Wirtschaftsextremismus

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Unsere Umwelt zwischen Kultur und Natur
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Im Naturschutz und in der „ökologischen Bewegung“ sieht man Rechtsextreme am Werk, wenn auch bisher nur an den Rändern. Man müsse nun besonders aufpassen. – Wer nicht mehr ganz so jung ist, kennt das seit Jahrzehnten; seit es diese Bewegungen in ihrer modernen Form gibt, also etwa seit Anfang der 70er Jahre, werden sie von solchen Warnungen begleitet. Das „nun besonders aufpassen“ scheint also nicht angebracht. Manche mahnen anders: Nicht „nun“ müsse man besonders aufpassen, sondern dort, in diesen Bewegungen, oder auch in der grünen Partei, habe man besonderen Grund dazu, mehr als in anderen Bewegungen und Parteien. Das werde deutlich, wenn man nicht nur die moderne Ökologiebewegung und die unter deren Einfluß veränderte alte Naturschutzbewegung betrachtet, sondern die letztere über die ganze Zeit ihres Bestehens; so sehr unterscheide sich die moderne Ökologiebewegung von ihren Vorläufern – die es seit dem späten 19. Jahrhundert gibt – nicht, daß man da Bedenken haben müßte, Vergleiche ziehen zu dürfen. Daß sie in der Öffentlichkeit als politisch links- und nicht rechtsstehend angesehen wird, verdanke sich einem allzu oberflächlichen Blick. Und in der alten Naturschutzbewegung – nicht nur dort, aber dort auch und zwar ganz besonders – habe sich das Gedankengut entwickelt und gesellschaftlichen Einfluß gewonnen, aus dem einige Jahrzehnte später der Nationalsozialismus hervorgegangen ist.

Wenn das richtig ist – und zum Teil ist es sicher richtig –, dann ist auch die Hautstoßrichtung derer richtig, die den Rechtsextremismus sei es speziell in oder um jene Bewegungen, sei es überhaupt bekämpfen wollen: Man sucht nach nationalsozialistischen Ideologemen oder doch nach solchen, die es zwar vor dem Nationalsozialismus schon gab und die an sich nicht nationalsozialistisch sind, die aber in die nationalsozialsozialistische Ideologie geführt haben. Hellhörig wird man z. B., wenn von Heimat und Volk die Rede ist oder wenn man beobachtet, daß der Germanenkult wiederbelebt wird. Man liegt da oft sehr daneben, weil etwas für nationalsozialistisch ausgegeben wird, was in Wirklichkeit nur eine (extreme) Variante des Konservativismus ist (siehe z. B. hier und hier). Doch es kommt doch auch einiges darüber an eine größere Öffentlichkeit, was man über den völkischen Rassismus wissen muß, damit man nicht auf die platten Erklärungen des Nationalsozialismus angewiesen ist, die die dominierenden politischen Lager heutzutage so anbieten, wo das Interesse im allgemeinen nur darin besteht, ihn als möglichst weit von der eigenen und einer der gegnerischen Positionen nahestehend erscheinen zu lassen.

Aber das Hauptinteresse sollte doch darin bestehen, heute relevante politische Gefahren zu identifizieren unter den Gefahren, die von Ideologien ausgehen, in denen Menschen verschiedener Gruppen herabgesetzt werden, und zwar von Gruppen, die sich in irgendeiner Weise als Einheiten verstehen oder von anderen so verstanden werden, sofern diese Einheiten definiert sind durch gemeinsame Sprache oder Kultur oder Religion oder Geschichte oder Abstammung – durch all das Heterogene also, was man heute gern unter „ethnisch“ faßt[1]. Wenn es darum geht, ist es vielleicht gar nicht so gut, derart auf rassistische und völkische Ideologien zu fokussieren. Zugespitzt formuliert: Ist es nicht Zeitverschwendung, sei es nach Strukturentsprechungen heutigen fremdenfeindlichen Denkens mit einem wilhelminischen völkischen Nationalismus, sei es mit germanisierenden, neuheidnischen Mythologien zu suchen, was (oder weil) beides im Vorfeld des Nationalsozialismus eine große Rolle spielte? Vielleicht ist dergleichen alles Vergangenheit und allenfalls noch zu einer sektenartigen Randexistenz in der Lage. Ist es nicht so, daß bezogen auf das „Wir und die anderen“ heute ganz andere relevante Grenzen gezogen werden?

 

Denn vom Rassismus ist, verglichen mit einer Zeit, die erst wenige Jahrzehnte hinter uns liegt – die 50er und frühen 60er Jahre –, heute kaum noch etwas zu bemerken. Und kulturalistische völkische Ideologien (also zwar ein Rechtsextremismus, aber kein nationalsozialistischer, denn dieser ist rassistisch, siehe hier) sind zwar weit verbreitet und oft einflußreich, und man kann in manchen von schweren Krisen heimgesuchten Gesellschaften – etwa ehemals sozialistischen – beobachten, daß sie zu stärksten politischen Kräften werden. Betrachtet man aber die nach üblichem Verständnis fortgeschrittensten Länder, so scheint mir, daß seit einiger Zeit eine ganz andere Form der Aus- und Abgrenzung vorherrschend geworden ist. Mit Rassismus hat sie nichts zu tun, und auch nicht-rassistische, sondern kulturalistische Denkfiguren spielen kaum eine Rolle. Allerdings ist diese Form ihnen gegenüber mehr oder weniger offen (den rassistischen gegenüber weniger, siehe unten).

Ist es denn nicht so, daß das kulturalistisch-völkische Denken nur noch am rechten Rand von Bedeutung ist, das rassistische ebenfalls, wenn auch selbst dort viel weniger als früher? Doch ist dasjenige Denken, das die aufklärerische Idee der einen Menschheit verwirft (ob man das insgesamt rechts nennen kann, ist sehr die Frage) in der Mitte der Gesellschaft überaus verbreitet, gewinnt vielleicht sogar an Einfluß. Wenn man dort aber „uns“ von den „anderen“ abgrenzt, werden heute ganz andere Grenzen gezogen als vor 100 Jahren, wo das Wesentliche das „Volk“ (und mehr und mehr die „Rasse“) war. Dieses neue ausgrenzende Denken paßt zum nun schon jahrzehntelang herrschenden Neoliberalismus. Das aber ist eine Ideologie, die ihrem Wesen nach keinen Unterschied zwischen den Menschen macht, der in der Herkunft liegt. Dennoch ist ihr die aufklärerische Idee der einen Menschheit fremd („ich kenne keine Menschen mehr, ich kenne nur noch Kunden“).

Denn wer sind heute „wir“? Wir, das sind die Wohlhabenden. Nicht alle, denn man muß seinen Wohlstand auf eine im kapitalistischen System normale Weise verdient oder „verdient“ haben. Ein „Ölscheich“ gehört zu den anderen, ebenso ein russischer „Oligarch“, der sein Geld, da ist man sich sicher, irgendwie aus dem ehemaligen sowjetischen Staatsvermögen abgezweigt hat. Die Rasse ist ohne Bedeutung. Ein doch biologisch bedingt sehr anders aussehender Japaner ist einer von uns, ein „nordisch“ aussehender Albaner nicht. Ein Ostdeutscher war für den typischen Westdeutschen vor 25 Jahren keiner von uns, Kalifornier standen letzterem viel näher. Das lag nicht daran, daß jener einem gegnerischen politischen Lager angehörte; die Türkei war in der Nato, und doch gehörte ein Türke zu den anderen. Es lag daran, daß er – in der Ideologie, um die es hier geht – nicht zu den Reichen gehörte, und zwar weil er nicht so zu wirtschaften wußte, wie man es machen muß, damit man zu etwas kommt. Die altbekannte Verachtung, die diejenigen, die es zu etwas gebracht haben oder immer schon etwas waren, gegen die Erfolglosen haben – deren Scheitern man als individuelles Versagen ansehen muß, damit der eigene Erfolg als Verdienst erscheint – wurde nun zum Distanzierungsmechanismus, der die Bevölkerungen von Staaten traf.

