Touchdown nach 10 Jahren

Rosetta / Philae

Die Geschichte der Landung von Philae ist mittlerweile ein großes “Eigentlich”. Eigentlich wollte man schon 2003 zu einem Kometen reisen. Eigentlich wollte man ursprünglich Proben entnehmen und für die Analyse zur Erde zurücktransportieren. Eigentlich wollte man auf 46P/Wirtanen landen. Diverse Probleme, unter anderem mit der Trägerrakete Ariane 5, haben dies jedoch verhindert; alles kam ganz anders. Letztendlich startete am 2. März 2004 die Sonde “Rosetta” zum Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko. Mit an Bord: Das Landemodul und Minilabor “Philae” – ausgerüstet für umfangreiche Untersuchungen vor Ort, statt für Bodenprobenentnahme und Rücktransport. Voraussichtliche Dauer der Reise: 10,5 Jahre, 6,5 Milliarden(!) Kilometer, beschleunigt durch Slingshots um die Erde und um den Mars:


 

Insgesamt 15 Jahre Berechnungen, Bau und Bangen – und es hat tatsächlich geklappt. Das war nicht selbstverständlich. Noch im Januar 2014 hatte man sich gefragt, ob Rosetta sich aus ihrem Energiesparmodus überhaupt wieder wecken lassen würde. Von Beschädigungen über Fehlfunktionen und Funkstörungen bis hin zum kompletten Energieausfall wären alle möglichen Störfälle denkbar gewesen. Und somit ein vorzeitiges Ende dieser langen und kostspieligen Mission. Doch am 12. November 2014 hat sich Philae erfolgreich von Rosetta getrennt, ist auf dem Kometen gelandet und hat erste Daten gesendet. Eine Premiere. Ein Stück Raumfahrtgeschichte, darf man wohl sagen. Alles verlief automatisch; ein Eingreifen seitens der Bodenkontrolle wäre nicht mehr möglich gewesen. Die genauen Abläufe sind auf dieser französischen Grafik des CNES dokumentiert.

Leider verlief die Landung aber nicht zu 100% reibungslos: Um der geringen Schwerkraft des Kometen entgegen zu wirken (ein Objekt, das hier 100 Kilogramm wiegt, hat dort ein Gewicht von gerade mal einem Gramm), hätte Philae sich eigentlich bei der Landung mit Harpunen im Boden verankern sollen. Das hat leider nicht geklappt. Daher ist das Minilabor zunächst etwas auf dem Kometen herumgehüpft und somit nicht nur ein-, sondern gleich dreimal gelandet:

Eventuell hat der Lander es geschafft, im Anschluss an seine Hopser wenigstens die Eisschrauben in die Kometenoberfläche zu bohren. Das war zum Zeitpunkt dieses Blogeintrages leider noch nicht klar. Fest steht jedenfalls, dass neben unglaublicher Präzision bei der Planung letzten Endes auch eine ganze Menge Glück im Spiel war. Komplett verloren wäre die Mission allerdings selbst dann nicht, wenn sich herausstellen sollte, dass Philae überhaupt nicht auf dem Kometen verankert ist. Auch wenn der Lander den Kometen verlassen sollte, hat er doch den grundsätzlichen technischen Ansatz als korrekt bestätigt und bereits eine Vielzahl von Daten geliefert. Außerdem ist da immer noch Rosetta selbst, die den Kometen weiterhin umkreisen wird und schon spektakuläre Bilder und Messungen geliefert hat. Wir wissen jetzt zum Beispiel, dass Komet “Tschuri”, wie er inzwischen allerorten genannt wird, nicht nur nach faulen Eiern stinkt, sondern auch regelrecht schnurrt. Das kann man sich sogar selbst anhören.

