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BLOG: Landschaft & Oekologie

Unsere Umwelt zwischen Kultur und Natur
Landschaft & Oekologie

Was heute Rassismus genannt wird, ist meist keiner. Die Epoche des Rassismus scheint beendet. Nicht-rassistische Biologismen aber sind, begünstigt durch den neoliberalen Zeitgeist, im Aufwind. Könnte daraus wieder Rassismus entstehen? Dazu ist ein weiterer Baustein erforderlich: Ökologismus.

Der Biologismus hat seit etlichen Jahren Konjunktur, und die, so mein Eindruck, nimmt immer mehr Fahrt auf. Natürlich hat er noch lange nicht die Führerschaft in den weltanschaulichen Diskussionen in einem Maße wiedergewonnen, wie er sie vom späteren 19. Jahrhundert bis zur NS-Zeit hatte. Aber der Schock durch die Katastrophe, zu der er wesentlich beigetragen hat, ist offenbar überwunden, es geht wieder voran; man kann auch in Medien, die um political correctness bemüht sind, Sätze lesen, die noch vor drei oder vier Jahrzehnten zwar nicht als Beweis für, aber doch als recht guter Hinweis auf eine nationalsozialistische Gesinnung gegolten hätten.

Weniger gut steht es allerdings um dem Rassismus. Man hat den Eindruck, daß es mit ihm vorbei ist, daß seine Epoche nun, nach über zwei Jahrhunderten, zu Ende geht. Wer alt genug ist, kann sich erinnern, mit welcher Selbstverständlichkeit er noch vor 50 Jahren im Denken der Mehrheit zuhause war. Verglichen damit ist heute fast nichts mehr übrig. Doch könnte der Eindruck, daß seine Zeit vorbei ist, trügen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß er wiederkehrt.

Die Menschen können nicht Beliebiges über die großen Fragen – was das Wesen des Menschen ist, wie das Verhältnis von Einzelnem und Gesellschaft ist oder sein soll z. B. – denken. Bestimmte Möglichkeiten des Denkens sind zu bestimmten Zeiten vorhanden oder nicht vorhanden. Wie ein Liberaler zu denken war vor 2000 Jahren so unmöglich wie es heute unmöglich ist (oder nur als skurriler Einzelfall möglich), wie ein keltischer Druide zu denken. Die Denkstruktur des Rassismus aber gehört, so vermute ich, auch heute noch zu den Positionen, die in unserer Gesellschaft möglich sind, die besetzt werden können und nur zur Zeit nicht besetzt sind. Große Teile der Gesellschaft werden die Position Rassismus einnehmen, wenn sich bestimmte Interessenkonstellationen ergeben und zugleich die erforderlichen einzelnen Ideen vorhanden sind, und zwar in einer solchen Ausprägung, daß ihre Zusammenfügung zu diesem Denkgebilde möglich wird.

Nicht um die Interessen, nur um die Ideen (und Ideologien, zu denen sie sich verbinden) soll es hier gehen. Wie steht es heute um die Denkbausteine, die vorhanden sein müssen und potentiell zusammenpassen müssen, wenn der Rassismus wieder als plausibles, konsistentes Welterklärungsmuster gelten soll? Dazu hier einige unausgegorene und wenig geordnete Gedanken.

Rassismus ist eine Form des Biologismus. Dieser umfaßt jenen, ist also breiter. Wenn auch Rassismus immer biologistisch ist, so sind doch nicht alle Formen des Biologismus rassistisch. Aber die nicht-rassistischen Biologismen, oder zumindest einige von ihnen, gehören zu jenen Bausteinen. – Vielleicht gibt es noch andere Formen, aber wenn ich hier von Rassismus spreche, meine ich immer die Form, die er in der NS-Ideologie hatte, den völkischen Rassismus.

  

Zur Ermöglichung der Wiederkehr des Rassismus scheint mir nicht zuletzt folgendes beizutragen: Im allgemeinen Geschwätz ist dieser Begriff inzwischen derart aufgeweicht, daß das, was Rassismus genannt wird, mit Biologismus und damit mit dem, was Rassismus sinnvollerweise nur bedeuten kann, gar nichts mehr zu tun haben muß. Das Wort „Dönermorde“ gilt als rassistisch, obwohl doch kaum einer, wenn überhaupt einer, der es verwendet und damit diffamierende Absichten verfolgt, auf die Idee käme, daß es eine türkische Rasse gibt. Als Rassismus gilt fast jede beliebige Art von Diskriminierung einer Gruppe, auch wenn diese durch gemeinsame Kultur, Sprache, staatliche Zugehörigkeit, geographische Herkunft, Religion oder gleiches Geschlecht definiert ist. Mit Rasse muß die Diskriminierung nicht das Geringste mehr zu tun haben.

Eben das aber schafft Platz für die Wiederkehr des Rassismus. Der Haß auf Muslime wird rassistisch genannt, auch wenn es sich um blonde und blauäugige Bosnier handelt, die jeder NS-Ideologe der „nordischen Rasse“ zugezählt hätte und dieser „Rassismus“ also keinesfalls eine Form des Biologismus  und damit Rassismus (ohne Anführungszeichen) ist. Im Windschatten dieses Unfugs arbeitet sich die „weltanschauliche Position“ aus dem gesellschaftlichen Abseits heraus, die – ganz wertungsfrei – „menschliche Verhaltensweisen und gesellschaftliche Zusammenhänge vordringlich durch biologische Gesetzmäßigkeiten zu erklären versucht“ (so die Definition von Biologismus in Wikipedia). Der Biologismus kommt im Gewand der Wissenschaft daher und ist daher gesellschaftlich akzeptabel. Er diffamiert nicht, er erklärt. Wie alle naturwissenschaftlichen Erklärungen, deren Wesen ja darin besteht, instrumentelles Wissen bereitzustellen, versprechen auch seine, Mittel zu finden, die Hilfe für Menschen in Not bringen. Der Biologismus tritt vor allem als unverzichtbarer Teil des medizinischen Fortschritts auf.

Sogar die Biologismus-Spielart Rassismus könnte zunächst ganz wertungsfrei, ohne Diffamierung, zumindest ohne die bisher übliche, auftreten. Viele Definitionen machen die Diffamierung zum Kriterium. „Wollten wir eine knappe Formulierung wagen, so könnten wir sagen, dass Rassismus vorliegt, wenn eine ethnische Gruppe oder ein historisches Kollektiv auf der Grundlage von Differenzen, die sie für erblich und unveränderlich hält, eine andere Gruppe beherrscht, ausschließt oder zu eliminieren versucht“.[1] Aber was nach solchen Definitionen als Rassismus zu gelten hat, ist enger als das, was man so nennen muß. Denn Rassist ist nicht nur, wer aufgrund rassistischer Auffassungen andere Gruppen zu beherrschen, auszuschließen oder zu eliminieren versucht, sondern wer überhaupt die Menschen in Rassen einteilt und meint, damit etwas Wesentliches zu treffen. Wer Rassen für sozusagen beobachterunabhängig gegebene Entitäten hält und wer wesentliche gesellschaftlich bedingte Eigenschaften von Menschen für rassebedingt hält, hat rassistische Auffassungen. Das gilt auch dann, wenn er der Meinung ist, man solle niemand aufgrund seiner rassischen Eigenschaften beherrschen, ausschließen oder eliminieren, oder der Meinung ist, die eigene Rasse sei im Vergleich zu anderen minderwertig.

Wo der Biologismus den Rassismus nur vorbereitet, ist aber von Rasse gar nicht die Rede. Man habe, so heißt es vielleicht, nachgewiesen, daß die Afrikaner den Europäern im Hinblick auf irgendeine Komponente von Intelligenz genetisch bedingt im Durchschnitt unterlegen seien. Vielleicht auch überlegen, darauf kommt es nicht an; dem Durchschnitt der Afrikaner, nicht der „Negriden“, die weißen Algerier und Buren werden eingerechnet. Der empirisch-analytische common sense der Naturwissenschaftler tendiert dazu, den Rassebegriff abzulehnen oder ihm doch nur die Rolle eines von der Willkür der Merkmalsauswahl und der Merkmalsbewertung abhängigen Begriffs zuzubilligen. In diesem naturwissenschaftlich zulässigen, „nominalistischen“ Sinn kann man nach Belieben jede irgendwie auf der Genom-Ebene definierte Untereinheit einer Spezies Rasse nennen – auch wenn die Art, wie Homo sapiens, sehr homogen ist (was ja nach Meinung vieler gutwilliger Biologen die Anwendung des Rassebegriffs auf den Menschen unmöglich macht, siehe z. B. auch hier; das ist aber falsch). Es hängt dann von der Willkür der Merkmalsauswahl und -bewertung ab, welche und wie viele Rassen es gibt und welcher jemand zugehört. In diesem Sinn von Rassen zu reden, ist unproblematisch. Weil aber die, für die Rassen etwas ganz anderes, nämlich natürliche Entitäten sind, auch von Rassen sprechen, ist man auf der sicheren Seite, wenn man nicht von Rassen, sondern von Populationen spricht („Afrikanern“), deren Genpool im Durchschnitt sich (selbstverständlich) von dem der Populationen anderer Gebiete unterscheidet.

Ich habe eine Argumentation nach dem angedeuteten Muster – die Population der Afrikaner ist im Durchschnitt usw. – noch nicht gelesen, aber wundern würde es mich nicht, wenn dergleichen auf den Wissenschaftsseiten einer bedeutenden Zeitung schon vorgekommen wäre. Man argumentiert nicht rassistisch, nur biologistisch, oder nicht einmal das, sondern legt nur mehr und mehr Daten vor, die biologistische Argumente stützen. Gegen Daten läßt sich nichts einwenden. Man hätte natürlich auch andere Daten erheben können, solche, die biologistische Argumente nicht stützen. Das tut man aber immer weniger, zumindest gelangt es nicht an eine größere Öffentlichkeit. Man könnte auch die erhobenen Daten anders interpretieren: Seit Entstehung der darwinistischen Theorie ist für die Biologie klar (wenn auch nicht jedem Biologen klar), daß  eine Aussage wie „die Afrikaner sind den Europäern im Hinblick auf irgendeine Komponente von Intelligenz genetisch bedingt im Durchschnitt unterlegen/überlegen“ unzulässig ist. Das kann nicht durch Daten erwiesen werden. Die Daten können nur eine Überlegenheit bzw. Unterlegenheit unter bestimmten Umweltbedingungen zeigen, und das zeigen sie selbstverständlich immer; man wird nicht zwei Populationen von Menschen finden, die bei Aufwachsen unter völlig gleichen Umweltbedingungen hinsichtlich irgendeiner definierten Komponente von Intelligenz genau gleich sind. Dieser Unterschied ist dann „genetisch“.

Aber in anderen Umwelten kann sich das umkehren. Pflanzenart A wächst auf gleichem Boden besser als Pflanzenart B. Sie ist also – alle übrigen Bedingungen als gleich angenommen – erwiesenermaßen genetisch bedingt in dieser Hinsicht überlegen. Aber auf wiederum gleichem, doch nun nicht nitratreichem, sondern nitratarmem Boden wächst sie vielleicht schlechter. Da man nicht alle möglichen Umweltbedingungen prüfen kann, kann man eine genetische Über- oder Unterlegenheit an sich grundsätzlich nicht nachweisen. Es war typisch für den NS-Rassismus – und darin war er anti-darwinistisch –, zu meinen, es gebe „starke“, d. h. an sich und nicht nur unter bestimmten Umweltbedingungen überlegene Rassen (siehe Bensch 2008). Ich komme darauf zurück.

 

Bereitet wird der Boden für den Rassismus auch, und zwar seit längerem schon, durch – keineswegs rassistische – Argumentationen dieser Art:

„Warum hat es so lange gedauert, bis eine evolutionäre Erklärung von Ekel akzeptiert wurde?

Lange Zeit waren die Sozialwissenschaften äußerst misstrauisch gegenüber jedem Versuch, Verhalten biologisch zu erklären. Für diese Wissenschaftler sind Menschen leere Schiefertafeln, die die Gesellschaft beliebig beschreiben kann. Aber das stimmt nicht. Wir sind programmiert, nur bestimmte Dinge zu lernen. Sie lernen in einem frühen Alter sich vor Fäkalien zu ekeln, aber es ist sehr schwer, Ekel vor Blumen oder Keksen zu erlernen.

Aber Kultur spielt doch sicher auch eine Rolle dabei, vor was wir uns ekeln?

Ja, selbstverständlich. Kultur ist wichtig. Aber es ist eher so, dass die Natur bestimmte Themen vorgibt und die Kultur dann Variationen auf diese Themen.“

Das ist aus einem Interview, das der Tagesspiegel mit Valerie Curtis führte, der Leiterin des Hygienezentrums der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Sie forscht über die Ursprünge des Ekels.

Was die Kollegin Curtis sagt, stimmt alles. Selbstverständlich sind wir „programmiert“, nur bestimmte Dinge und nicht alle zu lernen. Selbstverständlich gibt „die Natur bestimmte Themen vor“ und die Kultur spielt dann Variationen über diese Themen. Wir können biologisch bedingt nicht beliebige Dinge lernen, niemand, der den Biologismus ablehnt, hat je etwas anderes behauptet. Und niemand hat je bestritten, daß es bei bestimmten geistigen ebenso wie bei bestimmten körperlichen Leistungen genetisch bedingte Variationsgrenzen gibt, hinsichtlich derer die Individuen sich unterscheiden. Manche Individuen können in allen Umwelten, die man bisher ausprobiert hat, genetisch bedingt nur sehr mäßige geistige Fähigkeiten entwickeln, ebenso wie es sie es nicht lernen können, die 100 m schneller als in 12,0 Sekunden zu laufen, was anderen genetisch bedingt möglich ist. Auch die Schiefertafel-Metapher trägt nicht so weit, wie Frau Curtis suggeriert, und mit ihr zahllose Genetiker, die für ihre Branche größere gesellschaftliche Bedeutung erkämpfen möchten. Wer diese Metapher benutzt, behauptet keineswegs, daß alles möglich ist. Eine Schiefertafel kann man nicht beliebig beschreiben. Ein Buch paßt nicht drauf, und für bestimmte Schrifttypen, zu denen man einen Pinsel braucht, eignet sie sich nicht.

Was hat man denn überhaupt dem Biologismus bestritten? Daß die Grenzen möglicher Variation so eng sind, wie er behauptet. Und seine Anmaßung, auch da biologisch, d. h. genetisch (dieses Wort im biologischen Sinn verstanden) zu erklären, wo andere Ursachen auf der Hand liegen und zumindest geprüft zu werden verdienen. Wenn es keine Frauen und keine Schwarzen in leitenden Positionen gab, dann mußte das an der Natur der Frauen und der Schwarzen liegen. Gar nicht in Erwägung wurde gezogen, daß es, wie einem die tägliche Erfahrung eigentlich sagen mußte, daran liegen könnte, daß man sie auf diese Positionen einfach nicht ließ. Diese Biologisten blendeten eine Welt von hochwahrscheinlichen bis sicheren Kenntnissen über das Funktionieren der Gesellschaft aus. Sie sahen die Tatsachen ihrer eigenen Zeit und Kultur und interpretierten sie dem common sense ihres sozialen Milieus gemäß. Sie ließen sich in der Regel nicht etwa von Tatsachen täuschen, weil andere Tatsachen noch nicht ermittelt waren, sondern ignorierten die bekannten Tatsachen, weil Interessen sie dazu veranlaßten, sich selbst etwas vorzumachen. „Die Ideologie … unterscheidet sich [von der Wissenschaft darin], daß die praktisch-gesellschaftliche Funktion  den Vorrang hat gegenüber der theoretischen Funktion“.[3]

Daß Ekel eine genetische Basis hat, ist selbstverständlich, sonst gäbe es ihn nicht; nichts, was man an einem Organismus beobachten kann, ist ohne genetische Basis. Daß die Fähigkeit, Ekel zu empfinden, im Zuge rein biologischer Vorhänge entstanden ist, und zwar, teleologisch formuliert, um rein biologische Funktionen zu ermöglichen, glaube ich gern. Ebenso glaube ich gern, daß entscheidend für die Entstehung des Ekels Fäkalien waren und daß der Ekel vor ihnen sowohl normal im Sinne von sehr häufig als auch normal im Sinne von der „Norm“ entsprechend, das heißt hier: die wesentliche biologische Funktion erfüllend, ist. Aber es gibt eben auch Ekel vor Blumen, und es gibt Kulturen, in denen man mit Genuß ißt, was in anderen Ekel erregt. Wenn die Natur also ein Thema vorgegeben hat, dann ist es die Möglichkeit des Gefühls von Ekel (vielleicht auch die Wirklichkeit in dem Sinn, daß es keinen Menschen ohne dieses Gefühl), nicht aber die Realität des Gefühls „Ekel vor Würmern“ oder überhaupt vor irgend etwas Bestimmtem. Die Variationen, die die Kultur spielen kann, sind sicher nicht beliebig, aber die Variationsbreite ist gewaltig, das Spiel der Möglichkeiten ist endlos.

Nun könnte man, so wird sicher entgegnet, von denen, die „mißtrauisch“ sind „gegenüber jedem Versuch, Verhalten biologisch zu erklären“, ebenfalls sagen, daß sie bestimmte Tatsachen ignorieren. In nicht wenigen Fällen trifft das sicher zu. Deshalb kommt man nicht umhin, jeden Streitfall für sich zu betrachten. Aber man muß auch das Gesamtbild im Auge haben. Auffällig ist, daß der Biologismus zu einer Zeit wieder hochkommt, in der die üblichen Evidenzen des Alltagsdenkens, auf die er sich stützte, immer rascher zusammenbrechen. Es ist nicht mehr möglich, die Tatsache zu ignorieren, daß man in anderen Kulturen Würmer ißt, weil es sich im allgemeinen Bewußtsein nun eben um Kulturen handelt und nicht mehr um Naturvölker, die unter „der Mensch“ ohnehin nicht mitgemeint sind. Es ist völlig selbstverständlich geworden, daß Frauen und Schwarze Dinge tun, zu denen sie noch vor wenigen Jahrzehnten als von Natur aus völlig unfähig galten. Es liegt auf der Hand, daß jemand, der als Säugling aus einer Kultur, die der europäischen der älteren Eisenzeit oder gar der Steinzeit entspricht, in die westliche Kultur gerät, sich als Erwachsener von anderen Angehörigen dieser Kultur in nichts unterscheidet; daß von den gewaltigen Unterschieden in den kognitiven Leistungen also nichts genetisch bedingt sein kann in dem normalerweise gemeinten Sinn (angeboren, durch Kultur nicht zu verändern).

 

Es ist der Neoliberalismus, wie schon der alte Liberalismus, der für den Biologismus im allgemeinen günstige Bedingungen schafft, so ungünstig dieses ideologische Milieu für den Rassismus als dessen Spielart ist. Der Ideologie der im freien Spiel der Kräfte Erfolgreichen ist es ein Ärgernis, darauf hingewiesen zu werden, daß die Chancengleichheit nur auf dem Papier existiert, weil die soziale Umgebung von vornherein für extrem ungleiche Chancen sorgt. Wenn aber der Erfolg durch die Natur der Erfolgreichen, durch ihre Gene bedingt ist, dann ist der Versuch der Erfolglosen, bessere Bedingungen für ihre Entwicklung zu erkämpfen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wenn sie vernünftig sind, finden sie sich zwar nicht mit ihrem Schicksal ab, wie es der Konservativismus verlangt („…der Dumme ist von der Natur bestimmt, einem Klügern zu dienen; alsdenn ist ihm auch wohl auf seiner Stelle, und er wäre unglücklich, wenn er befehlen sollte“[4]). Sondern er kämpft als Einzelner weiter dafür, soweit es ihm eben möglich ist nach oben zu kommen. Aber daß der kollektive Kampf der Erfolglosen um reale Gleichheit auf falschen Voraussetzungen beruht, das sieht er nun ein.

Die Idee der Rasse aber verträgt sich, anders als die Behauptung der biologischen Bedingtheit der Fähigkeiten des Einzelnen, mit dem radikalen Individualismus des Liberalismus nicht. Sie verträgt sich auch nicht mit seiner Vorstellung von gesellschaftlichem Wandel. In bestimmten Situationen sind bestimmte Fähigkeiten gefragt, in anderen andere. Wer zufällig die genetisch bedingten Eigenschaften hat, die sich unter den ständig wechselnden Bedingungen für die neue Situation eignen, gewinnt im Konkurrenzkampf. Ändern sich die Umweltbedingungen – und sie ändern sich ständig, und vor allem das die Gesellschaft beherrschende und beherrschen sollende Konkurrenzprinzip sorgt dafür, daß sie sich ständig ändern –, kann der bisher Überlegene unterlegen sein. Es gibt keine an sich, in allen Umwelten, Starken. So hat der Darwinismus die liberale Gesellschaftsvorstellung für die „Gesellschaften“ der Tiere und Pflanzen formuliert. Die Idee der starken, d. h. der umweltunabhängig allen anderen überlegenen Rasse, der „Herrenrasse“, ist anderer Herkunft, ist im Denkzusammenhang des Liberalismus nicht möglich und ist, wie oben schon angedeutet, auch nicht darwinistisch. Im Darwinismus gibt es keine positive „Auslese der Starken“, sondern der an die jeweiligen Umweltbedingungen am besten Angepaßten. (Margrit Bensch 2008 hat das im Einzelnen ausgearbeitet; siehe auch Ulrich Eisel 2009.) – Auch wenn in nationalsozialistischen Schriften die typischen Dawin’schen oder (sozial-)darwinistischen Termini und Metaphern ständig präsent sind – sie stehen in einem vollkommen anderen paradigmatischen Zusammenhang und bedeuten damit auch etwas ganz anderes.[7]

Das ideologische Milieu des heute wieder aufkommenden Biologismus ist aber, wie gesagt, vor allem (wenn auch nicht nur, s. u.) der Liberalismus. Dieser Biologismus gibt dem Erfolgreichen ein gutes Gewissen wie seinerzeit dem erfolgreichen Kaufmann die calvinistische Lehre: Er gehört zu den Auserwählten. Nicht durch Gott ist er nun auserwählt, sondern durch die Natur; also, weil die Natur in dieser Weltanschauung kein Über-Subjekt ist, durch nichts und niemand. Ein seelenloser Mechanismus hat zufällig bewirkt, daß er die in der derzeitigen Umwelt besser geeigneten Gene hat. Die anderen haben halt Pech gehabt. Nicht einmal Beten hilft mehr dagegen. Die Gesellschaft bleibt hier aber die der freien Individuen. Darum wird einem das, was ich eben skizziert habe, so übel es ist, immer noch viel weniger unangenehm sein als die rassistische Form des Biologismus.

 

Doch beitragen zur Entstehung des Rassismus kann der liberale Individual-Biologismus, der sich heute wieder ausbreitet, sehr wohl. Er räumt ein entscheidendes Hindernis aus dem Weg: den jahrzehntelang das Gemeinbewußtsein prägenden Gedanken, daß im Großen und Ganzen jeder alles werden kann, wenn man ihm eine günstige Umwelt bietet. Und daß es nicht an dem liegt, was einer von Natur aus mitbringt, wenn es ihm schlecht geht. Daß es also falsch ist zu glauben, er könne sowieso nichts dagegen machen außer sich im Rahmen seiner biologisch bedingt bescheidenen Möglichkeiten etwas weiter nach oben zu kämpfen.

 

Zwischenfazit: Der mit dem Liberalismus kompatible und von ihm begünstigte Biologismus ist nicht rassistisch. Er behauptet im wesentlichen, daß die Eigenschaften des Individuums, die für seinen sozialen Erfolg ursächlich sind, biologisch, d. h. genetisch bedingt sind. Und er tendiert dazu, den Menschen die Willensfreiheit und damit die Verantwortlichkeit abzusprechen. Gefördert wird er durch die Erhebung von Daten, die ihn stützen, und die Nicht-Erhebung von Daten und die Nicht-Beachtung von Alltagskenntnissen, die ihm widersprechen. Bei der Interpretation der empirischen Befunde werden andere Erklärungsebenen als die biologische gar nicht in Erwägung gezogen.

 

Was muß hinzukommen, damit aus diesem (liberalen) Biologismus (völkischer) Rassismus wird? Was muß hinzukommen, damit nicht nur der Einzelne hinsichtlich seiner – vor allem kognitiven und seiner moralisch relevanten – Fähigkeiten biologisch bedingt erscheint, sondern damit die Idee entsteht, er gehöre einer Gemeinschaft an von (a) biologisch Ähnlichen und (b) zugleich Verwandten (Abstammungsgemeinschaft), einer Gemeinschaft, der er verpflichtet ist? Verpflichtet, das heißt, daß das wesentliche Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft das des Dienens ist, während zugleich das wesentliche Verhältnis der Gemeinschaft zu anderen Gemeinschaften das des Kampfes ist?

Ich will auf zwei Punkte hinweisen. Der eine betrifft die Ethik, der andere eine Spielart des Biologismus, die ich bisher nicht angesprochen habe, den Ökologismus.

 

Zu ersten Punkt. Der Liberalismus – da hat Herr Ratzinger, der nicht müde wird das zu betonen, recht – kennt keine Werte. Der Rassismus aber kennt Werte, nicht nur Nützlichkeit für den Einzelnen. Denn er teilt die Grundvorstellung hinsichtlich des Verhältnisses von Einzelnem und Gesellschaft mit dem Konservativismus: Die Gesellschaft ist – oder hat zu sein – eine organische Gemeinschaft, der der Einzelne sich einzufügen und der er zu dienen hat. Was er tun soll, wird von dem ihm vorgängigen, als ein Über-Subjekt gedachten Ganzen der Gemeinschaft bestimmt, die Einzelnen konstruieren nicht, wie in der liberalen Weltanschauung, das Ganze, das sie im Gesellschaftsvertrag konstituiert haben, zu ihrem eigenen Wohl. Gutes zu tun heißt, anders als für den Liberalismus, nicht (oder allenfalls auf Umwegen), sich etwas Gutes zu tun, sondern der dem Einzelnen vorgängigen Gemeinschaft. In diesem Verhältnis bestimmt sich der Wert des Menschen, er liegt nicht in abstrakten, zu beliebigen Zwecken bzw. zum eigenen Vorteil einsetzbaren Fähigkeiten (so daß es eigentlich gar keinen Wert gibt, nur Nützlichkeit). Dieser (konservativ gedachte) Wert des Menschen wird im Rassismus naturalisiert.

Es ist ein Unterschied von größter Bedeutung, den ich bisher übergangen habe: ob man behauptet, Eigenschaften wie Intelligenz seien genetisch bedingt und durch Umwelteinflüsse nur wenig zu variieren, oder ob man sagt, aus dem Unterschied in der genetischen Ausstattung resultiere ein Wertunterschied. Ersteres ist (unter der Voraussetzung einer bestimmten Definition von Intelligenz) eine empirische Frage, und der Biologismus könnte, so wenig derzeit dafür spricht, in mancher Hinsicht recht haben, bzw. wenn die naturwissenschaftliche Empirie ihm recht gibt, dann muß man ihm recht geben. (Allerdings bestimmt diese Empirie nicht darüber, für welche Definition von Intelligenz man sich entscheidet, das hängt von kulturellen Präferenzen ab.) Letzteres aber ist keine empirische Frage, und die Naturwissenschaft kann zum Wert des Menschen schlechterdings nichts sagen. Indem aber der Rassismus diesen Wert naturalisiert, macht er ihn zu einer Sache der Naturwissenschaft. Man kann anhand biologischer Eigenschaften erkennen, welchen Wert ein Mensch als Mensch hat. Diesen Wert hat er seit der Aufklärung insofern, als er ein moralisches Wesen ist, und er gibt ihn sich als ein solches (vorher hatte er ihn wegen seiner Gottesebenbildlichkeit).[8] Die Naturalisierung der Moral, an der bereits der nicht-rassistische Biologismus arbeitet, aber ist deren Abschaffung. Denn es gibt keine mehr, wenn einem von seinem Verbrecher-Gen gar keine Wahl gelassen wird. Gleiches gilt – falls jemand der Meinung sein sollte, zur Moral brauche es Religion[9] –, wenn man durch die Tücken der Evolution Gene hat, die einen zu einem „religiös unmusikalischen“ Menschen machen und damit der Bekehrung unzugänglich. Und natürlich wenn es, wie die Hirnforscher herausgefunden haben, ohnehin keinen freien Willen gibt.

 

Zum zweiten Punkt. Am Ökologismus als einer weiteren Form des Biologismus sind hier zwei Aspekte relevant:

Der erste betrifft das, was früher als „Geodeterminismus“ eine große Rolle gespielt hat, vor allem in der Geographie und ihren Popularisierungen. Er ist eine „weltanschauliche Position“, die „menschliche Verhaltensweisen und gesellschaftliche Zusammenhänge vordringlich durch biologische Gesetzmäßigkeiten zu erklären versucht“, also eine Form des Biologismus.  In diesem Fall wird versucht, jene Zusammenhänge als Anpassungsphänomene von Gesellschaften an die natürliche Umwelt zu erklären. Im Fernsehen gibt es neuerdings eine Fülle von „Bildungsfilmen“, deren Botschaft immer diese ist: Daß irgendwelche Hochkulturen – die der Maya, die von Angkor usw. – untergegangen sind, lag nicht, wie man bisher unter dem Einfluß einer naturvergessenen Soziologie glaubte, an ethnischen oder religiösen Konflikten und anderen Schwierigkeiten „innerer Anpassung“, sondern an Veränderungen auf der Ebene der natürlichen Ressourcen in der Umwelt (oft dadurch bedingt, daß sie übernutzt worden sind und sich die Natur gerächt hat). Das kann insofern zu einem Rassismus-Baustein werden: Im völkischen Rassismus war die Vorstellung wesentlich, daß sich die Herrenrasse im Zuge der Anpassung an die äußere Natur, eine Anpassung, die als ein Kampfgeschehen gegen die harte, nordische Umwelt gedacht wurde, herausgezüchtet hat. Die minderwertigen Rassen dagegen verdanken ihre Eigenschaften entweder einer allzu günstigen, verweichlichenden Umwelt oder aber sie wurden aufgrund ihrer minderwertigen Rassesubstanz in überharte Umwelten abgedrängt, die sie zudem eben wegen ihrer minderwertigen Rassesubstanz nicht in eine günstigere Form umzugestalten vermochten.