Die Bevölkerungen können im wesentlichen nur geschlossen diese Zuschreibung loswerden. Die Sachsen gehören für die Westdeutschen jetzt zu „uns“, sie gehören nicht mehr mit den Kirgisen und Kasachen und den anderen Sowjetrussen zusammen, die Südkoreaner gehören zu uns, die Chinesen sind auf dem Weg dazu. Das ist das Eigenartige, das zu dem im übrigen neoliberalen Denken nicht so recht passen will: Individuell kann man diesen Zuschreibungen kaum entkommen. Auf akzeptable Weise zu Wohlstand gekommene Russen, Türken oder Araber kommen im deutschen Gemeinbewußtsein (das natürlich nicht das Denken aller Deutschen ist und auch nicht das der meisten sein muß) nicht vor. Nicht der Einzelne ist Versager, sondern ein irgendwie beschaffenes Kollektiv; da wird konkretisiert wie beim Antisemitismus, der Einzelne ist der Zuschreibung ausgeliefert.

 

Hier hört mein halbwegs systematischer Gedankengang auf. Mir fallen nur noch einige Fragen ein, auf die ich keine oder keine so recht befriedigende Antwort habe; auch das, was im Folgenden als Behauptung formuliert ist, sollte man besser als Frage lesen:

Wirkt beim im vorletzten Absatz Beschriebenen die alte Art des ausgrenzenden Denkens – nennen wir sie „ethnisch“ – nach oder handelt es sich um einen essentiellen Bestandteil der neuen Art? Das scheint mir schwer zu klären, und es scheint von Fall zu Fall anders. Gewiß ist die alte Art noch vorhanden und gewiß kombinieren sich ihre Elemente mit den typisch neuen (siehe unten). Aber die Einheiten, die da als „wir“ und „die anderen“ gelten, scheinen mit Völkern (oder Rassen) nur mehr weinig zu tun zu haben. Wenn der typische Westdeutsche von „Deutschen“ sprach und ganz selbstverständlich die Ostdeutschen nicht mitmeinte, dann ist darin von der Vorstellung eines Volkes der Deutschen, wie sie einige Jahrhunderte lang das Bewußtsein prägte, nichts mehr vorhanden. Daß die Ostdeutschen für die Westdeutschen nun Deutsche sind, verdankt sich einem Akt ähnlich dem des Vereins-, d. h. Firmenwechsels eines Fußballprofis: Er hat unterschrieben, und solange der Vertrag läuft, gehört er nun, und zwar mit Leib und Seele, zur neuen Firma. Das ist das Paradigma liberaler Identitäts- und Zugehörigkeitsvorstellungen: Vertragsverhältnisse auf Zeit. Doch die Zuschreibungen treffen Kollektive, nicht Einzelne. Zwar hängt dem Einzelnen die Herkunft nicht unaufhebbar als Natureigenschaft an wie im Rasse-Antisemitismus, aber sie hängt ihm eben doch an. Es ist sehr schwer, als Mensch, das einem als faul geltenden Volk angehört, durch individuellen Fleiß von sich selbst ein anderes Bild zu erzeugen. Wenn es ein Türke in Deutschland durch Gemüsehandel zu Wohlstand bringt, dann ist das doch, wie uns Sarrazin nahegebracht hat, etwas ganz anderes als wenn dies ein Herkunftsdeutscher tut. Der Deutsche ist Unternehmer, also das, was man in unserer neoliberalen Gesellschaft idealerweise zu sein hat, der Türke aber ist immer noch von der Art der Händler auf einem mittelalterlichen Basar. Hier scheint die andere Kultur noch zu wirken; sie bestimmt, was der Mensch ist. Anders als der Rasse kann man ihr zwar prinzipiell entkommen, aber es ist praktisch kaum möglich.

Doch auch das scheint zu vereinfacht: In anderen Fällen ist die Kultur irrelevant. Der Grad der Fremdheit einer Kultur ist jedenfalls kein Grund, jemanden zu den anderen zu zählen. Welche Kultur wäre uns fremder als die japanische oder die koreanische? Und doch ist sie kein Hindernis für die Zugehörigkeit zu „uns“. Diese Ostasiaten müssen ihre Kultur nicht verstecken, wie ein Hesse oder Bayer seinen Dialekt hinter Hochdeutsch und ein Deutscher seine Sprache hinter Englisch oder Anglizismen versteckt, damit er dazugehört. Selbst wenn Japaner ganz traditionell leben: Sie gehören in der wesentlichen Hinsicht zu „uns“. Erklärungsmuster der Art, daß die Türken in Deutschland Integrationsschwierigkeiten haben, weil sie allzu auffällig an ihrer Kultur hängen, sind offenbar allzu simpel.

Recht plausibel scheint zunächst die Erklärung, daß die Art der Verbindung zur eigenen traditionellen Kultur so beschaffen sein muß, daß sie die Entwicklung von „Zivilisation“ nicht behindert. Zivilisation ist nach (deutscher) klassisch-konservativer Auffassung das Gegenteil von Kultur. Zivilisation lösche die Kulturen aus zugunsten eben der Zivilisation. Diese ist weltweit einheitlich, und wahre Kultur widersetze sich der Ausbreitung von Zivilisation (siehe z. B. hier). Eben das aber darf eine Kultur nicht, die unter den Bedingungen der Zivilisation Bestand haben will und deren Angehörige zu „uns“ gezählt werden wollen von der zivilisationistischen Ideologie, die die Ausgrenzungs-Ideologie nach dem Wohlstandsprinzip immer auch ist. Wohlstand allein genügt, wie gesehen, nicht, und die Art seines Erwerbs muß nicht nur ins kapitalistische Wirtschaftssystem passen, sondern auch mit gewissen Weisen der Lebensführung verbunden sein, die man im allgemeinen „modern“ nennt und zu denen auch all das oder zumindest wesentliches von dem gehört, was man immer den politischen und auch sittlichen – im Gegensatz zum technischen und ökonomischen – Fortschritt genannt hat.

Das erscheint paradox, wenn man diese Art der Fremdenfeindlichkeit wie üblich, aber falsch, dem konservativen Lager zuzählt. Denn daß man selber auf der Seite des Fortschritts, und nicht nur des technischen und ökonomischen, sondern auch des politischen, steht, glauben diese Zivilisationisten durchaus. Die Verwirrung kommt vielleicht daher, daß es Menschen sind, die mit einem Großteil ihres Denkens tatsächlich Konservative sind, die dieser neuen Ideologie anhängen: Typische Konservative haben, etwa in den Unionsparteien, noch vor 40 Jahren vehement gegen die Frauen-Gleichberechtigung gekämpft. Heute jedoch bekämpfen sie die Zuwanderung aus islamischen Ländern mit dem Argument, daß der Islam gegen die Gleichberechtigung der Frauen sei[2] – und doch sehen sie keinen Grund, die Kontinuität ihres eigenen Lebenswegs zu bezweifeln.

Ich komme zurück zur zivilisationistischen Ideologie. Eine immer größere Anzahl von Menschen lebt ganz in der kulturfreien – von aller besonderen Kultur freien – Welt der Zivilisation. Vor allem junge Menschen, etwa Studenten, sind auch im Habitus kaum mehr voneinander zu unterscheiden, egal aus welchem Land sie kommen. Sie wirken alle „wie Amerikaner“, also wie die Angehörigen des Volkes, dessen besondere Kultur zugleich die von allen Besonderheiten freie Zivilisation ist oder doch so vorgestellt wird.[3] Und auch die biologisch bedingten Unterschiede bemerkt man an ihnen immer weniger. (Man kann das leicht nachprüfen, indem man ältere Filme oder Fotos ansieht.)

