spur. Nur als in Rey die Macht erwacht und sie sich aus dem Gefängnis befreit, spürt man etwas davon. Erspart mir in Zukunft diesen Lichtschwerter- und Prinzessinen-Käse! Keineswegs werde ich mir die Blu-ray zum Film antun.

Fiktiver syrischer Flüchtling: Keine Ahnung, wie der sich äußern würde. Vielleicht ist er zufällig SF-Fan und konnte den Film wie der Siebenjährige und der 15jährige sogar genießen – aber sehr wahrscheinlich würden stattdessen jede Menge Flashbacks aus dem kurz vorher noch real erlebten Kriegsgeschehen auftauchen.
 

Allgegenwart des Labyrinth-Motivs
Welcher “Unbekannte aus dem Mittleren Osten” kann sich ein Haus für mehr als 275 Millionen €uro leisten? Vermutlich nur jemand, der sein Geld mit Öl und / oder Waffengeschäften gemacht, also wahrscheinlich an Kriegen verdient hat. Das passt also bestens zu diesem Blog-Gewitter. Und der Zufall sorgt für Labyrinthisches, das ich kurz vor dem Kinobesuch im Café in der Süddeutschen entdeckte:

Das echte Schloss des französischen Sonnenkönigs steht acht Kilometer weiter südlich, jährlich lockt es sieben Millionen Besucher nach Versailles. Doch auch das Chateau Louis XIV […] im Westen von Paris umfängt barocker Flair. 275 Millionen Euro hat ein Unbekannter jetzt für das Anwesen bezahlt und es damit zum teuersten Haus der Welt gemacht. Der Preis je Quadratmeter Wohnfläche dümpelt um die 55 OOO Euro. Nach Angaben der Agentur Bloomberg stammt der künftige Schlossherr aus dem Mittleren Osten. Die riesige Villa ist erst vier Jahre alt. Erbauen ließ sie Emad Khashoggi, ein französischer Immobilienmogul saudischer Abstammung. Der 23-Hektar-Garten mit blattgoldverziertem Springbrunnen und zwei Kilometer langem Heckenlabyrinth gehorcht ganz den Regeln von André Le Notre, dem Hofgärtner von Ludwig XIV. In historischer Verpackung verbirgt das Schloss alle Raffinessen des 21. Jahrhunderts: eine mit Sonnenenergie gespeiste Klimaanlage, fernsteuerbare Lichtregulierung, Luxuskino, Disco und ein riesiges Schwimmbad. Ein Clou freilich ist der Ruhesaal des Anwesens: Die Glaskugel mit riesigem Ledersofa ist von einem Aquarium umgeben. Solch entspannte Kontemplation neben Forelle und Stör war selbst Louis XIV. nicht vergönnt. (Wernicke 2015)

Quellen
Abrams, J.J. (Regie): Krieg der Sterne 7: Das Erwachen der Macht (Star Wars: The Force Awakens). USA / Great Britain 2015 (Lucas Film / Disney Film).
Asimov, Isaac: Foundation. New York ab 1942 (in Astounding Science Fiction). Deutsche Ausgabe: Der Tausendjahresplan. München 1966 (Heyne) und andere Ausgaben.
Campbell: John W.: The Incredible Planet. New York 1949. Deutsche Ausgabe: Der unglaubliche Planet. Düsseldorf 1952 (Rauchs Weltraumbücher).
Haldeman, Joe: The Forever War. New York 1974. Deutsche Ausgabe: Der ewige Krieg. München 1977 (Heyne).
Hamilton, Edmond: The Star Kings. USA 1946. Deutsche Ausgaben: Herscher im Weltenraum. Berlin 1952 (Gebr. Weiss) / Die Sternenkönige. München 1980 (Heyne).
Herbert, Frank: Dune. New York ab 1963 (in Astounding Science Fiction). Deutsche Ausgabe: München 1978 (Heyne).
Wernicke, Christian: “Millionen-Kitsch”. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 290 vom 17. Dezember 2015, S. 10 (Panorama).

Post 295 / JvS #1049 / SciLogs #1337/ Aktualisiert: 20. Nov 2015/13:26 / v 1.2

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

1 Kommentar

  1. Der Kinofilm “Kampfstern Galactica” aus dem Jahre 1978 behandelt die Themen Krieg und Flucht wesentlich besser als der Kinofilm “Krieg der Sterne” aus dem Jahre 1977.
    Die Fernsehserie “Battlestar Galactica” aus dem Jahre 2004 ist leider ziemlich schlecht gelungen.

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