Bäuerliche Sozialstruktur

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„Gründe für den Schutz der Kulturlandschaft

In besiedelten und meist land- oder forstwirtschaftlich genutzten Gebieten (“Kulturlandschaft”) soll die in den letzten Jahrhunderten vom Menschen geschaffene Landschaft mit ihren umweltverträglichen Wirtschaftsformen, Tieren und Pflanzen erhalten werden. Dafür gibt es unter anderem folgende Gründe (…):

  • Erhalt von Erholungslandschaften und Kulturdenkmälern
  • Erzeugung hochwertiger Nahrungsmittel mit möglichst geringen Umweltschäden durch eine ökologisch vertretbare Landwirtschaft
  • Erhalt der bäuerlichen Siedlungs- und Sozialstruktur
  • Schutz von Tieren und Pflanzen der offenen Landschaft (Blumenwiesen mit Orchideen, in Wiesen brütende Vogelarten).“[1]

 

Dazu gäbe es vieles zu sagen. Ich will nur einen Punkt ansprechen: Ist diese Stiftung wirklich für „den Erhalt [gemeint ist Erhaltung der bäuerlichen Siedlungs- und Sozialstruktur“? Und sind es die vielen, die diese Formulierung unterschreiben würden[2] – vielleicht ist das die Mehrzahl der Menschen in unserem Land – auch dafür? Und bin ich, der ich mich über jede Agrarfabrik grün ärgere, über jedes „Einkaufscenter“ und jede Siedlung, die nur „Dorf“ heißt, aber tatsächlich eine Schlafstadt ist, wirklich für die Erhaltung der bäuerlichen Siedlungs- und Sozialstruktur?

„Siedlungsstruktur“ ginge vielleicht noch. Wie ist es mit der Sozialstruktur? „Bäuerliche Sozialstruktur“ kann sehr Verschiedenes bedeuten, z. B. auch die Sozialstruktur der bäuerlichen Bevölkerung in Gesellschaften mit Leibeigenschaft. Seit etwa 150 Jahren aber ist mit jenem Begriff typischerweise folgendes gemeint: eine Sozialstruktur, deren wesentliches Merkmal die „Erbhofbauern“ sind, wie man es in der konservativen Kulturkritik (und auch später, in der NS-Ideologie) nannte. Erbhofbauern sind Besitzer ihres Hofes – nicht eines Betriebes, sondern eben eines Hofes. Sie besitzen ihn, doch ist er nicht ihr Privateigentum, wie es die Firma oder die Firmenanteile eines Kapitalisten sind. Die Bauern bewirtschaften ihn nicht, um für sich Gewinn daraus zu ziehen, mit dem sie nach Belieben verfahren können, sondern sie bewirtschaften ihn im Dienst der nachfolgenden Generationen. Deshalb wirtschaften sie auch, wie es im modischen Jargon heißt, „nachhaltig“, und eben deshalb beuten sie die Natur nicht aus, sondern hegen und pflegen sie, entwickeln sie zur schönen, reichen, vielfältigen Kulturlandschaft mit regionaler und lokaler Eigenart. Denn ein Bauer ist kein Produzent, der mit überall einsetzbaren und universell vermittelbaren Methoden arbeitet, sondern wie er arbeitet, das hat er von seinen Vorfahren gelernt, es sind Kenntnisse, sie sich in Jahrhunderten in Auseinandersetzung mit den besonderen Umweltbedingungen der Gegend herausgebildet haben. Darum steigert das, was er tut, deren Eigenart. – Zur bäuerlichen Sozialstruktur gehört wesentlich, daß sie patriarchalisch ist. Der Bauer herrscht so energisch wie fürsorglich über das ihm zur Seite stehende Weib und mit diesem zusammen über Kinder und Gesinde. Jeder kennt das aus zahllosen älteren Heimatfilmen und -romanen.

Nicht bäuerlich ist die Sozialstruktur da, wo die Landwirtschaft kapitalistisch (oder auch sozialistisch) betrieben wird. Das war immer das Gegenbild der bäuerlichen Wirtschafts- und Lebensweise: Landwirte oder Farmer statt Bauern.

Man kann ja wollen, daß es keine landwirtschaftlichen Großbetriebe gibt, sondern Höfe – wie illusorisch das heute auch immer sein mag. Man kann auch wollen, daß die Höfe im Besitz von Familien sind, jedoch ohne patriarchalische Herrschaftsverhältnisse, oder auch im Besitz von Kollektiven aus untereinander nicht verwandten Personen, sondern aus solchen, die sich freiwillig zusammengefunden haben. Doch dann kann man nicht von bäuerlicher Sozialstruktur reden. Das Wort ist besetzt.

Das ist aber das kleinere Problem. Das größere ist, daß man dann, wenn man für die Erhaltung der traditionellen Kulturlandschaft ist – und wer ist das heute nicht? –, nicht so ohne weiteres frei sein kann vom Wunsch nach einer bäuerlichen Sozialstruktur, wie sie oben beschrieben wurde. Nur dann ist diese Kulturlandschaft nämlich echt, andernfalls sieht sie allenfalls so aus wie eine echte. Wer ehrlich ist, muß das zugeben. Ich warte auf Einwände.

[1] Gregor Louisoder Umweltstiftung, www.glus.org/htm/naturschutz_ist_miniFly_naturschutz.html

[2] Kürzlich war eine Demonstration zu dem Thema in Berlin mit Tausenden von Teilnehmern.

