Ist anthropozentrisches Denken die Ursache der Naturzerstörung?

BLOG: Landschaft & Oekologie

Unsere Umwelt zwischen Kultur und Natur
Landschaft & Oekologie

Wir leben in einer Zeit der Umweltkrise. Nur wenige meinen, sie sei lediglich ein ideologisches Phänomen, sei Ausdruck von Ängsten anderer Herkunft, z. B. auf irgendwelche soziale Verwerfungen zurückzuführen, oder sie sei nur von interessierter Seite herbeigeredet. In der Regel dürfte man glauben, diese Krise sei verursacht durch eine reale, physische Bedrohung der Menschheit von nie dagewesenem Ausmaß.

Unter denen, die das glauben, ist man sich weitgehend einig über die Ursache: Es ist der „Anthropozentrismus“ unseres, des „westlichen“, Denkens.

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

117 Kommentare

  1. @Grenzgängerin.

    »Und welcher Art ist Ihr “Geist”-Begriff? «

    Natürlich naturalistischer Art, was sonst?

    »Denn wie Sie es auch sprachlich drehen und wenden, was verursacht denn vernüftige Verhaltensäußerungen eines Naturwesens? «

    Vermutlich kennen Sie meine Antwort bereits: Verhaltensäußerungen werden durch neuronale Prozesse hervorgerufen. Ob und wann diese „vernünftig“ genannt werden können, ist eine andere Frage, die sich aber nur dem Betrachter stellt (Selbstbetrachtung eingeschlossen).

    Danke für die Genesungswünsche, ich hab’s überstanden (ich frage mich, ob Herr Trepl noch wohlauf ist…)

    • Grenzgängerin@ Balanus

      “Vermutlich kennen Sie meine Antwort bereits: Verhaltensäußerungen werden durch neuronale Prozesse hervorgerufen. Ob und wann diese „vernünftig“ genannt werden können, ist eine andere Frage, die sich aber nur dem Betrachter stellt (Selbstbetrachtung eingeschlossen).”

      …ich hatte die Hoffnung, Sie würden das inzwischen wenigstens relativieren. 🙂

      ……denn dem ist nicht so!

      Ich begreife ehrlich gesagt nicht, wie alle Welt, zumal wissenschaftliche Welt, auf dieser Irreführung so rasant abfahren kann. Wer manipuliert diese Entwicklung? 🙁

      “(ich frage mich, ob Herr Trepl noch wohlauf ist…)”

      Vielleicht macht er wie Herr Honerkamp eine redlich verdiente Pause? Oder wissen Sie anderes?

      • “”(ich frage mich, ob Herr Trepl noch wohlauf ist…)” Vielleicht macht er wie Herr Honerkamp eine redlich verdiente Pause?”

        Wohlauf bin ich nicht. Aber daß ich so lange nichts geschrieben habe, liegt daran, daß ich in einer Gegend mit äußerst eingeschränktem Internetzugang war. So etwas gibt es Gott sei Dank noch. Dumm ist nur, daß diese Löcher oft da sind, wo ich bin.

        • Na prima, Herrr Trepl, danke für die Rückmeldung!

          Und wenn Sie das nächste Mal wieder unter “Big Brothers” Fittiche geraten und diesen Post vorfinden, also auch Ihnen gute Besserung!

          …verbunden mit der Hoffnung, dass das paradiesische Fleckchen Erde ein Kur- oder Ferien und kein Krankenhaus ist.

          …hm, vielleicht haben die Erreger “im materialen Substrat” von @Balanus Sie per Internet angesteckt…oder umgekehrt…mich hatten sie jedenfalls auch besucht.
          Ist ja heutzutage sehr wohl auch auf diesem Wege möglich…. 🙁

          mfg
          ES

    • @ Balanus

      das vergaß ich:
      »Und welcher Art ist Ihr “Geist”-Begriff? «
      “Natürlich naturalistischer Art, was sonst?”

      ….so sehr ich mir Ihre Standardantwort vielleicht denken kann:
      Ich wüsste aber doch gerne mal genauer, was genau Sie darunter verstehen. Auch bei den Naturalisten gibt es solche und solche. 😉

  2. @Grenzgängerin

    »Nach diesem [Ihrem] Vorschlag hat der Mensch nicht – wie Sie sagen – zwei Wesen in einer Entität, vielmehr verwirklicht sich sein eines Wesen, seine eine Entität zusammen mit dem vieler Menschen in zwei sehr verschiedenen Realitäten.«

    Nun ja, „zwei Wesen in einer Entität“ bedeutet ja nur, dass ich entweder das materiale Substrat betrachte (Naturwesen), oder eben die Verhaltensäußerungen, die mir „vernünftig“ erscheinen, wie z. B. eine philosophische Abhandlung schreiben (Vernunftwesen). Mit einem Substanzdualismus oder Ähnlichem hat das rein gar nichts zu tun.

    Und natürlich kann es Verhaltensäußerungen nur solange geben, wie es die dynamischen Prozesse des materialen Substrats gibt, die diese Verhaltensäußerungen hervorbringen.

    Kurz und gut, ich sehe keinen „Gegensatz von Geist und Materie“, das eine bedingt das andere (was natürlich mit meinem „Geist“-Begriff zusammenhängt).

    Und was die Sache mit der „Verständigung“ angeht: um so etwas geht es mir hier nicht. Ich unterbreite meine Sicht der Dinge und bin daran interessiert, wie andere die Dinge sehen, ob es da etwas gibt, was ich bislang übersehen oder einfach nicht gewusst habe, und was mich veranlassen könnte, meine Ansichten zu ändern.

    »Außerdem möchte ich Frohe Ostertage wünschen…«

    Besten Dank, ebenso, nachträglich. In meinem Falle waren die Tage eher weniger froh, wegen irgendwelcher Erreger in meinem materialen Substrat.

    • @Balanus

      Na dann auf jeden Fall gute Besserung! und erfolgreiche Verabschiedung “irgendwelcher Erreger in [Ihrem] materialen Substrat.”

      Krankheit kann aber auch gesund sein… 🙂 und dann im Nachhinein froh machen.

      “Kurz und gut, ich sehe keinen „Gegensatz von Geist und Materie“, das eine bedingt das andere (was natürlich mit meinem „Geist“-Begriff zusammenhängt).”

      Und welcher Art ist Ihr “Geist”-Begriff?

      “Und was die Sache mit der „Verständigung“ angeht: um so etwas geht es mir hier nicht. Ich unterbreite meine Sicht der Dinge und bin daran interessiert, wie andere die Dinge sehen, ob es da etwas gibt, was ich bislang übersehen oder einfach nicht gewusst habe, und was mich veranlassen könnte, meine Ansichten zu ändern.”

      Na ja, das ist doch dasselbe in grün… 😉

      “Nun ja, „zwei Wesen in einer Entität“ bedeutet ja nur, dass ich entweder das materiale Substrat betrachte (Naturwesen), oder eben die Verhaltensäußerungen, die mir „vernünftig“ erscheinen, wie z. B. eine philosophische Abhandlung schreiben (Vernunftwesen). Mit einem Substanzdualismus oder Ähnlichem hat das rein gar nichts zu tun. Und natürlich kann es Verhaltensäußerungen nur solange geben, wie es die dynamischen Prozesse des materialen Substrats gibt, die diese Verhaltensäußerungen hervorbringen.”

      War schon klar dass sie so etwas Ähnliches antworten würden. 😉 Das muss Sie aber nicht daran hindern, über meinen Vorschlag nachzudenken. Denn wie Sie es auch sprachlich drehen und wenden, was verursacht denn vernüftige Verhaltensäußerungen eines Naturwesens?

    • @ balanus
      Sie schreiben: “…ich sehe keinen „Gegensatz von Geist und Materie“, das eine bedingt das andere ”
      dagegen sage ich: wenn Sie von “dem” einen sprechen, das “das” andere “bedingt”, dann haben Sie bereits zwei entitäten unterschieden.

      humberto maturana löst das problem, indem er sagt: alle lebenden systeme (also auch wir menschen) existieren in zwei unterschiedlichen, sich nicht überschneidenden phänomenbereichen gleichzeitig: in dem bereich, in dem sich ihre körperlichkeit verwirklicht (ihre physiologie) und in dem bereich, in dem sich ihr in-beziehung-sein verwirklicht.
      wir menschliche wesen sind beobachter-in-sprache und existieren – ALS MENSCHEN – insoweit ausschließlich in dem zweiten bereich.
      diesen bereich können wir nie verlassen. wir können nur -mit kant- unterstellen, dass die gesetzmäßigkeiten beider bereiche sich gegenseitig keinen eintrag tun, also der möglichkeit nach zusammenstimmen.

  3. @Ludwig Trepl

    »Mein Artikel befaßt sich ausschließlich mit der Frage, ob der gängige Vorwurf an die „anthropozentrische Ethik“, daraus, daß „der Mensch im Mittelpunkt steht“, ergebe sich irgendwie Naturzerstörung, zutrifft, und ich sage, daß dieser Behauptung ein unzureichendes Bild vom Menschen (Mensch ist nichts als ein kluges Tier) zugrundelegt. Wenn man „den Menschen“ so versteht, wie er gemeinhin verstanden wurde über die Jahrhunderte, dann ergibt sich diese Konsequenz nicht.« [4. April 2014 17:10]

    » (2) Was ich (mit Kirchhoff) dagegen [gegen die Öko-Ideologen] gesetzt habe: Der Mensch ist nicht nur Natur-, sondern auch Vernunftwesen, was u. a. die Konsequenz hat, daß die Natur keineswegs, wie in (1), nur Ressource ist, Mittel zu beliebigen menschlichen Zwecken, sondern auch selbst auf die Seite der Zwecke gehört, etwa indem sie zu einem „guten und sinnvollen“ Leben gehört. « [30. März 2014 12:21]

    Das verstehe ich so: Der Mensch als Vernunftwesen hat andere Ansprüche an seine Umwelt, an die Natur, als der Mensch als Naturwesen. Einverstanden!

    Nun sind aber beide Wesen Teil derselben Entität, oder anders gesagt, die Existenz des Vernunftwesens hängt ab von der des Naturwesens, während umgekehrt das Naturwesen auch ohne Vernunft existieren kann.

    Insofern teile ich die Sicht der Öko-Ideologen, den Menschen als vernunftfähiges Tier zu betrachten. Das Tier im Menschen kennt nur die unmittelbare Befriedigung seiner Bedürfnisse, aber die Vernunft fordert, über den Moment hinauszudenken, damit auch in Zukunft eine menschenwürdige Existenz möglich ist.

    Anthropozentrisches Denken ist also unvermeidlich, es kann die vorgefundene Natur (als Naturwesen) zerstören oder (als Vernunftwesen) erhalten.

    Im Ergebnis stimme also auch ich der Kernaussage des Blog-Artikels (»Darum ist die Meinung grundfalsch, daß sich die derzeitige Naturzerstörung einem anthropozentrischen Denken verdankt«) zu.

    • Ludwig Trepl, @ @Balanus.

      „Insofern teile ich die Sicht der Öko-Ideologen, den Menschen als vernunftfähiges Tier zu betrachten.“

      Die betrachten den Menschen nicht als vernunftfähiges Tier, sondern als intelligentes, kluges Tier. Eben das ist der Unterschied, auf den es mir in dem Artikel ankam.

      „Das Tier im Menschen kennt nur die unmittelbare Befriedigung seiner Bedürfnisse, aber die Vernunft fordert, über den Moment hinauszudenken, damit auch in Zukunft eine menschenwürdige Existenz möglich ist.“

      Das ist nicht das, was man Vernunft nennt. Kant nennt es Klugheit und trifft damit eine Unterscheidung, die jeder im normalen Leben zwischen Vernunft und Klugheit trifft, wenn auch nicht immer.

      Kant unterscheidet (in der Grundlegung) drei Arten von Imperativen: „Regeln der Geschicklichkeit“, „Ratschläge der Klugheit“, „Gebote (Gesetze) der Sittlichkeit“.

      Die ersten beiden gebieten „hypothetisch“: Sie sind nur zu befolgen unter der Voraussetzung eines bestimmten Zwecks; wenn man den nicht hat, muß man auch diesen „Regeln“ und „Ratschlägen“ nicht folgen. Sie „stellen die praktische Notwendigkeit einer möglichen Handlung als Mittel, zu etwas anderem, was man will … zu gelangen, vor.“ Der kategorische Imperativ aber „würde der sein, welcher eine Handlung als für sich selbst, ohne Beziehung auf einen andern Zweck, als objektivnotwendig vorstellte.“

      Die „Regeln der Geschicklichkeit“ sind „problematisch“: Wenn ich etwas will, dann muß ich auch Mittel wollen, die dieses Etwas herbeiführen. Aber ich muß dieses Etwas nicht wollen. Wenn ich es warm haben will, muß ich (z. B.) die Heizung andrehen. Aber ich muß es nicht warm haben wollen, ich kann es auch kalt haben wollen. Dann muß ich nicht die Heizung andrehen. Diese „problematischen“ hypothetischen Imperative nennt Kant auch „technische“ oder „technisch-praktische“.

      Die „Ratschläge der Klugheit“ richten sich nicht auf Mittel zu beliebigen Zwecke, die man nur möglicherweise hat, sondern auf einen „Zweck, den man bei allen vernünftigen Wesen … als wirklich voraussetzen kann, und also eine Absicht, die sie nicht etwa bloß haben können, sondern von der man sicher voraussetzen kann, daß sie solche insgesamt nach einer Naturnotwendigkeit haben, und das ist die Absicht auf Glückseligkeit.“ D. h.: Die verschiedenen Zwecke, die einer haben kann (und die z. B. „auf die unmittelbare Befriedigung seiner Bedürfnisse“ gerichtet sind), müssen durch „Klugheit“ so aufeinander abgestimmt werden, daß die „Glückseligkeit“ insgesamt möglichst gut befördert wird; es ist nicht klug, sein langfristiges Glück durch einen kurzen Rausch zu gefährden. – Aber auch das ist ein hypothetischer Imperativ: Es geht um Mittel zu etwas anderem, nämlich eben „Glückseligkeit“. Die will man zwar, wie Kant meint, „naturnotwendig“, aber wer sie nicht will, muß auch nicht „klug“ auf seine Zukunft achten und kann dem kurzen Rausch den Vorzug geben. Diese Art von hypothetischen Imperativen nennt er auch „pragmatisch“; sie sind nicht „problematische“, sondern „assertorische“ Prinzipien.

      Die „Gebote (Gesetze) der Sittlichkeit“ aber gebieten kategorisch, nicht hypothetisch. Sie erklären „die Handlung ohne Beziehung auf irgend eine Absicht, d.i. auch ohne irgend einen andern Zweck für sich als objektiv notwendig “. Der kategorische Imperativ ist kein „problematisches“ und auch kein „assertorisches“, sondern ein „apodiktisches“ Prinzip. Diese Gebote beziehen sich nicht auf Mittel für Zwecke, denn sie gelten unabhängig davon, welchen Zweck man verfolgt, bzw. sie beziehen sich auf die Zwecke selbst: Nicht wenn man diesen oder jenen Zweck erfüllen will, muß man diese oder jene Mittel anwenden, sondern: diese Zwecke soll man haben. Im Unterschied zu „technisch“ und „pragmatisch“ spricht er hier von „sittlich“. Nicht die „Geschicklichkeit“ und nicht die „Klugheit“ sind hier am Werk, sondern die „Weisheit“ – d. h. die Vernunft, die nicht nur, wie man heute meist sagt, „instrumentell“ ist.

      Diese Unterscheidung in drei, nicht nur in zwei grundverschiedene Imperative verschwimmt etwas in Ihrer Formulierung, obwohl sie im Grunde drinsteckt. „Über den Moment hinausdenken“ tut auch die Klugheit, die die verschiedenen momentanen Zwecke (die die „Geschicklichkeit“ gut zu verfolgen erlaubt) unter dem Oberzweck der aufs ganze Leben gerichteten „Glückseligkeit“ abwägt und integriert. Aber die auf „Sittlichkeit“ gerichtete „Weisheit“ setzt sich gegen diese beiden Arten von „hypothetischen Imperativen“ ab, weil sie eben nicht hypothetisch ist, nicht nur unter der Voraussetzung bestimmter Zwecke gilt, sondern sich darauf richtet, welche Zwecke denn an sich „gut“ seien. Das steckt in Ihrer Formulierung in dem „menschenwürdige“ drin. Denn ein über den Moment Hinausdenken kann sich allein auf „Glück“ richten (gehörte dann zu den Regeln der Klugheit), nicht aber zugleich auf die „Würdigkeit, glücklich zu sein“. Nur letzteres ist aber ein unbedingter Zweck, seine Verfolgung ist nicht nur unter der Voraussetzung, irgendwelche andere Zwecke zu erreichen, anzustreben.

      Erst mit den „Geboten (Gesetze) der Sittlichkeit“ wird die Stufe des Menschen als Vernunftwesen erreicht. Die „Ratschläge der Klugheit“ sind das, was den Menschen als intelligentes Tier, nicht als Vernunftwesen vor den anderen Tieren auszeichnet. Deren Denken reicht zwar nicht auf die Abstimmung der momentanen Bedürfnisse mit den Bedürfnissen, die sich unter der Perspektive des Lebens als Ganzem ergeben. Aber das, was man früher Instinkt nannte, hat durchaus entsprechendes hinbekommen. Die Vögel könnten den Tag vielleicht angenehmer verbringen als mit dem mühsamen Nestbau, aber die „Klugheit“ des Instinkts sorgt dafür, daß sie gerade jetzt das Nestbau-Bedürfnis haben. Aber die „Gebote (Gesetze) der Sittlichkeit“ gehen schlechterdings über alles hinaus, was von Natur aus ein Bedürfnis sein könnte.

    • Grenzgängerin @Balanus

      “Nun sind aber beide Wesen Teil derselben Entität,…. “ 

      Ich weiß nicht, ob Sie meinen Blogbeitrag zu “Geist und Materie” gelesen haben. Deshalb hier nochmal den Hinweis darauf und in Antwort auf Ihr obiges Zitat eine Art Kurzkurzfassung verbunden mit einem Vorschlag, der Ihnen vielleicht insgesamt zugänglicher ist und eventuell ein gemeinsamer Pfad für Naturalisten, Kantianer, Christen, etc. … werden kann.

      Nach diesem Vorschlag hat der Mensch nicht – wie Sie sagen – zwei Wesen in einer Entität, vielmehr verwirklicht sich sein eines Wesen, seine eine Entität zusammen mit dem vieler Menschen in zwei sehr verschiedenen Realitäten.

      Das dürfte ein grundlegender Unterschied sein, so sehr es auch bisher nahe zu liegen schien, diese Realitäten mit Wesenszügen des Menschen zu verwechseln, da er sich ja in Gänze in ihnen verwirklicht. Deshalb ist ein Umdenken von Eigenschaften eines individuellen Wesens zu einer alle Menschen erfassenden, komplexen, in diesem Fall dualen Realität auch nicht so leicht. Das mögliche Verbindende wäre aber, dass der Mensch eben keine zwei Wesen “in einer Brust” hat, sondern den Vorstellungen des Naturalismus entsprechend eines ist, das aber so gebaut ist, dass es sich nur in zwei Realitäten verwirklichen kann.

      Weil für uns mangels schon vorhandener, naturwissenschaftlicher Kenntnisse eine solche, quasi grenzgängerische Existenzweise bislang nicht vorstellbar war, haben wir gerätselt und diese Situation aus unserer evolutionären Blindheit heraus bisher immer irrtümlich so gedeutet, dass wir Geist und Materie als getrennte Realitäten sahen oder die eine die andere sublimierend. Die materielle war die sichtbare, dominante Realität und die geistige, die unsichtbare, nicht greifbare. Beides stimmt für diesen Ansatz so nicht. Und je nach charakterlicher Veranlagung war entweder die eine oder die andere emotional stärker oder ganz einseitig favorisiert. (z.B. Gnostiker/Agnostiker) Erst jetzt ist eine solche Vorstellung auch naturwissenschaftlich denkbar.

      Bei diesen zwei Realitäten geht es nun zwar auch um ein Verhältnis von Geist und Materie, doch sie sind dann beide in beiden Realitäten existent, Geist und Materie wären nie getrennt. Die grundlegende Unterscheidung der beiden Realitäten würde sich völlig anders begründen, nicht als der Gegensatz von Geist und Materie.

      Diese Sicht kommt zum Tragen, wenn man Geist und Materie zwar als zwei absolut gegensätzliche ‘Entitäten’ versteht, um sie mal beide so physikalisch zu bezeichnen, die aber analog gerade wegen ihrer Grundverschiedenheit eine hohe gegenseitige Anziehungskraft haben und deshalb allüberall untrennbar zusammenwirkende Entitäten sind. So könnten sie also nur als unzertrennliches Pärchen in den beiden Realitäten gegeben sein. Wir müssten sie zwar nach wie vor als eigenständige separate Entität sehen, dürften sie aber nicht so wie bisher trennen: hier Geist, da Materie. 
      Was ich mit diesen zwei umfassenden Realitäten meine, ist, da nunmehr nicht Geist und Materie gegeneinander stehen, folglich nicht das, was bislang als Dualismus verstanden wurde. Den kann es mit diesem neuen Ansatz so auch tatsächlich nicht geben.

      Wäre die konkrete Trennung, wie der Substanzdualismus sie – wenn ich ihn richtig verstehe – meint, zwischen Geist und Materie möglich, dann würde das nach meiner Einschätzung gewiss in unserer Alltagserfahrung offensichtlich und wir würden uns nicht so endlos den Kopf über das ungeklärte Verhältnis der beiden zerbrechen.

      Sie haben vermutlich wegen der Nähe zum traditionellen Substanzdualismus Ihrer Aussage von den zwei Wesen “in einer Brust” dann ja auch ganz schnell eine Hierarchie zwischen Ihren beiden Wesen aufgebaut, um einerseits diesen Eindruck zu vermeiden und wieder reduzieren zu können, andererseits aber auch, um wieder mal auf beeindruckende Weise diesen Dreh hinzubekommen: ” … die Existenz des Vernunftwesens hängt ab von der des Naturwesens.” 
       
      Das Verhältnis von Vernunftwesen und Naturwesen muss in diesem Ansatz dann aber eben auch ganz neu gesehen werden.
      Wenn Sie möchten, können wir die weiteren Fragen, die sich aus dieser Sicht ergeben, da sie hier offtopic sind, gerne in meinem Blog diskutieren. Oder Sie warten weiterhin, bis er vollständig ist.

      Jedenfalls wollte ich noch zu verstehen geben, dass, auch wenn es für mich bislang immer wieder so aussah, dass Sie nicht wirklich Verständigung wollten, wie von mir im anderen und auf meinem Blog geäußert, ich sie dennoch für möglich halte.
      Außerdem möchte ich Frohe Ostertage wünschen – auch Herrn Trepl und allen Kommentatoren.

  4. @georg hausladen; @ ludwig trepl
    einige erläuterungen zum begriff des beobachters.

    beobachten heißt, eine unterscheidung ziehen, auf eine der beiden seiten der unterscheidung hinweisen (sodasss weitere unterscheidungsoperationen anschließen können) und die andere unter den tisch fallen lassen.

    was bedeutet das? ein ganz grundlegendes beispiel: wenn ein menschliches wesen auf die welt kommt, lernt es als aller erstes, aus einem chaos von sinnesempfindungen seinen körper zu unterscheiden und ihn als eine einheit von sich abzugrenzen.
    das ist ähnlich wie bei dem bekannten rorschach-zeichentest: aus einer unendlichen zahl möglicher relationen (verknüpfungen von sinneseindrücken) werden einige ausgewählt und als unterscheidung festgehalten. der „rest“ fällt sozusagen unter den tisch. wenn wir ALLE möglichkeiten auschöpften, sähen wir: NICHTS.

    all dies geschieht nun aber nicht in einem einzigen, noch dazu rein kognitiven schöpfungsakt, sondern in einem fortlaufenden (iterativen), rekursiven prozess der zirkulären verknüpfung von WAHRNEHMEN und BEWEGEN (bzw. von erkennen und wollen / handeln). im resultat „hat“ das menschliche wesen dann einen körper, d. h.: es kann (und muss) den unterscheidungsprozess vergessen, statt dessen das ergebnis festhalten und es dann sogar in sinn-vollen sprachlichen zeichen fixieren.

    für weitere, anschließende unterscheidungsoperationen muss der beobachter also die unterscheidung („körper“) ‚immer schon’ (a priori) getroffen haben; anders ausgedrückt: er muss nicht nur den (virtuell nach wie vor stattfindenden!) unterscheidungsprozess FESTHALTEN, sondern dieses festhalten auch INVISIBILISIEREN.
    das ist die („transzendentale“) bedingung für beobachten überhaupt.
    jene perspektive, aus der erkannt wird, dass dem operieren des beobachters ein letztlich willkürliches unterscheiden zugrunde liegt, nennt die systemtheorie „beobachten zweiter ordnung“ (reflektierendes beobachten).
    weil der beobachter zweiter ordnung aber ebenfalls für die von ihm benutzte unterscheidung blind ist, bleibt letztlich auch er ein beobachter erster ordnung.
    der ausgeschlossene „rest“ (der nach wie „alle“ möglichkeiten enthält) ist nie ganz einholbar. wir können als beobachter, die wir nun mal sind, das Ganze (das „ding an sich“) nie erkennen.

    wie ist dann aber die offensichtliche tatsache, dass wir als beobachter dennoch ein kohärentes, lebbares universum hervorbringen, überhaupt denkbar und möglich? dies ist die perspektive der beobachtung dritter ordnung.
    es braucht hierfür die absichtslos-spielerische interaktion von ZWEI menschlichen wesen: von zwei egos, die ihr jeweiliges gegenüber als alter ego (an)erkennen und so nicht nur sich als individuelle beobachter, sondern ebenso ein vermittelndes DRITTES (medium, technik) hervorbringen. in dem moment, in dem sie dieses dritte in gebrauch nehmen, erschaffen sie ihre gemeinsame wirklichkeit.

    ein ganz einfaches beispiel: man stelle sich zwei partner an einer zweigriffigen baumsäge vor. nach einer anfänglichen phase mühsamen bewegens der säge „gegen den Widerstand des Holzstücks und die unkoordinierte Arbeit des Partners entsteht plötzlich ein Tun, das nicht mehr als Durchsetzen des eigenen Rhythmus gegen den anderen, sondern als freies Verfügen-Können über die eigenen Kräfte erlebt wird. In diesem Augenblick ist auch das Holzstück aus einem persönlich erlebten Widerstand gegen die eigene Anstrengung zu einer gemeinsamen Sache, einer ‚res communis’ geworden, die man mit dem Partner teilt.“ (Christian und Haas, zitiert nach v. Uexküll).

    heinz von foerster schreibt in: “wissen und gewissen”, s. 269 ff: “wenn wir dies alles nun als Metapher für die Interaktion zweier Subjekte ansehen, dann wird deren Interaktion dann und nur dann kommunikativ, wenn jeder der beiden sich durch die Augen des anderen sieht. Beachten Sie, dass in dieser Sehweise der kommunikativen Fähigkeiten Begriffe wie ‘Übereinstimmung’ und ‘Konsens’ nicht auftreten und vor allem auch nicht erscheinen müssen.”

    solche dyaden bilden aus sicht der systemtheorie das letztelement von wirklichkeit. das, was wir „wirklichkeit“ nennen, kann man sich als eine matrix, als ein netzwerk vieler solcher dyaden denken. diese matrix ist meiner ansicht nach nichts anderes als das, was kant mit dem „übersinnlichen substrat der menschheit“ meinte (aus meiner sicht bildet dieser begriff den schlussstein des kantischen kritischen gedankengebäudes). über diese matrix / dieses substrat können wir als „beobachter“, die wir nun mal sind, nichts wissen und aussagen. aber wir können uns nun immerhin als die verantwortlichen urheber unserer wirklichkeit erkennen.

    um vernünftig über umweltzerstörung reden zu können, muss man nicht unbedingt diese hoch komplexen gedankengänge nachvollzogen haben. es genügt, die ihnen zugrundeliegende Haltung einzunehmen / einzuüben..
    mit heinz von foerster kann man diese haltung so formulieren:
    „ich bin teil des universums; d. h. immer wenn ich handle, verändere ich mich und das universum mit mir.“
    der enstprechende ästhetische imperativ lautet dann: „wenn du erkennen willst, handle!
    und der ethische imperativ: „handle stets so, dass die zahl der (anknüpfungs-)möglichkeiten sich vergrößert.“

    • Ludwig Trepl, @frafri.

      Ich verstehe nicht viel von dem, was Sie schreiben, auch nicht in den Punkten, mit denen ich mich einst ausgiebig befaßt habe und an die ich mich auch noch erinnere. Liegt das an Ihnen, d. h. schreiben Sie zu unverständlich? Liegt es an der Autopoiesistheorie? Liegt es an meiner Dummheit? – Sie kommen immer wieder auf Dinge, die einleuchtend sind, auf die man aber ohne die ganze systemtheoretische Begrifflichkeit auch gekommen ist, und ich weiß nicht, was durch diese Art von Systemtheorie gewonnen ist.

      „ich bin teil des universums; d. h. immer wenn ich handle, verändere ich mich und das universum mit mir.“


      Das ist ein analytischer Satz, wie das „d.h.“ ja auch zeigt, im „ich bin Teil“ steckt schon alles drin. Man kann gar nicht widersprechen und es hat wohl auch noch nie einer widersprochen. Aber ich verstehe überhaupt nicht, wieso damit eine für die Frage der Umweltzerstörung relevante Haltung formuliert sein soll. Dazu ist der Satz viel unbestimmt, zu globalgalaktisch, leer. Wenn ich handle, und zwar indem ich in der empirischen Welt etwas ändere, z. B. meinen Garten umgrabe, ändere ich mich, das ist klar, und ich ändere definitionsgemäß das Universum mit mir, weil ja ich und der Garten dem Universum angehören, ich und Garten nun verändert sind, also auch das Universum nicht mehr ist, wie es war. Aber was soll diese Trivialität? Ändere ich mit meinem Umgraben auch die Gärten am anderen Ende der Stadt? Ändere ich die Umlaufbahn des Saturn? Ändere ich mich in relevanter Weise, wird z. B. mein Charakter gefestigt, oder verliere ich nur ein paar Gramm Wasser?

      „handle stets so, dass die zahl der (anknüpfungs-)möglichkeiten sich vergrößert.“

      Wieso soll das ein ethischer Imperativ sein? Es klingt sehr nach der klassischen christlich-konservativen Fortschrittskritik mit ihrem Imperativ, die Vielfalt zu erhöhen, nur klingt’s halt „technischer“, weniger „tief“. Aber was soll es denn überhaupt heißen? Ohne Zweifel kann es ethisch geboten sein, die „Zahl der Möglichkeiten“ zu verringern. Die Erde so zu verändern, daß Pest und Cholera nicht mehr zu den Möglichkeiten gehören, wäre eine gute Sache. Das kann auch von Foerster nicht leugnen, er kann nicht meinen, was er geschrieben hat. Was meint er dann?

      „der enstprechende ästhetische imperativ lautet dann: ‚wenn du erkennen willst, handle!
’“

      Abgesehen davon, daß ich nicht verstehe, was das mit Ästhetik zu tun haben soll: Was soll denn das heißen? Klar muß man handeln, wenn man erkennen will, weil Erkennen, was immer es auf anderen Ebenen sein mag, doch immer auch ein Akt ist. Hat das je einer bezweifelt? Wieso brauche ich die Autopoiesistheorie, um auf so einen Satz zu kommen?

