Faszination Weltuntergang am 21 12 2012 – Seminar in Jena

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Wenn man in diesen Wintertagen durch Jena stapft, so sind Hinweise auf den nahenden Weltuntergang am 21.12.2012 allgegenwärtig…

Ernsthaft: In unserem Uniseminar für Religionswissenschaft erforschen wir natürlich nicht nur, was an den Prophezeiungen dran ist. In diesem Fall ist das übrigens gar nichts: Die Maia beenden einfach einen Kalenderzyklus und beginnen einen Neuen und astrophysikalische Anomalitäten bestehen nicht.

Freilich ist damit der religionswissenschaftlich interessante Befund direkt gegeben gegeben: Offensichtlich sind Menschen auch heute noch von Weltuntergangsszenarien ebenso fasziniert wie unsere Vorfahren und kombinieren zu ihrer Legitimation (“Glaubwürdigmachung”) religiös-magische Praktiken (Kalenderberechnungen) mit (Pseudo-)Wissenschaft. Nun sind also nicht mehr überempirische Wesenheiten wie Götter und Engel, sondern Sonnenstürme und Polsprünge die vermeintlichen Vorzeichen und Auslöser – wobei der strafende, prüfende und hoffentlich verzeihende Gott im Hintergrund stets anwesend bleibt.

2012 – Aus der Esoterik über die Fantasy nach Hollywood ins WWW

Dabei spielte der Übergang der Maya-Kalenderzyklen lange Zeit nur in Nischen der Esoterikszene eine größere Rolle. Von dort gelangte er aber immerhin schon in die Fantasy: Im Cyberpunk-Rollenspiel Shadowrun bezeichnet der 21.12.2012 das “Erwachen”, in dem die Magie und magische Wesen wieder Teil der Weltgeschichte werden. In wachsenden Subkulturen breitete sich das Sujet aus.

Und fiel dann Hollywood in die Hände – wo findige Geschäftsleute auch außerhalb der Esoterikszene großes Geld witterten. So wurde der Kinofilm “2012”  konzipiert – und mit einer pfiffigen Werbestrategie verknüpft. Wenige Homepages und YouTube-Videoclips mit pseudo-wissenschaftlichem Anstrich reichten aus, um immer mehr Menschen für das Thema zu interessieren. Hier sehen Sie zum Beispiel einen Clip des – natürlich fiktionalen – “Institute for Human Continuity” (Institut für das Weiterbestehen des Menschen).

Beachten Sie bitte, dass Menschen gar nicht wirklich annehmen müssen, dass die Welt 2012 endet. Es reicht schon, wenn sie von dem Gedanken fasziniert sind – wie bald immer mehr Menschen (inzwischen bis in die Grundschulen hinein).

Der Film selbst “aktualisiert” dann schließlich einfach den biblisch-jüdischen Noah-Mythos (der wiederum Vorläufer und “Verwandte” in den Weltkulturen hat). Der erfolgreiche (deutschstämmige) Filmemacher Roland Emmerich erzählte denn auch entspannt, es sei eben “verlockend” gewesen, “eine neue, eine moderne Arche-Noah-Geschichte zu erzählen” (folgendes Werbevideo, ab 1:12):

Beachten Sie bitte, dass auch in diesem Werbevideo zum einen unzutreffende Aussagen über die Maya-Traditionen verbreitet werden – diese glauben NICHT, dass 2012 die Welt endet. Interessant ist aber auch, dass sowohl Emmerich wie auch der Hauptdarsteller John Cusack auch über eigene Unsicherheiten mit dem Thema berichten. Woher aber stammt diese Faszination bzw. leichte Ansprechbarkeit von Menschen für Weltuntergangserzählungen?

Evolutionäre Wahrnehmungspräferenzen: Überleben und Reproduktion

Das eben ist das Lernziel meines Seminars: Die Studierenden sollen über die interdisziplinäre Evolutionsforschung entdecken und verstehen lernen, warum Menschen überhaupt ein planendes und sich sorgendes Bewußtsein, eine Fantasie und einen “Geschmack” für gerne auch fantastisch übertriebene Narrative rund um Überleben (Gewalt, Katastrophen, Verschwörungen) und Reproduktion (Liebe, Familie, Partnerwahl) entwickelt haben. Die entsprechende Seminarlektüre habe ich als sciebook für alle eBook-Formate und als pdf ausgearbeitet.

So hoffe ich, den Studierenden vermitteln zu können, dass der gerne auch “nur unterhaltsame” Hunger nach Mythen in Märchen, Spielen, Filmen und Büchern ein Aspekt menschlicher Natur, Kultur und Psychologie geworden ist, ohne den menschliches Leben nicht gelingt – der uns aber auch anfällig macht für alle Arten von Verführungen.

Das Interesse am Seminar hat meine Erwartungen weit übertroffen: Wegen Überfüllung mussten wir kurzfristig in größere Räume umziehen. Besonders freue ich mich auch über Teilnehmende, die einfach aus Interesse mitarbeiten oder sich – in einem Fall – sogar als Gasthörer aus einem anderen Bundesland in Jena einquartiert haben, um teilnehmen zu können. Neben der Analyse von viel Text-, Video- und Filmmaterial und auch wieder einer Exkursion ins phyletische (Evolutions-)Museum stehen dann im Januar Klausur und Referate u.a. zur biblischen Apokalypse, zu apokalyptischen Computerspielen und Deutschlands Zombie-Survival-Camps an. Und wir sind guter Dinge, dass all dies Anfang 2013 auch stattfinden kann!

Einen Seminarsong haben wir übrigens auch schon gefunden: “Der letzte Sommer” von Y-Titti. (Beachten Sie bitte auch die Bezüge auf die quasi-wissenschaftliche Legitimation sowie die zahlreichen Symboliken rund um Überleben, Reproduktion und Religion…)

Liebe Teilnehmerinnen und -teilnehmer, falls Ihr hier mitlest – Ihr seid klasse, das Seminar macht unheimlich Freude!

Und allen Leserinnen und Lesern wünsche ich hiermit gesegnete Weihnachten und einen guten Mayakalender- und Europajahresübergang! 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

4 Kommentare

  1. Neuschaffung durch Vernichtung

    Die Faszination vom Weltuntergang ist tatsächlich ein interessantes Phänomen, vor allem auch religionsgeschichtlich betrachtet. Ich finde es durchaus interessant, das bei heutigen Untergangs-Vorstellungen die totale Vernichtung im Vordergrund steht – schaut man sich jedoch zum Beispiel die Apokalypse des Johannes(und viele andere alte Untergangsszenarien) an, so ist der Untergang dort immer Voraussetzung für eine Neuschöpfung: dann steht also nicht mehr das zerstörende Moment im Fokus, sondern das, was danach kommt.

    Diese Dimension scheint uns heute jedoch völlig verloren gegangen zu sein. Auch aus evolutionärer Sicht müsste doch die Faszination am Untergang eigentlich (zumindest auch) daher rühren, dass durch die Vernichtung des Alten etwas neues ermöglicht wird…

  2. @Fabian M.: Überleben

    Ja, die evolutionäre Wahrnehmungs-Relevanz ergibt sich ja gerade auch aus der Verheißung einer Überlebens-Perspektive. Religiöse Mythologien haben dabei durchaus den Vorteil, dass sie nicht nur dies-, sondern auch jenseitiges Überleben verheißen können.

    Ich bin mir nicht sicher, ob die Überlebensperspektive wirklich verloren gegangen ist. Letztlich dient die Totalkatastrophe m.E. vor allem als Aufhänger, um die Suche nach Überlebensoptionen auszulösen. So werden Survival-Tips & -Kits ebenso vermarktet wie UFO-Tickets – und auch der o.g. 2012-Film endet mit dem Neuanfang der Menschheit in Afrika.

    Für möglich hielte ich jedoch die Deutung, dass durch die neuen medialen Möglichkeiten die Zerstörungsbilder stärker die Wahrnehmung prägen als die schwieriger darzustellenden Rettungsverheissungen.

    @Karl Bednarik: Vielen Dank, das schaue ich mir gerne an!

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