Der zweite Aspekt am Ökologismus betrifft Bilder, die die Gesellschaft sich von sich selbst macht. Diese werden gleichsam in die Natur hineingesehen. Dann aber tragen sie, zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen geworden, zur Stärkung der gesellschaftlichen Rolle des Gedankens bei, daß bestimmte gesellschaftliche Verhältnisse naturgegeben sind. Sie können das in dem Sinne sein, daß gegen sie nichts auszurichten ist, oder in dem Sinne, daß sie natürlich sind in der Bedeutung, daß sie sein sollen, daß es also widernatürlich, d. h. verwerflich ist, ihnen zuwiderzuhandeln. Eines dieser Bilder habe ich bereits angesprochen: die liberale Interpretation des Konkurrenzkapitalismus, woraus dann die darwinistische Vorstellung vom Wesen der lebenden Natur wurde.

Die diametral entgegengesetzte Idee von Gesellschaft, die klassisch-konservative Idee der organischen Gemeinschaft, hatte im Laufe der Nachkriegszeit ihren Einfluß weitgehend verloren, selbst in den konservativen Parteien war er nur noch recht schwach. Sie ist nicht zuletzt durch den Ökologismus wieder zu einer gesellschaftlichen Kraft geworden. Die Vorstellungen, die man sich gemeinhin von der Ökologie macht, genauer vom Stand der Wissenschaft über die Natur im Hinblick auf die Interaktion der Lebewesen, die auf diese Weise „Gesellschaften“ bilden, welche ihrerseits mit der abiotischen Umwelt interagieren, also „Ökosysteme“ bilden, sind es, die dem Gedanken der überindividuellen organischen Einheiten wieder Einfluß verschafft haben.

Biozönosen oder Ökosysteme sind seit dem Beginn der Ökologiebewegung in den Vorstellungen der Allgemeinheit organische Gemeinschaften oder „Superorganismen“; die üblichen Redeweisen („das schadet dem Wald“, „die Meere sterben“) ergäben sonst keinen Sinn. Natürlich haben nicht die Biologen, d. h. hier die Ökologen, mit empirischen Belegen die allgemeine Auffassung hervorgebracht oder maßgeblich gefördert, die Gesellschaften der Tiere und Pflanzen seien organische Gemeinschaften, und auf diese Weise ein Wiederaufleben der Idee der organischen menschlichen Gemeinschaft bewirkt. Vielmehr galt diese Vorstellung vom Wesen ihrer Objekte, die durchaus einst in der Ökologie dominant war, in dieser längst als überholt, als sie mit der Ökologiebewegung Einfluß in der Gesellschaft gewann. Möglicherweise erklärt sich das so, daß die konservativen Sehnsüchte nach der organischen Gemeinschaft, die man sich dem damaligen links-progressiven Zeitgeist zufolge verbot, in den Naturbildern ein ungefährlich scheinendes Feld fanden, auf dem sie sich ausleben konnten.

Auch das Verhältnis der menschlichen Gesellschaften zur Natur wird im Rahmen des Ökologismus wieder in der klassisch-konservativen Weise gedacht: Was im klassischen Konservativismus die Kulturlandschaften als organische Einheiten von „Land und Leuten“ (W.H. Riehl) waren, erfährt eine Wiederbelebung in den Diskussionen um „Nachhaltigkeit“ (wenn auch nicht in allem, was unter dieser Überschrift diskutiert wird).

Es ist die Idee der Gesellschaft als organischer Gemeinschaft, in die man hineingeboren wird, die (a) zu den Vorstellungen der biologischen (genetischen) Bedingtheit dessen, was das Wesen des Einzelnen ausmacht, und (b) zur Vorstellung einer Auslese der Starken hinzukommen muß, wenn der völkische Rassismus entstehen soll. Die konservative Idee der Gesellschaft als organischer Gemeinschaft muß dazu aber verändert werden:

Der Glaube, daß die Menschen biologisch verschieden und verschieden viel wert sind, macht noch nicht die rassistische Ideologie aus, aber auch die Verbindung mit der konservativen organischen Gemeinschaftsvorstellung reicht nicht. Vielmehr müssen diejenigen, die biologisch stark sind und deshalb als Menschen wertvoll, biologisch miteinander verbunden sein (nicht nur biologisch ähnlich), und diese Einheiten müssen sich als eine Einheit verstehen, die den Einzelnen in die Pflicht nehmen kann. In die Pflicht nehmen kann den Einzelnen die Gemeinschaft, wenn er sich und insbesondere das, was ihm seinen Wert gibt, ihr verdankt. Das ist der Fall, wenn sie ihn im teleologischen Sinn, zum Zwecke ihrer eigenen Perpetuierung und Entwicklung, hervorgebracht hat. Dem Liberalismus ist diese Gedanke fremd. Ihm ist das Recht jedes Individuums auf ein eigenes Leben und auf Neuanfang einer jeden Generation, auf Bruch mit der Tradition wesentlich. Für die Konservativen aber gibt das, was jedem Einzelnen vorausgeht, d. h. die organische Gemeinschaft (der Familie, des Volkes), sich eine Fortsetzung, entläßt eine neue Generation in die Welt mit einem Auftrag.

Die Art des Sich-Fortsetzens muß sich im Rassismus gegenüber dem Konservativismus ändern. Dessen Gemeinschaften sind wesentlich kulturelle und sprachliche Einheiten, das Sich-Fortsetzen geschieht durch tradieren, durch lernen. Die Gemeinschaften müssen zu biologischen, und das heißt hier zu  Abstammungsgemeinschaften werden. Im Begriff der Rasse muß sich die Ähnlichkeit hinsichtlich des Genpools mit der Verwandtschaft verbinden (was tatsächlich durchaus getrennt sein kann), und die so gedachte Rasse muß zugleich eine staatlich-kulturell-sprachliche Einheit sein bzw. wenn sie das nicht ist, muß sie dazu gemacht werden, denn nur dann kann sich die Kraft entfalten, die in der Rasse steckt. Diese Einheiten nennt man „Volk“, diesen Begriff in dem spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland üblich gewordenen Sinn verstanden. Nun bestehen aber Völker nicht nur aus Angehörigen einer Rasse (im rassistischen Sinn: einer Abstammungsgemeinschaft, deren Mitglieder zugleich genetisch ähnlich sind). Das ist in gewisse Weise erwünscht, denn damit hat man eine Erklärungsmöglichkeit für die Mängel des Volkes bzw. der Gesellschaft. Zugleich weiß man einen Weg, diese Mängel zu beseitigen: durch Reinhaltung der das Volk tragenden Rasse. Denn wenn die Rassen unterschiedlich stark sind und Stärke eine in allen Umwelten Überlegenheit verschaffende Eigenschaft ist, dann ist die starke Rasse dann am stärksten, wenn sie rein ist. Jede Einmischung fremden „Blutes“ kann sie nur schwächen.

 

Was ich eigentlich wissen wollte, ist aber damit noch nicht hinreichend beantwortet. Ich habe hier Bausteine beschrieben, die den früheren, den nationalsozialistischen Rassismus ausmachten, und es war zu sehen, daß sie im wesentlichen alle heute vorhanden zu sein scheinen. Früher haben sie sich zusammengefügt (zu einer herrschenden Ideologie, in vielen Einzelnen fügen sie sich natürlich auch heute zusammen). Sie können das also im Prinzip. Sie tun das aber nur unter bestimmten Bedingungen. Die waren einst vorhanden, heute offenbar nicht. Was sind diese Bedingungen? Sind es nur äußere, bestimmte Interessenlagen z. B.? Oder liegen sie auch auf der Ebene des Denkgebildes selbst? Ist z. B. das heutige „ökologische Denken“, obwohl es zweifellos jenes für den völkischen Rassismus notwendige Element „organische Gemeinschaft“ enthält, auf irgendeine Weise immunisiert dagegen, daß dieses Element als Abstammungsgemeinschaft gedacht wird? Es wäre beruhigend, wenn das jemand zeigen könnte.

Aufsätze in Blogs mit Bezug zum Thema: (1), (2), (3), (4), (4), (5), (6), (8), (9), (10)(12), (13), (14), (15), (16),  (17), (18), (19), (20), (21)
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[1] Fredrickson, George M. 2004: Rassismus – Ein historischer Abriss, Hamburger Edition, S. 173

[3] Althusser, Louis 1968: Für Marx. Frankfurt/M., S. 181.

[4] Herder 1965, Bd. 1: 365, Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit, Erstausgabe 1784-1791

[7] Bensch unterscheidet einen „evolutionistischen“ Sozialdawinismus, der eigentlich ein „Soziallamarckismus“ sei, von einem „selektionistischen“ Sozialdarwinismus; dieser wiederum wird unterteilt in einen „liberalistischen“ und einen „aristokratischen“; nur letzterer führe zum Rassismus.

[8] „Hier wird das Person-Sein des Menschen in kausale oder finale Beziehung zur natürlichen (oder genauer: naturwissenschaftlich ausgelegten) Entwicklung gesetzt. Seine personale Würde wird dabei zunächst auf seinen biologischen Ursprung zurückgeführt und dann auf seine biologische Funktionstüchtigkeit reduziert. Die unantastbar-unteilbare Menschenwürde sinkt ab zu einem abstufbaren Wert“. (Zmarzlik 1963, 270, zit. n. Bensch)

[9] „Keine Werte ohne Gott“ war die Parole in der – gescheiterten – Kampagne für die Einführung des Religionsunterrichts als Wahl-Alternative zum Ethikunterricht in Berlin vor etwa 5 Jahren.

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

80 Kommentare

  1. Pingback:Was an der Liebe zur Biodiversität christlich ist › Landschaft & Oekologie › SciLogs - Wissenschaftsblogs

  2. @ trepl

    Mein Zitat:

    “Und nicht vergessen: Determinierung von Bewusstseinsinhalten geschieht natürlich über Bildung und Erlernen der jeweils gültigen Ideologie (politische, ethische, moralische).”

    -> Was aber nur die rechtfertigende Instanz sei und eine Umprogrammierung der von mir postulierten Grundemotion und verhaltenstendenz sein soll.

    Es ist immer die Frage, was im Sinne und aus Anlass einer Kultur in das Bewusstein kommt, oder was vorher eine quasi-Veranlagung gewesen ist, die aus absolut zwingenden Lebensbedingungen sich ergibt.

  3. @ Trepl

    „absolute Intelligenz“ (Kognition)

    Sei der Zustand, der bestünde, wenn keine emotionalen Signale eine kognitive Aktivität mehr beeinflussten. Ein Zustand also, der ausschliesslich sachliche Argumentation erzeugt und keine ästhetische Wahrnemung von Situationen und Begebenheiten mehr beeinflussend wirken.

    “globalisierende Funktion das Stammesleben endgültig beendete”

    -> Soll einen Zustand beschreiben, der schon aus der Kenntnis der ganzen welt und der anderen Menschen und seiner global vernetzten Weltereignisse (Wirtschaft, Religion, Krieg) die Gewissheit über den eigenen Stamm und Gruppe als nicht mehr relevant und nicht existenzfähig erscheinen lässt. Ein vom Weltgeschehen abgeschlossener Amazonasstamm denkt und empfindet seine Existenz noch ganz anders, als der global integrierte Mensch. Schon aus der unkenntnis über die Vielfallt aller anderen Menschen und deswegen, weil er denen weder derart umfassend begegnet, wie ein Europäer etwa, … findet in seinem Bewusstsein seine und die Existenz seiner Gruppe eine viel größere Alleinstellung, als der hochvernetzte moderne westlich lebende Mensch. Dieser westliche Mensch aber hat aus seinem Wissen über die Masse und Diversität der Menschen dieser Welt auch einen gewissen konkurenzdruck. Und der wird dann in Extremfällenin Ideologien, wie Rassismus sublimiert – ad hominem ausargumentiert, damit dadurch sein Alleinstellungsmerkmal wieder hergestellt wird. Die Grundfunktion aber sei eine instinktive Empfindung, die nur aus der Perspektive der Mutter gegenüber ihres Kindes entstammt – dessen verhältnis zueinander somit die kleinste Gruppierung aller Lebewesen darstellt und bei vielen Tierarten überhaupt die einzigste Gruppe im Leben seiner Individuen sei – die sich auflöst, wenn die Aufzucht der Nachkommen beendet ist.
    Ich mutmaße also eine Art archiaischen Artefakt aus der frühen Entwicklingszeit der Homo´s und seinen Vorfahren – der aber in der Beziehung zwischen Mutter und Kind eine wichtige Aufgabe hat – die emotionale Bindung herzustellen, die für die Entwicklung der Nachkommen notwendig sei, aber in einer hochvernetzten Gesellschaft sein Ziel verfehlt oder erweitert, so die entsprechende Ideologie vorhanden sei. Und Konkurenz ist immer ein Auslöser auch für abgrenzende Ideologien.

    Und die (um)Interpretation der beschriebenen Ursache findet nicht allein aufgrund der Beobachtung der Welt statt, sondern schon aufgrund von neuronalen Grundfunktionen und die daraus entstammenden Empfindungen, die mit der Wahrnehmung der äußeren Reize (erblicken der Weltverhältnisse und deren Weltbilder und Ideologien) dann in einer (um)interpretation münden.
    Und die neuronale Globalisierung ist kein inexistenter Gegenstand, sondern neuronale Grundfunktion, ohne derer wir uns niemals zu dem Menschen von heute entwickelt hätten können. Grundbedingung also ist, dass es theoretisch möglich ist, dass sich individuelle Gehirne weltweit mit anderen Gehirnen “verbinden” können – also abstrakt gesehen ein neuronales Kollektiv bestehen kann, dass Informationen an mehr als einem Ort gleichzeitig bereitstellt. (Womit Träume, Halluzinationen und andere Phänomene gut erklärt werden könnten)

    Ihr Zitat:

    “Mir scheint es hier um mindestens zwei sehr verschiedene Dinge zu gehen:”

    -> Sicher, unsere Wissenschaften behandeln hier die von mir vorgebrachten Bedingungen in verschiedenen Disziplinen. Und dennoch kommen die zwei oder mehr Disziplinen irgendwo oder regelmässig zusammen und erklären gleiche Situationen/Begebenheiten aus verschiedenen Perspektiven oder eine erklärt die funktionale Bedingung, während die andere die ideologische dazu behandelt (Beispiel: Neurologie vs. Psychologie).

    Und nicht vergessen: Determinierung von Bewusstseinsinhalten geschieht natürlich über Bildung und Erlernen der jeweils gültigen Ideologie (politische, ethische, moralische). Denn Empfindungen aus der Triebstrukturebene (aus dem Unbewssten) benötigen zur Wiedererkennung und Verwendung auch jeweils eine Kutlurtechnik, damit Empfindungen auch einen Sinn ergeben oder ihnen dadurch einer gegeben wird. Wie erfolgreich diese Konditionierung von Triebstrukturen und seinen dadurch erfahrbaren Empfindungen und Emotionen ist, ist hier die Frage, wenn quasi evolutionäre Grundfunktionen globalisiert werden und eine andere Aufgabe bekommen oder gar vollends nicht mehr benötigt werden, weil das verhältnis zwischen Mutter und Kind inzwischen eine Kulturtechnik sei, die anscheinend die evolutionäre Grundfunktion der emotionalen Bindung nicht mehr benötigen will oder nicht mehr erlaubt.

    Aus dem ersten Punkt ihrer Differenzierung der Bedingungen kann man die Frankophilie und anschliessende Ablehnung/Konkurenz auch gut erklären. Beides ist jeweils von der Ideologie abhängig, die das jeweils regionale Leitkulturmedium vorgibt (Fürst, König oder sonstwie bekannter und einflußreicher), wenn sie denn effektiv in der Gruppe erklärt und bekannt ist. Und es bedarf also einer neuonalen Gruppe, die sich mit der ideologischen Gruppe zu einem großen Teil überschneidet und eine Deutungshoheit kann effektiv Wirkung zeigen.
    Im Kern steht also ein oppositionspotenzial (aufgrund der instinktiven Bindung zwischen Mutter und Kind gegenüber allen anderen Kindern anderer Mütter), dass man ideologisch konditionieren kann. Das bedarf aber eine erhöhte Kommunikation der ideologischen Inhalte, damit diese zum Intuitivwissen werden und Alternativen nicht konsistent bestehen bleibt.
    Es wird also eine Gruppe ideologisch inszeniert und damit gebildet. Einst grundsätzlich über Religionszugehörigkeit, später mehr über Nationalität und inzischen seien beide nicht mehrmodern genug. Derzeit sei es offenbar tatsächlich die Konsumwelt und deren Produkte, die die Lebenswelt und Weltsicht darstellen. Es gilt das Ziel, alles dafür zu tun, damit mandurch Konsumpotenz (Kaufkraft) seine ideologische Gruppierung anzeigt. Das Gute daran: Ist das ideologische Ziel auf tote Gegenstände gerichtet, fällt das Konkurenzpotenzial auf ein vernachlässigbares Niveau – anstatt wie noch im kalten Krieg eine weltumspannende Front zwischen zweier globalen Politideologien. Das Konfliktpotenzial sei damit offenbar am geringsten, weil niemand direkt von der Zielsetzung persönlich angesprochen werden kann.

    Zum zweiten Punkt: Die Sublimierung (Ideologie) ist nie mit dem ursprünglichen identisch. Aber trotzdem speisst sich die Motivation zur Anerkennung und Ausführung der Ideologie auf den gemutmaßten Ursprung der Anerkennung/Ablehnung Funktion aus der instinktiven Bewertung der Bindung zwischen Mutter und Kind und dessen Bevorzugung vor allen anderen Kindern (Menschen).
    Es sei vielleicht schwer nachzuvollziehen, warum gerade die Mutter/Kind Bindung für Weltpolitik verantwortlich/beeinflussend sein solle. Aber es betrifft eigendlich nur die Gruppenbildung und die daraus logisch entstehende Ablehung aller Außenstehenden. Während die Mutter aber instinktiv wissen kann, welches ihr Kind ist, ist das auf globaler Ebene nicht mehr möglich instinktiv Gruppenmitglieder zu erkennen – es sei denn, eine Ideologie und sein Inhalt ist hier behilflich. Im Tierreich ist eben oft nur die Aufzuchtzeit einzige Gruppe für das ganze Leben, beim modernen Menschen ist es damit nicht mehr getan.
    Ein Zugehörigkeitsgefühl also kann nur entstehen, wenn diese Bindungsfähigkeit vorhanden und eine Verbindung auch entsprechend umfassend und stabil besteht. Ohne diese existiert das Individuum vollends orientierungslos – bei zu vielfältiger Bindung tretten ähnliche Symptome auf und es nützen dann auch Ideologien nicht mehr hinreichend, damit stabile und konsequente orientierung möglich ist. Zudem erzeugt hohe quantitative Bindung noch weitere Besonderheiten und Interaktionen – psychische Störungen, wie etwa Autismus und andere stark sozialkompetenzen behindernde Störungen. Hohe Bindung/vernetzung aber sei auch eine Grundlage von (technologischer) Intelligenz, weswegen eine überkapazität an Bindung (möglichst global, aber auch Disziplinbezogen) durchaus eine erwünschte Entwicklung sei. Und mutmaßlich ist dies heute technologisch herstellbar.

    Interessant nicht wahr? Als die Religion so langsam in Deutschland an Leitkulturmedium seinen Einfluß und Ansehen verlor, kamen solche Ideologien wie Rassismus in die Welt. Wissenschaftskultur und Institution konnten auch nur entstehen, weil sie Religion ersetzen konnte. Niemand hört es gerne, aber Wissenschaft ist zu gewissen Teilen auch Ideologie. Der Realitätsfaktor ist sehr hoch, aber aufgrund seiner bisher noch bescheidenen Erkenntnisbandbreite eben noch Luft für Ideologie am Rande. Das Ideologien durchaus auch Realität beschreiben, ist kein irrsinn, denn sie werden aus Sicht der jeweiligen Kultur- und Wissensinhalte um bestehende Gegenstände herumgebaut. So ist Psychologie eine fast ausschliesslich ideologische Beschreibung, anstatt auf funktionalen Bedingungen beruhende Tatsachenbeschreibung – dies wäre nur in Kombination mit Neurologie annähernd möglich. Soweit aber sind die Disziplinen noch nicht in ihrer Übereinkunft ihrer Erkenntnisse.

    Ihr Zitat:

    “Gläubiger oder Ungläubiger, darauf kam es an”

    -> Das ist nicht nur einfach aus der tatsache der Gruppenbildung und Zugehörigkeit so konsequent gehandhabt worden. Im Angesicht des neuronalen Kollekivs sei dass eine nur logische Schlußfolgerung, hier mit Ideolgie eine Gruppe zu differenzieren.
    Einem sichtbar aus dem muslimischen Raum stammenden wäre aber das leben in dieser Gruppe (real wie neuronal) trotzdem nicht einfach gefallen. Schon das Wissen um seine Abstammung nämlich hat Einfluß auf die subjektiv empfundene Zugehörigkeit – auf beiden Seiten. Man wird ihm selbst nie uneingeschränkt glauben, er sei mit Haut und Haaren ein Christ und er selbst hat auch immer mit dieser Frage zu tun und zweifelt – wobei der Zweifel schon die neuronale loyalität verletzt. Zur Zeit der spanischen Inquisition – zum christentum konvertierte Juden hatten auch nie einen stabilen Vertrauensvorsprung, wie gebohrene christen und denen, die “genetisch” aus dem “angestammten” Kulturraum entstammen, für die eine Fragestellung nach einer anderen Religion kaum von selbst entsteht – man ist eben hineingebohren.

    ihr Zitat:

    “Wenn man eine biologische Verankerung des Rassismus begründen will, sollte man bedenken, daß zu der Zeit, in der sich das entwickelt haben soll, nur extrem selten eine Gruppe einer anderen begegnete, die sie „rassisch“ von sich unterscheiden konnte; ..:”

    -> Wie oben schon beschrieben, sei die Entstehung von Rassismus eine lange Zeit der Orientierung aus den Erfahrungen der Entdecker- und Kollonialisierungszeiten, welche allerhand völlig neue Forschungsfelder eröffnete, die bisher in einer viel kleineren Welt nur betrachtet werden konnten, aber aus den damaligen historischen Erfahrungen nur in Fremdenfeindlichkeit eingewickelt wurden.

    Dass faktisch damals der Grad des anders Aussehens auch den Grad der Fremdheit (und intuittiv den Grad der biologischen Entfernung) vorbetsimmte, sollte damit erklärt genug sein. Wenn Nationalität als Argument für Fremdheitsgrad angegeben, dann sei das auch eine ideologisch aufgebaute Vision – aber der Motivationsursprung im unbewussten ist gleich, wie bei Rassismus, wie bei moderner Qualifikationsbewertung, wie bei religiöser Ausrichtung, wie bei der Frage nach Schönheit und vielen anderen affektiven Motivationserregungen. Nämlich: ist etwas gut oder schlecht ? – fertig. Alles nachgehende, etwa die Rectfertigung für die Entscheidung ist Ideologie.
    Wie diese Rasse-Ideologie entstanden ist, und wie sie heute rezipiert wird, sind sicher andere ideologische Gründe zu nennen. Die Entfernung von eigener Stammeslinie aber war ganz im Sinne der Zeiten zu bewerten. Und wie gessagt, die Ideologie erklärt nicht den Ursprung, sondern nur den Überbau über ursprüngliche Grundfunktionen in der menschlichen Wahrnehmung und Interpretation und nutzt diese aus.

  4. @ schrittmacherm

    Ich habe leider größte Mühe, Ihre Ausführungen zu verstehen. Das liegt wohl hauptsächlich daran, daß sie Begriffe in ungewohnter Weise verwenden (was z. B. heißt bei Ihnen „Ideologie“?) oder Begriffe einführen, die ich nicht kenne oder die ganz neu erfunden sind („neuronales Kollektiv“).

    Soweit ich verstehe, was Sie schreiben, gibt es an zwei wichtigen Punkten Dissens: (1) Die Frage der Relevanz dessen, was Sie „eine Art archaisches Artefakt aus der frühen Entwicklungszeit“ von Homo sapiens mit der Aufgabe, „die emotionale Bindung herzustellen, die für die Entwicklung der Nachkommen notwendig [ist]“. Das ist wohl nur biologisch zu denken: es gibt gewisse genetisch verankerte Gefühle, die die genannte Funktion („Aufgabe“) haben. (2) Die speziellere Frage des Unterschieds zwischen verschiedenen Arten der Abneigung gegen „Fremdgruppen“ (Rassismus, Nationalismus ….).

    Bei (1) würde ich zustimmen, daß es eine gewisse Relevanz für die Annahme bestimmter Überzeugungen (z. B. religiöser) hat, ob sie mit bestimmten Gefühlen zusammenpassen oder nicht. Aber man darf das nicht überschätzen, und m. E. überschätzen Sie es gewaltig. Überzeugungen werden auch einfach deshalb angenommen, weil sie überzeugen, egal welche Gefühle sie auslösen. Vor allem aber gibt es eine Unmenge Gefühle, die erst durch die Existenz von Kultur (insbesondere dessen, was Sie wohl mit „Ideologien“ meinen) entstehen und die nicht einfach als Sublimierung basalerer, biologisch erklärbarer Gefühle verstanden werden können. Weiter hätte ich zu kritisieren, daß man ohne weiteres auch andere biologisch verankerte Gefühle findet als die Gefühle der Bindung im Mutter-Kind-Verhältnis. Die Mutter stößt bei Tieren das Kind in einem gewissen Alter von sich, und der Kind beginnt (auch und gerade bei Menschen) in einem gewissen Alter, eine Aversion gegen seine Herkunftsgruppe zu entwickeln, will weg, in die Welt hinaus, fühlt sich hingezogen zu Fremdem, um so mehr, je fremder es ist. Nun könnte man natürlich nach Ihrem Muster Phänomene wie die Frankophilie im 17./18. Jahrhundert oder die liberal-kosmopolitische Ideologie als Sublimierung dieser archaischen, irgendwie auf der Ebene der genetischen Basis des neuronalen Apparats verankerten Anti-Bindungs-Gefühle deuten. Aber ich fände das eine sehr schwache Theorie. Man neigt da dazu, alles für biologisch bedingt zu halten, Bindungssgefühle und ihr Gegenteil, weil ja alles, was es am Menschen gibt, ohne eine „biologische Grundlage“ nicht existieren könnte, und erklärt so alles und nichts. Was solche Arten von Theorien erklären können, ist wohl, daß Ideologien, die Aufbruch und Ausbruch und auf Kosmopolitismus positiv sehen, ihre Anhänger vorwiegend unter Leuten eines Alters haben, in dem man „von der Mutter weg will“. Aber das sind dürftige Erklärungen, irgendwie banal. Man versteht damit nur ganz wenig, man kann nicht erklären, warum zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Ländern konservative, zu/in anderen liberale Ideologien dominierten. Da muß man nach den Eigengesetzlichkeiten der Produktion und Annahme von Ideologien unter bestimmten kulturellen, sozialen, ökonomischen, politischen Bedingungen fragen, nicht nach emotionalen Grundlagen „des“ Menschen, das ist viel zu abstrakt. Der Vorstellung vom „Überbau über ursprüngliche Grundfunktionen“ entgeht, wie entsprechend bei der vulgärmarxistischen Rede vom Überbau, fast alles für die Erklärung Wichtige. Mir kommt das so vor, als wollte man mit dem Hinweis auf positive Gefühle, die das Essen beim Menschen schlechthin begleiten, die gesamte Fülle unterschiedlicher Eßkulturen erklären, die Rituale, die Tatsache, daß sich die Leute in einem Land vor dem ekeln, was man in einem anderen Land am liebsten ist usw. Man spricht von „Sublimierung“ dieser basalen Gefühle, aber das ist nur ein Wort, das die Unkenntnis verschleiert.

    (2) Zu Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Nationalismus usw. nur eine Anmerkung:

    „Man wird ihm selbst nie uneingeschränkt glauben, er sei mit Haut und Haaren ein Christ und er selbst hat auch immer mit dieser Frage zu tun und zweifelt – wobei der Zweifel schon die neuronale Loyalität verletzt. Zur Zeit der spanischen Inquisition – zum Christentum konvertierte Juden …“

    Das spanische Beispiel ist eine Ausnahme in vor-rassistischen Zeiten. Der Normalfall war etwa die Christianisierung des östlichen Mitteleuropas: Getauft zu sein hieß, zu den Eigenen zu gehören. Es war nahezu egal, ob einer polnisch, tschechisch, deutsch oder ungarisch sprach (physisch unterscheidbar war er sowieso nicht) – er gehörte nun, und zwar schlagartig, zu den Richtigen, und die verbliebenen Heiden waren die bösen anderen, egal, ob sie Wenden waren, also Slawen, oder Dänen, also Germanen und damit „Stammesverwandte“ der Deutschen, oder Ungarn, also sprachlich ganz etwas anderes als die indogermanische Mehrheit der Völker. Nur ganz am Rande spielte eine Rolle, daß die Slawen innerhalb des deutsch gewordenen Siedlungsgebietes nach der Christianisierung noch für eine oder einige Generationen slawisch sprachen. Das war ein erkennbares kulturelles Distiktionsmerkmal, aber ein ziemlich unwichtiges. Nahmen sie dann die deutsche Sprache an, war die unterschiedliche Herkunft völlig vergessen. Fast genauso ging es zu im gesamtem islamischen Herrschaftsbereich. Man trug es des islamisch gewordenen Balkanvölkern überhaupt nicht nach, daß sie noch nicht so lange den richtigen Glauben hatten wie Araber und Türken. Auch die Rasseunterschiede zwischen Schwarzen und Weißen in Nordwest-Afrika waren ganz unwichtig, verglichen mit den Religionsunterschieden (Moslems, Juden, Christen). Man darf nicht das, woran wir uns seit dem 19. Jahrhundert gewöhnt haben, in eine Zeit zurückprojizieren, in der die relevanten Aufteilungen der Menschen ganz andere waren. Man darf auch das genealogische, also zoologische Selbstverständnis der Adelsfamilien nicht verallgemeinern. Das war eine kleine Minderheit, in der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung wußte man nach drei oder vier Generationen nicht mehr, woher man biologisch stammte.

  5. „absolute Intelligenz“ (Kognition)

    Sei der Zustand, der bestünde, wenn keine emotionalen Signale eine kognitive Aktivität mehr beeinflussten. Ein Zustand also, der ausschliesslich sachliche Argumentation erzeugt und keine ästhetische Wahrnemung von Situationen und Begebenheiten mehr beeinflussend wirken.

