John Brinckerhoff Jacksons drei Landschaften

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Eine in den USA einflußreiche Theorie typisiert Landschaften: Landschaft Eins setzt sich aus vielen unterschiedlich genutzten Räumen zusammen. Landschaft Zwei besteht aus homogenen, auf einen ausschließlichen Zweck gerichteten Räumen. Landschaft Zwei ist temporär, kurzlebig und beweglich, Landschaft Zwei statisch. Landschaft Eins ist die Landschaft der sich selbst organisierenden ländlichen Bevölkerung des Mittelalters, Landschaft Zwei die der Herren, die sich mit der Renaissance durchsetzte. Landschaft Drei ist die Wiederkehr der  Landschaft Eins in den USA, von den der ländlichen europäischen Unterschicht entstammenden Einwanderern dorthin gebracht. Landschaft Drei verkörpert den Fortschritt. – Es wird gezeigt, daß das eher für die Landschaft Zwei, die der Herren, zutrifft.

 

Ein Vortragsmanuskript[1]

 

Ich werde über die Landschaftstheorie von John Brinckerhoff Jackson[2] sprechen. Der Anlaß[3] für das Thema tut hier nichts zur Sache. Jackson war mir bisher völlig unbekannt, und ich hatte wenig Zeit. Darum habe ich auf die Schnelle zwei ins Deutsche übersetzte Aufsätze[4] von ihm gelesen, mehr nicht. Er scheint in der US-amerikanischen Diskussion um „Landschaft“ – zumindest unter Landschaftsarchitekten – eine außerordentlich große Rolle zu spielen.

Ich will hier kein ordentliches Referat halten, sondern nur erzählen, was mir beim Lesen der zwei Aufsätze so durch den Kopf gegangen ist in der Hoffnung, die Diskussion in diesem Kreis könnte mir vielleicht helfen, in einigen Wochen, Monaten oder Jahren ein richtiges Referat über Jackson zustande zu bringen.[5] Was ich jetzt sage, wird also für einen Vortrag geradezu unerlaubt unsortiert sein.

Was Jackson macht, scheint mir zwar in vielen Punkten falsch, aber doch interessant und ausbaufähig.

Jackson „ökologisiert“ nicht seinen Gegenstand „Landschaft“, wie heute so viele, auch solche, die sich auf ihn berufen, d. h. er betrachtet ihn nicht als ein letztlich mit naturwissenschaftlichen Methoden zu erforschendes System, sondern bleibt auf der Ebene, um die es bei Landschaft geht, der kulturellen. Was ist seine Intention, und weshalb meine ich, daß das interessant ist, was er macht? Ich werde erst versuchen, das zu skizzieren, und dann werde ich sagen, was ich an seinem Ansatz für unzureichend und für falsch halte; dies immer unter der Einschränkung, daß ich, wie gesagt, nur zwei Aufsätze kenne und kaum Zeit hatte, darüber nachzudenken.

Jackson beobachtet, wie der Charakter der Landschaft sich heute grundlegend ändert und in den USA schon geändert hat. Und er beobachtet, daß die gewohnte Art, über Landschaften zu urteilen – nämlich daß man sie mit den Ideallandschaften vergleicht, wie man sie etwa von alten Landschaftsgemälden her kennt oder heute von der Tourismuswerbung – dazu führt, daß man an der heutigen Landschaft nichts Positives wahrnehmen kann, ja gar keine Landschaft wahrnehmen kann, daß man eigentlich nur noch Gebiete mit zerstörten, also ehemaligen Landschaften sieht. Das zwinge einen zu einer defensiven und konservativen Politik und Gestaltung; man kann das Neue nur bekämpfen, kann nur das Alte erhalten oder wiederherstellen.

Nun, das ist das zentrale Problem, mit dem sich die Landschaftsarchitektur und auch die Stadtplanung seit langem herumschlagen. Interessant an Jackson ist der Versuch, den neuen Charakter der besiedelten Räume insgesamt (also nicht nur dessen, was man etwa seit Beginn der Neuzeit Landschaft nennt) unter einem neuen, kohärenten Begriff von Landschaft zusammenzufassen. Dies aber tut er unter Rückgriff auf etwas, was man in der Zeit vor der Entstehung dessen, was wir heute mit Landschaft meinen, Landschaft genannt hat.