      „Beachten Sie, dass in dieser Sehweise der kommunikativen Fähigkeiten Begriffe wie ‘Übereinstimmung’ und ‘Konsens’ nicht auftreten und vor allem auch nicht erscheinen müssen.” (v. Forster)

      Und wozu soll das gut sein, daß sie nicht auftreten?

      • „(…) Liegt das an Ihnen, d. h. schreiben Sie zu unverständlich? Liegt es an der Autopoiesistheorie? Liegt es an meiner Dummheit?“

        auch ich frage mich immer wieder, warum wir uns (ich schließe mich mit ein) so schwer damit tun, die – wenn man sie erst einmal be-griffen hat, ebenso wunder-schöne wie fruchtbare – gedankenfigur „autopoiesis / beobachter“ nachzuvollziehen.

        ich glaube mittlerweile, es ist unser (mindestens seit parmenides tief eingefleischtes) zweiwertiges denken, das davon ausgeht, dass etwas entweder IST oder NICHT IST, ein drittes ist ausgeschlossen. in diesem denken steht ein (erkennendes / wollendes) subjekt unvermittelt einem gegebenem objekt gegenüber. jedem akt des subjekts ist nur einer von zwei möglichen werten (z. b. wahr oder falsch) zuzuordnen.
        hierzu zwei zitate aus „das bewusstsein der maschinen“ von gotthard günther:

        “Vielleicht darf man es als die wesentlichste Entdeckung der Kybernetik bezeichnen, empirisch-technisch festgestellt zu haben, dass es grundsätzlich unmöglich ist, die transzendentale Struktur der Wirklichkeit vermittels zweier alternativer Realitätskomponenten zu beschreiben. Die sich aus unserem traditionellen zweiwertigen Denken ergebenden Verstehensstrukturen sind bloße Abbreviaturen. Der volle Text der Wirklichkeit kann aus ihnen nicht abgelesen werden. Sie sind viel zu arm in ihrem relationalen Aufbau, um dem Reichtum der Realgestalten auch nur einigermaßen gerecht zu werden.”

        “Da der klassische Versuch, Erkennen und Wollen innerhalb einer geschlossenen Einheit individueller Subjektivität zu identifizieren und zu begreifen gescheitert ist, nähern wir uns dem Problem von einer anderen Seite. Wir nehmen an, dass das Phänomen der Subjektivität wie es sich in Denkprozessen und Entscheidungsakten äußert, nicht etwas ist, was man innerhalb der Haut eines individuellen belebten Körpers – mag das ein Mensch oder ein Tier sein – beobachten kann. Wir schlagen statt dessen folgendes Theorem vor: Subjektivität ist ein Phänomen, das über den logischen Gegensatz des ‘Ich als subjektivem Subjekt’ und des ‘Du als objektivem Subjekt’ verteilt ist, wobei beide eine gemeinsame vermittelnde Umwelt haben”

        wenn man das so betrachtet, dann bekommen die drei o. a. sätze heinz von foersters, solange man sie nicht isoliert, sondern in ihrem zusammenhang betrachtet, einen tieferen sinn. dann ist es z. b. zwar nicht falsch, aber auch nicht unbedingt hilfreich, bei dem begriff „universum“ (von dem ein „teil“ zu sein HvF sich entscheidet) an saturnringe und das umgraben von gärten zu denken; sondern an das oben von mir angeführte netzwerk einer vielzahl ontologischer orte („beobachter“) oder auch an das kantische „übersinnliche substrat der menschheit“. und bei „möglichkeit“ nicht an optionen zu denken, sondern an den musil’schen möglichkeits-sinn.

        • @ frafri.

          „…so schwer damit tun, die – wenn man sie erst einmal be-griffen hat, ebenso wunder-schöne wie fruchtbare – gedankenfigur „autopoiesis / beobachter“ nachzuvollziehen.“

          Ich meinte einst auch, diese Gedankenfigur begriffen zu haben, und wunderschön und fruchtbar fand ich sie auch. Daß sich das gegeben hat, liegt zum Teil daran, daß ich in den folgenden Jahrzehnten einiges, wogegen sich diese Theoretiker richten, doch erheblich genauer studiert habe und nun Schwachstellen kenne, von denen ich damals nichts wußte. Zum Teil liegt es sicher auch daran, daß ich, wie üblich, gewisse Auffassungen abgelegt habe, ohne sie wirklich widerlegen zu können, sondern einfach andere Wege gegangen bin, die ihre Attraktivität ganz unabhängig davon hatten, ob das vorherige Denken nun (für mich) als falsch erwiesen ist oder nicht.

          „in diesem denken steht ein (erkennendes / wollendes) subjekt unvermittelt einem gegebenem objekt gegenüber.“

          So mag es für den Positivismus sein, aber sonst doch nicht. Objekt, Gegenstand wird das Seiende erst dadurch, daß es das Subjekt sich gegenübersetzt; ohne das denkende Subjekt „gibt“ es den Gegenstand als Gegenstand nicht. Das Objekt wird „gesetzt“. Aber wenn wir von Seiendem und nicht von Objekt sprechen, dann ist die Unabhängigkeit von der Setzung durch das Subjekt angesprochen. Dies wiederum, daß es unabhängig ist, ist aber wiederum eine Setzung des Subjekts, kein „Befund“. Doch es ist eine Setzung, die wir nicht lassen können, ohne diese Unabhängigkeit ist auch nicht die Setzung als Gegenstand (der Erkenntnis) zu denken.

          Das alles zeigt eine Reflexion auf das Denken, nicht eine Untersuchung empirischer Dinge, die dem „biologischen Sein“ angehören. Da müßte erkenntnistheoretisch immer erst gefragt werden, wieso das, was wir an denen “in Erfahrung bringen” können, überhaupt Erkenntnis ist, gar „Notwendigkeit bei sich führt“, was bei empirischem Wissen (anders als bei aprorischem) nie der Fall sein kann. Daß man zur Identifizierung der Gegenstände, die das „biologische Sein“ ausmachen, d.h. zu ihrer Unterscheidung von nicht-lebenden Dingen, mit Biologie, bzw. mit dem, was einer Naturwissenschaft überhaupt möglich ist, nicht auskommt, daß man dazu Begriffe braucht, die nicht naturwissenschaftlicher Art sind („Naturzweck“, „Autopoiesis“), ist eine andere Sache; darüber habe ich in diesem Blog schon öfter geschrieben. – Welchen Anteil an der Objektivität der empirischen Welt (und nicht nur an unserem tatsächlichen oder vermeintlichen Wissen über das, was unabhängig vom Subjekt existiert) das Subjekt hat, ist bei Kant ausgeführt.

          „ … bekommen die drei o. a. sätze heinz von foersters, solange man sie nicht isoliert, sondern in ihrem zusammenhang betrachtet, einen tieferen sinn.“

          Den tieferen Sinn nehme ich ihm gerne ab. Ich wollte aber darauf hinaus, daß sie einen ganz handfesten Sinn haben sollen, einen, der in der Umweltdiskussion irgend etwas erklärt, der eine „ethische Haltung“ begründen kann zu Fragen, die eben doch etwas mit dem Umgraben von Gärten zu tun haben.

          • natürlich war sich kant der fundamentalen schwächen des ontologischen, zweiwertigen denkens bewusst. er versuchte, sie durch begriffe wie “ding an sich”, “erkentnis a priori” und “transzendentalsubjekt” zu kompensieren.
            dabei hat er aber m.e. den boden dieses denkens nicht wirklich verlassen. dies geschieht erst, wenn man
            a) wirklichkeit als intersubjektiv erkennt; das hat kant durchaus getan (in der KdUK: “gemeinsinn” und “übersinnliches substrat der menschheit”)
            UND
            b) diese intersubjektivität in einer kurve wiederum als eine von lebendigen menschen gemachte darstellt. genau das fehlt m.e. bei kant.
            dabei spielt ein begriff von technik (als das diese kurve vermittelnde) eine entscheidende rolle.

            angesichts der tatsache, dass die mittels technik “überlisteten” (hegel) naturkräfte uns heute selbst zu “überlisten” drohen, scheint mir diese kurve (oder “kehre”) unverzichtbar.

            dass Sie, Herr trepl, seinerzeit die systemtheorie wieder sein ließen, kann ich gut verstehen. denn die systemtheorie hat bis heute dieses “vermittelnde” noch nicht formuliert, wenngleich sie das potential dazu enthält. sie zerfällt in zwei bisher nicht kompatible teile (die mit den namen maturana bzw. luhmann verknüpft sind). Die überwiegende mehrzahl der systemiker im deutschen sprachraum folgt inzwischen blind dem luhmannschen denkansatz (in dem der beobachter ein bloßes logisches konstrukt bleibt, d.h. die sinnliche seite von erkenntnis fällt vollkommen unter den tisch).

  5. @ frafri

    Ich hätte da ein paar Fragen und Anmerkungen zu dem, was Sie sagen:
    Zum Beobachter 2. Ordung: Was genau ist denn da der Unterscheid zum Beobachter erster Ordnung? So, wie sie es ausdrücken, gibt es doch keinen. Das Beobachten verstehen Sie offenbar als Handlung („eine Unterscheidung ziehen“). Ein Beobachter (1. Ordung) entscheidet sich für eine Beobachtung (bestimmt etwas: die „eine Seite“) und lässt „den Rest unter den Tisch fallen“. (Oder meinen Sie es so, dass sich der garnicht entscheidet, sondern „naiv beobachtet“ in dem Sinn wie etwa eine Amöbe etwas “wahrnimmt”? Oder so ähnlich?). Ein anderer Beobachter (2. Ordung) beobachtet das und bemerkt, dass bei der Beobachtung (der „instinktiven Wahrnehmung“?) eine Unterscheidung getroffen wird. Selbst aber muss er dafür wiederum eine Entscheidung fällen etc. etc. Da komm ich nicht richtig mit. Das entscheidende bei Gotthard Günthers „Mehrwertigkeitstheorie“ (denn kennen sie ja sicher) war doch genau dieser Rest, den man „unter den Tischen fallen lässt“. Klar wird durch die Entscheidung die individuelle Welt aufgebaut, aber viel spannender ist doch der „Rest“, die „Negation“, die nicht „leer“ ist, sondern voll von möglichen Bedeutungen und damit Handlungsoptionen. Gerade über diesen “Rest” müsste man, meine ich, sprechen, wenn man da weiter kommen will. Ich habe mir das mal so (naiv) vorgestellt: Der Satz, „das ist eine Katze“ unterscheidet das damit bezeichnete Objekt relativ eindeutig und das Spiel ist vorbei (wobei egal ist, ob es richtig identifiziert wurde, man kann sich halt drum streiten, aber das ist alles und relativ langweilig). Die einfach Negation, d. h. der Satz, „das ist keine Katze“ bringt einen dagegen auf einen ganz anderen Weg. Da muss man die Phantasie spielen lassen und herausfinden was es den eigentlich ist bzw. sein könnte, was man da vor sich hat (ich hab das Gefühl da steigt man auf einer ganz anderen Ebene in die Wirklichkeit ein). Aber wahrscheinlich denk ich das viel zu simpel. Entscheidend scheint mir aber schon zu sein, dass man über die Mehrwertigkeit („Mehrdeutigkeit“?) der Stelle im Kalkül (Entscheidungsmöglichkeiten) reden muss und mit dem Regress von Beobachtung von Beobachtung von Beobachtung kommt man da nicht weiter oder?

    Das mit dem Beobachter 3. Ordnung und dass das irgendwas mit dem „Transzendentalen“ (bei Kant) zu tun hat, hat Ludwig Trepl an anderer Stelle mal erwähnt, aber ich hab es nicht verstanden. Vielleicht kann mir das nochmal jemand erklären.

    Zur „Einheit“ zwischen „Ich“, „Du“ und „Es“: Wie schaut die aus? Ich meine mich zu erinnern, dass der Clou bei Günther irgendwie darin bestand, dass die „Einheit“ zwischen den dreien eben unmöglich ist (dass sie nicht zur Deckung gebracht werden können) und dass das sein schlagendes Argument gegen jene Argumentationen war, die behaupten, dass es so was wie „Selbstbewusstsein“, „freien Willen“ usw. in Maschinen geben könnte, dass das genau so unmöglich wäre, wie (für uns) „Gott“ zu erkennen (bzw. zu verstehen). Aber vielleicht täusche ich mich. Können sie mir das erklären? Vor allem würde mich darüber hinaus aber interessieren, wo genau die „Technik i. w. Sinn“ ins Spiel kommt, was sie damit („i. w. Sinn“) genau meinen und was diese vermutlich als „transklassische“ bezeichnete Technik mit der Möglichkeit zu tun hat, dass sich die Menschheit selbst auslöschen kann (also im Wesentlichen mit der Möglichkeit der Zündung von Atombombe)? Was das alles damit zu tun hat, dass man nur im Rahmen der Systemtheorie sinnvoll über „Umweltzerstörung“ reden kann, verstehe ich überhaupt nicht. Warum sollte ich nur systemtheoretisch erklären (verstehen) können, warum der Bauer alles totspritzt, wo es ihn doch gar nicht stört, oder seien Gülle zu nahe am Fluss ausbringt um doch noch zwei Gramm mehr zu ernten?

    Die Rede vom „Ge-rede“ verstehe ich auch nicht. Warum schreiben sie das so? Das erinnert mich an Heidegger (z. B. ans „Ge-stell“). Haben sie das von ihm? Was meinen sie damit?

    • @ georg hausladen.
      danke. ich schätze solches nachfragen sehr, weil es mich herausfordert, nicht nur genauer, sondern zugleich auch verständlicher zu formulieren.
      ich komme (wahrscheinlich morgen) darauf zurück.

  6. “trial & error”, ja, das geht schon in die richtung, die ich meine.
    man könnte es auch ausdrücken mit dem satz “erkennen ist effektives handeln”.

    dann ist da aber noch die frage: wer ist denn überhaupt das subjekt dieses trial & error? ist dieses “subjekt” nicht selber fortlaufendes resultat von trial & error? (mit “skeptizismus” hat das aus meiner sicht absolut nichts zu tun).
    und die frage: wie ist auf diese weise überhaupt ein tragfähiges, kohärentes universum möglich / denkbar? eines, in dem raketen zum mond fliegen und auf den kopf fallende kokosnüsse den erkenntnisprozess beeinflussen?

    und schließlich die frage, inwiefern dies den (paradoxen, unaussprechlichen) kern nicht nur von wissen, sondern auch von ge-wissen (ethik) ausmacht.

    ich komme darauf zurück.

    • man könnte es auch ausdrücken mit dem satz “erkennen ist effektives handeln”.

      Klingt gut, insofern muss auch nicht unbedingt von einem Unterschied geschrieben oder gesprochen werden, das Erkennen und Handeln der Erkenntnissubjekte meinend.
      Das geht wohl Hand in Hand vor. – Das Subjekt kann oder muss hier einfach so angenommen werden, wobei aber auch Varianten gehen, Philip K. Dick arbeitet hier bspw. mit ganz anderen Weltbildern, die denkbar und somit auch möglich sind, hier gilt es einzuschränken, wenn derart debattiert werden soll, korrekt!
      Von Inkohärenz und Paradoxien ahnt Ihr Kommentatorenfreund aber im Moment nichts.
      MFG
      Dr. W (der hofft, dass unser geschätzter Gastgeber in Anbetracht derartiger Überlegung nicht ungehalten wird)

      PS: Sie dürfen auch gerne auf ‘Antworten’ klicken, um den Diskursverlauf darstellbar machen zu können für WordPress.

      • was hier noch fehlt, damit das für klassische subjektphilosophen nachvollziehbar wird, das ist die theorie des beobachters. wie gesagt, ich würde gern noch darauf zurückkommen. dazu gehört es auch, die erwähnte u-boot-metapher zu erläutern.

        im übrigen hat diese diskussion meiner ansicht nach durchaus mit dem thema hier zu tun. aus meiner sicht enthält die ausgangsthese dieses thread die implizite frage nach der ethik.
        und da behaupte ich: ethik hat einen paradoxen, unaussprechlichen kern, um den wir uns nichtsdestoweniger bemühen sollten.

        das gewöhnliche ge-rede von “ursachen” der umweltzerstörung im allgemeinen (und “anthropozentrismus” im besonderen) geht völlig an diesem kern vorbei.

        • und da behaupte ich: ethik hat einen paradoxen, unaussprechlichen kern, um den wir uns nichtsdestoweniger bemühen sollten.

          Die Wissenschaft aber auch.
          Ansonsten ist dem Anthropozentrismus nicht sinnhafterweise der Physiozentrismus (der taugt für spekulativ gemeinte Außensichten) politisch entgegen zu stellen, hier trifft man sich denn wieder allgemein, den hiesigen werte Inhaltegeber eingeschlossen, wieder.

          MFG
          Dr. W (der sich nun ausklinkt)

  7. geduld – die erklärung für “die paradoxe EINHEIT des UNTERSCHIEDS von wollen und erkennen” folgt.

    ein erster – aber noch nicht hinreichender – hinweis:
    es geht darum, dass wir menschliche wesen eine doppelte natur haben:
    – auf der einen seite sind wir als teil der natur notwendigen gesetzen unterworfen; insoweit können wir zwar dinge erkennen, aber nicht, wie sie “an sich” sind (kant in der kritik der reinen vernunft).
    – auf der anderen seite sind wir aber ebenso auch wollende / handelnde und müssen uns freiheit zuschreiben; wir haben hier zwar ein „ding an sich selbst“, dem aber nichts sinnlich anschauliches entspricht. (kritik der praktischen vernunft)

    das große an kant finde ich nun, das er hier, anders als hegel (der deswegen auf kant herabschaut), agnostisch bleibt: zwischen beiden welten, also “dem gebiete des naturbegriffs, als dem sinnlichen, und dem gebiete des freiheitsbegriffs, als dem übersinnlichen” ist nun “eine unübersehbare kluft befestigt”, “so dass von dem ersteren zum anderen (…) kein übergang möglich ist, gleich als ob es so viel verschiedene welten wären, deren erste auf die zweite keinen einfluss haben kann.” (kant in der einleitung zur KdUK). kants KdUK verstehe ich als den groß angelegten versuch, diese kluft zu überbrücken, OHNE sie aufzuheben.

    das meine ich erst einmal mit der paradoxen einheit von erkennen und wollen, über die wir nichts aussagen können, die wir dennoch als MÖGLICHKEIT nicht aus den Augen verlieren dürfen, wenn wir nicht wollen, dass alles den bach runtergeht, um es mal salopp auszudrücken.

    da, finde ich, sollte man nicht mehr hinter kant zurückfallen.
    was die moderne systemtheorie (zweiter ordnung) dem dann noch hinzufügt, das ist der BEOBACHTER. gemeint ist damit unser sein-in-sprache. damit kommt noch einmal ein ganz anderer dreh in die sache. denn sprache ist bekanntlich “das haus des seins.”
    dazu dann das nächste mal mehr.
    herr trepl, Ihre interpretation maturanas („Es gibt keine Welt an sich, alles ist sozusagen Geist“) geht völlig in die irre. ich hoffe, dies das nächste mal einsichtig machen zu können.
    danke für Ihre geduld.

    • @ frafri :

      ein erster – aber noch nicht hinreichender – hinweis:
      es geht darum, dass wir menschliche wesen eine doppelte natur haben:
      – auf der einen seite sind wir als teil der natur notwendigen gesetzen unterworfen; insoweit können wir zwar dinge erkennen, aber nicht, wie sie “an sich” sind (kant in der kritik der reinen vernunft).
      – auf der anderen seite sind wir aber ebenso auch wollende / handelnde und müssen uns freiheit zuschreiben; wir haben hier zwar ein „ding an sich selbst“, dem aber nichts sinnlich anschauliches entspricht. (kritik der praktischen vernunft)

      Ist es nicht so, dass das Erkenntnissubjekt, der Weltteilnehmer mit per se nicht umfänglichem Weltwissen, im skeptizistischen Wissenschaftssinne um Erkenntnis bemüht ist, dabei in die wissenschaftliche Veranstaltung (“Kultur”) mit eingebunden und im Sinne von Trial & Error unterwegs ist…

      , ganz ähnlich auch das Sollen und Wollen betreffend im Kollektiv, Stichwort: Kultur, und im Sinne von Trial & Error arbeitet?

      MFG
      Dr. W

    • Ludwig Trepl, @ frafri.

      Im wesentlichen kann ich dem zustimmen, was Sie über Kant sagen. Wenn Sie sagen „das meine ich erst einmal mit der paradoxen einheit von erkennen und wollen“, dann verstehe ich das jetzt so: Der Mensch ist eine paradoxe Einheit von Erkennendem und Wollendem (und Handelndem), er unterliegt den Gesetzen der Natur und der Freiheit.

      Probleme habe ich mit den Autopoiesistheoretikern. Wenn Sie die Redeweise vom Beobachter so verstehen „gemeint ist damit unser sein-in-sprache“, dann verstehe ich das gar nicht.

      Mir scheint die Beobachter-Metapher zunächst einmal die naturalistische Verengung anzuzeigen, die hier vorliegt. Die Autopoiesistheoretiker wollen Naturwissenschaftler sein und doch die transzendentalphilosophischen Einsichten reformulieren – ein unmögliches Unterfangen. Darum wird das Subjekt, das sie nicht denken können als Naturwissenschaftler, zum “Beobachter”. Diese Metapher impliziert: Das, was wesentlich Erzeugnis der Konstitutionsleistung des Subjekts ist, nämlich das Empirische, wird zum einfach so, ganz ohne den Beobachter, Vorhandenen, wie seit eh und je im Empirismus. Nur berücksichtigt man, daß dieses Empirische vom Beobachter (der auch etwas Empirisches ist, und nur dies) beobachtet wird und daß der Beobachter Einschränkungen unterliegt. Ein Beobachter kann verschiedene Perspektiven einnehmen, kann verschiedene Brillen aufsetzen, aber er beobachtet doch empirisch Vorhandenes, zu dem er nicht konstituierend beiträgt: Er ist nicht Subjekt. Nur seine Sicht dieses empirisch Vorhandenen, nicht dieses selbst hängt von seinen Möglichkeiten und seinen Leistungen ab.

      Nehmen wir Maturanas U-Boot-Metapher: Die Riffe, der Meeresgrund usw. sind an sich da. Es gibt sie ja wirklich. Der Beobachter im Boot sieht sie aber nie, der Zugang ist ihm grundsätzlich vermauert. Er sieht immer nur die Ausschläge an seinen Instrumenten und die interpretiert er als verursacht von Riffen usw., die ihm aber prinzipiell unerkennbar sind. Was er für die Welt außerhalb des Bootes hält, ist seine Interpretation. Und da das bei keinem beobachtendem System anders ist, ist es sinnlos von einer Welt zu sprechen, in der es Riffe gibt, es gibt immer nur als Riffe interpretierte Zeigerausschläge.

      Das sieht auf den ersten Blick ähnlich aus wie der Unterschied zwischen der phänomenalen Welt und der Welt an sich. Es ist aber doch etwas anderes. Die Riffe usw. sind empirische (raumzeitliche, Kausalgesetzen unterworfene …) Dinge. Sie werden aber von dem Beobachter nicht so gesehen, wie sie „als empirische wirklich sind“, d. h. wie sie durch eine gründlichere empirische Betrachtung (die z. B. mit anderen Beobachtern vergleicht, den Weg der Echowellen von den Riffen zum Instrument untersucht usw.) erkennbar wären, sondern in den Grenzen, die das isolierte System, die fensterlose Monade U-Boot, empirisch nun einmal hat. Entsprechend: In den empirischen Grenzen, die z. B. einem bestimmten Organismus durch seine physische Beschaffenheit gesetzt sind, ist es unmöglich, daß ein „Instrument“ anzeigt, daß es um ihn herum Farben gibt. Aber daß die Welt außer ihm hell und dunkel ist, das zeigen seine Instrumente an oder richtiger: das ist eine Interpretation, die ihm möglich ist.

      So etwas hat Kant aber als „bei weitem unzulängliche Beispiele“ bezeichnet (in der KrV, transzendentale Ästhetik), und er hat davor gewarnt, damit die transzendentale Problematik zu illustrieren. Die Welt außerhalb des U-Boots ist Teil der empirischen Welt, nicht Ding an sich. Für Kant geht es um die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt, nicht um das, was in der empirischen Welt diese oder jene Erfahrung ermöglicht oder ausschließt.

      Wenn ich nun sage, für die Autopoiesistheoretiker gibt es keine Welt an sich, sondern alles ist sozusagen Geist (wovon Sie sagen, das „geht völlig in die irre“), dann meine ich das so: Diese Theoretiker versuchen, als Naturwissenschaftler, die beanspruchen, ihr Gebiet nicht zu verlassen, Monisten zu sein. Es gibt nicht empirische Welt und Welt an sich. Aber es ist sinnlos, außerhalb der Bedingungen, die Systemen als Systemen gesetzt sind, danach zu fragen, wie die empirische Welt (außerhalb des U-Boots) beschaffen ist. Die Welt ist wird so zu dem, was das System erkennen kann: Sie ist „Geist“, Hervorbringung des Systems im Zuge seiner Beobachtertätigkeit. Die Autopoiesistheoretiker landen so beim Gegenteil ihres naturalistischen Standpunkts. Wie Hegel kommen auch sie zu diesem (bei ihnen mehr oder weniger uneingestandenen) Ergebnis, weil sie wie er ohne den Begriff des Dings an sich auskommen wollen. Nur wollen sie halt zugleich naturalistisch sein: Die Systeme sind materielle Dinge.

      • @ ludwig trepl
        ich fasse mal aus meiner sicht zusammen. es geht um die frage, wie die einheit von erkennen und wollen (handeln) möglich und denkbar ist. oder mit kant: wie “…die einheit des übersinnlichen, welches der natur zum grunde liegt, mit dem, was der freiheitsbegriff enthält” möglich ist.

        (für alle die, die hier außerdem eventuell noch mitlesen: es geht hier – entgegen dem äußeren anschein – um höchst praktisches; z.b. darum, wie wir überhaupt sinnvoll über die ursachen von umweltzerstörung sprechen können, ohne, dass dies ein bloßes ge-rede bleibt).

        kant landete mit dieser frage, wenn ich das richtig sehe (korrigieren Sie mich ggf., herr trepl), schließlich bei dem, was er das “übersinnliche substrat der menschheit” nannte. das ist groß gedacht, bleibt aber aus heutiger sicht – angesichts der vergangenen und sicher auch noch kommenden megakatastrophen – unbefriedigend.
        hier schlägt nun die systemtheorie vor, auch noch denjenigen in die frage mit einzubeziehen, der diese unterscheidungen zieht und diese frage stellt. sie nennt ihn nicht mehr „subjekt“, sondern „beobachter“. denn „alles, was gesagt wird, wird von einem beobachter zu einem anderen beobachter gesagt (der er auch selbst sein kann)“.
        das verwirrt zunächst zutiefst. es rührt an die („kartesianische“) grundangst der moderne, die angst nämlich, den boden unter den füßen zu verlieren.

        erst muss also mal gut verstanden werden, was die systemtheorie überhaupt meint, wenn sie vom „beboachter“ spricht. Ihre aussagen hierzu, herr trepl, geben Ihre persönliche sichtweise wieder, im wesentlichen wohl die der klassischen subjektphilosophie. mit der sicht der systemtheorie hat das aber nichts zu tun. ich will daher versuchen, diese sichtweise in aller kürze zu erläutern, und zwar anhand der von Ihnen angeführten u-boot-metapher.

        grundlegend ist: der beobachter ist NICHT das u-boot bzw. er sitzt auch nicht (als homunculus) im u-boot. “u-boot” steht vielmehr für die beschreibung eines SYSTEMS und seiner zirkulären, selbstreferentiellen operationsweise – z.b. des nervensystems; oder eines fisches; aber dann natürlich auch eines beobachters als ein psychisches system.

        sorgfältig von dieser (innen-)perspektive zu unterscheiden (das ist der dreh- und Angelpunkt!!) ist nun die außen-perspektive auf das system. DAS ist dann der beobachter und seine tätigkeit.
        was also tut er? er unterscheidet auf der einen seite das system (z.b. das u-boot, das nervensystem, oder einen fisch); er unterscheidet auf der anderen seite die umwelt des systems (zb. die ökologische nische des fisches); und drittens stellt er in seinen aussagen beziehungen her zwischen beiden seiten, also zwischen umwelt und system.
        dieses tun ist aus sicht der systemtheorie aktives tun: erkennen ist effektives handeln. d. h. der beobachter bringt ein (wie auch immer kohärentes, lebbares) universum hervor.

        entscheidend ist die sorgfältige logische buchhaltung zwischen innen- und außen-perspektive, und damit auch die differenz von system und umwelt (der beobachter selbst sieht diese differenz nicht; für ihn sind system und umwelt gleichermaßen „objekte“; die differenz, die grenze zwischen system und umwelt, ist sein blinder fleck).

        wenn wir beide perspektiven durcheinander werfen, dennoch aber (wie oben gefordert) die einheit suchen, dann verwickeln wir uns unvermeidlich in Widersprüche und paradoxien.

        der witz ist nun, dass ja auch der beobachter wieder von außen (also von einem beobachter zweiter ordnung) beobachtet werden kann usw. usw. Maturana: „woher will denn der beobachter wissen, dass er nicht selber in einem u-boot sitzt“?

        die systemtheorie lädt nun dazu ein, sich von diesem zirkel nicht abschrecken zu lassen; d. h. sein heil weder im skeptizismus (hallo, herr webbaer!) noch in szientistischem objektivismus zu suchen, aber auch nicht mehr ein „ding an sich“ zu postulieren. .
        dann lässt sich die frage „wie ist erkennen möglich?“ auf ganz neue weise stellen: sie lautet dann: wie ist es denkbar / möglich, dass wir menschliche wesen als reflektierende (das Ganze nie erreichende!) beobachter in das beobachtete so wieder eintreten können, dass ein kohärentes, lebbares universum denkbar wird?

        hier braucht es offensichtlich eine andere, eine mehrwertige logik, eine logik, die auch paradoxien in ihr kalkül einbezieht. wenn Sie, herr trepl, noch weiterhin neugier und geduld aufbringen, dann demnächst vielleicht abschließend noch ein paar anmerkungen dazu.

        • Ludwig Trepl, @ frafri.

          Ich bin da nicht ganz so unbeleckt, wie Sie vielleicht denken („wenn Sie, herr trepl, noch weiterhin neugier und geduld aufbringen …“). Ich habe viele Bücher dazu gelesen, von Maturana und Luhmann bis zu Gotthard Günther, und auch Kritik daran aus der Richtung der analytischen Philosophie und des Positivismus. Nur ist das alles lange her, meist etliche Jahrzehnte, und ich habe es nicht mehr parat.

          Nun ein paar Nachfrage und Einwände zu Einzelheiten:

          „z.b. darum, wie wir überhaupt sinnvoll über die ursachen von umweltzerstörung sprechen können, ohne, dass dies ein bloßes ge-rede bleibt)“

          Wie meinen Sie das? Man kann ja ganz ohne Systemtheorie sinnvoll über Ursachen von Umweltzerstörung sprechen, im Einzelnen und im allgemeinen, und das wird ja dauernd gemacht. Wenn z. B. einer sagt, die Ursache ist ein dem Kapitalismus essentieller Zwang zur steten Vermehrung des Geldes, so ist das vielleicht falsch, aber kein bloßes Gerede. Und wenn einer sagt, die Hauptursache liegt in der Industrialisierung der Landwirtschaft, dann gilt das gleiche. Das werden Sie also wohl nicht meinen. Was dann?