    “globalisierende Funktion das Stammesleben endgültig beendete”

    -> Soll einen Zustand beschreiben, der schon aus der Kenntnis der ganzen welt und der anderen Menschen und seiner global vernetzten Weltereignisse (Wirtschaft, Religion, Krieg) die Gewissheit über den eigenen Stamm und Gruppe als nicht mehr relevant und nicht existenzfähig erscheinen lässt. Ein vom Weltgeschehen abgeschlossener Amazonasstamm denkt und empfindet seine Existenz noch ganz anders, als der global integrierte Mensch. Schon aus der unkenntnis über die Vielfallt aller anderen Menschen und deswegen, weil er denen weder derart umfassend begegnet, wie ein Europäer etwa, … findet in seinem Bewusstsein seine und die Existenz seiner Gruppe eine viel größere Alleinstellung, als der hochvernetzte moderne westlich lebende Mensch. Dieser westliche Mensch aber hat aus seinem Wissen über die Masse und Diversität der Menschen dieser Welt auch einen gewissen konkurenzdruck. Und der wird dann in Extremfällenin Ideologien, wie Rassismus sublimiert – ad hominem ausargumentiert, damit dadurch sein Alleinstellungsmerkmal wieder hergestellt wird. Die Grundfunktion aber sei eine instinktive Empfindung, die nur aus der Perspektive der Mutter gegenüber ihres Kindes entstammt – dessen verhältnis zueinander somit die kleinste Gruppierung aller Lebewesen darstellt und bei vielen Tierarten überhaupt die einzigste Gruppe im Leben seiner Individuen sei – die sich auflöst, wenn die Aufzucht der Nachkommen beendet ist.
    Ich mutmaße also eine Art archiaischen Artefakt aus der frühen Entwicklingszeit der Homo´s und seinen Vorfahren – der aber in der Beziehung zwischen Mutter und Kind eine wichtige Aufgabe hat – die emotionale Bindung herzustellen, die für die Entwicklung der Nachkommen notwendig sei, aber in einer hochvernetzten Gesellschaft sein Ziel verfehlt oder erweitert, so die entsprechende Ideologie vorhanden sei. Und Konkurenz ist immer ein Auslöser auch für abgrenzende Ideologien.

    Und die (um)Interpretation der beschriebenen Ursache findet nicht allein aufgrund der Beobachtung der Welt statt, sondern schon aufgrund von neuronalen Grundfunktionen und die daraus entstammenden Empfindungen, die mit der Wahrnehmung der äußeren Reize (erblicken der Weltverhältnisse und deren Weltbilder und Ideologien) dann in einer (um)interpretation münden.
    Und die neuronale Globalisierung ist kein inexistenter Gegenstand, sondern neuronale Grundfunktion, ohne derer wir uns niemals zu dem Menschen von heute entwickelt hätten können. Grundbedingung also ist, dass es theoretisch möglich ist, dass sich individuelle Gehirne weltweit mit anderen Gehirnen “verbinden” können – also abstrakt gesehen ein neuronales Kollektiv bestehen kann, dass Informationen an mehr als einem Ort gleichzeitig bereitstellt. (Womit Träume, Halluzinationen und andere Phänomene gut erklärt werden könnten)

    Ihr Zitat:

    “Mir scheint es hier um mindestens zwei sehr verschiedene Dinge zu gehen:”

    -> Sicher, unsere Wissenschaften behandeln hier die von mir vorgebrachten Bedingungen in verschiedenen Disziplinen. Und dennoch kommen die zwei oder mehr Disziplinen irgendwo oder regelmässig zusammen und erklären gleiche Situationen/Begebenheiten aus verschiedenen Perspektiven oder eine erklärt die funktionale Bedingung, während die andere die ideologische dazu behandelt (Beispiel: Neurologie vs. Psychologie).

    Und nicht vergessen: Determinierung von Bewusstseinsinhalten geschieht natürlich über Bildung und Erlernen der jeweils gültigen Ideologie (politische, ethische, moralische). Denn Empfindungen aus der Triebstrukturebene (aus dem Unbewssten) benötigen zur Wiedererkennung und Verwendung auch jeweils eine Kutlurtechnik, damit Empfindungen auch einen Sinn ergeben oder ihnen dadurch einer gegeben wird. Wie erfolgreich diese Konditionierung von Triebstrukturen und seinen dadurch erfahrbaren Empfindungen und Emotionen ist, ist hier die Frage, wenn quasi evolutionäre Grundfunktionen globalisiert werden und eine andere Aufgabe bekommen oder gar vollends nicht mehr benötigt werden, weil das verhältnis zwischen Mutter und Kind inzwischen eine Kulturtechnik sei, die anscheinend die evolutionäre Grundfunktion der emotionalen Bindung nicht mehr benötigen will oder nicht mehr erlaubt.

    Aus dem ersten Punkt ihrer Differenzierung der Bedingungen kann man die Frankophilie und anschliessende Ablehnung/Konkurenz auch gut erklären. Beides ist jeweils von der Ideologie abhängig, die das jeweils regionale Leitkulturmedium vorgibt (Fürst, König oder sonstwie bekannter und einflußreicher), wenn sie denn effektiv in der Gruppe erklärt und bekannt ist. Und es bedarf also einer neuonalen Gruppe, die sich mit der ideologischen Gruppe zu einem großen Teil überschneidet und eine Deutungshoheit kann effektiv Wirkung zeigen.
    Im Kern steht also ein oppositionspotenzial (aufgrund der instinktiven Bindung zwischen Mutter und Kind gegenüber allen anderen Kindern anderer Mütter), dass man ideologisch konditionieren kann. Das bedarf aber eine erhöhte Kommunikation der ideologischen Inhalte, damit diese zum Intuitivwissen werden und Alternativen nicht konsistent bestehen bleibt.
    Es wird also eine Gruppe ideologisch inszeniert und damit gebildet. Einst grundsätzlich über Religionszugehörigkeit, später mehr über Nationalität und inzischen seien beide nicht mehrmodern genug. Derzeit sei es offenbar tatsächlich die Konsumwelt und deren Produkte, die die Lebenswelt und Weltsicht darstellen. Es gilt das Ziel, alles dafür zu tun, damit mandurch Konsumpotenz (Kaufkraft) seine ideologische Gruppierung anzeigt. Das Gute daran: Ist das ideologische Ziel auf tote Gegenstände gerichtet, fällt das Konkurenzpotenzial auf ein vernachlässigbares Niveau – anstatt wie noch im kalten Krieg eine weltumspannende Front zwischen zweier globalen Politideologien. Das Konfliktpotenzial sei damit offenbar am geringsten, weil niemand direkt von der Zielsetzung persönlich angesprochen werden kann.

    Zum zweiten Punkt: Die Sublimierung (Ideologie) ist nie mit dem ursprünglichen identisch. Aber trotzdem speisst sich die Motivation zur Anerkennung und Ausführung der Ideologie auf den gemutmaßten Ursprung der Anerkennung/Ablehnung Funktion aus der instinktiven Bewertung der Bindung zwischen Mutter und Kind und dessen Bevorzugung vor allen anderen Kindern (Menschen).
    Es sei vielleicht schwer nachzuvollziehen, warum gerade die Mutter/Kind Bindung für Weltpolitik verantwortlich/beeinflussend sein solle. Aber es betrifft eigendlich nur die Gruppenbildung und die daraus logisch entstehende Ablehung aller Außenstehenden. Während die Mutter aber instinktiv wissen kann, welches ihr Kind ist, ist das auf globaler Ebene nicht mehr möglich instinktiv Gruppenmitglieder zu erkennen – es sei denn, eine Ideologie und sein Inhalt ist hier behilflich. Im Tierreich ist eben oft nur die Aufzuchtzeit einzige Gruppe für das ganze Leben, beim modernen Menschen ist es damit nicht mehr getan.
    Ein Zugehörigkeitsgefühl also kann nur entstehen, wenn diese Bindungsfähigkeit vorhanden und eine Verbindung auch entsprechend umfassend und stabil besteht. Ohne diese existiert das Individuum vollends orientierungslos – bei zu vielfältiger Bindung tretten ähnliche Symptome auf und es nützen dann auch Ideologien nicht mehr hinreichend, damit stabile und konsequente orientierung möglich ist. Zudem erzeugt hohe quantitative Bindung noch weitere Besonderheiten und Interaktionen – psychische Störungen, wie etwa Autismus und andere stark sozialkompetenzen behindernde Störungen. Hohe Bindung/vernetzung aber sei auch eine Grundlage von (technologischer) Intelligenz, weswegen eine überkapazität an Bindung (möglichst global, aber auch Disziplinbezogen) durchaus eine erwünschte Entwicklung sei. Und mutmaßlich ist dies heute technologisch herstellbar.

    Interessant nicht wahr? Als die Religion so langsam in Deutschland an Leitkulturmedium seinen Einfluß und Ansehen verlor, kamen solche Ideologien wie Rassismus in die Welt. Wissenschaftskultur und Institution konnten auch nur entstehen, weil sie Religion ersetzen konnte. Niemand hört es gerne, aber Wissenschaft ist zu gewissen Teilen auch Ideologie. Der Realitätsfaktor ist sehr hoch, aber aufgrund seiner bisher noch bescheidenen Erkenntnisbandbreite eben noch Luft für Ideologie am Rande. Das Ideologien durchaus auch Realität beschreiben, ist kein irrsinn, denn sie werden aus Sicht der jeweiligen Kultur- und Wissensinhalte um bestehende Gegenstände herumgebaut. So ist Psychologie eine fast ausschliesslich ideologische Beschreibung, anstatt auf funktionalen Bedingungen beruhende Tatsachenbeschreibung – dies wäre nur in Kombination mit Neurologie annähernd möglich. Soweit aber sind die Disziplinen noch nicht in ihrer Übereinkunft ihrer Erkenntnisse.

    Ihr Zitat:

    “Gläubiger oder Ungläubiger, darauf kam es an”

    -> Das ist nicht nur einfach aus der tatsache der Gruppenbildung und Zugehörigkeit so konsequent gehandhabt worden. Im Angesicht des neuronalen Kollekivs sei dass eine nur logische Schlußfolgerung, hier mit Ideolgie eine Gruppe zu differenzieren.
    Einem sichtbar aus dem muslimischen Raum stammenden wäre aber das leben in dieser Gruppe (real wie neuronal) trotzdem nicht einfach gefallen. Schon das Wissen um seine Abstammung nämlich hat Einfluß auf die subjektiv empfundene Zugehörigkeit – auf beiden Seiten. Man wird ihm selbst nie uneingeschränkt glauben, er sei mit Haut und Haaren ein Christ und er selbst hat auch immer mit dieser Frage zu tun und zweifelt – wobei der Zweifel schon die neuronale loyalität verletzt. Zur Zeit der spanischen Inquisition – zum christentum konvertierte Juden hatten auch nie einen stabilen Vertrauensvorsprung, wie gebohrene christen und denen, die “genetisch” aus dem “angestammten” Kulturraum entstammen, für die eine Fragestellung nach einer anderen Religion kaum von selbst entsteht – man ist eben hineingebohren.

    ihr Zitat:

    “Wenn man eine biologische Verankerung des Rassismus begründen will, sollte man bedenken, daß zu der Zeit, in der sich das entwickelt haben soll, nur extrem selten eine Gruppe einer anderen begegnete, die sie „rassisch“ von sich unterscheiden konnte; ..:”

    -> Wie oben schon beschrieben, sei die Entstehung von Rassismus eine lange Zeit der Orientierung aus den Erfahrungen der Entdecker- und Kollonialisierungszeiten, welche allerhand völlig neue Forschungsfelder eröffnete, die bisher in einer viel kleineren Welt nur betrachtet werden konnten, aber aus den damaligen historischen Erfahrungen nur in Fremdenfeindlichkeit eingewickelt wurden.

    Dass faktisch damals der Grad des anders Aussehens auch den Grad der Fremdheit (und intuittiv den Grad der biologischen Entfernung) vorbetsimmte, sollte damit erklärt genug sein. Wenn Nationalität als Argument für Fremdheitsgrad angegeben, dann sei das auch eine ideologisch aufgebaute Vision – aber der Motivationsursprung im unbewussten ist gleich, wie bei Rassismus, wie bei moderner Qualifikationswertng, wie bei religiöser Ausrichtung, wie bei der Frage nach Schönheit und vielen anderen affektiven Motivationserregungen.
    Wie diese Rasse-Ideologie entstanden ist, und wie sie heute rezipiert wird, sind sicher andere ideologische Gründe zu nennen. Die Entfernung von eigener Stammeslinie aber war ganz im Sinne der Zeiten zu bewerten. Und wie gessagt, die Ideologie erklärt nicht den Ursprung, sondern nur den Überbau über ursprüngliche Grundfunktionen in der menschlichen Wahrnehmung und Interpretation und nutzt diese aus.

  6. @schrittmacherm

    Mir scheint es hier um mindestens zwei sehr verschiedene Dinge zu gehen:

    (1)Die Frage des Verhältnisses von neuronalen Vorgängen und Bewußtseinsinhalten und dabei insbesondere um die Frage der Determinierung von Bewußtseinsinhalten durch eine evolutionsbiologisch erklärbare Beschaffenheit des neuronalen Systems. Ich halte davon wenig bis gar nichts. Aber das scheint mir für unsere Frage auch gar nicht besonders relevant. Es geht ja um eine fixe Struktur des Verhältnisses von Eigengruppe und Außenwelt auf der Gefühls- und Vorstellungsebene. Ob sich die nun biologisch erklären läßt oder anders (kulturanthropologisch, soziologisch), ist vielleicht egal. Biologisch lassen sich sicher nicht Vorstellungsinhalte erklären, aber vielleicht doch Gefühle (Tieren kommen aggressive Gefühle, wenn sie einen riechen, der nicht wie die Gruppenmitglieder riecht). Aber immerhin, das wäre ja auch etwas. Ein gewichtiges Argument, das sehr für eine geringe Relevanz dieser biologischen Ebene spricht, ist dieses: Es gibt geschichtlich ein Auf und Ab von Aggression gegen Fremde und bis zur Anbetung gesteigerten Zuneigung zu Fremden (man denke an das Umschlagen einer grotesken Frankophilie in einen irren Franzosenhaß im frühen 19. Jahrhundert), das garantiert nichts mit Veränderungen auf biologischer Ebene zu tun hat.

    (2) Dieses Eigengruppe-Außenwelt-Modell (ob nun als biologisch verankert gedacht oder nicht) behauptet eine Erklärung für Fremdenfeindlichkeit zu liefern, aber Rassismus ist damit nicht identisch. Selbst wenn es richtig sein sollte, daß eine Feindschaft gegen die „Anderen“ wie auch immer als dominante Disposition da ist: woran man die „Anderen“ erkennt“, ist eine ganz andere Frage. Eine neue politische Grenze macht Leute, die eben noch zu uns gehörten, zu verhaßten Ausländern, und umgekehrt. Mit „Rasse“ hat das überhaupt nichts zu tun. Rassismus impliziert eine bestimmte Theorie und einen Blick, der nur entsteht, wenn man diese Theorie hat. Wenn man eine biologische Verankerung des Rassismus begründen will, sollte man bedenken, daß zu der Zeit, in der sich das entwickelt haben soll, nur extrem selten eine Gruppe einer anderen begegnete, die sie „rassisch“ von sich unterscheiden konnte; die Nachbarn, gegen die man Krieg führte, sahen fast immer genau so aus wie man selbst; das lag an der geringen Mobilität, europäische Steinzeitmenschen begegneten nie Schwarzen. Aber eine Zuschreibung kultureller Unterschiede war natürlich immer möglich: die hatten die falschen Götter, die falschen Rituale, malten sich falsch an usw. Auch sollte man bedenken, daß später, über fast die ganze historische Zeit hindurch die Abgrenzung über das biologisch bedingte Aussehen ganz in den Hintergrund trat, weil in dieser Zeit – die Zeit des Monotheismus – der einzig relevante Unterschied der religiöse war. Gläubiger oder Ungläubiger, darauf kam es an, nicht auf die Hautfarbe. “Rasse” ist eine moderne Erfindung.

    Was Sie über „absolute Intelligenz“ schreiben und über die Globalisierung usw., habe ich nicht verstanden.

  7. @ Trepl

    zitat ich:

    “Das hat die Theorie nicht vor. Tut sie aber, indem sie erklärt, es sei eine Art Sublimierung einer neurologischen und folglich auch psychischen Grundfunktion und deren Einflüsse.”

    will sagen, dass es eine Ideologie sei, die zur Interpretation der Empfindung behilflich ist.

    Wieter aber sei noch zu erwähnen, dass “Rasse” also der ältere kontext sei, der sich aber in neueren Versionen der Erklärung vielleicht anders, aber wederum in ähnlicher Systematik wieder ergeben kann (und vielleicht muß, weil die Tatsachen nicht zu leugnen sind). Aber bis dahin sei hier keine Bewertung der ideologischen Inhalte das Ziel.
    Viel mehr sei bestimmte Kulturelle und Umweltbedingte Entiwcklungsunterschiede auf neuronaler Ebene relevant, die es verhinderten, dass neuronale Kompatibilität gegeben sei. Und daraus auch allerhand Produkte aus geisteiger Tätigkeit verschieden seien. Dabei ziele ich nicht auf eine Bewertung einer Diversität unter den Menschen(variationen), sondern auf eine Grundlage neuronaler Art, die im Zweifel alle angeht, weswegen hier eine Rasse nicht mehr eine relevante Begebenheit sei. Die Tatsache, dass siealle miteinander sich fortpflanzen können, ist anhaltpunkt genug, um gewisse Unrelevanz zu unterstellen.

  8. @ Ludwig Trepl @ schrittmacherm 03.01.2013, 09:51

    _> Das hat die Theorie nicht vor. Tut sie aber, indem sie erklärt, es sei eine Art Sublimierung einer neurologischen und folglich auch psychischen Grundfunktion und deren Einflüsse.

    Das man “Rasse” so heute nicht differenzieren kann (oder will), spielt kaum eine Rolle. Im Weltbild und Sichweise des Individuums braucht es dieses im Zweifel nur als Ideologie zur Integrierung seiner eigenen Empfinungen. Dabei gilt normalerweise: Je fremder (aussehend), desto unterschiedlicher – ergo weitest vom eigenen Blut- und Familienstamm entfernt.

    Nennen sie es eben Psychologismus. Es bleibt in der Welt, weil es keine Widerlegung geben wird (können). Selbstverständlich ist es angesichts des komplexen System Nervensystem und Kollektiv/vernetzung, woraus unter den derzeit gegebenen Bedingungen das/unser Bewusstsein hervorgeht, möglich, hier interdisziplinär Bedingungen zu verknüpfen. Mir ist bewusst, dass neuronale Funktionalität eine andere Ebene sei, als Bewusstsein und seine Inhalte. Gerade hier ist es sogar unbedingt notwendig, anzunehmen, es gibt kausale wie kaotische Bedingtheiten aus vielen Richtungen in Wechselwirkungen. Aber es gibt auch grundlegend bedingende Faktoren die man zwar kognitiv relativieren und uminterpretieren (anders kontextieren kann).
    Aber bei absoluter Kognition der Mensch leider nicht Fortpflanzungsfähig sei und Aussterben würde. Heruntergebrochen auf das Individuum für das selbe als Einzelfall bedeutete eine unangemessene Zwangssituation – bei Herstellung absoluter Kognition (ohne Einflüsse von Triebstrukturen). Intelligenz macht inpotent (im gesamten emotionalen Sprektrum).

    Und ich redete nicht über chemische Substanzen im Organismus, sondern über neuronale Aktivitäten und Funktionen, die einen Kulturkontext haben oder hatten, der in einer neuen Lebenssituation spätestens seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts für moderne Gesellschaften erwiesenermaßen nicht mehr taugte (Folge: Nationalsozialismus).
    Ich spreche davon, dass Mutter und Kind zwar biologisch verwand sind, aber neurologisch (emotional) keinen Einfluß mehr auf sich haben können, das hier eine globalisierende Funktion das Stammesleben endgültig beendete oder beenden kann, wenn es erforderlich sei. Bindungsstörungen sei die logische Folge, wenn wahrgenommene Realität in der Gegenüberstellung nicht mehr mit den dazu empfundenen Gefühlen und Erregungen übereinstimmen.

    Mit dem Ökologismus haben sie wahrscheinlich recht. Er sei nötig, weil alte Ideologien nicht Hoffähig sind. Aber im Kern ist es eine organische Grundfuntkion neurnaler Art in verbindung mit der Familientradition und dem Mutterinstinkt.

    Ich habe ihren jüngsten Beitrag mit dem Hinweis auf Funtkion und Funktionsträger gelesen. Wo dass Gehirn ein Funktionsträger sei und die Funktion neuronale Aktivität zu ermöglichen, aus der auch ein Bewusstein hervorgehen kann, sei das Bewusstein wiederum ein Funtkionsträger virtueller Art,der Weltgeschehen zugänglich widerspiegeln soll.
    Der Funktionsträger “Bewusstein” wird also nachdrücklich durch Ideologie vollgestopft (Bildung und Wissen), damit Zusammenleben möglich wird, aber es erhält genauso Signale aus dem unterbewusstsein, welche im Bewusstsein eine Interpretation erfordern, weil dazu ideologische Kulturtechnik die Realfunktion uminterpretiert/konditioniert hat.

  9. @ schrittmacherm

    Man nennt das, was Sie machen, nennt man Psychologismus. Sie versuchen mit Erkenntnissen einer Wissenschaft Dinge zu erklären, de auf ganz anderen Ebenen liegen. So richtig es ist, daß ein Mensch eine Ansammlung chemischer Substanzen ist: Man kann mit den Theorien der Chemie schwer erklären, warum der 30jährige Krieg ausbrach.

    Erklären Sie mir doch mal mit ihrer psychologischen Theorie, warum man erst ca. 250 oder 300 Jahre nach ihrer “Entdeckung” gemerkt daß die Indianer eine andere “Rasse” (die “rote”) sind?

  10. Rassismus…

    … ist ein sublimierter Mutterinstinkt. Er entsteht, wenn die emotinale Bindung zwischen Mutter und Kind ausgeprägt und stabil ist. Dass heisst, dass der optimalzustand hier Gesamtgesellschaftlich erhebliche Auswirkungenhaben kann. Diese emotionale Bindungsfunktion hat im Gehirn sein Korellat und ist technologisch regulierbar.
    Dabei ist aber der öffentlich besprochene Rassismus nur eine sublimierte Version daraus. Während eine Mutter instinktiv ihren Nachkommen Aufmerksamkeit schenkt und in allen Anderen die Konkurenz erkennt, ist es im ideologischen Rassismus an ganzen Volksgruppen orientiert. Diese Sublimierung entstseht in der Übertragung von der Familienszene auf eine Volksgemeinschaft fast automatisch, solange ich hier eine Volksgemeinschaft als solche erkennt.

  11. @Simon /expansiv…

    Sorry für die späte Antwort, ich war ein paar Tage unterwegs.

    »Sie schreiben von einer These der höheren Geburtenrate der Religiösen, die zur Ausbreitung von Religionen führen würde. Vermutlich hat sich sogar, male ich mir jetzt mal aus, zu Zeiten großer Expansionen der Religiosität ein Virus gebildet, das diese Genkombination weithin verbreitet hat… «

    Mir scheint, Sie halten nicht viel von dieser These. Wenn Sie das auch begründen können, dann ist der Blog ‘Natur des Glaubens’ der richtige Ort für diese Kritik. (Bei Bastian Greshake auf ‘Bierologie’ wird gerade über die Evolution der Religiosität diskutiert — allerdings ohne die Frage zu berühren, ob überhaupt Gene für die Religiosität zuständig sind).

    »…ich würde um zwei Dinge bitten: 1) […] und 2) […] «

    Gerne 🙂

    »1) eine klare Definition Ihres Begriffes von Religiosität (von dem Sie inzwischen auch mal geschrieben haben, dass er mit Religion nur bedingt zu tun habe) und 2) bitte ich Sie, mal darüber nachzudenken, ob Religiosität nicht evtl. einfach was damit zu tun haben könnte, dass Menschen als vernunftbegabte Wesen (das ist tatsächlich genetisch vorgegeben!!!) einfach nicht drum herumkommen, über den Sinn ihres Daseins nachzudenken.«

    Waren meine Statements zur Religiosität wirklich so unklar? Also gut, ich versuche es noch einmal etwas anders herum:

    Religiös ist, wer den Sinn des Lebens im Jenseits verortet, wer körperlich spürt, dass da mehr ist als das, was sinnlich wahrnehmbar ist, und wer schlussendlich sein Leben nach imaginierten Akteuren ausrichtet.

    Das ist bei mir alles nicht der Fall, ergo bin ich in diesem Sinne nicht religiös. Und ich wüsste auch nicht, welche Bücher ich lesen, welche Reden ich hören müsste, um religiös zu werden.

    Und umgekehrt gibt es ganz offensichtlich Menschen, die ein Leben lang religiös sind, egal was sie diesbezüglich zu lesen oder zu hören kriegen.

    Kurzum, es scheint, als könne in punkto Religiosität der kulturelle Einfluss nur bewirken, dass der Mensch zu seiner “wahren Bestimmung”, zu seiner wahren Natur findet, also zu dem, was ihm in die Wiege gelegt wurde.

    »Zur These der expansiven Religiosität« möchte ich Sie um etwas mehr Ernsthaftigkeit bitten, Douglas Adams und Monty Python sind da wohl nicht die passenden Referenzen… 😉

  12. Religiosität – expansive Genkombination?

    @Balanus: Sie schreiben von einer These der höheren Geburtenrate der Religiösen, die zur Ausbreitung von Religionen führen würde. Vermutlich hat sich sogar, male ich mir jetzt mal aus, zu Zeiten großer Expansionen der Religiosität ein Virus gebildet, das diese Genkombination weithin verbreitet hat… ich würde um zwei Dinge bitten: 1) eine klare Definition Ihres Begriffes von Religiosität (von dem Sie inzwischen auch mal geschrieben haben, dass er mit Religion nur bedingt zu tun habe) und 2) bitte ich Sie, mal darüber nachzudenken, ob Religiosität nicht evtl. einfach was damit zu tun haben könnte, dass Menschen als vernunftbegabte Wesen (das ist tatsächlich genetisch vorgegeben!!!) einfach nicht drum herumkommen, über den Sinn ihres Daseins nachzudenken. Als Lektüre empfehle ich das Kapitel aus “Per Anhalter durch die Galaxis” mit dem abstürzenden Wal, der sich seiner selbst bewusst wird und Fragen der Existenz auf den GRUND geht. Zur These der expansiven Religiosität kann ich nur sagen: “Every sperm is sacred. Every sperm is great. If a sperm is wasted, God gets quite irate” Folgt man dem Film (Suchmaschine hilft ggf.), dürften die Protestanten ein “Fortpflanzungsproblem” haben und dürften sich erst gar nicht verbreitet haben…

  13. @Ludwig Trepl

    Sie haben das völlig richtig erkannt, ich gehöre zu jener eher phantasielosen Fraktion der Biologen, die man dem materialistischen Monismus zuordnen kann.

    Mit der Formulierung “derzeitiger Kenntnisstand” meinte ich all das, was als empirisch gesichert gelten kann. Dass zum Beispiel ein Toter nicht wieder zum Leben erweckt werden kann. Dass ein Gehirn ohne Sauerstoffversorgung seine messbaren Aktivitäten nach und nach einstellt. Oder eben, bezogen auf meine einschränkende Formulierung (“Gedankliche Phänomene sind — nach derzeitigem Kenntnisstand — stets mit neuronalen Aktivitäten assoziiert”), dass es bislang keine belastbaren Hinweise darauf gibt, dass gedankliche Phänomene auch ohne Hirnaktivitäten stattfinden können.

    Aber ich denke schon, dass der heutige Kenntnisstand sich von dem vor 200 oder 2000 Jahren unterscheidet. Damals mag die Annahme, dass Immaterielles auf Materielles einwirken könne, noch einigermaßen plausibel erschienen sein, weil die empirischen Wissenschaften noch in den Kinderschuhen steckten. Wer diese Position heute noch vertritt, stellt praktisch die gesamte bekannte Physik auf den Kopf.

    Vielleicht sollte man beim “Kenntnisstand” klar trennen zwischen dem, was man über die materielle Welt weiß (oder zu wissen glaubt), und dem, was man über die immaterielle Welt weiß (oder zu wissen glaubt). Ersterer ist gewachsen und wächst weiter, letzterer liegt noch immer knapp über Null und ein Fortschritt ist nicht erkennbar. Und deshalb ist es so, wie Sie schreiben: »… ein Ende der Diskussion ist nicht abzusehen.«

  14. @ Balanus

    Doch noch was:

    Sie zitieren mich: »Daß allen gedanklichen Phänomenen eine bestimmte neuronale Aktivität entspricht, ist eine metaphysische Aussage,… « und schreiben dann: „Wegen des Wörtchens ‚allen’, oder wirklich grundsätzlich? Wie wäre es mit dieser Formulierung:Gedankliche Phänomene sind — nach derzeitigem Kenntnisstand — stets mit neuronalen Aktivitäten assoziiert.“

    Ich habe mich an dieser Stelle tatsächlich auf das Wörtchen „allen“ bezogen. Aber Ihrer neuen Formulierung kann ich dennoch nicht zustimmen.

    „Derzeitiger Kenntnisstand“ heißt, daß Sie meinen, es gebe da einen derzeitigen Kenntnisstand. Es ist aber ein sehr altes Problem – nach meiner Kenntnis mindestens seit Descartes, ich würde mich nicht wundern, wenn man es schon seit der Antike diskutierte. Und wie bei allen Problemen dieser Art gibt es da keinen „Erkenntnisstand“, an den man sich (vorläufig) halten könnte, sondern eine Dauerdiskussion zwischen verschiedenen Grundpositionen, wobei bestenfalls das Niveau allmählich steigt, aber die Kontroversen nicht behoben werden.

    Die empirische Forschung kann zu den strittigen Fragen nicht viel beitragen. Das wesentliche an empirischem Wissen hat man schon immer. Man wußte schon immer, daß es Kausalitäten zwischen der „physischen“ und der „mentalen Ebene“ gibt; Drogen verursachen bestimmte mentale Zustände und machen andere unmöglich, Gedanken verursachen bestimmte körperliche Zustände. Und der Ort des Denkens ist nicht der Fuß, sondern das Gehirn. Das alles weiß man nun viel genauer, kennt oft sehr genau die Hirnregion, aber im Prinzip änderte sich nichts an den Problemen.