Aber Japaner müssen sich nicht so verhalten, um zu „uns“ zu gehören, auch wenn es immer mehr von ihnen tun. Kann man sagen, daß die eigene Kultur dann beibehalten werden kann, wenn sie zur vom eigentlichen Leben abgespaltenen Folklore geworden ist, ein Prozeß, für den Gegenden wie Schottland und Bayern vielleicht am bekanntesten sind? Ich glaube nicht, daß man das für Japaner bzw. tendenziell alle Ostasiaten sagen kann; es geht natürlich hier nicht um die Ostasiaten, wie sie wirklich sind, sondern wie sie in unserm Bewußtsein, für das ich hier jenen Zivilisationismus als typisch ansehe, erscheinen. Als abgespaltene Folklore kann man die ostasiatische Kultur kaum bezeichnen. Man glaubt doch typischerweise, daß es den Ostasiaten sehr ernst damit ist – daß sie in ihrem Wesen anders sind. Aber es scheint ein zweites Wesen zu geben, das wichtiger ist. Es ist ihr Geld. Doch, wie gesagt, es muß auf die der Zivilisation wesensgemäße Art erworben sein.

 

Zivilisationistisch also, nicht kulturalistisch und schon gar nicht rassistisch grenzt man also aus und ab. Doch scheint dieses im Kern liberalistische Denken – man könnte von einem liberalen Extremismus sprechen: diejenigen, die im Konkurrenzkampf Erfolg hatten, grenzen sich ab von den Erfolglosen, die nur neidisch sind – durchaus offen für Kombinationen mit rassistischen und kulturalistischen Denkmustern. Aber unter welchen Bedingungen? Was die letzteren Denkmuster angeht: „Der Westen“[4] – die Gesellschaften der Zivilisierten – wird rasch zur „abendländischen Kultur“. Diese war im klassisch-konservativen Denken eher die von der Aufklärung von innen bedrohte westlich-christliche Kultur, in letzter Zeit ist sie, wie angedeutet, zu einem Begriff geworden, in dem die Aufklärung (angeblich) verteidigt wird, der Universalismus der Aufklärung aber zu einer besonderen geschichtlichen und geographisch lokalisierbaren Tradition neben vielen anderen umgedeutet wird.

Was Biologismus und Rassismus angeht: Der liberalistische Individual-Biologismus, d. h. das, was man meist Sozialdarwinismus nennt (siehe z. B. hier[5]), eignet sich hervorragend zur Rechtfertigung dafür, daß es einem besser geht als anderen. Zur kollektiven Rechtfertigung sind aber auch manche Elemente des Rassismus geeignet (die allerdings nicht in der typischen Weise des Rassismus als Theorie der von Natur aus abgegrenzten Rassen – Essentialismus –, sondern in der typischen Weise der modernen Populationsgenetik als Theorie selektierter statistischer Häufungen von Genen formuliert werden). „Wir“, d. h. der „Westen“ oder „Norden“, verdanken unseren Wohlstand nicht der Ausbeutung der außereuropäischen Welt, sondern unserer intellektuellen Überlegenheit, die wir als Kollektiv haben, wie immer deren/dessen Entstehung gedacht werden mag, sozialdarwinistisch oder kulturalistisch; aber wenn wir unsere Überlegenheit von Natur aus und nicht wegen zufälliger historischer Entwicklungen haben – um so besser. Das ist ein Grundton, der sich durch alle einschlägigen Debatten zieht. So, scheint mir, erklärt sich auch der Erfolg Sarrazins.

Es scheint mir in der Tat möglich, daß dieser Zivilisationismus oder (was nur in Teilen identisch ist), „Wohlstandsextremismus“ die Zukunft des ausgrenzenden Denkens ist und daß all das, zu dessen Verständnis man Begriffe wie Heimat, Landschaft, organische Gemeinschaft, völkische Ursprungsmythen usw. braucht, demgegenüber stark zurücktritt. Verschwinden wird es allerdings vermutlich nicht, denn die Moderne ist wohl nicht möglich ohne die Antimoderne; Ideen wie Heimat, Landschaft und organische Gemeinschaft, Ursprungsmythen usw. werden ihre Faszination behalten, sie werden nicht vom unaufhaltsamen Vormarsch des (Neo-)Liberalismus weggefegt, sondern eben dieser erzeugt sie ständig.

 

Zitierte Literatur:

Bensch, Margrit (2008): Rassismus als kulturelle Entwicklungstheorie. Formen biologischen Denkens im Sozialdarwinismus. Dissertation Technische Universität Berlin (http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=999605224&dok_ var=d1&dok_ext=pdf&filename=999605224.pdf).

 

[1] In manchen Teilen der Wissenschaft ist neuerdings der Begriff „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ üblich geworden. Das ist, abgesehen von der seltsamen Verwendung des Begriffs „menschenfeindlich“, vor allem deshalb Unfug, weil es nicht um Gruppen irgendwelcher Art geht. Die Verachtung, die der Adel und die Bürger für die Bauern hatten, der „Klassenhaß“ der Proletarier, überhaupt die Verachtung, Unterdrückung oder Verfolgung bestimmter sozialer Klassen oder gar von Berufen, oder von Menschen mit irgendwelchen individuellen Eigenschaften (dick, laut, lebenslustig, …) ist ein Phänomen ganz anderer Art. Darüber können auch psychologische Erklärungen, die sich auf den NS-Rassismus ebenso anwenden lassen wie z. B. auf die Ausgrenzung der Angehörigen „unreiner“ Berufe im Mittelalter, nicht hinwegtäuschen: Sie erklären eben kaum etwas.

[2] Das stimmt zwar; nach allen sinnvoll erscheinenden Möglichkeiten der Quantifizierung ist der größte Teil der muslimischen Glaubensgemeinschaft gegen die Gleichberechtigung. Aber das ist der bei weitem größte Teil der Christenheit auch. Der besteht ja nicht aus protestantischen Kirchentagschristen, sondern aus Evangelikalen, traditionellen Katholiken und Orthodoxen.

[3] Amerika, so das gängige Ideologem, ist zivilisiert, aber Kultur hat es nicht. Kultur ist tief, Zivilisation oberflächlich; Kultur ist geprägt von Geist, Zivilisation von Verstand; die Beziehungen der Menschen zueinander und zur Gemeinschaft sind in der Kultur innerlicher Art, in der Zivilisation äußerlicher usw.

[4] Da scheint es eine liberale und eine demokratische Variante zu geben. In beiden identifiziert man sich mit „dem Westen“. In der liberalen Variante besteht der aus den „wohlhabenden Industrieländern“, in der demokratischen ist es die „westliche Wertegemeinschaft“, und das ist meist einigermaßen gleichbedeutend mit „wir Aufgeklärten“. „Westlich“ signalisiert aber bereits die Offenheit für eine konservative Deutung: Diese Werte sind die einer besonderen Kultur unter anderen, sind nicht universell.

[5] Vgl. aber Bensch 2008.

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Ich habe von 1969-1973 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der FU Berlin Biologie studiert. Von 1994 bis zu meiner Emeritierung im Jahre 2011 war ich Inhaber des Lehrstuhls für Landschaftsökologie der Technischen Universität München. Nach meinem Studium war ich zehn Jahre lang ausschließlich in der empirischen Forschung (Geobotanik, Vegetationsökologie) tätig, dann habe ich mich vor allem mit Theorie und Geschichte der Ökologie befaßt, aber auch – besonders im Zusammenhang mit der Ausbildung von Landschaftsplanern und Landschaftsarchitekten – mit der Idee der Landschaft. Ludwig Trepl

35 Kommentare

  1. @Ludwig Trepl

    Das ist nicht alles klassisch rechts zu verorten , Sie haben völlig Recht , diese neoliberale Ausrichtung hat Überschneidungen , ist aber nicht eins zu eins dasselbe.

    Es ist heute auch irgendwie nicht mehr so einfach , wer so alles links oder rechts ist , da gibt es mittlerweile die seltsamsten Verwerfungen.
    Der Neoliberalismus ist Ergebnis und Verursacher gleichermaßen , was “rechte” Ausgrenzung angeht.
    In den letzten 20-25 Jahren hatten wir vor allem den Neoliberalismus als neue Variante des Sozialdarwinismus , seines Zeichens eigentlich unvereinbar mit irgendwelchen politischen Werten und eher für sich stehend.
    Nach und nach hat dieser die politischen Werte abgefrühstückt , zuerst den Liberalismus selber , dann die Sozialdemokratie , dann die Konservativen , im Kern ist der Neoliberalismus eine Ideologie der (Selbst-)Zerstörung , und weist an diesem Punkt eine starke Verwandtschaft mit dem NS auf.

