Erfahrungen mit interdisziplinärer Forschung

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Fast alle Wissenschaften sind interdisziplinär, und Disziplinen sind etwas anderes als Wissenschaften.

 

„Interdisziplinär“ nennt sich heute (wenigstens in Forschungsanträgen) ein Großteil aller Forschung. Es geht im folgenden darum, was „interdisziplinäre Forschung“ sinnvollerweise bedeuten kann, wo sie stattfindet, welche Schwierigkeiten Wissenschaftler haben, die sich darauf einlassen sowie darum, daß man zwischen Disziplinen und Wissenschaften unterscheiden sollte.

 

Der folgende Text[1] ist das Manuskript eines Vortrags, den ich vor einigen Jahren (ich kann leider nicht mehr feststellen, wann es genau war) vor einem Doktoranden-Kolloquium der Architekturfakultät der TU München gehalten habe.

 

Sie haben mich eingeladen, um über meine Erfahrungen mit interdisziplinärer Forschung zu sprechen. Als Architekten müssen Sie sehr oft mit Angehörigen anderer Fächer kooperieren, und für mich als Landschaftsökologen gilt ähnliches, denn da betreibt man Forschung oft, vielleicht sogar meist in großen Projekten gemeinsam mit Wissenschaftlern sehr verschiedener Herkunft. Das wird, vermute ich, Ihre Motivation gewesen sein, mich einzuladen. Ich will aber nicht über Erfahrungen aus interdisziplinärer Zusammenarbeit in Projekten (also temporäre Zusammenarbeit von Spezialisten) sprechen, sondern über Zusammenarbeit innerhalb einer in sich interdisziplinären dauerhaften Einrichtung, nämlich an meinen Lehrstuhl.

Über interdisziplinäre Zusammenarbeit in temporären Projekten gibt es eine umfangreiche Literatur. Fast alles, was über Inter- oder auch Transdisziplinarität geschrieben wurde, befaßt sich damit. Aber auch in dauerhaften Einrichtungen, vielleicht sogar vor allem in solchen, arbeiten Wissenschaftler zusammen, die verschiedenen Disziplinen angehören, und einzelne Personen vereinen oft in sich verschiedene Disziplinen.

Daß eine Forschungsarbeit interdisziplinär sei, steht heutzutage in jedem zweiten Projektantrag, und bei den meisten würde ich sagen – und sagen wohl die meisten –, daß das Etikettenschwindel ist. Was meine ich mit interdisziplinär?

Interdisziplinäre Forschung ist nicht bereits dadurch gegeben, daß man Wissen aus verschiedenen Disziplinen verwendet, und auch, daß man es nicht bloß aggregiert, sondern integriert, reicht nicht. Wenn das das Kriterium wäre, wäre die übergroße Mehrheit aller erkenntnisorientierten, „reinen“ – also nicht nur der angewandten, diese sind es ja sowieso – Wissenschaften interdisziplinär, vielleicht alles außer den „Formalwissenschaften“ Logik und Mathematik. Fast jede Wissenschaft enthält systematisch mehrere andere Wissenschaften in sich: die Chemie immer Physik und Mathematik, die Biologie immer Chemie, Physik und Mathematik, aber auch Geologie und anderes.

 

Angewandte Disziplinen sind immer in sich interdisziplinär, sagte ich. Beispiele wären die Medizin und die Ingenieurfächer. Selbst wenn die Aufgabe eng begrenzt ist: Bei der Lösung eines praktischen Problems kommt man nie mit Wissen einer Disziplin aus. Man braucht prinzipiell Wissen einer unbestimmten Anzahl von Disziplinen. Und doch haben alle Angehörigen einer angewandten Disziplin das gleiche Studium absolviert, sie haben dabei einen gemeinsamen Blickwinkel auf die Welt erworben, unter dem sie andere, hinzugezogene Disziplinen einordnen usw., und eine Reihe von auch als selbständige Einheiten existierenden Disziplinen gelten oft zugleich als selbstverständliche Bestandteile dieser angewandten Disziplinen.

Diese Art von „interdisziplinärer Forschung“ – Interdisziplinarität nicht nur in einer institutionellen Einheit, sondern sogar in einer Person – ist also der Normalfall disziplinärer Forschung und man sollte das Wort „interdisziplinär“ dafür nicht verwenden. Wirklich interdisziplinär ist, von jener zeitweiligen Zusammenarbeit in Projekten abgesehen, nur eine relativ kleine, aber doch keine sehr kleine Minderheit: Ab und zu wird ein Institut um ein besonderes, in keine einzelne Disziplin passendes, aber doch nicht nur temporäres Problem herum gegründet (Beispiel: Umweltforschung), oder spezielle Forschungsinteressen führen in eine solche Richtung, oder eine besondere Stellung im Lehrbetrieb macht es erforderlich, daß institutionellen Einheiten oder Personen keiner Disziplin angehören oder mehreren zugleich und/oder dauerhaft mit Vertretern anderer Disziplinen zusammenarbeiten.

Dennoch gehört die einzelne Arbeit, das einzelne Kapitel oder der einzelne Satz, den so ein interdisziplinärer Wissenschaftler schreibt, fast immer einer bestimmten Wissenschaft an. Interdisziplinäre Forschung heißt nicht Unabhängigkeit von der Aufsplitterung der Wissenschaft in Spezialgebiete oder Mischung von Wissenschaften, sondern bedeutet ständigen Wechsel zwischen Wissenschaften, die dabei nichts von ihrer scharfen Abgegrenztheit verlieren.