Bild: www.esa.int
Philaes Ausstattung. Bild: www.esa.int

Aber warum macht man all das überhaupt? Eine Expedition zu einem unbewohnbaren Gesteinsbrocken, gerade mal drei Meilen lang, über 500 Millionen Kilometer weit weg, der keine auf Anhieb sichtbaren (geschweige denn förderbaren) Schätze birgt? Wozu? Nun, Kometen sind nicht nur ungefähr so alt wie unser Sonnensystem, sie haben sich seit dessen Entstehung auch kaum verändert. Auf ihrer Oberfläche oder in ihrem Kern finden kaum chemische oder biologische Prozesse statt. Deshalb versprechen Wissenschaftler sich von Kometen eine ganze Reihe von extrem wertvollen Informationen über den Ursprung unseres Sonnensystems und ggf. auch des Lebens auf der Erde. Diese Informationen liefert (hoffentlich) in den kommenden Monaten Philae mit seinen zahlreichen Instrumenten.

Geplant sind unter anderem
– Panoramaaufnahmen des Kometen
– Bodenanalysen mittels Bohrproben
– Magnetfeldmessungen
– Analysen der chemischen Zusammensetzung mittels Bestrahlung, Gaschromatographie und Massenspektrometer
– Temperaturmessungen an und unter der Oberfläche des Kometen
– Strukturanalysen mittels Schallwellen

Warum aber nun ausgerechnet dieser Komet? Und warum dauerte das Ganze so lange? Die Antworten auf diese Fragen sind relativ profan: 67P wurde schlicht deshalb ausgewählt, weil man ihn in absehbarer Zeit am besten erwischen konnte. Allzuviel Auswahl gab es im passenden Zeitfenster nicht. Die Reisedauer ergab sich nicht nur aus der großen Entfernung, sondern unter anderem auch aus der Tatsache, dass die Sonde sich der Geschwindigkeit und der Flugbahn des Kometen erst annähern und anpassen musste. Hätte man Rosetta pfeilgerade zum nächstbesten Kometen geschossen, wäre das Ganze zwar etwas schneller gegangen, aber auch als Zusammenstoß mit Totalschaden geendet. Stattdessen hat sich die Sonde dem Kometen erst angenähert und ist dann auf eine Umlaufbahn eingeschwenkt. Nicht zuletzt, um den Kometen auch erst einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, denn seine genaue Beschaffenheit war bis zur Ankunft unbekannt. Bevor man das Minilabor Philae dort landen lassen konnte, mussten also zunächst passable Landeplätze gesucht, untersucht und ausgewählt werden. Auch das nahm Zeit in Anspruch.

Angesichts der Reiselänge ist es ziemlich schade, dass die eigentliche Mission relativ bald wieder beendet sein wird. Schon gegen Ende 2015 wird “Tschuri” der Sonne so nahe kommen, dass sowohl die Sonde Rosetta als auch der Lander Philae unweigerlich verglühen. Die Raumfahrtagenturen haben allerdings bereits durchblicken lassen, dass es in Zukunft durchaus weitere Kometenmissionen geben könnte. Denn kein Komet ist wie der andere. Jeder einzelne kann uns wieder Neues über unser Sonnensystem verraten. Und somit auch über uns.

Update: Der Lander ist nach dem zweiten Hopser hochkant auf dem Komenten liegengeblieben, funktioniert aber zum großen Teil dennoch. Florian Freistetter erklärt die aktuelle Lage.

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Nachtrag: Die Highlights des “Press Briefing” vom 12. November:

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Ute Gerhardt hat nach dem Abitur einen B.A. in Wirtschaft, Sprachen und Politik an der Kingston University sowie eine Maîtrise in Industriewirtschaft an der Universiät Rennes abgeschlossen. Seit 1994 arbeitet sie in der Privatwirtschaft, derzeit im IT-Bereich. Ute hat zwei Kinder (*2005 und 2006) und interessiert sich neben Raumfahrt und Astronomie auch für Themen aus den Bereichen Medizin und Biologie.

3 Kommentare

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