Jackson unterscheidet so drei Arten von Landschaft, die er Landschaft Eins, Zwei und Drei nennt. Ich beschreibe Eins und Zwei, indem ich ein paar Sätze von ihm zitiere:

Die ursprüngliche, frühmittelalterliche Bedeutung von „landscape“ sei, so behauptet er, im Altangelsächsischen die folgende gewesen: mit „landscape“ ist „eine Ansammlung, ein ‚Bündel’ von zueinander in Beziehung stehenden Ländereien gemeint [gewesen], das zugleich Teil eines größeren Systems war … Landschaft muß deshalb ein Begriff gewesen sein, der von den Dorfbewohnern, Bauern und Landarbeitern häufig verwendet wurde. Er beschrieb ihre eigene kleine Welt.“ Der Begriff landscape sei dann später durch country ersetzt und etwas modifiziert worden. Country „bezeichnete ein ausgedehnteres, wenngleich weniger genau definiertes Territorium, in dem Menschen lebten, die alle den gleichen Dialekt sprachen, die gleiche Art Landwirtschaft betrieben, Untertanen des gleichen Lehensherren waren, gleiche Sitten und Gebräuche ihr eigen nannten und bestimmte traditionell verbürgte Rechte und Privilegien besaßen.“ Das ist wesentlich: Das Recht, die Ordnung ist durch Tradition bedingt, das Recht ist Gewohnheitsrecht, nicht das von außen gesetzte „römische“ Recht. Wesentlich ist weiter: „Mobilität und Wandel sind der Schlüssel [zu dieser Landschaft Eins], aber eher unfreiwillig und widerstrebend“, im wesentlichen erzwungen durch die Notwendigkeit ständiger Anpassung an wechselnde Umweltbedingungen.

Diese Landschaft Eins habe gewissermaßen noch einige Jahrhunderte fortgelebt als eine Schicht unter der Landschaft Zwei, der Landschaft, die sich mit der Renaissance durchsetzte und die im wesentlichen die Landschaft der Landbesitzer, nicht der Bauern und Landarbeiter war. Schon vorher galt: „Aus der Sicht großer Landbesitzer, der Adeligen und des Klerus war Landschaft [also Landschaft Eins] lediglich ein bäuerlicher Alltagsbegriff, der eine Menge temporärer und grob vermessener Räume bezeichnete, die [ …] häufig den Besitzer wechselten.“

Was macht nun diese Landschaft Zwei aus? „Der Raum der Landschaft Zwei ist eindeutig und unumstößlich definiert. Mauern und Hecken, offene Grün- und Rasenflächen lassen in sich abgeschlossene, wohlgeformte und schöne Räume sichtbar werden. Landschaft Zwei legt großen Wert auf Sichtbarkeit, daher rührt auch die aus dem 17. Jahrhundert stammende Definition von Landschaft als ‚Aussicht oder Ansicht einer ländlichen Szenerie’ – Landschaft als Kunstwerk oder eine Art Supergarten. Im Gegensatz zu Landschaft Eins, die sich aus vielen verschiedenen, unterschiedlich genutzten Räumen zusammensetzt, besteht Landschaft Zwei aus homogenen, auf einen ausschließlichen Zweck gerichteten Räumen. Sie unterscheidet zwischen Stadt und Land, Feld und Wald, zwischen öffentlich und privat […] Was die Unterscheidung zwischen Mobilität und Seßhaftigkeit anbetrifft, so besteht Landschaft Zwei darauf, daß all das, was temporär, kurzlebig und beweglich ist, auf keinen Fall unterstützt werden sollte.“

Landschaft Drei, also die neue Landschaft, wie sie zuerst in den USA auftauchte, ist im wesentlichen die Wiederkehr der Landschaft Eins. Zumindest habe ich nichts gefunden, was darauf hindeutet, daß Jackson hier einen systematischen Unterschied sieht. Jackson zeichnet ein historisches Bild, in dem die Entwicklung der Landschaft Drei in Nordamerika weitgehend eine direkte Folge der Tatsache ist, daß die amerikanische Landschaft von den aus Europa vertriebenen Trägern der Landschaft Eins, der mobilen, besitzlosen ländlichen Unterschicht vor allem, gestaltet wurde. Einige Züge der amerikanischen Landschaft zählt er allerdings der Landschaft Zwei zu, etwa das Rastersystem.

