Grün!

Zwei Monate lang hatte ich auf diesen Tag gewartet: Der Tag, an dem das biologische Experiment endete, für das Cyprien 40 Radieschen gesät hatte. Jedes in einem Töpfchen für sich, standen die Radieschen auf dem obersten Regalbrett im Biologielabor, so dass ich sie nur auf einem Stuhl stehend sehen konnte. Das hat ihre Überlebenschancen vermutlich drastisch erhöht.

Am 11.11. nun erklärte Cyprien das Experiment endlich für beendet und die Crew konnte die Früchte seiner Arbeit während eines Festmahls genießen. Der Hauptgang war unspektakulär, aber die Vorspeise war grandios: Ein grüner Salat (frisch!), dazu eine Schüssel mit Radieschen (frisch!) und eine Schüssel mit Radieschenblättern (frisch!!!). Dazu echt französische (d.h. von Cyprien angerührte) Vinaigrette. Wir brauchten mehr als eine halbe Stunde für die Vorspeise, weil wir jeden Bissen dutzendfach durchkauten. Mit der Zunge erfühlte ich die Struktur der Salatblätter, spürte die Härchen auf den Radieschenblättern. Jedes noch so kleine Radieschen zerbiss ich in noch kleinere Stücke, um den Geschmack noch ein wenig länger zu auskosten zu können. Saftig, und doch fest, ein Traum!

Ein erinnerungswürdiges Abendessen.
Ein erinnerungswürdiges Abendessen.
Das gab war der Höhepunkt: Salat und Radieschen, frisch geerntet.
Der Höhepunkt: Salat und Radieschen, frisch geerntet.

Dabei haben wir einen ganzen Garten, überall im Habitat verteilt. Die meisten der Pflanzen für den allgemeinen Bedarf sind jedoch Kräuter oder so klein, dass sie als Salatbeilage kaum ins Gewicht fallen. Sie stehen im gleichen Regal wie die Radieschen. Unter ihnen stehen außerdem mehr als zwanzig Flaschen mit verschiedenen Nährlösungen, aus denen unterschiedlich große Salatköpfe herausragen. Die werden jedoch von Cyprien mit Argusaugen bewacht. Falls unser Crewbiologe während einer EVA mal einen Unfall haben sollte… ich habe auf jeden Fall nichts damit zu tun.

Im Aufenthaltsraum wachsen noch einige weitere, vereinzelte Pflänzchen für experimentelle Zwecke der Kuppeldecke entgegen – oder vielmehr den roten und blauen LEDs, die direkt über ihnen angebracht sind und diesem Teil der Kuppel einen lila Schimmer verleihen (und den Pflanzen eine eigenartig graue Farbe). Warum rot und blau? Weil grünes Licht von Pflanzen im Wesentlichen ungenutzt zurückgestrahlt wird (weshalb sie uns im Sonnenlicht auch grün erscheinen). Beleuchteten wir unsere Pflanzen mit weißem Licht, wäre die Energie für den Grünanteil verschwendet – gerade an wolkigen Tagen ein Luxus, den wir uns nicht leisten können.

Radieschen im Licht des Biologielabors. Man sieht deutlich, welchen Wachstumsunterschied die verschiedenen Böden ausmachen. Geschmeckt haben die Radieschen aber alle gleich gut.
Radieschen im Licht des Biologielabors. Man sieht, welchen Wachstumsunterschied die verschiedenen Böden ausmachen. Geschmeckt haben die Radieschen aber alle gleich gut.
Vor dem Verzehr wurde alles fein säuberlich gewogen und gemessen. Zuerst aber müssen die Radieschen ein Bad nehmen, um die Erde abzuspülen.
Vor dem Verzehr wurde alles fein säuberlich gewogen und gemessen. Dafür müssen die Radieschen ein Bad nehmen, um die Wurzeln von Erde zu befreien.
Meine Rechnung ging auf: Wenn ich bei der Ernte helfe, darf ich das erste (wenn auch kleinste) Radieschen kosten.
Meine Rechnung ging auf: Wenn ich bei der Ernte helfe, darf ich das erste (wenn auch kleinste) Radieschen kosten.

Neben Cypriens Biologiegarten gibt es noch einige Pflanzen, die in diversen, ausgewaschenen und mit Erde gefüllten Behältern aufwachsen, zumeist Konservendosen. Die meisten davon stehen am “Hinterausgang”, weil das eine der hellsten Stellen des Habitats ist. Dieser Büchsengarten ist noch im Wachsen begriffen, da sich die Konserven erst nach und nach leeren. Ein etwas kleinerer “Garten” steht dazu in Carmels Zimmer: auf ihrem Regalbrett, unter einem rot-blauen LED-Streifen. Was wächst in all diesen Konservendosen? Kräuter, natürlich, aber auch Tomaten, Bohnen, Chilis und schnell wachsende Erbsen.