 

Bevor ich auf einen solchen Fall, nämlich meinen, zu sprechen komme, muß ich eine Vorbemerkung zu einer terminologischen und begrifflichen Verwirrung machen, die die Diskussion um Interdisziplinarität beherrscht und plagt (und von der auch das bisher Gesagte nicht frei ist): „Disziplin“ findet man oft synonym gebraucht mit „Einzelwissenschaft“ oder „Teilbereich der Wissenschaft“. Tatsächlich verbergen sich hinter solchen Wörtern mindestens zwei grundverschiedene Dinge:

Man muß unterscheiden zwischen sozialen-historischen und kognitiven-nichthistorischen Gebilden.

Das Wort Disziplin wie auch das Wort Wissenschaft wird oft für beides verwendet. Sinnvoll scheint mir – was oft auch gemacht wird –, „Disziplin“ für ein soziales-historisches Gebilde, „Wissenschaft“ für ein kognitives-nichthistorisches Gebilde zu gebrauchen; ich werde versuchen, mich im folgenden daran zu halten.

Eine Disziplin ist also ein soziales Gebilde, ähnlich dem, was man als „Wissenschaftlergemeinde“ bezeichnet. Im Umfang ist der Begriff nicht festgelegt, und es gibt auch keine klare Hierarchie. Es gibt die Disziplin der Karyologen, der Zellbiologen, der Biologen, aber auch, in diese hierarchische Ordnung nicht passend, der Genetiker und der Ornithologen. Eine Wissenschaft dagegen ist ein kognitives Gebilde und in gewissem Sinne, auch wenn sie sich in der Zeit „entwickelt“, ein nicht-historisches. In Poppers Philosophie müßte man es der „Welt 3“ zurechnen, und wir sprechen darüber meist normativ.[2] Wir sagen: Eine physikalische Erklärung muß in bestimmter Weise beschaffen sein; z. B. darf sie nicht teleologisch sein, sonst ist sie keine Erklärung, die in der Wissenschaft Physik zulässig ist, die als physikalisch gelten kann; wir sprechen also über Physik in einem normativen Sinn.

Disziplinen und Wissenschaften tragen im allgemeinen den gleichen Namen, z. B. „Biologie“ oder „Forstbotanik“ oder „Semiotik“, bzw. eine Disziplin pflegt nach einer Wissenschaft benannt zu sein. Das steigert die Verwirrung. – Wenn ich hier zwischen Disziplin und Wissenschaft nicht unterscheide, werde ich von „Fach“ sprechen.

Diese Unterscheidung zwischen Disziplin und Wissenschaft will ich durch ein paar Hinweise kurz illustrieren. Die Regeln einer Disziplin (soziales Gebilde) haben ihre Angehörigen in gewissem Sinne in der Hand. Sie können z. B. beschließen, ob eine Dissertation, deren „fachliche“ Zugehörigkeit umstritten ist, in ihrer Disziplin akzeptiert werden soll. Die Regeln einer Wissenschaft (kognitives Gebilde) haben die Wissenschaftler nicht in der Hand: Es gibt, neben der allgemeinen Logik, spezielle, ebenfalls „logisch“ genannte Regeln für bestimmte Gegenstandsbereiche; ihnen ist jeder, der eine bestimmte Wissenschaft betreibt, unterworfen. Man kann sie nicht beschließen, sondern muß sie herausfinden und hat ihnen zu folgen. Ein Naturwissenschaftler hat z. B. „Erklärungen“ zu liefern, er muß nicht „verstehen“ in dem Sinn, wie es ein Geisteswissenschaftler tun muß.

Ein Angehöriger einer bestimmten Disziplin ist im allgemeinen einer bestimmten Wissenschaft besonders verpflichtet – derjenigen, die seiner Disziplin den Namen gibt. Aber er muß sich nicht immer daran halten, was diese Wissenschaft verlangt, ohne sich damit doch aus der Disziplin auszuschließen. Ein Beispiel: Der Biologe Scherer (der an unserer Universität lehrt) sagt: Für die biologische Evolution ist keine biologische Erklärung möglich; statt dessen ist eine theologische notwendig. Hier widerspricht offensichtlich nicht die Biologie sich selbst. Sondern ein Mitglied des sozialen Gebildes Biologie (der Disziplin, der „Biologengemeinde“) bringt eine Erklärung, die nicht dem kognitiven Gebilde (Wissenschaft), das ebenfalls Biologie heißt, zuzuordnen ist, vielmehr einem anderen kognitiven Gebilde, der Wissenschaft Theologie (jedenfalls in seinem Verständnis). Niemand wird sagen, diese theologische Erklärung sei eine biologische, weil ein Biologie sie gibt: Er hat ja selbst gesagt, die Evolution sei biologisch nicht zu erklären. Er erklärt als Angehöriger der Disziplin Biologie, aber er erklärt die Wissenschaft Biologie für ungeeignet, dieses Phänomen zu erklären. Umgekehrt geben heutige Theologen (Angehörige der Disziplin Theologie) für die biologische Evolution im allgemeinen biologische Erklärungen – diejenigen, die ihrer Art nach in der Wissenschaft Biologie notwendig und in der Disziplin Biologie üblich sind. Dadurch, daß Theologen sie geben, sind diese biologischen Erklärungen nicht zu theologischen geworden.