Jackson holt aus diesem Schema faszinierende Perspektiven heraus: etwa die Möglichkeit der Wahrnehmung der Atmosphäre all der industriegesellschaftlichen Dinge, der Verkehrsinfrastruktur etwa, die eigentlich gerade keine Atmosphäre haben dürften, die vor allem nicht mit der Vorstellung eines Sinns des Lebens verbunden sind, die nicht eine gute Gesellschaftsordnung symbolisieren. Er aber kann das Hoffnungsvolle und Befreiende in der Mobilität sehen, in den temporären, wilden Siedlungen der Einwanderer etwa, und vor allem kann er das alles in einer bestimmten politischen Perspektive sehen: der Perspektive der Interessen derer, die die Träger von Landschaft Drei wie von Landschaft Eins sind. „Land in der Landschaft Eins bedeutete Zugehörigkeit zu einer arbeitenden Gemeinschaft, es war das temporäre Bild sozialer Beziehungen. In Landschaft Zwei bedeutet Land Besitz, Beständigkeit und Macht.“

Worin bestehen nun die Mängel des Ansatzes? Ich nenne skizzenhaft einige Punkte, deren Zusammenhang mir selbst noch nicht oder nur teilweise klar ist.

1. Wie steht es um die historische Richtigkeit seiner Beschreibung der Landschaft Eins? Nach meiner (ziemlich oberflächlichen) Kenntnis der einschlägigen Literatur nicht so gut. Jackson scheint mir weitgehend die Landschaft Drei (oder die Hoffnungen, die er in sie setzt) ins frühe Mittelalter zu projizieren. Ob landscipe tatsächlich je so gebraucht wurde, wie er es für das vornormannische England beschreibt: da habe ich eher den Eindruck, daß man das nicht weiß und wohl auch nie wissen wird.

Wo entsprechende Wörter sich erstmals nachweisen lassen, war Landschaft eine Bezeichnung für ganze Gegenden mit bestimmten sozialen und vor allem rechtlichen Verhältnissen: Gegenden mit vorfeudalen und vorrömischen Rechtsverhältnissen, Gegenden, wo sich die sozialen und rechtlichen Strukturen der germanischen (zum Teil  keltischen) Stammesgesellschaften einigermaßen erhalten hatten. Sie lagen in Skandinavien und an der Südküste der Nordsee, in Friesland vor allem, und auch auf den britischen Inseln.

Wofür ist das wichtig? Es zeigt (wenn es stimmt), daß Jackson seine mit einem sozialen Unten-Oben-Gegensatz verbundene Kontrastierung von Mobilität und Instabilität auf der einen Seite, Seßhaftigkeit und Stabilität auf der anderen mit einem Landschaftsbegriff koppelt, der das nicht zuläßt. Friesland war 1000, ja 2000 Jahre lang ein ganz ungewöhnlich stabiles Gebilde, verglichen mit der extremen Instabilität des großen Landbesitzes und dem uns kaum vorstellbaren schnellen Wandel der Gestalt der Staaten (Düsseldorf gehörte kurzzeitig zu Bayern, Belgien zu Österreich).

Sollte es stimmen, daß der Begriff Landschaft (Landschaft Eins) auch für die fortbestehende Schicht unterhalb der Welt der Herren mit ihrem feudalen und römischen Recht verwendet wurde, dann stimmt es gerade nicht, daß Landschaft das für Mobilität stehende „temporäre Bild sozialer Beziehungen“ war, und daß das, was später, nach dem Mittelalter, Landschaft genannt wurde (nämlich Jacksons Landschaft Zwei), „Beständigkeit“ bedeutete. Denn man mochte in seinem Leben mehrmals den Lehensherren und die Staatsangehörigkeit wechseln, aber in den gewohnheitsrechtlichen Verhältnissen, in dem, was Landschaft Eins ausmacht (sei sie nun ein bestimmtes Territorium mit bestimmter sozialer Verfaßtheit wie „Friesland“, sei es die überall zu findende Schicht mit dieser Verfaßtheit unterhalb der Welt der Herren), in den Sitten und Gebräuchen usw., änderte sich über Jahrhunderte, gar Jahrtausende kaum etwas.

Aber ist es überhaupt von irgendeiner Bedeutung, wie es damals wirklich gewesen ist?

Stutzig kann uns folgendes machen: Es ist ja die gleiche soziale Realität der germanischen Stämme, es sind in gewissem Sinn auch die gleichen Landschaften im heutigen Verständnis (wenn ein heutiger Landschaftsarchitekt oder Geograph sie beschreiben würde, wäre kein Unterschied zu bemerken), auf die sich Jackson beruft und auf die sich der Nationalsozialismus beruft. Die einen sahen in dieser Realität die Führergesellschaft und beschrieben ihr Funktionsgesetz in der Blut-und-Boden-Theorie, der andere sieht darin die sich selbst regulierende Welt der kleinen Leute.

Nun, das ist seit eh und je das Verhältnis der Politik zur Geschichte: Man erzeugt diese Geschichte durch den eigenen Interessen dienende Interpretation. Es ist sicher verdienstvoll, wenn Jackson dem Gegner auf diese Weise die historischen Tatsachen entwindet. Wie es wirklich war, darauf scheint es nicht anzukommen.

