Diskos von Phaistos: mehr als eine Spirale?

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

Der Diskos von Phaistos ist eine Scheibe aus gebranntem Ton und gilt als eines der bedeutendsten Fundstücke aus der Bronzezeit.

Er ist vermutlich mehr als 3.500 Jahre alt. Spiralförmig überziehen ihn Menschen-, Tier- und Pflanzenmotive. Weil diese kleinen Bildchen offenkundig mit jeweils eigenen Stempeln aufgebracht wurden, stellt der Diskos den ersten bekannten Druck der Menschheit dar: Zum ersten Mal wurde ein kompletter Textkörper mit wiederverwendbaren Zeichen produziert. Einzigartig ist das Objekt auch deshalb, weil bislang kein weiteres Fundstücke seiner Art entdeckt wurden.

Der Diskos wurde in einem Raum der minoischen Palastanlage von Phaistos auf Kreta am 3. Juli 1908 unter der Leitung des Italieners Luigi Pernier ausgegraben. Heute befindet er sich im Archäologischen Museum in Iraklion (Heraklion).

In der Wikipedia (wo man auch weitere Details findet: Diskos von Phaistos) heißt es:

Nahezu alle den Diskos betreffenden Fragen, wie die nach seinem Zweck, seiner kulturellen und geographischen Herkunft, der Leserichtung und der Vorderseite sind umstritten. Selbst seine Echtheit, und ob es sich bei den Zeichen überhaupt um Schriftzeichen handelt, wurde schon angezweifelt.

Im SPIEGEL vermeldet Johannes Saltzwedel hierzu, dass es schon weit über tausend Deutungen dieser Inschrift (?) und ihrer Be-Deutung gibt und ständig neue im Museum von Iraklion eintreffen (Saltzwedel 2008, S. 28/29).

Ich möchte diesem kulturgeschichtlichen Rätsel ersten Ranges keine weitere Deutung hinzufügen, sondern nur auf zwei eigenartige Details hinweisen, die es für diesen Labyrinth-Blog erwähnenswert machen. Zunächst aber die Abbildung der Seite B des Kunstwerks:

Abb. 1: Der Diskos von Phaistos (Seite B) (Foto: Museum Iraklion, aus Wikipedia)

 

Zwei interessante Details

Wenn man diese Abbildung genau studiert, kann man zwei interessante Details erkennen, die wohl nur dem Labyrinthologen auffallen. Dazu muss man den Diskos zunächst um 90 ° gegen den Uhrzeigersinn drehen und mit kräftigem Strich die Struktur der Details deutlicher hervorheben:

Abb. 2: Der Diskos (Seite B) – leicht bearbeitet, um den “Labyrinthanfang” sichtbar zu machen (Foto: Museum Iraklion, aus Wikipedia – Bearbeitung: JvS)

 

Es gibt genau in der Mitte und dann wieder ganz außen am Rand (in Abb. 2: unten) zwei Zeichen, die als Rosetten benannt werden und die auf der Seite B nur an eben diesen beiden Stellen auftauchen (außerdem auf der hier nicht dargestellten Seite A). Ich habe sie rötlich hervorgehoben. Was dabei sichtbar wird, hat mich stutzig gemacht:

Wenn man
° die äußere Rosette (auf die der von mir ergänzte Pfeil mit dem Fragezeichen deutet), als Anfang und Eingang nimmt
° und die innere Rosette als Ziel und Kern der Struktur,
wird aus dem, was beim ersten Hinsehen wie eine reine Spirale aussieht, eine Mischform von eingängigem Labyrinth (kretischen Stils) und Spirale. Genauer:

Der Außenbereich des Diskos ist zunächst wie der Eingang in ein Labyrinth geformt und geht erst nach dem äußersten Umgang in die Spiralform über. Warum das so ist, darüber kann ich nur spekulieren. Es bieten sich zwei Varianten an:

1. Da hat jemand nicht gewusst, was er/sie tut und bei der Arbeit die beiden Formen miteinander verwechselt, hat vielleicht ein Labyrinth darstellen wollen* und ist dann doch lieber bei der Spiralform geblieben. Das halte ich jedoch bei der Präzision und Detailgenauigkeit, mit der dieser Diskos gestaltet wurde, für sehr unwahrscheinlich.
* – was gar nicht so einfach ist – in einem der nächsten Beiträge erläutere ich, wie man ein Labyrinth konstruiert

2. Bleibt eigentlich nur die Erklärung, dass der Künstler ganz bewusst Labyrinthform und Spiralform zusammengefügt hat.

Weshalb? Keine Ahnung.

Drei Geheimnisse

Voriges Jahr kaufte ich mir einen Krimi aus Schweden, weil ich neugierig war, wie dort der Diskos von Phaistos verwurstet wird (auf den der Klappentext hinwies). Dieses Artefakt spielt jedoch nur eine Nebenrolle: Das Mordopfer ist ein Sprachwissenschaftler, der sich mit der Entschlüsselung dieser rätselhaften Inschrift plagt – natürlich vergeblich. Schade dass der Autor Daniel Scholten, selbst Linguist, dieses hübsche Idee verschenkt und in Der zweite Tod nicht mehr daraus macht. Der Krimi ist trotzdem gut geschrieben.

