Das ITVA Altlastensymposium 2015 in Bochum #3 – Grundwassersanierung, Kampfmittelräumung und Flächenrecycling

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Mit Verstand und Hammer die Erde erkunden
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Dritter Teil meiner Nachlese zum ITVA Altlastensymposium 2015 in Bochum (der erste und der zweite finden sich hier).
Eigentlich kennt ja jeder das Prinzip, das uns Bernd Kopp von der HPC AG und Dr. Frank Tidden von der BAUER Umwelt GmbH vorstellten. Zumindest, wenn er ein Aquarium besitzt. Das Wasser wird angesaugt und fließt, solange der Auslauf unterhalb des Ausgangswasserpegels liegt.

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Bernd Kopp von der HPC AG, Freiburg. Eigenes Foto.

 

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Dr. Frank Tidden, Bauer Umwelt GmbH, Schrobenhausen. Eigenes Foto.

 

Das Ganze kann man aber auch zur Sanierung eines LHKW-Grundwasserschadens benutzen. Der Vorteil dabei ist, dass es bis auf das initiale Ansaugen ohne den Einsatz von Pumpen auskommt. Die Voraussetzung dafür ist, dass ein genügend großes Grundwassergefälle vorliegt. In den vorgestellten Fall reichte dafür ein Gefälle von 7 %. Das Gelände liegt an einem Hang mit der Grundwasserfließrichtung senkrecht zum Hang. Die Drainage zum sammeln der aus dem Schaden abfließenden belasteten Wässer konnte hangparallel am Rand der angrenzenden Straße errichtet werden. Die Anlage ist mit einem maximalen Durchsatz vom 8 m³/h ausgelegt. Das belastete Grundwasser wird über zwei in Reihe geschaltete Aktivkohlefilter von jeweils 5 m³ Volumen gereinigt. Sobald die Leitungen vollständig befüllt sind, startet der passive Betrieb der Anlage. An mehreren stellen sind Entlüftungsbehälter installiert, in denen aus dem Grundwasser austretende Gase aufgefangen und von einer Vakuumpumpe abgesaugt werden können. Diese Gase werden ebenfalls über Aktivkohle gereinigt. Es sind keine weiteren Pumpen im Dauerbetrieb nötig. Dies sollte gegenüber den klassischen Pump-and-Treat-Verfahren deutlich Energie, Betriebskosten und auch CO2 einsparen.

Im Betrieb hat sich gezeigt, dass der Heber ohne Ausfälle betrieben werden kann. Bei niedrigen Grundwasserständen ist ein automatisches verschließen und öffnen der einzelnen angeschlossenen Sammler problemlos möglich, ohne einen Druckverlust im System zu bewirken. Die ständig anfallenden Gase werden durch die Vakuumpumpe abgesaugt und anschließend gereinigt. Über die anfallenden Kosten der ganzen Aktion gibt es noch keine vollständige Übersicht. Die Energiekosten für den Betrieb der Vakuumpumpe zur Zwangsentlüftungskosten (und das dürfte sicher der entscheidende Teil für viele Kommunen sein) für das Jahr 2014 liegen unter 10% der für konventionelle Pump-and-Treat-Verfahren prognostizierten Summen.

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Dr. Rita Bettmann, AAV – Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung, Hattingen. Eigenes Foto.

Die Industrialisierung in Deutschland ist ja schon eine etwas längere Geschichte. Und so manches Quartier in unseren Städten hatte im laufe dieser Zeit auch schon anderen Zwecken gedient. Oft wurde oberflächlich alles zurückgebaut, aber wie sieht es unter der Erdoberfläche aus. Dr. Rita Bettmann vom AAV – Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung brachte ein schönes Beispiel aus Hamm. Hier wurde der Standort eines ehemaligen Gaswerks saniert. Dieser Standort liegt heute zentral in der Innenstadt von Hamm, mit mehrstöckigen Wohn- und Geschäftshäusern in der unmittelbaren Umgebung. Eigentlich deutet nichts darauf hin, dass ausgerechnet hier in den Jahren 1858 bis 1914 ein Gaswerk bestand, in dem Stadtgas aus Steinkohle gewonnen wurde. Das bei dem Prozess anfallende Teeröl wurde in Ringbehältern auf dem Grundstück gesammelt. Nach dem Abbruch des Gaswerks wurde auf dem Gelände ein städtisches Schwimmbad errichtet, welches 1940 zerstört wurde. Anfang der 1950´er Jahre wurde das Stadtbad erneut auf dem Gelände gebaut, ebenso wie eine Feuerwache und ein Elektrizitätswerk. Alle diese Gebäude wurden in den Jahren 1990 bis 2000 aufgegeben, das Gelände begann zunehmend zu verwahrlosen. Pläne, das Grundstück zu vermarkten scheiterten an der Altlastenproblematik, denn Untersuchungen hatten flächendeckende und tiefgreifende Bodenverunreinigungen mit PAK, BTX und Cyaniden aus der zeit des Gaswerksbetriebes aufgezeigt.

