St George – Kapelle und Gebetsraum am Flughafen Heathrow

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Seit jener legendären Edmund-Stoiber-Rede zu 10 Minuten wissen wir alle, dass es mit Zeit und Flughäfen eine besondere Bewandnis hat. Als ich also am Flughafen Heathrow in London noch etwas Zeit zwischen dem Umsteigen hatte und dieses Schild sah, war es um mich geschehen. Ich musste ihm voller Entdeckerdrang folgen!

Das geheimnisvolle Schild führte mich zu der Flughafenkapelle St. George. Nahe bei Terminal 3, zwischen Busbahnhof und Betonwüsten gelegen, lud ein hohes Kreuz zu einem kleinen Steinpark und zwei Gebäuden des Gebetes.

Eingeweiht im bewegten Jahr 1968 beteilig(t)en sich viele Spender an der Ausgestaltung dieses Gebetsortes. Einigen Menschen, vor allem Flughafenpersonal und Piloten, waren Plaketten gewidmet, die aus der anonymen Wand einen Ort des Gedenkens machten.

Die Gedenkplakette eines Technikers berührte mich besonders. Sein Todestag wurde hier von seiner ihn “liebenden Familie” als “Gewährung des zweiten Flügels” interpretiert, so dass er nun “in Frieden ruhe in der Umgebung, die er so geliebt hat”.

Nach einem kurzen Moment des Innehaltens wandte ich mich nach links, zum Eingang der Kapelle. Wie konnte inmitten dieses Lärms ein Ort des Gottesdienstes entstehen? Der Architekt Jack Forrest griff zur Lösung auf jene alte Form zurück, mit der schon frühe Christen Gemeinschaft und Schutz vor Verfolgung verbunden hatten: Die unterirdische Krypta.

So ging es eine Treppe hinab, in einen Vorraum mit Karten, Flugblättern und Broschüren christlichen Glaubens.

Der Heilige Georg war der Schutzheilige Englands und von Anfang an auch der ökumenischen Kapelle geworden, in der sich anglikanische, katholische und “freie” (v.a. evangelische) Gemeinschaften versammelten.

Erfrischend kühl, leise und verblüffend groß hatte sich der Gottesdienstraum von St. George unter der Betonwüste ausgebreitet – ein Ort der Ruhe unter einer brodelnden Verkehrsdrehscheibe.

Ursprünglich hatte jede der vier Flügel einen Altar einer bestimmten Kirchentradition beherbergt, doch im Laufe der Jahre waren die Altartische füreinander frei gegeben worden, so dass Betende sie je nach Bedarf und Aussage nutzen konnten. Hier der Altarbereich katholischer Tradition.

Auch farblich waren unterschiedliche Akzente gesetzt worden.

Besonders aber beeindruckte mich jener schlichte Altartisch, in dessen Decke – Flugzeuge eingestickt worden waren.

Nach einigen Momenten dankbaren Verweilens stieg ich wieder empor. Heathrow war wie London insgesamt einst ein überwiegend christlicher Ort gewesen, der jedoch zunehmend multireligiös geworden war. Und als ich die Krypta verließ, sah ich, dass die Kapelle mitgewachsen war. Dem Eingang der Krypta direkt gegenüber lud ein interkonfessioneller Gebetsraum ein.

Im Eingangsbereich waren auch die Gebetszeiten regelmäßiger Gottesdienste angegeben: Christen, Muslime und Sikhs beteten hier regelmäßig zu ihrem gemeinsamen Gott, dem Schöpfer des Universums. Für Betende jeden Glaubens stand der Raum zudem täglich offen.

Schlicht und doch würdig war der Raum gestaltet, der zum persönlichen wie auch gemeinschaftlichen Gebet einlud.

Am Fenster fand sich ein holzgefertigter Kompass mit Angabe der Qibla, der Gebetsrichtung nach Mekka für Muslime.

Ich fand Poster mit den Feiertagen der Weltreligionen – und eines, das eine gemeinsame Aussage aller gewachsenen Religionsgemeinschaften betonte: Das Gebot unbedingter Kooperation, die Goldene (in einigen Formulierungen Silberne) Regel.

Die Zeit drängte nun, ich musste zum Flieger. Als ich diesen interreligiösen Ort verließ war mir klar, dass er sich mir in seiner religiösen Tapferkeit inmitten hektischer Betriebsamkeit tiefer einprägen würde als so mancher großer, imposante Bau den ich bisher gesehen hatte. Wo abertausende von Meilen geflogen wurde, nahmen sich manche Menschen Zeit für kleine Reisen ins eigene Innere und vor Den, von Dem sie sich geschaffen erfuhren.

In Höhlen hatte sich schon der frühe Mensch Orte der Sammlung, Gemeinschaft und Anbetung geschaffen. Und auch jetzt, da er tonnenschwere Geräte mit Hunderten von Menschen darin in die Wolken und um den Globus jagen kann, vernehmen einige den Ruf der überempirischen Akteure – der Verstorbenen, der Heiligen, der Gottheit.

Wenn Sie einmal am Flughafen Heathrow, Terminal 3 sein sollten – nehmen Sie sich doch 10 Minuten Zeit.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

6 Kommentare

  1. @bene

    Ja, mir wären die Bilder (wenn auch nicht die Erinnerung) vor einigen Tagen fast verloren gegangen. Sie entstanden damals auf der Rückreise von der Bristol-Konferenz “Explaining Religion” und schlummerten seitdem auf einem Speicher:
    Konferenzbericht Explaining Religion Bristol 2010

    Den Fast-Verlust nahm ich als Schubs, um sie nun endlich auf NdG zu veröffentlichen. Ein paar weitere Bild-Archive “Geheiligter Orte” habe ich noch und hoffe, sie nach und nach online stellen zu können. (Noch nicht einmal, weil ich weiß, ob das jemand interessant findet bzw. mag. Aber irgendwie möchte ich neben all den wissenschaftlichen Theorien manchmal auch einfach das Bild sprechen lassen.)

    Mit Exif ausgelesen? 😉

  2. Doch, Michael,

    … als ich diesen Beitrag heute in der Mittagspause entdeckte, freute ich mich sehr darüber (besonders über den interkonfessionellen Gebetsraum). Und ich würde gerne weitere geheiligte Orte sehen.

    Herzliche Grüße!

  3. @blume

    exifdaten zeigt heutzutage jedes bildanzeiger an. mich hatte die kamera interessiert, hatte mich gewundert was heutzutage noch solche bilder schießt

  4. @bene

    Was anderes hatte ich nicht zur Hand – und fand und finde gerade auch die Lichtverwaschungen etc. ganz passend. Da nach einer anstrengenden Konferenz unterwegs traf das IPhone Leistungsfähigkeit meiner Wahrnehmungsfähigkeiten ganz gut… 😉

    Danke für das Interesse! 🙂

  5. @Stefan

    Freut mich sehr, dass es Dir gefällt! Leider ist das wohl kein Mainstream – dieser Blogpost erreicht bislang kaum die Hälfte der Zugriffe anderer Beiträge. Aber was soll’s: Zur Freiheit des Bloggens gehört auch das Pflegen kleiner Nischen. Also wird es auch in Zukunft weiter Berichte über “geheiligte Orte” geben… 😉

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