 

Im Beispiel überschreitet ein Mitglied einer Disziplin (soziales Gebilde) bewußt – viel häufiger geschieht es unbewußt – die Grenzen der Wissenschaft (kognitives Gebilde), die seiner Disziplin den Namen gibt. Darüber hinaus ist es, wie oben schon angemerkt, für die allermeisten Wissenschaften (kognitive Gebilde) essentiell, auch Erklärungen zu benutzen, die anderen Wissenschaften zugehören. In einer bestimmten Wissenschaft setzt sich eine für diese Wissenschaft typische Erklärung aus typischen Erklärungen anderer Wissenschaften zusammen, und ein Angehöriger einer Disziplin, der eine bestimmte Wissenschaft den Namen gab, benutzt darum ganz selbstverständlich Erklärungen, die von Angehörigen anderer Disziplinen entwickelt worden sind. Eine biologische Erklärung kann zwar manchmal ohne Begriffe anderer Wissenschaften auskommen und ausschließlich rein biologische Begriffe benutzen (wie Reiz, Sexualität, Vererbung). In der Regel aber enthält eine biologische Erklärung (eine, die dem genügt, was der Logik des kognitiven Gebildes „Wissenschaft Biologie“ zufolge erlaubt und gefordert ist) chemische und physikalische Begriffe.

Das Wissen, das anderen Wissenschaften zugehört und der Arbeit anderer Disziplinen als der namengebenden entnommen wird, ist hier immer bezogen auf Fragen, die der Wissenschaft Biologie entstammen und die auch nur in der Disziplin Biologie interessieren. Was ein Biologe an chemischen oder physikalischen Resultaten erarbeitet – und das macht oft den größeren Teil seiner Tätigkeit aus –, interessiert in den Disziplinen Chemie und Physik nicht und ist für den Fortschritt der Wissenschaften Chemie und Physik nahezu nie von Bedeutung. Der Biologe handelt als Biologe, er geht von biologischen Fragen aus, wenn er sich der Chemie bedient. Es hat nichts mit interdisziplinärer Zusammenarbeit zu tun, wenn er dabei einen Chemiker befragt, weil er mit seinem eigenen chemischen Wissen nicht weiterkommt. Das ist vielmehr der Normalfall disziplinärer Forschung.

 

Erfahrungen mit interdisziplinärer Forschung: Interdisziplinäre Forschung innerhalb eines Lehrstuhls (Landschaftsökologie)[3]

 

Landschaftsökologie ist nicht per se interdisziplinär, sondern Teil der Disziplin Ökologie. Interdisziplinär wird die Forschung in dieser Disziplin aber dann, wenn sie versucht, sich selbst zu Gegenstand zu machen. Diese Art der Forschung ist mit einer Reihe von Problemen verbunden. Sie ist insbesondere nicht karrieredienlich.

 

Vor dem skizzierten Hintergrund möchte ich einiges über meinen Lehrstuhl sagen, den Lehrstuhl für Landschaftsökologie. Das will ich unter drei Fragen tun:

  • Ist Landschaftsökologie als Fach per se interdisziplinär?
  • Wenn nicht: warum verstehen wir uns trotzdem so (denn das tun wir)?
  • Welche praktischen Probleme treten bei dieser interdisziplinären Arbeit auf?

 

Zu (1)

Ist Landschaftsökologie per se interdisziplinär? Das behaupten viele. Es stimmt aber nicht. Landschaftsökologie ist Teil der Wissenschaft Ökologie, nicht eine Kombination von Ökologie und anderen Wissenschaften. Damit ist Landschaftsökologie als Wissenschaft ein Teil der Wissenschaft Biologie, weil die Ökologie ein Teil der Biologie ist.

Ob man Landschaftsökologie damit als eine Disziplin und als eine Disziplin – bzw. als Subdisziplin innerhalb der Disziplin Ökologie – bezeichnen kann, ist mehr als fraglich, denn „Landschaftsökologie“ nennen sich eine ganze Reihe sehr verschiedenartiger institutionelle Einheiten, die nicht alle untereinander in einer Weise verbunden sind, daß man von der Landschaftsökologie als einem sozialen Gebilde, einer Wissenschaftlergemeinde, sprechen kann. (So rechnen sich manche der Biologie, manche der Geographie zu.) Darum will ich nun über die Landschaftsökologie als Wissenschaft, als kognitives Gebilde, damit in einem normativen Sinn sprechen: Ist es legitim, die Wissenschaft Landschaftsökologie als „interdisziplinär“ (inter-wissenschaftlich wäre wohl besser, denn das ist meist gemeint) zu bezeichnen, als eine Wissenschaft, die außer ökologischem Wissen noch Wissen anderer Wissenschaften verwendet? (Wie gesagt: im ökologischen ist wie in jedem biologischen Wissen per se Wissen bestimmter anderer Wissenschaften integriert, davon aber sehen wir ab.) – Das Problem erweist sich als erheblich komplizierter, als man wohl denkt.

Daß die Landschaftsökologie „interdisziplinär“ sei, glaubt man oft, und zwar selbst da im Wissenschaftsbetrieb, wo man diesem Fach recht nahe ist. Vor allem glaubt man es deshalb, weil man Landschaftsökologie, wie die Ökologie insgesamt, für eine Wissenschaft davon hält, wie man Umweltprobleme, also praktische Probleme, löst. Eine Wissenschaft, deren Wesen es ist, praktische Probleme zu lösen, ist zwangsläufig interdisziplinär, wie etwa die Ingenieurwissenschaften (s. o.). Man muß immer das in mehreren Disziplinen erzeugte bzw. mehreren Wissenschaften zugehörige Wissen hinzuziehen, um auch nur das kleinste praktische Problem zu lösen, falls man es überhaupt mit Hilfe von Wissenschaften lösen will. Aber die Landschaftsökologie ist, wie die Ökologie auch, keine angewandte Wissenschaft, also keine, deren Wesen darin besteht, praktische Probleme zu lösen. Sie ist eine auf Erkenntnis zielende oder wie man auch sagt, reine Wissenschaft.

