Bericht vom #32c3 – Man muss sich den Hacker als einen glücklichen Menschen vorstellen

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Hochempfindlich!

Es ist Silvester, gleich 16:00*. ich sitze mit dem Laptop in meinem Bett – ähm – Schlafgemach, in Hamburg bei Freunden. Ich bin gerade erst wachgeworden. Mein Kopf beginnt so langsam wieder richtig zu arbeiten. Mein Körper möchte das Bett aber vorerst nicht verlassen.

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Cybercyber

Ich war auf dem #32c3, dem 32. Congress des Chaos Computer Clubs. Ich war letztes Jahr das erste Mal dort, dieses Jahr wollte ich unbedingt wieder hin. Ich habe mich wochenlang darauf gefreut und bin nun wehmütig, dass es vorbei ist.

Zunächst einmal habe ich letztes Jahr etwas falsch gemacht. Beim c3 geht man gar nicht zu den Talks, die guckt man später auf Youtube (oder hier). So ging ich dieses Jahr nur zu ganz wenigen Vorträgen, oft mehr aus Gelegenheit und rein zufällig. Mir fiel auf, dass sehr viele Talks von Frauen gehalten wurden, zumindest so nach meinem Gefühl.

Ich erklärte letztes Jahr bereits, wie auch für mich als Biologin der Congress spannend ist. Tatsächlich gäbe es in der Biologie weiterhin viel Bedarf für Datenschutz, was aber die meisten Biologen nicht interessiert. Genetische Informationen sind so einfach verfügbar wie ein Haar in einem Kamm oder ein weggeworfener Kaugummi. Die Analyse des Genoms ist mittlerweise so günstig, dass Privatpersonen sie sich leisten können. Gesundheitsdaten werden auf auslesbaren Chipkarten gespeichert, Selbsttracking der eigenen Gesundheit, des ganzen Lebens, landet bei Apple und Google, Algorithmen ersetzen Polizeiarbeit. Aber noch interessieren sich wenige dafür.

Die Anzahl der Dinge um die es beim Chaos Communication Congress ging, ist riesig. Eben genauso mannigfaltig, wie Computer heutzutage eingesetzt werden. Überall eben. Trotzdem ist die Hackcommunity auf den ersten Blick wenig divers. Der typische Hacker ist immer noch ein Mann aus der Mittelschicht. Genauso werden sie auch in den Medien porträtiert, tragen dabei meistens noch eine Sturmmaske oder einen Schnurrbart. Die meisten sind sich dessen gewahr, dass die Devise „Es ist egal wie du aussiehst, es kommt nur darauf an was du kannst“ nur bedingt dazu beiträgt, den Congress etwas bunter zu machen.

 

You know, I’ve always considered women to be people.

George R.R. Martin

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Bällebad!

Bereits im Vorfeld gab es Diskussionen über Geschlechtergerechtigkeit. Mindestens drei Personen, boten ein Extra-Ticket auf Twitter an, welches sie an eine Frau verschenken wollten. Alle drei bekamen teilweise wütendes Feedback, dass Frauen so bevorteilt würden. Gleichzeitig hatte aber meines Wissens keiner dieser Menschen die Idee gehabt, selbst ein zweites Ticket zu kaufen und an eine Person ihrer Wahl weiterzugeben – ob nun an einen Mann oder eine grünhaarige, vegane oder queere Person beliebigen Geschlechts.

Es ist aber garantiert nicht so, dass Feminismus kein Thema wäre auf dem Congress. Es waren auch bekannte Feministinnen unterwegs. Der Congress beschäftigt sich nun mal nicht primär mit Geschlechterthemen, trotzdem sind diese eben ein Teil davon geworden. Wer akute Probleme hatte konnte jederzeit ein Awarenessteam erreichen.

Außerdem gab es eine Debatte um Klos. Dabei sollte nun endlich die Geschlechtertrennung auf dem stillen Örtchen aufgehoben werden. Etwa die Hälfte der Männer- und Frauen-Toiletten wurden in Unisex-Toiletten umgewandelt. Es wurde dabei unterschieden, ob es sich um eines mit oder ohne Pissoir handelte – um peinlichen Momente für Menschen die nicht daran gewöhnt sind vorzubeugen. Allgemein wurde das sehr gut aufgenommen – so gut sogar, dass in einem Unisex-Klo eine bereits jetzt legendäre Party stattfand. Die Kabinen und der Vorraum wurde mit Fähnchen dekoriert, die Beleuchtung angepasst, Musik installiert und schon drangen tiefe Bässe aus dem kleinen Raum.

Die Herkunft eines Hackers ist prinzipiell egal. Wer 127.0.0.1 sein zu Hause nennen kann fühlt sich dort mit Sicherheit wohl. Die Keynote führte dieses Jahr dennoch zu Aufsehen, da diese von Fatuma Afrah, einer muslimischen Somalierin, gehalten wurde. Sofort kamen Tweets dazu, in welchen Aspekten sie dem stereotypen Hackerbild nicht entsprach, so dass ich mich fragte ob sie eventuell noch Linkshänderin ist, damit wirklich alle Randgruppen miteinbezogen werden. Es schlug aber vor allem ihr Talk Wellen – denn sie hatte Wichtiges zu sagen.

 

 

“I realised that what I really want to be, all told, is a human. Just a productive, honest, courteously treated human.”

Caitlin Moran

Gleichzeitig lief, traditionell üblich, eine Debatte auf Twitter über den Blogger Fefe, ab. Der polarisierende IT-Sicherheitsexperte ist vielleicht nicht jedermanns Sache, jedoch wurde häufig auch bemängelt, dass sich auf dem Congress ein großes Forum für ihn fände, weshalb der gesamte Congress verachtenswert sei. Diese Art von Sippenhaft ist eigentlich nur traurig für jene, die sie äußern. Der Congress ist ein Sinnbild davon, dass Menschen mit verschiedenen Auffassungen trotzdem höflich miteinander umgehen können. Ein Congress ist schließlich eine wunderbare Möglichkeit um sich auszutauschen – und das wäre langweilig wenn alle dieselbe Meinung hätten.

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Alle Systeme sind hackbar. Auch eine Toilette.

So fand sich dort unter anderem auch Platz für die Antifa, Aktivisten für Cyberpeace, Kaffee- und Teenerds, Furries (Menschen in Tierkostüme-Stramplern) sowie Anhänger des berüchtigten 4chan /b/, der ungenierteste Abschaum des Internets. Jeder kann dort seine Nische finden.

Wer noch keine Nische hatte, konnte auch auf ganz andere Arten auf dem Congress mit Menschen in Kontakt treten. So gab es für das congresseigene GSM-Netz ein Chat-Roulette für SMS. Ich probierte das gleich aus und fand die Idee wirklich klasse. Oder man konnte sich eine Memorykarte bei einem Spielestand abholen um dann auf dem Congress den Träger der passenden zweiten Karte zu finden. Gemeinsam gab es dann Schnaps zu trinken und man musste einen Fragebogen über sein unbekanntes Gegenüber ausfüllen.

Genauso konnte man aber auch so Leute treffen oder kennenlernen. Manchmal verabredete ich mich via Twitter, manchmal ganz spontan. Einmal wurde ich sogar gebeten, mit dem Patenkind eines Congressbesuchers über ein angestrebtes Biologiestudium zu reden. Da war ich natürlich stolz wie Oscar, dass man gerade auf mich zukam.

Was habe ich vergessen? Vieles, sicherlich. Der Congress ist riesig. Er ist ein bisschen wie zu Hause und gleichzeitig ganz anders. Als am Ende des letzten Tages die Dekoration, die Bühnen und die Beleuchtung abgebaut wurden, war es als würde man dem Gebäude sein Herz herausreißen. Die Stimmung war allgemein bedrückt. Menschen hielten sich zum Abschied lange im Arm, manche hatten sogar Tränen in den Augen, andere lagen lethargisch in der Ecke und wieder andere feierten bis zum nächsten Morgen.

Es klingt pathetisch, aber ich denke der Congress ist unheimlich wichtig für Hacker und andere computeraffine Menschen, um Menschen zu treffen die so sind wie sie. Die so denken wie sie. Die über die Tastatur hinausschauen und sehen, was mit dem Netz, mit der Vernetzung alles möglich ist. Im Guten wie im Schlechten. Auch wenn viele Warnungen ungehört und viele Möglichkeiten ungenutzt bleiben – es ist die Idee die weiterlebt. Über das ganze Jahr hinweg.

 

 

 

“Why do you go away? So that you can come back. So that you can see the place you came from with new eyes and extra colours.”

Terry Pratchett

 

Nachtrag: Weiteres empfehlenswertes Video: “Grundrechte gelten nicht im Weltall

 

 

 

*Natürlich konnte ich den Beitrag erst später ganz fertigstellen.

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Veröffentlicht von

zellmedien.de

Mein Name ist Anna Müllner, ich bin Biologin und habe in der Krebsforschung promoviert. Ich wohne im schönen Hessen und bin als PR-Beraterin für Gesundheitskommunikation tätig. Nach meinem Abitur beschloss ich Biologie zu studieren. Das tat ich zunächst an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, die weder in Bonn ist, noch am Rhein. Aber einer der drei Campusse liegt wirklich an der Sieg. Das letzte Jahr dieses Studiums verbrachte ich in Schottland, an der Robert-Gordon University of Aberdeen wo ich ein bisschen in die Biomedizin und die Forensik schnuppern durfte. Danach entschied ich mich für ein Masterstudium an der Universität Heidelberg in Molekularer Biotechnologie was ich mit der Promotion fortsetzte. Weitere Informationen und Möglichkeiten zu unterstützen finden Sie hier: https://linktr.ee/_adora_belle_

13 Kommentare

  1. Ihr Kommentatorenfreund hätte zu einigen Inhalten des WebLog-Artikels kritisch anzumerken, geht dies jetzt oder steht auch diesmal Zensur(ierung) an?

    MFG
    Dr. Webbaer

      • Werte Dr. Frau Müllner,
        Ist Ihre Nachricht nun so zu verstehen, dass diesmal von Ihrem Kommentatorenfreund, unmoderiert oder unzensuriert, Kritisch-Polemisches zum beschriebenen Treffen angemerkt werden darf?
        MFG
        Dr. W (der sich im Ja-Fall noch beizeiten bemühen wird)

  2. Liebe Anna,

    herzlichen Dank für diesen informativen, lustigen Bericht vom 32C3 – wenn jemand vor Ort war und davon berichtet, dann setzt das dem Anschauen diverser Talks auf dem Klapprechner doch nochmal ein kleines Krönchen auf 😉
    Zudem finde ich – habe bereits mehrere Deiner Artikel gelesen und finde, es ist an der Zeit, das einmal gebührend zu loben – dass Du einen großartigen Schreibstil hast. Deine Blog-Beiträge sind sehr gut recherchiert, Du glänzt mMn mit einem hervorragenden Wortschatz und gestaltest Deine Beiträge zudem überaus humorvoll. Keep up the good work, ich freu’ mich auf weitere Artikel von Dir!

    Werter Herr Dr.(!) Webbaer, your attention please: Zu Ihrem meist überlangen Mumpitz unter fast jedem Artikel, fällt mir nichts weiter ein als folgender Ratschlag: “Do not speak unless you can improve the silence.” Versuchen Sie es mal. Wirkt Wunder. Oder vielleicht zensieren Sie sich doch einfach mal selbst. Simple strategy: Das Geschriebene erst durchlesen – ich empfehle den triple check – und dann abschicken. Wirkt auch Wunder. Sinn und Zweck: Die SciLogs-Seite, auf der sich wissende, sehr kluge Menschen die Mühe machen, dem interessierten Leser einen Einblick in ihre Erfahrungen, in ihre Arbeit, in neueste wissenschaftliche Entdeckungen/Entwicklungen oder in sonstiges Spannendes zu bieten, könnte genau dann Platz sparen. Für konstruktive Kommentare.
    End. Of. Story.

    • @ Unequivocal :

      Ischt jedenfalls problematisch, wenn der Schreiber dieser Zeilen, der nette Webbaer, unter hiesiger Moderationsandrohung steht, ihm weitgehend un-substantiiert auch noch Vorhalte zu machen, finden’S net?

      MFG
      Dr. W (der die Anglizismen wohl bemerkt hat, nice! – ansonsten abär für einen möglichst freien Austausch wirbt)

  3. Beim c3 geht man gar nicht zu den Talks, die guckt man später auf Youtube.

    Teils teils, würd ich sagen. Manche Talks sollte man sich schon direkt live geben, insbesondere, wenn man die Chance bekommen möchte, direkt Fragen zu stellen.

    Youtube ist allerdings nicht unbedingt die optimale Quelle. Die Videos der Talks liegen mittlerweile meist bereits wenige Stunden, nachdem sie gehalten wurden, auf media.ccc.de bzw. auf dem dazugehörigen FTP-Server. Außerdem sind sie dort in unterschiedlichen Formaten und Qualitätsstufen erhältlich, von der reinen Audio-Aufzeichnung bis hin zum Video im HD-Format. Schließlich gibt es sie, was besonders netzschonend ist, auch als Torrents (hier habe ich allerdings gerade keine Quelle parat).

    Gruß, Frosch (die dieses Jahr leider nicht hin konnte)

  4. Toller Bericht! Ich hab vieles genauso empfunden. Was die Talks angeht, stimme ich dem Frosch zu.Und ganz generell: Don’t feed the trolls. 😀

  5. Vielen Dank für den stimmungsvollen Bericht, der ja auch deutlich macht, dass Onliner auch Offline-Bedürfnisse (wie z.B. Nähe) haben. Blognachbarliche Grüße!

  6. Vielen Dank für den Bericht aus Deiner Sicht. Ich schaue mir zwischen den Feiertagen und danach die Beiträge meist live vom heimischen Rechner aus an und mache währenddessen unliebsame Dinge die liegen geblieben sind (Steuer, Rechnungen schreiben, …). Lass uns doch 2016 gemeinsam hoch fahren. Ich hatte bisher nämlich immer irgend welche Ausreden um nicht hin zu gehen 🙂

  7. Vielen Dank für die zutreffende Berichterstattung. So kann ich das unterschreiben. Aber ich freue mich nach der Abreise schon auf den nächsten Congress. Und dann heisst es: “Ahhh.. endlich normale Menschen!”.
    Und guckt euch “Methodisch inkorrekt” an… awesome, wie so viele Talks.
    *winke* und liebe Grüsse

  8. @HDValentin Vll. könnt ihr was in eurer Gegend Gruppen organisieren oder man guckt im Hackerspace in Deiner Nähe vorbei und organisiert was. Gruppentarife mit der Bahn als Fruehbucher ist guenstiger. Wir haben in NRW die chaos-west Vereinigung aus Hackerspaces gegruendet und waren nun den zweiten Congress mit “Mann und Maus” vor Ort… http://gallery.ctdo.de/main.php?g2_itemId=4866 (Bilder vom 31c3)

  9. Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen… (heisst es) und den Hacker also als modernen Sisyphos? Wohl nicht, denn der Hacker muss nichts. Er darf. Auch Verbotenes darf er. Ziemlich genau das Gegenteil des Sisyphos.
    Das Bild vom Hacker als Sisyphos könnte besser passen, wenn man die Hacker als Warner (Kassandras?) sieht, denn warnen ist ja auch eine (undankbare) Siyphus-Arbeit.

    Der Satz Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen. stammt aber von Albert Camus, dem Existentialisten. Er meint damit das Wälzen eines Steines kann einen Menschen so sehr beschäftigen, dass er seine Existenzerfüllung darin findet.