Ich war einst ein Wikinger

BLOG: Mente et Malleo

Mit Verstand und Hammer die Erde erkunden
Mente et Malleo

Das Internet vergisst nie. Das mag manchmal trivial, manchmal ärgerlich sein. Dabei ist es vermutlich egal, ob wir Google und andere Suchmaschinen zum Löschen von Einträgen auffordern, oder es bleiben lassen. Aber die Merkfähigkeit des Netzes soll hier nicht das Thema sein, ich schweife ab. Oder auch nicht. Denn unter den diversen Dingen, die das Netz über uns und unsere Vergangenheit zu berichten weiß, sind manchmal auch verstaubte Perlen der eigenen Vergangenheit, um die uns unser eigenes fehlerhaftes Gedächtnis längst betrogen hat. Und damit versuche ich den Schwenk zurück zu dem Thema, das ich hier eigentlich ansprechen wollte. Ich war neulich durch Zufall auf eine sehr alte Geschichte gestoßen, aus dem letzten Jahrtausend. Damals, als blondgelockter Jüngling, schloss ich mich Wikingern an.

Ratatoskr
Die Ratatoskr 1989 unter Segeln auf der Elbe. Es war keine hochwertige Kamera und es wurde einhändig von Bord einer Jolle fotografiert. Da holt auch der Scanner nichts mehr heraus. Eigenes Foto, CC-Lizenz

Nun haben sicher viele das übliche Bild von wilden, muskelbepackten, bärtigen und blutrünstigen Barbaren im Kopf. Nicht dass die Wikinger auch Geschäftsreisende in Sachen Raub und Plünderung waren und eine frühe Form des europäischen Finanzausgleiches eingeführt hatten. Aber sie waren eben auch hervorragende  Seeleute, Handwerker und Kaufleute.Und natürlich Schiffbauer. Darum findet auch 10.09.2014 bis 04.01.2015 im Martin-Gropius Bau in Berlin die Ausstellung über die Wikinger statt.

In meiner Nachbarschaft gab es damals einen Lehrer, der zusammen mit einigen Schülern einen Nachbau eines der kleineren Boote des Gokstadschiffes betrieb. Die Ratatoskr war knappe 10 m lang und hatte nur Platz für 6 Ruderer (wenn mich meine Erinnerung nicht vollkommen trübt). Und anlässlich des 800. Hafengeburtstages 1989 sollte dieser Nachbau in Hamburg Flagge zeigen. Das war natürlich eine gute Gelegenheit, mich mit einem Produkt des Bootsbaus aus dem späten 20. Jahrhundert mal mit Wikingern zu messen. Wie vermessen! Wir hatten uns das so schön ausgedacht. Vor Schweinesand (einer Elbinsel) den Nordmännern aufzulauern. Es war ein etwas ungleicher Kampf. Eine moderne Jolle vom Typ Zugvogel ist mit ihren 5,80 m kein ernsthafter Gegner für ein knapp 10 Meter langes Wikingerboot. Zumindest nicht, solange man nicht kreuzen muss. Am Wind haben wir also de letzten 1000 Jahre durchaus einigen Fortschritt erzielen können.

Ratatoskr
Die Ratatoskr im Mühlenberger Yachthafen 1989. Von hier aus sollte es durch den Hamburger Hafen auf die Alster gehen. Eigenes Foto, CC-Lizenz

Einige Tage später ergab sich die Gelegenheit, das Boot von der Elbe auf die Alster zu überführen. Nun ist die Elbe und speziell der Hamburger Hafen nicht unbedingt ein Ententeich und die Ratatoskr nicht gerade klein. Dennoch ließ sie sich mit nur 6 Ruderern leicht durch die Wellen dirigieren, sie erwies sich als gut zu manövrieren und schnitt klaglos auch durch größere Wellen. Sie bzw. ihr Original war sicher kein hochseetaugliches Boot, dafür war es wohl zu klein. Und als Arbeitsboot war sie eigentlich zu zierlich konstruiert. Das große Gokstadboot hingegen hat a es als Kopie 1893 immerhin über den Atlantik geschafft.

Aber zumindest auf Flüssen und in Fjorden scheint mir die Konstruktion voll einsatztauglich gewesen zu sein, auch wenn mir der Nutzen nicht ganz klar ist. Mit knapp 10 m Länge und nur 6 Ruderplätzen war es wohl kaum ein Kriegsschiff. Möglich erscheint mir eventuell Repräsentations- und Kurierdienst.

Ratatoskr
Unter Rudern auf der Alster im Jahr 1989. Eigenes Foto, CC-Lizenz.

Wie war ich noch gleich auf das Thema gekommen? Ach ja, die Merkfähigkeit des Internets. Ich hatte mich neulich, anlässlich der Berichte über die Berliner Wikingerausstellung gefragt, was eigentlich aus der Ratatoskr geworden ist. Einige Jahre verbrachte sie auf dem Haddebyer Noor bei Schleswig vor dem Wikingermuseum Haithabu, aber irgendwann verschwand sie aus meinem Radarbereich. Laut der Webseite der damaligen Betreiber ist sie seit 1995 im Wallmuseum Oldenburg in Holstein zu sehen, wo sie zusammen mit der Replik eines slawischen Bootes, der Starigard ausgestellt ist. Und da fand sich doch noch eine alte Geschichte, wie wir die Ratatoskr aus dem Haddebyer Noor holten, um sie auf einen Trailer zu verladen. Das dürfte vor 1000 Jahren sicher einfacher gewesen sein.

Avatar-Foto

Gunnar Ries studierte in Hamburg Mineralogie und promovierte dort am Geologisch-Paläontologischen Institut und Museum über das Verwitterungsverhalten ostafrikanischer Karbonatite. Er arbeitet bei der CRB Analyse Service GmbH in Hardegsen. Hier geäußerte Meinungen sind meine eigenen

Schreibe einen Kommentar