    Ob man – wozu Sie mir zu neigen scheinen – einen materialistischen Monismus annehmen soll, bei dem Gedanken „nichts als“ die jeweils zugehörigen körperlichen Phänomene sind, oder einen Dualismus, der wie schon bei Descartes von zwei unabhängigen Substanzen ausgeht, deren Parallelität (wie sie uns die Empirie zeigt) durch irgendeine Art von prästabilierter Harmonie garantiert ist (Leib-See-Parallelismus) oder ob zwischen ihnen Kausalbeziehungen bestehen (und wie sich das denken läßt, und ob überhaupt), ob es zwischen beiden Bereichen strenge Gesetze gibt oder nicht, ob man unterscheiden muß zwischen dem Bereich der Naturerkenntnis (wozu hier auch die Erkenntnis der Gedanken gehört) und dem moralischen Problem der gänzlichen Unabhängigkeit der Willensbestimmung von der Natur – über all das wird nach wie vor und mit unverminderter Heftigkeit diskutiert, und ein Ende der Diskussion ist nicht abzusehen.

  15. @Ludwig Trepl

    Danke für die schnelle Antwort. Jetzt sehe ich klarer, glaube ich… 🙂

  16. @ Balanus

    „Für mich ist Religiosität ein Aspekt der Persönlichkeit eines Menschen, seines Wesens. Insofern bin ich der Meinung, dass es nicht unwichtig ist, welche genetische Dispositionen ein Mensch mitbringt, was ihm in die Wiege gelegt wurde.“ Wenn ich Sie richtig verstehe, sehen Sie den Dissens da: Sie meinen, Religiosität ist etwas Tiefliegendes, so etwas wie „starker Charakter“ oder „unüberwindliche Bosheit“, was man im wesentlichen mitbringt und nicht so leicht ablegt wie z. B. eine Meinung über einen naturwissenschaftlichen, also äußeren, belanglosen Sachverhalt. Ich dagegen, meinen Sie, halte Religiosität der etwas von der letzteren Art.

    Da ist schon was dran an Ihrer Meinung. Aber gerade dann dürfte man Religiosität nicht als Glauben an die Existenz überempirischer oder übernatürlicher Akteure definieren. Denn wenn Religiosität etwas so tiefsitzendes ist, dann kommt es auf Glauben in diesem Sinn wenig an. Jemand wird vom tiefgläubigen Katholiken zum tiefgläubigen Kommunisten Und ein anderer Katholik geht brav in die Kirche und ein anderer Kommunist schwingt jeden 1. Mai seine Winkelemente, und die unterscheiden sich im Hinblick auf das, was Sie Religiosität als Wesen den Menschen nennen, überhaupt nicht. Wenn Sie sagen würden: Ob man Typ A (Katholik 1 + Kommunist 1) wird oder Typ B (Katholik 2 + Kommunist 2), das ist in hohem Maße genetisch bedingt, könnte ich Ihnen zustimmen, obwohl man natürlich nicht so recht sagen kann, ob es wirklich genetisch bedingt ist oder durch die embryonale Umwelt oder die frühkindliche. Aber daß es schwer ist, wenn man nun mal so ein fieser Spießer ist wie Typ B, sich zu ändern, das entspricht der Lebenserfahrung. Aber innerhalb von Typ A oder aber Typ B zu wechseln, das ist nicht schwer, das passierte in den letzten 150 Jahren in riesigem Umfang. Wäre Bayern von der Sowjetarmee besetzt worden und nicht Brandenburg: die meisten braven CSU-Christen wären SED-Atheisten geworden, und die typischen Brandenburger SED-Genossen würden sonntags in der Kirche sitzen. Die Gen-Ausstattung wäre in Bayern wie in Brandenburg genau so wie heute.

    Das meine ich mit „rein kulturell bedingt“. Ob man religiös ist im Sinne von „an übernatürliche Akteure glauben“, ist rein kulturell, es hängt davon ab, wie die Erfahrungen im Leben in Gedanken umgesetzt werden, und das hängt, wenn man nicht das Individuum betrachtet, sondern ganze Bevölkerungen, von den vorhandenen Kulturen Mustern ab. Im Iran wird man islamisch, in Tirol katholisch und in Hellersdorf atheistisch, mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen 70 und 95 Prozent, sag’ ich mal. Wenn sich die kulturellen Verhältnisse ändern, wie es z. B. in Rußland im 20. Jahrhundert geschehen ist, dann ändert sich die Religiosität in diesem Sinne auch im Laufe eines Lebens mit ähnlichen Wahrscheinlichkeiten. DAS sind die „Studien“, die meine Aussage stützen, nach denen Sie fragen; das Leben veranstaltet sie, nicht die Wissenschaftler im Labor.

    Wenn man dagegen Religiosität nicht so wie die „evolutionären Religionswissenschaftler“ versteht, sondern so wie Sie („ein Aspekt der Persönlichkeit eines Menschen, seines Wesens“), dann sieht es anders aus, da haben Sie sicher weitgehend recht. „Glauben“ an „übernatürliche Akteure“ oder eben nicht ist eine Sache von Vernunftschlüssen. „Glauben“ in dem Sinne, wie man sagt, daß Widerstandskämpfer im NS, egal ob Christen oder Atheisten, bis in den Tod an ihre Sache geglaubt haben, sicher viel weniger, und da kommt es, das gebe ich gern zu, sehr darauf an, was einer „mitbringt“.
    Ich würde gern zu vielem, was Sie noch geschrieben haben, etwas sagen, aber dann wird es allzu lang – zumal das Thema dieses Blog-Artikels ohnehin ein anders ist und keiner eine Diskussion wie diese unter dieser Überschrift sucht. Nur eines noch:

    „Es ist wohl eher so, dass manche Biologen einen anderen Begriff von Kultur haben, eben einen biologischen“. ALS Biologen können sie KEINEN Begriff von Kultur haben, denn als Biologen können sie nur biologische Begriffe haben inklusive der Begriffe der sozusagen darunterliegenden Wissenschaften (Chemie, Physik). Das ist trivial. Ein biologischer Begriff von Kultur definitionsgemäß unmöglich bzw. er ist ein unsinniger Reduktionismus. Leider haben Sie recht: „Für viele oder manche Biologen ist der herkömmliche Natur-Kultur-Dualismus passé.“ Sie glauben, um etwas über den künstlerischen oder kulturhistorischen Wert eines Gemäldes zu erfahren, müßte man einen Chemiker befragen, denn der kennt sich mit Farben aus. Daß sie privat in die Oper gehen und dann ganz ohne Biologie über die Qualität der Aufführung reden, ist eine andere Sache.

  17. @Ludwig Trepl

    Lieber Herr Trepl, meinen wir, also Sie und ich, eigentlich das Gleiche, wenn wir von “Religiosität” sprechen? Für mich ist Religiosität ein Aspekt der Persönlichkeit eines Menschen, seines Wesens. Insofern bin ich der Meinung, dass es nicht unwichtig ist, welche genetische Dispositionen ein Mensch mitbringt, was ihm in die Wiege gelegt wurde.

    Diese basale Position (oder Annahme) ist auch der Hintergrund meines Satzes an @Simon („Dass religiöse Eltern nicht-religiöse Kinder haben, kommt laut einer englischen Studie in der Hälfte der Fälle vor.“). Diese Angabe bezieht sich nur auf die Population der Engländer und unterstreicht, dass Religiosität (als Persönlichkeitsmerkmal) allenfalls zum Teil erblich ist (wie Ihnen bekannt sein dürfte, gibt es die These, dass die höhere Geburtenrate der Religiösen langsam aber sicher zu überwiegend religiösen Gesellschaften führen wird).

    »Welche Religion einer hat, ob katholisch, muslimisch oder atheistisch und ob er dabei bleibt oder nicht, ist einfach eine kulturelle Frage, und zwar ganz und gar.«

    Bleiben wir doch bei der Religiosität. Weiter oben sagten Sie sinngemäß, es gäbe keine einheitliche kulturelle Umwelt, im Grunde habe jeder seinen eigenen, individuellen kulturellen Hintergrund, ein und derselbe Satz könne, je nach Kontext und Verständnis, ganz Unterschiedliches bewirken.

    Ist es dann nicht logischerweise so, dass die “kulturelle Frage” (ob einer bei der Religion dabei bleibt oder nicht, sprich religiös bleibt) letztlich doch eine ganz persönliche, individuelle Frage ist, eine, die den Wesenskern des Menschen berührt?

    Oder habe ich Sie da (wieder) falsch verstanden?

    »Was man den Biologen, die über solche Fragen diskutieren, vorwerfen kann, ist, daß ihnen einfach paradigmenbedingt der Begriff Kultur unbekannt ist.«

    Es ist wohl eher so, dass manche Biologen einen anderen Begriff von Kultur haben, eben einen biologischen, zumal, wenn sie auf der Ebene der Biologie argumentieren. Für viele oder manche Biologen ist der herkömmliche Natur-Kultur-Dualismus passé. Doch die gleichen Biologen haben überhaupt kein Problem damit, auf einer anderen kategorialen Ebene über die Bedeutung und Inhalte von Kunstwerken zu reden. Und im Gegenzug auf der naturwissenschaftlichen Ebene darüber, wie der Mensch im Laufe der Evolution ein Gefühl für Kunst und Ästhetik entwickeln konnte. Oder eben die Vorstellung von übernatürlichen Akteuren.

    Es gibt doch wohl mindestens eine Zwillingsstudie, die nahelegt, dass es für die Religiosität, wie für andere Persönlichkeitsmerkmale auch, eine erbliche Komponente gibt.

    Kennen Sie umgekehrt eine Studie, die ihre Aussage stützt? (Ich meine die hier: Ob einer bei seiner Religion bleibt oder nicht, “ist einfach eine kulturelle Frage, und zwar ganz und gar”).

    Natürlich spielen “kulturelle” Einflüsse mit hinein, wenn einer seinen Glauben verliert, ihm seine Religiosität abhanden kommt. Worauf also stützen Sie Ihre Auffassung, man könne die Religiosität ablegen wie ein getragenes Hemd? (Das wäre für mich ein Beispiel für eine “ganz und gar” kulturelle Handlung).

    »”…Ein stilles Gebet (sprechen) wäre für mich ein rein gedankliches Phänomen (eine neuronale Aktivität).“
    Wie meinen Sie das? «

    Mir ging es hier um die Unterscheidung von rein elektrophysiologischen Prozessen (Gedanken) und strukturbildenden Prozessen (Gedächtnis). Nur letztere bedürfen der Genaktivierung.

    »Daß allen gedanklichen Phänomenen eine bestimmte neuronale Aktivität entspricht, ist eine metaphysische Aussage,… «

    Wegen des Wörtchens “allen”, oder wirklich grundsätzlich? Wie wäre es mit dieser Formulierung:

    Gedankliche Phänomene sind — nach derzeitigem Kenntnisstand — stets mit neuronalen Aktivitäten assoziiert.

    Aber zugegeben, wir können schlecht prüfen, ob in einem Gehirn ohne messbare Aktivität noch Denkprozesse ablaufen, wenn der dazugehörige Mensch sich nicht mehr äußern kann.

    »Sie [die Religiosität] ist keine Begleiterscheinung, so wenig wie die Relativitätstheorie oder der Existenzialismus eine Begleiterscheinung ist. Es sind vielmehr Dinge, die durch das Denken erzeugt werden, und wir können mit unserem Denkvermögen zwar nicht beliebige, aber doch unendlich viele solcher Dinge erzeugen.«

    Mir ist völlig schleierhaft, wie das vonstatten gehen soll, allein durch Denken Religiosität zu “erzeugen”. Eine Religion, ja, aber Religiosität? Religiosität hat doch vor allem mit Glauben und Aberglauben zu tun, eine spezifische Religion ist da überhaupt nicht vonnöten.

    (Mein Kommentar ist wieder mal ein bisschen lang geworden, aber dafür haben Sie sicherlich viel Verständnis ;-))

  18. @Ano Nym / @Balanus: Widerspruch

    »Das zeugt von ganz erheblicher Verstandesleistung. Der Widerspruch besteht ja darin, dass eine religiöse Aussage im Gegensatz zu einer naturwissenschaftlichen steht. «

    Kommt darauf an. Wenn man einen Widerspruch zwischen eigenen Aussagen bemerkt und sich nach Belieben oder gefühlsmäßig für eine Seite entscheidet (statt zu sagen: da ist ein Widerspruch), dann ist das definitionsgemäß irrational. Wenn jemand merkt, daß die naturwissenschaftliche Aussage als Glaubensaussage daherkommt und darum die dazu im Widerspruch stehende religiöse Aussage weiterhin im Spiel hält, dann wird man sagen müssen, daß er ein rationaleres Denksystem hat als einer, der naiv bei seiner naturwissenschaftlichen Weltanschauung bleibt. Wenn jemand von den Widerlegungen der scholastischen und rationalistischen Gottesbeweise im 18. Jahrhundert nie etwas gehört hat und darum diese Beweise für schlüssig hält, dann verhält er sich subjektiv rational – rationaler als einer, der heute sagt, er sei nicht religiös, weil es nun einmal dem Zeitgeist entspricht und er nicht unmodern wirken will. Da gibt es noch mehr Möglichkeiten, die die Sache komplizierter machen.

    Im Übrigen scheint es mir hier nicht eigentlich um religiöse Aussagen zu gehen, sondern um den Glauben an „Wunder“ und das, was man seit langem Aberglauben nennt und was zum Teil von den Vertretern der offiziellen Religionen heftig bekämpft wurde. Das wäre aber ein Thema für sich.

  19. @Balanus

    „Aber wie eine “äußere Ursache” intern verarbeitet wird, hängt meines Erachtens eben stark vom gegebenen strukturellen Zustand des Gehirns ab“
    Nicht „stark“, sondern völlig. Das ist keine empirische Frage, es ist logisch nicht anders möglich.

    „»1) Religiosität ist ein in entscheidender Hinsicht rein gedankliches Phänomen.« (Simon)
    Das verstehe ich nicht so recht. Ein stilles Gebet (sprechen) wäre für mich ein rein gedankliches Phänomen (eine neuronale Aktivität).“

    Wie meinen Sie das? Daß ein gedankliches Phänomen eine neuronale Aktivität IST, wäre ein Kategorienfehler. Daß vielen gedanklichen Phänomenen eine bestimmte neuronale Aktivität entspricht, ist eine empirische Aussage und oft genug bestätig worden. Daß allen gedanklichen Phänomenen eine bestimmte neuronale Aktivität entspricht, ist eine metaphysische Aussage, so wenig beweis- oder widerlegbar wie „es gibt Gott“.

    „Vielleicht könnte man sagen, dass Religiosität eine Begleiterscheinung des menschlichen Denkens bzw. Denkvermögens ist, die aber nur bei einem Teil der Menschheit von Dauer ist.“
    Ich meine, so sollte man das nicht sagen. Sie ist keine Begleiterscheinung, so wenig wie die Relativitätstheorie oder der Existenzialismus eine Begleiterscheinung ist. Es sind vielmehr Dinge, die durch das Denken erzeugt werden, und wir können mit unserem Denkvermögen zwar nicht beliebige, aber doch unendlich viele solcher Dinge erzeugen. Und wie alle Erzeugnisse des Denkens ist auch die Religiosität „nur bei einem Teil der Menschheit von Dauer“. Ein anderer Teil gibt den Gedanken bzw. das Denkgebilde wieder auf.
    Allerdings sollte man bedenken, daß so ein Satz in früheren Zeiten wohl bezogen auf das spezielle Gedankengebilde, das man Religiosität nennet, nicht geschrieben worden wäre (da hätte man vielleicht gedacht, daß es keinen Menschen ohne Religion gibt), und daß sich auch jetzt die Meinung vertreten läßt und vertreten wird, daß die Nicht-Religiosität auch eine Form von Religiosität ist, daß also Religiosität ein unvermeidlicher Bestandteil eines jeden Denkens ist, entfernt analog den Kategorien im strengen Sinn.

    „Dass religiöse Eltern nicht-religiöse Kinder haben, kommt laut einer englischen Studie in der Hälfte der Fälle vor.“

    Was soll dieser Satz? Es liegt doch auf der Hand, daß je nach dem, mit welcher Population man so eine Untersuchung macht, auch Null oder Hundert Prozent herauskommen kann. Es gibt hier einfach keinen irgendwie quantifizierbaren Zusammenhang. Welche Religion einer hat, ob katholisch, muslimisch oder atheistisch und ob er dabei bleibt oder nicht, ist einfach eine kulturelle Frage, und zwar ganz und gar. Was man den Biologen, die über solche Fragen diskutieren, vorwerfen kann, ist, daß ihnen einfach paradigmenbedingt der Begriff Kultur unbekannt ist.

    Sie, @Balanus, haben neulich hier mal geschrieben, daß Sie bei den Begriffen der Biologie bleiben wollen, um keinen Kategorienfehler zu begehen. Sie können aber Phänomene, zu deren Klärung die Biologie vielleicht beitragen kann, die sie aber nicht klären kann, weil sie auf einer kategorial Ebene angesiedelt sind, einer Ebene, die der Biologie konstitutiv verschlossen ist, nun einmal mit den Mitteln der Biologie nicht klären. Sie können mit den Mitteln der Physik allerlei zu den Luftschwingungen sagen, die aus der Brust eines Tenors hervorquellen, aber wieso das ein lyrischer Tenor ist und ob er der Liebhaber-Rolle gerecht wird, die er zu singen hat, dazu braucht es eben anderer Begriffe als sie die Physik haben kann. Es kommt mir ja auch ganz richtig vor, daß all die Nuancen, die darüber entscheiden, ob er diese Liebhaber-Rolle bezaubernd singt, ob er zärtlich oder wild wirkt, sich irgendwie auf der Ebene der Physik finden lassen. Aber das ist Metaphysik.

  20. @Simon

    »@ Balanus: Sie schreiben: “Ein Gehirn ist kein Computer, beim Gehirn sind Programm und Struktur eins, die Hardware ist zugleich die Software.” Mir ist nicht klar, was Sie damit ausdrücken wollen; klar ist aber doch, dass Gedanken nicht Teil der “Hardware” sind.«

    Ich wollte nur auf einen fundamentalen Unterschied zwischen Gehirn und Computer hinweisen, weil Sie den Vergleich mit dem Computer brachten. Sind Gedanken denn Teil der “Software”?

    »…den Glauben verwerfen etc. sind aber doch Prozesse, die durch dem Gehirn äußere Ursachen angestoßen und entsprechend der individuellen Konstitution des Gehirns durchgespielt werden.«

    Ja, so ähnlich sehe ich das auch. Aber wie eine “äußere Ursache” intern verarbeitet wird, hängt meines Erachtens eben stark vom gegebenen strukturellen Zustand des Gehirns ab (man kann auch sagen, von dem, was der Betreffende gelernt und erfahren hat, was sich in sein Gedächtnis eingebrannt hat, und natürlich von dem, worauf er kaum willentlichen Einfluss, nämlich seine Persönlichkeitsstruktur oder psychische Konstitution).

    »1) Religiosität ist ein in entscheidender Hinsicht rein gedankliches Phänomen.«

    Das verstehe ich nicht so recht. Ein stilles Gebet (sprechen) wäre für mich ein rein gedankliches Phänomen (eine neuronale Aktivität). Vielleicht könnte man sagen, dass Religiosität eine Begleiterscheinung des menschlichen Denkens bzw. Denkvermögens ist, die aber nur bei einem Teil der Menschheit von Dauer ist.

    »“Religiosität” müsste jedenfalls rezessiv sein: Meine Eltern haben es beide; bei mir hat es sich nach knapp 20 Jahren hin zu Offenheit gegenüber diversen Erklärungsmustern der Welt gewandelt.«

    Der Zusammenhang von Genen und Religiosität ist — nach meiner These — ja nur ein indirekter, eben über die gengesteuerte Ausbildung bestimmter neuronaler Feinstrukturen (in Reaktion auf die Umwelt, wohlgemerkt). Insofern würde der Begriff ‘rezessiv’ ohnehin nicht passen. Aber im Grunde passt auch der Begriff “Religiosität” nicht, weil “Religion” für die Prozesse, die ich meine, gar keine Rolle spielt

    Dass religiöse Eltern nicht-religiöse Kinder haben, kommt laut einer englischen Studie in der Hälfte der Fälle vor. Wobei ich nicht weiß, ob die Definition von “religiös” der entspricht, die in der evolutionären Religionswissenschaft gebräuchlich ist (und in Deutschland nur bei einer Minderheit vorkommt).

    Aber was glauben Sie, warum hat sich bei Ihnen die Religiosität der Kindheit verflüchtigt, und nicht auch bei Ihren Eltern? Was war bzw. ist bei Ihnen anders als bei Ihren Eltern? Warum denken Sie anders?

    Aber eigentlich geht es hier ja um die Frage, wann aus einer umfassenden biologischen Erklärung für ein Phänomen des Lebens eine biologistische wird. Und da bin ich nach wie vor der Auffassung, wenn man sich streng an den Wissensstand der Evolutions-, Entwicklungs-, Verhaltens-, Sozio-, Neuro- und Psychobiologie hält, dann ist man davor gefeit, biologistisch zu argumentieren. 😉

    @Ano Nym / @Balanus: Widerspruch

    »Das zeugt von ganz erheblicher Verstandesleistung. Der Widerspruch besteht ja darin, dass eine religiöse Aussage im Gegensatz zu einer naturwissenschaftlichen steht. «

    Da mag ich nicht widersprechen.

  21. @Belanus: Widerspruch

    Wie kann z.B ein moderner, gebildeter Mensch glauben, die Erde sei vor rund 6000 Jahren von Gott erschaffen worden?

    Das zeugt von ganz erheblicher Verstandesleistung. Der Widerspruch besteht ja darin, dass eine religiöse Aussage im Gegensatz zu einer naturwissenschaftlichen steht.

    Die Verstandesleistung kann jetzt zum Beispiel darin bestehen, den Widerspruch zu ignorieren (“Mit Widersprüchen leben”) oder zu bestreiten (“Ein Widerspruch liegt gar nicht vor”). Verschiedene Leute sind da verschieden kreativ.

    Dieser Umgang mit Widersprüchen ist auch nicht auf den religiösen Bereich beschränkt und auch nicht auf moderne, gebildete Menschen.

  22. Evolutionäre Religionswissenschaft???

    @ Balanus: Sie schreiben: “Ein Gehirn ist kein Computer, beim Gehirn sind Programm und Struktur eins, die Hardware ist zugleich die Software.” Mir ist nicht klar, was Sie damit ausdrücken wollen; klar ist aber doch, dass Gedanken nicht Teil der “Hardware” sind. Genetisch vorgegeben sind die Strukturen wie das Kleinhirn und das Großhirn mit seinen verschiedenen Bereichen z. B. für motorische Aktionen oder Gefühle etc. Das erinntert doch sehr an “Hardware”. Gehen lernen, nicht nur biologisch denken lernen, gläubig werden, den Glauben verwerfen etc. sind aber doch Prozesse, die durch dem Gehirn äußere Ursachen angestoßen und entsprechend der individuellen Konstitution des Gehirns durchgespielt werden. Eine bestimmte Ebene solcher Prozesse, auf der logische Strukturen von Assoziationen etabliert werden, kann m. E. durchaus mit dem “Software”-Bild beschrieben werden; bei den im Einzelnen ablaufenden Gedanken arbeitet diese Software dann eben. Was sie ausspuckt, hängt von den Eingaben und ihrer individuellen Struktur ab. (Gelungen an dem eben entworfenen Bild finde ich übrigens, dass es ein plausibles Modell abgibt, obwohl es technizistisch ist – es hört eben da auf zu erklären, wo die Grenzen seiner Möglichkeiten sind bzw. da verweist es auf die Psychologie. Merken Sie was?)
    “Wenn Sie Religiosität für ein primär gedankliches (also nicht-biologisches) Phänomen halten, wenn also Lernprozesse für dieses Phänomen keine große Rolle spielen sollen, dann frage ich mich, auf welche Beobachtungen Sie diese Annahme stützen.”
    Vielleicht habe ich mich mißverständlich ausgedrückt. 1) Religiosität ist ein in entscheidender Hinsicht rein gedankliches Phänomen. (Ich halte es nicht nur dafür.) 2) Lernprozesse spielen für dieses Phänomen eine große Rolle. Die sind ja auch ein gedankliches Phänomen, im Gegensatz zur individuellen F ä h i g k e i t in Bezug z. B. auf schnelles Lernen komplexer Zusammenhänge.
    Beispiel: Man könnte evtl. empirisch nachweisen, dass Menschen, die sich mit dem Lernen mehr oder weniger genetisch bedingt schwer tun, im Schnitt eine höhere Affinität zur Religiosität haben. Was ich ggf. daraus ziehen würde, wäre einerseits: Was gemeinhin und wohl auch in so einer Studie als Religiosität definiert wird, hat viel mit “Herdentrieb” zu tun und der viel mit geringer geistiger Selbstständigkeit. Welch Erkenntnis. Andererseits wäre bewiesen: Auch Menschen, die sich – genetisch oder durch ihre Förderung in der Kindheit bedingt – mit komplexen Gedanken leichter tun, können “religiös” sein (was immer das ist). Sie sind es dann eben wohl in vielen Fällen aus Gründen, die sie sich selbst zurechtgelegt haben und nicht nur wegen der Prägung durch die “Leitkultur”. Zusammengefasst: Die Verteilung in der Gesellschaft würde belegen, dass ein Zusammenhang der Religiosität zur – teilweise wohl angeborenen – Fähigkeit zum komplexen Denken besteht; die Ausnahmen würden, wenn man sich nicht dagegen wehrt, den Blick darauf lenken, dass die Verteilung des “Merkmals” aber dennoch in entscheidener Hinsicht andere Gründe hat.
    “Religiosität” müsste jedenfalls rezessiv sein: Meine Eltern haben es beide; bei mir hat es sich nach knapp 20 Jahren hin zu Offenheit gegenüber diversen Erklärungsmustern der Welt gewandelt. Fangen Sie mir jetzt bitte nicht mit Evolution an: Der Begriff passt selbstverständlich, aber nicht im biologischen Sinn.

  23. doch in Gruppen!

    Ludwig Trepl @ Christian Hoppe 03.04.2012, 19:37

    Sie haben geschrieben:
    „Der neue Rassismus muß Genetismus heissen. Denn der hat nichts mit Hautfarbe mehr zu tun. Der hat mit Intelligenz … zu tun.“

    Aber es ist eben kein Rassismus. Die Menschen teilen sich nicht in Gruppen, in denen Hautfarbe, Haarform und Intelligenz unweigerlich oder hochwahrscheinlich kombiniert sind. …

    -> Entstünde nicht automatisch die Selektion zwischen Intelligent und Dumm? Zwar immer im Kontext des Gesellschaftlich erwünschten – etwa im ausgeübten Beruf, erreichten Bildungsstufe, Lebenswerk… und also folglich daraus zu erkennen geglaubten Intelligenzfähigkeit…!?

    Der Penner unter der Brücke vs. dem Professor!?

    Jeder Mensch wird sich zwangsläufig irgendwann irgendwie in der Gesellschaft verorten. Und so entstehen dann unausgesprochene aber einflußreiche “Systeme” im Denken und die dem Rassismus schon recht naheliegende Diskrimminierung wäre perfekt.

    Bei den Roma´s (Zigeunern) täte man schnell annehmen können, sie seien nicht sozialisierungsfähig – wobei sie ja in ihrer Gruppe durchaus das Gegenteil beweisen. (Man mag auch davon ausgehen, dass sie als Gruppe nur derart funkitonieren, weil es eben die Gegnerische Gruppe der Seßhaften gibt, die sie seit eh und jeh stigmatisieren). Aber Seßhaft werden .. und bleiben, dann funktioniert die Sozialisierung nicht mehr. Und umgehend wird der Stempel der Minderwertigkeit aufgedrückt. (Das Problem ist natürlich nicht so simpel – aber der bürgerliche Mob mag es eben einfach).

    Ich wäre auf meinen genetisch bedingten Intelligenzfähigkeitsquotienten sehr gespannt. Daran, dass er unumstößliche Tatsachen aussagen würde, glaube ich aber nicht. Denn es gäbe dann ja noch die Möglichkeit der Epi-Genetik und also die im Laufe des Lebens sich verändernden/veränderbaren Grundbedingungen.

  24. @Simon

    »(Als wäre es Neuronen nicht völlig egal, welche Information sie speichern und als ginge es nicht vielmehr um Gedanken. Letztere mögen letztlich nur elektronische Impuse sein, aber selbst dann: Ihre Logik ist nicht durch die Verknüpfung von Neuronen fassbar. Auch die Logik eines Computers liegt nicht im Chip, sondern in der Programmierung.)«

    Da Gedanken auf ein neuronales Substrat angewiesen sind, ist es nicht ganz egal, wie Neuronen verknüpft sind. Und nein, bei der Religiosität geht es m. E. weniger um rationale Gedanken, sondern vielmehr um innere Überzeugungen und um Gefühle. Da geht es um die Substanz, im wahrsten Sinne des Wortes. Zudem: Ein Gehirn ist kein Computer, beim Gehirn sind Programm und Struktur eins, die Hardware ist zugleich die Software.

    Ich möchte verstehen, wieso der eine Mensch bestimmte Aussagen als logisch widersprüchlich erkennt, der andere aber nicht. Wie kann z.B ein moderner, gebildeter Mensch glauben, die Erde sei vor rund 6000 Jahren von Gott erschaffen worden?

    »Sie fragen, ob Ihre Erklärunsversuche biologistisch sind. Ist das nicht für Sie selbst offensichtlich?«

    Nein, überhaupt nicht.

    Ich argumentiere nicht ideologisch, leite aus der Biologie keine Werte ab und konstatiere die Bedeutung der Umwelt für jegliche Entwicklungsprozesse.

    Ihnen genügt offenbar schon der Umstand, dass ich argumentativ konsequent innerhalb der Kategorie Biologie bleibe. Aber was soll ich tun, ich will ja schließlich keinen Kategorienfehler begehen. 😉

    Wenn Sie Religiosität für ein primär gedankliches (also nicht-biologisches) Phänomen halten, wenn also Lernprozesse für dieses Phänomen keine große Rolle spielen sollen, dann frage ich mich, auf welche Beobachtungen Sie diese Annahme stützen.

  25. @ Ludwig Trepl

    »Aber Sie sollten bedenken, daß die Umwelt in dieser Hinsicht etwas ziemlich kompliziertes ist.«

    Keine Frage, einen wirklich “gleichen kulturellen Hintergrund”, der also mindestens so gleich wäre wie das Genom eineiiger Zwillinge, kann es für Individuen nicht geben.