    Parallel dazu gab es einen Aufstieg der “neuen Rechten” , zunächst in anderen europäischen Ländern , als “Rechtspopulismus” , neoliberale Tendenzen waren da noch nicht so stark , von Vielen wurde er sogar als soziale Protestalternative wahrgenommen.
    Vor einigen Jahren begannen die Rechtspopulisten zunehmend (nicht überall) , sich zusammenzutun mit den Rechtskonservativen , was in etwa so vereinbar ist wie Staatskommunismus und Linksliberalität.

    Seit kurzer Zeit nähern sich die Rechten auch noch den Neoliberalen an , die , wie Sie sagen , eigentlich kaum wirklich zu verorten sind , außer , daß sie so ziemlich jede Werteorientierung kaputt kriegen , wenn sich diese darauf einläßt.
    Eine krude Mischung , geeint nur durch die grundsätzliche Tendenz zur Exklusion , aber auch eine Parallelität zum Aufstieg der NSDAP in den 20ern.
    Die hatte ihren frühen Zulauf auch zuerst durch die Bauern und durch immer größer werdende Teile des Mittelstandes und des als konservativ geltenden Bürgertums , in einem Umfang , der Hitler selber große Sorgen bereitete , denn der sah sein Potential eher in der Arbeiterschaft.

    Diese neue Pegida-Sache ist wohl tatsächlich stark dominiert von neoliberal geprägten Mittelständlern , solange dies so bleibt , ist sie daher stark begrenzt in ihrem Potential , ähnlich wie die AfD.

    Das kann man auch nicht als populistisch bezeichnen , eher als mittelständisch-elitär , wobei vor allem jener Typus eine große Rolle spielt , der eindeutig nur mittelständisch ist und auch eher zu den Verlierern zählt , sich aber hartnäckig einredet , erweiterter Teil der “Eliten” zu sein , und jetzt aus allen Wolken fällt , weil er sich plötzlich selber bedroht sieht, paradoxerweise durch genau jene “generelle Ausrichtung , mit der er vollständig einverstanden ist” .

    Gegenstück dazu der europäische Rechtspopulismus , der ganz andere Potentiale entfaltet , vor allem dort , wo er sich gegen die marktradikale Logik stemmt(Frankreich Holland) , oder zumindest erfolgreich den Anschein dazu erweckt.

    • @ DH :

      (…) im Kern ist der Neoliberalismus eine Ideologie der (Selbst-)Zerstörung , und weist an diesem Punkt eine starke Verwandtschaft mit dem NS auf.

      Es mag sein, dass Sie hier den Richtigen adressiert haben, der hiesige alte Bär, a.k.a Ludwig Trepl, klingt manchmal ähnlich.

      Korrekt bleibt, dass der den “klassischen” Liberalismus ergänzende sogenannte Neoliberalismus in etwa so nationalsozialistisch ist, wie Sie und der gemeinte Herr es nicht sind.

      Insofern würde der Schreiber dieser Zeilen nur zur Scham anraten diesbezüglich formuliert zu haben…

      MFG
      Dr. W

      • Besser sich schämen , wennn man nicht richtig versteht , was gemeint ist.
        Natürlich unterscheiden sich Neoliberalismus und NS in drastischer Weise , inhaltlich gesehen , beide jedoch tragen ein Element der Selbstzerstörung in sich , beide sind und waren nicht auf Dauer ausgelegt.
        Neoliberal ergänzt liberal in keinster Weise , beides schließt sich gegenseitig vollständig aus, vergleichbar mit dem Gegensatz zwischen darwinistisch und sozialdarwinistisch.

  2. “Das ist ja gerade die an Sie gerichtete Herausforderung usw.”

    Ich verstehe nichts, absolut gar nichts, Sie könnten genauso gut mit mir kirgisisch reden. Entweder Sie wollen nicht oder Sie können nicht. Darum werde ich in dieser Sache mit Ihnen nun kein Wort mehr reden. Ich hab meine Zeit nicht gestohlen.

  3. “„Wirtschaftsextremismus“, „Wohlstandsextremismus“ und „Zivilisationismus“”

    Jedem “seinen” Ismus, denn das muss so, im Glauben an “Individualbewußtsein” und …, damit die Konfusion des nun “freiheitlichen” Wettbewerbs um … auch weiterhin als URSACHE aller stumpf-, blöd-, schwach- und wahnsinnigen Symptomatik “problemlos” in Überproduktion von systemrationalem Kommunikationsmüll funktioniert 😉

  4. Es ist sicher sinnvoll , Vieles aufzudröseln , aber ich wäre vorsichtig , Pegida und Co. eine Komplexität zu unterstellen , die sie nicht ansatzweise haben.
    Da sind viele sehr dumpfe Leute dabei , und wie so häufig , haben ausgerechnet solche Leute das geringste Problem mit ihrer eigenen Dumpfheit.
    Zuerst kommt der Wille zur Exklusion , zur Suche nach der herabzustufenden Fremdgruppe , dann werden die Kriterien festgelegt.
    Natürlich müssen sich die Kollektivisten dabei Kriterien suchen , die irgendwie zur Zeit passen , sonst bestehen keine Erfolgsaussichten.
    Viele von denen würden auch heute noch Hexen verbrennen , nur würden sie sich mit solchen Forderungen lächerlich machen , also braucht es einen Sündenbock , der irgendwie glaubwürdig klingt und von heute ist , z.B.Asylbewerber.

    Völlig richtig ist aber , daß es auch die “Intellektuellen” dieses Denkens gibt , und da vermischen sich tatsächlich viele Ebenen , die zunächst unvereinbar scheinen.
    Der NS-vor allem Hitler selber- hatte von Anfang an das strategische Ziel , die “Schlagkraft der beiden großen Ideologien ” zusammenzuführen , und damit ganz gezielt eine Ideologie zu schaffen mit einer unschlagbaren Machtperspektive , tatsächliche Wertvorstellungen dürften da sogar eher die zweite Geige gespielt haben.
    Vielleicht ist das die Ähnlichkeit zu heute , die Rechte sucht eine Möglichkeit , ihre Zersplitterung zu überwinden und irgendetwas zu finden , was als vereinigender Überbau geeignet sein könnte und damit gleichzeitig über das eigene Potential hinaus zu expandieren.

    Bisher fehlt dieser noch , vor allem fehlt etwas , was auch intelligentere , kreative und nicht zuletzt eher romantische Zeitgenossen faszinieren könnte , wie seinerzeit der NS , und natürlich hat die Rechte bei weitem nicht die erfolgsversprechenden Voraussetzungen wie nach 1918 , aus mehreren Gründen.

    • Es stimmt sicher, daß es diese “dumpfen Leute” gibt, die nur irgendwelche kaum artikulierbaren Aggressionen und Ressentiments haben und sich letztlich gegen alles mobilisieren lassen. Aber dazu bracht es welche, die zu einer solchen Mobilisierungsarbeit in der Lage sind: Demagogen, Ideologen. Und auch für die Dumpfbacken selbst gilt: So ganz ohne Komplexität ist das nicht, was die denken, sie ist ihnen nur nicht sonderlich bewußt. Von irgendwelchen in der Gesellschaft vorliegenden kulturell-politischen Mustern, die oft ziemlich komplex sind, werden auch sie meist gelenkt.

      Sie reden hier von “der Rechten”. Das ist einer der Punkte, die ich im Artikel angezweifelt habe, ich habe von “Extremismus der Mitte” gesprochen. In der Tat ist doch der ideologische Hintergrund der neuen Art des ausgrenzenden Denkens eher im (Neo-)Liberalismus zu suchen als in dem, was man herkömmlicherweise “rechts” nennt. Es sind Leute, die mit der generellen Richtung unserer Gesellschaft sehr einverstanden sind. Wenn sie etwas kritisieren, dann einerseits sozialdemokratisches Denken, andererseits aber auch konservatives (“wertkonservatives” sagt man heute gern), was sie aber nicht so richtig als solches erkennen können, weil es ihnen vor allem in Gestalt der “Grünen” begegnet.