          „kant landete mit dieser frage, … schließlich bei dem, was er das “übersinnliche substrat der menschheit” nannte. das ist groß gedacht, bleibt aber aus heutiger sicht – angesichts der vergangenen und sicher auch noch kommenden megakatastrophen – unbefriedigend.
“

          Erstens: Mit welcher Frage landete Kant da? Zweitens: Was soll daran die „heutige Sicht“, was ja offenbar so etwas wie ein Bewußtsein von „Megakatastrophen“ bedeuten soll, ändern? Wo werden diese Katastrophen in diesen Gedankengängen relevant? Und wieso meinen Sie (oder meinen Sie das gar nicht?), daß man damals von solchen Megakatastrophen nichts gewußt hätte? Man wußte z. B. von Pestepidemien, und keine heute befürchtete Umweltkatastrophe übertrifft die.

          „hier schlägt nun die systemtheorie vor …“

          Nicht „die“ Systemtheorie, sondern einige Systemtheoretiker, es gibt auch andere.

          Was Sie dann über die Und-Boot-Metapher schreiben, habe ich glaub ich schon verstanden. Der Einwand der, wie Sie es nennen, „Subjektphilosophie“ richtet sich gegen den Naturalismus. Man geht aus von empirischen Befunden: Es „gibt“ solche Systeme in der empirischen Welt. Nach den Bedingungen der Möglichkeit einer empirischen Welt überhaupt wird aber nicht gefragt, auch nicht danach, wieso „Empirie“, also etwas Subjektives, zu Erkenntnis darüber führen kann, wie es „objektiv“ zugeht. D. h. die transzendentalphilosophische Ebene wird nicht erreicht, auch wenn man das glaubt.

          „erkennen ist effektives handeln. d. h. der beobachter bringt ein (wie auch immer kohärentes, lebbares) universum hervor.“

          Das haben, auf ihre Art und mit mehr Tiefgang, die transzendentalphilosophischen und idealistischen Denker um 1800 auch schon gesagt.

          „Maturana: „woher will denn der beobachter wissen, dass er nicht selber in einem u-boot sitzt“? die systemtheorie lädt nun dazu ein, sich von diesem zirkel nicht abschrecken zu lassen; d. h. sein heil weder im skeptizismus … noch in szientistischem objektivismus zu suchen, aber auch nicht mehr ein „ding an sich“ zu postulieren.“

          Diese beiden Wege haben ja die transzendentalphilosophischen und idealistischen Denker auch schon zu vermeiden gewußt, ebenso der in Deutschland prominenteste Systemtheoretiker-Gegner, Habermas. „Die“ Systemtheoretiker vermeiden sie aber gewiß nicht. Die bedienen den radikalen Skeptizismus („es gibt den extramundanen Beobachter nicht“ usw.) Aber Leute wie Günter mit ihrer mehrwertigen Logik vermeiden sie vielleicht wirklich. Ich glaube, ich bin einst, vor 30 Jahren, dieser Meinung gewesen, muß aber heute zugeben, daß ich da nicht mitreden kann: ich hab’ das einfach vergessen.

          • ludwig trepl: “Der Einwand der, wie Sie es nennen, ‘Subjektphilosophie’ richtet sich gegen den Naturalismus. Man geht aus von empirischen Befunden: Es „gibt“ solche Systeme in der empirischen Welt. Nach den Bedingungen der Möglichkeit einer empirischen Welt überhaupt wird aber nicht gefragt, auch nicht danach, wieso „Empirie“, also etwas Subjektives, zu Erkenntnis darüber führen kann, wie es „objektiv“ zugeht. D. h. die transzendentalphilosophische Ebene wird nicht erreicht, auch wenn man das glaubt.”

            wenn maturana von “autopoiesis” spricht, dann ist das kein naturalismus. autopoietische systeme “gibt” es nicht. “autopoiesis” ist eine epistemologie, eine ganz bestimmte (und zwar: nicht-instrumentelle, nicht-ontologisierende) weise, lebendiges zu unterscheiden.

            das verweist auf den beobachter, der diese unterscheidung trifft. und der durch sein unterscheiden eine (wie auch immer) kohärente, lebbare welt hervorbringt (was dann durchaus auch eine welt sein kann, die dazu tendiert, ihre eigenen grundlagen zu zerstören oder sich gar selbst auszulöschen).

            maturanas interesse ist es nun, diesen beobachter und seine welt-konstituierenden fähigkeiten zu erklären. “erklären” heißt dabei: anderen beobachtern einen generativen mechanismus vorzuschlagen, d.h. einen mechanismus, der das zu erklärende phänomen (den welt-konstituierenden beobachter) hervorbringt.

            das geht aber nicht ohne jene dimension, die Sie, herr trepl, die “transzendentale” nennen. in der systemtheorie ist dies die beobachtung dritter ordnung. es geht hier um die frage, wie beobachter den durch ihr unterscheiden quasi hinter ihrem rücken generierten kontext (ihren blinden fleck) immer wieder in das aktuelle unterscheiden hineinziehen können, damit eine lebbare, erfahrbare welt auftauchen kann.
            oder in anderen worten: wie beobachter in das beobachtete fortlauifend wiedereintreten können. (der berühmte re-entry im logik-kalkül von spencer-brown).

            mit kant gesprochen ist hier die reflektierende urteilskraft gefragt.

          • Ludwig Trepl, @ frafri.

            „wenn maturana von ‚autopoiesis’ spricht, dann ist das kein naturalismus. autopoietische systeme ‚gibt’ es nicht. ‚autopoiesis’ ist eine epistemologie, eine ganz bestimmte (und zwar: nicht-instrumentelle, nicht-ontologisierende) weise, lebendiges zu unterscheiden.“

            Dann wäre Autopoiesis in den Kant’schen Termini kein konstitutiver, also auch kein naturwissenschaftlicher, sondern ein regulativer, in der Naturwissenschaft nur zu heuristischen Zwecken erlaubter Begriff und entspräche dem (Organismus als) „Naturzweck“. Mag sein, daß Maturana in einem hellen Moment mal so etwas geschrieben hat. Aber sein ganzes Programm ist so naturalistisch (und damit empiristisch) wie es nur sein kann. Ich zitiere eine Stelle, wo er dieses Programm vorstellt:

            „Wenn wir dagegen Kognition als ein Phänomen ansehen, das von unserem biologischen Sein produziert wird bzw. daraus hervorgeht, dann kann Kognition zu einem empirischen Problem gemacht werden ….“ (89)
            „Als Beobachter erklären oder bewerten wir Kognition in einem bestimmten Bereich durch wirksames Handeln oder durch erfolgreiches Verhalten in diesem Bereich. Wir haben keine andere Möglichkeit … (91)
            „…meine Frage soll lauten: „Was findet in lebenden Systemen in einer solchen Weise statt, daß sie in der Lage sind, in einem bestimmten Bereich – einschließlich der Sprache – wirksam und erfolgreich zu operieren?“ (91)

            (die Zitate sind aus einem mit „Kognition“ überschriebenen Text von ihm; leider steht auf der Kopie, die ich habe, nicht, woraus er ist).

            Es geht ihm also um ein Phänomen, nämlich um „lebende Systeme“, und eine bestimmte Art des Operierens derselben, also insgesamt um Empirisches. Von empirischem Wissen über diese Systeme aus will er auf etwas verallgemeinern, was nicht empirischer Art ist: Erkenntnis. Das ist eben das, was man Naturalismus nennt. An gleicher Stelle sagt er folgendes:

            „Ich frage nicht nach Bedeutung, Information oder Wahrheit, sondern Frage nach Mechanismen und Prozessen; ich stelle nicht die Frage, wie oder was wir wissen; sondern ich frage, was beim Erkennen vor sich geht.“ (91)

            Das heißt, daß er bewußt die transzendentalphilosophische Fragestellung ablehnt: „Hier müssen wir uns zunächst klarmachen, daß dasjenige, nach dessen Möglichkeit [transzendentalphilosophisch] gefragt wird, von vornherein eine Geltungseinheit ist. Es geht um die Möglichkeit gültiger Urteile und die Möglichkeit gültiger, d.h. wahrhaft auf Gegenstände bezogener Begriffe, und nicht etwa nur um die Möglichkeit faktischer Behauptungen.“ (B. Grünewald)

            Es geht Maturana, wie man sieht, explizit nicht um Wahrheit, also nicht um Erkenntnis, nicht um Geltung, sondern um Faktisches. Das hindert ihn aber nicht, doch von „Kognition“ zu sprechen. Es löst sich wohl so auf: Er untersucht empirisch Fälle, die denen irgendwie ähneln, auf die wir unter Umständen den Begriff Erkenntnis anwenden (weil Erkenntnis empirisch sich bisher immer als mit solchen Fällen verbunden erwiesen hat), also beispielsweise Fragen der Art, was in neuronalen Systemen der Menschen vor sich geht, wenn sie meinen, etwas erkannt zu haben, und auch in ähnlichen Systemen von Lebewesen, bei denen man schwerlich von Erkenntnis sprechen würde). Das Problem, daß „Erkenntnis“ nur zu gültigen Urteilen gesagt werden kann (sonst ist es keine, sondern nur eine vermeintliche), löst er in der in der empiristischen Tradition seit Jahrhunderten bekannten und mit dem Darwinismus eine Konjunktur erlebenden Weise, nämlich indem er Gültigkeit mit Erfolg gleichsetzt; ein anderes Kriterium hätten wir ohnehin nicht. Dazu will ich nichts weiter sagen, es ist zur Genüge kritisiert worden. Mir kommt es nur darauf an, daß das, was er macht, geradezu klassischer Naturalismus ist.

            „das geht aber nicht ohne“ usw. habe ich nicht verstanden.

          • ludwig trepl: “Es geht ihm (maturana) also um ein Phänomen, nämlich um ‘lebende Systeme’, und eine bestimmte Art des Operierens derselben, also insgesamt um Empirisches.”

            in diesen beiden “also” liegt der fehler.
            herr trepl, solange Sie das so sehen, versperren Sie sich selbst den blick auf den dreh- und angelpunkt von autopoiesis. und solange werden Sie zwangsläufig in maturana immer “naturalismus” hineinlesen und sich immer wieder bestätigt fühlen.

            die autopoiesis lebender systeme ist aber nichts empirisch beobachtbares. das ist nicht etwas, was maturana mal in hellen momenten formuliert hätte, sondern das bildet den roten faden, der sein ganzes werk durchzieht.

            lebende systeme sind bei maturana die nicht beobachtbare (insofern ‘transzentale’), paradoxe einheit von zwei orthogonal zueinander stehenden phänomenbereichen (das erinnert mich immer wieder an kant und das o.a. zitat aus der einleitung zur KdUK): nämlich jenem bereich, in dem sie ihre körperlichkeit (physiologie) verwirklichen auf der einen; und jenem bereich, in dem sie die beziehung zu ihrer umwelt realisieren, d.h. dem bereich des verhaltens (interaktionen als ganzheiten), auf der anderen seite.

            wir menschliche wesen existieren als MENSCHEN im bereich unserer beziehungen (als beobachter), nicht im bereich unserer körperlichkeit, “auch wenn wir uns in unseren Beziehungen durch unsere Körperlichkeiten realisieren. (…). Die Schwierigkeit, der man hier begegnet, entsteht durch die Schwierigkeit, akzeptieren zu können, dass der Beobachter und das Beobachten OPERATIONEN sind, nicht (naturalisitisch zu verstehende, f.) Objekte mit einer unabhängigen existenz.”
            ……
            “das geht aber nicht ohne jene dimension, die Sie, herr trepl, die ‘transzendentale’ nennen.”
            dass dieser mein satz in dieser kürze schwer nachzuvollziehen ist, ist klar.
            auf das “transzendentale” in der systemtheorie werde ich in meiner antwort an georg hausladen eingehen.

          • @ frafri
            „ludwig trepl: ‚Es geht ihm (maturana) also um ein Phänomen, nämlich um ‘lebende Systeme’, und eine bestimmte Art des Operierens derselben, also insgesamt um Empirisches.’
            in diesen beiden “also” liegt der fehler.
… solange Sie das so sehen, versperren Sie sich selbst den blick auf den dreh- und angelpunkt von autopoiesis. und solange werden Sie zwangsläufig in maturana immer “naturalismus” hineinlesen und sich immer wieder bestätigt fühlen.“

            Ich glaube eher, daß Sie in Maturana Transzendentalphilosophie hineinlesen, die aber nicht drin ist. Die Maturana-Sätze, die ich zitiert habe, sind eindeutig. „Es geht ihm (maturana) also um ein Phänomen“ habe ich geschrieben, weil Maturana das selbst ganz unmißverständlich geschrieben hat. Sie müßten zeigen, daß er das an anderer Stelle widerrufen hat, oder vielleicht gesagt hat, daß er jetzt auf eine andere Ebene überwechselt, auf der das nicht mehr gilt, was er zunächst als sein Programm formuliert hat, oder so was.

            Daß er selbst glaubt, die Transzendentalphilosophie zu reformulieren, glaube ich gern. Er kommt auf einen „blinden Fleck“, auf dem alle Empirie aufruht. Auf den kamen schon zahllose andere, meist sprachen sie von „Gottes unerforschlichem Rat“ oder ähnlich. Sie kamen “spekulativ” auf diesen Gedanken, indem sie “metaphysisch” da weiterdachten, wo eine empirische Überprüfung nicht mehr möglich ist. Macht Maturana das anders? Er meint, auf dieses „Ding an sich“ kommen können, „wenn wir … Kognition als ein Phänomen ansehen“. Die Empirie ist ihm also der Ausgangspunkt, der feste Grund. Wie es denn sein kann, daß Empirie, etwas Subjektives, überhaupt zu objektiven Erkenntnissen führt – denn daß die Phänomene, die er betrachtet, objektiv sind, bezweifelt er nicht, er geht ja von ihnen aus, um dann zu zeigen, daß sie so, wie sie dem „Beobachter“ erscheinen, von dessen „Unterscheidungen“ abhängen –, das ist ihm kein Thema. Er hat ja ausdrücklich gesagt „ich stelle nicht die Frage, wie oder was wir wissen“. Damit kommt er aber nicht mal in die Nähe des transzendentalphilosophischen Programms.

          • maturana: „Wenn wir dagegen Kognition als ein Phänomen ansehen, das von unserem biologischen Sein produziert wird bzw. daraus hervorgeht, dann kann Kognition zu einem empirischen Problem gemacht werden ….“ (89)

            ludwig trepl. “die maturana-sätze, die ich zitiert habe, sind eindeutig.”

            herr trepl, ich spiele jetzt mal beobachter zweiter ordnung, der die unterscheidung beobachtet, die Sie hier benutzen: ich vermute, dass Sie “biologisches Sein” naturalistisch interpretieren und sehe zugleich eine andere möglichkeit der interpretation, die Ihnen aber – aus Ihrer speziellen sichtweise – verborgen bleiben muss.
            welche andere möglichkeit? wenn Sie noch mal hier hingehen:
            https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/ist-anthropozentrisches-denken-die-ursache-der-naturzerstoerung/#comment-6172 ,
            dann können Sie sehen, dass “biologisches sein” bei maturana nie und nimmer naturalistisch gemeint ist: lebende systeme existieren nach maturana in zwei – sich nicht überschneidenden!!! – phänomen-BEREICHEN.
            dass wir als beobachter erster bzw. zweiter ordnung dann PHÄNOMENE wahrnehmen, ist doch davon zu unterscheiden. .
            maturana sagt ja nicht, kognition “ist” ein empirisches problem. aber es kann dazu “gemacht werden”. „Als Beobachter (erster und zweiter ordnung, fr.) erklären oder bewerten wir Kognition in einem bestimmten Bereich durch wirksames Handeln oder durch erfolgreiches Verhalten in diesem Bereich. Wir haben keine andere Möglichkeit …” genau so ist es: wir haben in unserem täglichen leben “keine andere möglichkeit”. aber die frage ist doch, wie wir “in der lage sind, in einem bestimmten bereich – einschließlich der sprache – wirksam und erfolgreich zu operieren.” dies ist dann die “transzendentale” ebene, die beobachtung dritter ordnung, in der kognition eben KEIN empirisches phänomen mehr ist.

            herr trepl, solange Sie die oben von mir zitierte grundannnehme maturanas von den zwei sich nicht überschneidenden phänomenbereichen nicht zur kenntnis nehmen, reden wir hier aneinander vorbei.

        • frafri: „z.b. darum, wie wir überhaupt sinnvoll über die ursachen von umweltzerstörung sprechen können, ohne, dass dies ein bloßes ge-rede bleibt)“
          ludwig trepl: “Wie meinen Sie das? Man kann ja ganz ohne Systemtheorie sinnvoll über Ursachen von Umweltzerstörung sprechen, im Einzelnen und im allgemeinen, und das wird ja dauernd gemacht. Wenn z. B. einer sagt, die Ursache ist ein dem Kapitalismus essentieller Zwang zur steten Vermehrung des Geldes, so ist das vielleicht falsch, aber kein bloßes Gerede. Und wenn einer sagt, die Hauptursache liegt in der Industrialisierung der Landwirtschaft, dann gilt das gleiche. Das werden Sie also wohl nicht meinen. Was dann?”

          ich meine erst einmal äußerungen wie “der anthropozentrismus ist schuld”, d.h. redeweisen, bei denen ein genaueres nachfragen zeigt, dass der sprecher im grunde gar nicht genau weiß, was er da eigentlich sagt.
          i.w. sinn meine ich aber auch letztlich alles reden, das ursachen (z.b. der umweltzerstörung) DING-fest machen will, also ein reden, das unterstellt, man brauche dann nur noch die “ur-sache” zu beseitigen.
          ich meine ein verdinglichendes, ontologisierendes denken / reden, das vom TUN des beobachters abstrahiert; ein reden, in das wir alle immer wieder abgleiten, wenn wir nicht aufpassen. und so verstehe ich auch dieses blog hier: als ein training für vernünftiges, sinnvolles reden / kommunizieren.
          f. varela schreibt irgendwo sinngemäß: “wir tun alles, um zu vergessen, dass wir die welt, wie sie für uns auftaucht, fortlaufend selbst hervorbringen.”
          mit sinn-voll reden meine ich also: aus dem wissen heraus sprechen, dass ich immer schon teil der welt bin, die ich beobachte.

          • @ frafri.

            Wenn Sie das so meinen, dann sollten Sie es nicht so sagen („sinnvoll über die ursachen von umweltzerstörung sprechen können, ohne, dass dies ein bloßes ge-rede bleibt“).

            Wenn z. B. gesagt wird “der Anthropozentrismus ist schuld”, dann ist das durchaus sinnvoll. Daß da ein mehrdeutiger Begriff benutzt wird, heißt nur, daß man fordern muß, genauer zu werden, nicht daß man eine Theorie von der Art der Autopoiesistheorie (der Kants) braucht. Das, was ich da eingewandt habe (daß da in Wirklichkeit gar nicht gemeint ist, was man immer mit „der Mensch“ gemeint hat, sondern was speziell die Ökos mit „der Mensch“ meinen, nämlich ein bloßes Tier), würden die, die “der Anthropozentrismus ist schuld” behaupten, ja sicher zugestehen, würden sagen, daß sie eine besondere Variante von Anthropozentrismus meinen und nur über diesen reden. – Daß es überhaupt sinnvoll ist, die Ethik als eine oder die Ursache der „Naturzerstörung“ zu sehen, setzt halt eine bestimmte Theorie über die politische Wirksamkeit von Gedanken voraus; unter dieser Voraussetzung ist es sinnvoll, so eine Behauptung aufzustellen. Auch daß man nur „die Ursache“ beseitigen muß, ist nicht „bloßes Gerede“, selbst wenn man sich meist über die Art und die Komplexität der Ursache täuscht. Um all das zu kritisieren, muß man nicht bis zu jener „paradoxen Einheit“ gehen.

            Irritiert hat mich Ihre Formulierung „…verdinglichendes, ontologisierendes denken / reden, das vom TUN des beobachters abstrahiert …“. Tun das nicht gerade die Systemtheoretiker? Systeme funktionieren irgendwie, im System gibt es bestimmte Stellen, die können die Subjekte einnehmen, wie man eine Stelle in einem Verwaltungsapparat einnimmt, die Stellen sind ganz ohne den sie einnehmenden tätigen Beamten da. Und der ist nicht wirklich tätig, der führt nur aus, was „das System“ von dieser Stelle verlangt. Die bekanntere Kritik an der Systemtheorie (der Gesellschaft), etwa von Habermas an Luhmann, macht ja gerade das geltend: daß die tätigen Menschen nicht vorkommen, nur noch funktionierende Systeme, und daß sich diese ganze Theoriesorte darum sehr gut für technokratische Herrschaft, für die Verwaltung der Welt eignet. – Daß sich die Theorien selbstreferentieller Systeme, die dem Bild des Organismus folgen, in denen das Ganze vom Handeln der Teile ebenso abhängt wie umgekehrt, nimmt sicher einen Teil dieser Kritik die Überzeugungskraft, aber wohl nicht all dieser Kritik.

          • ludwig trepel: “Die bekanntere Kritik an der Systemtheorie (der Gesellschaft), etwa von Habermas an Luhmann, macht ja gerade das geltend: daß die tätigen Menschen nicht vorkommen, nur noch funktionierende Systeme, und daß sich diese ganze Theoriesorte darum sehr gut für technokratische Herrschaft, für die Verwaltung der Welt eignet. ”

            worin ich luhmann, bei aller kritik an ihm, unbedingt – gegen habermas – zustimme, ist es gerade, dass er soziale systeme (letztlich gesellschaft) von konkreten handelnden menschen freihält. denn er konstatiert damit, was bereits marx wusste: dass den handelnden die eigene gesellschaftlichkeit fremd gegenübertritt.
            insofern hält luhmann auch eine wichtige ergänzung zu maturana (der keinen gesellschaftsbegriff hat) bereit. für maturana entstehen soziale systeme aus “konversationen”, d.h. diskursen oder gesprächen handelnder menschen.
            “die” systemtheorie besteht im moment aus zwei (scheinbar inkompatiblen) ansätzen: dem ansatz maturanas, für den der beobachter ein lebendes system ist; und dem ansatz luhmanns, für den der beobachter lediglich ein logisches konstrukt (ohne physischen unterleib suzusagen) ist.

            der von mir oben formulierte anspruch der systemtheorie, den subjektbegriff durch den des beobachters zu ersetzen, ist im grunde erst dann voll einlösbar, wenn gezeigt werden kann, wie das handeln der menschen sich in “gesellschaft” transformiert und umgekehrt.
            aber dazu gehört dann auch ein begriff von technik als gesellschaftlichem verhältnis.

        • frafri: „kant landete mit dieser frage, … schließlich bei dem, was er das “übersinnliche substrat der menschheit” nannte. das ist groß gedacht, bleibt aber aus heutiger sicht – angesichts der vergangenen und sicher auch noch kommenden megakatastrophen – unbefriedigend.
“

          ludwig trepl: “Erstens: Mit welcher Frage landete Kant da? Zweitens: Was soll daran die „heutige Sicht“, was ja offenbar so etwas wie ein Bewußtsein von „Megakatastrophen“ bedeuten soll, ändern? Wo werden diese Katastrophen in diesen Gedankengängen relevant? Und wieso meinen Sie (oder meinen Sie das gar nicht?), daß man damals von solchen Megakatastrophen nichts gewußt hätte? Man wußte z. B. von Pestepidemien, und keine heute befürchtete Umweltkatastrophe übertrifft die.”

          ich meine die obige frage: wie die paradoxe einheit von erkennen und wollen (und handeln) bzw. die übereinstimmung von natur- und freiheitsbegriff möglich und denkbar sind.
          in meiner vorstellung landet kant in beantwortung dieser frage bei dem begriff “übersinnliches substrat der menschheit”.

          “aus heutiger sicht” meint das wissen oder das bewusstein, dass die menschheit heute die technischen mittel in der hand hat, sich über kurz oder lang selbst auszulöschen. da macht es sinn, sich um eine epistemologie zu bemühen, die den subjektbegriff durch den “beobachter” ersetzt – weil der ja als ein TUN gedacht wird, als die (wie immer mögliche) einheit von erkennen und wollen (handeln).

          (auf die anderen fragen werde ich später noch eingehen)

          • @ frafri.

            Kant landet in der Tat „in beantwortung dieser frage [übereinstimmung von Natur- und Freiheitsbegriff] bei dem begriff ‚übersinnliches substrat der menschheit’“, jedenfalls in der KU. Aber er meint eben, daß diese Frage prinzipiell nicht beantwortbar ist, und dafür hat er Gründe. Hat die Autopoiesistheorie diese Gründe wirklich widerlegt? Der Hauptgrund ist, daß Freiheit nichts mit den Mitteln des theoretischen Denkens erklärbares ist (Natur aber das ist, was so erklärbar ist). Wie soll eine Theorie, die sich unter empirische Wissenschaft einordnet, da weiterkommen können?

            „…sich um eine epistemologie zu bemühen, die den subjektbegriff durch den “beobachter” ersetzt – weil der ja als ein TUN gedacht wird, als die (wie immer mögliche) einheit von erkennen und wollen (handeln).

            Das verstehe ich nicht. Die Metapher des Beobachters besagt doch gerade, daß da einer zuschaut. Aber handeln tut er gerade nicht, er beobachtet ja nur. Auch wenn man Beobachtungen, wie man im Deutschen sagt, „macht“, so heißt das doch nie, daß man in welcher Weise auch immer das Beobachtete dabei hervorbringt. Sondern man bringt sich in eine Position, in der man etwas beobachten kann (wenn man sich nicht in diese Position bringt, wird man nichts beobachten können), aber das Beobachtete ist ganz unabhängig vom Beobachter da.

            „Subjectum“ dagegen ist der „hervorbringende, leistende Grund“ (H. Wagner). Auch er bringt, würde man mit Kant sagen, den Gegenstand nicht als Gegenstand an sich hervor, aber doch als Gegenstand für das Subjekt, als Erkenntnisgegenstand, als Gegenstand der phänomenalen Welt; hervorbringen nicht als produzieren, sondern als konstituieren. Aber wenn man, wie im absoluten Idealismus, den Unterschied Ding an sich und Ding für uns nicht macht, fällt auch diese Einschränkung weg, das Subjekt ist das schlechthin Hervorbringende. Also: „Subjekt“ wäre der angemessene Begriff, wenn man das Handeln betonen will, nicht Beobachter. Der letztere dürfte eher ein Relikt der biologischen Herkunft dieser Theorien sein, denn in der Biologie kann es ein Subjekt nicht geben, einen Beobachter schon eher (auch wenn der nie „erkennen“ kann). Subjekt wird also reduktionistisch heruntergestuft zu Beobachter, und dann hat man seine Mühe, um dahin zu kommen, wohin man will: daß der Beobachter in Wirklichkeit ein Subjekt ist. Denn das ist ja der treibende Grund dieser Art von Theorien: naturalistisch das formulieren zu können, was die Domäne der Gegenseite war, der Seite, auf der es Begriffe wie Subjekt, Erkenntnis usw. gibt, die der Naturwissenschaft prinzipiell verschlossen sind.

            „’aus heutiger sicht’ meint das wissen oder das bewusstein, dass die menschheit heute die technischen mittel in der hand hat, sich über kurz oder lang selbst auszulöschen. da macht es sinn, sich um eine epistemologie zu bemühen ….“

            Gut, dieses Bewußtsein hatte man im 18. Und 19. Jahrhundert nicht. Aber hätte es denn ohne dieses Bewußtsein keinen Sinn „gemacht“, das Subjekt vornehmlich als Handelndes zu denken? Warum haben die das denn dann damals gemacht? Bei Hegel, bei Marx ist das so – ja, bei wem denn nicht? Und auch bei Kant ist das Wollen die Einheit von Erkennen und Handeln, denn der Wille impliziert, anders als der bloße Wunsch, die Entscheidung zur Tat. Die Welt als einfach nur vorhandene, die vom Menschen beobachtet wird, zu betrachten, war damals schon recht unplausibel. – Auch unter den heute einflußreicheren Theorien gibt es solche, die gerade die Einheit von Erkennen und Handeln betonen bzw. daß das Erkennen dem Handeln entspringt, daß die Kategorien sich handlungstheoretischen erklären lassen (z. B. von Wright), explizit als Theorie der Wissenschaft etwa Janich, alles, was irgendwie entfernt marxistisch inspiriert ist, sowieso. Wieso braucht man da diese speziellen Systemtheorien, die Sie im Sinn haben? Da ist schon eine besondere Begründung erforderlich, nicht nur diese allgemeine.

          • ludwig trepl: “Die Metapher des Beobachters besagt doch gerade, daß da einer zuschaut. Aber handeln tut er gerade nicht, er beobachtet ja nur.”
            was Sie hier beschreiben, das nennt die systemtheorie “beobachten erster ordnung”.

            frafri: was Sie hier beschreiben, das nennt die systemtheorie “beobachten erster ordnung”.
            ein beobachter zweiter ordnung sieht dann, dass dieser (naive) beobachter (der er –rückblickend – auch selbst sein kann), eine unterscheidung zieht, deren eine seite er bezeichnet (sodass er weitere operationen daran anschließen kann), während er die andere unter den tisch fallen lässt – und so ein (sein!) universum konstituiert.
            george spencer-brown: „draw a distinction and a universe will come into existence“.

            aber ein weiterer beobachter, der nun diesen zweiten beobachter beobachtet, sieht, dass auch dieser für seine aussage eine unterscheidung benutzt, die er (im moment der beobachtung jedenfalls) nicht sieht, dass er letztlich also naiver beobachter (erster ordnung) bleibt… usw. usw.

            wie wird dennoch eine -wie auch immer- lebbare, tragfähige welt möglich? das wird aus einer perspektive der beobachtung dritter ordnung erkennbar. hier kommt, wie gesagt, die (klassisch gesehen) “transzendentale” ebene ins spiel.
            weil systemtheorie mit den unterscheidungen „autopoiesis“ und „beobachter“ („beobachter“ ist keine „metapher“) arbeitet, wird es möglich, das klassische subjekt als die sich spontan ver-körpernde bzw. verwirklichende einheit von Ich-Du-Es zu rekonstruieren. damit kommen nicht nur die körperlichkeit und die gesellschaftlichkeit (inklusive sprachlichkeit) des menschen ins spiel, sondern auch das vermittelnde, technik i. w. sinn.
            das ist entscheidend angesichts dessen, dass die menschheit heute die technischen mittel in der hand hat, sich selbst auszulöschen.

            die kant’sche rede vom „übersinnlichen substrat der menschheit“ ist damit nicht „wiederlegt“. im gegenteil, wir dürfen nicht mehr hinter diese sichtweise zurückfallen. wir können und müssen sie heute allerdings in einer weise formulieren, die uns als verantwortliche produzenten dieses „substrats“ kentlich macht.
            ich möchte meine these von der “rede” bzw. dem „ge-rede“ über umweltzerstörung daher neu formulieren: erst diese hier skizzierte neue sicht macht es möglich, über themen wie umweltzerstörung in einer weise zu reden, die nicht folgenloses ge-rede bleibt.

