Wider den Knochenschwund: Milch trinken reicht nicht.

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Raumfahrt im 21. Jahrhundert
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Astronaut Peggy A. Whitson beim Training auf der Raumstation, 2002. Quelle: NASA
Astronaut Peggy A. Whitson beim Training auf der Raumstation, 2002. Quelle: NASA, CC-by-SA 3.0
Ein Laie, der von Osteoporose a.k.a. Knochenschwund hört, denkt in den meisten Fällen automatisch an zwei Dinge:

Erstens an ältere Menschen. Diese sind in der Tat am häufigsten von Knochenschwund betroffen. Er betrifft jedoch auch Raumfahrer. Die Schwerelosigkeit im All führt dazu, dass die Knochen und auch Muskeln nur noch gering belastet werden. Dem Körper, der stets bestrebt ist, seinen Aufbau zu optimieren, wird so signalisiert, ein Teil der Masse würde nicht benötigt und könne abgebaut werden. Bei länger andauernden Missionen ist dies ein großes Problem (=> Video). Die Astronauten, die ja spätestens nach einigen Monaten ihr Leben auf der Erde weiterführen wollen, müssen oft mehrere Stunden am Tag an Geräten trainieren, um diesem Schwund entgegenzuwirken. Raumfahrtagenturen haben daher ein großes Interesse daran, weitere Möglichkeiten zu finden, den Knochen- und Muskelerhalt ihrer Astronauten zu optimieren.

Zweitens denkt man fast automatisch an Calcium. Von der Nahrungsmittelwerbung in Rundfunk & Print bis hin zu den Flyern beim Hausarzt wird uns immer wieder vermittelt, gerade dieses Element sei unabdingbar für die Knochenbildung und -erhaltung. Das entspricht auch der Wahrheit, denn zwei Drittel unserer Knochensubstanz bestehen in der Tat aus kristallinem Calciumsalz. Aber es ist eben nicht die ganze Wahrheit.

– Calcium alleine genügt nicht –

Denn Calcium alleine genügt nicht. Man könnte es sich pfundweise zuführen – solange andere Nährstoffe fehlen, kann der Körper nichts mit diesen Massen anfangen und scheidet sie wieder aus. (Man spricht dabei vom sog. Minimumgesetz.) Der Knochenaufbau wird nämlich unter anderem auch von der Vitamin-D- und der Proteinzufuhr beeinflusst. Vitamin D kann der Körper mit Hilfe von UV-Lampen an Bord der Raumschiffe und -stationen selbst herstellen. Proteine hingegen müssen über die Nahrung zugeführt werden. Sie werden für die Kreuzverbindungen der Kollagenmoleküle in den Knochen benötigt. Da sie in diesem Prozess irreversibel modifiziert werden, können sie während der kontinuierlichen Um- und Neustrukturierung des Knochenmaterials meist nicht vom Körper wiederverwendet werden. Sie werden abgebaut, ausgeschieden und sind dann für den Körper verloren. Folglich muss permanent Nachschub her.

Proteine sorgen darüber hinaus für eine bessere Aufnahme von Calcium durch den Verdauungstrakt sowie für ein optimiertes Level des Wachstumshormons IGF-1, welches seinerseits wiederum auch für Knochenwachstum- und Dichte verantwortlich ist. [1] Last but not least sind Proteine für den Muskelaufbau und -erhalt notwendig, der sich seinerseits wieder günstig auf den Knochenerhalt auswirkt.

Lamellenknochen mit Havers-Kanälen
Lamellenknochen mit Havers-Kanälen,
Department of Histology, Jagiellonian University Medical College, CC-by-SA 3.0
Eine regelmäßige und ausreichende Zufuhr von Protein ist also für den gesunden Erhalt des Skeletts essenziell, denn – dies kommt noch hinzu – veritabler Proteinmangel beeinträchtigt die Calciumaufnahme und verursacht somit indirekt einen Anstieg des Parathormons (Parathyrin, PTH). Dieses hat die Aufgabe, das Calciumlevel im Blut zu regulieren und veranlasst – wenn zu wenig Calcium zirkuliert – einen Abbau desselben aus den Knochen, um es in den Blutkreislauf zu überführen.

Ausreichende Zufuhr sollte aber keinesfalls durch simple Massenzufuhr sichergestellt werden. Ein Zuviel an Protein führt nämlich paradoxerweise unter Umständen zu erhöhter Calciumausscheidung über den Urin. [2][3] Das muss – je nachdem, wie der Betroffene sich sonst noch ernährt – zwar nicht unbedingt zu einem Verlust an Knochenmasse führen, kann aber Nierensteine verursachen.