  5. Na toll, ist ja dieses mal fast verständlich! Es geht doch! – Ich meinte mit dem Gegensatz Kultur-Zivilisation etwas sehr Spezielles, nicht was das an sich ist, was etwa die beste Definition und Beschreibung der beiden Begriffe ist, wie Sie es versuchen, sondern den speziellen Gebrauch des Begriffspaares vornehmlich im deutschen Kulturraum im konservativen Denken seit dem 19. Jahrhundert, eher dem späten. Dieser Gebrauch hat sich dann auch außerhalb des Konservativismus in der deutschen Gebildetensprache des frühen und mittleren 20. Jhs auch weitgehend durchgesetzt. Als Klassiker, wo man im Detail lernen kann, was der Unterschied ist, gilt im allgemeinen Ferdinand Tönnies (“Gemeinschaft und Gesellschaft”). Populär gemacht haben das Begriffspaar vor allem Lebensphilosophen wie Klages und O. Spengler.

    Ich habe den Eindruck, Sie glauben, ich würde hier pro Kultur argumentieren, etwa das gängige deutsche (sicher auch gesamteuropäische) konservative Klischee vom kulturlosen, sondern nur zivilisierten Amerika propagieren. Dem ist nicht so (auch wenn ich das auf der Gefühlsebene schon tue, wie wohl die allermeisten außer den Konsumenten des Unterschicht-Fernsehens), sondern ich versuche mit dem Begriffspaar etwas zu erklären.

    • Herr Professor Trepl,
      Ihr Kommentatorenfreund ist nicht in der Lage dem ‘speziellen Gebrauch’ von Begrifflichkeit, ‘vornehmlich im deutschen Kulturraum im konservativen Denken seit dem 19. Jahrhundert’ oder ‘eher dem späten’ zu folgen.
      Also u.a. auch auf Aussagen wie diese bezogen:
      ‘Zivilisation ist nach (deutscher) klassisch-konservativer Auffassung das Gegenteil von Kultur.’
      Danke für die Erläuterung.

      MFG
      Dr. W

      • Wenn Sie mit “Ihr Kommentatorenfreund” sich selbst meinen: Ich kann Ihnen keinen anderen Rat geben, als sich sachkundig zu machen. Es gehört zum allgemeinen Bildungsgut. ich hätte nicht gedacht, daß jemand, der sich doch sonst einigermaßen auskennt in der Geschichte der politischen Ideen und Ideologien, davon überhaupt keine Ahnung hat. Und so recht mag ich’s Ihnen auch nicht glauben.

        • @ Herr Professor Trepl :

          Und so recht mag ich’s Ihnen auch nicht glauben.

          Es ist halt so, dass sich Kräfte, die sich dbzgl. als außen zu verorten haben, nicht unbedingt mitgehen können, zu dem, was Sie vortragen und dbzgl. einordnen.
          Es wäre demzufolge nett, wenn dies einfach ausgehalten werden könnte.
          Dass Sie (u.a. auch) Ihrem Kommentorenfreund Nachricht gegeben haben, die beachtet worden ist, die geachtet worden ist, wird nicht in Frage gestellt.


          Insgesamt würde der Schreiber dieser Zeilen aber vielleicht doch anraten wollen. mehr global zu denken, auch weniger “ideal-typisierend’.

          Die Welt gilt es zuvörderst zu betrachten.
          Klingt wohl im Moment ein wenig blöde, no prob,
          MFG
          Dr. W

          • Ich hab überhaupt nicht verstanden, was Sie hier sagen wollen. Was hat denn das mit dem zu tun, was ich über ein typisches konservatives Ideologem geschrieben habe? Können Sie es noch mal versuchen?

            Insbesondere: Worin wollen Sie denn “mitgehen”? Ich habe doch überhaupt keine Meinung vertreten, der Sie zustimmen oder die Sie ablehnen könnten. Ich habe nur einen (allgemein bekannten) Sachverhalt beschrieben. Sie könnten meinetwegen sagen, daß der für die Frage, um die es hier geht, irrelevant ist, aber Sie können nicht leugnen, daß es diesen Sachverhalt gibt. Da dürften Sie absolut niemanden auf Ihrer Seite haben.

          • @ Herr. Dr. Trepl :
            Das ist ja gerade die an Sie gerichtete Herausforderung, sie müssen substanziell werden, was die einstmaligen Gegebenheiten betrifft oder betraf; dass Sie auf bestimmte Art und Weise rekurrieren, war nicht in Frage gestellt.


            Ihr Kommentatorenfreund hat ja bereits bemerkt, dass er jemanden kennt oder kannte, der glaubhaft jemanden kannte, der bereits zu Zeiten der Napoleonischen Kriege unterwegs und dem Zweitaussagenden eben bekannt war, insofern könnten Sie inklusive Ihre Nachrichtemgebung betreffend vielleicht ein wenig lockerer werden.
            Sie wären, “unter uns alten Säcken” bestenfalls nur ergänzend zu notieren, auch weil diesbezüglich nicht so-o viel kam.
            Haben Sie diesbezüglich notieren können, bestand diese Möglichkeit?

            MFG
            Dr. W (der im Anthropologischen natürlich gerne auch nachträgt, den Zeitraum dürfen Sie bestimmen – die bisher gemeinte Zeit könnte es vielleicht besser aussehen)

  6. Mich würde interessieren, folgendes genauer zu diskutieren:

    Ich habe in der Überschrift „Wirtschaftsextremismus“ geschrieben, dann auch mal „Wohlstandsextremismus“ und schließlich „Zivilisationismus“ (die Wörter habe ich mir ausgedacht, aber vermutlich gibt es sie längst). Das ist alles in der dumpfen „Wir gegen die anderen“-Stimmung vorhanden, die seit einigen Jahrzehnten – meist bei den Typen von Leuten, die früher rassistisch oder „völkisch“ waren (dazu manchmal noch neigen, oft aber auch nicht) – in breiten Kreisen vorhanden ist. Da gibt es große Schnittmengen, aber identisch sind „Wirtschaftsextremismus“, „Wohlstandsextremismus“ und „Zivilisationismus“ damit keineswegs. Es gab Zeiten und Umstände, wo sich dazwischen Welten auftaten, und offenbar haben wir jetzt Umstände, die es ermöglichen, das alles in einem Kopf zusammenzubringen und so eine schlagkräftige Masse zusammenzubekommen. (Ähnlich der NS: Er vereinte vorher unvereinbare Denk- und Gefühlswelten: Natur-, Heimat- und Germanenkult auf der einen, Euphorie für den technischen Fortschritt auf der anderen Seite.)

    Zur Illustration: Ein „Wohlstandsextremist“ muß keineswegs ein „Wirtschaftsextremist“, also etwa: ein fanatischer Kapitalismus-Anhänger sein. Zwar akzeptiert er, wie im Artikel beschrieben, heute typischerweise den auf nicht-kapitalismuskonforme Weise zustandegekommenen Wohlstand nicht („Ölscheich“, „russischer Oligarch“), aber gegen den mit unserer Kultur verbundenen nicht-kapitalismuskonform zustandegekommenen Wohlstand (Stichwort: Adelsvermögen, das ja letztlich auf Krieg und Raub zurückgeht) pflegt er nichts zu haben, ganz anders als der klassische Liberale. Und der „Zivilisationist“ könnte (und solche gibt es auch) am Wohlstand ganz uninteressiert sein, für ihn sind vielmehr die typischen liberalen und neoliberalen Lebensweisen (wozu auch und vor allem der Kosmopolitismus gehört) entscheidend, ja selbst Sozialisten, die zivilisationistisch sind, gibt es. An die Stelle des noch älteren Gegensatzes „Zivilisierte gegen Wilde“ ist da der klassische deutsch-konservative Gegensatz „Zivilisation gegen Kultur“ (Tönnies) getreten, wobei man sich eindeutig auf die Seite der „Zivilisation“ stellt.