  8. “Das Wollen bestimmt nicht das Erkennen, insofern ist dieser Ansatz beiseite zu legen.” Darauf, daß das so gemeint sein könnte, muß erst mal einer kommen. Ich hab’s erst ganz banal verstanden: Das Erkennen (nämlich dessen, was das Richtige ist) bestimmt das Wollen. Das ist das, worum wir uns alle ständig bemühen, zumindest bemühen sollen. Aber hier steht ja “Einheit des Unterschieds von Wollen und Erkenne”, nicht Einheit von Wollen und Erkennen. Das verstehe ich nicht mehr.

    • Sie könnens klammern, Herr Trepl, erst einmal war das Geklammerte zu bearbeiten.
      Das mit der “EINHEIT” wird sicherlich noch später aufgelöst werden.
      Sofern möglich.
      Grundsätzlich ist eine behauptete EINHEIT von A und B wohl nicht angreifbar, die Großschreibung berücksichtigend.
      MFG
      Dr. W

      • Ich habe – mal wieder – kein Wort verstanden.

        Schlimmer als die Deppenleerzeichen ist das Blähdeutsch. Manche versuchen ihre Mickrigkeit mit Fremdwörtern der alten, griechisch-römischen Sorte zu vergrößern, andere, denen die zu hoch sind, mit Anglizismen. Aber diese Leute versteht man wenigstens noch, anders als diejenigen, die sich durch Gedrechsel und Geschwurbel aufzublasen versuchen.

        • Dr. W an Herrn Trepl :
          Nehmen Sie diese Aussage – ‘es geht mir um die EINHEIT des UNTERSCHIEDS von wollen und erkennen.’ – und deren bisherige durch Ihren Kommentatorenfreund erfolgte Betrachtung vielleicht einmal mit Humor.
          MFG
          Dr. W

  9. https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/ist-anthropozentrisches-denken-die-ursache-der-naturzerstoerung/#comment-6117

    lieber herr trepl,
    danke für Ihre antwort und Ihre frage.
    Sie schreiben: “Das, was Sie mit ‘unaussprechlichem Kern’ /der ethik/ meinen, scheint mir nicht die Ethik, sondern das Wollen selbst zu betreffen, und das heißt: die Freiheit (…)”
    nein, das sehe ich ein wenig anders.

    möglicherweise ist das, worauf ich mit dem begriff “kern von ethik” hinweisen möchte, von Ihrem momentanen standpunkt aus nicht so leicht einsehbar. ich hoffe dennoch, Sie bleiben neugierig und wischen es nicht gleich vom tisch.

    es geht mir um die EINHEIT des UNTERSCHIEDS von wollen und erkennen.
    diese einheit ist zwar paradox, aber wenn wir als gattung überleben wollen, dann solten wir diese einheit als MÖGLICHKEIT nie aus den augen verlieren. sie in unsere kalküle immer mit einbeziehen, wobei wir aber immer ingefahr sind, genau das zu tun (also: sie immer wieder aus den augen verlieren).
    das ist für mich der (unaussprechliche, weil paradoxe) kern von ethik.

    denn: bevor wir anfangen zu sprechen, haben wir “immer schon” (“a priori”) eine haltung gegenüber diesem paradox eingenommen; wir haben uns immer schon für eine von zwei (ethischen und zugleich epistemologischen) optionen entschieden::
    a) “die paradoxie stört mich; ich möchte sie um jeden preis vermeiden” und sehe mich daher (jetzt zitiere ich heinz von foerster) “als getrennt vom universum, d.h. wenn immer ich schaue, schaue ich wie durch ein schlüsselloch auf das sich entfaltende weltall”
    b) “ich bin teil des universums, d.h.. wenn immer ich handle, verändere ich mich und das universum mit mir.” (HvF)

    die kybernetik zweiter ordnung (z.b. der von mir ganz oben zitierte gregory bateson; oder auch der biologe humberto maturana, H v Foerster et al.) formuliert ihren naturbegriff (“autopoiesis”) bewusst aus dieser zweiten perspektive.

    interessanterweise tut dies auch kant (fast 200 jahre früher) in seiner letzten und entscheidenden kritik, der kritik der urteilskraft. sein dort formulierter begriff von naturprodukten kommt dem autopiesis-begriff sehr nahe.

    wenn wir die von Ihnen, herr trepl, im titel aufgeworfene frage “vernünftig” beantworten wollen, dann könnte (z.B.) eine neulektüre von kants KdUK, ebenso wie die z.b. von foerster / maturana möglicherweise sehr hilfreich sein.

    • Ludwig Trepl, @ frafri.

      Ich habe Schwierigkeiten, das zu verstehen und stelle einfach mal einige Fragen und mache ein paar allgemeine Anmerkungen.

      Was bedeutet „EINHEIT des UNTERSCHIEDS von wollen und erkennen“? Ich lese es erst mal so: Wenn man genau so will, wie man erkennt (nämlich erkennt, was zu wollen richtig ist), dann ist die Einheit von Wollen und Erkennen gegeben. Man will dann in der Tat so, wie es ethisch gefordert ist. Aber dann verstehe ich nicht, wieso das der „unaussprechliche“ und „paradoxe“ Kern von Ethik sein soll. Denn das ist ja leicht verständlich, nicht paradox und man kann es aussprechen. Das scheinen Sie also nicht zu meinen.

      Dann, wenn Sie die Kybernetiker und kybernetisch beeinflußten Biologen zitieren, scheint es mir anders: Es geht um die erkenntnistheoretischen Paradoxien, an denen vor allem die Hegel’sche Philosophie ansetzt (die man, etwas unbeholfen, weil naturwissenschaftlich, zu reformulieren versucht). Ich blicke auf die Dinge, wie sie an sich, unabhängig von mir, außerhalb von mir sind, und bemerke dann, daß sie doch für mich so sind, wie ich sie als unabhängig von mir seiend bemerke, und so geht die ganze Dialektik los. Und da es in diesem Denken (bei Hegel wie bei diesen neueren Systemtheoretikern) sinnlos ist, von einer Welt unabhängig vom sie erkennenden Geist zu sprechen, ist sie in ihrem Sein abhängig vom sie erkennenden Geist. Nicht erst durch Handeln (wie in dem Foerster-Zitat), sondern schon durch Erkennen (und durch Wollen) ändert sich für Hegel die Welt. – Das würde Maturana auch sagen, wenn auch in einer unzureichenden, weil am Empirischen klebenden Weise (aber doch die Auffassung des absoluten Idealismus reformulieren wollenden Weise: Es gibt keine Welt an sich, alles ist sozusagen Geist; siehe Maturanas bekannte Und-Boot-Metapher). – Durch Handeln ändert sich die Welt natürlich auch, aber eben auch schon beim Erkennen.

      „…kritik der urteilskraft. sein dort formulierter begriff von naturprodukten kommt dem autopiesis-begriff sehr nahe.“

      Das stimmt schon, denn der Autopoiesisbegriff entstammt ja dem Versuch, den Organismusbegriff (in seiner Kant’schen Form, falls es überhaupt eine andere moderne Form gibt) zu reformulieren, allerdings in naturalistischer Weise. Die für Kant essentielle Differenz von dem, was objektiv ist (bzw. naturwissenschaftlich zu erkennen ist, bzw. was sich „konstitutiven“, nicht nur „regulativen“ Begriffen verdankt) und von dem, was wir uns dabei (unter Verwendung „regulativer“ Begriffe) denken (müssen), um die lebenden Objekte verstehen zu können, ja um sie überhaupt als Objekte erkennen, d. h. aus der Vielzahl der andern und vor allem der nicht-lebenden Objekte herausheben zu können (also dem Teleologischen) – diese Differenz soll für die Autopoiesistheoretiker verschwinden. Sie kommen so zu einer der metaphysischen Leibniz’schen sehr ähnlichen Kosmologie. Ihr Bild von der Welt sieht verblüffend ähnlich aus, nur ohne Gott und prästabilierte Harmonie. Das, so glaube ich, braucht man aber, wenn die ganze Konstruktion aufgehen soll. Man muß bedenken, daß der Kantsche Ansatz nicht metaphysisch ist (anders als der Ansatz von Leibniz und der Autopoiesistheoretiker) und daß er den Begriff eines Dings an sich nötig hat (anders als Hegel und die Autoppoiesistheoretiker). – Also: es ist also nicht problemlos, Kant mittels der Autoppoiesistheorie fortzusetzen.

      Was ich nicht verstanden habe, ist, wo da die Ethik ins Spiel kommt. Das liegt aber wohl einfach daran, daß ich das nicht kennen, was von Foerster dazu geschrieben hat.

    • es geht mir um die EINHEIT des UNTERSCHIEDS von wollen und erkennen.

      Das Wollen bestimmt nicht das Erkennen, insofern ist dieser Ansatz beiseite zu legen. Sie können noch so viel wollen, wenn Ihnen ungünstig ein Dachziegel oder eine Kokosnuss auf den Kopf fällt, hat sich der Unterschied zum Erkennen erledigt. Es ist eine Welt “da draußen”.
      Was philosophisch ginge, wäre, dass ein Erkenntnissubjekt oder Geist durch sein Denken eine bestimmte Welt erst anfordert bzw. erstellt – Philip K. Dick hat sich hier scifi- und philosophie-mäßig bemüht, hier ließe sich ausbauen und diesbezüglich eine Kohärenz herstellen, aber dies meinen Sie vermutlich nicht.

      MFG
      Dr. W

  10. Ich bin drei Tage krank gewesen, und nun hat sich so viel angesammelt, daß ich es nicht schaffe, auch nur auf all die Kommentare zu antworten, auf die ich gern antworten würde.

  11. Lieber Herr Trepl,
    ihre Frage ob Anthropo­zentrismus die Ursache für Naturzerstörung ist muss mit einem klaren Nein beantwortet werden. Siehe @Jan.
    Begründung: Die Plünderung der Natur ist auf Macht und Interessenkonflikte innerhalb der Menschheit zurück zu führen, die nicht das Wohl der Menschen als solche im Blick haben. Es ist das Spiel der Möglichkeiten von Akteuren (Personen, Unternehmen, Gemeinschaften).
    Jede auf den Menschen als Maß aller Dinge bezogene Ethik wird in ihrer Konsequenz auf eine nachhaltige Wirtschaftsweise hinauslaufen müssen. Schon diese ist in vielen Fällen schon schwer genug zu erreichen. Als Beispiel sei die nachhaltige Nutzung der Weltmeere oder Tropischer Regenwälder genannt.
    Was der nachhaltigen Nutzung entgegensteht sind Eigeninteressen von Personen Staaten, Unternehmen. Diese sind oft auch nicht leicht von der Hand zu weisen, wie die Landnahme von besitzlosen in Brasilien, Tansania usw.. In anderen Fällen scheint die Verweigerung von Besitzansprüchen zum Gemeinwohl gerechtfertigter zu sein.
    Die drei alternativen Ansätze Biozentrismus, Pathozentrismus und Physiozentrismus können in meinen Augen zwar nicht zur Gänze zurückgewiesen werden, aber es ist unmöglich sie im Konfliktfall gegen anthropozentrische Argumente bestehen zu lassen.
    Ein Beispiel: durch die mechanische Bearbeitung eines Ackers werden jedesmal tausende Kleinlebewesen zerquetscht oder zerteilt, darunter nicht nur Regenwürmer. (Im übrigen war dies für Mahakashapa, einem der drei Hauptschüler Buddhas, der Grund nicht die elterliche Farm übernehmen zu wollen). Auch ökologisch (physiozentrisch) ist ein Acker kaum so wertvoll wie eine Wiese oder Wald. Es ist aber kaum ernsthaft möglich den Anspruch auf Nahrungsproduktion zu verweigern, um diesem täglichen „Massenmord“ ein Ende zu setzen. Das ist ein Extrembeispiel und – wie ich finde – eine extreme Argumentation, die uns aber dazu veranlassen möchte, klar zu bekommen, dass das grundsätzliche Primat des Menschen ethisch nicht verweigert werden kann.
    Der Pathozentrismus ist die Grundlage für viele Tierschutzargumente. Es ist ja klar, dass Tiere nicht einfach gequält werden dürfen. Die Forderung nach artgerechter Tierhaltung ist eine sehr wichtige Errungenschaft, hinter die ich nicht zurück wollen würde. Aber auch hier gibt es Extremfälle, die uns helfen klarer zu sehen. Wir neigen dazu unsere Lieben grundsätzlich zu bevorzugen. Katzen haben anscheinend einen starken Einfluss auf Vogelpopulationen. Es ist sogar verboten Katzen wildern zu lassen. Es ist aber wohl kaum artgerecht Katzen nur in der Wohnung zu halten. Und es ist auch kaum Katzenbesitzern zu vermitteln ihrem Lieben den Ausgang zu verweigern. Pathozentrismus ist wichtig, aber in keiner Weise konsequent durchzuformulieren. Wenn wir das Leiden zum Maßstab ethischer Überlegungen machen, können mithin nur Säugetieren und vielleicht noch Vögel in die zu schützende Leidensgemeinschaft aufgenommen werden. Das Leiden ist ein sehr wichtiges Argument gegen Tierquälerei, aber sollen wir allen anderen Lebewesen jegliche rechte verweigern.
    Den Physiozentrismus halte ich persönlich sogar für noch bedeutender als den Pathozentrismus: Die Natur hat grundsätzlich auch einen Eigenwert. Aber auch dieser kann im Konfliktfall nur ausnahmsweise gegen die Ansprüche des Menschen bestehen. Ich finde viel zu selten, aber es ist auch klar, dass das kaum anders durch zu halten ist. Allerdings gibt es unzählige Beispiele, dass das Wohl der Natur dem langfristigen Wohl der Menschen notwendig vorausgeht: Weltmeere, Tropische Regenwälder, Wälder der gemäßigten und borealen Zone, Weltklima, Wasserhaushalt usw. Diesem sachlichen Vorausgehen muss aber kein ethisches Vorrecht folgen.
    Natur ist hier als Begriff jedoch schwer zu fassen. Die Natur als Ganzes ist sowieso nicht hintergehbar. Was in diesem Zusammenhang aber gemeint ist, sind in der Regel sich selber überlassende und selbst erhaltende stabile und diverse Biozönosen. Wir möchten also eine lebendige Welt erhalten, die auch das Leben der Menschen auf lange Sicht ermöglicht. Ein gewisser Physiozentrismus ist also für eine ethische Argumentation für eine nachhaltige Existenz des Menschen vermutlich unverzichtbar. Ich persönlich kann in meinem Denken kaum darauf verzichten.
    Nur der Anthropozentrismus kann in meinen Augen konsequent und axiomatisch ethisch – und zwar als Forderung nachhaltigen Wirtschaftens – durchformuliert werden und einigen Rückhalt in allen Gesellschaften erwarten. Trotzdem möchte ich auf pathozentrische und physiozentrische Ansätze nicht ganz verzichten. Der Natur als Basis unserer Möglichkeiten und unseres Seins möchte ich auch einen Eigenwert zugestehen, der nicht erst durch den Zweck für den Menschen geheiligt wird.

    • @ Velm.

      „Lieber Herr Trepl,
 Ihre Frage, ob Anthropozentrismus die Ursache für Naturzerstörung ist, muss mit einem klaren Nein beantwortet werden. Siehe @Jan.
 Begründung: Die Plünderung der Natur ist auf Macht und Interessenkonflikte …“

      Da haben Sie wohl recht: die Ursache – d. h. die Hauptursache, die alleinige Ursache kann es ja ohnehin nicht heißen, weil es das nirgends gibt – ist der Anthropozentrismus nicht. Im Artikel ging es um die in der Umweltbewegung und überhaupt in der Gesellschaft vorherrschende Meinung, daß er das sei, nicht darum, für mich eine Frage zu klären, wie Sie zu meinen scheinen; diese Frage ist für mich geklärt. „Macht und Interessenkonflikte“ – da findet man sicher die wichtigeren Ursachen, ich habe aber ausdrücklich geschrieben, daß ich nur die Ebene der Ethik betrachten will, auch wenn die in dem Gesamtursachenkomplex nur eine bescheidene (wenn auch, darauf haben mehrere Kommentoren hingewiesen, notwendige) Rolle spielt.

      „Den Physiozentrismus halte ich persönlich sogar für noch bedeutender als den Pathozentrismus: Die Natur hat grundsätzlich auch einen Eigenwert.“

      Das sagen Sie so dahin, wie es allgemein so dahingesagt wird. Das ist für die Katz, genauso wie die umgekehrte Behauptung. Man muß es begründen. Das scheint mir nicht gelungen. Die Gegenargumente lauten, daß diese Ihre Behauptung in Widersprüche führt, daß sie nur als privater religiöser Glaube möglich ist und dgl. mehr. Wie kann es denn sein, daß „die Natur“ Eigenwert hat? Und was heißt überhaupt „die Natur“? Dazu müßten Sie etwas sagen.

      „unzählige Beispiele, dass das Wohl der Natur dem langfristigen Wohl der Menschen notwendig vorausgeht: Weltmeere, Tropische Regenwälder …“

      Was soll denn „Wohl der Natur“ heißen? Wenn man den Wald abholzt, ist an dieser Stelle dann halt eine anderen Natur, in unseren Breiten im allgemeinen eine artenreichere und, würde ich sagen, schönere. Und wieso geht „die Natur“ (wenn Sie damit das meinen, was vor den Menschen da ist, die „ursprüngliche“ Natur, also z. B. Urwälder) „dem langfristigen Wohl der Menschen notwendig voraus“? Im Wald können nur ganz wenige Menschen leben, dem Wohl der Menschen ist, alles in allem, damit gedient, daß man ihn rodet. Nachteilig (für die Landnutzung zumindest in ihrer derzeitigen Form) wird es erst, wenn man das übertreibt, wenn man z. B. an erosionsgefährdeten Stellen rodet.

      „Wir möchten also eine lebendige Welt erhalten, die auch das Leben der Menschen auf lange Sicht ermöglicht. Ein gewisser Physiozentrismus ist also für eine ethische Argumentation für eine nachhaltige Existenz des Menschen vermutlich unverzichtbar.“

      Das ist aber gerade keine physiozentrische Argumentation, denn die Notwendigkeit einer „lebendigen Welt“ wird mit Vorteilen für das Leben der Menschen begründet, d. h. hier argumentieren Sie geradezu klassisch anthropozentrisch.

      • @ Trepl
        Schöner Kommentar, Herr Trepl. Sehr erfreulich. Sie legen auf sehr fruchtbare Weise die Hand in die „wunden Stellen“. Ich gebe Ihnen auch im Wesentlichen auf der Rationalen Ebene recht. Es bleibt aber ein Unbehagen.
        Ich glaube auch nicht, dass die alte Natur vor der Ankunft der Menschen das Ziel sein muss. Fast alle Naturlandschaften Deutschlands, vom Mainfränkischen Trockenrasen, bist zum Südschwarzwald sind durch die menschliche Nutzung entstanden. Ich habe ja auch gesagt, dass die anthopozentrische Deutung konsistenter und geradliniger funktioniert. Ich habe auch kein grundsätzliches Problem damit, dass wir Menschen in dieser Menschen gestalteten Natur leben. Meinetwegen wie ein Biber, der diese Landschaft mitgestaltet. Die anthropozentrische Sicht führt in ihrer Konsequenz zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Es ist ja sogar möglich die Natur so zu nutzen, dass dabei sehr fruchtbare und hochdiverse Biozönosen entstehen und koexistieren.

        Ja der Physiozentrismus führt, wenn er zuende gedacht wird, zu Absurditäten, die unmöglich gewollt werden können. Was ist denn die Natur? Die Natur ist doch alles, was nicht vom Menschen gestaltet ist. Ein Meteorit vielleicht oder eine Überschwemmung, ein Erdbeben, eine schwere Epidemie: Das kann doch kein Mensch unter Naturschutz stellen wollen.
        Oder noch absurder in dem Bonmot, dass die Erde von der Krankheit Mensch wohl bald befreit sein werde.

        Trotzdem empfinde ich tiefes Unbehagen eine allzu scharfe Grenze zwischen Mensch und Natur zu ziehen.
        Ich bin seit vielen Jahren Biologe, besser Verhaltensbiologe. Diese Schönheit und Erhabenheit in der Natur erfüllt mich jedesmal mit grossem Glück und tiefer Faszination. Mir fällt es schwer dies nicht als eigenen Wert zu sehen.
        Kant und die Aufklärung sind eine Kulturleistung, hinter die ich nicht zurück wollen kann. Die Ratio ist aber nicht in allen Fällen der richtige Ratgeber. Ohne Schönheit und eine Art Grund-Wohlwollen oder Biophilie ist jede Rationale Konstruktion, so gut sie auch sei leer, wie trockenes Gras. Ohne ratio allerdings auch einfach dumm. Ich weiss das ist wirklich abgegriffen und wirkt esoterisch, die Agape (Liebe) ist aber auch Grundlage des christlichen Glaubens.
        Das dritte Argument ist die, dass nicht immer ausreichend geklärt werden kann, welche Funktion ein Ökosystem erfüllt. Ein kleiner Anteil sollte als Naturschutzgebiet erhalten bleiben.

  12. @Ludwig Trepl

    Die massgeblich durch christliche Anthropozentriker betriebene Desertifikation im Mittelmeerraum lässt doch erhebliche Bedenken an den Segnungen des Anthropozentrismus für die Natur aufkommen.

    Ein Eichhörnchen kann durch die Baumwipfel von den Pyrenäen bis nach Gibraltar hüpfen, ohne dass es den Boden berühren muss.
    – Strabon, griechischer Geograph, ca. 40 BCE

    Heute müsste sich eine Schlange von den Pyrenäen bis Gibraltar winden ohne auch nur einen einzigen Moment den Schatten eines Baumes genießen zu können.
    – Cambio 16, spanisches Wochenmagazin, 1991 CE

    • Ludwig Trepl, @ Chrys.

      „Die massgeblich durch christliche Anthropozentriker betriebene Desertifikation im Mittelmeerraum lässt doch erhebliche Bedenken an den Segnungen des Anthropozentrismus für die Natur aufkommen.“

      Erstens: Ist denn das Christentum anthropozentrisch? Man kann vielleicht sagen, daß es „theozentrisch“ ist, und die Stellung der Menschen wechselte sehr. Mal waren sie verworfene Sünder, und alle Übel der Welt hatten sie zu verantworten. Mal waren sie „Krone der Schöpfung“, ohne deshalb aber weniger Sünder zu sein; „Krone der Schöpfung“ waren sie immer nur der Möglichkeit nach, und dazu gehörte, daß Sie sich so verhalten, wie Gott es von ihnen verlangt. Das war aber auch durchaus unterschiedlich (siehe den Kommentar von @Jan).

      Zweitens: Die Desertifikation im Mittelmeerraum wurde nicht massgeblich durch “christliche Anthropozentriker” betrieben, sondern vor allem von heidnischen Ziegenhirten, die auch nach dem Sieg des Christentums der Sache nach heidnisch blieben. Sie verhielten sich, wie sie sich verhielten, nicht aufgrund irgendwelcher Religionen oder Ethiken, auch nicht ihres Heidentums, sondern weil sie von den Ziegen leben mußten und Ziegen halt nun mal tun, was Ziegen tun: alles abfressen. Ziegen-Weidewirtschaft führt, egal was für Religionen die Hirten haben, überall zu entsprechenden Ergebnissen. Die „Desertifikation“ in anderen, nicht-christlichen Gegenden der Welt ist keineswegs geringer, zum Teil wesentlich schlimmer, z. B. in Nord-China (dort eher durch den Ackerbau verursacht). Das hat nun aber auch nichts mit einem anthropo- oder sonstwie –zentrischen Konfuzianismus oder Buddhismus oder was man dort für Religionen hatte zu tun, sondern einfach mit den natürlichen Gegebenheiten (wintertrockenes Klima, leicht erodierbarer Löß).

      Es gibt das Märchen, daß die Entwaldung im Mittelmeerraum vor allem durch „die Römer“, die Holz für ihre Flotten brauchten, bewirkt wurde. Aber erstens: die Römer verhielten sich diesbezüglich vor und nach der Einführung des Christentums ziemlich gleich. (2) So viel die auch abgeholzt haben mögen: Zum Schiffbau braucht man große Stämme, nicht Bäumchen und Gestrüpp. Das bleibt stehen oder kommt wieder und nach einiger Zeit sind auch die großen Bäume wieder da, außer die Ziegenwirtschaft läßt das nicht zu (außer den Ziegen gibt es noch anderes, z.B. Streurechen, von einiger Bedeutung).

      „Heute müsste sich eine Schlange von den Pyrenäen bis Gibraltar winden ohne auch nur einen einzigen Moment den Schatten eines Baumes genießen zu können.“

      Da wird übersehen, daß die meisten Schlangen in unseren Breiten den Schatten der Bäume gar nicht so sehr mögen und wohl froh sind, daß die blöden Bäume weg sind. Und mit den Schlangen eine Unzahl anderer Tiere. – „Degradiert“ oder „devastiert“ sind diese Gegenden aus der Perspektive der Landwirtschaft. Natürlich auch aus der Perspektive der Waldtiere, aber das sind nicht alle Tiere. Also der Landwirtschaft, keineswegs aus der Perspektive „des Menschen“. Denn schon aus der Perspektive der Naturschützer, die ja auch Menschen sind, sind diese „degradierten“ Gebiete viel wertvoller als die Steineichenwälder, die von Natur aus da wuchsen. Darum rücken bei uns in Deutschland immerzu Heerscharen von großenteil aus den Mitteln des staatlichen Naturschutzes bezahlte Leute aus, um die Wiederbewaldung der vor allem durch die Weidewirtschaft entstandenen offenen Flächen zu verhindern. “Segnungen” für “die Natur” sind halt für verschiedene Interessen (Bauern, Hirten, Jäger, Naturschützer, Touristen, …) jedesmal etwas anderes.

      • Ist denn das Christentum anthropozentrisch? Man kann vielleicht sagen, daß es „theozentrisch“ ist, und die Stellung der Menschen wechselte sehr.

        Das Christentum ist theozentrisch und anthropozentrisch, das war sein Erfolgsrezept und ist es hoffentlich noch, auch wenn einige sich aufzumachen scheinen, die hiesige klerikale Kraft (K-Probe: “Entweder man nimmt die Bibel wörtlich oder ernst.”) darf hier genannt werden, das Theozentrische zu verbergen.
        MFG
        Dr. W

    • @Ludwig Trepl

      »Erstens: Ist denn das Christentum anthropozentrisch?«

      In der einschlägigen Diskussion ist “Christliche Anthropozentrik” offenbar ein gängiger Begriff, vgl. auch Thomas Hausmanninger [Bedarf die Bewältigung der ökologischen Krise einer Neuen Ethik?]. Dieser Begriff wird allerdings, wie zu erwarten, auch uneinheitlich ausgelegt, was die Angelegenheit verkompliziert.

      Ihre Titelfrage (“Ist anthropozentrisches Denken die Ursache der Naturzerstörung?”) wäre freilich im strikten Wortlaut mit nein zu beantworten, weil sich hierfür die Ursache schlechthin gar nicht benennen lässt. Das eigentliche Frage ist folglich, inwiefern anthropozentrische Wertvorstellungen dann Handelungsweisen bedingen oder rechtfertigen, die als Zerstörung von Natur wahrgenommen werden. Die Wendung “Zerstörung von Natur” ist natürlich auch bereits eine wertende Deutung. Auf eine “objektive Sicht der Dinge” känn sich da niemand berufen, das wäre ein Oxymoron.

      Es geht also um die Beachtung von Werten und daraus sich ergebenden Konsequenzen für praktisches Handeln. Da haben wir gleich wieder ein Problem mit dem Vorwurf (Zitat nach Thomas Kirchhoff):

      Man […] verwechselt die inhärenten Werte, die Natur für uns hat, mit intrinsischen Werten, die sie unabhängig von uns haben müsste.

      Vom Wert eines Objektes kann nur insofern die Rede sein, als ein Subjekt diesem Objekt einen Wert zuschreibt. Die logische Analyse spricht somit das Urteil der Sinnlosigkeit über eine Unterscheidung zwischen intrinsischen und inhärenten Werten. Einem Anthropozentrismus, der auf einer solchen Unterscheidung als wesentlichem Argument beharrt, kann nicht allseits zugestimmt werden.

      Ich will im úbrigen gar nicht etwa das Christentum als vermeintliche Wurzel allen Übels hinstellen. Albert Schweitzer war bekanntlich auch Christ und alles andere als ein dogmatischer Anthropozentriker. Siehe dazu auch http://www.umweltethik.at/detail.php?id=367

      »Zweitens: Die Desertifikation im Mittelmeerraum wurde nicht massgeblich durch “christliche Anthropozentriker” betrieben, …«

      Was speziell Spanien angeht, die spanischen Wälder hatten meines Wissens das Mittelalter noch weitgehend unbeschadet überlebt. So ab 1492 war Spanien dann stramm christlich, die letzten Mauren waren entweder tot oder vertrieben, und auch die Juden mussten entveder konvertieren oder das Land verlassen. Das Abholzen im grossen Stil begann erst in Verbindung mit dem Aufstieg und Fall Spaniens als imperiale Seemacht im 16. Jhdt. Die glorreiche spanische Flotte war zwar endgültig Geschichte, nachdem die Holländer 1607 bei Gibraltar kurzen Prozess gemacht hatten, und vermutlich fehlten den Spaniern dann schon die Hölzer, um auf den Weltmeeren noch nennenswert mitspielen zu können. Den verschwenderischen Umgang mit natürlichen Resourcen hatten sie aber anscheinend gelernt und, so mein Eindruck, seither recht erfolgreich perfektioniert. Das sehen inzwischen auch manche Spanier als ein ernsthaftes Problem.

      • @ Chrys :

        Ihre Titelfrage (“Ist anthropozentrisches Denken die Ursache der Naturzerstörung?”) wäre freilich im strikten Wortlaut mit nein zu beantworten, weil sich hierfür die Ursache schlechthin gar nicht benennen lässt. Das eigentliche Frage ist folglich, inwiefern anthropozentrische Wertvorstellungen dann Hand[]lungsweisen bedingen oder rechtfertigen, die als Zerstörung von Natur wahrgenommen werden. Die Wendung “Zerstörung von Natur” ist natürlich auch bereits eine wertende Deutung. Auf eine “objektive Sicht der Dinge” k[a]nn sich da niemand berufen, das wäre ein Oxymoron.

        Ist natürlich Blödsinn, aber weil Sie werthaltige ethische Ansätze zeigen, soll geantwortet werden.

        Die ‘Umweltzerstörung’, was auch immer das genau sein mag, ist ein anthropologisch beschreibbares Konzept und deutet auf die Unzufriedenheit einiger mit bestimmter Entwicklung hin. Diese muss nicht anthroprozentrischer Art sein, es könnten gerade auch Theozentriker, Physiozentriker und andere hier schuldig sein, aber die dbzgl. Feststellung, im wissenschaftlichen Sinne, muss leider leider anthroprozentrisch erfolgen.

        Oder sollen hier ernsthaft die möglichen Sichten von Theozentristen oder Physiozentristen erörtert werden, die die anthropozentrische Sicht ablehnen?


        Insofern ist hier Herr Trepl im einzig möglichen Rahmen unterwegs, tautologisch sozusagen.

        MFG
        Dr. W

      • Ludwig Trepl, @ Chys.