Das aber läßt den Verdacht aufkommen, daß Jackson das, was er mit der Landschaft Eins macht, mit seiner Landschaft Zwei auch hätte machen können; diese hätte für Unbeständigkeit, vielleicht auch für Freiheit – dazu unten – stehen können. Das tut er aber nicht. Warum? Für ihn ist es nicht eine Interpretationsweise, daß die Landschaft spätestes seit der Renaissance die Landschaft der Herren, der Landbesitzer war, die Landschaft der Beständigkeit und der Abgegrenztheit, sondern das ist eine Eigenschaft der Landschaft selbst. Das führt mich zu meinem zweiten Kritikpunkt.

 2. Jackson unterscheidet nicht zwischen der Realität der Landschaft und der Idee und der Botschaft der Landschaft. Auch andere Unterscheidungen, ohne die es einfach nicht geht, wenn man über Landschaft reden will, vernachlässigt er mit einer erstaunlichen begrifflichen Unbekümmertheit. Es ist ein kategorialer Unterschied, ob ich über Dinge, die ich mit den Mitteln der Naturwissenschaft oder der empirischen Sozialwissenschaft beschreiben kann, spreche oder über die ästhetische Lust, die ihr Anblick oder ihre Vorstellung in mir auslöst. Und es ist ebenso ein kategorialer Unterschied, ob ich diese ästhetischen Lust beurteile und etwa urteile, diese Landschaft sei schön, oder ob ich die ebenfalls von Lust begleitete Vorstellung beurteile, diese Landschaft sei zweckmäßig für irgendeinen Zweck oder sie sei gut im moralischen Sinne oder sie symbolisiere wenigstens einen gesellschaftlichen Zustand, den ich für gut halte. Ich rede über etwas vollkommen anderes, wenn ich über die Chemie der Farben auf der Leinwand oder über die darauf dargestellten sozialen Beziehungen zwischen Herren und Untertanen rede – oder aber über die Schönheit der Formen auf diesem Gemälde oder über die moralische oder religiöse Botschaft, der es dienen sollte. Diese Unterschiede nicht zu beachten führt notwendig zu dem Versuch, gemalte Äpfel zu essen.

Jackson beachtet sie nicht. Für ihn scheint Landschaft ein objektiv gegebener Gegenstand zu sein. Und er ist objektiv so, wie ein heutiger Amerikaner seiner sozialen Klasse ihn sieht. Er schreibt z. B.: „Aus ästhetischer Sicht ist sie [die Landschaft Zwei] bis heute die erfolgreichste Landschaft der westlichen Welt“ – der westlichen Welt, nicht für die westliche Welt oder für bestimmte soziale Klassen in dieser westlichen Welt. Als ob das, was er Landschaft Zwei nennt, für andere Kulturen auch „ästhetisch erfolgreich“ sein müßte. Er schreibt über die Landschaft der Pueblos im Südwesten der USA, als ob es klar wäre, daß das für die Pueblo-Kultur auch eine Landschaft, und zwar eben die Landschaft, die der Euro-US-Amerikaner Jackson sieht, gewesen ist, ja daß es für diese Kultur überhaupt so etwas wie Landschaft gegeben habe oder gibt. Er sagt, daß es heutzutage nur wenige Landschaften im Gleichgewicht gibt, als ob es sich um ein ökologisches Gleichgewicht handelte, dessen Vorhandensein objektiv, für alle Menschen gültig, festgestellt werden kann.

Weil es eben nicht so ist, ist es auch nicht möglich, Landschaft Eins mit Landschaft Zwei als Landschaft in der Art zu vergleichen, wie er es tut.

