Die zwei putzigen Engel – und das ganze Bild

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Während der Glauben an eine Gottheit – die zwar liebt, aber auch fordert – in Gesellschaften mit hoher existentieller Sicherheit eher schwindet (“Not lehrt beten”), erfreut sich der Glauben an Engel und insbesondere Schutzengel auch in Deutschland hoher, tendenziell sogar wachsender Beliebtheit!

Hier kommt einerseits die weiter zunehmende Bereitschaft zu individuellen Formen der Religiosität zum Tragen, wie ich sie zuletzt auch am Beispiel der Einhornglaubensbewegung schildern konnte. Interessant ist aber auch, wie sich alltags- und populärkulturelle Wahrnehmungs- und Wissensformen verändern.

So kennen sicher die meisten von Ihnen das folgende Motiv der zwei putzigen Engel z.B. auf Postkarten, Tassen oder auch Bildschirmschonern.

ZweiputzigeEngel

Wissen Sie jedoch auch, aus welchem Gemälde diese nachdenklichen Engel stammen?

 

Wenn nicht, sind Sie in bester Gesellschaft: Nur wenigen ist bisher bekannt, dass es sich bei den beiden Nachdenklichen um ein Detail von Raffaels „Sixtinischer Madonna“ von 1512 handelt – einem für sich bedeutenden Kunstwerk, das seit 1754 in Dresden zu bewundern ist. Zumindest in diesem Gemälde wurden die niedlichen Engel prominenter als Maria mit dem kleinen Jesus, zu deren Füssen die Geflügelten gemalt wurden!

MadonnaRaffaelDresden

Dieser buchstäbliche “Bildausschnitt”, bei dem die eigentlich auch religiösen Zentralfiguren zugunsten zweier geflügelter “Nebendarsteller” ausgeblendet wurden, ist ein schöner und bedenkenswerter Beleg für die Verschiebungen von Seh-, Wissens- und auch Glaubensgewohnheiten in unserer eigenen Gesellschaft. Engel sind klar “am Kommen”, zumal ihre technologischen Geschwister (UFOs & Aliens, nach C.G. Jung “Engel in Raumanzügen”) derzeit eher an Popularität verlieren.

Dieser Blogpost enthielt Bild- und Textauszüge aus dem sciebook “Engelkunde”, erhältlich als eBook und Taschenbuch.

Engelkunde, sciebooks.de 2013
Credit: sciebooks.de “Engelkunde”

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

6 Kommentare

  1. Not lehrt beten, weil man etwas haben will.
    Wohlstand lehrt fürchten, weil man etwas nicht verlieren will.
    In der modernen Welt gibt es eine Menge an Risikofaktoren.
    Zum Beispiel benötigt man ziemlich viele Schutzengel, wenn
    man bei einer guaranteed mutual destruction mit einem Overkill
    von rund 40000 Nuklearwaffen dennoch am Leben bleibt.
    Ein historisches Bild mit Schutzengel:
    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4e/Guardian_Angel_1900.jpg

    • Oh ja, @Karl Bednarik – auch die moderne, hochtechnologisierte Gesellschaft bringt neue Formen der Verunsicherung hervor: Man denke an die Angst vor Atomkriegen, Technik- und Verkehrsunfällen sowie Terror, vor ökologischen Katastrophen (Waldsterben, Klimawandel etc.) und vor industriell gefertigten “schädlichen” Lebensmitteln. Und umso weniger Kinder die Leute hatten und haben, umso kostbarer erschien ihnen das Leben jedes Einzelnen.

      Die anhaltende, teilweise sogar zunehmende Popularität von (Schutz-)Engeln erscheint vor diesen Hintergründen schlüssig.

  2. Es gibt viele Engeln und Putten in der Kunst. Warum sind gerade diese beiden so populär geworden? Nun ja, dahinter steht einerseits natürlich auch eine Marketing-Kampagne der Gemäldegalerie Dresden.

    Aber das ist nicht die eigentliche Ursache für ihre Beliebtheit. Diese beiden Putten unterscheiden sich von den meisten anderen, weil sie wie Kleinkinder aussehen, die sich wie etwas gelangweilte Kinder benehmen, die die Gespräche der Erwachsenen nicht richtig verstehen. Man kann sicherlich auch andere Assoziationen zu diesen Putten haben, aber ihr Verhalten wirkt sehr menschlich, nicht engelhaft.
    Vielleicht hat Rafael eine ähnliche Szene in der Realität beobachtet und wurde so zu dieser ungewöhnlichen Szene angeregt.

    • Kindlich-knuddelige Putten auch mit ironischen Untertönen (z.B. als “Honigschlecker”) finden wir im Barock sehr häufig. Und doch ist hier etwas Besonderes gelungen, auch in der Isolierbarkeit und Farbwahl. Sehnsucht-Engel, Kindlichkeit und Ironie sind hier zu einer Form verschmolzen, die den modernen Menschen anspricht – und sich dabei buchstäblich aus den Zusammenhängen löste…

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