        „In der einschlägigen Diskussion ist “Christliche Anthropozentrik” offenbar ein gängiger Begriff“.

        Ja, aber ein problematischer, eher falscher.

        „Die Wendung ‚Zerstörung von Natur’ ist natürlich auch bereits eine wertende Deutung. Auf eine ‚objektive Sicht der Dinge’ kann sich da niemand berufen “

        Soweit das in der einschlägigen Öko-Diskussion bemerkt wird, hat man da zwei Auswege:
        (1) Die Natur hat entweder von einer höchsten Instanz ihren Wert zugesprochen bekommen; das ist die seltenere, die religiöse Variante.
        (2) Die Natur ist ein Organismus; wenn einem das schwerfällt: zumindest die ökologische Natur, die Biozönosen, die Ökosysteme sind Organismen, sozusagen Über-Organismen. Bezogen auf Organismen ist der Begriff der Zerstörung anwendbar. Daß ein Organismus zerstört ist, wenn man ihm den Kopf abtrennt, das ist objektiv so. Wenn man von einer Düne das obere Viertel abträgt, ist es eine Sache subjektiver Entscheidung, ob man sagt: die Düne ist zerstört oder: die Düne ist nicht zerstört, sie ist nur nicht mehr ganz so hoch.

        (2) ist die bei weitem häufigere Variante. Ein Verstoß gegen die Logik (die formale Logik, die Sie wohl meinen) ist da nicht drin. Der Fehler ist theoretischer Art. Man kann nicht zeigen, daß derartige Objekte („die Natur“, dieser See, dieser Wald) Organismen sind, es spricht vielmehr alles dagegen. (darüber habe ich hier schon einiges geschrieben, zb hier: https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/die-erde-ist-kein-lebewesen-beitrag-zur-kritik-der-gaia-hypothese/).
        Noch etwas ist zu berücksichtigen: Daß man bezogen auf einen Organismus sinnvoll von Zerstörung sprechen kann, impliziert nicht, daß man ihn nicht zerstören soll; das wäre ein Sein-Sollens-Fehlschluß. In der ersten, religiösen Variante aber ist das Zerstörungsverbot zumindest im allgemeinen impliziert.

        „Vom Wert eines Objektes kann nur insofern die Rede sein, als ein Subjekt diesem Objekt einen Wert zuschreibt. Die logische Analyse spricht somit das Urteil der Sinnlosigkeit über eine Unterscheidung zwischen intrinsischen und inhärenten Werten.“

        Das ist mit dem eben Gesagten weitgehend beantwortet. Das wertzuschreibende Subjekt kann Gott sein, oder die Objekte, um die es hier geht, sind selbst Subjekte und schreiben sich einen Wert zu. Das geht also über „’die Natur’ oder ‚Ökosysteme’ als Organismen“ hinaus. Diese Objekte-Subjekte müssen im vollen Sinne des Wortes Werte zuschreiben können. Damit meine ich: nicht nur daß ein Organismus das, was ihn tangiert, im Hinblick auf sein eigenes Wohlergehen wertet (das denkt man bei „Organismus“ immer mit), sondern daß er sich selbst einen absoluten Wert zusprechen kann, etwa so wie es Menschen im Begriff der Menschenwürde tun.

        „Was speziell Spanien angeht, die spanischen Wälder hatten meines Wissens das Mittelalter noch weitgehend unbeschadet überlebt.“

        Ich weiß nicht, ob das so war; es wäre dann untypisch für den mediterranen Raum. Sie hätten dann über diesen gar nicht reden sollen, sondern besser als Beispiel etwas nördlich der Alpen gelegenes . Aber das würde meine Einwände nicht erledigen. Die mittel-, ost- und nordeuropäischen Bauern und Hirten des Mittelalters, zur Zeit des Höhepunkts der Wandzerstörung, waren der Sache nach keine Christen, und als sie auch pro forma noch keine waren, verhielten sie sich kein bißchen anders als vorher. Und die Angehörigen anderer Religionen verhielten sich auch nicht anders: Sie müssen halt auch leben, und in den sozialen Verhältnissen, unter denen sie lebte, verhielten sie sich halt entsprechend.

        Das einzige Beispiel, das vielleicht das belegt, was Sie behaupten, sind die Puritaner in Amerika, vor allem in Neuengland. Die waren nicht nur Pro-forma-Christen, hatten nicht nur die heidnischen Götterwelt mit neuen Namen (vorne mit „St.“) versehen, die lebten wirklich aus einer spezifisch christlichen Denkwelt heraus. Aber ob deren Christentum wirklich für die christliche Denkwelt (womit ich hier nicht die in Wirklichkeit heidnische Volksreligiosität meine) stehen kann oder ob sie nicht doch schon etwas ziemlich modernes ist, scheint mir nicht so leicht zu beantworten.

        „Das Abholzen im grossen Stil begann erst in Verbindung mit dem Aufstieg und Fall Spaniens als imperiale Seemacht im 16. Jhdt.“

        Wie schon angedeutet: Das Abholzen allein führt – in gemäßigten Breiten – nicht zu Vernichtung des Waldes. Das Entscheidende ist die Verhinderung der Wiederbewaldung. Und das macht nicht der vielleicht christlich-anthropozentrisch motivierte Herrscher, sondern der garantiert nicht christlich-anthropozentrisch motivierte Bauer oder Hirt. Im Gegenteil war es so, daß ihn der Herrscher versuchte, an seinen waldzerstörerischem Wirtschaften zu hindern.

        • @Chrys und @Ludwig Trepl

          Was ist mit Zerstörung der Natur gemeint?
          Die Wendung der Zerstörung ist in jedem Fall Problematik. Diese Frage ist doch Analog zu der Frage: Ab wann ist ein Mensch krank oder verletzt? In konkreten Fällen lässt sich das leichter beantworten als eine allgemeine Definition finden.
          Ich gebe Ihnen recht, dass die Natur oder auch ein Ökosystem kein Subjekt oder eine Entität sei. Von daher ist die Gaia-Hypothese eher als Metapher zu sehen. Trotzdem kann objektiv festgestellt werden, wenn zum Beispiel ein Wald oder Wiese zerstört worden ist. Die Quantifizierung kann über die Funktion, die Diversität, die Produktivität, Schlüsselarten oder die charakterbildenden Arten geschehen.

          Die Funktion kann am einfachsten anthropozentrisch gewertet werden. Der Einfluss von Wäldern für den Wasserhaushalt, Klima oder als Staubfilter. Wenn die Wandlung des Ökosystems Meer hin zu Molusken- und Medusen-Gemeinschaften und weg von Fischschwärmen erfolgt, ist das in erster Linie für die Ernährung der Menschen ein Nachteil. Wenn das Klima die zwei Grad-Grenze überschreiten wird, mag es im Trias und der Kreidezeit wärmere Epochen gegeben haben, Landwirtschaft wird dann aber wahrscheinlich nur noch in sehr viel geringerem Umfang möglich sein.
          Andererseits beherbergen Ökosysteme verschiedene Tierarten. Diese Funktion wird also durch die Zunahme der Diversität erhöht. Einzelne Arten erfüllen dabei eine zentralere und tragendere Rolle als andere. Gemessen werden kann das über die Änderung, die eintritt, wenn diese Art entfernt wird. Bienen und Ameisen sind oft Beispiele für sehr zentrale Arten.
          Charakterbildende Arten sind grob gesprochen zum Beispiel Bäume für Wälder, Arten, die den Lebensraum prägen oder von ähnlichen unterscheiden. Wenn also ein Wald abgeholzt wird, ist die Regenerationsfähigkeit dieses Waldes ein Mass für die Zerstörung. Wenn der Mainfränkische Trockenrasen durch die Schlehe verbuscht, ist dieser Lebenraum zerstört.
          Ich gebe zu, dass der theoretischen Grundlegung eine Wertsetzung vorausgeht. Das ist aber immer so, auch wenn es um Menschen geht. Die Wertsetzung von Ökosystemen ist in meinen Augen zum einen die Funktion für ein längerfristiges Leben des Menschen in dieser Natur und zum anderen die Bereitstellung eines Lebensraumes für andere Lebewesen.

          • @ Velm.

            „Was ist mit Zerstörung der Natur gemeint? …Diese Frage ist doch Analog zu der Frage: Ab wann ist ein Mensch krank oder verletzt?“

            Nicht ganz, sondern zur Frage, wann ein Mensch tot ist, ist sie analog. – Die Aussage „krank oder verletzt“ hat zur Bedingung, daß es um einen Organismus geht (egal ob Mensch oder anderes Lebewesen). Die Aussage „zerstört“ muß sich dagegen nicht auf Organismen (da bedeutet es dann „tot“) beziehen, sondern kann sich auch auf Artefakte beziehen. Was aber nicht Organismus oder Artefakt ist, kann nicht zerstört werden.

            Ökosysteme müssen darum als Organismen oder als Artefakte betrachtet werden, wenn man den Zerstörungsbegriff (oder den Schädigungsbegriff) auf sie anwenden will. Sie als Organismus zu betrachten ist falsch. Als Artefakt kann man sie aber problemlos betrachten, auch wenn sie völlig natürlich sind. Das Ökosystem wird dann z. B. als eine bestimmte land- oder forstwirtschaftliche Leistungen oder bestimmte für das Leben bestimmter ausgesuchter Arten relevante Leistungen hervorbringende Maschine gedacht.

            „Trotzdem kann objektiv festgestellt werden, wenn zum Beispiel ein Wald oder Wiese zerstört worden ist.“

            Das ist zu undifferenziert. Im Hinblick auf einen Organismus kann man objektiv feststellen, wann er zerstört ist, nämlich wenn er tot ist. Der Beobachter kann nicht definieren, daß der Organismus z. B. bei Fehlen eines Beines als tot zu betrachten ist, bei Fehlen eines Fingers hingegen nur als verletzt; er muß ihn vielmehr dann für tot erklären, wenn er tot ist, und alle unterschiedlichen Fein-Definitionen zielen darauf, eben diesen Punkt zu treffen. Aber ob der Wald zerstört ist, wenn ein Viertel der Bäume weg ist, oder wenn eine bestimmte Baumart weg ist, oder wenn er nur noch 70, 50 oder 30% der Fläche deckt, ist Sache beliebiger Definition. Unter der Voraussetzung dieser nun einmal festgelegten Definition kann man objektiv feststellen, ob er zerstört ist. Aber wenn man, was hier nach Belieben möglich ist, die Definition ändert, dann liegt objektiv keine Zerstörung vor, wo vorher eine vorlag. Paradox formuliert: Diese Objektivität ist subjektiv. Bei einem Organismus dagegen ist das nicht möglich. Da stellt sich bei der Definition selbst die Frage, ob sie „objektiv“ ist, und man hat sich an die eine richtige Definition (auf die alle Definitionsversuche zielen), zu halten. – Traditionell unterscheidet man zwischen „Wesen“ und „bloßen Dingen“. Darauf bezieht sich dieser Unterschied hinsichtlich der Definition und der Art der Objektivität.

            „Die Funktion kann am einfachsten anthropozentrisch gewertet werden.“

            Keineswegs. Bezogen auf ein Tier oder eine Pflanze ist es viel einfacher zu sagen, was eine (notwendige) Funktion für dieses Lebewesen ist: was für es lebenswichtig ist. Für „den Menschen“ kann man das aber überhaupt nicht sagen. Die eine Gesellschaft kann unter bestimmten Bedingungen ohne weiteres leben, die andere nicht. Bekanntes Beispiel: Niederkalifornien hatte einst eine ziemlich dichte Bevölkerung: die aßen einfach sehr viel an Tierarten, die heutige Menschen ekeln; darum leben dort heute nur noch wenige Familien. Oder: Eine Gesellschaft, der Rinder heilig sind, würde vielleicht mitten unter riesigen Rinderherden verhungern. Oder: heutige Menschen können in großer Bevölkerungsdichte in Gegenden leben, die früher unbewohnbar waren. – Aber vielleicht haben Sie etwas ganz anderes gemeint?

            „Wenn der Mainfränkische Trockenrasen durch die Schlehe verbuscht, ist dieser Lebenraum zerstört“

            Siehe oben. Dieser Lebensraum ist nur unter der Voraussetzung zerstört, daß ich ihn in bestimmter Weise definiert habe. Ich kann die Definition etwas ändern, dann ist er nicht zerstört, sondern nur verändert. Und der Lebensraum Schlehengebüsch ist zerstört, wenn man ihn in einen Trockenrasen verwandelt.

    • @Ludwig Trepl

      Noch zur christlichen Anthropozentrik. Wie Thomas Hausmanninger in dem zuvor verlinkten Aufsatz darlegt, “kann die christliche Sozialethik sich auch in ökologisch-ethischer Hinsicht nicht einfach in eine Neue Ethik der Physiozentrik oder Biozentrik transformieren.” Wesentlich ist aber doch, dass er dem sogleich hinzufügt:

      Dies bedeutet jedoch nicht, daß die instrumentell-vernutzende Betrachtung der Natur als bloßes Dingmaterial nicht korrigiert werden könnte.

      Damit zieht er offensichtlich in Betracht, dass da in der Tat etwas zu korrigieren ist. Die Frage nach der “richtigen X-zentrik” ist für die Belange des praktischen Handelns doch ausgesprochen akademisch, um nicht zu sagen exzentrisch. Es ist schliesslich eine unabweisbare Einsicht, dass der Mensch zuvörderst ein physisches Wesen ist, eingebunden in die natürlichen Gegebenheiten seines Lebensraumes. Die Abhängigkeiten zwischen Mensch und seiner Umgebung sind vielschichtig und lassen sich nicht allein durch Nachdenken herausfinden. Was sich daran bis anhin erkennen lässt, ist in vieler Hinsicht noch weitgehend unerforscht und unverstanden.

      So etwas wie eine einheitliche Sprache zur Beschreibung der komplexen Erscheinungsformen von Selbstorganisation in der Natur haben wir nicht. Werden wir möglicherweise auch nicht haben können, weil Komplexität kein einheitliches Schema ist, sondern sich in vielen verschiedenen Facetten darbietet. Eine Unterscheidung zwischen Organismus und Ökosystem ist schon nicht mehr so simpel, wenn man ein und dasselbe Phänomen auf unterschiedlichen Skalen studiert. Auf einem mikroskopischen Massstab erscheint ein Organismus dann auch als eine Art Ökosystem, und es wird ersichtlich, dass der Organismus ohne seine vielen kleinen mikrobischen Freunde gar nicht überleben kann. Dass im “Ökosystem Mensch” nur überhaupt 1/10 der Zellen menschlich sind, ist schon irgendwie bemerkenswert. Für die Strukturen, die im Vergleich zu dem uns unmittelbar Wahrnehmbaren entweder sehr klein oder sehr gross sind, haben wir keine rechte Intuition, und die naive anthropozentrische Perspektive liefert uns also nur einen ziemlich schiefen Eindruck der Phänomenwelt.

      • christliche Anthropozentrik .
        @ Chrys.

        Zur christlichen Anthropozentrik. Man kommt da nicht weiter, wenn man nicht berücksichtigt, daß mit „Anthropozentrik“ die beiden grundverschiedenen Dinge gemeint sein können, deren Trennung der ganze Sinn des Artikels ist:

        (1) Das, was etwa Meyer-Abich so nennt und was die Öko-Ideologen meinen, wenn sie die „Anthropozentrik“ anklagen: Der Mensch ist nichts als eine tierische Spezies, die ihren Interessen folgt und die diese durchsetzen kann aufgrund ihrer Überlegenheit, die sie einer besonders hoch entwickelten Natureigenschaft, nämlich der Intelligenz (man könnte sie vielleicht als „Fähigkeit zu klugem Verhalten“ verstehen) verdankt.

        (2) Was ich (mit Kirchhoff) dagegen gesetzt habe: Der Mensch ist nicht nur Natur-, sondern auch Vernunftwesen, was u. a. die Konsequenz hat, daß die Natur keineswegs, wie in (1), nur Ressource ist, Mittel zu beliebigen menschlichen Zwecken, sondern auch selbst auf die Seite der Zwecke gehört, etwa indem sie zu einem „guten und sinnvollen“ Leben gehört.

        Die Frage wäre nun, was davon christliche Anthropozentik ist, sofern das Christentum überhaupt anthropozentrisch ist (was es ja keineswegs in jeder Hinsicht ist: es kann ja auch betont werden, daß der Mensch etwas Nichtiges, Verworfenes ist). Grob kann man wohl sagen, daß die Variante (1) nur als eine Randerscheinung vorkam; sie wurde denn auch im mainstream immer als Abkehr vom christlichen Weg gebrandmarkt, als liberales Teufelszeug, als Ausdruck der Hybris des Menschen, der vergessen hat, daß nicht er, sondern Gott im Zentrum steht. Variante (2) dagegen kennzeichnet den christlichen mainstream seit eh und je. Selbst wenn Natur nur Ressource ist, so ist sie doch nicht Mittel zu beliebigen menschlichen Zwecken, sondern nur zu den gottgewollten. Zu diesen gehört aber in der Regel, und in der christlichen Fortschrittskritik seit dem Ende des 18. Jahrhunderts an zentraler Stelle, daß die Natur in ihrer (lokal-regionalen) Besonderheit zu fördern ist, denn Gott hat sie ja geschaffen und also gewollt. (siehe z. B. https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/zur-geschichte-der-kologie-und-des-naturschutzes-teil-2-konservative-kulturkritik-vielfalt-eigenart-sch-nheit/). Das ergibt eine „Naturpolitik“, die das genaue Gegenteil ist von dem, was die Öko-Bewegung anklagt, vielmehr das ist, was sie, im allgemeinen ohne es zu wissen, selbst will. Sie ist eben historisch im wesentlichen eine mehr oder weniger säkularisierte Verlängerung der christlich-konservativen Fortschrittskritik.

        Dennoch ist es nicht unberechtigt zu fragen, ob das, was die christlichen Zivilisationskritiker seit 150 oder 200 Jahren (und heute die Öko-Aktivisten) dem „Fortschritt“, bzw. vor allem dem Liberalismus, vorwerfen, sich nicht doch irgendwie dem Christentum verdankt. Das läßt sich kaum bestreiten. Aber es ist wie bei etlichem anderen auch, z. B. bei der politischen Freiheit. Sie hat Wurzeln im Christentum, in einer anderen, etwa islamischen oder hinduistischen Kultur wäre es wohl nie entstanden. Aber sie ist doch im Kampf gegen das Christentum (in Gestalt der Kirchen) durchgesetzt worden. So auch hier: Die fortschrittliche Haltung zur Natur (nichts als Ressource zu beliebigen Zwecken) konnte im Christentum aufkommen wegen der zentralen Rolle, die hier Gott dem Menschen und seinem freien Handeln zugesprochen hat, aber sie entwickelte sich als Ideologie des dem Christentum feindlichen Progressismus der Moderne und gegen den Widerstand des Christentums.

      • Ludwig Trepl, @ Chrys.

        “Es ist schliesslich eine unabweisbare Einsicht, dass der Mensch zuvörderst ein physisches Wesen ist“

        Man kann ihn auch ein zuvorderst nicht physisches, sondern vernünftiges Wesen nennen, das hängt von den Kriterien ab, die man an dieses „In erster Linie“ anlegt. Die in Ihrem Zitat vorgenommene Rangordnung ergibt sich, wenn man z. B. fragt, ob er als Vernunftwesen leben kann, ohne als physisches zu leben oder umgekehrt. Wenn man aber z. B., wie oben im Artikel im Zusammenhang mit dem Gefühl des Dynamisch-Erhabenen, fragt, ob er denn das Physische über das von der Vernunft Geforderte stellen soll, sieht die Rangordnung anders aus.

        „… eingebunden in die natürlichen Gegebenheiten seines Lebensraumes“

        Das ist allzu schlichte Öko-Ideologie. Natürlich ist er faktisch immer „eingebunden“. Gemeint ist aber „angewiesen“. Da wird’s schwieriger. Menschen können sich künstliche Lebensräume bauen und darin leben. Nur die Faktoren der Minimalumwelt müssen vorhanden sein. Wenn diese Faktoren, die z. B. im Lebensraum Wald vorhanden sind – sonst würde der Mensch dort nicht leben können –, in einer Kloster- oder Gefängniszelle auch vorhanden sind, dann kann er in diesen Lebensräumen auch leben. Es ist wie bei jedem anderen Lebewesen auch: Diese können in andere Lebensräume wechseln, und Menschen können den Lebewesen andere Lebensräume zur Verfügung stellen, in denen sie gut gedeihen. Pflanzen brauchen z. B. keinen Boden, auch die nicht, die in der Natur nie ohne Boden zu finden sind; sie gedeihen auch in Hydrokultur. „Boden“ ist kein Faktor ihrer Minimalumwelt.

        „Die Abhängigkeiten zwischen Mensch und seiner Umgebung sind vielschichtig und lassen sich nicht allein durch Nachdenken herausfinden.“

        Meinen Sie, daß der Mensch von „seiner Umgebung“ abhängig ist? Das wäre falsch. Man muß Umgebung und Umwelt unterscheiden. Von der Umgebung (einem über räumliche Nähe definierten Begriff) ist der Mensch (oder irgendein anderes Lebewesen) nicht abhängig. Von der Umwelt (einem über Ursache-Wirkungs-Beziehungen definierten Begriff) ist er auch nicht in jeder Bedeutung dieses Begriffs abhängig. Es gibt vieles in der Umwelt, auf das er verzichten kann. Angewiesen ist er definitionsgemäß nur auf die sog. Minimalumwelt. – „Allein durch Nachdenken herausfinden“ kann man da natürlich gar nichts, es handelt sich ja um empirische Fragen.

        „Eine Unterscheidung zwischen Organismus und Ökosystem ist schon nicht mehr so simpel, wenn man ein und dasselbe Phänomen auf unterschiedlichen Skalen studiert.“

        So simpel ist das in der Tat nicht, aber das hat nichts mit Skalen zu tun. – Ökosysteme im üblichen Verständnis (Systeme aus mehreren Arten von Lebewesen, in ihren Beziehungen zueinander und zur abiotischen Umwelt betrachtet) können Organismen sein. Die heutigen Eukrayonten (also die riesige Mehrheit der Lebewesen) sind, wenn die Endosymbiosetheorie stimmt (und ich wüßte nicht, daß etwas dagegen spricht) allesamt Ökosysteme, die Organismuscharakter haben („Teile und Teile und Ganzes sind wechselseitig füreinander Ursache und Wirkung“ usw.). Daß man das nur „auf der mikroskopischen Ebene“ sehen kann, hat nichts mit dem Prinzip zu tun. Man sollte darum den Begriff „Skala“ in diesem Zusammenhang nicht benutzen. Im Übrigen stimmt es genau genommen wohl auch nicht. Einige wenige Systeme, die nicht (nur) „mikroskopisch“ sind und doch Organismuscharakter haben, dürfte es geben (s. vor allem die Arbeiten von Sober und Wilson).

        Aber: Diejenigen Ökosysteme, die in der Umweltdiskussion gemeint sind (Ökosysteme der Wälder, Seen, Moore …), sind allesamt keine Organismen, sind keine selbstreferentiellen Systeme. Nur diese Ökosysteme habe ich gemeint. Ich habe als selbstverständlich vorausgesetzt, daß man das so liest. Aber da habe ich wohl zu viel Vertrautheit mit der Fachdiskussion vorausgesetzt.

        „…dass der Organismus ohne seine vielen kleinen mikrobischen Freunde gar nicht überleben kann“

        Da steckt entweder drin, daß es unter den Zellen, die auf den ersten Blick alle zum Organismus zu gehören scheinen, solche gibt, die „den Organismus“ ausmachen und daß diejenigen Zellen, die in den Organismus als funktional doch zu ihm gehörende Teile (z. B. Mitochondrien, Chloroplasten) einbezogen sind, durch nicht zu ihm gehören, sondern nur „mit ihm leben“, was aber falsch wäre. Man kann nicht sagen, welche der nach der Endosymbiosetheorie verbundenen Zellen „der Organismus“ sind und welche nur etwas Hinzugekommenes, an ihn sozusagen bloß Angebundenes sind. Die Größenunterschiede etwa zwischen der ursprünglichen Eukaryontenzelle und den Cyanophyceen, die sie „aufnimmt“, ergeben keinen systematischen Grund dafür, die letzteren nicht als genauso zum Organismus gehörig anzusehen, wenn dieser einmal durch diese Vereinigung entstanden ist.

        Oder es ist gemeint, daß ein Organismus auf mutualistische Beziehungen zu Mikroben angewiesen ist. Das wären dann Mikroben, die selbständige Lebewesen sind, die also nicht zu Organen eines Organismus höherer Ordnung geworden sind (wie etwa im Falle der Mitochondrien). Da ist es dann aber egal, ob diese Mutualisten im Körper, etwa im Magen-Darmtrakt („Darmflora“), leben, oder außerhalb des Körpers leben, so wie etwa der Honiganzeiger (ein Vogel) außerhalb des Honigdachses lebt, dieser aber ohne ihn nicht überleben kann (und umgekehrt). Das sind alles „äußere“ Beziehungen des Organismus. Mutualistische Beziehungen, die räumlich gesehen im Inneren eines Organismus stattfinden, insbesondere intrazelluläre, können sich zwar viel leichter zu innerorganismischen entwickeln (andere, die sich dazu entwickelt haben, kennt man gar nicht), aber man darf diese „Organismusentstehung durch Vereinigung von zunächst freilebenden Mutualisten“ nicht mit dem allgemeinen Mutualismus-Phänomen (Symbiosephänomen) durcheinanderbringen. Mutualistische Interaktionssysteme sind per se keine Organismen.

    • @Ludwig Trepl

      »Die Frage wäre nun, was davon christliche Anthropozentik ist, sofern das Christentum überhaupt anthropozentrisch ist (was es ja keineswegs in jeder Hinsicht ist: es kann ja auch betont werden, daß der Mensch etwas Nichtiges, Verworfenes ist).«

      Die christliche Erlösungstheologie ist vom Ansatz her gewiss anthropzentrisch, und wenn man der Auffassung von Hausmanninger folgt, ist dies für eine christliche Sozialethik unhintergehbar. Gleichwohl setzt er sich damit auseinander, dass u.a. die evangelischen Theologen Jürgen Moltmann und Günter Altner das in gewisser Weise anders beurteilen, und er konzediert, dass “die Konzepte von Meyer-Abich und Altner durchaus Bedenkenswertes” enthalten. Obgleich also Hausmanninger auch eine Rechtfertigung von Anthropozentrik vertritt, kommt es bei ihm in einigen Punkten doch etwas anders heraus als bei Ihnen und Kirchhoff.

      »Man kann ihn auch ein zuvorderst nicht physisches, sondern vernünftiges Wesen nennen, das hängt von den Kriterien ab, die man an dieses „In erster Linie“ anlegt.«

      Eine Kenntnis von dem, was Menschen überhaupt sind und was die so veranstalten, erlangen wir nur durch physische Sinnesdaten. Ohne diesen sensorischen Input verliert man die Verbindung zum Aussenweltlichen und allem, was darin kreucht und fleucht — einschliesslich jenes Wesens, das man bisweilen mit ich zu bezeichnen pflegt.

      »Das ist allzu schlichte Öko-Ideologie. Natürlich ist er faktisch immer „eingebunden“. Gemeint ist aber „angewiesen“.«

      Gar nicht ideologisch, nur logisch. Üblicherweise ist in bezug auf Erscheinungsformen des Lebendigen die Rede von “offenen Systemen”, wo eine “innere” und eine “äussere” Komponente rekursiv miteinander verflochten sind und daher eine Beschreibung des Gesamtsystems nicht reduzierbar ist auf Beschreibungen seiner als isoliert betrachteten Komponenten. Solche rekursiven Abhängigkeiten sind unser Schlüssel zu einem Erkennen, oder doch zumindest einer Ahnung davon, wie wir uns das mit dem ubiquitären “more is different” in der Natur (und nicht nur dort) erklären können. Dass solche Betrachtungen auch holistische Positionen in der Ethik motivieren, wie es dann bei Meyer-Abich zum Ausdruck kommt, ist mir prinzipiell nachvollziehbar. Anthropozentrik kann dabei als Werte-Reduktionismus einer Gesamtheit aufgefasst werden, und wenn Reduktionismus hier schon wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen ist, warum dann ethisch?

      Das Wort “Naturzerstörung” wäre aber so oder so eine zweifelhafte Wahl. Darüber müsste wohl auch das Urteil der Sinnlosigkeit gesprochen werden, das drückt eher nur so etwas wie Lebensgefühl aus.

      • Ludwig Trepl, @ Chrys.

        „Die christliche Erlösungstheologie ist vom Ansatz her gewiss anthropzentrisch“

        „Anthropozentrisch“, das habe ich versucht Ihnen verständlich zu machen, ist ein ziemlich leerer Begriff, man kann die verschiedensten Positionen so nennen. Alle Religionen, auch alle mythischen Denksysteme sind irgendwie anthropozentrisch. Es gibt keine einzige, für die sich diese Bezeichnung nicht rechtfertigen läßt (wie denn auch? Können sich Menschen eine „Weltanschauung“ „ausdenken“, in der nicht irgendwie sie selbst im Zentrum stehen?). Immer aber läßt sie sich auch bestreiten. Beispielsweise gibt es ja in allerlei mythischen Denksystemen Wesen, auch „Tiere“, die höher sind als die Menschen. Die monotheistischen Religionen kann man, wenn man will, alle als radikal nicht-anthropozentisch bezeichnen, denn im Mittelpunkt steht nicht der Mensch, sondern Gott. Das Christentum kann man im Verhältnis insbesondere zum Judentum wiederum als anthropozentrisch bezeichnen, weil da die Erlösung des Menschen im Mittelpunkt steht – aber ohne Gott als den eigentlichen Mittelpunkt zu verdrängen. Sie dürfen also nicht eifach die Behauptung wiederholen, daß das Christentum anthropozentrisch sein, sondern müssen sagen, wie das gemeint ist.

        Und vor allem – das habe ich Ihnen auch zu erklären versucht, doch Sie haben es offenbar überlesen – diese „Anthropozentrik“ hat nichts mit der zu tun, die die Öko-Ideologen meinen und der modernen Gesellschaft vorwerfen. Denn diese christliche Anthropozentrik lief – in Gestalt der christlich-konservativen Fortschrittskritik – auf ein „Pflegen“ der Natur (als Teil dessen, was sie zu ihrer Erlösung zu tun haben) hinaus und mußte die Idee der Naturbeherrschung verwerfen. Das alles ist gut untersucht, aber unter den Öko-Ideologen unbekannt.

        „Eine Kenntnis von dem, was Menschen überhaupt sind und was die so veranstalten, erlangen wir nur durch physische Sinnesdaten.“

        Da waren Sie schon einmal besser, diesen Absturz hätte ich von Ihnen nicht erwartet. Erstens erlangen wir eine Kenntnis nicht durch Sinnesdaten, sondern durch Sinnesdaten immer nur in Verbindung mit dem, was der Verstand (soweit es sich um den physischen Menschen handelt: Verstand, nicht Vernunft) damit macht. (Er muß ja sogar überhaupt erst Sinnesdaten zu Sinnesdaten machen.) Sinnesdaten für sich liefern überhaupt keine Kenntnis. Zweitens: Es ging doch in meiner Behauptung nicht um diese erkenntnistheoretische Frage („Rationalismus-Empirismus“). Vielmehr ging es darum, daß man nicht nur Rangordnungen im Bezug auf die empirische Welt aufstellen kann, sondern u. a. auch moralische Rangordnungen. Da hat nun mal der, der „sein Leben rettet, aber dabei seine Seele verliert“, verloren. Den dümmlichen Naturalisten-Standardeinwand an dieser Stelle, daß die Seele ohne die Physis nicht sein kann, traue ich Ihnen nicht zu; das merken Sie schon, daß der ganz an der Frage vorbeigeht.