Als besondere Herausforderung bei der Sanierung von diesem Innenstadtgrundstück lag direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite ein neunstöckiges Hotel- und Bürogebäude. Dies stellte ganz besondere Anforderungen an den Lärm- und Emmisionsschutz der Arbeiten. Die Anwohner wurden durch umfangreiche Presseberichte und Bürgerinformationstermine informiert.
Insgesamt wurden 5500 t an Abbruchmasse und kontaminiertem Bauschutt fachgerecht entsorgt, ebenso wie 12 000 t verunreinigter Bodenaushub. Als kleine Zugabe konnten während der Rückbau- und Sanierungsarbeiten einige 100 t an Metallen und anderen Wertstoffen zurückgewonnen werden. Mittlerweile wurden auf den ehemaligen Gaswerksgelände Wohnhäuser mit 85 Wohnungen errichtet.

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Karsten Heine, Oberfinanzdirektion Niedersachsen. Eigenes Foto.

 

Der nächste Block galt der Kampfmittelerkundung und – räumung. Als erstes stellte Karsten Heine von der Oberfinanzdirektion Niedersachsen die Frage, ob Kampfmittelräumung eine Bauleistung ist. Ist die Leistung zur Sondierung und Räumung von Kampfmitteln also dem Leistungs- und Preiswettbewerb nach der Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) zu unterstellen und damit als Bauleistung auszuschreiben? Hier ging es hauptsächlich um das Verhältnis Auftraggeber – Auftragnehmer und die entsprechenden Leistungsvereinbarungen.

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Jürgen Sebald, BG Bau (li) und Martin Kötter, IFAH GbR, Garbsen (re). Eigenes Foto.

Martin Kötter von der IFAH GbR, Garbsen und Jürgen Sebald von der BG Bauwirtschaft berichteten über den Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Kampfmittelräumung und über die überarbeitete BGI 833 bzw. DGUV-I-201-027, wie sie seit Mai 2014 heißt. Die Schwerpunkte der Überarbeitung sind unter anderem das Räumkonzept, der Arbeits und Sicherheitsplan und die Gefährdungsbeurteilung und deren Inhalte und Methodik.Präzisierungen zum Thema Baubegleitende Kampfmittelräumung und die Anforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz, z.B die Ausrüstung der Baumaschinen bei der Kampfmittelräumung.
Der nächste Vortrag von Ken Straubhaar von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben behandelte die Kampfmittelrisiken bei der Umwidmung ehemaliger militärisch genutzter Flächen. Der Bund als Eigentümer von ehemals militärisch genutzten Liegenschaften, die umgewidmet werden sollen. Das macht die Beseitigung von vorhandenen Kampfmittelrisiken unabdingbar.

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Ken Straubhaar, Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Berlin. Eigenes Foto.

 

Stichwort Flächenrecycling. Durch den Strukturwandel im Laufe der Jahrzehnte hat das Ruhrgebiet da aus der Not eine Tugend gemacht. Jüngstes Beispiel sind hier die Flächen der ehemaligen OPEL-Fabriken, wie uns Rolf Heyer von der Entwicklungsgesellschaft Ruhr Bochum aufzeigte. Sie sind ja bereits mehrfach Zeugen eines Strukturwandels gewesen. Immerhin war hier ja nicht seit Anbeginn der Zeiten Industrie angesiedelt. Zuerst waren es landwirtschaftlich genutzte Flächen, die im Zuge der Industrialisierung und des beginnenden Bergbaus in Zechengelände umgewandelt wurden. Als sich der Bergbau hier immer weniger lohnte, wurde auf dem Grund der Zechen Dannenbaum und Bruchstraße 1961 ein Werk der Automarke OPEL angesiedelt. Mit dem Ende der Automobilproduktion an diesem Standort 2014 steht ein erneuter Wandel bevor. Und es sieht so aus, als wenn Bochum hier wieder glücken könnte, was bereits mit dem ehemaligen Nokia-Gelände geschafft wurde (Nokia, das waren zu meiner Zeit, also in den letzten Jahren des letzten Jahrtausends das, was heute i-Phones sind. Nur falls in unserer schnelllebigen zeit das schon vergessen wurde). Heute finden auf dem Gelände bereits wieder 2300 Menschen Arbeit.

