Eine Rezension zu den Haredim, die ich online stellen musste

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Heute fand ich gleich zwei mal Post zum (als eBook und Taschenbuch neu erschienenen) Buch “Die Haredim”. Einmal wurde auf einen Bericht auf ntv hingewiesen, nachdem im Bundeskanzleramt ein Rabbiner der extrem anti-isralischen Neturei Karta-Gruppe empfangen worden sei. Und zum zweiten übersandte mir eine liebe Leserin eine Rezension, die sie direkt nach der Lektüre des Taschenbuches verfasst hatte – und schrieb dazu:

Bitte, Herr Blume, da ich nicht sehr vertraut bin damit, wie man eine Rezension ins Internet stellt – habe das noch nie gemacht – wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir erklären, was ich machen muss. Oder könnten Sie meinen Text zum Buch bringen bei Amazon? Ich habe die paar Rezensionen gelesen, die bei Ihrem Buch stehen, aber ich weiß nicht, wie ich selbst einen Text hineinbringen kann. Und eigentlich möchte ich auch meinen vollen Namen nicht dabei haben, lieber nur ASP. Ich halte mich am liebsten heraus aus allen Stellen, wo ich registriert werden könnte, bin nicht so ein Fan von digitalen Aktivitäten, nichts für ungut.

Tja, was nun damit tun?

Für mich als Autor sind Rückmeldungen – und das sind Rezensionen – außerordentlich wichtig. Oft schicken einem die Verlage Zusammenstellungen von Rezensionen, die z.B. in Fachzeitschriften über die eigenen Werke erschienen sind. Aber durch das Internet besteht auch die Chance für Leserinnen und Leser, ihre Einschätzungen, Anregungen, Lob und Kritik (usw.) direkter denn je zur Verfügung zu stellen. Das ist, finde ich, super, denn so entsteht eine viel intensivere Möglichkeit des Wahrnehmens und (z.B. über Facebook oder eben diesen Blog) auch Austausches zwischen Schreibenden und Lesenden, als es sie je in der Geschichte gegeben hat. Selbst Leserbriefe kommen via eMail heute sehr viel häufiger und direkter rein als jemals zuvor, Schülerinnen und Schüler vor den Abitursprüfungen, Studierende usw. reichen aber öfter auch Fragen (zuletzt z.B. zu den Amish) ein. Klar “kostet” das alles Zeit und Arbeit, aber ich tue es gerne und lerne auch selbst jede Menge dabei.

Nun also hatte die o.g. Dame namens “ASP” die Rezension aber nirgendwo eingestellt, sondern direkt mir übersandt – mit der Bitte, sie online zu stellen. Einen amazon-(Fake-)Account anzulegen kam für mich nicht in Frage (ich glaube bzw. hoffe auch, dass so etwas auf Dauer auffliegen würde), ein bloßes “Verwerfen” des Textes wollte ich aber auch nicht – schließlich hatte sich ASP konstruktive Mühe gemacht.

Also mache ich heute eine Ausnahme und veröffentliche diese Rezension von ASP auf meinem Blog – sage aber zugleich zu, dass dies eine Ausnahme bleiben wird. Am Wochenende gibt es dann wieder den nächsten, regulären Blogpost.

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Credit: Michael Blume, “Die Haredim”, sciebooks 2013

Die Rezension von ASP:

„Das Judentum des 21. Jahrhunderts wird zunehmend (ultra)orthodox werden.“

Als guter Kenner der religiösen Landschaft der Juden in Geschichte und Gegenwart kommt Blume zu oben zitiertem Schluss. Ein sehr gut recherchiertes Buch, das in kurzen übersichtlichen Kapiteln die zentralen Begriffe des Judentums beleuchtet. Geschichtliche Phasen werden abgewechselt mit philosophisch-religiösen Erklärungen, aufgelockert von poetischen und teils humoristischen Einschüben.

Als Laie bekommt man einen guten Überblick über die verschiedenen Strömungen und  Abgrenzungen z.B. zwischen den europäischen Aschkenasim und den spanischen Sephardim bis hin zu den Konflikten zwischen den ultraorthodoxen Haredim und den liberalen Juden und Zionisten. Auch versteht man plötzlich die Vorteile der religiösen Ghettobildung (Erhaltung des jüdischen Glaubens und der Identität) und die gleichzeitigen Nachteile gegenüber der ständigen Weiterentwicklung der säkularen Ausbildungs- und Berufswelt, vor der sich orthodoxe Juden abschotten und sich auch in Lebensform und Kleidung deutlich absetzen. Das geht soweit, dass heute viele Frauen der Haredim sich sogar den ganzen Körper verhüllen und herumlaufen wie unter einer Burka.