    »Der gleiche Satzinhalt in leicht anderer Formulierung könnte ohne Wirkung bleiben, ebenso der selbe Satz in minimal anderer Situation.«

    Es ist ja noch verrückter: Der gleiche Satz in gleicher Situation (etwa im Hörsaal) kann individuell anders aufgefasst und verstanden werden, weil jedes Individuum seine eigene Geschichte hat. Und diese eigene Geschichte spiegelt sich wider in der einzigartigen Feinstruktur des individuellen Gehirns. Und diese physische Strukturen wiederum entstehen unter dem Einfluss der Gene.

    Jeder Organismus ist eine von der Umwelt abgegrenzte, isolierte Einheit. Wie ein Organismus die Umwelt sinnlich wahrnimmt, auf sie reagiert und auf sie einwirkt, wird allein vom betreffenden Organismus selbst bestimmt (physische Einwirkungen lasse ich mal außen vor).

    Wenn also ein Mensch Religiosität zeigt, kann diese Religiosität nur das Ergebnis autonomer, innerer Prozesse sein (Religiosität immer noch definiert als der Glaube an einen personalen, in die Geschicke der Menschen eingreifenden Gott).

    »Stattdessen Kant oder einen anderen nicht-atheistischen Aufklärungsphilosophen. Was hat dessen Glaube an Gott mit dem eines Pfingstlers zu tun? «

    Wenig, Kant war wohl nicht religiös im Sinne der Definition der evolutionären Religionswissenschaft. Dito Bonhoeffer. Dito Hermann Aichele (nach meinem Eindruck).

    »Manche Formen von Religiosität kann man vielleicht metaphorisch als Neotenie bezeichnen, manche Formen von Nicht-Religiösität aber auch.«

    Nicht-Religiosität bedeutet hier in unserer Diskussion doch nur, dass nicht an einen wirkmächtigen, übernatürlichen Akteur geglaubt wird. Was soll es denn da für Formen geben?

    »In nur einer Generation ist der größte Teil der tiefreligiösen Russen zu Atheisten geworden; …«

    Das würde Michael Blume wohl bestreiten. Und ich kann mir das auch nicht vorstellen. Diese Behauptung lässt sich bestimmt nicht belegen (Selbstauskünfte zum Glauben sind ja ohnehin nur mit Vorsicht zu genießen).

    Nach allem, was man so liest, glaubt (auf der Nordhalbkugel) ohnehin nur eine Minderheit an einen personalen, interessierten Gott, also viel weniger, als die Kirchenzugehörigkeit vermuten lässt. Und diese Minderheit, da gehe ich nun jede Wette ein, kann nicht einfach so zum Nichtglauben überredet werden. Was wollen Sie denn diesen Menschen erzählen, was sie nicht schon selbst längst wüssten?

  26. @Ludwig Trepl: -ismus

    “Nicht angebracht ist diese Bezeichnung für das Verhältnis zu Wissenschaften, die in dem Sinne „unter“ der Soziologie stehen wie die Biologie (oder in der Reihe weiter: die Chemie unter der Biologie).”

    Auch die Biologie hat eine Teildisziplin Verhaltensbiologie.

    http://de.wikipedia.org/wiki/Verhaltensbiologie

    ‘Biologisten’ behaupten, daß sich diese auf Menschen genauso wie auf andere Tiere anwenden läßt.

    ‘Soziologisten’ bestreiten das. Mit welchen Argumenten eigentlich?

  27. @Simon @ Jürgen Bolt

    „Als wäre es Neuronen nicht völlig egal, welche Information sie speichern und als ginge es nicht vielmehr um Gedanken.“
    Das kann man den Biologen nicht oft genug sagen, aber es wird wohl nicht viel helfen; man darf die Kraft der Prozesse nicht unterschätzen, die bei der Sozialisation in ein Paradigma am Werk sind. Leibniz hat (sinngemäß) gesagt: Wenn man in einem Gehirn herumlaufen könnte wie in einer Mühle, so würde man darin doch keine Gedanken finden. Wer als Biologe ausgebildet ist (ich weiß das, denn ich bin es), hat allergrößte Mühe, das zu begreifen. Denn in der Welt der Biologen kommt das, was kategorial woanders hingehört als in den Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften, einfach nicht vor; wo es um Gedanken geht, denkt man, es ginge um Neuronen. Biologisten sind wie einer, der die Welt mit einem optischen Gerät absucht und dann glaubt, diejenigen, die behaupten, es gebe Töne und Gerüche, seien irrational und man müßte ihnen mal Wissenschaft beibringen. – Das betrifft allerdings nicht alle Wissenschaften gleichermaßen.

    Darum hat @Jürgen Bolt auch nicht ganz recht, wenn er schreibt: „Oder sind alternative Überlegungen und Erklärungsversuche soziologistisch?([Darum]… scheint es mir ratsam zu vermeiden, abweichende [Position] als -ismus … darzustellen. Der Diskussionspartner sieht es naturgemäß genau umgekehrt.“
    Von Soziologismus sollte man reden, wo Soziologie zur „Weltanschauung“ wird und das, was sozusagen über der Soziologie ist oder aber unter ihr, von ihr immer schon vorausgesetzt werden muß als Basis, „soziologisiert“ wird (obwohl das in gewissem Grade und Sinne möglich ist). Nicht angebracht ist diese Bezeichnung für das Verhältnis zu Wissenschaften, die in dem Sinne „unter“ der Soziologie stehen wie die Biologie (oder in der Reihe weiter: die Chemie unter der Biologie). Die Biologie blendet ihrer Natur gemäß vieles aus, was die Soziologie nicht ausblenden kann. Für die Biologie kann es z. B. Begriffe wie Konvention, Verpflichtung oder Jugendkriminalität nicht geben; sie kann vielleicht an der Jugendkriminalität etwas erklären, aber nicht die Jugendkriminalität. Dagegen muß die Soziologie alle biologischen Erkenntnisse integrieren. Darum können Soziologen den Biologen -ismus-Vorwürfe machen, die umgekehrt nicht möglich sind. Davon unberührt ist, daß es in der realen Soziologie das Phänomen gibt, daß Soziologen Ergebnisse der Biologie, die sie betreffen, nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Aber das steht auf einem ganz anderen Blatt.

  28. @ Balanus

    „Denn wenn beide vor gleichem kulturellen Hintergrund zu völlig unterschiedlichen Auffassungen über die Wirklichkeit kommen, dann kann das doch nur an der jeweiligen, genetisch codierten Persönlichkeitsstruktur liegen.“

    Wenn statt „kultureller Hintergrund“ die gesamte (auch physische) Umwelt stünde (so etwa hat ja auch @Simon argumentiert), dann hätten Sie recht- Dazu braucht es keinerlei empirischer Forschung. Es folgt aus dem Begriff des sich fortpflanzenden Organismus (wenn nicht gar aus dem Begriff des Organismus allein, falls dieser Fortpflanzung impliziert, dazu traue ich mich im Moment nichts zu sagen). Aber Sie sollten bedenken, daß die Umwelt in dieser Hinsicht etwas ziemlich kompliziertes ist. Es ist nicht so einfach wie „bei Temperatur a wächst Pflanze b um c cm pro Monat, falls die Nährstoffersorgung und die Lichtverhältnisse gleich sind“. Der entscheidende Umweltfaktor könnte ein Satz eines Menschen in einer bestimmten Situation sein: von da an ist er „bekehrt“. Der gleiche Satzinhalt in leicht anderer Formulierung könnte ohne Wirkung bleiben, ebenso der selbe Satz in minimal anderer Situation. Man kann ohne weiteres behaupten: nie wird die Biologie diese „Komplexität bewältigen“.

    Ich hätte vielleicht nicht Schleiermacher als Beispiel nehmen sollen, denn für den war Religion Gefühlssache und der Glaube an Gott dafür nicht notwendig. Stattdessen Kant oder einen anderen nicht-atheistischen Aufklärungsphilosophen. Was hat dessen Glaube an Gott mit dem eines Pfingstlers zu tun? Und ist der Glaube an Gott eines Fundamentalisten dem eines typischen heutigen bekennenden Atheisten an die Wissenschaft nicht viel ähnlicher als z. B. dem Gottesglauben von Kant oder auch von Bonhoeffer („einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“)? Manche Formen von Religiosität kann man vielleicht metaphorisch als Neotenie bezeichnen, manche Formen von Nicht-Religiösität aber auch.

    Das war mein Hauptargument: „Religion“ und „Atheismus“ (oder Nicht-Religiosität) sind einfach nichts, was man in unserem Zusammenhang als Einheiten behandeln kann. Den Religiösen A kann man vielleicht mit den Nicht-Religiösen B und C in eine Gruppe stecken, den Religiösen D mit dem Nicht-Religiösen E in eine andere, damit Hypothesen formuliert werden können über den Zusammenhang von Vererbung und Umwelt im Hinblick auf „Überzeugungen“, die vielleicht sinnvoll sind.

    „Anders als ein Atheist besitzen alle drei Genannten nicht nur die Fähigkeit zur Religiosität, sie können auch gar nicht anders, als religiös zu sein. Das heißt, es würde enormer Anstrengungen bedürfen, um einen Atheisten zu einem Religiösen umzuerziehen, und vice versa.“

    Das halte ich für völlig falsch. In nur einer Generation ist der größte Teil der tiefreligiösen Russen zu Atheisten geworden; ebenso die Millionen von Bauern, die in Deutschland als Arbeiter in die Großstädte zogen. Jeder kann anders. Und die nicht Atheisten geworden sind, haben, darauf kann man jede Wette eingehen, nicht irgendwelche anderen Gene als ihre auf dem Land gebliebenen Verwandten, sondern vielleicht eine Großmutter, der man das nicht antun kann, weshalb man nicht nur den Kirchenaustritt auf die Zeit nach ihrem Tod verschiebt, sondern sich auch jeden in Richtung Atheismus gehenden Gedanken verbietet. Wenn man sich die Lebenswirklichkeit, in der es ja oder so ähnlich zugeht, vor Augen führt, dann sieht man, wie abwegig die derzeitigen akademischen Diskussionen um die evolutionäre Bedingtheit von Religiosität sind.

  29. @ Balanus

    Sie fragen, ob Ihre Erklärunsversuche biologistisch sind. Ist das nicht für Sie selbst offensichtlich? Dass widersprüchliche Denkweisen in einer Person vorkommen, löst bei Ihnen die Vermutung besonders seltsamer Beziehungen von Neuronen aus. (Als wäre es Neuronen nicht völlig egal, welche Information sie speichern und als ginge es nicht vielmehr um Gedanken. Letztere mögen letztlich nur elektronische Impuse sein, aber selbst dann: Ihre Logik ist nicht durch die Verknüpfung von Neuronen fassbar. Auch die Logik eines Computers liegt nicht im Chip, sondern in der Programmierung.)
    Zur Gegenüberstellung von Marx und Schleiermacher schreiben Sie: “wenn beide vor gleichem kulturellen Hintergrund zu völlig unterschiedlichen Auffassungen über die Wirklichkeit kommen, dann kann das doch nur an der jeweiligen, genetisch codierten Persönlichkeitsstruktur liegen” Dass mir bereits die “genetisch codierte Persönlichkeitsstruktur” auf die Gehirnwindungen geht, erklärt sich vielleicht, wenn Sie die Begriffe, die Sie verwenden, etwas genauer betrachten: 1) Der kulturelle Hintergrund wird wohl nie bei zwei Personen “gleich” sein. Sind sie auch beide aus dem “westlichen” Kulturkreis, so sind sie doch durch ihre individuelle Erziehung selbstverständlich völlig unterschiedlich geprägt. Wenn Sie nun sagen, das gehöre nicht zum kulturellen Hintergrund, dann haben Sie aber auch schon das, was eben noch eine Rolle spielen könnte außer den Genen, die Ihnen die einzige Erklärung zu sein scheinen. (Falls Sie das als Modell gemeint haben sollten – “wenn beide genau den gleichen Hintergrund hätten” – erscheint mir das auch nicht fruchtbar in Bezug auf Erkenntnisgewinn. Zu hypothetisch.)

  30. Hallo @Jürgen, zum Juvenilisierungseffekt:

    Unter der Überschrift “Merkmalsänderungen durch Domestizierung” findet sich in der Wikipedia folgendes:

    »Da derartige Effekte teilweise auch beim Menschen zu beobachten sind (z. B. im Vergleich zum Neandertaler), sprechen manche Biologen (u. a. Konrad Lorenz) auch von der „Verhaustierung“ des Menschen im Zuge seiner Entwicklung. Viele dieser Merkmale sind beibehaltene Jugendeigenschaften. Man spricht hier auch von Neotenie.«

    Eine meiner Lieblingsideen zum Phänomen Religiosität ist, dass wir es hier mit einer Form der Beibehaltung von Jugendmerkmalen zu tun haben. Nicht, dass Erwachsene noch einen Kinderglauben pflegen würden, aber sie sind, wie in aller Regel eben das Kind, überzeugt von der Existenz übernatürlicher Akteure.

    Aber wie gesagt, vielleicht ist Religiosität ja auch ein Zeichen des evolutionären Erkenntnisfortschritts.

    http://de.wikipedia.org/…en_durch_Domestizierung

  31. Biologistisch

    ‘Sind meine Überlegungen und Erklärungsversuche biologistisch?’

    Nach meinem Empfinden gehen Ihre Erklärunsversuche von einem zu stark vereinfachten Modell des Zusammenspiels von Umwelteinflüssen, Gehirn und Charakter aus. Von einem detaillierten Verständnis, welches ähnliche Aussagen erlauben würde, ist die Forschung m.E. noch Lichtjahre entfernt.

  32. Balanus’ Bilogismus

    “Sind meine Überlegungen und Erklärungsversuche biologistisch?”

    Gute Frage. Oder sind alternative Überlegungen und Erklärungsversuche soziologistisch?

    Wenn man verschiedene Meinungen gewinnbringend diskutieren möchte, scheint es mir ratsam zu vermeiden, die eigene Position als ausgeglichen, vernünftig oder gutmenschlich und die abweichende als -ismus, extrem oder kalt-egoistisch darzustellen. Der Diskussionspartner sieht es naturgemäß genau umgekehrt. So kommt man nicht weiter.

    @Balanus: Könntest Du bitte die Passage mit dem “Juvenilisierungs-Effekt durch die Selbstdomestikation” nochmal etwas weniger knapp formulieren. Ich hab’s nicht verstanden.

  33. @Ludwig Trepl

    »Ist es denn vorstellbar, daß es Gene gibt, die den Unterschied zwischen der Denk- und Gefühlswelt eines gläubigen Theologen wie Schleiermacher und eines Ungläubigen wie Marx codieren?«

    Ich meine, ja. Indirekt.

    Denn wenn beide vor gleichem kulturellen Hintergrund zu völlig unterschiedlichen Auffassungen über die Wirklichkeit kommen, dann kann das doch nur an der jeweiligen, genetisch codierten Persönlichkeitsstruktur liegen.

    Ich hätte nur ein Erklärungsproblem, wenn es sich in einem solchen Fall um eineiige Zwillinge handeln würde. Dann müsste ich argumentieren, dass es im Laufe der Entwicklung der Zwillinge irgendwann etwas Entscheidendes gegeben haben muss, was die weitere Entwicklung in unterschiedliche Richtungen hat laufen lassen. Aber am Ende ist es immer noch so, dass die jeweilige Denk- und Gefühlswelt nur Ausdruck der vorliegenden Hirnstruktur sein kann, welche wiederum das Ergebnis genetischer Instruktionen in Reaktion auf die erlebte Umwelt ist. Mit der Folge, dass diese Denk- und Gefühlswelten vom Betroffenen nicht willentlich geändert werden können.

    Vielleicht werden bei religiösen Menschen im Zuge der Hirnentwicklung oder Reifung bestimmte neuronale Verschaltungen zwischen älteren (Gefühl) und neueren (Ratio) Hirnarealen nicht entsprechend modifiziert, sondern bleiben weitgehend erhalten (eine Art Juvenilsierungs-Effekt durch die Selbstdomestikation des Menschen?).

    Positiv gewendet könnte man auch spekulieren, dass hier spezifische neuronale Neuentwicklungen vorliegen, quasi die nächste Evolutionsstufe auf dem Weg zur Erkenntnis “Gottes” (“Gott” als Synonym für das bisher Unerkannte — siehe theistische Evolutionstheorie).

    Das könnte m. E. auch erklären, wie ein gläubiger Naturwissenschaftler es schafft, sonntags an die Auferstehung vom Toten zu glauben, oder an die Transsubstantiation, und werktags nur das glaubt, was er sehen und messen kann. Das ist so, also würde ein Arzt unter der Woche mit Überzeugung evidenzbasierte Medizin betreiben, und am Wochenende mit ebensolcher Überzeugung Fernheilung.

    Schleiermacher, der fundamentalistische Prediger im Bible Belt und der schwärmerische Pfingstler in Uganda mögen in sehr vielem verschieden sein, aber gemeinsam ist ihnen offenbar der Glaube an übernatürliche Akteure (falls Schleiermacher in diesem Sinne wirklich religiös war).

    Anders als ein Atheist besitzen alle drei Genannten nicht nur die Fähigkeit zur Religiosität, sie können auch gar nicht anders, als religiös zu sein. Das heißt, es würde enormer Anstrengungen bedürfen, um einen Atheisten zu einem Religiösen umzuerziehen, und vice versa. Wenn es zu solch einer Umprogrammierung kommt, dann geschieht das zumeist schlagartig, etwa, wenn mangels Blutversorgung bestimmte neuronale Fasern und Verknüpfungen untergehen, oder wenn andere neuronale Fehlfunktionen auftreten.

    Gut möglich auch, dass Religiosität nur ein sekundärer, vielleicht auch zufälliger Effekt ist, so etwas wie eine unerwünschte (oder erfreuliche) Begleiterscheinung im Zuge der ontogenetischen, also gengesteuerten Hirnentwicklung, die sich ja über lange zwanzig Jahre hinzieht und unzähligen modulierenden Einflüssen unterliegt.

    Wie auch immer, als Erklärung dafür, dass an sich Widersprüchliches im selben Hirn konfliktfrei verarbeitet werden kann, bietet sich, wie ich meine, eine besondere feinstrukturelle Hirnarchitektur an, es muss spezielle synaptische Verschaltungen geben, die ein solches Neben- und Miteinander von religiösem Glauben und empirischen Erkenntnissen überhaupt erst ermöglichen.

    Sind meine Überlegungen und Erklärungsversuche biologistisch?

  34. Klare Auffassung: Es gibt Rassen!

    @Ludwig Trepl

    Ich bringe hier, wie von Ihnen behauptet, gar nix durcheinander, sondern vertrete eine klare Linie und die lautet, dass es bei Menschen wie bei Tieren Rassen gibt.

    Um dies plausibel zu machen, bleibt mir in der Diskussion nichts anderes übrig, als an die hier verwendeten Begriffe, wie Volk, Stamm, Ethnie oder Population anzuknüpfen.

    Dass menschliche Rassen nicht nur durch genetisch-regionale Abgrenzungsmechanismen stabilisiert, sondern auch durch kulturell-sprachliche Faktoren verfestigt oder auch durch Völkerwanderungen-/Kriege wieder ‘verwässert’ werden können, versteht sich von selbst. Aber dafür gibt es ja auch ansatzweise bis gravierende Beispiele im Tierreich.

  35. @Geoman

    Da bringen Sie vollkommen verschiedene Dinge durcheinander. Bezüglich der Hautfarbe ist es selbstverständlich zu erwarten, daß Merkmale mit Krankheiten und damit auch mit Medikamenten korrelieren, und oft kennt man auch die ursächlichen Zusammenhänge. Wer genetisch bedingt helle Haut hat, bekommt nun mal leichter einen Sonnenbrand. So ist es auch mit –zig anderen körperlichen Eigenschaften, und entsprechend wirken Medikamente anders. Daraus – das tun Sie hier ja auch nicht – darf man aber nicht schließen, daß man in diesem Zusammenhang von Rassen reden darf. Die ergeben sich durch mehr oder weniger eng korrelierte Eigenschaften (was durch gemeinsame Abstammung bedingt sein kann, aber nicht muß). Wer helle Haut hat, muß nicht immer glattes Haar haben, auch wenn das häufig ist. Ein kausaler Zusammenhang zwischen Eigenschaft und Krankheit bedeutet nicht, daß es einen kausalen Zusammenhang zwischen Rasse und Krankheit gibt, da kann es nur Korrelationen geben.

    Bei „Ethnien“ handelt es sich aber um etwas vollkommen anderes. Der Begriff bezieht sich auf Gruppen wie „die Sioux“. Ob das Abstammungsgemeinschaften, sprachliche Gemeinschaften oder kulturelle sind, ist völlig offen. (Seine heutige häufige Verwendung verdankt der Begriff dem zwanghaften Wunsch nach political correctness. Rasse traut man sich nicht zu sagen, selbst wenn die Gruppe eine relativ gute Abstammungsgemeinschaft sein sollte. Stamm traut man sich auch nicht zu sagen, das ist diffamierend, denn wieso sollen die Sioux ein Stamm sein und die Dänen ein Volk? Volk traut man sich auch nicht zu sagen, weil man nicht in den Verdacht kommen will, ein völkisch Denkender zu sein. Also redet man sich auf „Ethnie“ hinaus.)

    In den meisten Fällen sind die „Ethnien“ kulturell-sprachliche Gemeinschaft, nicht Abstammungsgemeinschaften, vor allem weil die jeweilige Unterschicht meist von Kriegsgefangenen oder unterworfenen Vorbevölkerungen herstammt. Ein „ethnisches“ Heilmittel kann dann nur eines sein, das über die Kultur wirkt. Z. B. soll man bei Katholiken erwiesenermaßen durch das Vorzeigen von Marienbildern Schmerzen mildern können.

  36. @ Balanus

    In den meisten Fällen meinen Sie hier das, was ich auch meine, führen es nur näher aus. – Ich würde gerne zu jedem einzelnen Satz etwas schreiben, meist eher ergänzend als kritisierend, aber da brächte ich mindestens 10 Seiten. Darum nur zu Wenigem, der Rest kommt vielleicht später mal.
    Gewiß, die Fähigkeit zu Religiosität muß genetisch bedingt sein, sonst könnte es Religiosität nicht geben. Aber – und das ist die entscheidende Frage, die sich Leute wie Michael Blume offenbar nicht stellen – hat der UNTERSCHIED zwischen Lutheraner und Reformierten eine genetische Basis? Oder der zwischen Katholiken und Konfuzianern? Und wenn nicht – wieso soll der Unterschied zwischen Katholiken und Marxisten eine haben? Oder der zwischen Barthianern, Hegelianern und atheistischen Empiristen? Das sind alles Denkweisen, die einem die eigene Stellung in der Welt rundum erklären, in theoretischer wie in praktischer Hinsicht und mit einer mehr oder weniger spezifischen Gefühlswelt verbunden. Der genetisch bedingte Denkapparat ermöglicht einem, all das zu sein, so wie ein anderer genetisch bedingter Apparat es einem ermöglicht, sein Leben mehr im Sitzen oder mehr laufend zu verbringen. Zwischen einem, der es im Sitzen verbringt, und einem, der es mehr laufend verbringt, muß kein genetischer Unterschied sein und dürfte in der Regel auch keiner sein. In die Entscheidung zwischen diesen Denkweisen mögen sich genetische Ursachen an verschiedensten Stellen einmischen. Z. B. könnte ich mir denken, daß jemand genetisch bedingt ein träges Temperament hat, dann wird er vielleicht nicht so leicht Anhänger einer ekstatischen Religion werden, aber auch nicht eines glühenden, fanatischen Atheismus. Er wird statt dessen vielleicht ein gleichgültiger, berechnender katholischer Gottesdienstbesucher werden oder ein gleichgültiges, berechnendes Mitglied einer herrschenden kommunistischen Partei. Das hängt von seiner Umwelt ab. Ein Unterschied zwischen Religiosität und Nicht-Religiosität – wie soll sich der genetisch codieren lassen, wo doch in allen nur vorstellbaren relevanten Hinsichten die Unterschiede innerhalb der Religiösen und der Nicht-Religiösen viel größer sind als zwischen den beiden Gruppen? Ist es denn vorstellbar, daß es Gene gibt, die den Unterschied zwischen der Denk- und Gefühlswelt eines gläubigen Theologen wie Schleiermacher und eines Ungläubigen wie Marx codieren? Und ist der Unterschied zwischen diesen beiden in so gut wie jeder Hinsicht nicht viel kleiner als der zwischen z. B. Schleiermacher und einem fundamentalistischen Prediger im Bible Belt oder einem schwärmerischen Pfingstler in Uganda?

    „Die Frage, die sich somit stellt, lautet: Wieso ist es bereits Biologismus, wenn man Unterschiede in Verhaltensmerkmalen bzw. -eigenschaften biologisch zu erklären versucht? Warum wird die Funktion des Denkorgans gemeinhin kategorial anders bewertet als die Funktion irgend eines anderen Organs? Für mich beginnt der Biologismus (Biologie als Ideologie) erst dort, wo ein wertendes Moment in die Beschreibungen der Naturphänomene hinzukommt, oder wenn man meint, irgendwelche Werte aus der Biologie ableiten zu können.“
    In dem Artikel hab ich das ja auch geschrieben, aber noch ein anderes Kriterium für Biologismus genannt, nämlich das Kriterium jeder Ideologie: auf der Hand liegende der Ideologie widersprechende – hier nicht-biologische – Erklärungen werden einfach nicht zur Kenntnis genommen, mit der extremen Konsequenz, daß aus einer empirischen Wissenschaft eine Weltanschauung wird, diese Wissenschaft sozusagen als für das Gebiet aller anderen Wissenschaften ebenfalls zuständig erklärt wird. „-ismus“ bedeutet ja zunächst einmal einfach eine Überdehnung der Erklärungsansprüche, werten muß da noch gar nicht vorkommen. „Ökonomismus“ bedeutet etwa, daß man alle gesellschaftlichen Phänomene ökonomisch erklären zu können meint und nichts anders mehr sieht als Ökonomie.

  37. @Holzherr

    Sie zitieren mich: „Fürs normale Leben sind die genetischen Unterschiede offenbar unwichtig.“ Dann schreiben Sie: „Die obige Aussage kann nur bedingt stimmen. Es hängt nämlich sehr stark davon ab, was man mit normalen Leben meint. Ludwig Trepl meint mit dieser Aussage, dass für das berufliche und persönliche Fortkommen des Durchschnittsmenschen … die Gene keine grosse Rolle spielen. Das mag stimmen.“

    Sie haben natürlich recht: ich bestreite nicht die genetischen Ursachen für Krankheiten. Das wußte man schon immer („in dieser Familie sitzt der Krebs“), man weiß es heute nur genauer. Auch für geistige Leistungen gilt das; es gibt angeborenen Schwachsinn, und der ist zum Teil durch die embryonale Umwelt, zum Teil genetisch bedingt.

    Ich meine aber nicht das Fortkommen des Durchschnittsmenschen. Das könnte ja heißen, daß die unterdurchschnittlich Erfolgreichen ihren Erfolg ihrer Genetik zu verdanken haben. Ich meine: Jeder, den wir üblicherweise als geistig gesund bezeichnen, kann die Leistungen erbringen, die für einen Generaldirektor oder Professor nötig sind, wenn auch vielleicht nicht für einen Hegel oder Adorno. Sie schreiben „andere als Durchschnittsmenschen kann es ja nach LT nicht geben“. Wie kommen Sie darauf? Natürlich gibt es Menschen, die mir und Ihnen weit unterlegen sind und solche, die uns weit überlegen sind, und daran haben ihre glücklichen Anlagen ihren Anteil. Aber ohne geeignete Umwelt entfalten sich die nicht, und man kann grundsätzlich nicht wissen, ob Goethe nicht dann, wenn er in der Umwelt eines beliebigen Fuhrknechts aufgewachsen wäre, nicht ein schlechterer Dichter als dieser Fuhrknecht geworden wäre. Da bräuchte man einen eineiigen Zwilling von Goethe.

    „Gerade wenn man sich wie Ludwig Trepl oder ein paar Kommentatoren hier Lebensgerechtigkeit wünscht, dann muss man, falls diese schon aus biologischen Gründen nicht besteht, sie über Eingriffe herstellen. Stichwort: genetische Reparatur, Retortenbabys (allerdings eher Konsensbabys als Individualwunsch-Babys wenn man Lebensgerechtigkeit wünscht).“
    Da sprechen Sie allerdings ein Problem an, bei dem ich nicht weiter weiß. Wenn jemand eine Erbkrankheit hat, ob die nun zu körperlichen Defiziten führt oder zu geistigen, und man die gentechnisch heilen könnte, dann sollte man sie heilen; nicht, weil eine Ideologie gesellschaftlicher Gerechtigkeit das gebietet, sondern weil man Verantwortung hat für diese Menschen, d. h. weil die Vernunft es gebietet. Aber die Entwicklung der dazu nötigen Mittel ermöglicht es vielleicht irgendwann, „Konsensbabys“ herzustellen, und dann geschieht das hochwahrscheinlich auch, und die Frage ist, ob man eine Gesellschaft, in der das geschieht, wollen darf. Die (demokratische, sozialistische) Idee der Gerechtigkeit trägt zweifellos diese Gefahr in sich. Die (liberale) gegenteilige Idee trägt dagegen in sich, daß diese Menschen als Abfall betrachtet werden. Man sieht, daß das, was ich in dem Artikel über den Zusammenhang von (Neo-)Liberalismus und Biologismus geschrieben habe, Mängel hat. Auch eine konträre Ideologie scheint eine besondere Verbindung mit Biologismus zu haben.

  38. @Geoman

    »Wenn es wie – wie man immer häufiger liest – Krankheiten gibt, die mit Hautfarben oder Ethnien korrelieren und es ferner Medikamente gibt, die je nach Hautfarbe, Ethnie oder Region, aus der ein Patient kommt, anders, d. h. besser oder schlechter wirken, dann geht die ganze höhere Philosophiererei über Genetismus und Rassismus ziemlich an der Realität und dem Wohl unsere Spezies vorbei.«

    Ich denke, das sind zwei unterschiedliche Dinge, die Korrelation von Ethnie mit bestimmten Krankheiten, und Medikamente, die in Abhängigkeit der individuellen genetischen Ausstattung besser oder schlechter wirken.

    Die Sache mit den “ethnischen Medikamenten” hat sich im Großen und Ganzen doch als ziemlicher Flop erwiesen, oder nicht?