Zur Ergänzung sei hier nochmals aus dem vorangegangenen Eintrag vom 3. Juli  zitiert, was das Spiegel Special über Griechenland bringt (S. 28/29):

Drei Geheimnisse lasten auf der ersten Hochkultur Europas, die während der Bronzezeit auf Kreta blühte. Das eine betrifft ihr rasches Ende etwa um 1650 v. Chr. Forscher wissen, dass nach dem Ausbruch des Vulkans auf Santorin (damals Thera) eine vernichtende Flutwelle auf die Insel zuraste. Der Auftakt zum Untergang?
Das zweite berührt die Dunkelheit der Sage: Einst, so erzählt der Mythos, ließ sich die sodomitisch gesinnte Königin von Kreta eine Kuh-Attrappe bauen, um einem Stier beizuschlafen. Sie gebar ein so entsetzliches Ungeheuer, dass man es in ein Labyrinth sperren musste und ihm – zwecks Beruhigung – Knaben und Mädchen als Speise vorwarf.
Das dritte Rätsel führt ebenfalls in einen Irrgarten. Dargestellt ist er auf einer 16 cm großen Scheibe, die beidseitig mit insgesamt 242 Zeichen übersät ist: Männerköpfe mit Irokesenschnitt sind darauf zu sehen, Vögel, Äxte, Rosetten, Fische, Zickzacklinien. Gemeint ist der Diskos von Phaistos.

 

Quellen:
Saltzwedel, Johannes (hrsg. Redakteur): Götter, Helden und Denker. Die Ursprünge der europäischen Kultur im antiken Griechenland. Hamburg 2008-06 (SPIEGEL Special Geschichte), S. 28
Scholten, Daniel: Der zweite Tod. München 2007-06 (Goldmann TB)
 

Schauen Sie bitte gelegentlich auch mal in die früheren Beiträge dieses Blogs rein! Hilfreich sein könnten vor allem die Vorbemerkung zu diesem Labyrinth-Blog und die Zeittafel. Die wichtigsten Personen und Begriffe werden erläutert in Fünf Kreise von Figuren sowie im Register dieses Blogs.  

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

11 Kommentare

  1. Ein bemerkenswerter Fund

    Wenn ich mich recht erinnere, haben die Rosetten in der Minoischen Bildwelt auch eine relativ zentrale Stellung inne. Aber seltsam, dass es so gut wie überhaupt keine vergleichbaren Stücke gibt

  2. diskos von phaistos

    BEI IHRER ÄUßERST UMFANGREICHEN SEITE WÜNSCHE ICH IHNEN WEITERHIN VIEL SPASS UND ERFOLG.VIELLEICHT HABEN SIE JA EINMAL LUST,ZUM THEMA DISKOS ETWAS AUS MEINER FEDER ZU LESEN(SIEHE UNTEN)

  3. Originelle Idee!

    Und gut beobachtet! 🙂

    Womöglich müssten sich dann die Entzifferer mal probeweise auf jene Zeichen beschränken, die man auf dem Weg zur Mitte-Rosette “abschreitet”?

    Wäre wirklich klasse, wenn dieser Diskos mal entziffert würde…

  4. Diskos von Phaistos: Mehr als e. Spirale

    Der Autor hat die Bezeichnungen der beiden Seiten A und B des Diskos verwechselt.Die Rosette befindet sich im Zentrum der Seite A.

  5. Diskos von Phaistos als Labyrinth?

    Die Hypothese zeigt einige Phantasie, der nachzugehen interessant wäre, wenn nicht ein Umstand dagegen spricht: Die Richtung der Zeichen. Abgesehen vom Streit, ob die Gesichter in oder gegen die Leserichtung blicken, sie müssten, falls eine Bustrophedonstruktur zugrundeläge, die Umkehr mitmachen, wie in altgriechischen Inschriftenbei der Kehre auch die Ansichtsrichtung wechseln.

  6. Geometrie auf dem Diskos von Phaistos

    Interessante Neuigkeiten zum Thema finden sich mittlerweile unter der eigens zu diesem Zweck kreierten Vokabel “Kryptogeometrie” (ein vorläufig noch etwas schwieriger Pfad, aber wer suchet, der findet). Oder einfacher über Google Bilder “Symbologicon Phaistos” oder ähnliche Suchen. Viel Vergnügen

  7. Ich vermute das der Discus einen ablauf von religiöser Kulthandungen darstellt,die nur einer eingeweihten Priesterschaft zugänglich ist.