Geschlechterrollen werden einem verständlich: die Männer, die vom Broterwerb freigestellt sind (und staatlicherseits auch vom Militärdienst), um sich hauptberuflich dem Studium der Tora und des Talmuds zu widmen, während die Frauen verantwortlich sind für den Unterhalt und das tägliche Leben mit oft vielen Kindern. Als moderner Leser geht einem diese Arbeitsteilung gegen den Strich, aber durch das Buch beginnt man zu verstehen, wie wichtig sie für beide Geschlechter ist, denn Frauen wie Männer sind dabei glücklich, wenn sie nach den Gesetzen der Schrift – so wie sie gedeutet wird – leben. Denkt man an das heutige Israel, wundert man sich, dass religiöse Juden im Lauf der Geschichte immer schon  eine pazifistische Haltung eingenommen haben mit Respekt vor anderen Religionen. Darum auch setzen sich orthodoxe Juden ab vom zionistischen Gedankengut.

Viele große Namen berühmter Juden kommen vorbei im kulturell-historischen Kontext, vom Universalgenie Moses Maimonides, über Baruch Spinoza, Moses Mendelssohn bis hin zum sephardischen  Oberrabiner Vajda Josef, der im Oktober 2013 starb. Sie alle haben die religiöse, philosophische und wissenschaftliche Entwicklung nicht nur der Juden maßgeblich geprägt und teilweise auch kontroversen Einfluss gehabt.  Das Buch endet im Heute und gibt einen interessanten Zukunftsausblick (siehe Zitat oben)

Ein sehr informatives Buch, das sich angenehm liest, auch durch die fett herausgehobenen wichtigen Sachbegriffe und Namen, die sich wie ein roter Faden durch die Seiten ziehen und dem Leser eine Struktur bieten in der großen Fülle der Daten. Vielleicht könnten diese Begriffe in einer nächsten Ausgabe Grundlage für ein Sachregister sein.

Großes Verdienst des Buches finde ich, dass die Tatsachen vorurteilsfrei berichtet werden, unpolitisch und nicht polemisierend.

ASP

– Vielen Dank, ASP, dass Sie sich die Mühe des Rezensierens gemacht haben! 🙂

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

14 Kommentare

  1. Sorry, dass ich mich nicht an die Regeln halte. Hatte aber Gestern noch eine Anmerkung zu Dr. Lange gemacht, die dann plötzlich nicht einstellbar war:

    Ich lese auch mit. Mit wachsendem Interesse. Die aggressive Voreingenommenheit (anstelle von Neugier ) gegenüber Evolutionspsychologie hat mich schon öfters erstaunt.
    Ich habe das Gefühl sie ist weit verbreitet und es ist auch wichtig darauf einzugehen, denn vermeintlich steht die EP im Widerspruch zu einigen liebgewordenen Weltbildern.Und zwar in diesem Sinne: “Wenn ich gefragt würde, ob ich will, dass alles nur durch Umwelt kommt, ich würde antworten: “Wo soll ich unterschreiben?””

    Deswegen finde ich es zwar verständlich den Versuch abzubrechen, aber dennoch schade.

    • Hallo Ralph,

      es geht nicht um aggressive Voreingenommenheit oder “das interdisziplinäre” nicht sehen zu wollen. Beides sind beliebte Vorwürfe, wenn sie jemanden mundtot machen wollen. Es geht schlicht darum, dass Evolutionäre Psychologie bisher nicht zeigen konnte, dass menschliche Psychologie wirklich darwinistisch konfiguriert wurde und eben nicht lamarckinisch. Das manche Leute ihre Arbeiten damit betiteln oder manche Psychologen davon reden, macht noch keine Aussage belegbar. Darum geht es in der Wissenschaft – belegbare Aussagen. Die Kritik daran wird auch in einem Wikipedia-Beitrag beschrieben: http://en.wikipedia.org/wiki/Criticism_of_evolutionary_psychology

      . .

    • “Hatte aber Gestern noch eine Anmerkung zu Dr. Lange gemacht, die dann plötzlich nicht einstellbar war.”

      Ging mir genauso.

      Allerdings hatte ich eher den Eindruck, dort würde ein Teil des Stückes “Publikumsbeschimpfung” aufgeführt, mit “unserem Christian” als Laiendarsteller.

      Das Thema Evolutionäre Psychologie darf gerne nochmal aufgenommen werden, und kann dann vielleicht von beiden (bzw. allen) Seiten etwas gelassener diskutiert werden.

      (@ Michael. Selbstverständlich bin ich Dir nicht gram, wenn Du diesen Kommentar hier verschiebst wohin er gehört oder auch ganz löschst)

  2. Denkt man an das heutige Israel, wundert man sich, dass religiöse Juden im Lauf der Geschichte immer schon eine pazifistische Haltung eingenommen haben mit Respekt vor anderen Religionen.

    In diesem Sinne etwa: -> http://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCdischer_Krieg

    Darum auch setzen sich orthodoxe Juden ab vom zionistischen Gedankengut.

    So wie sie Shas-Partei beispielsweise.

    MFG
    Dr. W

  3. @Ralph, Dr. Friesen & Joker

    Interessanterweise wurde auch das letzte Mal eine Biologin sehr scharf angegangen, als ich sie – zu einem Buch über Kleintiere im Tessin! – einlud. Dagegen blieb es bei den Web-Interviews je mit einem Vertreter der Mormonen und Himanisten gesittet und ruhig.

    Ich finde es schade, dass in Blogdebatten oft so ein scharfer Ton angeschlagen wird. Wir Blogger sind das gewöhnt, aber Gäste sind oft entsetzt und fühlen sich verletzt. Dabei hätte ich mir eine weitere und tiefere Diskussion gewünscht – aber das scheint bei wissenschaftlichen Reizthemen schwierig zu sein. Schade, lassen wir es bitte erstmal gut sein.

    • Herr Blume, es ging mir in keiner Weise darum, hier jemanden persönlich anzugehen, selbstverständlich weder Herrn Dr. Lange noch sie Herr Dr. Blume als der Betreiber des Blogs. Pardon an sie beide, falls dies so angekommen ist.
      Es ging mir darum darzustellen, was die Kernausssage dieser ja bis dato laufenden Debatte um “Evolutionäre Psychologie” ist und es diese Debatte auch schon ein Weilchen gibt. Wer da in Zukunft seine Aussagen besser belegen kann, werden wir sehen. Aber es geht ums Thema, nicht um die beteiligten Personen.
      Beste Grüße
      H. Friesen

      • Liebe Frau Friesen,

        ja, bei mir kam das auch so nicht an – als inzwischen erfahrener Blogger bin ich den etwas härteren Ton von Online-Debatten aber auch einfach gewöhnt und habe (durchaus nicht schmerzfrei) mit der Zeit gelernt, damit umzugehen. Aber auf Kolleginnen und Kollegen, die sich neu auf dieses Terrain wagen, kann das schon anders wirken – schließlich wird z.B. mit einer pauschal wirkenden Infragestellung eines ganzen Wissenschaftszweiges ja auch ihre bisherige wissenschaftliche Lebensleistung in Abrede gestellt! Und das würde keiner von uns wollen, schon gar nicht in einer neuartigen, halb-anonymen und zugleich öffentlich einsehbaren Umgebung.

        Ich sehe hier also bei niemandem “bösen Willen” am Werk, sondern einfach das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Online-Erfahrungen und Umgangsformen. Da dies vereinzelt auch bei früheren Web-Interviews geschehen ist, muss ich mir noch überlegen, wie ich damit umgehe (ob ich z.B. das Format lasse, Interviewpartnerinnen und -partner “vorwarne”, stärker kontrolliere, moderiere und ggf. lösche o.ä.). Mir geht es wie Ihnen: Thematisch hätte ich sehr gerne noch weiter diskutiert bzw. die Diskussion verfolgt! Aber es hat leider nicht sollen sein…

        Schalom & einen guten Abend! 🙂

  4. @eric djebe & @Dr. Webbär

    Also, ich mache mir inzwischen ernsthaft Sorgen und schilder(t)e u.a. die Konflikte in Beith Shemesh, die nicht gewaltfrei geblieben sind, bei denen es jetzt zu Wahlfälschungen kam usw…

    Die Schas nimmt immerhin am politischen Leben Israels teil, noch extremere (und wachsende) Gruppen betrachten schon das als “Verrat”!

    • Sie meinen dies hier?! :
      -> http://www.zeit.de/politik/ausland/2011-12/israel-ultra-orthodoxe

      Bei den sogenannten Ultra-Orthodoxen gibt es unterschiedliche Strömungen, im oben webverwiesenen Artikel finden sich auch Anzeichen, dass sie sich zunehmend integrieren.
      Wichtich hier zwischen antizionistischen und zionistischen Bewegungen zu unterscheiden…

      Ansonsten, bei 10 % Haredim und 25 % Schulpflichtigen, die Haredim sind, ist das natürlich eine Herausforderung für Israel.

      BTW, aus der von Ihnen eingebrachten Rezension lugte ein wenig die Unterscheidung zwischen Juden und guten Juden hervor, fanden Sie nicht?

      MFG
      Dr. W

      • @Webbär

        Ja, da bin ich immer wieder überrascht, wie unterschiedlich das gleiche Buch gelesen werden kann! Auch z.B. bei den Rezensionen zu den Mormonen gab es sowohl Lob für die “verständliche Einführung” wie auch “Dank für die Warnung”!
        http://www.amazon.de/Die-Mormonen-amerikanische-Prophet-sciebooks-ebook/dp/B009MYN2XC/ref=sr_1_5?ie=UTF8&qid=1391699565&sr=8-5&keywords=sciebooks

        Das ist eigentlich auch mein Anspruch: So zu informieren, dass sich die Lesenden ihr eigenes Bild machen können. Meine persönlichen Meinungen – die auch ein Wissenschaftler wie jeder andere Mensch hat – stelle ich immer erst ans Ende. Erst (besser) verstehen, dann beurteilen halte ich für ganz wichtig, damit nicht positive oder negative Vorurteile die Darstellung dominieren. Und letztlich hat jede über Jahrhunderte erfolgreiche Religionsgemeinschaft “etwas zu bieten” – sonst wäre sie nicht so erfolgreich -, andererseits gibt es immer auch Schattenseiten (ja, auch z.B. bei den gerne romantisierten Amish).

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