  39. @Ludwig Trepl

    Wenn ich das bisher Gesagte zum Artbegriff jetzt richtig verstehe, dann gibt es im Grunde keinen großen Dissens, was den ontologischen Status der biologischen Art(en) angeht.

    Somit kann ich zu einem ganz anderen Punkt kommen, nämlich dem Biologismusvorwurf, der mir hier etwas vorschnell erhoben wird.

    An einer anderen Stelle schreiben Sie (an Michael Blume gerichtet):

    »Ich habe nur etwa[s] gegen den Biologismus. „Religion“ ist kein Merkmal wie Körpergröße oder Haarfarbe.«

    sowie:

    »Das bestreite ich eben: daß Religion etwas ist, das auf einer Ebene liegt wie Sprache und Musik. Es ist ein vollkommen anderes Phänomen.«

    Ich hingegen bin der gleichen Meinung wie Thomas Grüter, der (in einem ganz anderen Zusammenhang) schreibt:

    …] der Glaube an unsichtbare Akteure und an physikalisch unmögliche Zusammenhänge sind Bestandteil unseres normalen menschlichen Denkens.«

    Wenn also Religiosität per Definition der Glaube an unsichtbare Akteure ist und wenn die Fähigkeit zum normalen menschlichen Denken ein evolutiv entstandenes Merkmal ist, dann ist Religiosität bzw. die Fähigkeit zur Religiosität ebenso ein biologisches Merkmal wie die Fähigkeit zum Spracherwerb oder wie die Farbe der Augen (blaue Augen z.B. = areligiös, braune Augen = religiös, mit allen Schattierungen dazwischen).

    Nun wissen wir aber, dass nicht alle Menschen religiös werden oder braune Augen haben, wohl aber alle eine Sprache erwerben (müssen). Es gibt also tatsächlich einen gravierenden Unterschied zwischen dem Erwerb einer Religion und dem einer Sprache.

    Doch darauf kommt es mir hier nicht an. Mir geht es um die genetische Basierung der Eigenschaft Religiosität. Dass Religiosität nicht bei allen Menschen vorkommt, muss nicht ausschließen, dass es ein biologisches Merkmal ist. Die Zunge rollen können auch nicht alle Menschen, ohne dass man deshalb an der genetischen Grundlage dieser Fähigkeit zweifeln würde.

    Für eine genetische Determiniertheit der Religiosität spricht auch die Tatsache, dass man die Religiosität nicht willentlich herbeiführen oder ablegen kann, so etwas geschieht einfach mit einem. Oder, wie Sie selbst an anderer Stelle schrieben: “Man kann eben nicht glauben, was einem paßt.”

    Eine genetische Determiniertheit, oder sagen wir lieber: genetische Grundlage, wäre auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Religiosität ausschließlich im Laufe der Kindheit erworben würde. Denn auch die Fähigkeit, Religiosität erwerben zu können, könnte ja nur in der biologischen Struktur des Gehirns begründet sein, eine Struktur, über die manche — genetisch bedingt — eben verfügen, und andere eben nicht.

    Oben wurde die Intelligenz angesprochen. Diese ist natürlich auch zu 100% von den Genen abhängig, in dem Sinne, dass ohne Genaktivierungen kein Lernen möglich ist. Die Umwelt kann nur über Gene strukturelle Veränderungen herbeiführen. Und welche Strukturveränderungen durch Lernen stattfinden, hängt in hohem Maße davon ab, welche Strukturen bereits bestehen.

    “Genetischer Determinismus” darf also nicht falsch verstanden werden. Gene determinieren selbstverständlich keine Handlungen, weder die guten noch die schlechten. Aber sie schaffen die Strukturen, die gute oder schlechte Handlungen möglich machen. Diese Trivialität scheint mir allzu oft übersehen zu werden.

    Die Frage, die sich somit stellt, lautet: Wieso ist es bereits Biologismus, wenn man Unterschiede in Verhaltensmerkmalen bzw. -eigenschaften biologisch zu erklären versucht? Warum wird die Funktion des Denkorgans gemeinhin kategorial anders bewertet als die Funktion irgend eines anderen Organs?

    Für mich beginnt der Biologismus (Biologie als Ideologie) erst dort, wo ein wertendes Moment in die Beschreibungen der Naturphänomene hinzukommt, oder wenn man meint, irgendwelche Werte aus der Biologie ableiten zu können.

    Biologistisch wäre für mich z.B. die Behauptung, Religiöse seien aufgrund höherer Kinderzahlen evolutionär erfolgreicher als Nichtreligiöse. Zum einen, weil damit eine biologische Theorie, die zur Erklärung der Herkunft und des Wandels der Arten entwickelt wurde, auf ein soziales Phänomen der Gegenwart angewendet wird. Zum anderen deshalb, weil “evolutionärer Erfolg” sowieso allen rezenten Arten attestiert werden muss, also auch dem Homo sapiens in toto. Ferner, weil eine solche Behauptung einen biologischen Kausalzusammenhang impliziert, für den es so (bislang) keine Belege gibt, und schließlich, weil die Rede vom evolutionären Erfolg einer Teilpopulation zudem impliziert, eine bestimmte biologische Varietät der Spezies Mensch sei einer anderen biologisch überlegen (eben hinsichtlich des Fortpflanzungserfolgs — wobei natürlich außer Frage steht, dass manche Menschen aus rein physiologischen Gründen bezüglich der Reproduktion benachteiligt sind).

  40. Hardware und Software

    @Ludwig Trepl
    Gleichheits-Hypothese (Zitat)

    Fürs normale Leben sind die genetischen Unterschiede offenbar unwichtig. Jeder weiß das, und doch bremst das den Aufstieg des Biologismus nicht.

    Die obige Aussage kann nur bedingt stimmen. Es hängt nämlich sehr stark davon ab, was man mit normalen Leben meint. Ludwig Trepl meint mit dieser Aussage, dass für das berufliche und persönliche Fortkommen des Durchschnittsmenschen (andere als Durchschnittsmenschen kann es ja nach LT nicht geben) die Gene keine grosse Rolle spielen. Das mag stimmen. Ganz anders sieht es in anderen Lebensbereichen aus, beispielweise was die Neigung zu Krankheiten wie Asthma, Diabetes, arterieller Hypertonie oder Alzheimer angeht. Oder nur schon die Schnelligkeit und die Auswirkungen des Alterns. Es gibt unzweifelhaft eine familiäre Langlebigkeit. Allgemein unterscheiden sich Menschen im Alter stärker als in der Jugend – unter anderem weil genetische Unterschiede mit dem Alter eine immer grössere Rolle spielen.

    Schicksalsergebenheits-Hypothese (Zitat)

    Wenn man die so sehr erwünschte Aussichtslosigkeit eigenständigen Handelns nicht mehr einer Gottheit zuschreiben kann, weil man ja aufgeklärt ist, dann bastelt man sich eine aufklärungskompatible Schicksalsgöttin, die Genetik.

    Tatsache ist, dass Schicksalsergebenheit und Glaube an biologische Determiniertheit vor 30 oder 50 Jahren sehr weit verbreitet und sogar in der praktizierten Gläubigkeit (katholische und protestantische Kirche) fest verwurzelt war und gar gepredigt wurde.

    Wenn heute der Biologismus oder genetische Determinismus wieder an Boden gewinnt, dann vor einem völlig neuen Hintergrund. Heute sind wir alle geprägt von den Erfolgen des Menschen in der Technik und im Engineering, das bis in die sozialen, finanziellen (Finanz-Engineering) und politischen Bereiche hinein geht. Wer heute vom Wirken der Gene überzeugt ist, kommt deshalb schnell zum Schluss, dass es Verbesserungs-, eben Engineering-Bedarf gibt. Gerade wenn man sich wie Ludwig Trepl oder ein paar Kommentatoren hier Lebensgerechtigkeit wünscht, dann muss man, falls diese schon aus biologischen Gründen nicht besteht, sie über Eingriffe herstellen. Stichwort: genetische Reparatur, Retortenbabys (allerdings eher Konsensbabys alls Individualwunsch-Babys wenn man Lebensgerechtigkeit wünscht).

  41. Sind ethnische Medikamente rassischtisch

    Wenn es wie – wie man immer häufiger liest – Krankheiten gibt, die mit Hautfarben oder Ethnien korrelieren und es ferner Medikamente gibt, die je nach Hautfarbe, Ethnie oder Region, aus der ein Patient kommt, anders, d. h. besser oder schlechter wirken, dann geht die ganze höhere Philosophiererei über Genetismus und Rassismus ziemlich an der Realität und dem Wohl unsere Spezies vorbei.

    Ich würde sogar verlangen, dass ein Mediziner bei der Anamnese ausdrücklich ethnische Riskofaktoren einbezieht, wenn es denn dem Wohl des Patienten dient.

    Im Prinzip muss sich doch nur herumsprechen, dass Anderssein und Minder- oder Höherwertigkeit zwei ganz verschiedene Dinge sind. Um dies klar zu machen, braucht es wenig Philosophie, sondern nur gesunden Menschenverstand.

  42. @ Martin Holzherr und @ Chris

    „Die Wissenschaft in allen dem Menschen direkt betreffenden Disziplinen aber erklärt uns regelmäßig, es gäbe erhebliche Anteile an Vererbung von Eigenschaften über die Gene….“

    Dieser Eindruck kommt daher, weil der Zeitgeist es hören will und die Medien darüber berichten. „Die Wissenschaft“ erklärt uns auch regelmäßig das Gegenteil, nämlich daß der Einfluß der Gene sehr gering ist, daß Menschen zu einer Körper- und Denkakrobatik in der Lage sind, die man früher für ganz ausgeschlossen hielt – genetisch bedingt ausgeschlossen. Das ist sogar im Allgemeinbewußtsein angekommen, weil man solche Leute im Fernsehen bewundern kann, aber es hilft nichts: Es wird nicht bemerkt im einschlägigen Diskurs und in den einschlägigen Medien. „Die Wissenschaft“ ist die Genetik (und die Hirnforschung, jedenfalls Biologie). Daß es andere Wissenschaften gibt, in denen man z. B. zeigen konnte, daß unter bestimmten Umständen ganz unabhängig von der speziellen genetischen Ausstattung die Menschen allesamt zum Erlernen von diesem und jenem fähig sind, kommt nicht vor. In meinem Artikel habe ich auf ein Großexperiment hingewiesen, das doch zu denken geben sollte, aber nicht gibt: Egal aus welcher „Ethnie“ einer stammt – sie mag biologisch den westlichen Menschen noch so unähnlich sein –, wenn er früh in die westliche Kultur kommt, unterscheidet er sich bald von den indigenen Westlern in rein gar nichts. Fürs normale Leben sind die genetischen Unterschiede offenbar unwichtig. Jeder weiß das, und doch bremst das den Aufstieg des Biologismus nicht.

    Man will es halt so, das dürfte einen guten Teil der Erklärung ergeben. Es ist angenehm, fremdgesteuert zu leben, es entlastet. Wenn man die so sehr erwünschte Aussichtslosigkeit eigenständigen Handelns nicht mehr einer Gottheit zuschreiben kann, weil man ja aufgeklärt ist, dann bastelt man sich eine aufklärungskompatible Schicksalsgöttin, die Genetik. Man merkt nicht, daß man bei Lichte besehen dem archaischen, mythologischen Denken gar nicht viel voraus hat.

  43. @ “Christian Hoppe”

    Entschuldigung, es muß “chris” statt “Christian Hoppe” heißen, da war der Computer schuld, der merkt sich Namen, de er sich gar nicht merken sollte.

  44. Drohen neuzeitliche Amazonenkriege?

    Bald werden die Gender-Mainstreaming-Apologet/innen Recht bekommen, dass es keine genetischen verhaltensrelevanten Unterschiede zwischen Mann und Frau gibt, denn durch Östrogene im Trinkwasser und Weichmacher in Kunststoffflaschen wird unsere Gesellschaft immer weiblicher.

    vgl. z. B. hier:

    http://www.news.de/…nkwasser-maenner-impotent/1/

    Wir sollten uns deshalb nicht wundern, wenn wegen der immer rarer werdenden Macho’s zukünftig so etwas wie neuzeitliche Amazonenkriege ausbrechen.

  45. @ Christian Hoppe

    Sie haben geschrieben:
    „Der neue Rassismus muß Genetismus heissen. Denn der hat nichts mit Hautfarbe mehr zu tun. Der hat mit Intelligenz … zu tun.“

    Das meine ich auch, nur kann man da nicht von (neuem) Rassismus sprechen, darum habe ich von (neo-)liberalem Biologismus gesprochen. In diesem Gen-Determinismus sind alle Individuen verschieden, und zwar genetisch bedingt verschieden, d.h. Milieu, Lernen, Selbsterziehung usw. helfen da nichts.

    Aber es ist eben kein Rassismus. Die Menschen teilen sich nicht in Gruppen, in denen Hautfarbe, Haarform und Intelligenz unweigerlich oder hochwahrscheinlich kombiniert sind. Schon gar nicht bilden die Gruppen eine Gemeinschaft, der die Einzelnen verpflichtet sind. Niemand fühlt sich jemandem besonders verbunden, nur weil der gleiche Verbrecher- oder Intelligenzgene hat. Und auch in den Abstammungsgemeinschaften kann es individuell sehr verschieden zugehen. In einem Kind eines „Leistungsträgers“ können sich zufällig alles Dummheits-Gene der Vorfahren versammeln. Da muß er dann, wie ein Kabarettist (G. Schramm?) gesagt hat, „die Zeugung eines leistungsfähigeren Kindes ins Auge fassen“. Mit „Rasse“ hat also dieser Biologismus nichts zu tun. Er ist radikal individualistisch, eben „liberal“.

    Aber das kann sich ja – das wollte ich in dem Artikel sagen – ändern. Unter bestimmten Umständen (ich habe beschrieben, welche Denkbausteine ich für relevant halte) kann die Meinung wieder nach oben kommen, daß die Intelligenzgenträger und die Träger bestimmter körperlicher Merkmale usw. zusammen eine Rasse sind, von gemeinsamen Vorfahren abstammen, und einen gemeinsamen Kampf gegen andere Rassen zu führen haben.

  46. @Chris: Genom vielfältig nutzbar

    Das Genom sorgt in der personalisierten Medizin für eine bessere, eben personalisierte, Behandlung. Die Wirkung vieler Medikamente hängt nämlich von der Aktivität bestimmter Gene ab. Das wäre schon einmal eine positive Auswirkung des Wissens um biologische Unterschiede zwischen den Menschen. Natürlich kann man sich auch negative Auswirkungen vorstellen wie beispielsweise eine Auswirkung auf die Versicherungsprämie, wenn die Versicherung ein “schlechtes” Gen des Versicherungsnehmers kennt.

    Sie schreiben:

    Die Wissenschaft in allen dem Menschen direkt betreffenden Disziplinen aber erklärt uns regelmäßig, es gäbe erhebliche Anteile an Vererbung von Eigenschaften über die Gene….

    Das erklärt sie tatsächlich. Heute geben aber die meisten Genstudien nur Korrelationen zwischen einem Gen und einem Phänotyp an, also eine statistische Angabe, etwa ähnlich wie die Berechnung ihres zu erwartenden Lebensalters aufgrund einiger Parameter wie Genussmittelkonsum, Gewicht usw.
    Dann ergibt die Berechnung vielleicht ein zu erwartendes Alter von 82 Jahren. Doch sie können morgen schon von einem Auto überfahren werden.

  47. Martin Holzherr @chris ;Unterschiede leugnen hilft nicht 03.04.2012, 10:42

    “Unterschiede zwischen Menschen gibt es,…”

    -> Unbezweifelt von mir. Bisher stritt ich für die Idee, diese seien allein aufgrund den Umgebungsbedingungen zuzuschreiben. Die Wissenschaft in allen dem Menschen direkt betreffenden Disziplinen aber erklärt uns regelmäßig, es gäbe erhebliche Anteile an Vererbung von Eigenschaften über die Gene….

    An vererbte Eigenschaften kann ich prinzipbedingt nicht glauben. Anders ist es durchaus mit Merkmalen – was hierbei wohl unbedingt immer bedacht werden muß.

    Problematisch wird es eben immer dann, wenn Merkmale Eigenschaften beeinflußen – soweit, dass das Ergebnis zu erheblichen Einschränkungen führt. Und die wollte ich eigendlich verständlich oben beschreiben. Hat wohl nicht geklappt.

  48. …leugnen hilft nicht!?

    @Martin Holzherr @chris ;Unterschiede leugnen hilft nicht 03.04.2012, 10:42

    In der Domestizierung von Tieren (und Menschen) hat der Mensch nun ja schon tausende Jahre Erfahrung. Und er wird auch die Frau noch für den Arbeitsalltag domestizieren – gar mit Nachdruck für die Führungsetagen “Qualifizieren”.

    Bei der Genderidee hinsichtlich der Frau kommt es mir manchmal so vor, als ob ideologisch alle Unterschiede beiseite gewischt werden. Eben wegen der Ermöglichung von Gleichberehtigung imn Gesellschafts- und Arbeitsleben. Hier würde auch helfen, wenn es hiesse: “Unterschiede leugnen hilft nicht”… Wobei es auch hier innerhalb der Gruppe (Frauen) zu größeren Unterschieden kommt, als sie zur Konkurenzgruppe (Männer) im Schnitt sind.

    “Das Defizit existiert sowieso erst aufgrund einer Anforderung.”

    -> Ganz richtig. und die Anforderungen kann man ja anpassen (verringern). Mit der Anpassung der Anforderungen aber verringert sich auch das Ansehen in Gesellschaft. Und daraufhin der Wert der Leistung – woraufhin die Gegenleistung geringer ausfällt und nicht mehr für eine Schönheitsoperation (oder andere Reparaturmaßnahmen) ausreicht. Angesichts plädiere ich für Reparaturkostenübernahme…zuzüglich eine Art Entschädigung aufgrund von Unregelmäßigkeiten in der Lebensbiografie – denn die Einschränkungen haben noch Folgen anderer Natur wie etwa psychologische, Entwicklungsbehindernde und eben wohl auch soziologischer Natur.

    Das Ganze natürlich vorrausgesetzt wenn sich tatsächlich derart vieles in den Genen begründet wiederfindet, was bisher nur irgendwie imaginäres Einzelschicksal genannt wurde. Und die Tendenz geht ja schon eine Weile hin zu “alles genetisch”.

    Aufgrund der Problematik wäre es wohl diplomatischer, wenn man die Tatsache “alles genetisch” auch einfach vom Tisch wischt und sie gar verheimlicht… lieber keine weitere Forschung in der Genetik verfolgt. Abe wie gesagt: leugnen hilft nicht!

  49. Ab wieviel % fruchtbarer Mischlinge?

    @Ludwig Trepl

    Ich gehe mit Ihnen in dem Punkt d’accord, dass es unterschiedliche Artdefinitionen gibt, vor allem morphologische und genetische.

    Dass sich diese beiden Definitionen aber philosophisch betrachtet, kategorial unterscheiden, ziehe ich in Zweifel. Überhaupt habe ich Probleme mit dem Begriff ‘kategorial’. Ist dieser Begriff spezifischer als die von mir eher bevorzugten Begriffe ‘substanziell’ oder ‘gravierend oder nur philosophischer?

    Sie schreiben:

    “Wenn man die Vermutung hat, daß die Einzelorganismen alle verwandt sind, nämlich von einem Vorfahren abstammen und in einem Verzweigungsprozeß auseinander hervorgegangen sind, kann man die Verwandtschaftsverhältnisse als Kriterium bei der Merkmalsauswahl zu Hilfe nehmen.”

    Hierzu ist zu bemerken, dass Vermutungen über einen Verzweigungsgsprozess ausgesprochen stark theorieinfiziert sind. Erstens ist es eine Vermutung, dass sich hinter der Bildung von Arten Verzweigungsprozesse verbergen.

    Sollte es die tatsächlich regelmäßig oder auch seltener gegeben haben, sind Sie zusätzlich gezwungen, ursprüngliche von abgeleiteten Merkmalen zu unterscheiden, um Ihre Arten in ein Verzweigungsschema einordnen zu können, dass die Abstammungsverhältnisse widerspiegelt.

    Wie sie wissen, ist das nicht einfach oder höchst subjektiv, weil es z. B. keinen objektiven Maßstab dafür gibt, ob ein Merkmal abgeleitet oder konvergent ist.

    Ferner schreiben Sie:

    “Ich weiß nicht, ob Sie ein Problem damit haben, daß ich sage, daß der Artbegriff der Logik sich auf eine Klasse bezieht und der Biospeziesbegriff auf ein logisches Individuen, daß sie also kategorial verschieden sind – mit allen Folgen –, oder ob dieses Problem durch mein obiges Szenario gelöst ist.”

    Und:

    “Nun nehmen wir weiter an, in den nächsten –zig Millionen Jahren bis auf den heutigen Tag wären Millionen solcher Biospezies aus den ursprünglichen entstanden, aber kaum eine dieser Biospezies wäre eine ordentliche Biospezies, d. h. wie unsere angenommenen ursprünglichen, die von den anderen im Hinblick auf die Fortpflanzungsmöglichkeit vollständig isoliert sind. Und es wären allerlei komplizierte Dinge entstanden, z. B. Ringspezies. Dann wäre der Biospeziesbegriff immer noch nicht obsolet: denn es hat ja einst ordentliche, die Definition voll und ganz erfüllende Biospezies gegeben, und ein paar gibt es immer noch.”

    Die übliche Biospezies-Definition lautet, dass eine Art eine Gruppe von Individuen oder Populationen ist, die miteinander unter natürlichen Bedingungen fruchtbare Nachkommen hervorbringen.

    Daraus folgen mindestens zwei Probleme:

    Erstens, was bedeutet ‘natürlich’?: Also im Nationalpark, im Wildpark, im Naturschutzgebiet, am Stadtrand, in Intensivlandwirtschaftsgebieten oder gar im Zoo, wo es ja zweifelsohne auch noch restnatürliche Bedingungen gibt?

    Und zweitens was bedeutet ‘fruchtbare Kreuzung’?: Bekanntlich sind alle Übergänge von vollständiger Fruchtbarkeit von Mischlingen (oder Kreuzungsppaaren) bis zu vollständiger Sterilität bekannt. Soll heißen, ab welchen zahlenmäßigen Anteil fruchtbarer Mischlinge bei einem Kreuzungspaar ist nun das Biospezies-Kriterium für eine Artdefinition erfüllt.

    Wenn wir nun beispielsweise festlegen, dass bei 90 % fruchtbarer Mischlinge das Kriterium für eine Biospezies erfüllt ist, sprechen wir dann noch über Individuen oder über ein Merkmal?

    Ich plädiere für Merkmal! Auch wenn Sie sich jetzt vielleicht in Ihrer Sichtweise auf Ihren konstruierten, in der ‘Natur’ wohl nicht oder kaum existierenden Idealtypus zurückziehen.

  50. @chris ;Unterschiede leugnen hilft nicht

    Unterschiede zwischen Menschen gibt es, nicht nur aufgrund anderer Ausbildungs- und Sozialisationswege, sondern auch biologisch und genetisch vorgegebene. Das würde auch niemand bezweifeln. Offensichtlich gibt es ja schon unterschiedliche Geschlechter.

    Problematisch werden die Unterschiede erst, wenn man sie qualifiziert und in eine Rangfolge bringt. Deshalb gibt es ja beispielsweise die Genderforschung, deren Hauptaussage ist, dass “qualititative/kompetitive” Unterschiede zwischen den Geschlechtern sozialen Ursprungs sind und die echten Unterschiede, das unterschiedliche Geschlecht keinen Qualitätsunterschied in Bezug auf die Anforderungen im Beruf oder in der Gesellschaft impliziert. Ähnlich wird natürlich auch bezüglich Rassenunterschieden argumentiert, wenn man überhaupt anerkennen will, dass es Rassen gibt.

    Im Gegensatz zu ihnen sehe ich das eigentliche Problem im Versuch den Menschen wie einen Zuchthengst, eine milchgebende Kuh oder einen anderen Leistungerbringer auf seine Leistungen zu reduzieren und Menschen einen Wert für die Gesellschaft und Wirtschaft zuzuordnen, der dann auch ihren absoluten Wert bestimmt. Deshalb finde ich ihre letzte Aussage besconders problematisch: (Zitat)

    Man kann nur hoffen, dass es parallel dazu (der vollständigen Entschlüssellung und dem vollständigem Verständnis der Gene) auch zu Entwicklung von Methoden kommen wird, diese genetisch bedingten Defizite vollständig “reparieren” zu können.

    Ein Defizit existiert sowieso erst aufgrund einer Anforderung. Ein Defizit ist nur dann “unentschuldbar” oder muss repariert werden, wenn dieses Defizit schwerwiegende Folgen hat. Wer rein ökonomisch denkt, kommt vielleicht wirklich zum Schluss, dass Defizitäre ausgeschlossen ja vielleicht sogar ausgemerzt werden müssen. Eine moderne Form der Ausmerzung ist die genetische Reparatur.
    Schon heute “reparieren sich” immer mehr Menschen indem sie beispielsweise zum Schönheitschirurgen gehen und es gibt neben Selbstwertgründen heute auch ökonomische Gründe das zu tun. Sind doch schöne Menschen erfolgreicher – auch in der Wirtschaft.
    Die genetische Reparatur wäre der logische nächste Schritt. Das Endresultat wäre eine Optimierung des Humanpotentials. Aus Ökonomiesicht etwas positives, für mich jedoch ein grosser Verlust an “herkömmlicher Menschlichkeit”.

  51. keine Rassenideologie im “Genetismus”

    Der neue Rassismus muß Genetismus heissen. Denn der hat nichts mit Hautfarbe mehr zu tun. Der hat mit Intelligenz, mit Sozialisationsfähigkeit, mit neuronaler Evolution zu tun. Die Androhung bald jedermans Genom zu entschlüsseln wird es in der Folge geradezu zwangsläufig ans Licht bringen, was es dahingehend Unterschiede zu entdecken gbt.

    Es ist zuweilen heute schon “alles genetisch” bedingt, erklärt uns aber nicht, wie diese genetischen Termini zusammenhängen – bleibt also den plausiblen und trifftigen Beweis schuldig. Krankheit ist genetisch, Intelligenz ist genetisch, physische Leistungsfähigkeit ist genetisch, … eben alles Grundlegende sei heute schon genetisch. Leider erkenne ich noch keinen Beweis dafür – habe aber trotzdem erhebliches Unbehagen bei der Frage der Determinierung von Entwicklungsfähigkeit. Die heute öffentlich erfahrbaren korrellationen von Genen mit Intelligenz, von Genen mit Krankheit, von Körpergröße mit Genen…. ersacheinen mir eben nur Korrellationen zu sein – keinen BEweise für genetische Bedingtheit.

    Von Gleichberechtigung kann unter solchen Bedingungen keinen Rede sein – wenn einer sein Recht schon aus Entwicklungsdefiziten gar nicht wahrnehmen kann. Die besonders poetische Aussage, es könne jederman in diesem Lande (oder auf dieser Welt) nach seiner Facon glücklich werden, hilft einem dann auch nicht mehr weiter, denn das erwünschte Angebot von Möglichkeiten entspricht nicht der Nachfrage aufgrund der Qualifikationen eines “genetisch verhinderten” (hochwertigen) Individuums.

    Man kann nur hoffen, dass es parallel dazu (der vollständigen Entschlüssellung und dem vollständigem Verständnis der Gene) auch zu Entwicklung von Methoden kommen wird, diese genetisch bedingten Defizite vollständig “reparieren” zu können.

  52. @ Balanus und @ Geoman

    Ich hätte nicht gedacht, daß es so schwierig ist, die überaus einfache Sache, um die es mir geht, verständlich zu machen. Um all die biologischen und forschungspraktischen Fragen (was die Einheit der Evolution ist, und ob die Taxonomen die Insekten danach bestimmen, ob sie reproduktiv voneinander isoliert sind – natürlich tun sie das nur ausnahmsweise, das habe ich ja auch geschrieben –, usw.) geht es mir gar nicht, das berührt meine Argumentation nicht im Geringsten. Ich stimme dem, was Sie, Herr Menting, in Ihrem Mayr-Nachruf schreiben, zu bis auf den Satz „So werden von der modernen Forschung … Arten nicht mehr als reale Objekte, sondern als äusserst subjektive Gebilde (»Konstrukte«) betrachtet“; nicht von „der“ modernen Forschung, sondern von manchen modernen Forschern. Und Biospezies sind auf jeden Fall subjektive Konstrukte genau in dem Sinne, wie alle Individualbegriffe subjektive Konstrukte sind. Aber manche Konstrukte haben eben reale Objekte. Dazu gleich.

    Im Übrigen geht es argumentationslogisch nicht, was Sie da machen: Ich sage, es geht mir um kategoriale Unterschiede (also um etwas „Philosophisches“), und das tun sie damit ab, daß ich „das ganze“ mit „einem Schuß Philosophie“ würze und kommen dann zu ganz anderen Fragen, zu denen ich gar nichts gesagt habe. Und dann meinen Sie, ich „schwadroniere“. Aber um das beurteilen zu können, müßten sie erst einmal verstanden haben, was ich sage. Es könnte ja sein, daß ich schwadroniere, also viele Worte um nichts mache. Ich jedenfalls bilde mir ein, daß kaum einer der Begriffe, die Sie da nennen, in meinem Argumentationsgang überflüssig war.

    Ich versuche es noch einmal ganz einfach, ohne irgendwelche Bezüge zu all den Fragen, an denen Sie meinen, da hätte ich unrecht. Vergessen Sie alles, was Sie über Biologie wissen, außer daß es Einzelorganismen mit verschiedenen Eigenschaften gibt sowie sexuelle und asexuelle Fortpflanzung.

    Man stelle sich vor, es gebe auf der Erde nur Lebewesen mit asexueller Fortpflanzung. Um deren Vielfalt überschaubar zu machen, klassifiziert man, so wie man es auch mit der Vielfalt der Häuser, der Steine und der Musikinstrumente machen kann und meist auch macht. Man ordnet die Einzelorganismen Klassen zu aufgrund von Merkmalen, die man im Prinzip willkürlich definiert. Wenn man die Vermutung hat, daß die Einzelorganismen alle verwandt sind, nämlich von einem Vorfahren abstammen und in einem Verzweigungsprozeß auseinander hervorgegangen sind, kann man die Verwandtschaftsverhältnisse als Kriterium bei der Merkmalsauswahl zu Hilfe nehmen. So erhält man eine unterste Klasse, die „Art“, mehrere von denen gehören einer „Gattung“ an, usw.; auch nach unten kann man weitere Klassen nach dem gleichen Prinzip bilden (z. B. Rassen), bis man beim individuellen Lebewesen angekommen ist, da hört es auf.