Anwendungsorientiert ist sie allerdings auch, ja, das ist ihr sogar wesentlich; wie das mit dem eben Gesagten zusammenpaßt, darauf komme ich noch. Sie erforscht biologische (speziell ökologische) Probleme, also Probleme nur einer Wissenschaft, und integriert zu deren Lösung, wie in der Biologie üblich, das Wissen anderer Wissenschaften, in anderen Disziplinen gewonnen, etwa der Chemie und der Geologie. Ihre Forschung ist also ein recht typischer Fall disziplinärer Forschung.

Was zeichnet nun die Landschaftsökologie innerhalb der Ökologie aus? Nicht, daß sie Landschaften untersucht (Siehe hier). Das kann sie gar nicht, wenn sie Teil der Ökologie, also Naturwissenschaft ist: Landschaften sind – was Ihnen als Architekten sicher klar ist, Biologen, mithin auch Landschaftsökologen aber gewöhnlich in große Verwirrung stürzt – nicht naturwissenschaftliche Gegenstände. Sonst könnte man von einer Landschaft nicht sagen, sie sei schön oder habe eine Stimmung oder sie sei heimatlich. Das ist es aber, was „Landschaft“ ausmacht, im Gegensatz z. B. zu „Raum“ (falls man damit nicht z. B. einen Innenraum in einem Gebäude meint). Landschaftsökologie untersucht nicht Landschaften, vielmehr ökologische Systeme in den räumlichen Ausmaßen von Landschaften (dieses Wort im alltagssprachlichen Verständnis gebraucht), und sie wählt ihre Forschungsobjekte unter Gesichtspunkten, die sich einem Interesse an Landschaft verdanken.

Wegen unserer Einbindung in einen bestimmten Studiengang formuliert für uns dieses Interesse weitgehend das Fach Landschaftsplanung, das wiederum weitgehend an das alltagssprachliche Verständnis von und Interesse an „Landschaft“ gebunden ist. Unabhängig von diesem Interesse ergibt „Landschaftsökologie“ keinen Sinn. Es gibt keinen innerökologischen Grund, sich ausgerechnet für Ökosysteme des räumlichen Ausmaßes einer Landschaft und für diejenigen Dinge in den Grenzen dieser Landschaft, die man „Landschaftselemente“ nennt (wie Wiesen, Hecken, Bäche), zu interessieren. In diesem Sinne ist Landschaftsökologie, wenn sie auch reine, auf Erkenntnisgewinn gerichtete Wissenschaft ist und nicht angewandte Wissenschaft wie die Ingenieurwissenschaften, doch anwendungsorientiert.

 

Zu (2)

Wenn Landschaftsökologie eine Wissenschaft ist – wie kann dann ein Lehrstuhl für Landschaftsökologie sich als in sich interdisziplinär verstehen? Und zwar in dem Sinn, daß die einzelnen Arbeiten (meist) verschiedenen Disziplinen und Wissenschaften zugehören (so wie bei einem temporären interdisziplinären Projekt)?

 

Hier muß man sich an die obige Unterscheidung zu erinnern:

Ich habe nämlich eben über Landschaftsökologie als kognitives Gebilde gesprochen; da ist sie eine bestimmte Wissenschaft. Als soziales Gebilde, als Disziplin (sofern man denn die Landschaftsökologie als eine Disziplin bezeichnen möchte) muß die Landschaftsökologie sich nicht darauf beschränken, was sie als kognitives Gebilde, als Wissenschaft kann und darf.

Die meisten Einrichtungen, die Landschaftsökologie heißen, beschränken sich allerdings auf ökologische, also naturwissenschaftliche Forschung. Sie stellen sie jedoch meist, wie ich es für die Wissenschaft Landschaftsökologie gefordert habe, in einen anwendungsorientierten Zusammenhang, und zwar einen ingenieur- oder planungswissenschaftlichen, und sie sind damit oft in interdisziplinäre Projekte eingebunden, in denen sie mit anderen Disziplinen, etwa der Soziologie, zusammenarbeiten, oder selbst partiell anderen Disziplinen angehörige Wissenschaften betreiben.

Bei uns ist es etwas anders. Wir betreiben vornehmlich theoretische Forschung. Das hat andere Konsequenzen für die Frage der Interdisziplinarität als in den eben genannten Fällen. Was hat uns dazu gebracht, und wie rechtfertigt es sich, und inwiefern ist die Arbeit dann interdisziplinär? Ich will drei Gründe nennen, warum wir Theorie machen, obwohl wir doch anwendungsorientiert sind und uns auch explizit so verstehen (da mag ja mancher einen Gegensatz sehen).