– NASA-Projekt “Pro K” –

Neben Calcium und Proteinen gibt es jedoch noch weitere Faktoren, die bei der Knochenbildung eine wichtige Rolle spielen. Einer von ihnen ist das Element Kalium, ein Alkalimetall, das auch bei der Nervenimpulsübertragung, der Muskeltätigkeit und der Regulierung des Säurehaushalts eine wichtige Rolle spielt. Ist der Säurehaushalt nicht im Gleichgewicht, kann es vereinfacht ausgedrückt geschehen, dass – wie beim oben beschriebenen PTH-Überschuss – Calcium aus den Knochen gelöst und in den Blutkreislauf überführt wird.

Kalium findet sich hauptsächlich in pflanzlichen Nahrungsmitteln. Forschungsergebnisse der letzten Jahre [4] haben ergeben, dass für die Vorbeugung gegen Osteoporose nicht nur die absolute Menge, sondern das Verhältnis von Proteinen zu Kalium in der Ernährung eine große Rolle spielt. In Zusammenarbeit mit dem Kölner Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin, der Universities Space Research Association in Houston sowie dem ebenfalls dort ansässigen Johnson Space Center überprüft die NASA nun in eigenen Experimenten den Einfluss der Ratio Protein/Kalium auf den Knochenschwund bei Astronauten. [5] Im Factsheet zum Projekt “Pro K” heißt es:

“The Dietary Intake Can Predict and Protect Against Changes in Bone Metabolism During Spaceflight and Recovery (Pro K) experiment tests the hypothesis that a diet with a decreased ratio of animal protein to potassium leads to decreased loss of bone mineral during flight. The specific goal for the study is to test this hypothesis by determining if the ratio of acid (animal protein) to base (potassium) precursors in the diet is correlated with bone metabolism and bone loss after space flight.

(…) If successful, the study could lead to improvements in bone health during space flight, with use of a countermeasure that requires no additional stowage, crew time, power, or other constrained resources.” (Quelle: [5])

Die Ergebnisse dieser Experimente könnten nicht nur Raumfahrern helfen, Knochenschwund vorzubeugen, sondern z.B. auch bettlägerigen Patienten. Man erhofft sich des weiteren generelle Erkenntnisse zur Optimierung der Ernährung:

“Given the growing trend in the United States toward diets high in animal protein, the proposed research has direct public health significance.” (Quelle: [5])

Auf die Ergebnisse darf man gespannt sein, denn die Feinheiten dieser Analysen sind alleine vom medizinischen/biochemischen Blickwinkel aus schon sehr interessant. Ich persönlich habe allerdings den leisen Verdacht, dass sich die praktische Anwendung neben der Raumfahrt im medizinisch-pflegerischen Bereich erschöpfen wird. Dass neben Fleisch auch eine ausreichende Menge Gemüse und Milchprodukte auf dem Teller landen sollte, ist im Grunde hinlänglich bekannt – es halten sich nur längst nicht alle daran. Meine Wenigkeit eingeschlossen. ^^

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[1] Shoshana Yakar, Clifford J. Rosen et al.: “Circulating levels of IGF-1 directly regulate bone growth and density
[2] S. Margen, J.-Y. Chu, N. A. Kaufmann et al. “Studies in calcium metabolism. I. The calciuretic effect of dietary protein
[3] J.-Y. Chu, S Margen, F. M. Costa: “Studies in calcium metabolism. II. Effects of low calcium and variable protein intake on human calcium metabolism.
[4] Sara R Zwart, Alan R Hargens, and Scott M Smith: “The ratio of animal protein intake to potassium intake is a predictor of bone resorption in space flight analogues and in ambulatory subjects
[5] http://www.nasa.gov/mission_pages/station/research/experiments/721.html

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Ute Gerhardt hat nach dem Abitur einen B.A. in Wirtschaft, Sprachen und Politik an der Kingston University sowie eine Maîtrise in Industriewirtschaft an der Universiät Rennes abgeschlossen. Seit 1994 arbeitet sie in der Privatwirtschaft, derzeit im IT-Bereich. Ute hat zwei Kinder (*2005 und 2006) und interessiert sich neben Raumfahrt und Astronomie auch für Themen aus den Bereichen Medizin und Biologie.

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