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

8 Kommentare

  1. @Martin Holzherr, @ „Dr. W.“

    Martin Holzherr bezieht sich nicht auf meinen Artikel, sondern auf bestimmte politische Ziele – solche, auf die sich mein Artikel ebenfalls bezieht. Sie sind in dem Forderungskatalog einer Stiftung, den ich eingangs zitiere, enthalten sowie in den Parolen, unter denen nun schon alljährlich eine Großdemonstration in Berlin läuft und auf die ich in einer Fußnote verweise. Mein Artikel nimmt aber zur Frage der Realisierbarkeit dieser Ziele, um die es Holzherr geht, nicht im Geringsten Stellung, es geht ihm um ganz andere Aspekte.

    Da Holzherr nicht betont, daß es ihm nicht um meinen Artikel geht – und das kann man ja bei einem Kommentar voraussetzen, wenn nichts anderes eigens hervorgehoben wird – muß er sich den Vorwurf „Thema verfehlt“ gefallen lassen.

    Worum es in meinem Artikel geht, hat „Dr. W.“ klar genug geschrieben, ich muß mich da nicht noch einmal bemühen – abgesehen davon, daß, wie ich meine, die Gedanken dieses Artikels so schlicht sind und so einfach formuliert, daß das ausreichen sollte.

  2. @ Herr Trepl :

    Nicht bäuerlich ist die Sozialstruktur da, wo die Landwirtschaft kapitalistisch (oder auch sozialistisch) betrieben wird.

    Wann genau wird die beschriebene Sozialstruktur “unbäuerlich”?
    Oder war das Zitierte bereits definitorisch?

    MFG und Ihnen persönlich alles Gute,
    Dr. Webbaer

  3. Die 1.2 Mio Bauern Deutschlands machen 1.5% der Bevölkerung aus. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe hat allein seit 1991 um 42% abgenommen, von 654.000 auf 375.000. Die bewirtschaftete Fläche hat sich aber nicht verändert, sie beträgt weiterhin 50% der Landesfläche von 357.125 km².
    Diese Daten entziehen den obigen Überlegungen zum Erhalt der Sozialstruktur der Bauernbetriebe den Boden, denn die verbleibenden deutschen Bauern sind zunehmend Farmer genau so wie die Grossflächen-Farmer in den USA. Warum sollten deutsche Politiker, Sozialwissenschaftler und sich gesund ernährende Bessseresser und Besserverdiener sich eine ideale Sozialstruktur bei den Bauern wünschen? Damit es ihnen – den Besseressern und Besserverdienern – noch besser geht? Damit sich die Besseresser und Besserverdienern besser fühlen, wenn die Bauern so leben wie in den alten Büchern, Märchen und Hörspielen?

    • @ Herr Holzherr :

      Warum sollten deutsche Politiker, Sozialwissenschaftler und sich gesund ernährende Bessseresser und Besserverdiener sich eine ideale Sozialstruktur bei den Bauern wünschen?

      Ihr Kommentatorenfreund liest die hiesige Nachricht eher als Plädoyer ehrlich die Sache zu diskutieren, vgl. :

      Das größere [Problem] ist, daß man dann, wenn man für die Erhaltung der traditionellen Kulturlandschaft ist – und wer ist das heute nicht? –, nicht so ohne weiteres frei sein kann vom Wunsch nach einer bäuerlichen Sozialstruktur, wie sie oben beschrieben wurde. Nur dann ist diese Kulturlandschaft nämlich echt, andernfalls sieht sie allenfalls so aus wie eine echte. Wer ehrlich ist, muß das zugeben.

      MFG
      Dr. W

      • Vor 100 Jahren waren auch in Deutschland mehr als 50% der Beschäftigten Landwirte. Heute sind es noch 1.5%. Diese Restbauern haben mit den Bauern, die es vor 100 Jahren gab, kaum noch etwas zu tun – auch was die Sozialstruktur betrifft. Folgendes lässt sich nicht mehr restaurieren:

        Zur bäuerlichen Sozialstruktur gehört wesentlich, daß sie patriarchalisch ist. Der Bauer herrscht so energisch wie fürsorglich über das ihm zur Seite stehende Weib und mit diesem zusammen über KindZur bäuerlichen Sozialstruktur gehört wesentlich, daß sie patriarchalisch ist. Der Bauer herrscht so energisch wie fürsorglich über das ihm zur Seite stehende Weib und mit diesem zusammen Kinder und Gesinde. Jeder kennt das aus zahllosen älteren Heimatfilmen und -romanen.

        • @ Herr Holzherr :
          Haben’S das Schriftstück als Plädoyer für eine bäuerliche echte Sozialstruktur verstanden?

          • Haben sie, Dr.Webbaer die inneren Widersprüche im Plädoyer für eien Erhaltung der bäuerlichen Sozialstruktur verstanden?

            Der grösste Widerspruch ist schon im Begriff “Erhaltung” zu finden. Wie kann man etwas erhalten, was es schon lange nicht mehr gibt? Oder eben wie oben nachzulesen nur noch aus alten Heimatfilmen vertraut ist.

          • @ Herr Holzherr :
            IdR ist Ihr Kommentatorenfreund im Textverständnis gut bis sehr gut, beim werten Herr Dr. Trepl, der oft bestimmte Terminologien und Ideenlehren voraussetzt, die er zuvor in WebLogs oder anderweitig im Rahmen seiner Lehrtätigkeit vorgeschlagen hat, manchmal nicht, korrekt.

            Ansonsten:
            Erhaltung kann mit Wünschen durchaus konform gehen, auch wenn diese nicht den Ist-Zustand meinen (können), hmm, schwierig, wie dem auch sei, Ihr Kommentatorenfreund hat den Artikel als intelligente Provokation verstanden.