        „ ‚Das ist allzu schlichte Öko-Ideologie. Natürlich ist er faktisch immer „eingebunden“. Gemeint ist aber „angewiesen“.’“ [Zitat von mir] Gar nicht ideologisch, nur logisch.“

        So billig kommen Sie da nicht raus. Ich habe unterstellt, daß Sie „angewiesen“ meinen mit „eingebunden“ (und nicht nur „in kausalen Beziehungen zu anderen Teilen des Systems stehend“, denn das ist ja definitionsgemäß so). Was Sie da an allgemein-systemtheoretischen Gedanken – sie mögen richtig oder falsch sein – bringen, ist für die damit verbundenen ökologischen Fragen völlig irrelevant.

        An einen Lebensraum sind die Organismen nun einmal nicht gebunden, sie können prinzipiell in verschiedenen Lebensräumen leben. Wohl keine Waldpflanze, die nicht auch außerhalb des Waldes von Natur aus wächst. Selbst ein Hai ist nicht an den Lebensraum Meer gebunden, auch wenn er in der Natur ausschließlich in Meeren zu finden ist. Man kann ihn nämlich auch im Aquarium halten. – Man muß, wenn man solche Fragen untersucht, ökologische Begriffe, nicht nur systemtheoretische, benutzen, Begriffe wie Umwelt und Umgebung und Minimalumwelt usw., wie ich das gemacht habe. Darauf sind Sie nicht eingegangen. Das müssen Sie aber.

        Man kann nicht (wie es die Öko-Ideologen allesamt machen) dann, wenn man über Fragen der Ökologie spricht, eine riesige empirische Wissenschaft, die Ökologie, einfach ignorieren und meinen, mit der Lektüre einiger systemtheoretischer Bücher wisse man schon alles. Das ist so, als ob man glauben wollte, die Kenntnis einiger Bücher der theoretischen Physik würde ausreichen, um die konkreten geologischen Probleme z. B. von Gebirgsauffaltungen zu lösen. Mit der Einsicht (sie mag richtig sein oder nicht), „eine Beschreibung des Gesamtsystems [ist] nicht reduzierbar … auf Beschreibungen seiner als isoliert betrachteten Komponenten“ , ist zur Frage, ob überhaupt und wenn ja, wie viele Arten eines bestimmten Ökosystems (z. B. eines oligotrophen Sees) an dieses Ökosystem gebunden sind, schlichtweg gar nichts gesagt. Man muß dazu z. B. empirisch feststellen, ob Art A nicht auch in anderen Ökosystemen leben kann.

        „Das Wort “Naturzerstörung” … drückt eher nur so etwas wie Lebensgefühl aus.“

        Ja, so könnte man das wohl sagen. Die „Natur“, die da zerstört wird, ist ein sehr komplexer kultureller Gegenstand symbolischer und ästhetischer Art, auf unklare Weise verbunden mit (kulturell gewerteten) Vorstellungen von einem ökonomischen Gegenstand und einem Gegenstand der Ökologie (physische Umwelt des Menschen als eines biologischen Organismus). Das Wort „Lebensgefühl“ kann das alles einigermaßen abdecken.

        Es ist einigermaßen unproblematisch, alltagssprachlich so zu reden. Die Probleme entstehen, wenn man in eine der verschiedenen Wissenschaften wechselt. Wo es etwa ästhetiktheoretisch sinnvoll ist, von Naturzerstörung zu reden (weil nämlich eine Landschaft als „Gemälde im Geist des Betrachters“, Simmel) zerstört wird und es ja sinnvoll ist, von der Zerstörung von Gemälden zu reden, muß es keineswegs sinnvoll sein, eben diesen Raumausschnitt im üblichen ökologisch gemeinten Sinne als zerstört zu betrachten (dann müßte er ein Superorganismus sein), während man ihn ökosystemar durchaus als zerstört betrachten kann, nämlich dann, wenn man das Ökosystem als Artefakt betrachtet, konstruiert unter einem bestimmten Nutzungsinteresse, und dieses nun nicht mehr bedient werden kann.

    • @Ludwig Trepl

      »„Anthropozentrisch“, das habe ich versucht Ihnen verständlich zu machen, ist ein ziemlich leerer Begriff, man kann die verschiedensten Positionen so nennen. […] Sie dürfen also nicht eifach die Behauptung wiederholen, daß das Christentum anthropozentrisch sein, sondern müssen sagen, wie das gemeint ist.«

      Es liegt mir fern, eine “irgendwie anthropozentrische” Sicht von Christentum zu entwerfen oder zu verteidigen. Ich habe mich dabei hier nur auf das bezogen, was Hausmanninger in dem verlinkten Aufsatz zur Neuen Ethik diesbezüglich schreibt, und immerhin lehrt der Christliche Sozialethik an der kath.-theol. Fakultät der Uni Augsburg. Soweit mir im übrigen ersichtlich, ist seine Auffassung von anthropozentrischer Ethik praktisch kompatibel mit der Ihren und Kirchhoffs, aber hinsichtlich der Positionierung gegenüber kontroversen Meinungen fallen doch gewisse Unterschiede auf. Etwas Bedenkenswertes scheinen Sie im Gegensatz zu Hausmanninger weder bei Meyer-Abich noch bei Theologen wie Altner oder Moltmann entdeckt zu haben.

      »Vielmehr ging es darum, daß man nicht nur Rangordnungen im Bezug auf die empirische Welt aufstellen kann, sondern u. a. auch moralische Rangordnungen. … Den dümmlichen Naturalisten-Standardeinwand an dieser Stelle, daß die Seele ohne die Physis nicht sein kann, traue ich Ihnen nicht zu; das merken Sie schon, daß der ganz an der Frage vorbeigeht.«

      Die Herausbildung begrifflicher Hierarchien ist als ein Ordnungsprinzip durch die Struktur von Sprache vorgegeben, was die Art und Weise widerspiegelt, wie wir die Gegenstände unserer Betrachtungen und deren Beziehungen sortieren und kommunizieren. Man muss kein Naturalist sein, um es als nachvollziehbares Wissen zu akzeptieren, dass ein jeder von uns seine Laufbahn als Zygote begonnen hat. Und eine Zygote steht zu einem adulten Individuum durch einen Prozess der Morphogenese in einer vergleichbaren Beziehung wie ein Sandkorn zu ein Sandhaufen durch einen Prozess der Haufenbildung. Wenn solche Prozesse einen bestimmten Grad an komplexer Gestaltung hervorgebracht haben, lässt sich sinnvoll reden von so etwas wie Vernunft beim Menschen oder Häufung beim Sandhaufen. Vernunft wie Häufung sind somit kontextuell emergente Konzepte, die für die Zygote oder das einzelne Sandkorn am Beginn des Prozesses noch keinen Sinn ergeben, sondern jeweils einer höheren Begriffs- oder Beschreibungsebene zugehören. Was dabei die emergenten Begriffe sind, können wir nicht nach Belieben festsetzen; das und die daraus resultierenden Hierarchien liegen unseren Anschauungsweisen zugrunde. In diesem Sinne sind Beschreibungen des Menschen in biologischen Begriffen auf einer hierachisch niederen, fundamentaleren Ebene angesiedelt, als die, wo man über Vernunft sprechen kann.

      »Was Sie da an allgemein-systemtheoretischen Gedanken – sie mögen richtig oder falsch sein – bringen, ist für die damit verbundenen ökologischen Fragen völlig irrelevant.«

      Sofern wir von “offenen Systemen” reden, nehmen wir unvermeidlich eine Zerlegung eines Gesamtsystems X in eine Kompenente O und deren relative Umgebung X\O vor, wobei O irgendwie “offen” ist gegenüber X\O, also eine Interaktion zwischen O und X\O stattfindet. Und Biologen wie Ökologen betrachten ihre Studienobjekte grundsätzlich doch auf diese Weise. Das O kann dabei für Organismus stehen oder für Oekosystem, das ändert nichts am Prinzip. Die Entwicklung von O lässt sich dann aber i.a. nicht angemessen erfassen, wenn man X\O einfach ignoriert, denn weil O im genannten Sinn offen ist, hat man einen mehr oder weniger ausgeprägten Rückkopplungseffekt von O auf sich selbst über X\O zu berücksichtigen. Die Umgebung ist also grundsätzlich von einer existenziellen Bedeutung für das O, und die Umgebung erscheint weniger nur als Bühne, sondern mehr als ein Akteur im Leben von O. Und vor diesem Hintergrund lässt sich auch ein holistischer Ansatz in der Ethik motivieren. Ob Meyer-Abich so ähnlich argumentiert, weiss ich nicht, danach habe ich jetzt nicht weiter gesucht. Aber wenn er von “Mitwelt” spricht, zielt das vermutlich in diese Richtung. Anthropozentrik hat so gesehen eben einen Beigeschmack von ungerechtfertigtem Reduktionsmus, der nicht aus der Sache selbst, sondern aus menschlicher Voreingenommenheit heraus begründet ist.

      • Noch eine ergänzende Anmerkung.

        »Man kann nicht (wie es die Öko-Ideologen allesamt machen) dann, wenn man über Fragen der Ökologie spricht, eine riesige empirische Wissenschaft, die Ökologie, einfach ignorieren und meinen, mit der Lektüre einiger systemtheoretischer Bücher wisse man schon alles.«

        Mit welchen konkreten Massnahmen man ein bestimmtes, ins Auge gefasstes Ökosystem in seinem Bestand erhalten oder bewahren kann, ist doch eine ganz andere Frage als die nach den ethischen Werten und Handlungsmaximen, auf die man sich dabei rechtfertigend beruft. Mit Anthropozentrik und Transzendentalphilosophie beantworten Sie und Kirchoff die Frage nach den praktischen Massnahmen schliesslich ebensowenig wie Meyer-Abich mit Ökozentrik und Systemtheorie.

        • Aber an der Stelle, auf die ich mich bezog, haben Sie nicht über Ethik und Transzendentalphilosophie gesprochen, sondern über eine Frage, die in einer empirischen Wissenschaft behandelt wird.

      • Ludwig Trepl, @ Chrys.

        Etwas Bedenkenswertes scheinen Sie im Gegensatz zu Hausmanninger weder bei Meyer-Abich noch bei Theologen wie Altner oder Moltmann entdeckt zu haben,“ nämlich an der christlichen Ethik. Das liegt einfach daran, daß weder ich noch Kirchhoff an dieser Stelle über christliche Ethik geschrieben haben, sondern über den Gebrauch von „Anthropozentrik“ in der aktuellen Umweltdiskussion. Das Thema, daß das Christentum anthropozentrisch sei, haben Sie hier eingeführt, und ich habe dazu nur gesagt, daß das nicht so einfach ist wie Sie meinen, nämlich daß man da das Etikett “anthropozentrisch” draufkleben kann – was man ja auch an Leuten wie Altner und Moltmann, die sich als Christen begreifen, sieht.

        „Was dabei die emergenten Begriffe sind, können wir nicht nach Belieben festsetzen; das und die daraus resultierenden Hierarchien liegen unseren Anschauungsweisen zugrunde. In diesem Sinne sind Beschreibungen des Menschen in biologischen Begriffen auf einer hierachisch niederen, fundamentaleren Ebene angesiedelt, als die, wo man über Vernunft sprechen kann.“

        Wie kommen Sie denn darauf, daß ich dagegen etwas hätte? Geschrieben habe ich nichts, was auch nur in die Nähe kommt. Natürlich sind biologische Begriffen auf einer hierarchisch niedereren Ebene als die angesiedelt als die, bdie Vernunft voraussetzen. Aber dazu muß man eben das von Ihnen skizzierte Kriterium der Hierarchiebildung (Emergenz …) haben, und ich habe nur auf die Trivialität hingewiesen, daß es auch andere Kriterien gibt. Müller mag weiter oben in der Hierarchie stehen als Meier, wenn das Kriterium das Körpergewicht ist. Aber wenn das Kriterium Geld ist, steht Meier weiter oben. Das läßt sich nicht mit dem Argument anzweifeln, daß das Körpergewicht einer „fundamentaleren“ Ebene angehört als das Geld (weil es Geld ohne Menschen, die nun einmal ein Gewicht haben, nicht geben kann, umgekehrt aber schon).

        „…wenn man X\O einfach ignoriert, denn weil O im genannten Sinn offen ist, hat man einen mehr oder weniger ausgeprägten Rückkopplungseffekt von O auf sich selbst über X\O zu berücksichtigen. Die Umgebung ist also grundsätzlich von einer existenziellen Bedeutung für das O, …“

        Da müssen Sie schon etwas genauer hinsehen, und das hat man in der Ökologie längst gemacht, auf so etwas fällt da keiner mehr herein, der die Einführungsvorlesungen hinter sich hat.

        Was heißt denn „existenzielle Bedeutung“? Ich vermute, Sie meinen, vermute ich: Das „O“, also Ökosystem oder Organismus, beeinflußt seine Umwelt (also das in der Umgebung, mit dem es in kausalen Beziehungen steht; es gibt immer unendlich viel in der Umgebung, was nicht zur Umwelt gehört, weil es keine solchen kausalen Beziehungen gibt). Im Anschluß wird das in der Umwelt befindliche, jetzt veränderte Etwas anders auf O wirken als vorher, O also verändern. Das ist in der Tat oft, aber keineswegs immer der Fall; es gibt z.B. das Phänomen der Schwellenwerte.

        Aber warum schreiben Sie „existenziell“? Die Existenz von O muß durch diese Rückwirkunngen nicht unmöglich gemacht werden, vielleicht werden gar nur irgendwelche „akzidentellen“ Eigenschaften verändert. Auch geschieht diese Rückwirkung nur unter bestimmten Bedingungen, keineswegs immer. Wenn es sich um Beziehungen zwischen Organismen handelt, dann können diese Beziehungen u.a. kommensalischer (+/0) oder amensalischer (-/0) Art sein. Dann gibt es definitionsgemäß keine Rückwirkung. (Zur Veranschaulichung: der Fachterminus „kommensalisch“ kommt vom „Kommensalen“, dem „Mitesser“; er ißt, was von des Herren Tische fällt. Der Herr wird dadurch, anderes als in einer Konkurrenzbeziehung (-/-), nicht dünner: Er hätte das sowieso nicht gegessen, was der Mitesser ißt.) Die Existenz – bei Organismen ein nicht vom Belieben des definierenden Wissenschaftlers abhängiger Begriff, anders als bei Ökosystemen, weil Organismen anders als Ökosysteme sterben können – muß aber auch dann nicht unmöglich werden, wenn es Rückwirkungen gibt. Sondern diese müssen die Umweltbedingungen sozusagen unter die durch die Minimalumwelt gegebene Grenze drücken. Oder in den heute gängigeren Nischen-Terminologie: Die Fundamentalnische des Organismus ist infolge der Rückwirkungen in dem jeweiligen Raum nicht mehr realisiert. Andernfalls kann der Organismus durchaus existieren, wenn auch vielleicht etwas besser oder schlechter.

        „Und vor diesem Hintergrund lässt sich auch ein holistischer Ansatz in der Ethik motivieren.“

        Ja, motiviert wird er ja gewöhnlich so in der Öko-Ideologie, die Frage ist, ob er sich auch legitimieren läßt. Wenn dieses „organismische“ Naturbild stimmen würde, dann ließe sich der Holismus so, also funktional legitimieren, und zwar, wohlgemerkt, „anthropozentrisch“. So geschieht es ja im „ökologischen“ Gemeinbewußtsein auch: Man glaubt, wenn man irgendwelche Teile der „Ökosysteme“ zerstören würde, dann würde das zum Zusammenbruch des ganzen Systems führen, und zu dem gehört ja auch „der Mensch“ selber, er ist auf dieses System “existenziell” angewiesen, kann also nun nicht mehr leben. („Erst stirbt der Baum, dann stirbt der Mensch“). Ein „Ökosystem“ wird also gedacht wie ein Organismus, und ein solcher braucht nun einmal seine Organe.

        Aber ein Wald-Ökosystem stirbt nicht, wenn man eine bestimmte Baumart oder die Hirsche daraus entfernt. Es ist nämlich überhaupt nicht von einer Beschaffenheit, daß der Begriff des Sterbens auf es angewendet werden könnte. Es verändert sich nur. Was immer man „dem Ökosystem“ „antut“: Solange nicht das letzte Lebewesen tot ist, ist immer noch ein Ökosystem da. Andererseits kann man durch hinreichend enge Definition jede kleinste Veränderung des Ökosystems zu dessen „Tod“ erklären.

        Das heißt nicht, daß man mit Ökosystemen nach Belieben verfahren kann. Und gewiß haben manche Lebewesen großen Einfluß auf andere, manchmal auf viele andere, und wenn man sie umbringt, zieht das manchmal bei vielen anderen große Veränderungen nach sich, mitunter bis zu deren Aussterben. Aber insbesondere wenn man diejenigen Arten umbringt, um die man sich Sorgen macht, nämlich die von Ausrottung bedrohten, zieht eine solche Argumentation als Begründung, etwas dagegen zu unternehmen, nicht: Schon wegen ihrer Seltenheit hätte ihr Aussterben keine nennenswerten Auswirkungen auf die jeweiligen Ökosysteme. Welche Arten in diesem Sinne ökologisch relevant sind und welche nicht, ist eine empirische Frage, man muß das jedesmal eigens untersuchen; solche Fragen lassen sich nicht deduktiv aus einem Satz wie „Wirkungen auf die Umwelt haben Rückwirkungen auf das wirkende System“ beantworten.

    • @Ludwig Trepl

      »Aber an der Stelle, auf die ich mich bezog, haben Sie nicht über Ethik und Transzendentalphilosophie gesprochen, sondern über eine Frage, die in einer empirischen Wissenschaft behandelt wird.«

      Eigentlich hatte ich die Frage aufgeworfen, inwiefern reduktionistisch gefärbte Wertsetzungen zu rechtfertigen wären, wo deskriptiv erfassbare Zusammenhänge gegen reduktionistische Vorstellungen sprechen. Nun lassen sich zwar aus deskriptive Prämissen keine normativen Schlüsse ziehen, doch bedeutet dies im Umkehrschluss nicht, dass Normen völlig unabhängig von deskriptiven Gegebenheiten gesetzt würden. Die Beziehung zwischen Sein und Sollen ist ja auch (oder gerade) in Hinblick auf Naturschutz von einigem Interesse. So fand ich dies [1, p. 58]:

      3. Jedes Werturteil weist einen Sachbezug in Form eines zugrundeliegenden Wertträgers und dessen Auspragungen auf. Dieser Sachbezug läßt seinerseits erkennen: Wenn sich auch Sollsatze zwar nicht logisch aus Seinssatzen ableiten lassen, so ist doch faktisch jedes Werturteil auf bestimmte Seinstatsachen bezogen. Es besteht daher zwar keine logische, wohl aber eine faktische Abhängigkeit von Sein und Sollen, die sich nicht über logische Regeln, sondern nur empirisch fassen läßt (etwa indem nicht nur Werturteile, sondern auch die ihnen zugrundeliegenden Sachverhalte empirisch untersucht werden).

      Die Forderung nach einer strikten Trennung von Sein und Sollen ist einerseits leichthin ausgesprochen, andererseits aber schwerlich praktikabel. Dazu auch [1, p. 51]:

      In der Begründung wie in der Kritik naturschutzfachlicher Aussagen sollte man sich stets darüber bewußt sein, daß eigentlich eine wechselseitige Bezogenheit von Sein und Sollen besteht. Darauf ist gerade für naturschutzfachliche wie planerische Wertungsvorgänge hinzuweisen, da diese keine isolierten logischen Systeme darstellen. Sie bauen sich vielmehr aus Argumentationszusammenhängen, aus Verständniszusammenhängen auf, in denen Sachebene und Wertebene sich eng und wechselseitig beeinflussen.

      [1] JESSEL, Beate. Wissenschaftstheoretische Grundlagen zur Bewertung und ihre Bedeutung für die Naturschutzpraxis. In: Naturschutzfachliche Bewertung im Rahmen der Leitbildmethode. Physica-Verlag HD, 1999. S. 48-60.
      DOI 10.1007/978-3-642-48431-5_4

      N.B. Ich vermute mal, dieser Aufsatz von Frau Jessel ist Ihnen entweder ohnehin vertraut oder doch problemlos verfügbar. Unsereiner hat da mehr Schwierigkeiten, und es war wohl purer Zufall (oder “die Hand Gottes”), wodurch mir ein Zugriff auf das Dokument möglich wurde.

    • @Ludwig Trepl

      »… nämlich an der christlichen Ethik. Das liegt einfach daran, daß weder ich noch Kirchhoff an dieser Stelle über christliche Ethik geschrieben haben, sondern über den Gebrauch von „Anthropozentrik“ in der aktuellen Umweltdiskussion.«

      Die Frage, ob christliche Sozialethik anthropozentrisch fundiert ist, steht für Hausmanninger keinesfalls zur Diskussion, und dazu liefert ihm auch Meyer-Abich nichts Bedenkenswertes. Worin sich Hausmanningers Vorstellung von anthropozentrischer Ethik nun inhaltlich von Ihrer und Kirchhoffs Auffassung nennenswert unterscheiden soll, ist mir nach wie vor nicht ersichtlich. Einen Unterschied erkenne ich aber sehr wohl zwischen seiner und Ihrer Botschaft, denn wo er Dialogbereitschaft signalisiert, kommt es Ihnen anscheinend nur darauf an, Meyer-Abich & Co. als “Öko-Ideologen” abzuqualifizieren.

      »Aber dazu muß man eben das von Ihnen skizzierte Kriterium der Hierarchiebildung (Emergenz …) haben, und ich habe nur auf die Trivialität hingewiesen, daß es auch andere Kriterien gibt.«

      Ihre Beispiele meinen eine Rangfolge, wo einfach nach einem gegebenen, quantitativ bestimmbaren Merkmal (Körpergewicht, Geldbetrag) sortiert wird. Kontextuelle Emergenz kennzeichnet hingegen die Zugehörigkeit eines Begriffes zum “höheren” von zwei gegebenen Bescheibungskontexten, für die allein aufgrund ihrer Sprachstruktur eine formale Hierarchie vorliegt. Grob gesagt ist dabei der hierarchisch höhere Beschreibungskontext immer der irgendwie komplexere, wobei “komplex” zunächst nur in wörtlicher Bedeutung als “zusammengesetzt” gemeint ist, und der niedere Level ist dann automatisch der fundamentalere. Man könnte nun oberflächlich vielleicht denken, kontextuelle Emergenz sei ein qualitativer Zugewinn infolge einer quantitativen Steigerung an Komplexität, doch stimmt das nicht so ganz. Denn Komplexität lässt sich nicht generell durch einen schlichten quantitativen Wert erfassen, und steigern liesse sie sich dann auch wiederum nur durch qualitative Veränderung des jeweiligen Beschreibungskontexts, auf den sie bezogen ist.

      »Da müssen Sie schon etwas genauer hinsehen, und das hat man in der Ökologie längst gemacht, auf so etwas fällt da keiner mehr herein, der die Einführungsvorlesungen hinter sich hat.«

      Klar, sich einfach dumm zu stellen, ist auch eine spielbare Variante. Dass Sie als Biologe mit dem Begriff des offenen Systems und seiner Bedeutung für die Biologie überfordert sein könnten, kaufe ich Ihnen nicht so einfach ab. Die nichtlinearen Verstrickungen in offenen Systemen sind andererseits ein Argument für holistische Betrachtungen à la Meyer-Abich, und wenn Sie das zulassen, dann hätte Meyer-Abich womöglich doch etwas Bedenkenswertes mitzuteilen. Das muss natürlich auf jeden Fall verhindert werden.

      • @ Chrys.

        Ich verstehe zunehmend weniger, was Sie mir sagen wollen. Inzwischen geht mein Verständnis diesbezüglich gegen Null.

        „Worin sich Hausmanningers Vorstellung von anthropozentrischer Ethik nun inhaltlich von Ihrer und Kirchhoffs Auffassung nennenswert unterscheiden soll, ist mir nach wie vor nicht ersichtlich.“

        Ich weiß es auch nicht, ich hab mir das noch nicht überlegt. Warum auch? Er hat in seinem Aufsatz ein ganz anderes Ziel: Er schlägt eine „ökologische Sozialethik“ vor, und die hat den Anspruch, christlich zu sein. Wir schlagen überhaupt keine Ethik vor, weder eine christliche (daraus, daß Kirchhoff in einem christlichen Forschungsinstitut arbeitet, kann man das nicht schließen) noch sonst eine. Mein Artikel befaßt sich ausschließlich mit der Frage, ob der gängige Vorwurf an die „anthropozentrische Ethik“, daraus, daß „der Mensch im Mittelpunkt steht“, ergebe sich irgendwie Naturzerstörung, zutrifft, und ich sage, daß dieser Behauptung ein unzureichendes Bild vom Menschen (Mensch ist nichts als ein kluges Tier) zugrundelegt. Wenn man „den Menschen“ so versteht, wie er gemeinhin verstanden wurde über die Jahrhunderte, dann ergibt sich diese Konsequenz nicht. Welche Art von Ethik nun anzustreben wäre, ob man überhaupt eine anstreben soll (und wenn nicht, warum nicht) und was es in dem Umkreis noch an Fragen geben mag, ist einfach nicht Thema des Artikels – über das hinaus, daß eine „Anthropozentrik“, die den Menschen nicht bloß als kluges Tier sieht, gewisse Implikationen, die Naturzerstörung irgendwie motivieren, nicht hat.

        Wir bemühen uns in der Tat nicht, da haben Sie recht, um „Dialogbereitschaft“ mit „Meyer-Abich & Co.“, sondern kritisieren sie und ich nenne sie Ideologen (Kirchhoff wohl nicht, der ist höflich). Das kann man nun wieder kritisieren – aber bitte nicht weinen, daß da kritisiert wird und nicht umarmt. So ganz ohne Sinn ist Kritik nicht.

        Was Sie dann über Emergenz schreiben, klingt ja ganz klug, aber was hat es mit der Frage der Möglichkeit von nur einer oder vielen Rangordnungen zu tun? Es gibt keine kriterienlose Rangordnung. Beim Ranking nach Geld stehen andere Leute oben als beim Ranking nach guten Taten oder bei Ranking nach Körpergewicht oder nach oder nach Schlauheit oder nach Weisheit; ob das nun quantitativ bestimmbare Merkmale sind oder nicht, ist egal. Und das Ranking der „levels“ nach Fundamentalität ist halt auch ein mögliches Ranking, man kann es umdrehen, die Entfernung vom Fundament zum Kriterium machen und so wie früher oben Gott hinstellen, dann die Engel, dann die Menschen. Nur darum, daß verschiedene Rangordnungen möglich sind, ging es mir, denn Sie haben gesagt, daß in „der“ Rangordnung das Physische wichtiger zu sein hat.

        „Klar, sich einfach dumm zu stellen, ist auch eine spielbare Variante. Dass Sie als Biologe mit dem Begriff des offenen Systems und seiner Bedeutung für die Biologie überfordert sein könnten, kaufe ich Ihnen nicht so einfach ab.“

        Doch, da bin ich überfordert. Nebenbei: Biologen wissen von Systemtheorie gewöhnlich gar nichts, Namen wie Maturana pflegen ihnen völlig unbekannt zu sein. Das ist in meinem speziellen Fall anders, aber trotzdem: Ich weiß überhaupt nicht, was Sie mir mit diesem Verweisen auf offene Systeme sagen wollen. Ich dachte, aber ich dachte wohl falsch, Sie hätten ein ökologisches Phänomen (bzw. eine ökologische Diskussion) angesprochen, es ginge die um die Notwendigkeit von etwas in der Umwelt für die Existenz von Lebewesen, oder um ihr Angewiesensein aufeinander im Hinblick auf ihre Existenz. Dafür, und das habe ich m. E. hinreichend ausführlich erklärt, gibt Ihr Begriff eines offenen Systems nichts her. „Nichtlineare Verstrickungen“ sprechen Sie an – das ist so vage, daraus folgt jedenfalls für die Frage, um die es, wie ich dachte, geht, gar nichts. „Nichtlinear verstrickt“ wird auch eine Katze mit der Maus sein. Aber selbst wenn Katzen obligatorisch auf Mäuse angewiesen wären, würde es zwar keine Katzen mehr geben, wenn es keine Mäuse mehr gäbe, aber durchaus Mäuse, wenn es keine Katzen gäbe. – Auf meine Argumente gehen Sie mit keinem Wort ein, ich auf Ihre schon. Warum gehen Sie nicht darauf ein? Sind sie nicht verständlich? Es ist doch nichts Neues von einer Forschungsfront, wozu man Spezialwissen bräuchte, was ich da geschrieben habe, sondern jedem zugängliche „Naturkunde“ nebst ein paar allgemeinverständlichen Begriffen aus der zuständigen Wissenschaft. Vielleicht wollen Sie ja auf etwas ganz anderes hinaus. Aber auf was?

    • @Ludwig Trepl

      »Welche Art von Ethik nun anzustreben wäre, ob man überhaupt eine anstreben soll (und wenn nicht, warum nicht) und was es in dem Umkreis noch an Fragen geben mag, ist einfach nicht Thema des Artikels – über das hinaus, daß eine „Anthropozentrik“, die den Menschen nicht bloß als kluges Tier sieht, gewisse Implikationen, die Naturzerstörung irgendwie motivieren, nicht hat.«

      Übertragen auf soziale Beziehungsgeflechte wäre die entsprechende Frage, ob egozentrisches Denken (einzelner Individuen oder verschworener “Seilschaften”) die Ursache einer “Sozialzerstörung” ist. Auch da wäre die Antwort nein. Egozentriker müssen ihr soziales Umfeld nicht unbedingt nur als Mittel zum Zweck ansehen, die sind ja nicht zwangsläufig Soziopathen. Eine egozentrische Gesellschaft könnte funktionieren, doch entspricht so aber nicht gerade dem gängigen Ideal, und das hat sicherlich seine Gründe.

      »Es gibt keine kriterienlose Rangordnung. […] Nur darum, daß verschiedene Rangordnungen möglich sind, ging es mir, denn Sie haben gesagt, daß in „der“ Rangordnung das Physische wichtiger zu sein hat.«

      Eine hierarchische Relation zwischen je zwei Beschreibungskontexten oder Wahrnehmungsebenen ein und desselben Phänomens ist eben auch keine Rangordnung nach einem irgendwie festgelegten Kriterium. Sie ist ein Ordnungsschema, das wir nolens volens unseren Wahrnehmungen überstülpen, und zwar ganz ähnlich, wie wir das auch mit der Kausalität als Relation zwischen zwei als zusammengehörig wahrgenommenen Ereignissen tun. Tatsächlich wird auch bei hierarchischen Beschreibungslevels geflissentlich von upward und downward causation geredet, und obwohl das eigentlich Unsinn ist, haben die Leute dann üblicherweise das Gefühl, dies helfe ihnen beim Verstehen. Der weitere Hintergrund ist thematisch das Entstehen von Ordnung durch Symmetriebruch, aber damit will ich es hier auch bewenden belassen.