  8. Es lässt sich nachweisen, dass es sich beim Diskos von Phaistos u.a. um eine äußerst komplexe Kryptogeometrie handelt, die sich sprachlich kaum beschreiben lässt. Es handelt sich um ein graphisches Werk, dass mit Hilfe der Zeichenverteilung verschlüsselt wurde. Die Spiralzeilen selbst sind eine Verschlüsselung von ganz anderen Anordnungen der Zeichen und Zeichengruppen, von Anordnungen im Kreis und diversen Matrizen. Dennoch einige Versuche: Der Diskos enthält 242 Zeichenpositionen. Bildet man aus den beiden Spiralzeilen einen Kreis, beginnend im Zentrum der an Zeichen und Zeichengruppen kleineren Seite B und schließt Seite A ebenfalls mit dem Zentrum beginnend an Zeichen B119 an, erhält man die Grundlage vielfacher Darstellungen einer Zerlegung des Zeicheninventars. Z.B.: Überspringt man ab der Zeichengruppe B1(B Zentrum) je eine Gruppe, halbiert sich die Summe der Zeichen: 121 : 121 = 11 x 11 : 11 x 11. Überspringt man aber jeweils 2 Zeichengruppen stellt sich das Seitenverhältnis 119 : 123 wieder ein. Durch rhythmisch symmetrische Gliederungen dieses Kreises stellen sich mehrfach Zeichengruppen eines Vielfachen von 11 ein. Aber das ist erst ein kleiner Anfang.

  9. Lieber Jürgen vom Scheidt,
    die Mischung von Spirale und Labyrinth scheint mir ganz einfach der physischen Grenzen von Tonscheibe und Zeichenstempeln geschuldet: Mit Stempeln fester Grösse lässt sich auf einer kreisrunden Tonscheibe ohne sich verjüngende Leerfelder keine Spirale aufstempeln.
    Der Wechsel der Druckrichtung heilt diesen ästhetischen Makel.
    Was meinen Sie dazu?
    Viele Grüße
    Michael Stief

  10. Die Verknüpfung von Spirale und Labyrinth könnte ein Hinweis auf gegensätz-liche Leserichtungen für die umlaufenden Kranz- oder Randfelder beider Seiten und für die Spirale sein. Nach meiner Erkenntnis ist der Diskosinhalt rein astro-nomisch angelegt. Der kosmisch ekliptikale Bereich mit den verborgenen Knotenumläufen, den komplizierten Mondläufen und Planetenbahnen ist das, was die Griechen später nach den Minoern und Mykenern mythisch das Labyrinth nannten. Der Minotaurus darin ist die personifizierte Finsternis. Sein finsteres Stierwesen ging hervor aus dem Lichtstier des Poseidon/Zeus und der abgründig-dunklen Vereinigung der Pasiphae mit diesem. Seine Halb-schwester, Ariadne, die Hochheilige, ist die personifizierte Sonnenkorona, die hilfreich genau im Moment der Totalität aufleuchtet. Der gesamte Mythos bezieht sich in sämtlichen Details ausschließlich auf die Problematik der Sonnenfinsternis, der ältere Teil mit Europa und dem Stier auf Mondfinster-nisse. Wenn sich die Griechen dabei mythologisch auf die Minoer beziehen, besaßen die offensichtlich bereits fortschrittliches astronomisches Wissen. Das stellten sie, unter anderem, auf dem Diskos da. Meines Erachtens legt Seite A den Jahreslauf der Sonne da mit ekliptikalem Bezug. Seite B scheint den nächtlichen Sternenhimmel zu betreffen, mit Angaben wo welche Stern-bilder wann zu beobachten sind. Die achtblättrige Rosette entspricht dem achtfach unterteilten Ekliptikkreis nach babylonischen Vorbild (Ekliptikkreis und Dreiteilung des Himmels in Anu-, Ea- und Enlilweg) und damit dem minoischen Labyrinth. Das bestätigt die Anzahl der Diskossymbole mit 45 plus Dorn, also 45 bzw. 46 Zeichen. Die Teilung des 360°-Kreises durch 8 ergibt 45° (Rosette), die Teilung des Jahreskreises von 365 Tagen durch 8 ergibt 45 5/8° (Rosette). Damit ist die Zahl der Diskosglyphen eindeutig astronomisch bestimmt, keine Silben- oder Alphabetschrift, sondern reine Bildschrift.
    Wer will, wer kann helfen, den Diskos zu entziffern?
    Ich suche Leute mit versierten astronomischen Kenntnissen und Programmen, die bei der Deutung auf dem Teppich bleiben können, indem sie selbstkritisch nicht nur immer wieder die eigenen Ergebnisse hinterfragen, sondern auch die Möglichkeiten der Minoer. Ich suche auch Leute, die sich mit der minoischen Ikonographie beschäftigen, die voller astronomisch-kosmologischer Ansätze ist. Ferner suche ich Leute, die die Linear-B-Täfelchen Lesen können, denn auch hier scheint einiges eher astronomisch zu sein, als verwaltungstechnisch.

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