    Nun entstehen, nehmen wir an, bei einem asexuellen Fortpflanzungsakt Organismen, die sich nur weiter fortpflanzen können, wenn vorher eine Vereinigung mit einem Organismus, der auch aus diesem Fortpflanzungsakt hervorgegangen ist (Geschwister), stattgefunden hat. D. h., sexuelle Fortpflanzung entsteht. Alle Einzelheiten daran müssen hier nicht interessieren; nur, daß nun eine „Population“ von Organismen entstanden ist, die die Vereinigung mit anderen Mitgliedern dieser Population brauchen, um sich fortpflanzen zu können. Nun werden aus irgendwelchen Gründen die Mitglieder dieser Population einander so unähnlich, daß Individuen eines Teils der Population mit Individuen des anderen Teils sich nicht mehr erfolgreich (so daß die Fortpflanzung möglich ist) vereinigen kann, sondern nur noch mit den Individuen des einen Teils.

    Von diesem Moment an gibt es zwei „Biospezies“ (um den Namen müssen wir uns hier nicht streiten, natürlich sind die Arten der asexuellen Lebewesen auch biologische Objekte). Diese Biospezies sind voneinander nicht getrennt, weil sie verschiedenen Klassen, die aufgrund definierter Merkmale gebildet wurden, angehören, sondern weil sich ihre Angehörigen nicht erfolgreich paaren können. Die Merkmalsunterschiede könnten gegen Null gehen. Von diesem Moment an ist „Biospezies“ ein Begriff, der reale Objekte hat.

    Nun nehmen wir weiter an, in den nächsten –zig Millionen Jahren bis auf den heutigen Tag wären Millionen solcher Biospezies aus den ursprünglichen entstanden, aber kaum eine dieser Biospezies wäre eine ordentliche Biospezies, d. h. wie unsere angenommenen ursprünglichen, die von den anderen im Hinblick auf die Fortpflanzungsmöglichkeit vollständig isoliert sind. Und es wären allerlei komplizierte Dinge entstanden, z. B. Ringspezies. Dann wäre der Biospeziesbegriff immer noch nicht obsolet: denn es hat ja einst ordentliche, die Definition voll und ganz erfüllende Biospezies gegeben, und ein paar gibt es immer noch.

    Hätte es aber eine „ordentliche“ Biospezies nie gegeben, sondern nur relative Isolation, aber doch hinreichend, um die weitgehend getrennte Entwicklung von Genpools zu ermöglichen, dann wäre Biospezies trotzdem kein sinnloser Begriff, sondern etwas Ähnliches wie der Idealtyp in den Sozialwissenschaften. Da gibt es ja auch keine reale Gesellschaft, die die Definition von „Kapitalismus“ vollständig erfüllt. Der Begriff bezeichnet nur einen konstruierten Kern, sozusagen ein Modell, dem die Wirklichkeit mehr oder weniger nahe kommt und das dem Verständnis der Wirklichkeit dient, nicht sie abbildet. Meinen Sie , @Balanus, das, wenn Sie schreiben, daß die Biospezies eher ein „gedankliches, logisches Konstrukt denn eine konkrete, natürliche Einheit ist“? Damit könnte ich mich anfreunden, nur: es gibt halt auch „gute“ Biospezies. Wenn man freilich bedenkt, daß wohl kein Organismus in dem Sinne isoliert ist, daß er sicher wäre vor „Querübertragung“ durch Plasmiden, dann könnte es vielleicht doch sinnvoll sein, den Biospezies-Begriff allein im idealtypischen Sinn zu nehmen. Aber sicher bin ich mir da nicht, da müßte ich erst mal nachdenken.

    Ich weiß nicht, ob Sie ein Problem damit haben, daß ich sage, daß der Artbegriff der Logik sich auf eine Klasse bezieht und der Biospeziesbegriff auf ein logisches Individuen, daß sie also kategorial verschieden sind – mit allen Folgen –, oder ob dieses Problem durch mein obiges Szenario gelöst ist. Dazu will ich jetzt jedenfalls nicht auch noch etwas schreiben.

  53. Wo der Hund begraben liegt

    @ Ludwig Trepl

    Ich sag mal einfach, was mich an ihrer Art zu argumentieren stört. Sie sprechen von kategorialen Unterschieden und schwadronieren über Evolution, Speziation, Kladistik, Reproduktionsschranken, Biospezies, Rassen und Rassismus.

    Das ganze wird dann noch mit einem Schuss Philosophie oder philosophischen Verweisen gewürzt. Ich verstehe diese Art zu argumentieren nicht, u.a auch weil sie die Geschichte der Entwicklung und Verwendung von Begriffen nicht im Blick hat. Sagen Sie doch einfach deutlich in zwei Sätzen worauf Sie hinauswollen.

    Meine Auffassung kennen Sie, Reproduktionsschranken sind mehr Illusion als Realität und eine Art ist das, was ein Spezialist dafür hält also in etwa genauso universell oder kategorial, wie die von Ihnen in die Diskussion geworfene Zugspitze.

    In einem Nachruf über den angeblich größten Evolutionsbiologen des 20. Jahrhunderts Ernst Mayr habe ich einmal folgendes geschrieben:

    “Nach Mayrs Definition aus dem Jahre 1942 sind Arten Gruppen sich tatsächlich oder potentiell kreuzender natürlicher Populationen, die reproduktiv isoliert sind von anderen solchen Gruppen. Diese Definition wird häufig als »biologischer Artbegriff« bezeichnet. Dies ist jedoch eine verbale Überschätzung, denn der morphologische Artbegriff ist genauso biologisch, wie der reproduktive Artbegriff. Im biologischen Alltag hat der morphologische Artbegriff sogar die größere Bedeutung, denn kein Taxonom bestimmt z. B. Insekten (die bekanntlich die größte Artengruppe bilden) danach, ob sie reproduktiv voneinander isoliert sind. Darüber hinaus ist Mayrs Definition auf Lebewesen, die sich ungeschlechtlich vermehren, nicht anwendbar. Mayr selbst schätzt seine Leistung wie folgt ein: »Was ich gemacht habe, ist eine Definition der ?biologischen Art? vorzuschlagen, die so gut ist, dass kein Mensch sie hat verbessern können«. Ironischerweise hat Mayr sie später selbst verbessert, in dem er das problematische Wort »potentiell« gestrichen hat. Mit dieser geringfügig erscheinenden Auslassung hat Mayr die Zahl der Arten kurzerhand um einige hunderttausend vermehrt. Die mit der Definition von Arten verbundenen vielschichtigen Probleme können hier nur angerissen werden. So werden von der modernen Forschung (verblüffender Weise wie schon von Darwin) Arten nicht mehr als reale Objekte, sondern als äusserst subjektive Gebilde (»Konstrukte«) betrachtet. Pointiert formuliert: Eine Art ist das, was ein Spezialist dafür hält.”

    Da liegt der Hund begraben!

  54. @Geoman

    Nein, Sie verstehen mich nicht richtig, und darum rate ich Ihnen, besser nicht zu wetten. Sonst wetten Sie um etwas, was ich gar nicht gesagt habe, und umgekehrt. Ich verstehe allerdings nicht, was Sie nicht verstehen und wo ich mich folglich mißverständlich ausgedrückt habe. Vielleicht sollten Sie mal dem nachdenken, was ich über den kategorialen Unterschied geschrieben habe, das ist der Schlüssel. Kann aber auch sein, daß man mindestens ein einschlägiges Buch gelesen haben muß, so war es jedenfalls bei mir.

    Sie schreiben: „…den Begriff Biospezies theorie- oder(experimentunabhängig eindeutig definieren zu können. (Das halte ich für völlig vermessen. Es gibt weder eine universale Definition für Arten noch für Biospezies.“

    Was bedeutet das? Theorieunabhängig kann man den Biospeziesbegriff in der Tat nicht definieren (der Artbegriff der Logik ist in gewissem Senne allerdings theorieunabhängig definiert, s.u.). Es steckt eine Theorie dahinter, wie das Phänomen, daß die biparentalen Lebewesen (allein um die kann es hier gehen) Gruppen untereinander im allgemeinen ähnlicher und von anderen Gruppen im allgemeinen durch Merkmalsunterschiede getrennte Individuen zugehören, zu erklären ist: nämlich durch Entstehung von Reproduktionsschranken (manchmal durch Fusion, meist durch Aufspaltung, in der Regel oder aber selten über geographische Isolation und Gründerprozesse – da ist im Detail viel umstritten) und nachfolgende Entwicklung von Unterschieden in den Eigenschaften. Wäre diese Theorie falsch, d. h. gäbe es keine Reproduktionsschranken zwischen diesen Gruppen, wäre der Biospeziesbegriff obsolet. Gäbe es aber auch nur eine einzige vom Rest der Lebewesen durch eine Reproduktionsschranke getrennte Population (wie es ja wohl zu Beginn der Evolution biparentaler Linien gewesen sein muß), wäre der Begriff Biospezies nicht obsolet, er hätte nämlich ein Objekt, nämlich diese eine Population.

    Experimentabhängig kann nicht die Definition von Biospezies sein, wohl aber ist es die Bestimmung dessen, was eine bestimmte Biospezies ist. Denn wenn die Reproduktionsbarriere das Kriterium ist, dann müßte diese Barriere im Grunde in jedem einzelnen Fall festgestellt werden, bevor man von einer Biospezies spricht. Da das praktisch nicht geht, macht man es über Eigenschaften (z. B. morphologische oder Gensequenzen), die aber hier den Status von Indikatoren, nicht von Definitionsmerkmalen haben. Die Zugehörigkeit zu einer morphologischen Art dagegen setzt man experimentunabhängig fest, nämlich durch Definition dieser bestimmten Art durch Festlegung von Merkmalen, und stellt diese Merkmale dann durch Beobachtung – Vorhandensein des Definitionsmerkmals – fest. Eine Theorie braucht man dazu im Prinzip nicht; man kann auch würfeln, welches Merkmal man zur Definition benutzt. Theorieabhängig in gewissem Sinn ist hier nur die Feststellung der Merkmale (man muß sich auf die optischen Theorien verlassen können, um sagen zu können: diese Struktur, die ich unter dem Mikroskop gesehen habe, ist das Merkmal X). Welches Merkmal man dann tatsächlich nimmt, hängt selbstredend in der Praxis weitgehend von biologischen Theorien ab (etwa über die phylogenetische Relevanz des Vorhandenseins einer bestimmten Zahl von Streifen).

    Ihr Satz „Es gibt weder eine universale Definition für Arten noch für Biospezies“ ist zu ungenau. Wenn eine Biospezies ein singulärer Sachverhalt ist, dann ist „universale Definition“ darauf einfach nicht anwendbar. Es ist ja auch nicht sinnvoll, nach einer universalen Definition für „Zugspitze“ zu fragen. Sie wollen aber vielleicht auf eine universale Definition für den Begriff (!) Biospezies hinaus (also nicht für „die Zugspitze“, sondern für „hohe Berge“). Die gibt es, und wenn es mehrere gibt, dann heißt das nicht, daß sie nicht universal sind, sondern daß die Biologen darüber streiten, welche der als universal formulierten Definitionen die bessere ist. Es könnte auch sein, daß sich hinter dem Wort „Biospezies“ mehrere verschiedene Sachverhalte verstecken, die man noch nicht entwirrt hat, dann bräuchte es mehrere universale Definitionen.

    Mit der universalen Definition für „Art“ im Sinne der Logiker ist es ganz einfach. Die steht vermutlich in jedem Buch über Logik seit Aristoteles drin. „Genus proximum – differentia specifica“. Alle deutschen Liebesgedichte – das ist die Gattung -, die mit dem Buchstaben A anfangen, gehören zu Art A, alle, die nicht mit A anfangen, zur Art B. Alle Häuser mit Blechdach gehören zur Art A, alle mit Ziegeldach zur Art B, alle ohne diese Merkmale zur Art C. Ist Ihr Problem – Ihre Formulierung „Definition von Arten“, nicht für „Art“, deutet darauf hin – vielleicht, was der biologische (!) Sinn der Merkmalsfestlegung und ihrer Bewertung ist? Also etwa: soll man die Anwesenheit einer bestimmten DNS-Sequenz auf einem bestimmten Chromosom nehmen, soll man die Anwesenheit einer Wirbelsäule 10 mal so hoch werten wie die einer Borste? Soll man die ökologische Nische in Betracht ziehen oder nur morphologische Eigenschaften? Usw.; über diese Fragen wird es natürlich nie Einigkeit geben (darauf kann man getrost sein ganzes Vermögen verwetten). Wenn in Ihrem Satz „Biospezies“ auch im Plural gemeint sein sollte (also nach der Definition der einzelnen Biospezies gefragt sein sollte), dann ergäbe er allerdings keinen Sinn, denn die einzelne Biospezies als ein singuläres Objekt läßt sich logischerweise nicht definieren, so wenig wie man „Herrn Müller“ oder „die Zugspitze“ definieren kann.

  55. Spezies als logisches Individuum /@Trepl

    Danke für den Hinweis auf die Arbeiten von Hull und von Ghiselin. Philosophische Texte zur Biologie sind oft sehr erhellend.

    In diesem Fall sehe ich mich in meiner Auffassung bestätigt, dass der biologische Artbegriff eher ein gedankliches, logisches Konstrukt denn eine konkrete, natürliche Einheit ist.

    Eine entscheidende Schwäche in der Argumentation Ghiselins sowie Hulls scheint mir zu sein, dass beide (noch) davon ausgehen, die Spezies sei die Einheit der Evolution (das Gen ist die Einheit der Mutation, der Organismus die Einheit der Selektion).

    Ich gehöre zu denen, die meinen, die Einheit der Evolution sei das Gen, bzw. die genetische Information. Der Organismus ist die Einheit der Selektion, richtig, wobei manche auch Verbände oder Gemeinschaften von Organismen als Einheit der Selektion sehen (Gruppenselektion). Aber oberhalb dieses Levels gibt es m.E. nichts mehr, wofür wir Evolutionsmechanismen benötigen würden.

    (Michael T. Ghiselin: A radical solution to the species problem. Systematic Zoology 1974(23): 536-544;
    David L. Hull: Are species really individuals? Systematic zoology 1976(25): 174–191.)

  56. @ Dr. Webbaer

    „wir wollen ja nicht vom eigentlichen Thema weggehen“
    Ich will trotzdem noch etwas bei diesem Thema bleiben, weil ich, wenn ich nicht klargemacht habe, was ich eigentlich mit Begriff wie Liberalismus meine, nicht hoffen kann, daß man versteht, was ich sagen möchte.

    Ratzinger – wie die meisten Religionsvertreter – kritisiert in der Tat oft explizit die „französische“ Aufklärung, und in deren Tradition sieht er den Kommunismus. Das ist m. E. sinnvoll, den NS aber in diese Tradition zu stellen, halte ich für völlig verfehlt; da werden oberflächliche Übereinstimmungen – etwa auf der Ebene der Massenpsychologie – überbewertet und anderes, was den NS in zu große Nähe mit der eigenen, konservativen Weltanschauung rücken könnte, wird unter den Tisch gekehrt.
    Es ist verständlich, warum vor allem der „französische“ Flügel der Aufklärung von den Religionsvertretern kritisiert wird: hier ist ein militanter Atheismus entstanden, während in manchen der Länder, in denen der Liberalismus zur vorherrschenden Ideologie geworden ist, die Religion blüht (dummerweise für Herrn Ratzinger nicht die katholische). Das hat sicher damit zu tun, daß Religion und überhaupt „Werte“ für den Liberalismus Privatsache sind. Wer das mag, darf es, das geht den Staat nichts an. Für die Tradition der französischen Aufklärung aber ist es, wie für die Konservativen, nicht von vornherein gleichgültig, was der Einzelne über Gott und die Welt denkt, die Gemeinschaft hat sich hier vielmehr auch um das Innere der Menschen zu kümmern. Das führt im Extrem zu christlichen, islamischen oder kommunistischen Gottesstaaten.

    Daß wir uns hier nicht so leicht verstehen, liegt wohl hauptsächlich daran, daß alltagssprachlich Worte wie Liberalismus, Konservativismus, Demokratie, Kommunismus usw. in einem überaus unterschiedlichen Sinn verwendet werden. Bekanntlich ist ja in den USA ein „Liberal“ ein Linker, also das, was bei uns eher als einem Liberalen diametral entgegengesetzt gilt. Konservativ wird oft in einem ganz formalen Sinne verwendet – den bestehenden Zustand bewahren wollen –, so daß dann hartköpfige Kommunisten, wenn sie an der Macht sind, Konservative genannt werden. Usw. Oft bereitet das keine Probleme, weil der jeweilige Sinn aus dem Kontext klar genug ist. Aber in einem wissenschaftlichen Zusammenhang muß man sich auf klar definierte Idealtypen beziehen. Da können Sie mir natürlich sagen, daß meine Definition schlecht ist und man einen anderen Idealtyp konstruieren sollte. Aber wie sähe der dann aus?

  57. Idealtypisierung

    Ich vermute, Ihr Mißverständnis kommt hauptsächlich dadurch zustande, daß Sie sich nicht klarmachen, was eine idealtypische (!) Beschreibung solcher Gedankengebilde wie Liberalismus, Aufklärung oder Religion ist (…)

    Es scheint hier einen Dissens bei der Idealtypisierung des Liberalismus und dessen Vertreter zu geben.

    Ratzinger kritisiert regelmäßig und ganz zurecht den Werterelativismus und den daraus gefolgerten Nihilismus und bezieht sich dabei – aus dem Gedächtnis, so wie Ihre Quellenarbeit – explizit auf den französischen Zweig der Aufklärung, den er bemerkenswerterweise in einer Reihenfolge zum Sozialismus und zum Nationalsozialismus sieht und so letztlich zu den Verbrechen des 20. Jhd. gelangt.

    Ansonsten bleibt der Dissens bestehen. – Was aber nichts machen soll an dieser Stelle, wir wollen ja nicht vom eigentlichen Thema weggehen.

    Danke für Ihre Geduld,
    MFG
    Dr. Webbaer (dem bei teilweiser Zustimmung der Haupttext ein wenig zu komplex war, Rassismus schien ihm immer die Einordnung mit anschließender Wertzuweisung (in der Regel: Abstufung) zu sein)

    PS: Sehr interessante Artikel natürlich, danke!

  58. @Dr Webbaer: Volk von Teufeln

    Kein Zitat – sondern etwas, was man ständig in der Zeitung lesen kann, nicht nur Herrn Ratziger betreffend, sondern –zig katholische Repräsentanten der katholischen, seltener aber auch der evangelischen Kirche, auch des Islam. Allerdings ist das deshalb nicht immer so leicht zu erkennen, weil meist nicht „Liberalismus“ gesagt wird, sondern „Aufklärung“, aber Liberalismus gemein, und so die entscheidende Differenz verloren geht. Daß der Liberalismus ohne Tugend auskommt, ist für ihn essentiell, das können Sie im, sozusagen, Urtext des liberalen Paradigmas (von Hobbes) nachlesen und ebenso in der Sekundärliteratur dazu. Das war eben das Revolutionäre daran: Aus der christlichen Tradition kommend wurde nicht nur mit etwas spezifisch Christlichem gebrochen, sondern mit etwas, was wohl alle Religionen kennen. Es braucht für das Zusammenleben der Menschen keine Tugend, keine Innenorientierung an objektiven „Werten“ wie Gerechtigkeit oder Frieden, es reicht die kluge Verfolgung des Eigennutzes. Bei Kant – der alles andere als ein Repräsentant des Liberalismus war – heißt das dann so:
    “Das Problem der Staatserrichtung ist, so hart wie es auch klingt, selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben) auflösbar und lautet so: ‘Eine Menge von vernünftigen Wesen, die insgesamt allgemeine Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber insgeheim sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, daß, obgleich sie in ihren Privatgesinnungen einander entgegenstreben, diese einander doch so aufhalten, daß in ihrem öffentlichen Verhalten der Erfolg ebenderselbe ist, als ob sie keine solche bösen Gesinnungen hätten’.“ (Zum ewigen Frieden).

    Ich vermute, Ihr Mißverständnis kommt hauptsächlich dadurch zustande, daß Sie sich nicht klarmachen, was eine idealtypische (!) Beschreibung solcher Gedankengebilde wie Liberalismus, Aufklärung oder Religion ist und deshalb meinen, die vielen guten klassischen Liberalen, die z. B. für die Abschaffung der Sklaverei und für Meinungsfreiheit kämpften, können doch keine Menschen ohne Moral gewesen sein. Waren sie sicher auch nicht, aber darum geht es nicht.

  59. Vermessene oder wirre Argumentation

    @ Ludwig Trepl

    Ihre Argumentation in Sachen Biopezies ist für mich völlig wirre, d.h. nicht nachvollziehbar. Selbst das Licht hat bekanntlich je nach Experiment Wellen- oder Teilchencharakter. Und Sie glauben nun, wenn ich Sie richtig verstehe, den Begriff Biospezies theorie- oder
    experimentunabhängig eindeutig definieren zu können.

    Das halte ich für völlig vermessen. Es gibt weder eine universale Definition für Arten noch für Biospezies. Darauf verwettete ich mein bescheidenes Vermögen. Und dies ist bekanntlich ein Indiz dafür, was jemand tatsächlich für wahr hält.

  60. Quelle des Ratzinger-Zitats

    Lieber Herr Trepl, das Ratzinger-Zitat täte interessieren, denn so kann es Ratzinger nicht gemeint haben. Bedenken Sie vielleicht auch, dass die Europäische Aufklärung und zwar auch ohne dem französischen Zweig christlich (oder: christlich-jüdisch) grundiert ist und Werte eingearbeitet hat. Dem Satz “Für den Liberalismus braucht es keine Tugend.” kann hier somit nicht gefolgt werden. Zudem bedingt der Liberalismus für dessen Anhänger die Wertehaltung. Irgendwo muss hier ein Missverständnis sein. Das muss hier aber nicht ausgearbeitet werden, weil es vom Thema wegginge – nett wäre aber noch die Quellenangabe zum Ratzinger-Zitat.

    MFG
    Dr. Webbaer

  61. @Geoman (weiter oben)

    Zum Artbegriff: Das verwirrt in der Tat nicht nur Studenten, sondern auch die viele ausgewachsene Biologen derart, daß sie sagen: es gibt halt viele verschiedene Artbegriffe und nichts Genaues weiß man nicht. Ich habe das auch erst sehr spät in meinem Leben begriffen.

    Die Verwirrung kommt hauptsächlich daher, daß mit dem WORT Art zwei KATEGORIAL verschiedene Dinge gemeint sind und daß man den einen Artbegriff (Biospezies) auch – zudem sinnvollerweise – zu dem Zweck verwendet, zu dem der andere da ist: zum Klassifizieren.

    „Art X“ ist im Falle der Morphospezies, der Ökospezies, im Sprachgebrauch der Logiker und in der Alltagssprache ein Allgemeinbegriff, „Art X“ im Falle von Biospezies ist dagegen ein Individualbegriff, ein Name für ein Ding, ein singuläres Objekt, ein Individuum im Sinne der Logik. Das ist die kategoriale Verschiedenheit. Man weiß das seit einem halben Jahrhundert (vor allem durch Arbeiten von Hull und von Ghiselin), aber es hat sich noch nicht überall herumgesprochen.

    Wenn man das berücksichtigt, lösen sich die von Ihnen genannten Schwierigkeiten ganz leicht. (Genaueres dazu in dem in der obigen Antwort an @Balanus zitierten Lehrbuch-Kapitel von mir.) Mit „modernen genetischen Methoden“ kann man z. B. nicht feststellen, daß zwei Populationen (Ihr Beispiel „Waldelefanten“), die sich erfolgreich paaren und fortpflanzen, „in Wirklichkeit“ doch keine Biospezies sind – einfach definitionsgemäß nicht. Sie sind – bei geeigneter Definition der Artmerkmale – zwei Arten im kategorial anderen Sinne („Artbegriff der Logiker“). Merkmale auf Genomebene sind nicht prinzipiell verschieden von anderen (morphologischen, ökologischen, ethologischen), sofern diese erblich sind.

    Das heiß nicht, daß es keine Schwierigkeiten gibt hinsichtlich der Frage, ob etwas zu einer Biospezies gehört oder nicht. (Ich meine logische Schwierigkeiten, empirische gibt es natürlich eine Menge, doch das ist für unsere Frage irrelevant.) Das unterscheidet den Biospeziesbegriff aber nicht von den meisten grundlegenderen Begriffen in der Biologie und spricht nicht gegen ihn. Auch bei Begriffen wie Individuum, Organismus, Sexualität, Prädator, Mutualismus usw. usf. gibt es Fälle, bei denen man nicht sagen kann, ob sie darunter fallen oder nicht. Trotzdem sind das Begriffe, die sinnvoll sind. Sie beziehen sich auf bestimmte Phänomene und dafür sind sie sehr hilfreich (manche treffen sie sogar ganz genau), völlig unabhängig davon, daß es Phänomene gibt, für die sie ganz klar nicht brauchbar sind (bei Biospezies Organismen mit uniparentaler Vermehrung) oder Phänomene, wo es schwierig wird (z. B. die von @Balanus genannten Ringspezies oder die Möglichkeit der künstlichen Erzeugung von Individuum, die einer schon bestehenden Reproduktiongemeinschaft angehören, wie es bei Galeopsis tetrahit möglich ist).

    Der Artbegriff der Logik dagegen (wozu die morphologische Spezies gehört) bezieht sich nicht auf einen bestimmten Phänomenbereich, er läßt schlechthin auf alles anwenden, z. B. auch auf Zahlen und Gedichte.

  62. Die Volksgruppe der Waldelefanten

    Wenn ein Forscher im west- oder zentalafrikanischen Urwald auf eine Population von kleinwüchsigen Elefanten stößt, dann sprach man früher von der Entdeckung einer neuen Rasse und spricht heute von der Entdeckung einer neuen Unterart.

    Mit modernen genetischen Untersuchungsmehtoden kann der neuen Unterart sogar Artstatus, in diesem Fall als Waldelefant zugesprochen werden, auch wenn diese neue Art mit dem altbekannten Afrikanischen Elefanten kreuzbar ist.

    Wenn derselbe Forscher im selben Wald auf eine Population von kleinwüchsigen Menschen stößt, dann sprach man (vermutlich) früher von der Entdeckung einer neuen Rasse, darf aber heute nicht von der Entdeckung einer neuen Unterart sprechen, auch wenn genetische Untersuchungen zeigen, dass sie sich von der Volksgruppe (oder Population) der großwüchsigen Massai (entwicklungs-)genetisch erheblich unterscheiden.

    Ich kapiere zumindest die biologischen Gründe nicht, warum man eine durch augenscheinliche Merkmale erkennbare Population von Tieren anders als eine durch augenscheinliche Merkmale erkennbare Population von Menschen benennen oder klasifizieren soll.

    Da können durch nur historisch oder politisch motivierte Gründe dahinterstecken. Oder habe ich da irgendetwas übersehen?

  63. @Geoman

    »Ich vermute mal, dass Du diese Bemerkung eher harmlos meinst und nicht andeuten willst, dass Leute, die die Auffassung vertreten, dass es menschliche Rassen gibt, Rassisten sind. «

    Ich meinte es eher harmlos, und ob Leute, die der Auffassung sind, es gäbe menschliche Rassen, bereits Rassisten sind, ist eben die Frage. Wenn ich Ludwig Trepl richtig verstanden habe, muss die Antwort Ja lauten, wenn diese Leute Rassen als natürliche Entitäten begreifen.

    Eigentlich bezog sich meine Bemerkung aber nur auf diese Aussage Trepls:

    Weil aber die, für die Rassen etwas ganz anderes, nämlich natürliche Entitäten sind, auch von Rassen sprechen, ist man auf der sicheren Seite, wenn man nicht von Rassen, sondern von Populationen spricht („Afrikanern“), deren Genpool im Durchschnitt sich (selbstverständlich) von dem der Populationen anderer Gebiete unterscheidet.

  64. Sind Hundezüchter Rassisten?

    @ Balanus schrieb:

    “Dass Rassisten auch von Rassen sprechen, sollte dann keine Rolle spielen.”

    Ich vermute mal, dass Du diese Bemerkung eher harmlos meinst und nicht andeuten willst, dass Leute, die die Auffassung vertreten, dass es menschliche Rassen gibt, Rassisten sind.

    Trotzdem halte ich es für sinnvoll, auf den politischen Kampfbegriff “Rassisten” hier erstmal zu verzichten, weil er immer den Beigeschmack hat, dass derjenige, der ihn in die Diskusion wirft, sich damit einen moralischen Vorteil verschaffen will.

    Dies wollte ich erst mal loswerden oder klarstellen, bevor ich mich inhaltlich zu den aufgeworfenen Problemen oder Einwänden äußere, denn die Frage, ob Hundezüchter Rassisten sind, trägt bekanntlich auch nicht viel zur Klärung der Frage bei, ob es Hunderassen gibt.

  65. @Dr. Webbaer

    Ich hätte das genauer und ausführlicher formulieren müssen: Für den Liberalismus braucht es keine Tugend. Wenn jeder seinen eigenen Nutzen verfolgt, dann kommt ganz von selbst das Bestmögliche heraus. Man gehorcht den vom Staat zum Wohle der Einzelnen erlassenen Gesetzen aus Klugheit, nämlich aus Furcht vor Strafe, allenfalls weil man einsieht, daß man als Einzelner Nachteile hat, wenn die Gesellschaft in Unordnung kommt, aber nicht, weil z. B. Gerechtigkeit etwas ist, was der Mensch nun einmal anzustreben hat. Tugend, die die Menschen quasi von innen her leitet, ist unnötig. Das unterschied den klassischen („englischen“) Liberalismus von der demokratischen („französischen“) Aufklärung, für die Tugend essentiell war im Staat, entsprechend gab es ja auch einen ausgeprägten Tugendkult in der französischen Revolution. Die Tugend wurde dann später, seit dem 19. Jahrhundert, zum „Leben nach Werten“ statt nach dem Prinzip des Eigennutzes. Das bedeutet natürlich nicht, daß einzelne Liberale unmoralische Menschen sein müssen, so wenig wie Konservative besonders moralische sein müssen, weil der Konservativismus dauernd vom Verfall der Moral redet; das liegt auf einer ganz anderen Ebene. Was ich eben gemacht habe, ist eine idealtypische Beschreibung einer Denkfigur.

    Das mit der Quellenarbeit habe ich nicht verstanden.