Nach dem Festmahl vor drei Tagen jedenfalls wollte ich nicht noch einmal zwei Monate auf frisches Gemüse warten oder auf die Großzügigkeit der anderen angewiesen sein. Daher stehen seit gestern vier zweckentfremdete Messbecher mit Erde und Samen gefüllt auch in meinem Zimmer. Mein Licht jedoch bleibt weiß: Pflanzen haben einfach grün auszusehen.

Am Hinterausgang in eine Ecke gequetscht: Unser Büchsengarten.
Am Hinterausgang in eine Ecke gequetscht: Unser Büchsengarten.
Eine gewagtere Konstruktion. Ich hoffe, wir ernten, bevor die Pappe aufgeweicht ist.
Eine gewagtere Konstruktion. Ich hoffe, wir ernten, bevor die Pappe vollständig aufgeweicht ist.

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Christiane Heinicke bloggt als Wissenschaftlerin und Versuchskaninchen aus der HI-SEAS-Forschungsstation auf Hawaii. Zuvor studierte sie Physik in Ilmenau und Uppsala und promovierte anschließend zu einem kontaktlosen Strömungsmessgerät. Zuletzt arbeitete sie in Helsinki an brechendem Meereis. Vor ihrer Zeit auf Hawaii verbrachte sie zwei Wochen auf der Mars Desert Research Station in Utah. Ständig umgeben von Wänden oder Raumanzug, wird sie während des Jahres am meisten das Gefühl von Sonnenstrahlen auf der Haut vermissen, dicht gefolgt vom Geschmack frisch gepflückter Himbeeren.

10 Kommentare

  1. Habt ihr toll gemacht! Das ist ein schönes erstes (?) Ergebnis der Mars-Simulation und ihr werdet sicher ein entsprechend starkes Echo in den Medien und der Wissenschaftsgemeinde bekommen. Die Kosmologs können stolz sein, dass es hier erstmalig dargestellt wird. Ich glaube nicht, dass das in gewöhnlichen Labors so einfach durchführbar ist. Ich wünschte, ich könnte dieses biologische Experiment zuhause nachvollziehen. Doch das wird ohne einen Laborleiter, der das Experiment für beendet erklärt, wohl zu gefährlich sein. Womöglich entgleitet der Versuch sonst der Kontrolle. Im Film „Dark Star“ gab es da so einen gemüsehaften „Exoten“, der die Crew angriff. Kaum auszudenken! Wann und wo publiziert ihr das? Nature? Science?

    • Danke für die aufmunternden Worte 🙂
      Ob das Experiment für Nature oder Science ausreicht, kann ich als Nicht-Biologe nicht einschätzen. Ich fand die Grundidee ziemlich cool, aber Dusty selbst sieht es eher als Nebenbeschäftigung an. Wenn es veröffentlicht ist, kann ich bei Gelegenheit einen Nachfolge-Post hier einstellen – das Experiment lässt sich (in Teilen) durchaus zu Hause nachvollziehen.

  2. Hi Cookie, laufen auch Versuche mit Feldsalat oder Kresse? Es gibt dazu auch ein sehr urban-gardening Lösung für Blattsalat aus der Flasche. Habe das mal mehrere Wochen probiert, hat gut geklapp und auch geschmeckt. Der braucht nur eben viel Licht zum Wachsen. Schau mal unter http://www.bottlecrop.com

    Jedi

    • Ja, Bottlecrops kenne ich, die stehen auch im Labor 🙂 Funktioniert aber leider nicht mit allen Pflanzen. Ich habe Pfefferminze in die einzige Flasche gesät, die nicht von Dusty belegt war, und die Pflanze sieht nicht gerade glücklich aus. Ich versuche es jetzt nochmal mit richtiger Erde. Salat dagegen scheint recht gut zu wachsen, aber, wie du sagst, nur mit viel Licht.

    • Frisches, saftiges Obst und Gemüse. Allen voran: Tomaten! Wir haben getrocknete Tomaten hier, über deren Geschmack lasse ich mich hier lieber nicht weiter aus 😉 Frische Tomaten sind aber in Arbeit! Sie brauchen nur so lange…

    • Durch die Habitatwand kommt nicht genügend Tageslicht für Pflanzenwachstum. Fast alle Pflanzen hier wachsen mit künstlichem Licht, die meisten mit LEDs.

  3. Hallo!Ich bin 12 und mein Avatar ist ” Annie”.Ich komme aus Franzosich und ich wohnne im Paris,ich mag dein Blog!Ich spresche “a little” deutsch weil ich Frankreich gut spreche.Je parle français très bien et j’aime beaucoup votre site.J’ai entendu dire qu’il y avait un français dans l’équipe,souhaitez lui bonne chance de ma part 😉
    Gros bisous et bonne chance!!!!

    • Hi Annie! C’est sympa de lire que j’ai une lectrice française. Bienvenue sur mon blog ! J’ai montré ton commentaire au français de mon équipe Cyprien et l’ai fait sourire 🙂 Il m’a aussi un peu aidé à écrire ce commentaire 😉

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