      Dass das Physische wichtiger sei, habe ich weder gesagt noch gemeint. Es ist fundamentaler (oder elementarer) im gleichen Sinne, wie für ein Haus die Steine, aus denen es erbaut ist, fundamentaler sind als der Bauplan des Architekten. Die Steine würden auch ohne einen Bauplan bestehen, doch ohne sein Wissen um die Steine hätte der Architekt keinen Plan konzipieren können. Doch was davon nun für das Haus wichtiger ist, lässt sich offensichtlich nicht gut sagen.

      »Doch, da bin ich überfordert. Nebenbei: Biologen wissen von Systemtheorie gewöhnlich gar nichts, Namen wie Maturana pflegen ihnen völlig unbekannt zu sein. Das ist in meinem speziellen Fall anders, aber trotzdem: Ich weiß überhaupt nicht, was Sie mir mit diesem Verweisen auf offene Systeme sagen wollen.«

      Um es kurz zu machen, haben Sie Zugang zu folgendem Übersichtsartikel?

      Wuketits, F. M. (1979). Die Bedeutung des Systemdenkens in der Biologie. Biologie in unserer Zeit, 9(3), 73-79.
      doi: 10.1002/biuz.19790090305

      Eine ziemlich gute und biologengerechte Darstellung auf sieben Seiten. Besseres habe ich dazu trotz einiger Suche jetzt nicht gefunden.

      Sofern man allerdings die Position vertritt, dass das Sollen vom Sein auch faktisch strikt zu trennen ist und alles schon gut wird, wenn man nur auf die Vernunft der Vernunftwesen vertraut, bringt das für Fragen nach Werturteilen natürlich auch nichts.

      • @ Chrys.

        Die Sache mit den Rangordnungen lassen wir mal lieber. Ich verstehe immer weniger, was Sie meinen, und es war ja auch nur ein Neben-Nebenpunkt.

        Wuketits, Riedl und all die anderen holistischen Evolutionsbiologie-Theoretiker werden in der Ökologie so gut wie gar nicht zitiert, sie sind da fast so unbekannt wie Maturana usw. unter Biologen i.a. Warum auch: sie reden über etwas ganz anderes; selbst wenn sie für ihre Fragen recht hätten: mit den Fragen der Ökologie hat das einfach nichts zu tun. Ich verstehe auch nicht, wieso Sie immer wieder damit kommen, aber die ökologischen Fragen, die ich angeschnitten habe, einfach ignorieren (Sie sind bisher mit keinem einzigen Wort darauf eingegangen). Ich versuche es ein letztes mal, nenne eine typische ökologische Frage (die in den Rahmen unserer übergeordneten Frage gehört) und würde gern wissen, was man ausgehend von dieser Art von Systemtheorien, auf die Sie verweisen, dazu sagen kann:

        Gegeben sei ein Waldökosystem. Die Baumschicht besteht aus Buchen. Im Wald leben Füchse, und die leben zu 99 % von Mäusen, die wiederum zu 80 % von Buchensamen leben. An den Wald angrenzend befindet sich ein anderes Ökosystem, ein See. Frage: Wie beeinflussen die genannten Arten und die beiden Ökosysteme einander, und insbesondere: Sind sie in ihrer Existenz aufeinander angewiesen? Was würden Sie ausgehend von jenen Systemtheorien dazu sagen?

      • Ethik und das Funktionieren der Gesellschaft.
        Ludwig Trepl, @ Chrys.

        „Eine egozentrische Gesellschaft könnte funktionieren, doch entspricht so [es?] aber nicht gerade dem gängigen Ideal …“

        Es entspricht dem neoliberalen Ideal, und das kann man durchaus als gängig bezeichnen, es wird seit Jahrzehnten auf allen Kanälen gepredigt.

        Sie haben aber recht: Es könnte funktionieren. Dieser Meinung war zumindest Kant: Auch ein „Volk von Teufeln“ – also von klugen Egoisten – würde schließlich zu eben der vernünftigen Gesellschaftsordnung gelangen, wie sie ein Volk erreicht, das sich von der praktischen Vernunft, vom allgemeinen Willen, also von der Moral selbst leiten läßt (in Zum ewigen Frieden). Es ist der Hobbes’sche Gedanke: Rein aus Eigeninteresse unterwerfen sich die Einzelnen einer von ihnen gemeinsam eingesetzten Macht, die den Krieg aller gegen alle verhindert (bzw. in friedlichen Wettbewerb verwandelt), und zwar durch Gewalt(drohung). Eine Moral, eine „Innensteuerung“ ist an keiner Stelle nötig, keinerlei Altruismus, keinerlei Mitgefühl mit anderen, auch keine Unterwerfung unter ein selbstgegebenes Gesetz (KI), dessen Übertretung kein Gericht bestraft.

        Warum dann die Moral? Warum war zumindest Kant der Meinung, daß man sich dem selbstgegebenen Gesetz unterwerfen soll? Das ist der Punkt, den Utilitaristen und funktionalistische Gesellschaftstheoretiker konsequent nicht verstehen. Sie glauben, die Ethik sei um des Funktionierens der Gesellschaft da; damit diese funktioniert, denkt man sich eine Ethik aus, deren Ziel ist es, eben das Funktionieren zu gewährleisten.

        Für Kant denkt man sich die Ethik überhaupt nicht aus, und sie verfolgt auch nicht das Ziel eines (friedlichen …) Funktionierens der Gesellschaft. Das „Volk von Teufeln“ tut’s auch. Klar, wenn zur Angst vor der Strafe noch ein innerer Antrieb kommt, die Gesetze zu beachten, so ergibt das eine zusätzliche Motivation, und Straftaten werden auch dann unterlassen, wo keine Entdeckung droht. Aber da könnte man sich überlegen, ob es nicht effektiver wäre, in die Strafverfolgung zu investieren statt in die moralische Erziehung.

        Nein, Moralität hat keinen solchen funktionalen Hintergrund, und daß sie notwendig ist, ergibt sich nicht aus Überlegungen zum Funktionieren der Gesellschaft. Sondern jeder weiß einfach, daß er sich moralisch verhalten soll, weil und insofern er nicht nur theoretische, sondern auch praktische Vernunft hat. Auch der weiß es, der die moralischen Gebote für sich nicht beachten will oder der ganz andere Vorstellungen von diesen Geboten hat als „die Gesellschaft“. Jeder weiß, daß er sich nicht nur gesetzes- oder moralgemäß verhalten soll, z. B. aus Furcht von Strafe oder wegen der Aussicht auf Belohnung die Gesetze einhalten soll, sondern eben moralisch: Aus Achtung vor dem Gesetz soll er diesem gemäß handeln, „um des Gesetzes willen“ (Kant), nicht weil es etwas einbringt. Wir schätzen jemanden, der alle juristischen und moralischen Gesetze peinlich genau einhält, weil das seiner Kariere dienlich ist, nicht hoch, er ist ein Heuchler. Wir wissen, daß wir so nicht sein sollen. Die Vernunft – die praktische Vernunft – sagt uns das (wenn diese Hypostasierung erlaubt ist). So sicher, wie wir wissen, daß wir beim Spielen nicht betrügen sollen, wissen wir auch, daß wir das Betrügen nicht beispielsweise mit Rücksicht auf das Gerede der Nachbarn lassen sollen.

        Jeder Einzelne weiß das, bzw. kann es wissen, wenn er vernünftig ist. Er muß dazu nicht auf das Funktionieren der Gesellschaft schauen. Er weiß das ganz unabhängig von ihr für sich. Denn es ergibt sich logisch daraus, daß er etwas will, weil das impliziert, daß er die Bedingungen des Wollenkönnens nicht untergraben darf. Deshalb gehört es zum moralisch Gebotenen, nicht nur wechselseitig aufeinander, sondern auch auf sich selbst Rücksicht zu nehmen. Man kann nicht etwas wollen (also nicht nur wünschen, sondern handelnd verwirklichen wollen), wenn dann, wenn man zur Tat schreitet, dies nicht mehr möglich ist, weil man sich z. B. durch übermäßigen Drogengenuß zum Handeln unfähig gemacht hat. Darum, also aus der Logik des Wollens selbst heraus, darf man sich nicht auf diese Weise zugrunderichten. Das widerspricht natürlich der (neo-)liberalen Ideologie. Da ist man Eigentum seiner selbst, und mit seinem Eigentum kann man machen, was man will. Die Logik des Wollens, d. h. die Vernunft, verlangt aber etwas anderes, und über der Vernunft gibt es nichts.

        Damit, daß „alles schon gut wird, wenn man nur auf die Vernunft der Vernunftwesen vertraut“, hat das gar nichts zu tun. Es geht nicht um Vertrauen in die Vernunft, sondern darum, daß definitionsgemäß nicht anderes als die Vernunft uns sagen kann, was richtig ist. Wenn man das bezweifeln will, kann man sich zu diesem Zweck ja auch nur an die Vernunft halten. Es gibt für uns keine höhere Instanz, wenn es um die Geltung von etwas geht.

        • Im Rahmen eines anthropozentrischen Weltbilds ist es nicht sinnvoll den Egoismus (was auch immer das genau sein soll) dem Altruismus (dito) entgegenzustellen; es handelt sich hier praktisch meist und bestenfalls um abstrakte Theoretisierung, die für kollektivistische oder alternativ das Individuum besonders beachtende politische Sichten genutzt wird.
          Es gibt den im Sinne Ludwig Trepls idealtypischen liberalen “Egoisten” nicht und auch der kollektivistische Nationalist oder Internationalist muss differenziert betrachtet werden.

          MFG
          Dr. W

          • @ Webbaer.

            „Es gibt den im Sinne Ludwig Trepls idealtypischen liberalen “Egoisten” nicht“.

            Danke! Ich hab’ zwar schon öfter einen im Fernsehen gesehen, wurde aber den Verdacht nie los, daß es die nicht in echt gibt.

            Aber im Ernst: Natürlich gibt es den nicht. „Ideal“ bedeutet eben dies. Auch den idealtypischen Christen, Kommunisten, Konservativen, Ökoloisten usw. gibt es – definitionsgemäß – real nicht. Aber ohne idealtypische Begriffe versteht man schlechterdings gar nichts.

            „’Jeder Einzelne weiß das, bzw. kann es wissen, wenn er vernünftig ist. Er muß dazu nicht auf das Funktionieren der Gesellschaft schauen. Er weiß das ganz unabhängig von ihr für sich.’
            Keine Ahnung, was derartige Aussagen bewirken sollen…“

            Das paßt zu Ihnen. Aber vielleicht hilft das: Moralität ergibt sich nicht erst unter der Voraussetzung des Lebens in Gesellschaft. Es gibt auch Pflichten gegen sich selbst.

          • Moralität ergibt sich nicht erst unter der Voraussetzung des Lebens in Gesellschaft. Es gibt auch Pflichten gegen sich selbst.

            A priori sozusagen. – Andere und anthropozentrische Sicht: Die Moralität entsteht im Rahmen gesellschaftlicher Veranstaltung, wobei es dem Einzelnen obliegt Normen zu hinterfragen und abzulehnen, die Vernunft nutzend, was im aufklärerischen Sinne seine Pflicht ist.

            Lässt sich auch gut verstehen und belegen durch die Betrachtung des Möglichen und leider auch oft Gegebenen.

            MFG
            Dr. W

        • ‘Jeder Einzelne weiß das, bzw. kann es wissen, wenn er vernünftig ist. Er muß dazu nicht auf das Funktionieren der Gesellschaft schauen. Er weiß das ganz unabhängig von ihr für sich.’

          Keine Ahnung, was derartige Aussagen bewirken sollen…

          MFG
          Dr. W

    • @Ludwig Trepl

      »Wuketits, Riedl und all die anderen holistischen Evolutionsbiologie-Theoretiker werden in der Ökologie so gut wie gar nicht zitiert, sie sind da fast so unbekannt wie Maturana usw. unter Biologen i.a. Warum auch: sie reden über etwas ganz anderes; selbst wenn sie für ihre Fragen recht hätten: mit den Fragen der Ökologie hat das einfach nichts zu tun.«

      Alle uns bekannten Erscheinunsformen des Lebendigen haben einen thermodyn. Beschreibungskontext, und aus der Thermodynamik folgen die grundlegenden Systembegriffe eigentlich ganz kanonisch. Organische Strukturbildung bedeutet, dass irgendein lokaler Bereich die thermodyn. Entropie in seinem Inneren reduziert, was nur dadurch möglich ist, dass er quasi thermodyn. Entropie an seine Umgebung abgibt (oder entsprechend negative Entropie aus seiner Umgebung aufnimmt). Getragen wird dieser Entropieflux durch einen beständigen, in beide Richtungen verlaufenden Transfer von Materie und Energie zwischen diesem Inneren und seiner Umgebung. Das Innere ist somit ein offenes System, das mit seiner Umgebung rückgekoppelt wechselwirkt, indem es diese beeinflusst und umgekehrt von ihr beeinflusst wird.

      Dass sich aus solch allgemeinen Betrachtungen bereits Konkretes gewinnen liesse für ein generisches ökologisches Szenario wie “Wald mit See”, wäre etwas zuviel erwartet. Die Thermodynamik liefert zunächst auch nur, dass bestimmte Wechselwirkungen und Rückkopplungen grundsätzlich in Betracht zu ziehen sind, aber welche davon aus welchen Gründen für eine Modellierung möglicherweise vernachlässigbar erscheinen. hängt sehr von den spezielleren Gegebenheiten ab, und das ist alles andere als einfach. Zur Thermodynamik u.a. von Ökosystemen hier noch ein Open Access Paper von Eric D. Schneider und James J. Kay, DOI 10.1016/0895-7177(94)90188-0.

      Von Maturana und Autopoiesis findet sich da im übrigen nichts, auch das hat seinen Grund. Soweit ich es verstanden habe, zielt das “Selbst” bei Maturana im wesentlichen darauf, in einem autopoietietischen System so etwas wie einen Träger von Identität zu sehen, und das hat mit dem “Selbst” bei der Selbstorganisation in dynamischen Systemen nichts zu tun, dazwischen liegt eine kaum überbrückbare Kluft. Sei noch bemerkt, dass die einzige mir bekannte Erwähnung von Autopoiesis bei Stuart Kauffman darin besteht, dass er (in At Home in the Universe) deren Ursprung eigentlich bei Kant sieht, was Maturana anscheinend weniger begeistert hat.

      Das mit dem “Volk von Teufeln” ist ein bemerkenswerter Gedanke zur Selbstorganisation sozialer Systeme. Die Philosophin Alicia Juarrero hat einmal etwas geschrieben zum Thema Selbstorganisation und dabei Kant mit Prigogine in Verbindung gebracht. Genaueres weiss ich aber zum Inhalt nicht, da ich den Text nicht kenne.

      Zum menschichen Egoismus noch ein Zitat, dessen Urheber ich Ihnen sicherlich nicht zu nennen brauche:

      Von dem Tage an, da der Mensch anfängt durch Ich zu sprechen, bringt er sein geliebtes Selbst, wo er nur darf, zum Vorschein, und der Egoism schreitet unaufhaltsam fort; …

      Vielleicht fühlt sich ja @Dr. Webbaer etwas zum Nachdenken angeregt…

      • Das mit dem “Volk von Teufeln” ist ein bemerkenswerter Gedanke zur Selbstorganisation sozialer Systeme.

        Vor allem ist hier die Art der Teufeligkeit entscheidend, überhaupt findet Ihr Kommentatorenfreund Kant ziemlich mopsig.
        MFG
        Dr. W (der allerdings -sozusagen als: Quereinsteiger- ohnehin die meisten Philosophen schwach bis lächerlich findet)

        • PS: Auch bei so etwas – ‘Die Philosophin Alicia Juarrero hat einmal etwas geschrieben zum Thema Selbstorganisation und dabei Kant mit Prigogine in Verbindung gebracht. Genaueres weiss ich aber zum Inhalt nicht, da ich den Text nicht kenne.’ – wird Ihr Kommentatorenfreund ein wenig stutzig.

        • Ihnen mangelt es ja nicht an Selbstbewußtsein, aber man kann es auch übertreiben. Ich weiß nicht, was Sie von Beruf sind. Aber stellen wir uns mal vor, ein Bäcker oder ein Psychologe schreibt, daß er die meisten Mathematiker schwach bis lächerlich findet.

          Ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, daß Sie die meisten Philosophen schwach bis lächerlich finden, weil es bei Ihnen oben nicht ausreicht, um sie zu verstehen? So gut wie jeder würde diesen Kommentar zu Ihren Satz richtig finden: Da glaubt eine Mücke, stärker zu sein als ein Elefant. Aber wenn die Mücke nun mal überzeugt ist, ein Elefant zu sein, wird sie das wenig beeindrucken.

        • Dr. W an Herrn Trepl :

          Ich weiß nicht, was Sie von Beruf sind.

          Es darf sich bspw. vorgestellt werden, dass Ihr Kommentatorenfreund u.a. kaufmännisch mit dem Schwerpunkt IT unterwegs war bis ist.
          Ansonsten bleiben Sie gebeten von Projektionen Abstand zu halten, es interessiert in der webtypischen Kommunikation üblicherweise niemanden, was wer über wen weiß, denkt & fühlt, wer wer ist, wenn Pseudonyme genutzt werden.


          Ansonsten werden Sie, lieber Herr Trepl, sicherlich zustimmen können, dass das Bemühen um die Liebe zum Denken auch sehr viel Unzureichendes hat entstehen lassen.
          Es hat i.p. Philosophie geradezu unglaubliche Tiefpunkte gegeben, sittlich, aber auch um das Erkennen bemüht; die real existierende Philosophie ist denn auch oft darin unterwegs philosophische Meinungen zu zitieren und rekursiv zu werden.

          Wobei Sie sich dankenswerterweise, Sie erklären sich hoffentlich nun offen (auch) Philosoph zu sein, sehr schön erklären, wie Ihr Kommentatorenfreund findet. [1]

          MFG
          Dr. W

          [1] ohne immer zustimmen zu können, aber Sie sind erkennbar wissenschaftlich unterwegs (“bemüht”), auch in den kommentatorischen Niederungen, auch wenn das WebLog nur wissenschaftsnah ist, eigentlich keine wissenschaftliche Arbeit stattfinden muss, sehr nett btw

        • Mir reicht es jetzt. Ihre Kommentare werden hier nicht mehr veröffentlicht. Sie haben mir ja zu verstehen gegeben, daß Sie turmhoch über den meisten Philosophen stehen, so hoch, daß Sie in der Lage sind, sie als „schwach bis lächerlich“ erkennen zu können. Darum wird es Ihnen sicher keine Mühe bereiten, Ihre Gedanken in der philosophischen Fachliteratur unterzubringen. Dieser Blog ist für uns geringere Geister gedacht, die in Zeitschriften wie „Philosophische Rundschau“ keine Chance hätten.

          • Kein Problem, Herr Dr. Trepl, weiterhin viel Erfolg mit Ihren WebLog.
            Dr. W (der hier nichts mehr anmerken wird)

  13. Ein sehr guter und kluger Artikel, Herr Trepl, ich stimme zu bis auf ein Detail, nämlich die enge, ausschließliche Kopplung des Erhabenen an das moralische Denken oder Empfinden nach Kant:

    “Auch wenn viele Menschen zu jenen erhabenen Gefühlen gar nicht in der Lage sind, weil ihnen die moralischen Ideen fremd sind, die der Naturanblick in ihnen hervorrufen könnte, so ist es doch keine Frage, daß sie diese Ideen haben sollten und daß prinzipiell jeder, den wir für zurechnungsfähig halten, sie auch haben könnte.”

    Der Ursprung der Idee des Erhabenen liegt bekanntermaßen beim antiken Autor Longinus (Vom Erhabenen), dessen Traktat in der Mitte des 16. Jh. erstmals gedruckt wurde. Dort ist die Erhabenheit eine Inspiration, die Seelengröße voraussetzt: “Solche Großheit entspricht der Rolle, die Gott dem Menschen zugewiesen hat: Betrachter der erhabenen Erscheinungen des Kosmos zu sein (Ed. Otto Schönburger, Reclam Stuttgart 1988, S. 142). In den Worten von Longinus (35,2) , ebd. S. 87: “Vor allem die Erkenntnis, daß uns die Natur nicht als niedrige, unedle Geschöpfe ansah, sondern wie in eine große Festversammlung in das Leben und die gesamte Welt einführte, damit wir Betrachter all ihrer Mühen und ehrgeizige Mitkämpfer seien, und daß sie uns gleich ein unbezähmbare Liebe zu allem einpflanzte, was immer groß ist und göttlicher als wir.”

    Edmund Burke, mit dem das Erhabene richtig populär wurde, hat es ebenfalls ohne eigentliche moralische Dimension definiert, wenn ich mich recht erinnere.

    http://en.wikipedia.org/wiki/A_Philosophical_Enquiry_into_the_Origin_of_Our_Ideas_of_the_Sublime_and_Beautiful

    Kant verstand seine Untersuchung als Kritik an Burke, aber woher wissen wir, dass er damit recht hatte?

    • “Kant verstand (…), aber woher wissen wir, dass er damit recht hatte?”
      “rechthaben” und “wissen” sind m.e. in diesem zusammenhang problematische kategorien. aber ich denke, ich verstehe Ihre frage.

      also: woher können wir das wissen?
      kants begriff des erhabenen ist nicht zufällig in seiner dritten kritik verortet, der kritik der urteilskraft, die eine brücke schlägt zwischen den beiden scheinbar unvereinbaren welten, der welt des natur- und der des freiheitsbegriffs.
      und auch innerhalb der KdUK steht dieser begriff an einer ganz entscheidenden stelle…

      mensch-sein heißt: mit beiden beinen in zwei inkommensurablen welten stehen.
      wenn wir erstmal be-greifen, was das heißt, wie das überhaupt denkbar und möglich ist, dann löst sich problem, dass wir durch unser eigenes handeln quasi hinter unserem rücken unsere eigenen grundlagen zerstören, von selbst.

      menschen werden in dem augenblick zum “menschen”, so verstehe ich kants begriff des erhabenen, in dem sie – in sinnlicher erfahrung der übermächtigen naturgewalt – erkennen, dass sie mehr sind als nur physis.

      und im übrigen ist es vielleicht auch nicht ganz zufall, dass kants KdUK in demselben jahr erschien, als in england die erste dampfmaschine aufgestellt und das industrielle zeitalter damit quasi eingeläutet wurde.
      ich bin mir sicher, dass dieses letzte große werk kants den schlüssel enthält für ein verständnis unserer heutigen lage.

      • Die Menschwerdung im Erlebnis des Naturerhabenen.
        Ludwig Trepl @ frafri.

        Was Sie da schreiben, scheint mir richtig und Sie haben es in einer bemerkenswerten Weise formuliert. – Anderswo haben Sie die Vermutung geäußert, ich sei „Kant-Kenner“. Das stimmt nicht, ich bin nicht einmal Philosoph, nur ein etwas mehr als üblich belesener Laie. Aber das glaube ich doch sagen zu können, daß Sie mit diesem Kommentar den Sinn der Kant’schen Philosophie treffen.

        Ein paar Fragen hätte ich aber doch noch:

        Wieso meinen Sie ? „ ‚rechthaben’ und ‚wissen’ sind m.e. in diesem zusammenhang problematische kategorien“?

        „mensch-sein heißt: mit beiden beinen in zwei inkommensurablen welten stehen.
 wenn wir erstmal be-greifen, was das heißt, wie das überhaupt denkbar und möglich ist, dann löst sich [das] problem, dass wir durch unser eigenes handeln quasi hinter unserem rücken unsere eigenen grundlagen zerstören, von selbst.“

        Könnten Sie erläutern, warum und wie sich dieses Problem dadurch löst? Ich ahne zwar etwas, ahne es aber nur.

        „menschen werden in dem augenblick zum ‚menschen’, so verstehe ich kants begriff des erhabenen, in dem sie – in sinnlicher erfahrung der übermächtigen naturgewalt – erkennen, dass sie mehr sind als nur physis.“

        Meinen Sie das so, daß es erst im Augenblick des Begreifens des moralischen Sinns des Dynamisch-Erhabenen diese Menschwerdung erfolgt? Dann würde ich widersprechen. Das ist nur ein, allerdings gewaltiger, Schritt auf dem Weg des Menschen zur Erkenntnis seiner selbst, also dessen, was er schon lange bzw. immer schon ist. Diese Menschwerdung selbst erfolgt bereits mit dem Gefühl des Erhabenen, auch des Mathematisch-Erhabenen, egal wie man es deutet. Wenn man es wie die frühaufklärerischen englischen Theoretiker als Verweis auf Gott deutet, dann ist das ja auch ein Erkennen, daß es „mehr als nur Physis“ gibt, und die Rolle, die dem Menschen im christlichen Denken zugedacht wird, bedeutet ja auch, daß dieser selbst „mehr als nur Physis“ ist.

        Und wenn man wie die Romantiker meint, im Erhabenheitserlebnis erkenne man nicht die Überlegenheit des Menschen über alle Natur, sondern umgekehrt: in der Wildnis und gerade im Schauerlichen, Schaurigen, Unheimlichen derselben erkenne man die Überlegenheit der Natur über die Vernunft, weil der Mensch hier fühlt, daß er mit dieser nichts mehr ausrichten kann, daß also nicht, wie Kant meint, in Wirklichkeit der Mensch, sondern doch die angeschaute Natur das eigentlich Erhabene sei, so scheint mir das zu bedeuten, daß doch „der Mensch“ im Kant’schen Sinn über alle Natur erhaben ist. Die Romantiker reden von der Überlegenheit der Natur über die Vernunft, verwechseln aber, wie sie es bis auf den heutigen Tag stur tun, Vernunft mit Verstand. Denn mit dem Verstand kann der Mensch gegen die übermächtige Natur nichts ausrichten, mit der Vernunft, wie man bei Kant lesen kann, dagegen durchaus. Verstand ist ein auf die empirische Welt, die bloße „Physis“, bezogenes Vermögen, darin zurechtzukommen, Vernunft aber das Vermögen, darüber hinauszukommen. Also: Ohne es zu merken meinen die Romantiker durchaus etwas Ähnliches wie Kant.

        Nun war, vermute ich, die Deutung des Erhabenheitserlebnisses durch die Romantik derjenigen ähnlich, die die Menschen der „mythischen“ Zeit vornahmen (gegen diese Behauptung hätte die Romantiker selbst sicher nichts gehabt). Wenn Autoren wie Duerr oder Bataille recht haben, dann war das Entsetzen, das die Menschen damals bei allerlei „Naturerlebnissen“ erfaßte, doch nicht einfach nur Entsetzen (das wurde es erst in der christlichen Zeit, als Natur – zumindest zeitweilig – zum Ort des nur Unreinen, Dämonischen wurde), sondern heilig im Sinne einer Einheit von äußerster Abstoßung (Entsetzen angesichts der übermächtigen, den Menschen zerstörenden Gewalten) und äußerster Anziehung (man wird gerade in dieser Zerstörung erlöst von den Fesseln, die das Leben als Mensch, mit den damit gegebenen Begrenzungen, bedeutet; so etwa Bataille) – dann wäre also diese archaische „Naturerlebnis“ durchaus ähnlich dem „heiligen Schauer“ der Romantiker. Das führt auf folgende Vermutung: Im Erleben dieses Heiligen (des Entsetzlichen und zugleich Anziehenden) in der Natur kam den archaischen Menschen die Erkenntnis, daß die Natur „mehr als nur Physis“ ist – und sie selbst damit auch.

    • Ludwig Trepl, @ Paul Stefan

      „Der Ursprung der Idee des Erhabenen liegt bekanntermaßen …

      Idee und Gefühl des Erhabenen sind sicher uralt. Erhaben war Gott, und das Gefühl des Erhabenen bekam man in der Kirche, nicht in der Natur. Naturerhabenheit ist eine Sache der Neuzeit. Vor allem Groh & Groh haben herausgearbeitet, wie im Rahmen religiösen Denkens (also ganz anders als bei Kant) die Natur erhaben werden konnte. Sie sprechen von einer Spätwirkung des Schocks der Kopernikanischen Revolution: Das unendliche Weltall, in das man nun blickte, war zunächst gähnender, entsetzlicher Abgrund. Doch dann wurde es umgedeutet: Die Prädikate Gottes wurden mit denen des endlosen Raumes identifiziert. Während Gott vorher vor allem der alles Umgreifende, Bergende war, ist er jetzt vor allem der Unendliche. So wurde dann alles Übergroße, alle menschliche Fassungskraft Übersteigende zum Verweis auf Gott, den Erhabenen.

      Die frühen englischen Ästhetiktheoretiker (Dennis, Saftsbury, Addison, auch Burke) haben das sozusagen auf die konkrete Erde geholt: Sie interpretierten so das Alpenerlebnis der englischen Adeligen auf ihrem Weg nach Italien. Die Deutung war immer noch religiös, die wilde Hochgebirgsnatur ein Verweis auf Gott. Erst mit Kant wurde das anders, Gott kommt nicht mehr vor. (Ich habe das in meinem Buch „Die Idee der Landschaft“ ausführlich dargestellt.)

      Die moralische Dimension, die Sie bei Burke vermissen, betrifft, meine ich, nur das Dynamisch-Erhabene, nicht das Mathematisch-Erhabene, also nicht das Übergroße.

      Sie fragen dann: „aber woher wissen wir, dass [Kant] recht hatte?“

      Erstens: Es leuchtet uns unmittelbar ein, es ist einfach eine gute Erklärung. Ein moderner Mensch, der diese Erklärung für sein Gefühl des (Dynamisch-)Erhabenen in der Natur bekommt, versteht dann sein Gefühl. Und selbst wenn man ihm andere Erklärungen liefert, die er akzeptieren kann: diese Erklärung wird er weiterhin für richtig halten, denn sie macht ihm deutlich, was in ihm abläuft, und was da abläuft, das weiß er ja. Andere Erklärung können das ergänzen, aber nicht verdrängen. – Daß der Anblick dieser übermächtigen Natur etwas anderes als das Erhabene, das er (moralisch) potentiell und seiner Bestimmung nach selbst ist, als Idee in ihm aufruft, nämlich statt dessen die Idee Gottes aufruft, wird ihm, als modernem Menschen, kaum einleuchten.
      Zweitens: Die Deutungen der Engländer sind darum nicht falsch. Zu ihren Zeiten verwies die erhabene Natur ja tatsächlich auf Gott.

  14. Mit einem Menschenbild, in dem der Mensch fast auf gleicher Stufe wie Gott steht, und wo er nicht nur die Macht von Gott hat, sondern auch die Vernunft von Gott, ist eine anthropozentrische Haltung vertretbar. Dann würden Menschen bei ihren Handlungen und Motiven alle anderen jetzt und in Zukunft lebenden Menschen berücksichtigen – und sie würden auch ihre Umgebung in ihre Überlegungen miteinzbeziehen.
    Genau das ist aber das Problem. Die fortschreitende Technik verleiht dem Menschen fast göttliche Macht, sie ändert am Menschen selber aber kaum etwas. Der moderne, mächtige Mensch hat immer noch die gleichen Motive und ein ähnliches Denken wie sein Urahn. Und wie sein Urahn könnte er auch anders, könnte er edel handeln, könnte er wie ein “Mensch” handeln, ganz wie im folgenden Zitat von oben:

    Sofern das derzeitige Denken naturzerstörerisch ist, ist es dies gerade deshalb, weil es vergißt, daß der Mensch ein Mensch ist, vielmehr ihn, wie es dem naturalistischen Zeitgeist ja nur möglich ist, nur als ein intelligenteres Tier begreift, das außer Überleben und angenehmem Leben keine Ziele des Lebens kennen kann.