  66. @Geoman

    In der Tat, Rassen unterscheiden zu können und Rassen unterscheiden ist ein Unterschied. Darum trifft meine Antwort nicht so ganz den Punkt. Ich glaube trotzdem nicht, daß Sie recht haben.

    Kinder und Menschen überhaupt typisieren, aber dazu, einen Typ mit einer Rasse zu identifizieren (ihn also u. a. für genetisch bedingt zu halten) braucht man „Theorien“, also auch, um Rassen unterscheiden zu können; man weiß ja sonst nicht, ob es nicht ein Typ anderen Charakters ist. Diese Theorien stehen einem Kind kaum und standen auch den Menschen nicht immer zur Verfügung. Ich glaube auch nicht, daß die Menschen kultur- bzw. lernunabhängig die Typen so bilden, daß sie sich mit dem, was man gemeinhin für Rassen hält, decken, bzw. das funktioniert nur in Ausnahmefällen. Auf der Basis von Sinneseindrücken werden Eigenschaften des betrachteten Gegenstands gebildet, und diese werden durch Auswahl und Bewertung zu „Gestalten“ zusammengefügt (das ist nicht anders in der klassischen Geomorphologie). Unter den „Handlungsanweisungen“, die dieses Gestaltbilden lenken, dürfte es nur wenig geben, was nicht kulturbedingt ist: Ich vermute, in Ihrem Bilder-Experiment würden alle Kinder der Welt (na, vorsichtshalber: Europas) Schwarze und Nicht-Schwarze unterscheiden. Aber manche würden halt, wie mein Enkel, der Chinesen und typische Nordafrikaner nicht von den typischen Europäern unterscheiden konnte, von den Nicht-Angemalten einen weiß angemalten Typ unterscheiden, und das ist nun mal keine „Rasse“. Das paßt ja auch zu dem, was man aus der Geschichte kennt: „Mohren“ kannte man in Europa schon lange, vielleicht schon immer, aber daß Mongolen, Chinesen und Indianer anders aussehen als Europäer, war bis vor recht kurzer Zeit unbekannt.

    Ein Erwachsener kann ja problemlos auch viele andere Typisierungen nach dem Aussehen machen. Bauern sehen (bzw. sahen bis vor kurzem) ganz anders aus als Städter, fast jeder sieht das. Aber um zu wissen, daß dieser Unterschied kein genetisch bedingter ist, daß also die Bauern keine Rasse sind, braucht er zu „Theorien“ verarbeitete Erfahrungen. Z. B. muß er wissen, daß dieser Unterschied auch innerhalb von Familien, deren einer Teil in die Stadt gezogen ist, zu erkennen ist. Es gibt Beispiele aus früheren Jahrhunderten, da hielt man diesen Unterschied für ererbt und die Bauern für eine Rasse.

    Zu Ihren Anmerkungen zum Artbegriff demnächst.

  67. Nachfrage

    Der Liberalismus – da hat Herr Ratzinger, der nicht müde wird das zu betonen, recht – kennt keine Werte.

    Wie bitte? – Sagt Ihnen die Europäische Aufklärung etwas und der daraus hervorgegangene Liberalismus? Heute sind demzufolge alle zugelassenen Parteien in einem Mindestumfang liberal. Ansonsten werden sie in der Regel verboten.

    MFG + weiterhin viel Erfolg!
    Dr. Webbaer (der sich aber hauptsächlich mit der Bitte meldet die Quellenarbeit um das Ratzinger-Zitat zu ergänzen)

  68. @Geoman

    »Der biologische Artbegriff ist aber durch so viele Ausnahmen aufgeweicht, dass Arten mit Sicherheit keine natürlichen Entitäten sind. Wissenschaftler schätzen, dass auch in der freien Wildbahn 10 % aller Tiere und 20 % aller Pflanzen (erfolgreich) bastardieren. «

    Einerseits finde ich es schon schwierig, den Begriff “natürliche Entität” auf biologische Arten anzuwenden. Weil ich mir unter diesem Begriff eigentlich etwas Konkretes vorstelle. Und der Artbegriff ist doch eher etwas Abstraktes, Erdachtes. Man denke da z.B. auch an die so genannten Ringspezies.

    Andererseits halte ich den Begriff für sehr sinnvoll, brauchbar und zweckmäßig. Ich kann mir keine Biologie ohne den Artbegriff vorstellen.

    Aber wenn schon die Spezies keine “richtige” natürliche Entität ist, um so mehr gilt das doch dann für die Subspezies, Population, Ethnie oder was auch immer.

    Vermutlich ist es sinnvoll, die Hausmaus (z.B.) in Unterarten zu untergliedern, sonst hätte man das wohl nicht gemacht. Und ganz offenbar war es auch machbar. Zumindest ist mir kein Dissens in dieser Frage bekannt.

    Ganz anders ist die Situation beim Menschen. Trotz der äußerlichen Verschiedenheit und den klar erkennbaren Typen scheint eine allseits befriedigende und in sich widerspruchsfreie Klassifizierung in Unterarten oder Rassen nicht möglich zu sein.

    Wenn es anders wäre, spräche m.E. nichts dagegen, dann auch von Unterarten oder biologischen Rassen zu sprechen, und nicht etwa nur von “Populationen”, wie Ludwig Trepl meint. Dass Rassisten auch von Rassen sprechen, sollte dann keine Rolle spielen.

  69. Wenn ich mir die Reaktionen auf Sarrazins Buch “Deutschland schafft sich ab” – gelesen habe ich es nicht – ins Bewusstsein rufe, scheint mir die Sorge, der Rassismus könne wieder gesellschaftsfähig werden, mehr als begründet. Das Buch selbst ist nach allem, was ich davon kenne, wohl durchaus – zumindest stellenweise – explizit rassistisch, wenn auch zu klären wäre, inwieweit sich Sarrazin auf andere Kulturen bezieht und inwieweit es um Herkünfte von Menschen aus anderen Teilen der Erde geht. (Öffentlich gesprochen soll er von einem Juden-Gen haben, auch das kann ich aber leider nicht belegen.) Was ich der Diskussion um das Buch entnommen habe, ist dass Sarrazin sich gerne auf empirische Forschung stützt. Dies führt er anscheinend gerne als Argument auf, weshalb ihm seine “provokativen” Thesen nicht angelastet werden könnten: Sie seien wissenschaftlichen Erkenntnissen entnommen. Dass es absolut möglich ist, aus der Fülle der heutigen empirischen Forschung viele Quellen herauszuziehen, die zur eigenen Ideologie passen, spricht selbstverständlich gegen diese Verteidigung. Da es heute üblicherweise nicht nur für fast jede These empirische Belege gibt sondern auch für die jeweilige Antithese, macht die Glaubwürdigkeit einer einseitigen Darstellung als “wissenschaftlich belegt” selbstverständlich absurd.
    Das ändert aber überhaupt nichts daran, dass er mit seinen – wohl biologistischen, das müsste aber näher untersucht werden – Thesen einen Nerv getroffen hat: Wie ihm erschien, wie ich aus persönlicher Erfahrung und aus Berichten weiß, plötzlich aufzugehen, dass die Antipathien, die man z. B. gegen Muslime hegte, ja offensichtlich begründet seien – nicht etwa einfach aufgrund ihrer kulturellen Fremdheit, sondern weil diese Leute auch z. B. zur Faulheit veranlagt oder bildungsscheu seien. Dies sei wissenschaftlich erwiesen. – Wie gesagt, ob Sarrazin das so geschrieben hat, weiß ich nicht. So gelesen wurde er aber. Wieviel Einfluss z. B. dem Islam und wieviel einem anderen Genpool zugeschrieben wird, ist mir nicht recht klar. Ich vermute aber, dass das z. T. auch vermischt wird. Das klingt doch schon sehr nach Ökologismus? Möglicherweise interpretiere ich das falsch, aber liegt nicht auch heute die Gefahr des Ökologismus gerade in dieser Vermischung von Vorstellungen minderwertiger Rassen und Vorstellungen “falscher” Kulturen? Die Fremden bilden ja dann eine biologische und kulturelle Einheit, wobei die ungeliebten Eigenschaften, die ihnen zugeschrieben werden, einfach dem gesamten “Volk” zugeschrieben werden.
    Ich würde übrigens keineswegs behaupten, der Rassismus sei bis unter die Schwelle der Wahrnehmbarkeit verschwunden – zumindest unter den weniger gebildeten ist er es sicher nicht. Ich beobachte fast täglich offenkundigen Rassismus, bei jungen wie bei alten Leuten. Bei einigen Leuten, die ich näher kenne, sitzt er ziemlich tief.
    Dass Sarrazins Buch nicht viel mehr und fundierter öffentlich kritisiert wurde, ist mir bis heute ein Rätsel. Vermutlich lag es daran, dass viele keine Lust hatten, diesen Schund zu lesen. Gleichzeitig hatte er ja auch noch “aktuelle soziale Probleme” aufgegriffen, die vorher angeblich nicht diskutiert worden waren, weshalb sich viele berufen fühlten, ihn zu verteidigen. Mag Sozialismus auch für die Erklärung des Rassismus nebensächlich sein: Das Soziale als Tarnschild für entfesselte Radikalisierung scheint mir nach wie vor, wie im National-Sozialismus, gut zu funktionieren. Meines Wissens ist Thilo Sarrazin immer noch als Mitglied der SPD geduldet.

  70. @Schorsch

    Zur ersten Frage: Da stimme ich zu. In dem hier in diesem Blog unter „Idee der Landschaft“ vorgestellten Buch habe ich genaue diese Dreiteilung gemacht, von der Sie sprechen (bzw. ich referiere das ganze Buch hindurch Arbeiten, die sie machen). Für die Frage des Rassismus allerdings sehe ich bisher nicht, warum es notwendig sein sollte, eine dritte Groß-Ideologie einzuführen, ich glaube, es reicht zum Verständnis, wenn man die Gesellschaftsvorstellungen von Liberalismus und von Konservativismus berücksichtigt.

    Zur zweiten Frage: Das ist sicher sehr schwierig. Vorläufig würde ich sagen (allerdings kommt mir das recht oberflächlich vor): Insofern der Konservativismus der Versuch ist, das Wesentliche des christlichen Weltbilds in die Moderne zu retten, hat die rassistische Vorstellung von Gesellschaft als organischer Gemeinschaft konservative Wurzeln (in nicht-rassistischen, „kulturalistischen“ Gemeinschaftsvorstellungen). Das ist auf jeden Fall subjektiv so: Es war (und ist meist noch) das Bestreben der Konservativen, das christliche Weltbild vor dem Angriff der Moderne und insbesondere der Aufklärung zu retten; ob man sagen kann, es war auch objektiv so, oder ob vielleicht in der Aufklärung nicht weniger Christliches steckt als in der konservativen Gegenaufklärung, wäre eine andere Frage. Jedenfalls wenn das rassistische Weltbild konservative Wurzeln hat, diese aber wieder christliche, ist insofern der (völkische) Rassismus „christlich“. Das hat unter den Autoren, die ich kenne, vor allem Ulrich Eisel ausgearbeitet.

    Andererseits war aber die Abkehr vom Christentum wohl ein entscheidender Schritt bei der Transformation konservativer in rassistische Ideologien. Das ist in der Literatur vor allem im Zusammenhang mit der Lebensphilosophie und der Kritik insbesondere an Nietzsche behandelt worden. Indem Gott (und seine Säkularisationsform „Geist“ im Sinne der idealistischen Philosphien) wegfällt bzw. degradiert wird und „Leben“ den obersten Platz einnimmt – „Leben“ ist das, dem letztlich alles dient und zu dienen hat –, entsteht eine gefährliche Konstellation. Was die genau impliziert, weiß ich nicht mehr. Nach meiner Erinnerung stehen dazu in dem Buch von Schnädelbach über die deutsche Philosophie des 19. Jahrhunderts sehr lehrreiche Sachen.

  71. Hunderassen, ja – Menschenrassen, nein

    @ Ludwig Trepl

    Ich habe nicht gesagt, dass ein drei oder von mir aus auch vier- oder fünfjähriges Kind Menschenrassen (oder spricht man political correct besser von Ethnien) in seinem Alltag unterscheidet, sondern unterscheiden kann.

    Um dies zu zeigen, müsste man einen geeigneten Versuchsrahmen aufbauen, in dem man einem Kind z. B. die passenden Bilder vorlegt, die es nach Ähnlichkeiten sortieren soll.

    Würde der selbe Versuch mit Hunderassen gemacht, dann bekämen wir sicherlich ein ähnliches, wenn auch weniger strittiges oder ‘anstößiges’ Ergebnis.

    Die Anwendung des biologischen Artbegriff ist zwar für bestimmte Fragestellungen und für viele Spezies, mit denen es Biologen und Laien zu tun haben, ganz sinnvoll.

    Der biologische Artbegriff ist aber durch so viele Ausnahmen aufgeweicht, dass Arten mit Sicherheit keine natürlichen Entitäten sind. Wissenschaftler schätzen, dass auch in der freien Wildbahn 10 % aller Tiere und 20 % aller Pflanzen (erfolgreich) bastardieren.

    Außerdem gibt ja auch noch den morphologischen Artbegriff, der bekanntlich ebenfalls in den Wissenschaften angewendet wird, vor allem in der Paläontologie aber auch bei Entomologen.

    Sicher ist, dass es keine einheitlichen oder gar universalen Kriterien gibt, nach denen Lebewesen zu Arten erklärt oder klassifiziert werden. Jede (Fach-)Disziplin hat da so seine eigenen Vorstellungen und Traditionen. Soll heißen die Kriterien nach denen Schmetterlinge, Amphibien, oder Gräser zu Arten erklärt werden, sind unvergleichlich und sogar oft ziemlich willkürlich nd unsystematisch.

    Artklassifikationen sind folglich tendenziös und Arten wohl bestenfalls Tendenzen.

  72. @Jürgen Bolt

    Zur ersten Frage: Pferd und Esel gelten als zwei verschiedene Biospezies, weil die reproduktive Abgrenzung vollständig ist: Die Paarung müßte erfolgreich sein, wenn man von einer noch nicht ganz erfolgten Trennung sprechen können sollte. Es kommen aber nur unfruchtbare Nachkommen zustande. Es ist ein Fall der sogenannten postzygotischen Isolation.

    Zweite Frage (Reproduktion zwar noch möglich aber zunehmend weniger häufig und erfolgreich): Das scheint mir ein Übergangsphänomen, was aber nicht dazu zwingt, die übliche kladistische Redeweise (bei vollständiger Isolation hat die Aufspaltung stattgefunden, es sind zwei Biospezies vorhanden, bei denen ich die Grenze „finden“ muß und nicht durch Definition „erfinden“) aufzugeben. Die Speziation ist ein „schlagartiges“ Ereignis, auch wenn es immer noch einige relativ erfolgreiche Hybriden gibt, d. h. solche, die sich erneut erfolgreich paaren können, aber von stark verminderter Fitneß sind, so daß die aus der einen in die andere Art eingedrungenen Gene sich dort nicht lange halten können. Der Begriff „Schlagartig“ ist in diesem Zusammenhang ähnlich berechtigt wie bei einer Geburt oder einer Zellteilung. Da entsteht auch „plötzlich“, „mit einem mal“ ein neuer Organismus bzw. es entstehen zwei/mehrere, wo vorher einer war, aber bei genauer Betrachtung zieht sich dieses Ereignis doch über einige Zeit hin, es gibt eine gewisse Zeitspanne, in der man nicht sagen können, ob wir es mit einem oder mit zwei Organismen zu tun haben. Ähnlich ist es beim Tod.

    Dritte Frage: Wenn man den Biospeziesbegriff als allgemeines Klassifikationsprinzip nimmt, dann ist er wegen der von Ihnen genannten Ausnahmen nicht sinnvoll; als allgemeines Klassifikationsprinzip taugt nur der Artbegriff der Umgangssprache oder der Logik, mit dem man nicht nur Lebewesen, sondern auch Häuser, Möbel oder Berge in Arten einteilen kann (mittels definierter Merkmale). Der Biospeziesbegriff ist aber kein allgemeines Klassifikationsprinzip, sondern beschreibt einen speziellen Sachverhalt, der nur bei Biparentalen auftritt. Dafür aber ist der Begriff überaus sinnvoll.

    Ich habe das alles in Kapitel 7.1 „zum Artbegriff“ meines Lehrbuchs „Allgemeine Ökologie. Bd 2, Population. Peter Lang, Frankfurt am Main usw., 2007“ näher ausgeführt. Allerdings bin ich für diese Fragen kein Spezialist, und die Literatur der Spezialisten-Diskussion ist riesig, da kann mir manches entgangen sein.

  73. Einige Fragen

    “Eine Biospezies aber grenze ich nicht durch Definition von Merkmalen ab, sondern sie grenzt sozusagen sich selbst ab, indem sie sich mit Individuen anderer Biospezies nicht erfolgreich fortpflanzt.”

    Gehören nach dieser Definition Pferd und Esel derselben Spezies an oder nicht?

    Wenn eine Spezies sich aufspaltet, und irgendwann die beiden neuen Spezien sich untereinander nicht mehr fortpflanzen können: kann man dann wirklich sagen, daß der Artbegriff bei vollendeter Aufspaltung ‘gefunden’, bei den notwendig zu durchlaufenden Zwischenphasen, in denen Reproduktion zwar noch möglich aber zunehmend weniger häufig und erfolgreich ist, ‘erfunden’ wird?

    Und wie sinnvoll kann ein Artbegriff überhaupt sein, der auf zwei Domänen, Bakterien und Archaeen, gar nicht und auf die dritte, Eukaryoten, kaum anwendbar ist?

  74. Zwei Fragen @ Ludwig Trepl

    Mich würden zwei Fragen interessieren, eine allgemeine und eine spezielle:

    (1) Die Allgemeine: Warum taucht in diesen Diskussionen um das Verhältnis politischer Ideologien (und naturwissenschaftlicher Theorien) immerzu nur der Konservativismus und der Liberalismus (sowie deren Varianten, z. B. der Rassismus und der Neoliberalismus, und manchmal auch das demokratische Weltbild) auf, aber nicht der Sozialismus? Hat er keine Bedeutung?

    (2) Die Spezielle: Wenn der Konservativismus (bzw. die Denkfigur der ökologischen Gemeinschaft) einerseits in einem bestimmten Verhältnis zum Rassismus steht andererseits aber auch zum christlichen Weltbild, in welchem Verhältnis stehen dann Rassismus und Christentum? Wäre nicht vielleicht hier die “Immunisierung” zu suchen?

  75. @Geoman

    Das entspricht nicht meinen Erfahrungen. Einer meiner Enkel unterschied im Alter von drei Jahren „Angemalte“ und „Nicht-Angemalte“. Etwas später kam eine dritte Rasse hinzu: ein besonders käsiges Mädchen war eine „weiß Angemalte“. Ein anderer, jetzt vierjähriger Enkel unterscheidet offenbar überhaupt nicht zwischen den weißen und den schwarzen Kindern in seinem Kindergarten. Jedenfalls ist das für ihn kein wichtigerer Unterschied als der zwischen dicken und dünnen, und auf den achtet er auch nicht.

    Kinder erkennen nicht Rassen, sondern allenfalls irgendwelche Körpermerkmale, die ihnen aus irgendeinem Grund auffallen. Und die sind ihnen manchmal wichtig, manchmal nicht, so wie sie auch in der Geschichte der Menschheit manchmal wichtig genommen wurden, manchmal gar nicht bemerkt. Im 19. Jahrhundert kämpften in Nordamerika „Weiße“ gegen „Rote“. 100 Jahre früher waren diese Rassen überhaupt noch nicht erfunden, man wußte von dem Unterschied nichts. Es kämpften statt dessen Christen gegen Heiden oder Zivilisierte gegen Wilde.

  76. Nur die Wissenschaft tut sich schwer

    Mein üblicher Kommentar zur Frage, ob es menschliche Rassen gibt, lautet:

    Jedes dreijährige Kind kann drei bis fünf menschliche Rassen unterschieden, nur die gebrandmarkte Wissenschaft tut sich schwer, kann aber, wie Balanus zurecht bemerkte, bei Mäusen ohne Probleme kaum unterscheidbare Subspezies entdecken oder konstruieren.

  77. @ Balanus

    Ja, so etwa. Es ist sicher komplizierter, hat u. a. auch mit dem Unterschied zwischen Klasse und Typ zu tun. Ich will demnächst etwas dazu schreiben. Aber im Wesentlichen scheint es mir so zu sein, wie sie schreiben.

    Bei asexuellen Organismen, etwa Bakterien, „erfindet“ man die Arten: Man legt fest: alles, was mehr als x % Übereinstimmung hinsichtlich der Gensequenzen zeigt, nenne ich eine Art. Ich könnte auch (x + 2) % sagen, dann hätte ich eine andere Art „erfunden“. Oder bei den Morphospezies: Ich definiere „drei Borsten“ als Artmerkmal, dann gehört ein bestimmtes Individuum zu einer bestimmten „erfundenen“ Art, hätte ich „4 Borsten“ als Artmerkmal definiert, würde es zu einer anderen „erfundenen“ Art gehören. Eine Biospezies aber grenze ich nicht durch Definition von Merkmalen ab, sondern sie grenzt sozusagen sich selbst ab, indem sie sich mit Individuen anderer Biospezies nicht erfolgreich fortpflanzt. Ich kann nicht sagen, Individuum X zähle ich von nun an zur Biospezies A aufgrund eines Merkmals, das ich als Artmerkmal definieren möchte. Wenn sie sich nicht erfolgreich paaren kann mit den Individuen der Biospezies A, dann gehört sie nun einmal nicht dazu. Biospezies A wird „gefunden“ (indem man feststellt, ob eine Reproduktionschranke da ist). „Erfunden“ wird hier, wenn man so will, nur die allgemeine Definition von „Biospezies“ (wenn auch nicht willkürlich erfunden, sie muß ja etwas Relevantes treffen in der Natur), nicht eine bestimmte Biospezies durch Definition bestimmter Merkmale.

    Das stimmt aber alles nicht ganz, es ist eher nur eine entfernte Analogie, wenn man sagt: bei den Rassen der Rassisten ist es wie bei den Morphospezies oder den Baktierenarten, sie sind in gleicher Weise „erfunden“ (obwohl es die Individuen natürlich wirklich gibt und die Arten als nützliches Mittel der Klassifikation auch „gibt“). Denn der Rassismus redet von der objektiven Existenz von Gegenständen ja da, wo es offensichtlich nicht möglich ist bei den Rassen. Dahinter steckt eine Vorstellung vom „Wesen“ der Dinge, die in der Biologie und überhaupt in der Naturwissenschaft keinen Platz hat.

  78. Entitäten

    »Denn Rassist ist […], […] wer überhaupt die Menschen in Rassen einteilt und meint, damit etwas Wesentliches zu treffen. Wer Rassen für sozusagen beobachterunabhängig gegebene Entitäten hält […], hat rassistische Auffassungen.«

    (Ich hoffe, meine Auslassungen haben den Sinn nicht entstellt.)

    Was wären denn beobachterunabhängig existierende Entitäten?

    Vielleicht könnte man Arten als solche bezeichnen. Eine weitere Unterteilung in Unterarten kann natürlich nur der Mensch vornehmen, aber die derart eingruppierten Tiere gibt es ja tatsächlich.

    Demnach gäbe es z.B. Mus musculus, die Hausmaus, beobachterunabhängig, Mus musculus musculus, die nordische Hausmaus, aber nur beobachterabhängig?

    Oder anders gefragt: Wurde M. m. spicilegus, die Ährenmaus, als natürliche Entität “gefunden” oder als künstliche Entität “erfunden”?

  79. @Martin Holzherr

    Lieber Martin Holzherr,

    Sie schreiben: „Von den 17 von Ludwig Trepl referenzierten Aufsätzen in Blogs mit Bezug zum Thema befasst sich kein einziger mit Ökologie oder gar mit dem Zusammenhang Ökologie/Ökologismus – Rasssismus. Auch im Blogbeitrag selber wird dieser Zusammenhang kaum ausgearbeitet. Dabei gibt dieser Beitrag doch schon im Titel und Untertitel vor, der Ökologismus sei das fehlende Puzzle-Teil, welches aus den neuen Biologismen einen neuen Rassismus schaffen könnte.“

    Ja, genau das wollte ich sagen: der Ökologismus ist das fehlende Puzzleteil. Das aber müßte ich auch deutlich gemacht haben. Ich vermute, das ist Ihnen entgangen, weil sie zu sehr auf das geschaut haben, was man Geodeterminismus nennt. Einen Zusammenhang mit dem Rassismus gibt es da in der Tat, über die Blut-und-Boden-Theorie, aber ich bin mir nicht sicher, ob der so unverzichtbar ist, auch wenn er in der Vergangenheit unverzichtbar war. Zudem – das habe ich verschwiegen – ist es erheblich komplizierter; die Blut-und-Boden-Theorie war z.B. alles andere als geodeterministisch. Für den NS ist das Blut wichtiger als der Boden: „Wie sehr auch zum Beispiel der Boden den Menschen zu beeinflussen vermag, so wird doch das Ergebnis des Einflusses immer verschieden sein, je nach den in Betracht kommenden Rassen.“ (Mein Kampf) Das Wichtigere am Ökologismus ist die organizistische Vorstellung von Lebensgemeinschaften. Das vor allem qualifiziert ihn zum „Puzzleteil“.

    Wenn ich dazu nichts in den „referenzierten Aufsätzen in Blogs mit Bezug zum Thema“ genannt habe, dann deshalb, weil ich nichts gefunden habe. Unter „Ökologismus“ findet man dort Polemiken gegen die Grünen, gegen den Klima-Alarmismus und die Mülltrennungsreligion, im allgemeinen von fanatischen (Wirtschafts-)Liberalen. Die blicken auf das politische Tagesgeschäft, aber was den Kern des von ihnen kritisierten „Ökologismus“ ausmacht, nämlich ein bestimmtes „organisches“ Bild von „Gesellschaften“, entgeht ihnen völlig. Literatur dazu gibt es natürlich, ich könnte Ihnen aus dem Stand Hunderte von Titeln nennen, das ist ja mein Beruf. Aber in Blogs findet man dazu fast nichts.

    Was Sie zur Romantik geschrieben haben, halte ich nicht für richtig, siehe dazu das entsprechende Kapitel in dem in diesem Blog unter „Idee der Landschaft“ besprochenen Buch.

    Zu Ihrer Meinung, daß die Ansätze, welche die „Tragfähigkeit eines Ökosystems oder einer menschlichen Population in einer gegebenen natürlichen Umgebung mit gegebenen Ressourcen beschreiben“ „mit Sicherheit stimmig“ sind, antworte ich demnächst, sonst wird es hier zu lang.

    Viele Grüße

    Ludwig Trepl

  80. Ökologismus => Rassismus: Referenzen?

    Von den 17 von Ludwig Trepl referenzierten Aufsätzen in Blogs mit Bezug zum Thema befasst sich kein einziger mit Ökologie oder gar mit dem Zusammenhang Ökologie/Ökologismus – Rasssismus. Auch im Blogbeitrag selber wird dieser Zusammenhang kaum ausgearbeitet.

    Dabei gibt dieser Beitrag doch schon im Titel und Untertitel vor, der Ökologismus sei das fehlende Puzzle-Teil, welches aus den neuen Biologismen einen neuen Rassismus schaffen könnte.

    Was versteht Ludwig Trepl unter Ökologismus ?

    Offensichtlich den Versuch oder die Überstrapazierung des Versuchs, biologischen Lebensgemeinschaften (Ökosphären) und klimatischen Änderungen einen Einfluss auf die Menschheitsgeschichte zuzuschreiben. Die Verbindung zum Rassismus wäre dann die nötige oder fehlende Anpassung an “Blut und Boden”.
    Ferner die Diskussion um “Nachhaltigkeit”, die eine organische Einheit von Land und Leuten schaffen will

    Für mich gibt es diese Gefahr des Ökologismus nicht, denn Begriffe wie Nachhaltigkeit, Ökologie oder die Überzeugung, dass auch Klimaveränderungen auf die Menschheitsgeschichte eingwirkt haben sind
    1) recht alt und schon aus der Zeit der Romantik bekannt
    2) ähnlich zu interpretieren wie die verwandten Phänomene der Romantik: Damals wurde eine Gegenwelt zur aufziehenden, die Landschaft und das Denken immer stärker bestimmenden Industrialisierung geschaffen. Heute wird mit Begriffen wie Biosphäre und Nachhaltigkeit eine Gegenwelt zur nahen Zukunft des Menschen als reines Stadtgeschöpf, das nur noch in seiner künstlichen Welt lebt, geschaffen. In beiden Fällen gewann der aktuelle Trend, also während der Romantik die Industrialisierung und heute die totale Verstädterung der Welt.

    Zudem sind die Ansätze welche das Verschwinden bestimmter Kulturen mit Phasen des Klimawandels in Zusammenhang bringen und die daraus gewachsenen Begriffe wie Carrying capacity welche die Tragfähigkeit eines Ökosystems oder einer menschnlichen Population in einer gegebenen natürlichen Umgebung mit gegebenen Ressourcen beschreiben mit Sicherheit stimmig. Die Maya-Hochkultur verschwand tatsächlich durch eine Phase von immer stärker werdenden Dürren, denn die damals schon grossen Städte brauchten recht grosse Nahrungs- und andere Ressourcen um alles am Laufen zu halten. Auch die Besiedelung Grönlands durch die Wikinger wurde durch eine mehrjährige Kältewelle beendet.
    Heute will sich der Mensch zunehmend von solchen äusseren Umständen unabhängig machen. Gerade darum wird wohl darüber diskutiert und nachgedacht. Unabhängig kann man sich mit Technologie machen. Nur wegen Wasserleitungen, die entsalztes Meerwasser nach Riad leiten gibt es dort überhaupt eine solch grosse Stadt. Und die Bedeutung solcher Techniken – wie der Meerwasserentsalzung – nimmt stark zu.
    Insoweit sind wir in einer ähnlichen Situation wie die Leute zur Zeit der Industrialisierung. Wir werden immer stärker von der von uns selber geschaffenen Umwelt abhängig und müssen uns in Erinnerung rufen, dass es bis anhin eigentlich anders war.

    Der Begriff Ökologie beschreibt bis jetzt ein natürliches System. Bald schon müssen wir einen ähnlichen Begriff für vom Menschen geschaffene Systeme finden, der die Summe aller Material- und Energieflüsse und das Zusammenwirken aller (menschlichen) Akteuere beschreibt, die die vom Menschen selber geschaffene Welt “bespielen”.