Denn nach allem, was man über die Entstehung des Begriffs Landschaft weiß, gab es zur Zeit von Landschaft Eins keine Landschaft – d. h. nicht das, was wir heute Landschaft nennen; man sollte vielleicht besser sagen: landscape oder paysage, denn beim deutschen Landschaft ist es erheblich komplizierter[6]. Es gab nichts, was kategorial der Ebene angehört, auf der wir heute landscape oder paysage verorten. Die Wörter landskab (dän.), landschap (flämisch), landscipe (angelsächsisch) bezeichneten Territorien, die durch bestimmte soziale Merkmale charakterisiert sind, also objektiv vorhandenen Gegenstände.[7] Das spätere Wort Landscape aber bezeichnet etwas Ästhetisches und ein Sinngebilde, das eben nicht objektiv, d. h. für alle Betrachter in gleicher Weise vorhanden ist oder überhaupt vorhanden ist. Sondern landscape kann bei gleicher „Gegend“ je nach Betrachter etwas anderes sein oder kann gar nicht sein. Jackson schreibt (ich zitierte das schon): „Landschaft Zwei legt großen Wert auf Sichtbarkeit, daher rührt auch die aus dem 17. Jahrhundert stammende Definition von Landschaft als ‚Aussicht oder Ansicht einer ländlichen Szenerie’ – Landschaft als Kunstwerk oder eine Art Supergarten.“ Damit verkennt er das Verhältnis von landscipe und landscape vollkommen. Beide sind für ihn objektiv vorhandene Dinge, beide sind sichtbar. Aber landscape legt, wie er meint, mehr „Wert auf Sichtbarkeit“ (den Erzeugern der landscipe war es eher egal, wie das aussieht, was durch ihre Tätigkeit zustande kommt). Darum komme das, wie er meint, Mißverständnis zustande, daß landscape nur eine „Ansicht“ sei. Eine „Ansicht“ – ein Gemälde oder das, was im Auge des Betrachters einer Gegend entsteht, wenn er sie als landscape und nicht z. B. als agrarische Nutzfläche sieht – ist aber etwas kategorial anderes als das, was man vorher mit landskab oder landscipe bezeichnete. Man kann gemalte Äpfel nicht essen. Landscipe kann man, sozusagen, essen, landscape nicht – nicht weil sie nicht schmeckt, sondern einfach, weil sie aus gemalten Äpfeln besteht.

Nun will ich das Gesagte relativieren. In der Tat wurden in der Geschichte landscipe (Landschaft Eins) und landscape (Landschaft Zwei) auf eine Ebene gebracht, so daß man sie vergleichen kann. (Das erklärt auch, daß man überhaupt zwei vollkommen verschiedene Sachverhalte – ein Territorium mit bestimmten sozialen Merkmalen und eine ästhetische Szenerie – mit einem Namen belegte, was sonst völlig unverständlich wäre): Beide wurden zu Bildern, beide zu realen Objekten. Das ist aber ein weit komplizierterer Vorgang gewesen, als Jackson ihn darstellt, und deshalb ist vor allem das Bild, das er von Landschaft Zwei zeichnet, ein Zerrbild. Das ist es vor allem im Hinblick auf die politischen Implikationen, die er der Landschaft Zwei zuschreibt. Damit komme ich zu meinem dritten Punkt.

 3. Meine These ist, wenn man Jacksons Begriffe benutzen will (womit sich der Prozeß aber nicht so richtig darstellen läßt): Landschaft Eins ist zu einer der möglichen Interpretationen von Landschaft Zwei geworden. Und zwar stammen gerade die Züge, derentwegen viele die Landschaft Zwei wegen ihrer konservativen Implikationen nicht mögen, vor allem aus der Landschaft Eins.

Das begann im England des 17. Jahrhunderts mit den Auseinandersetzungen zwischen der Partei des country und der Partei des court. Landschaft (landscape) war zu jener Zeit schon etwas Ästhetisches und ein Symbol idealer gesellschaftlicher Verhältnisse, dargestellt in Bühnenbildern und Gemälden.[8]

Die Landschaft des Hofes hatte ihr Vorbild in der Antike bzw. im zeitgenössischen Italien der Renaissance. Die Landschaft hatte ideale Formen, nichts Lokal- oder Regionalspezifisches, nichts Nationales. Sie symbolisierte die vom Subjekt, dem absoluten Herrscher, nach den allgemeinen Prinzipien der Vernunft zu gestaltende Gesellschaft. Die Landschaft der Country-Partei, der Partei des feudalen, darum anti-absolutistischen Landadels war dagegen die Landschaft der überkommenen sozialen Verhältnisse, des Gewohnheitsrechts usw. Als Bild fand man sie auf den holländischen Landschaftsgemälden. „Landschaft“ war dort das Bild jener Gegenden, die man landschap nannte. Das feudale-vorfeudale Landleben war darauf zu sehen. Sie war Landschaft Eins.[9]

In der Landschafts-Ideologie der Country-Partei mischte sich also die Vorstellung der vorfeudalen altgermanischen Rest-Gesellschaften – der „alten Freiheit“ im Gegensatz zur heraufziehenden neuen, der bürgerlichen Freiheit – mit der der feudalen Gesellschaft: der Gesellschaft, die dieser alten Freiheit den Garaus machte, der Gesellschaft der Grundherren. Diese waren auch für die alte Freiheit, aber für sie war die alte Freiheit die Freiheit des Adels, nicht die Freiheit von der Adelsherrschaft. Diese Mischung führte zu dem bekannten Ideal der Herren wie Knechte in harmonischer Einheit umfassenden organischen Gemeinschaft. Diese Einheit findet im gegenaufklärerischen, konservativen Denken ihren Ausdruck in einem Begriff von Landschaft, die nicht nur, aber auch ein ästhetischer Gegenstand ist.

