David gegen Goliath – ein Weltrekord, der im Sylvesterknallen unterging

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Notizen über alles und nichts, von Günter M. Ziegler
MATHEMATIK IM ALLTAG

Ein bemerkenswerter Weltrekord ist vermutlich im Champagnerkorkenknallen für das Jahr 2010 = 2 * 3 * 5 * 67 untergegangen: Am letzten Tag des Jahres 2009 = 7 * 7 * 41 hat der französische Programmierer Fabrice Bellard die Berechnung der Kreiszahl π auf sagenhafte 2.699.999.990.000 Nachkommastellen bekanntgegeben. Das sind fast 2,7 Billionen Stellen, und damit 123 Milliarden mehr als bisherige Rekord.

© Mario Heinemann/http://www.PIXELIO.de
Abbildung: © Mario Heinemann/http://www.PIXELIO.de

Die Mathematiker lieben solche Rekordjagden. Auch wenn keiner die vielen Dezimalstellen von π wirklich braucht (schon das Vorlesen des Ergebnisses mit einer Stelle pro Sekunde würde rund 85.500 Jahre brauchen – und die ersten 40 Stellen π = 3,141592653589793238462643383279502884197 reichen aus, um den Umfang eines Kreises von der Größe des beobachtbaren Universums auf einen Atomkerndurchmesser genau zu berechnen): hohe Berge werden bestiegen, weil sie da sind. Und genauso stellen die mathematischen Grundkonstanten, und ganz besonders die Kreiszahl π, eine Herausforderung, der kaum einer widerstehen kann. Die Extremlangzahlarithmetik ist eben eine Extremsportart. Fast ohne Doping.

Und es gibt ja gute Gründe, solche Sportarten zu pflegen. An den Rekorden in der Berechnung von π lässt sich der Fortschritt der Mathematik ablesen – und seit mehr als 60 Jahren auch der Fortschritt der Computer. So haben John von Neumann und Kollegen den ENIAC damit gequält. Und auch heute noch werden solche Extremrechnungen verwendet, um Computer auf ihre Zuverlässigkeit zu testen.

Sehr lange, bemerkenswert lange, hielt sich der π-Weltrekord vom November 2002 auf der internationalen Rekordliste: der Japaner Yasumasa Kanada und sein Team hatten auf einem Hitachi-Supercomputer  SR8000/MPP mit 144 Prozessoren und mehr als 600 Stunden Rechenzeit die ersten 1.241.100.000.000 (also mehr als 1,24 Billionen) Stellen berechnet. Der Rekord hielt bis 17. August 2009 – er wurde wieder in Japan gebrochen: Professor Daisuke Takahashi verwendete einen Supercomputer an seiner Universität in Tsukuba (nordöstlich von Tokyo), der eine Spitzenleistung von 95 Billionen Gleitkommaoperationen (Teraflops) in der Sekunde erreichte, für eine Rechnung, die dann immer noch 73 Stunden und 36 Minuten brauchte – für die Berechnung von 2,577 Billionen Dezimalstellen und ihre Überprüfung.

Der Weltrekord hielt ganze 136 Tage – bis eben am 31. Dezember Fabrice Bellard sein Ergebnis verkündete. Und damit die Japaner wohl ziemlich düpierte. Denn Bellard verwendete keinen der superteuren japanischen Supercomputer, sondern einen einzigen PC für weniger als 2000 Euro. Er verwendete also bessere Mathematik (eine Formel, die die Chudnovsky-Brüder 1987 gefunden haben), und hat sicher auch hervorragend programmiert. Seine Rechnung inclusive Verifikation dauerte insgesamt 131 Tage. Er muss also nach der japanischen Erfolgsmeldung sofort losgerechnet haben….

Veröffentlicht von

Professor für Mathematik an der Freien Universität Berlin, Leiter des “Medienbüros” der Deutschen Mathematiker-Vereinigung, Aktivist, Kommunikator, Sekttrinker, Gelegenheitsblogger, Kolumnist und Buch-Autor: "Darf ich Zahlen?" und "Mathematik - Das ist doch keine Kunst!".

4 Kommentare

  1. Häufigkeit der Ziffern

    Kommen die Ziffern 0 bis 9 gleichmässig vor, mit einer Häufigkeit, die einer zufälligen Auswahl entsprechen würde ?

    Gibt es irgendwelche Ziffernfolgen, deren Häufigkeit signifikant von einer zu erwartenden Zufallswahrscheinlichkeit abweichen ?

  2. Re: Bezeichnung großer Zahlen

    — danke für den Hinweis: ja, da bin ich auch auf die Übersetzungsfalle reingefallen. Korrigiere das gleich im Text… (“billion” englisch = “Milliarde” deutsch, etc.)

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