    Das scheint mir alles wert, genauer aufgedröselt zu werden. Sonst versteht man sicher nicht, was sich da z. B. in Dresden jetzt zusammenbraut – und sieht auch nicht die Stellen, an denen es wieder auseinanderfliegen könnte.

    • Wohlstandsextremismus ist ein unpassender Terminus für das was ich Wohlstandsreduktionismus nennen würde: Die Reduktion der politischen und gesellschaftlichen Ziele auf Wohstandsgewinn oder auch nur -erhaltung.Der Begriff Wirtschaftsextremismus müsste dementsprechend ersetzt werden durch den Terminus Ökonomismus

      Der Begriff Ökonomismus im Sinne eines „Wertfreiheitsanspruches in der Ökonomik“ wurde in den 1930er Jahren – so vermutet Peter Ulrich – von dem Sozialwissenschaftler Gerhard Weisser geprägt…Weisser sah in dieser Zwei-Welten-Konzeption [wertfrei verstehenden reinen Ökonomik auf der einen Seite und einer als sachfremd angesehenen Ethik ] die Ursache für eine Übersteigerung der ökonomischen Logik zu einem „ideologischen Ökonomismus“

      Der Begriff Ökonomismus ist schon älter und findet sich schon in den Gedanken Marx’s:

      Denn Marx behaupte in Gegensatz zu Hegel, dass der Schlüssel zur Geschichte, sogar zur Ideengeschichte, in der Entwicklung der Beziehungen zwischen dem Menschen und seiner natürlichen Umgebung, seiner materiellen Welt, gefunden werden müsse, das heißt in seinem ökonomischen und nicht in seinem geistigen Leben.

    • Die Kultur meint primär die Pflege, in der Regel diejenige, die den Ackeranbau sesshaft gewordener Primaten meint, die im Rahmen einer Vorratshaltung beihalf auch ungünstige Lagen, sogenannte Winter zu überstehen, an denen der Nomade zu leiden hatte, zumindest gelegentlich und in bestimmten Breitengraden.
      Stabilisierte Agrarkulturen kannten den Nomaden dann auch irgendwann als Barbaren. [1]

      Im übertragenden Sinne meinte dann die Kultur irgendwann das Politische, Primaten sind irgendwann sesshaft, also sozusagen richtig sesshaft geworden, in Städten, und die Politik entstand, das Städtische, wörtlich genommen, Städte prägten dann Stände aus und weitere Funktionalität.

      Wirtschaft oder Ökonomie ergaben sich dann im Rahmen institutionalisierter Dienstleistung, das sogenannte älteste Gewerbe der Welt war womöglich nicht das älteste und und der gefüllte Teller blieb womöglich wichtiger als andere (per se nicht-reproduktive) Bemühung.

      Hmm, die Zivilisation meinte dann die Bürgerlichkeit, der Bürgerliche (vgl. aus heutiger Sicht auch mit der feinen Unterscheidung zwischen ‘bourgeois’ und ‘Citoyen’ (keine dreihundert Jahre alt dieser Bursche)) agierte dann in Ständen und Rangfolgen, hatte auch Kriegsdienst zu leisten, die Verstädterung oder Politisierung leitete dazu an, ‘Sparta’ könnte hier ein Begriff sein, und insgesamt entwickelte sich Kultur, Religion und Wirtschaft, unter besten Annahmen: ordentlich.
      Theologie oder Gott oder Götter mittendrin.

      Letztlich kam dann der Despotismus, sofern er nicht schon früher da war, die Monarchie, schon etwas klüger womöglich, weil die Erbfolge geregelt war, und last but not least, einige Jahrhunderte bis Jahrtausende später besondere Ideologisierung, die auf allgemeiner Bildung, Schrift, Buchdruck und so, basierte, und nun Thema dieses kleinen WebLog-Eintrags ist.

      Ob nun diese oder jene besser oder wie überhaupt.

      MFG
      Dr. W (der natürlich gerne, auf Zuruf, weiter ausbaut, wenn womöglich dann nicht ganz im Sinne des hiesigen Inhalteträgers)

      [1] die Sprachlichkeit ist aus dem Altlatein übernommen, sie kann woanders anders stattgefunden haben, die Sinnhaftigkeit der Begrifflichkeiten muss so nicht in Frage gestellt werden – die Barbarei als Fremdentum ist natürlich relativ, der schöne Name Barbara hat sich bspw. derart erhalten

  7. @Trepl

    “Denn wer sind heute „wir“?”

    Die zeitgeistlich-reformistischen Wohlstands- und Gewohnheitsmenschen, die Bewußtseinsbetäubten des Glaubens an die Hierarchie von und zu materialistischer “Absicherung”, die systemrational-gebildete zu Suppenkaspermentalität auf Schuld- und Sündenbocksuche im Wettbewerb um “Wer soll das bezahlen?” und “Arbeit macht frei”, die Stumpf-, Blöd-, Schwach- und Wahnsinnigen der “Demokratie” durch / von Kreuzchen auf dem Blankoscheck, die Menschen des geistigen Stillstandes seit der “Vertreibung aus dem Paradies”, die “individualbewußte” Dummheit wo geistig-heilendes Selbst- und Massenbewußtsein wirklich-wahrhaftig gestalten könnte / sollte.

  8. “Wohlstandsextremismus”

    Treffender Begriff , der auch gleich den vermutlichen Grund für die Zunahme ausschließender Kollektivkriterien mitliefert.
    Nur Wohlstandsgesellschaften können jene Machtgefälle entwickeln , die es einer Gruppe erlauben , sich einzureden , daß ihr eigener Erfolg das Verdienst der eigenen Genialität sei und das “Versagen” der Anderen deren individuelle Schuld , wie oben sehr gut beschrieben.
    Hinzu kommt schlicht der Umstand , daß Wohlstand erst nach ein paar Jahrzehnten aufgebaut ist und erst dann die ersten Generationen an die Macht kommen können , die bereits in der Blase des gutsituierten Wohlstands aufgewachsen sind , nur wer Knappheit nie kannte , kann sich dermaßen selber überschätzen.

    Der finanzielle Status als verkürztes Kriterium für eine neue Spielart sozialdarwinistischen Denkens , daher ist es folgerichtig , daß es alle möglichen Widersprüche gibt , was die Protagonisten eines solchen Denklens aber nicht die Bohne stört , das hat es noch nie , wer glauben will , wird glauben , wen interessiert da schon die Logik?

    Auch scheint der Wohlstand die Sinnentleerung zu fördern und die Fixierung auf reines Statusdenken , was dann wiederum die Bereitschaft fördert , außenstehende Gruppen zu definieren , die an allem Schuld sind und nach denen man treten kann , um sich zumindest die Illusion der eigenen Statuserhaltung vorgaukeln zu können , aktuelles Beispiel Ungarn , wo Teile des Mittelstands jubeln über Orbans Politik , obwohl sie ihnen keine wirklichen Vorteile bringt.

    Absurderweise ist es gerade die freiwillige Sinnentleerung , die das Kollektivdenken noch zusätzlich verschärft , wenn ich mich selber nur noch auf Arbeit und Status reduziere , werde ich diese Lebensweise umso erbitterter verteidigen , obwohl sie mich noch nie zufriedengestellt hat , denn sie ist das Letzte , was ich noch habe.

  9. In Diskussionen zum Klimawandel bekommt man von selbsternannten “Klimaskeptikern” öfters zu lesen, die Klimaforscher, der IPCC und die Vertreter der globalen Erwärmung würden “Ökofaschismus” betreiben. Dabei ist es in Wirklichkeit genau umgekehrt. Je länger man Risiken und Gefahren ignoriert oder leugnet, desto schärfer werden dann die staatlichen und gesetzlichen Gegenmaßnahmen sein müssen, wenn die Gefahren zur Realität geworden sind. Das anschaulichste Beispiel dafür ist die Schuldenkrise in Südeuropa. Ob man das dann als Faschismus bezeichnen will, sei mal dahingestellt, Auf jeden Fall sind große Teile der Bevölkerung betroffen, die von einer Minderheit beherrscht und belogen wurden, auch weil es für die Mehrheit bequem war.