Zuvor aber scheint es mir angebracht, auf den Unterschied zwischen Objekt- und Metatheorie aufmerksam zu machen. Objekttheorie ist in unserem Fall Theorie über die Gegenstände der Ökologie, z. B. Biozönosen. Jeder Ökologe betreibt in gewissem Umfang oder ausschließlich Objekttheorie. Sie ist selbstverständlicher Teil der Ökologie. Metatheorie – und damit befassen wir uns zum beträchtlichen Teil – aber richtet sich nicht auf die Gegenstände der Wissenschaft, sondern auf diese und eventuell die sich nach dieser Wissenschaft nennende Disziplin selbst. Sie gehört damit, weil sie ganz andere Gegenstände hat, ganz anderen Wissenschaften an als der Ökologie, nämlich, je nach dem, ob man sich mit der Disziplin Ökologie (soziales Gebilde) oder mit ihr als Wissenschaft (kognitives Gebilde) befaßt, den Sozial- und Kulturwissenschaften oder der Wissenschaftstheorie oder der Erkenntnistheorie (ein Teil der Philosophie). Darum gilt: In einer jeden Disziplin, die sich auch metatheoretisch mit sich und ihrer namengebenden Wissenschaft befaßt (und das tun in den meisten Disziplinen einige, oft nennt man sie „Methodologen“, obwohl Methodologie nur ein Teil dessen ist, was sie tun), geht es zwangsläufig interdisziplinär zu.

 

Welche Gründe haben wir dafür, uns metatheoretisch mit uns selbst zu befassen?

Der erste Grund ist: Man kann aus verschiedenen Überlegungen heraus, die sich auf den Sinn von Wissenschaft, ihren Zusammenhang mit Bildung und Politik und dem Leben insgesamt beziehen, begründen, warum ein Wissenschaftler welchen Faches auch immer sich gegenüber seiner Forschungstätigkeit reflexiv verhalten sollte. Das ist für mich ein wichtiger Grund, aber es ist in gewissem Sinne Privatsache, er ergibt sich nicht aus den Notwendigkeiten der Forschung selbst.

Der zweite Grund ist nicht unbedingt Privatsache: In sogenannten normal sciences (oder auch „kompakten Disziplinen“ im Sinne von Toulmin) ist es, nach Kuhn, für die fachwissenschaftliche Forschung irrelevant, ob die Wissenschaftler über den Tellerrand blicken (das wird nur in den Phasen der Krise und der Revolution wichtig). Ein Chemiker, der sich z. B. mit Ethik befaßt, wird dadurch vielleicht ein besserer Mensch und Staatsbürger, aber kein besserer Chemiker. In diffusen (Toulmin), vor- und polyparadigmatischen (Kuhn) Fächern aber gilt: Die Qualität der fachwissenschaftlichen Ergebnisse steigt in dem Maße, wie das Fach im Ganzen reflektiert wird. Beispielsweise läßt sich in den Geschichtswissenschaften, in der Soziologie, der Geographie oder auch der Landschaftsplanung – und das sind alles sehr „diffuse“ Fächer – ohne solche Reflexion, d. h. vor allem ohne Philosophie, nur in einigen ausdifferenzierten, mehr oder weniger „esoterisch“ (also für Laien unzugänglich) gewordenen Teilbereichen etwas wissenschaftlich Akzeptables herausfinden.

Das ist für uns insofern von Bedeutung: Zwar nicht die landschaftsökologische Forschung selbst (die ist, wie gesagt, einfach ein Teil der Biologie), aber doch die Gegenstandswahl erfolgt aus der Perspektive des Alltagsinteresses an Landschaft und damit auch im wesentlichen aus der Perspektive der Landschaftsplanung. Wir arbeiten – das ist, wie angedeutet, konstitutiv für Landschaftsökologie – der Landschaftsplanung im weitesten Sinne zu. Darum gilt: Auch wenn man sich in der ökologischen Forschung, einem Teil der Biologie also, selbst nicht um metatheoretische Fragen kümmern muß: das wird um der wissenschaftlichen Qualität willen unmöglich, wenn man die Beziehung zum Anwendungsfeld berücksichtigen möchte. Das aber muß man, weil die spezielle Art der Fragen, die man bearbeitet, sich von den Aufgaben der Landschaftsplanung her begründen muß. Das ist ein angewandtes Fach und darum notwendig interdisziplinär.

 

Daraus folgt eine Frage, die dann einen dritten – wie man sehen wird, ganz anders gearteten – Grund erkennen läßt: Warum ist es aus diesem Anwendungszusammenhang heraus praktisch wichtig, sich mit Metatheorie zu befassen (damit interdisziplinär zu arbeiten, weil das Wissen, das man dazu braucht, ja nicht in der Disziplin der Ökologie erarbeitet wird und werden kann)?

Man sieht es gerade jetzt: Jahrzehntelang hat man Planungsinstrumente perfektioniert und Daten gesammelt. Das beste Planungsinstrumentarium und die vollständigsten Datensätze aber erweisen sich heute[4] als praktisch weitgehend unwirksam, weil die in der Gesellschaft verbreiteten Theorien oder Ideologien über Verhältnis von Natur und Gesellschaft, die 25 Jahre lang die bei weitem wichtigste Ursache für den relativen Erfolg der Landschaftsplanung waren – viel wichtiger als das, was die Landschaftsplaner selbst für ihren Erfolg taten –, ihre Wirksamkeit verloren haben. Es gibt gerade kein praktisch wichtigeres Untersuchungsgebiet für die Landschaftsplanung als jene Theorien und Ideologien, die, in einem gewissen Sinne wenigstens, von der Ökologie hervorgebracht wurden oder doch mit ihrem Namen verbunden sind, d. h. die sog. Öko-Ideologie.

 

Zu (3)

Welche ganz praktischen Probleme ergeben sich aus dem Versuch des Lehrstuhls, sich als interdisziplinäre Einrichtung zu verstehen?