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Prof. Dr. Rolf Heyer, Entwicklungsgesellschaft Ruhr-Bochum mbH, Bochum. Eigenes Foto.

Manchmal kann es beim Flächenrecycling auch zu seltsamen Konflikten kommen. Seltsam in der Art, dass eine Sanierung von Altlasten zumindest vordergründig im Widerstreit mit den Interessen des Naturschutzes stehen kann. Ich hatte im letzten Jahr bereits einige Beispiele dafür vorgeführt bekommen (und auch verbloggt). Beatriy Haglauer-Ruppel vom AAV – Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung brachte ebenfalls ein sehr schönes Beispiel, und zeigte gleichzeitig auch einen sehr guten Weg auf, wie die vermeintlichen Konflikte zu lösen wären.

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Dr. Beatrix Haglauer-Ruppel, AAV – Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung, Hattingen. Eigenes Foto.

Dabei würde man auf den ersten Blick so ein typisches Sanierungsprojekt nicht gerade als idealen Lebensraum erkennen. Im Gegenteil. Die typische Industriebrache weist häufig einen hohen Anteil ehemals versiegelter Flächen auf, sehr häufig noch mit den Resten der alten Bausubstanz. Selbst die Freiflächen sind stark anthropogen überprägt. Das heißt, die Böden sind teilweise extrem verdichtet, die Böden weisen oft auch einen vergleichsweise hohen Anteil Schlacken, Aschen und/oder Bauschutt auf. Zudem finden sich auch hohe Schadstoffgehalte und extreme pH-Werte. Aber auch wenn dies auf der ersten Blick vielleicht nicht so aussieht, derart extreme Standorte stellen für spezialisierte arten fast ideale Lebensräume dar, die zudem auch noch sehr selten zu finden sind.

Außerdem weist gerade die frühe Sukzessionsphase die höchste Artenvielfalt auf. Brachflächen im Alter von 4 bis 13 Jahren weisen die meisten Pflanzenarten auf. Dazu kommen dann noch die entsprechenden Tierarten, zu denen auch seltene und geschützte Arten wie Kreuzkröte, Flussregenpfeifer oder die Blauflügelige Ödlandschrecke gehören. Sogar teilversiegelte Standorte dienen zum Beispiel der Feldspitzmaus oder der Mauereidechse als Lebensraum.
Die oft dringend notwendige Sanierung sollte an den Interessen des Naturschutzes nicht scheitern. Denn die Altlasten stellen ja auch eine bedeutende Gefahr für Mensch und Umwelt dar. Das erste Gebot dürfte Kommunikation lauten, denn so werden Konflikte bereits im Vorfeld erkannt. Und erkannte Konflikte sollten sich auch lösen lassen, wenn ein zu enger Zeitplan nicht der Problemlösung entgegen steht. Eine frühzeitige Abstimmung mit allen Beteiligten wie zum Beispiel Behörden, Grundstückseigentümern ist also enorm wichtig. Der Bodenschutz und Naturschutz sowie die Ökologie sollten gleichwertig sein und sich nicht gegenseitig verhindern. Die genaue Dokumentation des Meinungsbildungsprozesses sollte exakt dokumentiert werden, damit das ganze Projekt nicht zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt zum Beispiel durch eine Klage gestoppt wird. Immerhin ist eine stehende Baustelle deutlich kostenintensiver als die ganze Abstimmung vorher je sein könnte.

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Antje Wunderlich, Hochschule Neubrandenburg. Eigenes Foto.

Der Zeitplan sollte nicht zu eng gesteckt sein. Wenn im Vorfeld alle relevanten Arten erfasst und kartiert werden müssen, kann das ohne Probleme eine ganze Vegetationsperiode in Anspruch nehmen. Die Information der Öffentlichkeit ist sehr wichtig, damit alle die Notwendigkeit der einzelnen Maßnahmen erkennen können. Es ist oft erstaunlich, wie sehr Bürger zum Beispiel bereit sind, Beeinträchtigungen zu ertragen, wenn sie um deren Unvermeidlichkeit und deren Nutzen auch wissen.

Eines der drängendsten Probleme ist der Flächenverbrauch. Mit dem Wort „Flächenverbrauch” wird die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlung und Verkehr bezeichnet. Und die von diesen menschlichen Aktivitäten „verbrauchte“ Fläche wächst pro Jahr (im Zeitraum 2009-2012) um 74 ha pro pro Tag. Auf 4 Jahre bezogen wäre das eine Fläche so groß wie Berlin und Stuttgart zusammen. Bei begrenztem Raum kann das so natürlich nicht weitergehen. Daher hat die Bundesregierung bereits 2002 als Zielvorgabe angegeben, diesen Verbrauch auf 30 ha pro Tag zu reduzieren. Daher muss das Recycling, also die Wiedernutzbar-Machung alter, möglicherweise belasteter Brachflächen sicher ausgebaut werden. Auf der anderen Seite stellen diese Brachflächen auch im Sinne des Naturschutzes wertvolle Ruderalflächen dar. Dieses Spannungsfeld zwischen Flächenrecycling und Umweltschutz war auch im Letzten Jahr Thema auf dem Altlastensymposium. Wie aber kann man die Neuausweisung von Bauflächen reduzieren und gleichzeitig das Flächenrecycling forcieren? Antje Wunderlich von der Hochschule Neubrandenburg brachte einen neuen Gedanken in diese Diskussion mit ein. Ihre Idee setzt am Ersatzgeld an, dass bisher eher eine untergeordnete Rolle, quasi als Ablass spielt. Denn an erster Stelle steht die Vermeidung an erster Stelle, und wenn das nicht geht der Ausgleich und Ersatz. Erst wenn auch das nicht möglich ist folgt das Ersatzgeld. Würde nun das Ersatzgeld in der Entscheidungskaskade quasi hoch rutschen und zwischen Vermeidung und Ausgleich stehen würde. Dann könnte das Ersatzgeld für unvermeidbare Eingriffe Ausgleich an anderen Stellen finanzieren, wo er Einfluss auf Standortentscheidungen haben könnte. Dieses Geld würde funktionalisiert für Ausgleichsmaßnahmen, die anders nicht finanziert würden.
So fallen durch Altlasten, Abbruch- und Entsiegelungsmaßnahmen beim Flächenrecycling oft vergleichsweise hohe Kosten an, die einer Wiederverwertung der betreffenden Flächen entgegenstehen und die einen Neuausweiseung bislang unbebauter Flächen kostengünstiger werden lassen. Diesen Negativbetrag könnte man durch einen Kostenzuschuss auffangen, und das hierfür notwendige Geld könnte aus den Ersatzgeldzahlungen für unvermeidbare Eingriffe an anderer Stelle genommen werden. Das Ziel muss sein, Bauen auf der grünen Wiese zu verteuern und parallel dazu das Bauen auf Brachflächen günstiger werden zu lassen. Ich persönlich halte den Ansatz zumindest Wert, überdacht zu werden. Im Vergleich zu dem im letzten Jahr vorstellten Zertifikatshandel hat dies einen Vorteil: Der Zertifikatshandel geht prinzipiell von der Neuversiegelung von Flächen aus, sie ist die Basis des Handels mit den Flächenzertifikaten. In der Bundesrepublik stehen rund 120 000 ha Brachflächen zur Verfügung, was bei herkömmlicher Bebauung vermutlich für ca. 5 Jahre ausreichen dürfte.

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Dr. Bernd Sures, Universität Duisburg-Essen, Essen. Eigenes Foto.

Um nachhaltiges Landmanagement ging es auch bei Bernd Sures von der Universität Duisburg-Essen. Er stellte uns das interdisziplinäre Forschungsvorhaben „Nachhaltige urbane Kulturlandschaft in der Metropole Ruhr“ (KuLaRuhr) vor. Die Umnutzung der ehemaligen Bergbau und Industrieflächen stellt die Region vor große Herausforderungen. Gleichzeitig soll die Lebensqualität und die Attraktivität der Region gesteigert werden.

 

Ich fand die Tagung wieder sehr interessant. Sie gibt eine gute Gelegenheit, in die aktuelle Praxis der Sanierung von Boden und Grundwasser hineinzuschauen. Die angesprochenen Beispiele zeigen, auf welche Probleme man dabei stoßen kann, und welche Lösungsansätze erfolgversprechend sind. Ich werde auf jeden Fall versuchen, im nächsten Jahr in Dresden wieder mit dabei zu sein.

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Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

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