    Der Faschismus wird gefährlich, wenn es um hohe Werte geht. Das kann der Besitzstand sein in den Wohlstandsländern wie Deutschland, siehe die Pegida-Demos, oder es kann das Leben sein, oder es kann das Paradies sein, wie aktuell beim extremistischen Islamismus, potenziell aber auch beim Christentum. Wer Besitz zu verlieren hat, ist weniger geneigt, unkalkulierbare Abenteuer einzugehen, will sich gerade deswegen aber gegen Andere abgrenzen. Wenn dagegen das eigene Leben nichts wert ist, dann ist fremdes Leben erst recht nichts wert.

    Schließlich kann man, wie im klassischen Faschismus, phantasievolle Begriffe als hohe Werte proklamieren, die über die Werte des Individuums gestellt werden, wie z.B. Volksgesundheit, Volkswohl, Rassenreinheit, aber auch Kultur und Tradition als Selbstzweck. Auf diese Weise lassen sich bequem Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechtfertigen, sogar unter dem Deckmantel einer vorgetäuschten Moral.

  10. [gelöscht; Sie dürfen hier hemmungslos schimpfen und beleidigen, aber Sie müssen die Beschimpfungen und Beleidigungen begründen, das sind hier die Spielregeln]

  11. Das Menschenbild des aufgeklärten, freien und ungebundenen, kreativen, risikobereiten, beflissenen, gebildeten und sich jederzeit weiter- und fortbildenden Menschen mit Superfähigkeiten geht wohl auf die Halbgötter der alten Griechen zurück, entspricht aber in der Inkarnation der Moderne einem liberalistischen Wetbild, das von Hollywood als Fleisch gewordene Superwoman und Superman animiert wurde und wird. Doch diesem Menschenbild entsprechen nur Wenige auch wenn Sprüche wie “jeder ist ein Genie” uns etwas anderes weismachen wollen. Wofür leben und “kämpfen” diese von allem begünstigte Menschen. Es scheint für nichts, nur gerade für ein Leben im Elysium.

    • @ Herr Holzherr :
      Heruntergebrochen auf die BRD hieß es vor gar nicht langer Zeit wohl mal “Ich-AG”, was auch gar nicht dämlich war, denn ‘liberalistische’ oder liberale ‘Weltbilder’ hoben und heben nicht darauf ab, dass jeder kann, sondern darauf, dass jeder können darf.


      Schwierig, also schwierig hier nicht ‘kulturalistisch’ werdend, was ja schlecht sein soll, dem Artikel folgend, zu argumentieren, korrekt.

      MFG
      Dr. W

      • Nur Wenige können, aber alle dürfen – auf die Nase fallen dürfen Sie. Das macht gleich wieder bescheiden.

        • Mag so sein, Herr Holzherr, das Auf-Die-Eigene-Nase-Fallen bzw. dessen Möglichkeit wäre womöglich ein Privileg ‘lberalistischer’ oder liberaler, freiheitlicher Systeme; anderswo ging dies nicht, zumindest nicht einen gewissen “Impact” hinterlassend.

          Was am Unterscheiden an Hand von Kultur schlecht sein soll, wird Ihr Kommentatorenfreund aber absehbarerweise in diesem Leben nicht mehr begreifen.

          MFG
          Dr. W

          • PS:
            Auch bei derartiger Nachricht weiß Ihr Kommentatorenfreund nicht so recht:;

            Amerika, so das gängige Ideologem, ist zivilisiert, aber Kultur hat es nicht.

            Dies nur beispielhaft hervorgehoben, es könnte klar sein, dass der Schreiber und die hiesige Inhalte gebende Kraft sich in (zuvörderst: inhaltlicher) Abneigung befinden.

          • Risikobereitschaft ist positiv und sollte (in gewissen Bereichen) belohnt mindestens aber nicht bestraft werden. Leider neigen die meisten Menschen zur totalen Absicherung – und das in allen Lebensbereichen, was auch politische und gesellschaftliche Konsequenzen hat. Beispiel: Wer in Italien und Frankreich einmal einen Job hat, ist gut geschützt – auch geschützt vor andern, beispielsweise Jungen, die den gleichen Job wollen. In Dänemark dagegen gibt es keine Weiterbeschäftigungsgarantie dafür aber sehr viel mehr Unterstützung bei der Suche nach einem neuen Job.
            Gesamtgesellschaftlich ist heutzutage eine höhere Flexibilität wünschenswert. Sie selber an den Tag legen bedeutet aber auch mehr Risiko eingehen. Dazu ein Zitat aus dem Artikel Europäische Arbeitsmarktreform eines Ökonomieblogs

            Übertrieben starke Kündigungsschutzbestimmungen (Employment Protection Legislation, EPL) schützen Insider – fest etablierte Angestellte mit unbefristeten Verträgen – vor Druck seitens des Arbeitsmarktes, während Outsider mit temporären, ungeschützten Jobs die Last von Konjunkturschocks tragen müssen.

            Um wieder auf das Hauptthema dieses Beitrags von Ludwig Trepl zurückzukommen wo es ja um die Ausgrenzung beispielsweise von Migranten geht und das im Namen unserer überlegenen abendländischen Kultur.
            Auch hier spielt die Konkurrenz durch fremde Arbeitskräfte eine Rolle, wenn auch vielleicht nicht die Entscheidende. Konkurriert werden vor allem die weniger Qualifizierten durch die als problematisch empfundenen Einwanderer. Und diese machen auch den Hauptharst der Ausländerfeinde aus.

            Argumente gegen die andere “barbarische” Kultur könnten durchaus Schutzbehauptungen sein und in Wirklichkeit ginge es letztlich darum das Eigene und damit den vermeintlich bedrohten Wohlstand zu bewahren. Dazu schreibt Ludwig Trepl:

            Es scheint mir in der Tat möglich, daß dieser Zivilisationismus oder (was nur in Teilen identisch ist), „Wohlstandsextremismus“ die Zukunft des ausgrenzenden Denkens ist und daß all das, zu dessen Verständnis man Begriffe wie Heimat, Landschaft, organische Gemeinschaft, völkische Ursprungsmythen usw. braucht, demgegenüber stark zurücktritt.

            Das würde zum verbreiteten Nullsummendenken passen. Dieses Denken geht davon aus, dass das, was andern nützt einem selber schadet, weil es letztlich nur um Umverteilung gehe. In einer Welt mit begrenzten Ressourcen wo nichts wirklich neues geschaffen wird ist dieses Denken gerechtfertigt. Es ist letzlich ein Sicherheitsdenken in einer Welt in der man jedes Risiko meidet.

          • @ Herr Holzherr :
            Was halten Sie denn von dieser Sicht, die im Artikel und mit Einschränkungen dem Liberalismus zugeordnet worden ist:

            „Wir“, d. h. der „Westen“ oder „Norden“, verdanken unseren Wohlstand nicht der Ausbeutung der außereuropäischen Welt, sondern unserer intellektuellen Überlegenheit, die wir als Kollektiv haben, wie immer deren/dessen Entstehung gedacht werden mag, sozialdarwinistisch oder kulturalistisch; aber wenn wir unsere Überlegenheit von Natur aus und nicht wegen zufälliger historischer Entwicklungen haben – um so besser.

            Ist es auch I.E. so, dass sich der Liberale [1] keine Sorgen macht, dass außer-“westliche” (vgl. ‘außereuropäische’, Artikeltext) [2] Länder zu leiden haben unter “westlicher” Intervention?

            Dass sich Liberale anderen Völkern gegenüber für ‘intellektuell überlegen’ halten, nicht etwa als sozusagen von den Ideen und Werten der Aufklärung, die gesellschaftlich von den Altvorderen implementiert werden konnten, beschenkt?

            Dass Liberale indirekt kollektivistisch denken?

            Dass Liberale sich freuen würden, wenn sie das Leben in “westlichen” Systemen ‘der Natur’ verdanken würden oder wenn sie ‘von Natur aus’ eine ‘Überlegenheit’ hätten?

            MFG
            Dr. W

            [1]
            der sozusagen gewöhnliche Liberale ist gemeint, Herr Professor Trepl würde hier vielleicht vom ‘idealtypischen Liberalen’ sprechen oder schreiben – den Liberalen gibt es in praxi natürlich nicht, er darf aber bspw. für die Zwecke der Erläuterung als ‘gewöhnlich’ oder idealtypisierend angenommen werden, wie der Schreiber dieser Zeilen findet; Ideologien sind durchaus in der Lage zu verbinden

            [2]
            ‘Westlich’ ist eine blöde Metaphorik, die Richtungsangabe ist per se falsch, vgl. auch mit ‘außereuropäisch’ (Artikeltext), und gemeint sind immer diejenigen Gesellschaftssysteme, die den Ideen und Werten der Aufklärung folgend implementieren konnten, das Aufkommen und das Sich-Durchgesetzt-Haben dieser Metaphorik ist vielleicht vor dem Hintergrund des lange existiert habenden sogenannten Ostblocks und wegen der Griffigkeit nachvollziehbar

        • @Dr.Webbaer: Liberalismus entstand in Grossbritannien und das war auch gerade das Land wo die Industrialisierung und damit die ökonomische Moderne begann.
          Die Aufklärung war da schon lange vorbei.
          Länder die weder die Aufklärung noch die Industrialisierung aus eigenen Kräften durchliefen sind sicher weniger gut für die Gegenwart und Zukunft gewappnet.
          Andererseits nützt eine gloriose Vergangenheit viel weniger als viele meinen. Beispiel: Noch vor 100 Jahren war Grossbritannien mit seinem Commonwealth eine Weltmacht und ein Weltmodell. Heute ist der damalige britische Universalimus allenfalls noch in aktuellen britschen TV-Sendungen wie Dr.Who zu spüren, sonst ist aber kaum etwas davon übriggeblieben.

          • Die Aufklärung im Sinne des Sapere Aude bedingt den Liberalismus, insofern sind auch alle den Ideen und Werten der Aufklärung folgenden Gesellschaftssysteme liberal und stellen zudem die Forderung, dass auch die am politischen Meinungsbildungsprozess teilnehmenden Parteien dies zu einem Mindestmaß sind, ansonsten werden sie traditionell verboten.

            Es gibt abweichend von der sozusagen anglikanischen Aufklärungslinie, zu beachten auch die Unabhängigkeitserklärung der “kulturlosen” (Artikeltext) USA, die, wie Mme Merkel vielleicht anmerken würde, Vorreiter waren, wobei andere Bemühung natürlich nicht herabgesetzt werden soll, bspw. voraufklärerische Schwyzerische, natürlich noch die französische Linie, Rousseau und so, dort findet sich bereits viel, auf das sich sich bestimmte Kräfte berufen, wenn sie die Aufklärung meinen (und den Liberalismus nicht gut finden), korrekt.

            BTW, die Aufklärung ist als Prozess auch heute nicht ‘vorbei’.

            MFG
            Dr. W

          • @Dr.Webbaer: Die ganze Moderne zielt auf die Emanzipation der Kräfte in jedem Individuum. Das ist das Grundthema, welches schon mit dem Humanismus und der Renaissance angestimmt wurde. Die Renaissance schuf den Künstler, das Genie – etwas was es als Individuum im Mittelalter nicht gab. die Reformation dann setzte die Axt bei der kirchlichen Hierarchie an und verband jeden einzelnen Gläubigen direkt mit Gott. Die französische Revolution exekutierte schliesslich die Fürsten und Adligen und damit die weltliche Hierarchie und hatte als Ziele Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichcheit. Reformation und Revolution durchschnitten also die beiden Haupstränge von Fäden, welche die Puppe Mensch damals den Händen von Adligen, geistlichen und kirchlichen Fürsten auslieferte.

            Was aber konnte in dieser Moderne die Grundlage für das Zusammenleben, für Politik und Gesellschaft bieten. Es war der gemeinsame Glaube an eine bessere Zukunft, auf die jeder Einzelne ein Recht hatte. Dieses Recht konnte er wahrnehmen indem er in Arbeit und Bildung aufging, indem er sich von traditionellen Bindungen löste. In der amerikanischen Verfassung gerannen die Grundbestrebungen der Moderne und das Recht jedes Einzelnen auf Verbesserung seiner Lebensumstände zur Formel:
            “We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness

          • @ Herr Holzherr :
            Sie könnten Ihrem Kommentatorenfreund vielleicht vorab [1] antworten auf die Frage, wie Sie es schaffen innerhalb einer Minute zu reagieren.
            Betreiben Sie kommentaristischen Vorbau, sozusagen eine kommentarische Gulaschkanone?

            [1] d.h. die Möglichkeit bleibt bestehen, dass geantwortet wird

          • @Dr.Webbaer, den Bannerträger der Aufklärung.

            Houllebeq sagt im Welt-Interview:

            Houellebecq: Gut, aber hinter die Philosophie der Aufklärung kann man ein Kreuz machen: verstorben. ..

            Es gibt eine Destruktion der Philosophie, die aus der Aufklärung hervorging, die für niemanden mehr Sinn macht oder nur noch für sehr wenige. Dagegen hält sich der Katholizismus vergleichsweise gut. Ich bin optimistisch, dass eine Verständigung zwischen Katholizismus und Muslimen möglich ist. Das hat man schon gesehen, das könnte sich wiederholen.

            Die Welt: Du, der du nun Agnostiker geworden bist, siehst diese Zerstörung der aufklärerischen Philosophie positiv?

            Houellebecq: Ja. Das musste passieren, und in dem Maße geschieht das jetzt. Wir waren in jener Phase, die Auguste Comte die metaphysische nennt, die im Mittelalter begann und deren einziges Ziel es war, die vorherige Phase zu zerstören. Sie selbst kann nichts erschaffen, nur Nichts und Unglück. Deshalb ja, ich bin ein Gegner dieser Philosophie, die aus der Aufklärung hervorgegangen ist, das muss man klar sagen.

            Der Tagesanzeiger schreibt dazu:

            Inzwischen hat sich Laurent Joffrin, Chefredakteur der linken Libération, zu Wort gemeldet. Er sieht in dem Werk (die Unterwerfung) «den Einbruch oder die Rückkehr rechtsextremer Thesen in die Hochliteratur.»

            Mag sein, dass e sbei Houllebeq die Nähe zu rechtsextremen Ideen gibt. Dass die Aufklärung als Idee und Ideal heute aber einen schwereren Stand hat als auch schon, dass scheint mir offensichtllich.
            Für mich haben sich sogar Parteien wie die deutschen Grünen von der Aufklärung bereits verabschiedet.

          • @Dr.Webbaer: Nein, ich reagiere jetzt. Es gibt eigentlich immer nur: Jetzt oder Nie.

          • @ Herr Holzherr :

            Für mich haben sich sogar Parteien wie die deutschen Grünen von der Aufklärung bereits verabschiedet.

            Sie “knallen” hier sozusagen im Stapelverarbeitungsmodus etwas in die Kommentatorik hinein, lassen Sie dies bitte sein, Ihr Kommentatorenfreund hat auch Humor, benötigt diesen auch um auf Initial-Inhalte wie diese reagieren zu können, schätzt aber auch keine Müllhaufen.

            MFG
            Dr. W

  12. * Hauptstoßrichtung

    In manchen Teilen der Wissenschaft ist neuerdings der Begriff „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ üblich geworden. Das ist, abgesehen von der seltsamen Verwendung des Begriffs „menschenfeindlich“, vor allem deshalb Unfug, weil es nicht um Gruppen irgendwelcher Art geht.

    Die Ablehnung bestimmter Personengruppen zu systematisieren, muss nicht falsch gewesen sein; was Ihr Kommentatorenfreund u.a. bei den Arbeiten Wilhelm Heitmeyers [1] kritisiert, ist dass nicht umfänglich theoretisiert wird, oder vielleicht besser: dass nicht umfassender versucht wird.

    MFG
    Dr. W

    [1] vgl. :
    -> http://de.wikipedia.org/wiki/Gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit (und vgl. mit dem Fehlen anderssprachlicher Texte)