Man steckt in einem Dilemma. Daß es sinnvoll und notwendig ist, sich mit dem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang von Landschaftsplanung zu befassen, sehen recht viele Landschaftsökologen so. Und so schreiben sie Arbeiten zu nicht-ökologischen Themen, z. B. dazu, was denn Landschaft überhaupt sei, was der Unterschied zwischen Kultur- und Naturlandschaft ist, wie es sich begründen läßt, daß man Naturschutz betreibt oder welche politischen Chancen eine bestimmte Naturschutzstrategie hat. Sie betreten also das Gebiet ganz anderer Disziplinen, etwa der Kulturgeschichte, der Ethik oder der Politologie. Das beschert ihnen vielleicht ein privates Bildungserlebnis. Aber die Ergebnisse sind in den allermeisten Fällen ohne jeden wissenschaftlichen Wert. Es sind private Meinungsäußerungen, geschrieben in Unkenntnis der Diskussionen in jenen Disziplinen, in denen eben diese Meinungen sich gewöhnlich längst als unhaltbar erwiesen haben.

Das Dilemma, in dem wir (und mit uns zahllose andere Einrichtungen anwendungsorientierter und auch „diffuser“ nicht-anwendungsorientierter Fächer) stecken, besteht darin: Man ist gezwungen, sich mit Themen wie den genannten zu beschäftigen, kann aber doch unmöglich all die Diskussionen kennen, die man kennen müßte, wenn man sich wissenschaftlich damit beschäftigen möchte.

Unser Anspruch ist es nun, solche Arbeiten anzufertigen, die den Mindestanforderungen der jeweiligen einschlägigen Diskussionen in den verschiedenen Disziplinen genügen. Möglich ist das schon; es gibt, bei uns und anderswo, eine ganze Reihe zweifellos gelungener Beispiele. Aber wie ist das möglich, wo es doch definitiv unmöglich ist, alle diese einschlägigen Diskussionen zu kennen? Und das muß man doch von jedem, der eine Arbeit schreibt, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen soll, fordern. Zwei Dinge müssen und können zumindest berücksichtigt werden:

Erstens: Man kann nicht in vielen Disziplinen oder Wissenschaften zugleich zuhause sein, aber doch halbwegs in zwei: im eigenen Fach und in der Wissenschaftstheorie dieses Fachs. Und von dieser aus erschließt sich einigermaßen hinreichend die Wissenschaftstheorie insgesamt und erschließen sich auch die Grundlagen etlicher anderer Fächer.

Zweitens: Man muß geeignete Kooperationspartner suchen. Bei uns haben die meisten Dissertationen Zweitbetreuer, nicht nur Zweitgutachter, aus den jeweiligen anderen Disziplinen, etwa Philosophen oder spezialisierte Biologen.

Die Ergebnisse sind dennoch keineswegs rundum befriedigend. Man muß sich damit abfinden, daß man für interdisziplinäres Arbeiten einen hohen Preis zahlen muß. Ich will abschließend einige Punkte nennen:

  1. Der Arbeitsaufwand für die Betreuung von Arbeiten, ebenso für die Lehre, ist enorm hoch. Er läßt sich nicht anrechnen als Lehrbelastung. Ich kann nicht geltend machen, daß die Vorbereitung für eine Seminarstunde bei mir dreimal so lang dauert wie bei einem Bodenkundler oder Physiologen. Der Grund für die weit stärkere Belastung ist sehr simpel: Man kann nun einmal nicht einfach aus dem schöpfen, was man einst an Grundlagen gelernt hat. Man muß, will man bei dem mitkommen, was die Doktoranden und Diplomanden tun, ständig neue Grundlagen lernen oder wiederholen. Denn man kann sich Grundlagen von Fächern, die an entgegengesetzten Enden des Wissenschaftssystems angesiedelt sind, nun einmal nicht so gut merken wie das, was in engem Zusammenhang steht mit dem Spezialgebiet, das man erlernt hat.
  2. Das schafft man nie so, daß man damit einigermaßen zufrieden sein könnte. Man hat das Gefühl ständiger Überforderung und das Gefühl, dem nicht gerecht werden zu können, was die zum wissenschaftlichen Arbeiten Angeleiteten von einem zu Recht verlangen können. Das werden Wissenschaftler, die nur in einem Fach arbeiten, auch kennen, aber das Ausmaß ist ein ganz anderes.
  3. Die bekannte Auffassung, daß man bezüglich anderer Fächer nur Mindeststandards erfüllen müsse und die eigentliche Qualität in der Leistung im Rahmen des eigenen Fachs liege, trifft unseren Fall nicht so recht. Diese Ansicht ist der normalen disziplinären Forschung entnommen, die Wissen aus anderen Disziplinen integriert: Ein Biologe muß Chemie und Mathematik nur so weit beherrschen, daß seine Arbeiten diesbezüglich keine Fehler enthalten; Leistungen, die für die Chemie oder Mathematik von Bedeutung sind, wird er ohnehin nicht erbringen. Unsere Arbeiten gehören aber je nach Thema anderen Wissenschaften (kognitiven Gebilden) an; das läßt sich nicht vermeiden. Entweder eine ganze Arbeit, z. B. eine Dissertation, hat „disziplinären“ Charakter – das gilt aber nur für einige, viele Arbeiten bei uns sind nicht landschaftsökologischer Art, sondern z. B. meta-landschaftsökologischer –, oder es setzt sich jede Arbeit doch aus Einheiten – seien es Kapitel oder Sätze – zusammen, die jeweils einer bestimmten (jeweils anderen) Wissenschaft angehören. – Das Thema „Landschaft“ integriert Wissen verschiedenster Herkunft; es gibt keine Wissenschaft und keine Disziplin „Landschaftswissenschaft“, an deren Maßstäben man sich orientieren könnte. Vielmehr ist es so: Ein Kapitel über die Ästhetik einer Landschaft muß den Anforderungen der Ästhetiktheorie genügen, und das nächste, das z. B. von den politischen Implikationen der Heimatidee handelt, politikwissenschaftlichen. Man kann nicht die disziplinspezifischen Mindestanforderungen herunterschrauben durch Integration in eine andere Disziplin, nämlich die „Landschaftswissenschaft“, denn die gibt es nicht. – Diese Anforderungen sind aber nur schwer befriedigend zu erfüllen. So bleibt, auch wenn man zum Thema Landschaft durchaus etwas beigetragen hat, doch das Gefühl, weit hinter dem zurückgeblieben zu sein, was möglich wäre und sein sollte (ein Gefühl, das z. B. ein Biologe, der in der Biologie Physik und Chemie verwendet, fast nie haben muß). Auch wenn z. B. in der Philosophie zum Thema Landschaftsästhetik noch nie etwas besseres geschrieben worden sein sollte, als wir es können (was nicht der Fall ist): Die dortige Diskussion über Ästhetik im allgemeinen hat Tiefen, die wir bei weitem nicht ausloten können. Man fühlt, daß man auch die Landschaftsästhetik viel weiter bringen könnte, wenn man in der Ästhetiktheorie überhaupt besser bewandert wäre. Und man weiß, daß ein auf dem Gebiet der Ästhetik bewanderter Philosoph unsere Ausführungen zur Landschaftsästhetik dürftig finden würde, selbst wenn er zur Landschaftsästhetik nicht viel sagen könnte, weil er sich noch nie Gedanken darüber gemacht hat.
  1. Eine Folge der interdisziplinären Arbeit für eine Einrichtung wie einen Lehrstuhl ist: Die einzelnen Wissenschaftler verstehen einander oft kaum. Die Einheit besteht bestenfalls im Kopf des Lehrstuhlinhabers oder einiger weniger Leute. Der Lehrstuhl wird tendenziell zum gelegentlichem Versammlungsort, an dem man seinen Horizont erweitern kann, aber er ist kein richtiger Arbeitszusammenhang.
  2. Für die einzelnen Mitarbeiter, vor allem Doktoranden, besteht die Gefahr, sich aus dem Fach, das sie gelernt haben, herauszuarbeiten, ohne doch in einem anderen anzukommen. Das ist besonders deprimierend, weil Themen der Art, wie wir sie uns stellen, gewöhnlich die fähigsten Studenten anziehen.
  3. Das System von Belohnungen und Strafen, das der Wissenschaftsbetrieb seiner Natur nach hat, ebenso wie das, das neuerdings überall künstlich eingerichtet wird, ist nicht so beschaffen, daß interdisziplinäre Arbeit honoriert wird. Ganz im Gegenteil. Allenfalls manche temporäre interdisziplinäre Projekte werden durch besondere Programme gefördert. Aber wer sich darauf einläßt, tut seinem wissenschaftlichen Fortkommen keinen Gefallen. Das fängt bei Kleinigkeiten an: Man eckt überall an, benimmt sich falsch. (Viele hier im Raum werden dies für einen schlechten Vortrag halten: Ich habe keine Bilder und Graphiken gezeigt, nicht einmal frei geredet, sondern im wesentlichen einen vorformulierten Text vorgetragen. Wären Geisteswissenschaftler hier, zumindest solche mancher Richtungen: Sie würden eher umgekehrt die Nase rümpfen, weil ich doch nicht wirklich nur vorlese, und das gilt bei ihnen als schlampiger Umgang mit dem Wort.) Wichtiger ist: Er wird mit seiner Arbeit in keiner Disziplin Beachtung finden. Und es gibt außer Disziplinen kein wissenschaftliches Forum, vor dem er Beachtung finden könnte. Die Publikationen der Mitarbeiter unseres Lehrstuhls sind teils zerstreut über eine große Zahl von Zeitschriften, die fast alle verschiedenen Disziplinen angehören, so daß man nirgends auffällt – man hat für dieses Publikum ja nur einen einzigen Aufsatz geschrieben.[5] Teils sind sie Beiträge in Tagungsbänden, was ja für interdisziplinäre Forschung kaum anders sein kann. (Denn um die entsprechenden Themen versammeln sich eben normalerweise Angehörige verschiedener Disziplinen auf Tagungen und gehen dann wieder auseinander. Zeitschriften kann es für diese Themen naturgemäß kaum geben. Es gibt sie erst dann, wenn aus dem temporären Arbeitszusammenhang um das Thema schon mehr oder weniger eine Disziplin geworden ist.) Nach den neuen Bewertungssystemen für wissenschaftliche Leistungen zählen aber nur Zeitschriftenartikel.

 

Eine Schlußfolgerung ist: Wenn man interdisziplinär arbeitet – ob nun so wie an unserem Lehrstuhl oder in der üblicherweise mit „interdisziplinär“ verbundenen Weise (Zusammenarbeit in Projekten) –, kann man den Gedanken an eine wissenschaftliche Karriere mehr oder weniger aufgeben, zumindest wird sie viel mühsamer. Gut ist es natürlich, wenn man zur Hälfte schon eine gemacht hat, d. h. wenn man eine feste Stelle hat. Als „exzellenter“ Wissenschaftler wird man allerdings nie gelten. Wer vor der festen Stelle damit anfängt, darf das nicht um der Karriere willen tun, sondern rein aus Interesse, und muß dann auf das gütige Geschick hoffen, daß sich irgendwo eine Nische auftut.

 

 

[1] Seit Wochen geht es in meinem Blog nur noch um Dinge, die mit dessen Thema nichts zu tun haben, sondern mit der derzeitigen politischen Lage. In meinem Kopf geht es genauso zu. Das hat gute Gründe, aber ganz möchte ich mich von ihr nun doch nicht beherrschen lassen. Darum veröffentliche ich hier ein schon einige Jahre altes Vortragsmanuskript, das sich in seinem zweiten Teil dem Blog-Thema wenigstens nähert, sich vor allem aber mit allgemeinen Universitätsproblemen befaßt.

 

[2] Wie der Begriff „Wissenschaft als kognitives Gebilde“ im Verhältnis zu „Wissenschaft als Disziplin“ genauer zu bestimmen ist, ist eine schwierige Frage. Empiristische, rationalistische oder transzendentalphilosphische Richtungen z. B. werden sehr verschiedene Antworten auf die Frage nach der Unabhängigkeit beider geben, genauer der kognitiven Einheiten von den historischen-sozialen. Was Popper an einem Beispiel für die Unabhängigkeit seiner dritten Welt von der zweiten (der Welt der geistigen Zustände) erklärt, nämlich daß in der dritten Welt eine bestimmte Rechenaufgabe eine bestimmte Lösung hat auch dann, wenn jemand in der zweiten Welt, d. h. in einem realen, sich an einer bestimmten Raumzeitstelle befindenden Geist oder Hirn, anders (falsch) rechnet, wird in anderen Philosophien zumindest nicht für Theorien überhaupt anerkannt werden. Denn man hält etwa in Theorien des Kuhn’schen Typs die Entwicklung dessen, was man (in Poppers wie in Diltheys Sinn) „objektiven Geist“ nennen könnte, nicht für unabhängig von der historischen Entwicklung des Denkens und ihren Zufällen.

 

[3] Teile dieses Vortrags wurden inzwischen von anderen Angehörigen des Lehrstuhls zu einem Aufsatz ausgearbeitet, um wichtige Aspekte ergänzt und veröffentlicht unter dem Titel „What is landscape ecology?“ (Thomas Kirchhoff, Ludwig Trepl, Vera Vicenzotti 2012, Landscape Research.) Mein Blogartikel „Die Landschaftsökologie erforscht nicht Landschaften“ bezieht sich darauf.

 

[4] Das Referat habe ich vor dem Reaktorunfall in Fukushima gehalten. Umweltfragen waren in der öffentlichen Diskussion damals, verglichen mit der Zeit bis in die 90er Jahre hinein, weit in den Hintergrund gerückt.

 

[5] Heute, einige Jahre nach diesem Referat, kann ich mit einiger Befriedigung feststellen, daß in nicht wenigen Fällen die „offizielle“ Anerkennung doch gelungen ist. Unter denen, bei deren Arbeiten (meist Dissertationen) ich de jure oder de facto Hauptbetreuer war, sind habilitierte (oder entsprechend qualifizierte, also im senior staff von Universitäten angekommene oder darauf doch realistische Aussichten habende) Ökologen und Ökologietheoretiker, Kulturwissenschaftler, Philosophen, (Landschafts-)Architekturtheoretiker und Kunsthistoriker.

 

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

2 Kommentare

  1. Interdisziplinarität und Transdisziplinarität

    Liebe Renate,
    was Du genau wissen willst, ist mir nicht so recht klar. Der Unterschied zwischen Inter- und Transdisziplinarität wir gewöhnlich etwa so beschrieben, daß es sich bei Interdisziplinarität um ein Verhältnis zwischen wissenschaftlichen Disziplinen handelt, bei Transdisziplinarität geht es außerdem um das Verhältnis zu irgendwelchen Wissenserzeugungen außerhalb der Wissenschaft, aber auch um gesellschaftliche Interessen und politische Entscheidungsprozesse usw. D.h. es ist ein alter Hut, man hat, zum Zwecke der Einwerbung von Forschungsgeldern, einen neuen Namen für etwas erfunden, was man seit eh und je gemacht hat in der sog. angewandten Forschung. Positiv gesagt: unter diesem Titel sucht man jetzt zu verstehen, was dabei so vor sich geht.

    Bei Interdisziplinarität – ebenso bei Multidisziplinarität – sehe ich die Hauptquelle der Verwirrung darin, daß man nicht zwischen historisch-soziologischen Gebilden auf der einen Seite und irgendwie systematisch unterschiedenen Teilen der Wissenschaft als einem kognitiven Gebilde (schwierig, hier Phänomen zu sagen) unterscheidet, wie oben im Artikel skizziert.

    Aber stell’ doch mal genauere Fragen bzw. formuliere Einwände, dann fällt mir vielleicht eher was ein.

    Gruß Ludwig

  2. Lieber Ludwig, vielen Dank. Es passt gerade wunderbar, all das in Erinnerung zu rufen. Was mich gerade geistig beunruhigt ist der Unterschied von Inter- und Transdisziplinarität. Zwischen Disziplinen oder Disziplinen übergreifend – gibt es diesen Unterschied überhaupt? Und wenn ja – wie ist er zu fassen? Allerbeste Grüße