Das hat wenig zu tun mit Jacksons Vorstellung des Mobilen, Temporären, des „Vernakulären“, das für ihn Landschaft Eins ausmachte. Aber diese neuzeitlich-moderne konservative Landschaftsvorstellung hat doch die wesentlichen Züge der Idee von Landschaft Eins: die lokale oder regionale Selbstbestimmung unter einer transzendenten Gesetzgebung, die zusammenfällt mit dem Gesetz der Tradition, des vom Ursprung an Geltenden, und die (gedachte) Volkseinheit gegen die von außen kommende, rationale, „römische“ Einheit.

Theoretisch auf den Punkt gebracht wurde die Idee der Landschaft in diesem Sinne schon in England, insbesondere von Shaftesbury (um 1700), überhaupt von einer wichtigen Fraktion derer, die die Idee des Landschaftsgartens entwickelten, vor allem aber später im Rahmen der deutschen Aufklärungskritik (insbesondere Herder).[10] Daraus wurde dann noch einmal 100 Jahre später die Vorstellung von der Landschaft als organischer Einheit von „Land-und-Leuten“, also die Landschaftsvorstellung der konservativen Kulturkritik des späteren 19. Jahrhunderts.[11]

Diese ist meist gemeint, wenn heute irrtümlich von „romantischen Landschaftsvorstellungen“ die Rede ist. Diese Landschaft ist auch in aller Regel gemeint, wenn die „hergebrachte“ Landschaftsauffassung kritisiert wird, und sie ist das, was Jackson vor allem meint, wenn er von Landschaft Zwei spricht. Aber die als konservativ kritisierte Idee von Landschaft ist gerade nicht nur „‚Aussicht oder Ansicht einer ländlichen Szenerie’“, gerade nicht etwas rein Ästhetisches, was ja wesentlich für Landschaft Zwei sein soll. Sondern sie ist erneut, wie vor der Neuzeit, die Bezeichnung von etwas Objektivem, nämlich eines bestimmten Territoriums mit bestimmten sozialen Verhältnissen, und das Ästhetische ist nur der Ausdruck der gelungenen Entwicklung des Verhältnisses von organischer menschlicher Gemeinschaft und konkreter Natur.

Die konträre Linie, die Landschaftsidee des absolutistischen Hofes, entwickelte sich weiter zur in der Tat rein ästhetischen Landschaftsidee der Aufklärung. Der Landschaftsgarten wurde, ohne daß sich an seinem Aussehen etwas (nennenswert) änderte, vom Garten des konservativen Landadels zum Garten des liberalen Bürgertums.[12] Er war also zunächst, bei seinen konservativen Erfindern, Landschaft der „alten Freiheit“ – einer Freiheit, die in den Augen der neuen sozialen Kräfte das Gegenteil von Freiheit ist, nämlich Eingebundenheit in vorgegebene Ordnungen. Er war das Symbol von Landschaft Eins (d. h. einer Gesellschaftsform, nicht einer Szenerie, denn Landschaft Eins ist eine Gesellschaftsform: Form der Gesellschaft des Gewohnheitsrechts, der tradierten Ordnung). Und nun wurde der Landschaftsgarten zum Symbol der „neuen Freiheit“, der des aufgeklärten Bürgertums, die ihr Wesen in der Emanzipation von dieser Eingebundenheit hat, die die vernünftige Ordnung an die Stelle der tradierten Ordnung setzt. In Jacksons Begriffen war er nun zu Landschaft Zwei geworden – etwas rein Ästhetisches und etwas, was nichts mehr mit dem gewohnheitsrechtlichen sozialen Ordnungen, die Landschaft Eins ausmachten, zu tun hat, weder ihr unmittelbarer Ausdruck ist noch sie symbolisieren soll. Aber der Landschaftsgarten der Aufklärung hatte gerade damit – gerade damit, daß er nicht Landschaft Eins sein sollte bzw. die sozialen Verhältnisse, in denen diese bestand, symbolisieren sollte – nicht die konservativen Züge, die Jackson der Landschaft Zwei zuschreibt. Diese hatte vielmehr die in den Augen der Gegenaufklärer zur Einheit von organischer Gemeinschaft und konkreter vorgegebener Natur gewordene Landschaft Eins. Sie, die zur Land-und-Leute-Einheit mutierte Landschaft Eins, war es, auf die Jacksons Charakterisierung der Landschaft Zwei zutrifft: daß all das, was temporär, kurzlebig und beweglich ist, auf keinen Fall unterstützt werden sollte.