    Ein naturalistischer Zeitgeist, der dem Menschen überhaupt keine Moralität zugesteht, liegt mit Sicherheit falsch, doch die Annahme, die schon von Kant gelehrte Ethik und sein moralischer Universalismus sei alles was wir auch heute noch brauchen, wage ich zu bezweifeln.
    Seit Kant hat sich die Dominanz des Menschen auf diesem Planeten noch einmal um vieles gesteigert. Damit leben wir nun in einer völlig neuen Situation. In einer Situation in der der klassische Anthropozentrismus, bei dem alles Denken und Handeln den Menschen als Massstab hat, nicht mehr genügt. Mit dem gerade angebrochenen Zeitalter der umfassenden Globalisierung und der globalen Wirkung von vielem was wir tun, entsteht eine neue Dimension, die viele frühere Selbstverständlichkeiten in Frage stellt.
    Ein paar Beispiel dazu: Heute gibt es zwar eine UNO, eine Vereinigung aller Nationen, die aber handelt immer im Auftrag der 192 (oder so) souveränen Staaten, die zusammen die UNO konsitutieren, nicht aber in einem höheren Auftrag oder mit einem weiter gesteckten Ziel. Einfach darum, weil die souveränen Staaten die letzte Instanz bilden, wenn es um Gesetze, Rechte und Handlungen geht. Das wäre kein so grosses Problem, wenn die meisten souveränen Nationen auch immer das Gesamtinteresse, das Interesse aller Menschen im Visier hätten. Doch leider ist das überhaupt nicht der Fall. Wie im 20. und 19. Jahrhundert müssen auch die heutigen Staaten in fast jedem anderen Staat einen potenziellen Feind sehen. Das hat beispielsweise die Konsequenz, dass die Idee eines globalen Stromnetzes, welches die ganze Welt durchzieht und damit bei arm und reich Energie bereitstellt und zudem Schwankungen in der Energieproduktion (durch EE beispielsweise) ausgleicht , heute aus poltiischen und gesellschaftlichen Gründen nicht realisiert werden kann. Obwohl es technisch machbar wäre und Vorteile für alle brächte.

    Fazit: Wir sind von unserem Denken und von unseren gesellschaftlichen und politischen Strukturen her nicht bereit für Probleme, die die Zuständigkeit von Nationen übersteigen. Das liegt auch am Mensch selber: Niemand wurde und wird als “global denkender Mensch” geboren obwohl schon Kant meinte, ein universelles Denken könnte es geben und für alle gelte der gleche Imperativ.

    • Seit Kant hat sich die Dominanz des Menschen auf diesem Planeten noch einmal um vieles gesteigert. Damit leben wir nun in einer völlig neuen Situation. In einer Situation in der der klassische Anthropozentrismus, bei dem alles Denken und Handeln den Menschen als Massstab hat, nicht mehr genügt.

      Soll wohl dem A. den Physiozentrismus entgegenstellen.

      Das wäre kein so grosses Problem, wenn die meisten souveränen Nationen auch immer das Gesamtinteresse, das Interesse aller Menschen im Visier hätten. Doch leider ist das überhaupt nicht der Fall.
      (…) Beispiel (…) die Idee eines globalen Stromnetzes (…)
      Fazit: Wir sind von unserem Denken und von unseren gesellschaftlichen und politischen Strukturen her nicht bereit für Probleme, die die Zuständigkeit von Nationen übersteigen.

      Jaja, das ‘Gesamtinteresse’ gilt es eben zu bestimmen, auszuhandeln; in Gesellschaftssystemen, die der Aufklärung folgend implementiert haben, hat man hier per Demokratie die diesbezügliche Meinungsfindung der Schwarmintelligenz anvertraut, in anderen Staaten der Führungsschicht, wobei auch diese die Menge ein wenig beachten muss. – Grob geschrieben: Was Ihnen als ungeeignete Problemlösungsfindungs-Strategie erscheint, Herr Holzherr, ist für andere OK, und der Elit(ar)ismus ist gefährlich; die Menschheit darf gerne dezentral(istisch) verwaltet werden, ist auch gut für die Kompetitivität und wirkt der Stagnation entgegen.

      MFG
      Dr. W (den es ohnehin oft vor Ihren Faziten ein wenig graust)

      • Wer soll für alle entscheiden? Wobei ich mit allen alle Menschen meine. Mein Fazit der heutigen Situation sagt eben, dass heute niemand für alle entscheiden kann. Nicht einmal das Volk, denn es gibt ja keine Abstimmunen über Souveränitätsgrenzen hinweg. Das äusserste was in Europa möglich ist, ist eine Entscheidung für ganz Europa. Doch schon das ist fragwürdig, denn man ist nicht wirklich ein Bürger eines so grossen Gebildes wie der EU.
        Die menschlichen Gesellschaften und der Mensch selbst ist damit schlecht gerüstet für wirklich globale Probleme – und solche gibt es. Nehmen wir das Walfangverbot. Es war und ist ein globales Verbot wurde aber von Japan immer wieder gar systematisch verletzt, weil Wale fangen für die Japaner eine grosse Bedeutung hat. Noch grösser wir das Dilemma wohl in Bezug auf die fossilen Rohstoffe. Ein zukünftiges Klimaabkommen soll alle Nationen zum Ausstieg aus den fossilen Energien bewegen. Das scheint unter heutigen Bedingungen von vornherein zum Scheitern verurteilt – und das letztlich wegen Interessen von souveränen Staaten,die nicht mit dem Gesamtinteresse übereinstimmen. Ohne Ölförderung – eine Konsequenz des Ausstiegs aus den fossilen Energien – würden Ländern wie Russland und vielen Ländern im nahen Osten die wichtigsten Einnahmequellen wegfallen. China wiederum müsste bei einem Zurückfahren der Kohleverbrennung wohl mit einem kleineren Wirtschaftswachstum rechnen. Sogar wenn jede souveräne Nation ein Gesamtinteresse erkennt, lohnt es sich heute kaum, das nationale Interesse zugunsten des Gesamtinteresses zurückzustellen.
        Fazit: der Mensch wird zum Bewohner des Anthropozäns, ist aber dafür in keiner Weise gerüstet.

        • Fazit: der Mensch wird zum Bewohner des Anthropozäns, ist aber dafür in keiner Weise gerüstet.

          Aus dem internationalen Dissens zu bestimmten Fragen ist genau dies nicht ableitbar.
          Ihnen schwebt wohl ein internationalistisch-ökologistisches Leitbild vor, aber es ist gerade die kontroverse Meinungslage, die auf eine gewisse Rüstung hindeutet.
          Man übersieht zudem oft die technologische Entwicklung und die politische, die bspw. auf das Abnibbeln des zweiten großen Kollektivismus Hoffnung gibt; rein sachlich betrachtet hat sich in den letzten drei, vier Jahrzehnten sehr viel getan.
          Auch die Erderwärmung erreicht nicht die avisierten + 0,3 K / Dekade, sondern gibt zurzeit empirisch etwa + 0,05 C / Dekade her, es bleibt also Hoffnung.
          >:->


          Das mit der Kritik an einer “zusammen anpackenden” Welt mit gemeinsamen Zielen und dem nicht vorhanden sein könnenden ‘Gesamtinteresse’ ist verstanden worden?

          MFG
          Dr. W

          • Wir haben als Handlungsmodell auf der globalen Ebene eben nur (Zitat) “ein internationalistisch-ökologistisches Leitbild”, von anderen Ökodiktatur genannt. Das zeugt doch davon, dass die Menschheit als Ganzes nicht handlungsfähig ist, wenn sie sich global geltende Entscheidungen und Entscheidungsstrukturen nur als Dystopie vorstellen kann. Kürzlich las ich in einem Spektrum.de- Artikel, falls ein Asteroid erdbedrohender Grösse auf Erdkurs entdeckt würde, könnte sein “Abschuss” an Meinungsdifferenzen über das richtige Verfahren scheitern. Stellen sie sich vor, eine Kommission kommt zum Schluss, man solle den Asteriden mit einer Atombombe pulverisieren, worauf Greenpeace welweiten Protest gegen diese schmutzige Methode organisiert und die Mission scheitern lässt, worauf der Asteroid die Erde trifft und 3 Milliarden sofort sterben und der Rest in die Steinzeit zurückkatapultiert wird – und alles nur weil sich die Menschheit nicht einigen konnte.

          • Also ich denke ich hab es sofort verstanden. Meiner Meinung nach darf man es auch ruhig deutlicher sagen. Im Übrigen wurden in den letzten Tagen 2 meiner Kommentare auf den Artikel “Die Vermeidung des Klimawandels – der dritte Teil des neuen Berichtes des Weltklimarates IPCC” zensiert. Das spricht Bände.

    • Lieber Herr Holzherr, könnten Sie mir bitte erklären, was das, was Sie hier und in Ihren folgenden Kommentaren schreiben, mit dem Thema des Artikels zu tun hat, und sei es auch nur am Rande oder indirekt?

      • Die Naturzerstörung, in der es im Titel geht, kann nur gestoppt werden, wenn sich alle Länder und Menschen daran beteiligen. Mir ging es darum, dass es heute und wahrscheinlich auch in naher Zukunft nicht möglich sein wird, alle Menschen zu gleichgerichtetem Verhalten zu bewegen – schon gar nicht aufgrund irgend eines Prinzips, zum Beispiel des anthropozentrischen.

        • @ Holzherr.

          Das verstehe ich erst recht nicht, absolut nichts davon. Sie können doch nicht wirklich der Meinung sein, daß sich alle beteiligen müssen, um „die Naturzerstörung zu stoppen“. Und warum soll man denn – zu diesem Zweck – alle zu „gleichgerichtetem“ Verhalten bewegen? Und wer bewegt sie? Und wer bewegt die Beweger? Und was soll es heißen, daß sie „aufgrund eines Prinzips“ bewegt werden? Und was heißt „schon gar nicht“? Offenbar geht es anders, also nicht „aufgrund eines Prinzips“, auch nicht, aber mit einem Prinzip geht’s erst recht nicht; was heißt denn das? Und was soll überhaupt „anthropozentrisches Prinzip“ bedeuten?

          Das sind aber alles Fragen, um die es im Artikel gar nicht geht. Nur weil in der Überschrift „Naturzerstörung“ steht, rechtfertigt es nicht, über alles mögliche zu schreiben, was irgendwie mit Naturzerstörung zu tun hat und irgend jemandem am Herzen liegt.

          • “Das sind aber alles Fragen, um die es im Artikel gar nicht geht. Nur weil in der Überschrift „Naturzerstörung“ steht, rechtfertigt es nicht, über alles mögliche zu schreiben, was irgendwie mit Naturzerstörung zu tun hat und irgend jemandem am Herzen liegt.”

            Warum das denn nicht? Ich finde nicht dass Herr Holzherr über alles Mögliche geschrieben hat. Genau darum geht es doch.

  15. “Anthropzentrik und Egoismus”

    Guter Punkt , der Mensch ist mehr als ein ewiges Jeder-gegen-jeden.

    Zustimmung auch zum Hinweis auf den Unterschied zwischen angenehmem und sinnerfülltem Leben , das vergessen wir oft in unserer wohlstandsverwöhnten Gesellschaft , nehme mich selber nicht aus , und es ist wohl auch einer der Hauptgründe für die Unzufriedenheit mit und für die Krise unserer Lebens-und Wirtschafts-Weise.

  16. Lieber Herr Trepl, ja das ist eine verbreitete Vorstellung, die den Scharm hat, dass wir dadurch das Problem in eine Moralische Schublade zu stecken oder alternativ in ein Selbstbefreiungskredo zu verwandeln. Ich glaube aber nicht mehr, dass das stimmt.

    Wir habe es vielmehr mit einem Konflikt der Möglichkeiten zu tun. Nur wenige beabsichtigen bewusst eine Zerstörung. Ich glaube sogar, dass die wenigsten eine bewusste Entscheidung darin treffen, sich selber oder gar der Menschheit zu nutzen indem sie die Natur ausbeuten. Im Regelfall wäre das eine undurchdachte Entscheidung: Wenn es um die Menschheit ginge, wäre eine nachhaltige Politik rationaler.

    • Ludwig Trepl, @ Jan.

      „ja das ist eine verbreitete Vorstellung, die den Scharm hat, dass wir dadurch das Problem in eine Moralische Schublade zu stecken oder alternativ in ein Selbstbefreiungskredo zu verwandeln. Ich glaube aber nicht mehr, dass das stimmt. Wir habe es vielmehr mit einem Konflikt der Möglichkeiten zu tun. Nur wenige beabsichtigen bewusst eine Zerstörung.“

      Ich halte das für richtig, was Sie schreiben, aber das betrifft eine andere Frage als die, ob eine anthropozentrische Ethik zu Naturzerstörung führt, ob es nicht einer physiozentrische bedürfe usw. Es betrifft die Frage, ob politisch gesehen es erfolgversprechend ist, auf Ethik zu setzen.

      Es gibt zwar Beispiele, wo zweifellos die Entstehung oder Ausbreitung einer bestimmten moralischen Einstellung ganz für sich eine enorme politisch-gesellschaftliche Wirksamkeit entfaltet hat (etwa im Zusammenhang mit dem Aufkommen oder der Ausbreitung von Religionen), aber die Regel – so glaube ich mit Ihnen – ist das nicht. Da ist es eher umgekehrt: Es gibt ökonomische oder sonstige „Systemzwänge“, die dazu führen, daß bestimmte Dinge geschehen, egal was die Leute sich auf der ethischen Ebene dazu denken, ja es ist sogar umgekehrt meist so, daß diese „Systemzwänge“ dazu führen, daß die Leute diese oder jene Moralvorstellungen sich zu eigen machen. Als man in den sozialistischen Ländern die gesellschaftlichen Vorteile abschaffte, die mit dem Bekenntnis zur Religion verbunden waren, schrumpfte deren Einfluß in manchen dieser Länder (DDR, CSSR, SU …) ganz gewaltig und damit verschwanden auch bestimmte moralische Einstellungen. Anders und plakativ gesagt: Man kann z. B. den Kapitalismus abschaffen oder einführen – die Moral folgt nach.

      Es ist also im allgemeinen (wenn auch nicht immer) wirksamer, an politischen, ökonomischen, sozialen „Stellschrauben“ zu drehen, als eine bestimmte Moral zu predigen, und beim Umweltthema bin ich mir sehr sicher, daß das so ist. Aber dennoch hat es seine Berechtigung, sich an den Ethik-Diskussionen zu beteiligen. Zum einen deshalb, weil es doch eine begrenzte Wirksamkeit von moralischen Haltungen an sich gibt und diese in bestimmten Situationen durchaus erhebliche Bedeutung bekommen können. Zum anderen deshalb, weil man als Individuum gar nicht darum herumkommt, seine eigene Haltung ethisch zu begründen. Wenn man das Wirtschaftssystem ändern will, weil das die Menschen, ob sie das nun wollen oder nicht, zu bestimmten, z. B. „umweltschädlichen“ Handlungen nötigt, dann muß man das für sich ja begründen, und diese Begründung hat letztlich immer ethischen Charakter.

      • “Es ist also im allgemeinen (…) wirksamer, an politischen, ökonomischen, sozialen „Stellschrauben“ zu drehen, als eine bestimmte Moral zu predigen,(…)”
        her trepl, da gebe ich Ihnen recht.

        ich würde allerdings noch einen schritt weiter (oder eine ebene tiefer) gehen und sagen: an diesen stellschrauben zu drehen, bringt uns nicht viel weiter, solange wir immer noch auf derselben art zu wissen (“epistemologie”) aufbauen. mit anderen worten: wichtiger als das, WAS wir wissen, ist WIE wir wissen.
        dieser unterschied ist vielen menschen heute nicht bewusst.

        ich habe oben –
        https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/ist-anthropozentrisches-denken-die-ursache-der-naturzerstoerung/#comment-6072
        leider bisher mit null resonanz gregory bateson zitiert mit der auffassung, dass die “logik”, mit der natur arbeitet, eine andere ist als die, mit der wir (die menschen der moderne) arbeiten.

        • Es ist also im allgemeinen (wenn auch nicht immer) wirksamer, an politischen, ökonomischen, sozialen „Stellschrauben“ zu drehen, als eine bestimmte Moral zu predigen, und beim Umweltthema bin ich mir sehr sicher, daß das so ist. (Ludwig Trepl)

          …muss nicht so verstanden werden, als ob die Betätigung der ‘Stellschrauben’ keinen sittlichen Maßgaben folgt. Der Gegensatz meint das ‘Predigen’ (vgl. : Prädiktion), die Predigt kann mit dem Fine-Tuning am System auseinander laufen.
          Insofern folgt die Moral streng genommen nicht nach.

          Das “WIE wir wissen” ist heutzutage im Rahmen der skeptizistischen modernen Wissenschaftlichkeit verstanden.

          BTW, die Welt oder Natur, die wir uns als Anwendung von Regeln auf Zustände vorstellen, kennt keine ‘Logik’ (“Sprachlichkeit”), ist anders als der Versuch um Erkenntnis (vgl. : Wissen).

          MFG
          Dr. W

          • in der frage danach, WIE wir das wissen, was wir wissen kann sich (implizit) auch ethik ausdrücken.
            ich halte es mit wittgenstein (und heinz von foerster) sinngemäß: ‘über ethik kann man nicht sprechen, man kann sie nur leben’
            heinz von foerster nannte seine kybernetik zweiter ordnung eine “kybernEthik”.

            etwas sehr vergleichbares tat Kant in seiner kritik der urteilskraft.
            er entwickelt hier einen naturbegriff, der von seiner konstruktion her jeden ausbeuterischen zugriff auf natur ausschließt.

            ich wundere mich etwas, dass mein entsprechender post unten bisher keine reaktion ausgelöst hat. auch nicht von herrn trepl, von dem ich gehört hatte, er sei kant-kenner
            https://scilogs.spektrum.de/landschaft-oekologie/ist-anthropozentrisches-denken-die-ursache-der-naturzerstoerung/#comment-6102

          • @ frafri :

            in der frage danach, WIE wir das wissen, was wir wissen kann sich (implizit) auch ethik ausdrücken.
            ich halte es mit wittgenstein (und heinz von foerster) sinngemäß: ‘über ethik kann man nicht sprechen, man kann sie nur leben’

            Wichtiger Hinweis: Die Ethik kann, ganz ähnlich wie das Bemühen um Erkenntnis, falsifikationistisch angegangen werden, d.h. bestimmte ethische Konzepte funktionieren nicht, beispielsweise kann der Selbstmord in jungen Jahren nicht empfohlen werden, auch die sogenannten Shaker dürfen hier genannt werden, und im gemeinsamen sozialen Ringen – gerne auch aufklärerisch angelegt – können ethische Normen, in etwa so wie wissenschaftliche Theorien, entwickelt und gepflegt werden.

            Hier liegt kein naturalistischer Fehlschluss vor, wie bestimmte Kräfte (oft: “Relativisten/Nihilisten”) nahelegen.

            Ethische Fragen müssen kommuniziert und ausgehandelt werden.

            MFG
            Dr. W

          • “Ethische Fragen müssen kommuniziert und ausgehandelt werden.”
            selbstverständlich, wie kommen Sie bloß darauf, dass ich das nicht so sehe??
            lieber webbär, ich fürchte, Sie haben mich wieder einmal schlicht nicht verstanden.
            es geht mir (und wittgenstein etc.) um den letztlich unaussprechlichen KERN von ethik.

            was das ist? das ist vielleicht ähnlich wie mit sprache:
            wir können natürlich ÜBER sprache sprechen, sollten das sogar. aber immer, wenn wir sprechen, hat die sprache schon gesprochen.
            sprache ist (ebenso wie ethik) in ihrem kern keine konvention. sie ist auch kein mittel, das informationen von einem sender auf einen empfänger überträgt. dass wir im alltagdavon ausgehen,ist eine praktische vereinfachung.

            oder wie mit dem flussbett, das von fließendem wasser gegraben wird, und das dann seinerseits das wasser lenkt, ohne ihm auch nur geringsten seine spontaneität zu rauben.

          • @ frafri :
            Die Ethik oder das Sollen werden, abweichend vom Verhalten oder von der Beschreibung von Verhalten, ganz ähnlich wie im Rahmen der modernen Wissenschaftlichkeit, kommunikativ, im größeren Rahmen: kulturell, sozusagen erarbeitet.

            Und so wie der Kern der modernen skeptizistischen Wissenschaftlichkeit die Sicht (“Theorie”) ist, so ist auch der Kern der Ethik eine Sicht oder gemeinsame Sichtenbildung (“Theoretisierung”).


            Dies ist erst einmal festzuhalten.
            Das Wesen der Sprache könnte hier auch, in einem längeren Aufsatz, erklärt werden, aber dieser Erklärung benötigt es im Moment nicht, wie es scheint, es sei denn Sie, Herr Dr. frafri, stellen einen besonderen Bedarf fest.

            MFG
            Dr. W

          • “Die Ethik oder das Sollen werden,(…) kommunikativ, im größeren Rahmen: kulturell, sozusagen erarbeitet.”
            dem kann ich zustimmen. die frage ist nur: wer ist das subjekt dieses prozesses, d.h. wer “erarbeitet” hier?

            was ich übrigens leicht nervig finde, lieber webbaer, das ist die art, wie Sie hier als papst ex cathedra wahrheiten verkünden – auch dann, wenn ich Ihren aussagen, wie oben, zustimmen kann.
            Sie scheinen mir das wort “ich” zu vermeiden wie der teufel das weihwasser.

          • Hier wird der Begriff der Menge benötigt, lieber Herr Dr. frafri, die Menge oder Masse, die einstmals von der Herrschenden gefürchtet worden ist, wie der Teufel das Weihwasser fürchtet, ist in den aufklärerischen Systemen erstmals genutzt worden um Sichten oder generell: Mehrwert zu erarbeiten, von Liberalen, die einstmals revolutionär waren.
            Elit(ar)istische Meinungen streben dem entgegen, allein!, die Masse macht es sozusagen.
            Nun weiß Ihr Kommentatorenfreund, werter frafri, nicht genau, ob Sie hier ein Problem sehen oder mehr im Epistemologischen.
            Also es ist schon so, dass es möglich ist dieses politische und mittlerweile anerkennte Bemühen im Sprachlichen aufzulösen, wie es bspw. Neomarxisten tun, oder über das Wesen des Sprachlichen in das Wesen des Lebens zu gehen oder in das Wesen der Welt, abär es ist schon so, das die anthropozentistische oder anthropozentrtische Sicht das ist, was dem Primaten obliegt.
            Und nein, da gibt es nichts für Esoteriker zu saugen, sofern sie nicht andere Sichten, gerne auch: per bewusstem Glaubensentscheid, anfordern.
            MFG
            Dr. W (der sich nun ausklinkt, btw: Was macht das Yoga-Geschäft so?, läufts?)

          • @ frafri.

            “das ist vielleicht [mit der Ethik] ähnlich wie mit sprache:
            wir können natürlich ÜBER sprache sprechen, sollten das sogar. aber immer, wenn wir sprechen, hat die sprache schon gesprochen.”

            Der Vergleich mit der Sprache scheint mir nicht zu passen. „aber immer, wenn wir sprechen, hat die sprache schon gesprochen“ heißt doch wohl: Wir setzen immer schon die Sprache voraus, wenn wir über sie sprechen. Das ist durchaus anderswo auch so, etwa bei der Logik. Wenn wir über Logik nachdenken, bedienen wir uns der Logik. Wo die herkommt, wissen wir nicht, wir können ja nicht einmal diese Frage stellen, ohne uns der Logik bereits zu bedienen.

            Aber ist es bei der Ethik auch so? Man kann die Ethik herleiten, ohne Ethik vorauszusetzen. Man braucht nur vorauszusetzen, daß die Menschen etwas wollen, und dann fragt man nach den Bedingungen, unter denen das nur möglich ist, schon ist man bei der Ethik (Ich habe dazu unter Anlehnung an Grünewald vor einigen Monaten einen Blog-Artikel geschrieben). Das, was Sie mit „unaussprechlichem Kern“ meinen, scheint mir nicht die Ethik, sondern das Wollen selbst zu betreffen, und das heißt: die Freiheit. Wenn freie, also zur Willensbestimmung (sozusagen vernünftigem Begehren) fähige Wesen da sind, deren jeweiliges Wollen das der anderen tangiert, dann ergibt sich Ethik.

      • Sie haben recht ich glaube nicht, dass der Anthropozentrismus als Ursache taugt, weil ich überhaupt nicht glaube, dass eine irgendeine Moral dafür verantwortlich ist. Sie haben nach der Ursache der Umweltzerstörung gefragt und nicht nach deren Lösung. Sicher müssen wir ethische und politische Konzepte entwickeln und neu überdenken, wenn wir Lösungen suchen. Allerdings ist eine falsche Analyse der Ursachen vermutlich nicht hilfreich für das auffinden von Lösungen. Die ethische Diskussion gehört zur Lösungsstrategie.
        Aber auch ethisch zieht der Anthropozentrismus-Vorwurf nicht. Er bezieht sich ja vermutlich auf Gen. 1.28 „füllet die Erde und machet sie untertan.“ Ich glaube nicht dass dies irgend einen Einfluss gehabt hatte. Eher in dem Sinne, dass dieser Satz dafür benutzt wurde zu rechtfertigen was vorher schon Praxis war.
        Ich glaube das aus mehreren Gründen:
        1. Innerhalb der Bibel scheint es mir unglaub­würdig, dass Gott den Menschen beauftragt haben soll, seine eigenes Werk zu zerstören. Buber übersetzt diese Stelle mit „bemächtigen“, das sie zu verwalten und zu hegen wie ein Gärtner oder wie ein König im Idealfall sein Land gemeint gewesen sein sollte. Das wird durch Gen. 2.15 bestätigt: „Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten, damit er ihn bebaue und erhalte.“ (Siehe auch Bedeutung des hebräische kabasch.) Wie gesagt mir scheint eher, dass die Moral passend gemacht wurde.
        2. Wenn der Anthropozentrismus durchformuliert wird, mündet er vernünftiger- und sinnvoller­weise in dem Nachhaltigkeits-Gedanken, der ja im Kern unbedingt anthropozentrisch ist.
        3. Menschliche Gesellschaften entwickeln sich als kooperative und wettstreitende Gemeinschaften. Die Moral soll wahrscheinlich das Gemeinwohl vor den Interessen des Einzelnen schützen. Gemeinschaften, die Ressourcen effektiv nutzbar machen können, haben mehr Möglichkeiten ihre Ziele zu erreichen. Die Spiele-Theorie ist ein sehr differenzierendes Instrument diese Wechsel­wirkungen zu verstehen. Dieser Wettstreit der Möglichkeiten, glaube ich führt fast automatisch zur Übernutzung.
        Manchmal, gewiss, da gebe ich Ihnen gerne recht, haben moralische Neuerungen gestaltende Wirkungen. Und wir müssen uns Gedanken dazu machen, wie wir Nachhaltiges Wirtschaften etablieren können.
        Ich hatte also die Ursachen-Frage in den Vordergrund gestellt, nicht die alternative verschiedener ethischer Grundlegungen. Wenn sie mich aber Fragen welcher Art Ethik zu weniger Naturzerstörung führen könnte:
        Für die Richtung, scheint mir, spielt heutzutage der Unterschied zwischen anthropozentrischen oder pathozentrisch oder holozentrischen oder biozentrischen Ansätzen kaum eine Rolle. Die Nachhaltigkeit kann zunächst als Minimalziel gelten. Der Weg ist weit, erst in der Nähe des Ziel werden die Unterschiede wirklich interessant.
        Ich persönlich würde dies jedoch in biblischer Manier staffeln. Für den Schutz der Natur an sich und als solche (holo- oder physiozentrisch) könnte es reichen, wenn ein siebentel oder zehntel als Refugium Naturschutzgebiete, (biblisch in Anlehnung an die Idee des Sabbath) dient und für den werktätigen Alltag Nachhaltigkeit und Leidensminimierung leitend ist. Ich bin sozusagen ein überzeugter 95%-Vegetarier.
        Das ist nur holzschnittartig gemeint.

        • Ludwig Trepl, @ Jan.

          „Gen. 1.28 „füllet die Erde und machet sie untertan.“ Ich glaube nicht dass dies irgend einen Einfluss gehabt hatte. Eher in dem Sinne, dass dieser Satz dafür benutzt wurde zu rechtfertigen was vorher schon Praxis war.
“

          Da haben Sie sicher recht. Um eine bestehende (oder, es gibt ja auch Reformer und Revolutionäre: anzustrebende) Praxis zu rechtfertigen, holt man sich halt aus einer heiligen Schrift das Passende heraus. Man findet fast immer etwas Passendes. Wenn man also herausbekommen will, was denn die Rolle des Christentums (um die es allerdings im Artikel nicht ging!) für irgend etwas heute und früher Geschehen(d)es ist und war, kann man nicht Bibelstellen zitieren, damit läßt sich fast immer alles und auch das Gegenteil begründen.

          Sondern man muß sehen, was die „Systemlogik“ des christlichen Denkens ist, wie da die grundlegenden Begriffe, mit denen wir unser Dasein in der Welt zu verstehen versuchen (z. B. Individuum, Gesellschaft, Gemeinschaft, Herkunft, Zukunft, Freiheit, Bindung …) miteinander verbunden sind. Da wird man dann systematische Unterschiede zu anderen Denkweisen, z. B. dem nachchristlichen Atheismus oder dem vorchristlichen Heidentum, finden. Aber auch so ergibt sich selten, daß etwas von der Art „Krieg oder Frieden“, „Naturschutz“, „Freiheit“ eindeutig nicht gewollt oder nicht gedacht werden kann. Es wird nur manchmal schwierig, z. B. „Krieg“ oder „Wohltätigkeit“ oder „Rebellentum“ oder „Vaterlandsliebe“ oder …. zu rechtfertigen; das braucht viele Zusatzbedingungen und ist deshalb seltener anzutreffen als in anderen Groß-Denksysemen. Oder die Begriffe (z. B. „Freiheit“, „Gerechtigkeit“ und andere, gegen die keiner was hat), kommen überall vor, bedeuten aber überall etwas anderes.

  17. „Den Menschen“ – Anthropos – müssen wir also so begreifen: nicht als Naturwesen, das er natürlich auch ist, sondern als Vernunftwesen, das zu moralischen Ideen und damit zu moralischem Handeln fähig ist und seine Bestimmung darin hat.

    Sofern das derzeitige Denken naturzerstörerisch ist, ist es dies gerade deshalb, weil es vergißt, daß der Mensch ein Mensch ist, vielmehr ihn, wie es dem naturalistischen Zeitgeist ja nur möglich ist, nur als ein intelligenteres Tier begreift, das außer Überleben und angenehmem Leben keine Ziele des Lebens kennen kann.

    Klingt klug wie zustimmungsfähig.
    MFG
    Dr. W (der’s so ähnlich auch aus der Bibel kennt, ‘Macht Euch die Erde untertan’, wobei da nichts von Plattmachen steht und sozusagen die Kooperation mit der Natur gemeint scheint)