Die simple Dichotomie, mit der Jackson arbeitet und die Kurzschlüsse, auf denen sie beruht (die Einheit von Oben, Besitz, Unfreiheit für die, die keinen Besitz haben, Herrschaft der abstrakten Vernunft über das Hergebrachte, Konservierung, Statik usw. auf der einen Seite; auf der anderen Seite Unten, Besitzlosigkeit, Kampf für Freiheit, Gewohnheitsrecht, Mobilität, Veränderung usw.) – diese simple Dichtomie also ist viel zu unterkomplex, um ein halbwegs brauchbares Bild von dem zu zeichnen, was Landschaft war und bedeutete und heute ist und bedeutet. Das Einebnen des fundamentalen Unterschieds zwischen alter und neuer Freiheit ist nur ein Beispiel unter vielen dafür, was einem da alles entgeht.

Auch andere schwerwiegende Mängel scheinen mir noch in dieser Theorie zu stecken, über die ich noch nicht nachgedacht habe. Einen will ich wenigstens andeuten. Jackson schreibt: „Unsere vernakuläre Landschaft (also die US-amerikanische Landschaft Drei) zeichnet sich durch eine beispiellose Vitalität und Diversität aus, aber sie ähnelt der Landschaft Eins in ihrem distanzierten Verhalten zum formalen Raum, ihrer Gleichgültigkeit gegenüber der Geschichte und in ihrem hochgradig utilitaristischen, gewissenlosen Umgang mit der Umwelt“. Was ist daran vernakulär, also „eine durch Traditionen und Gebräuche geprägte Lebensweise, abseits von der großen Welt der Politik und der Gesetze“? Ich habe den Eindruck, daß für Jackson all das sich der lebensweltlichen Dynamik und dem genuinen, von der Moderne unverdorbenen Charakter der Unterschichten, den sie schon vor 1000 Jahren hatten, verdankt, was in Wirklichkeit sich den Bewegungsgesetzen des Kapitalismus verdankt.

Aus diesem Unterschicht-Charakter soll die unter „utilitaristischer, gewissenloser Umgang mit der Umwelt“ subsumierte Unbekümmertheit um die herrschaftlichen Gesetze folgen, mit der ein mittelalterlicher Bauer das Wild auszurotten versucht, das sein Feld verwüstet. Und ebenso soll daraus die gleichermaßen unter „utilitaristischer, gewissenloser Umgang mit der Umwelt“ subsumierte Tatsache folgen, daß eine typische amerikanische vierköpfige Unterschichtfamilie vier dicke Autos fährt und daß das Land vollgestellt ist mit drive-in-Märkten und dgl.

Da wäre also noch etliches zu sortieren, wobei sicher die bekannte Unterscheidung in System und Lebenswelt hilfreich wäre, man aber auch überlegen müßte, ob unter den Bedingungen des industriellen Kapitalismus es so eine „vernakuläre“ Lebenswelt überhaupt noch gibt.

Was macht trotz allem den Ansatz interessant? Nun, man kann all das, was ich eben gesagt habe, auch von der anderen Seite aus ansehen. Dann sieht man nicht, daß vieles vermischt wird, was sauber getrennt werden müßte, sondern daß Verbindungen hergestellt werde, die man bisher nicht kannte und vielleicht nicht einmal für möglich hielt.

Landschaft Drei hält von der konservativen Landschaftsidee Wesentliches fest; das ist ja auch nicht verwunderlich, denn diese leitet sich in wesentlichen Hinsichten von Landschaft Eins ab, als deren Wiedergeburt die Landschaft Drei gedacht wird. Aber die Landschaft Drei ist keine organische Einheit von ihrerseits organischer Gesellschaft mit der konkreten regionalen (und ebenfalls organischen) Natur. Die Gesellschaft ist für Jackson nicht organisch, sondern radikal individualistisch, oder vielleicht sollte man eher sagen: sie ist organisch, soll das zumindest temporär immer wieder werden, aber sie ist nicht hierarchisch, sondern egalitär. Sie ist keine Land-und-Leute-Einheit, sondern das Land ist offen für verschiedenste Leute, aber die Leute leben (temporär) in dem Land und auch wenn sie es nicht intentional gestalten, so gestaltet sich doch etwas, und es entsteht eine Landschaft, also ein ästhetischer Gegenstand und ein Sinngebilde. Es gibt keinen vorgegebenen Sinn, den ein Volk auf Basis seines Volkscharakters im Angesicht der Vorgaben der konkreten Natur des Ortes zu verwirklichen hat. Aber: die Landschaft ist nicht ohne Sinn (und etwa nur nützlich oder nur schön). Sondern Sinn entsteht in den Prozessen des Lebens in der Landschaft und ändert sich mit diesen Prozessen.

So etwa könnte man beschreiben, was Jackson in der Landschaft Drei sehen möchte und was sich immer aus Elementen zusammensetzt, die vorher ganz entgegengesetzten politisch-weltanschaulichen Polen zugehörten. Ob das alles funktionieren kann, weiß ich nicht, aber es ist sicher lohnend, es sich genauer anzusehen.

 

Links zu Seiten mit Bezug zum Thema: Körner, Krebs 1, 2, 3, 4, 5, 6

 

 

 


 

[1] Referat beim Graduiertenkolloquium „urban land scape“ im Sommer 2008 an der Architekturfakultät der TU München

[2] http://en.wikipedia.org/wiki/J._B._Jackson

[3] Es gibt seit einiger Zeit eine umfangreiche Kontroverse in der deutschsprachigen Landschaftsarchitektur- und Landschaftsplanungs-Literatur vor allem zwischen Martin Prominski und Stefan Körner, und man wollte einen Sammelband herausbringen, in dem einige Autoren zu dem Streit Stellung nehmen sollten – auch ich. Nun hat man mir gesagt, man könne Prominski gar nicht verstehen, wenn man Jackson nicht kennt, und das war der Anlaß für das Thema meines Vortrags. Der Sammelband ist inzwischen erschienen: Eisel, Ulrich und Stefan Körner (Hrsg.) 2009: Befreite Landschaft. Moderne Landschaft ohne arkadischen Ballast? Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur, Bd. 18.

[4] Jackson, John Brinckerhoff 1990/2005: Die Zukunft des Vernakulären. In: Franzen, Brigitte & Stefanie Krebs (Hrsg.): Landschaftstheorie. Texte der Cultural Landscape Studies. Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln: 45-56.

Jackson, John Brinckerhoff 1984/2005: Landschaften. Ein Resümee. In: Franzen, Brigitte & Stefanie Krebs (Hrsg.): Landschaftstheorie. Texte der Cultural Landscape Studies. Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln: 29-44.

[5] Teile dieses Vortrags wurden eingearbeitet in: Höfer, Wolfram, und Trepl, Ludwig 2010: Jackson’s Concluding With Landscapes – Full Circle. In: Journal of European Landscape Architecture (JoLa). 10 (2): 40-51.

[6] Ausführlich dazu siehe Drexler, Dóra (2010): Landschaft und Landschaftswahrnehmung. Untersuchung des kulturhistorischen Bedeutungswandels von Landschaft anhand eines Vergleichs von England, Frankreich, Deutschland und Ungarn. Dissertation Technische Universität München (http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn:nbn:de:bvb:91-diss-20100201-738822-1-8).

[7] Hier und im folgenden orientiere ich mich vor allem an Olwig, Kenneth R. (1996): Recovering the Substantive Nature of Landscape, in: Annals of the Association of American Geographers, 86 (4), S. 630-653.

[8] Olwig 1996

[9] Vgl. ebd.

[10] Siehe insbesondere Eisel, Ulrich 1980: Die Entwicklung der Anthropogeographie von einer „Raumwissenschaft“ zur Gesellschaftswissenschaft. Urbs et Regio, Kasseler Schriften zur Geographie und Planung, Bd. 17, Univ. Kassel, S. 282 ff. und Kirchhoff, Thomas 2005: Kultur als individuelles Mensch-Natur-Verhältnis. Herders Theorie kultureller Eigenart und Vielfalt, in: Michael Weingarten (Hg.), Strukturierung von Raum und Landschaft. Konzepte in Ökologie und der Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse, Münster, S. 63-106.

[11] Ausführlich siehe Trepl, Ludwig 2012: Die Idee der Landschaft. Bielfeld: transcript, Kapitel 6.

[12] Siegmund, Andrea 2002: Die romantische Ruine im Landschaftsgarten. Ein Beitrag zum Verhältnis der Romantik zu Barock und Klassik, Würzburg: Königshausen und Neumann, und Siegmund, Andrea 2011: Der Landschaftsgarten als Gegenwelt. Ein Beitrag zur Theorie der Landschaft im Spannungsfeld von Aufklärung, Empfindsamkeit, Romantik und Gegenaufklärung. Würzburg:  Königshausen und Neumann.

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl