Higgs: Das Ende der Physik?

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Beim LHC in Genf gab es, wie ich schon berichtet habe, erste Hinweise auf die Entdeckung des Higgs-Teilchens. Das wäre das Feldquant, das (grob vereinfacht) den anderen Teilchen ihre Masse gibt. Dieses Teilchen wäre das letzte Puzzlestück im bewährten Standardmodell der Teilchenphysik. Aber was heißt es eigentlich, wenn das letzte Teilchen gefunden wird? Oder wenn es nicht gefunden wird? Von einigen Berichten bekommt man den Eindruck, die Physik sei an ihrem letzten Ziel angekommen, wenn man dieses Teilchen zu fassen bekommen sollte. Tatsächlich dürfte es für viele Physiker unerheblich sein, was bei der Higgs-Suche herauskommt.

Wie die allermeisten Physiker habe ich beruflich nie mit Elementarteilchenphysik zu tun gehabt. Der größte Teil der Physik beschäftigt sich mit Phänomenen, die mit Elektromagnetismus und Quantenmechanik als grundlegende Prinzipien auskommen. Der Higgs-Mechanismus spielt in der Alltagsphysik keine Rolle. Das Phänomen der Masse von Elementarteilchen kann man auch verwenden, wenn man nicht den dahinterliegenden Mechanismus versteht.

In unserem Arbeitsalltag kommen genau vier Elementarteilchen vor: Das Proton und das Neutron, die zusammen die Atomkerne bilden. Das Elektron, das die Atomhülle bildet. Und das Photon als Vermittler der elektromagnetischen  Kraft und Lichtteilchen. Gravitation ist für uns einfach Krümmung des Raums, die kann man ganz klassisch betrachten. Und, wie in früheren Artikeln mal angesprochen habe, kann man oft sogar das Lichtfeld ganz ohne Photonen beschreiben.

Wir stückeln uns unsere Physik aus Einzelteilen zusammen. Ein einheitliches Theoriengebäude, das Gravitation und Teilchenphysik vereint, wäre schön zu haben. Aber wenn sie so kompliziert ist, wie sich das heute abzeichnet, werden wir Alltagsphysiker weiterhin mit den altvertrauten Näherungen rechnen.

Für die theoretische Teilchenphysik bedeutet die Frage nach dem Higgs-Teilchen schon mehr. Theoretiker können sich verschiedene Varianten des Higgs-Mechanismus vorstellen. Die Entdeckung des Higgs-Teilchens und die exakte Vermessung seiner Eigenschaften würden einige Varianten ausschließen und die übrigen stützen. Darauf aufbauend können die Experten ihre Kräfte auf die Ansätze fokussieren, die mit den gemessenen Higgs-Eigenschaften übereinstimmen. Experimentelle Daten können sie auf gangbare Wege führen.

Dasselbe gilt für den Fall, dass das Higgs-Teilchen am LHC nicht gefunden wird. Dann müsste man all die Modelle verwerfen, die ein Higgs-Teilchen im für LHC zugänglichen Energiebereich ergeben. Auch hier würde das Experiment zu einer Ausdünnung der Theorien führen. Wenn auch zu keiner so eindeutigen. Es bliebe unklar, ob ein Higgs-Mechanismus mit schwererem Higgs-Teilchen zu suchen ist oder ob man die Idee von Peter Higgs ganz verwerfen muss.

Für die experimentelle Teilchenphysik befürchte ich, dass weder die Entdeckung des Higgs-Teilchens noch deren Ausbleiben eine gute Grundlage für die Finanzierung der Teilchenmaschinen der nächsten Generation wäre. Im Entdeckungsfall würde ein Großteil der Öffentlichkeit glauben, die Teilchenphysik sei jetzt am Ziel und ein weiterer Beschleuniger unnötig. Im Fall der Nichtentdeckung würde der Erfolg des LHC-Projektes in Frage gestellt. Schließlich erscheint das Auffinden des Higgsteilchens als primäres Ziel dieser Maschine. Wenn sie das nicht erreicht, könnte das das Ansehen in der Öffentlichkeit beschädigen.

Aber es gibt ja noch eine dritte Möglichkeit. Unabhängig davon, ob die Entdeckung des Higgs-Teilchens bestätigt oder widerlegt werden kann, gibt es die Möglichkeit, dass der LHC etwas ganz Neues, Unerwartetes zeigen wird. Das könnten neue Teilchen sein, die man nicht vorausberechnen konnte. Es könnte aber auch einfach eine unerwartete Abweichung in den Details der Teilchenerzeugung sein. Bestimmte Produkte könnten häufiger oder seltener entstehen als es die Theorie vorhersagt.

Unerwartete Messergebnisse haben das Potential, der Physik völlig neue Anreize zu geben. So führte das unerwartete Ausbleiben des Ätherwindes im Michelson-Moreley-Experiment zur Entwicklung der überaus erfolgreichen Relativitätstheorie. Die fehlende Energie in Experimenten zum Betazerfall war erster Hinweis auf ein heute noch für Überraschungen gutes Elementarteilchen, das Neutrino.

Sollte der LHC etwas Neues finden, so könnte das zu einem echten Umdenken in der theoretischen Teilchenphysik führen und es könnte neue Anreize zum Bau eines neuen Teilchenbeschleunigers liefern. Der müsste dann vielleicht mit neuartigen Detektoren ausgestattet werden oder auf die Produktion bestimmter Energien und Kollisionsarten abzustimmen sein. Ich bin Realist genug um Unerwartetes nicht zu erwarten. Ich bin aber Träumer genug, es uns allen zu wünschen. Wäre es nicht spannend, mal wider den Anbruch eines ganz neuen Zweiges der Physik zu erleben?

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

14 Kommentare

  1. Das Unerwartete?

    Gibt es die Möglichkeit, dass der LHC etwas ganz Neues, Unerwartetes zeigen wird, wirklich?

    Entweder man findet ein Higgs-Teilchen (heißt das nicht mehr Higgs-Boson?), oder nicht. Der eine erwartet vielleicht Version A, der andere B.

    Aber würden es die LHC-Forscher (und ihre Messgeräte) überhaupt bemerken, wenn etwas wirklich Überraschendes passierte? Ich stelle mir vor, dass die Messgeräte und Auswertungsmethoden so spezialisiert sind, dass man es als Messfehler oder Systemabsturz interpretieren würde, wenn eine Quantenkakerlake auftaucht, die Kernteilchen frisst und dann in die Röhre kackt. 😉

    (Am Ätherwind-Beispiel: Der Ätherwind wurde nicht gefunden; aber etwas anderes als der fehlende Ätherwind wurde doch dabei auch nicht festgestellt, oder?)

  2. @Erbloggtes: Unerwartetes bemerkbar

    Ja, man würde es bemerken. Wie man an den bildern in meinem verlinkten Artikel sieht, gibt es bei den Experimenten eine sehr genaue Abschätzung des Untergrund-Signals. Wenn das signifikant höher oder niedriger wäre, als im Standardmodell erwartet, würde man das feststellen. Wenn Endprodukte auftreten würden, die man bei einer bestimmten Energie so nicht erwatet, wäre das sichtbar. Wenn die Abnahme des Untergrundsignales steiler oder flacher wäre, wäre das bemerkbar.

    Relativ einfach kann man natürlich neue Teilchen in Form von mehr oder weniger ausgeprägten “Beulen” im Signal erkennen.

  3. Gibt es ein Ende der Physik??

    Nicht einmal das Ende der Geschichte als Ende der weltpolitschen Widersprüche (im Sinne Hegels) haben wir erlebt, obwohl Francis Fukuyama dieses Ende mit dem Ende der Sowjetunion bereits erreicht sah.

    Viele Physiker Ende des 19. Jahrhunderts glaubten ebenfalls, die

    künftige Arbeit besteht nur noch darin, an bereits bekannten Ergebnissen
    weitere Dezimalstellen anzufügen.

    Und jetzt muss nur noch das Higgs-Teilchen gefunden werden um das Standardmodell zu vervollständigen.

    Doch die heutigen Physiker wissen bereits, dass das Standardmodell mit oder ohne Higgs nicht genügen kann um ein abgeschlossenes Bild der Realität zu liefern.
    Der LHC sollte doch bitte auch noch zur Freude der Stringtheoretiker und der Dunklen-Materie-Sucher das Modell der Supersymmetrie bestätigen und einige supersymmetrische Partikel finden. Auch kleine sofort wieder zerstrahlende schwarze Löcher würden die Stringtheoretiker noch so gerne beobachten, kündeten sie doch von den erhofften Extradimensionen.

    Neue Physik bitte!! Sei es auch nur
    einfach eine unerwartete Abweichung in den Details der Teilchenerzeugung

    Vielleicht bleiben ja für immer letzte Geheimnisse. Letzte Dinge, die die Physiker nur andenken aber nie experimentell nachweisen können. Das wäre überhaupt nicht verwunderlich denkt man nur schon an die Planck-Skala, die eine minimale Grösse von Dingen von 10^-35m vorsieht – immerhin 10^20 Mal kleiner als der Durchmesser des Protons und damit wohl für ewig direkten Experimenten nicht zugänglich. Nicht nur die Stringtheoretiker erschaffen inzwischen immer exotischere, durch keinerlei Beobachtung gestützte Welten, auch die Quantengravitationsforscher kennen schon x-Varianten wie Quantenschäume unseren vertrauten Raum aufspannen könnten.

    Oh LHC zeig uns den Weg, so wie der Stern von Bethlehem den Weisen aus dem Morgenland den Weg gezeigt hat.

  4. Spannend wären neue Ergebnisse schon, allerdings wag ich zu bezweifeln, dass nach der Nanotechnologie auf noch kleineren Skalen wirklich Nutzbares aus der Grundlagenforschung für die Menschheit abfällt. Da gebe ich ihnen Recht, die Teilchenphysiker werden ein Legitimations- und Finanzierungsproblem bekommen. Interessant wäre mal ein Blogbeitrag, der zu technischen Innovationen als Folge dieser Grossprojekte Auskunft gibt. Hoffentlich mehr als die Teflonpfanne aus der Raumfahrt.

    Aber die Zukunft der Probleme der Menschheit und deren Bewältigung/Erforschung liegt wohl eher im Bereich Physik komplexer Systeme, Quantum Computing, Nanomaschinen, Fusion. Ich denke da wären die Unsummen weitaus besser investiert auf lange Sicht.

  5. Was soll der Geiz..

    An dieser Stelle mal meinen Dank für Ihre ‘Aufklärungsarbeit’ in Sachen Physik für interessierte Laien. Die meisten Ihrer Beiträge habe ich mit Gewinn gelesen. Ich schätze auch ihre eher nüchterne Sichtweise der Dinge.

    Warum baut man solche wahnwitzigen Maschinen wie den LHC?
    Aus purer Neugier würde ich sagen, ein menschliches Grundbedürfnis.
    Nach meinem Empfinden können und sollten wir uns das leisten, unabhängig davon, ob und wann irgendein unmittelbarer technischer oder wirtschaftlicher Nutzen daraus entsteht. Auch der Kostenargumentation bezüglich der nächsten Generation (ILC) würde ich zustimmen.
    Dass wir schon ‘so viel’ wissen und nur noch ein paar Details fehlen, war immer eine Illusion. Ob der nächste Paradigmenwechsel aufgrund solch aufwendiger Experimente stattfinden wird, kann allerdings niemand wissen. Möglich wäre ja auch, dass das bereits vorhandene Wissen dafür bereits ausreicht. Vielleicht bedarf es lediglich eines scharfsinniger Träumers dem seine Arbeit genügend Muße für ein paar Gedankenexperimente lässt.
    (Herr Khan hat ja schon auf die vakante Stelle beim Patentamt in Bern hingewiesen.)

  6. @Michael Ruttor: Teflonpfanne versus WWW

    Sie schreiben sie erwarten als verwertbare Resultate der Teilchenforschung Hoffentlich mehr als die Teflonpfanne aus der Raumfahrt.
    Ein gewisser Tim Berners-Lee hat am CERN die Grundlagen für das World-Wide-Web geschaffen. Klar hat das auf den ersten Blick nichts mit Teilchenphysik zu tun. Auf den zweiten aber schon, denn die Teilchenphyisker leben über die ganze Welt verteilt und Lee’s Arbeit diente dem Informationsaustausch zwischen diesen Forschern. Im Zusammenhang mit dem LHC wurde ein Computing Grid, ein Zentrum für verteiltes Rechnen geschaffen, das auch ausgestrahlt hat.

    Unsummen, wie von ihnen moniert, sind es übrigens nicht, die ins CERN gesteckt werden. Man muss wiederum bedenken, dass diese Anlage der ganzen Menschheit dient, ganz ander als in der Raumfahrt wo jede grössere Nation ihre eigenen Ziele verfolgt.

    Wenn es darum geht das Geld besser zu investieren, dann würde ich eher entlang folgender Linie argumentieren: Allein 10’000 hochqualifizierte Physiker arbeiten als Gastwissenschaftler am CERN. Das CERN hat 3500 festangestellte Mitarbeiter und ein Jahresbudget von 1 Milliarde Schweizer Franken. Doch würden die Physiker kommerziellen Arbeiten (in der Industrie) nachgehen könnten sie, anstatt Geld vom Staat einzustecken Geld generieren. Indem sie beispielsweise neue hochraffinierte Finanzprodukte entwickeln (das braucht Mathematiker/Physiker), an Waffengenerationen der nächsten Generation arbeiten (Laserwaffen, ultimative Nuklearwaffen, Antiraketensystteme) oder neue Energiequellen wie die Fusion erforschen. Statt dessen hirnen diese Physiker – von denen jeder mindestens eine Million ROI (Return on Investement)in kommerziellen Projekten pro Jahr generieren könnte – über exotischen bis esoterischen Problemen.

    Welch eine Verschwendung von Arbeitskraft!! Auf wieviele ultimative Lösungen mit Impactpotential für den ganzen Planeten wurde da verzichtet und statt dessen in das Vakuum der LHC-Röhre investiert.

  7. Die zurückweichenden Horizonte

    Das ist ja der Klassiker – eine beantwortete Frage gebiert 10 neue, der Horizont des Wissens weicht vor dem schon Gewussten zürück. Es ist, als ob man an den Fuss des Regenbogens gelangen wollte.

    Was mich interessieren würde: kann man – aus der Physik heraus – eine Liste der “erreichten Horizonte” aufstellen, also sozusagen eine Verzeichnis der “Wände”, gegen die man schon gelaufen ist, und hinter denen es definitiv und prinzipiell nicht weitergeht? Ich meine – hoffentlich wähle ich die Beispiele nicht falsch – so Sachen wie die “Abwesenheit von versteckten Variablen”, also den “nackten” Zufall, oder so Dinge wie “kleinste Grössen” in Raum oder Zeit.

  8. @Holzherr, Wicht

    Ich bin selber Physiker und bemängel nur die Gewichtung von Forschungsgeldern. Aber es gibt eben auch innerhalb der physical Commmunity Lobbyverbände. Wie viele hab ich Physik studiert um zu wissen was die Welt im innersten zusammenhält. Im Laufe meines Studium bin ich aber nach Studium der Astrophysik zu dem Schluss gekommen, das all die Milliarden für Teleskope und Beschleuniger in anderen Projekten wesentlich mehr Output generiert hätten. Aber Teilchen- und Astrophysik sind eben auch ein Marketing-Tool für die Öffentlichkeit. Selten liest man physik. Blogs zu Spintronik, Lasertechnologie, Festkörperphysik(wo der Grossteil der Physiker forscht und der meiste nützliche Output generiert wird), die anderen Themen ziehen mehr, verschlingen aber Unsummen und viele begabte Physiker. Aber man wird das wohl nicht ändern können.

    Das WWW wird immer genannt als Output des CERN. McLuhan hat schon vor Jahrzehnten das WWW vorhergesagt, innerhalb welches Projektes es dann früher oder später verwirklicht wird is sekundär, ohne CERN wäre es m.M. eben 5-10 Jahre später entwickelt worden. Wenn man sieht was die DARPA investiert in militär. Forschung, ist CERN auch nur ein Bruchteil. Aber wie gesagt, ich erwarte mir oben genannten Bereichen wesentlich mehr Output als in Kosmologie oder Teilchenphysik, Ich persönlich glaube nicht an eine Femto- oder Attotechnologie, die der Menschheit grossen Nutzen bringt. Vielleicht im 22. Jhdt. Aber in diesem Jhdt. werden wir über Nanotechnologien nicht hinaus kommen. Das Moorsche “Gesetz” versagt ja auch schon demnächst. Wir kommen in unseren Technologien momentan an Grenzen der physikalischen Gesetze, die werden wir imho auch nicht stark durch neue Erkenntnisse in der Teilchenphysik ausklammern können.

    @Wicht

    Unsere heutigen Technologien sind schon sehr komplex, sie können bei der “Erdenphysik” davon ausgehen, das wir den Grossteil verstanden haben, andernfalls würde ihr PC wohl dauernd abstürzen. Ich seh auch nicht wie in absehbarer Zeit die Quantentheorie durch eine bessere ersetzt werden sollte, und sie ist grundlegend für die heutige Hochtechnologie, je komplexer die Techonologien sind die auf einer Theorie aufbauen, desto unwahrscheinlicher ist ein Paradigmenwechsel. In der Kosmologie gibt es wohl noch viele Erkenntnishorizonte die wir durchdringen müssen, wie wissen ja nichtmal genau woraus es besteht und exp. Zugang wird auch weiterhin schlecht bleiben. Da wird es vielleicht noch Paradigmenwechsel geben, wenn auch eher theoretischer und spekulativer Natur. Multi-Versen-Theorien & Co haben ja mit harter Laborphysik nicht mehr viel gemein.

  9. @Michael Ruttor: Gewichtung

    Woher nehmen Sie die Information über die Gewichtung der Forschungsgelder? Ich habe mal beim BMBF nachgesehen und die geben etwas doppelt so viel für Materialforschung wie für CERN aus, für Energieforschung drei Mal so viel und für Weltraumforschung mehr als das fünffache.

    Wenn man sich die Realität an den Unis ansieht, die hauptsächlich von der DFG und von Ländermitteln finanziert werden, sind auch fast überall die Festkörperphysik-Gruppen stärker als die Teilchenphysik. Haben Sie belastbare Belege dafür, dass ein Übergewicht an Förderung der Elementarteilchenphysik vorliegt?

    Mein Bauchgefühl saght eher das Gegenteil. Für Teilchenphysik ist es im Moment eher schwer, Förderung zu bekommen.

  10. @Schulz

    Natürlich nicht in absoluten Zahlen, dann wären viele FK-Physiker schon auf die Barrikaden gegangen. Eine Analyse anhand von generierten Patenten wäre wohl objektiver. Aber man kann ja trotzdem immer noch darüber trefflich streiten, ob die relative Gewichtung von versch. Sparten so vernünftig und/oder repräsentativ ist. Und solche Töne hab ich zumindest schon von einigen Profs. in der FK vernommen. Milliarden für Teleskope aber viele Unis haben nicht mal ausreichend oder hochwertige Lithographie, Rastermikrosopieapparate etc. pp.

    Aber wie gesagt, das ist Förderungspolitik und es gibt eben genauso hier Lobbyismus und Interessen wie in anderen grossen Systemen auch. Es hat lange gedauert bis ITER finanziert werden konnte, während wir Milliarden für Teleskope ausgeben. Evtl. bringt aber adaptive Optik und Nanotechnologien hier die Möglichkeit bald erdgebundene Teleskope mit gleichen Fähigkeiten wesentlich billiger zu bauen (wenn man etwas geduldiger wäre), aber alle Forscher wollen natürlich das neueste Tool so schnell wie möglich. Neben Gewichtung kommt Prioritätensetzung ja auch noch hinzu. Die Menschheit steht vor grossen Problemen, viele davon, ob Medizin, Biologie, Physik, IT werden wir höchstwahrscheinlich durch Nanotechnologie lösen können/müssen, deswegen solle hir m.M. nicht nur am meisten, sondern der Grossteil investiert werden.

  11. Forschungsförderung

    Ich bin im Gegenteil der Ansicht, dass sich die öffentliche Hand darauf spezialisieren sollte, Grundlagenforschung zu finanzieren, die keinen unmittelbaren nutzen hat. Angewandte Forschung, die direkt in Patente und Produktideen mündet, kann und sollte privatwirtschaftlich finanziert werden. Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, dass die Firmen, die von Forschung profitieren auch in Forschung investieren sollten. Das darf ihnen der Staat nicht abnehmen.

    Etwas anders verhält es sich mit universitärer Forschung. Universitäten haben einen Bildungsauftrag und sollten deshalb alle Felder, die grundlegenden und die angewandten, abdecken. Gegen Drittmittelförderung aus der Wirtschaft ist natürlich nichts einzuwenden, solange sie transparent ist.

  12. Teflon

    Die Raumfahrt hat uns sicher einiges gebracht, speziell die unbemannte – Hubble, Roboter auf dem Mars, Voyager etc. -, vor allem Grundwissen. Was sie uns definitiv nicht gebracht ist das mit Polytetrafluoroethylene beschichtete Brat- und Grillgerät.

    Die Verbindung selbst wurde 1938 entwickelt, patentiert wurde es 1941, die Marke ‘Teflon’ wurde 1945 eingetragen. Schon 1948 wurde 900 Tonnen jährlich hergestellt; die Pfanne gibt es seit 1954.

    Eine Quelle dies zu recherchieren ist der Artikel in der englischen Wikipedia. Dieser bekloppte ‘Teflonpfanne aus der Raumfahrt’-Mythos sollte sich zumindest hier nicht halten.

  13. Grundlagen- vs. angwandte Forschung

    Um es nochmal klarzustellen, ich stelle Grundlagenforschung nicht in Frage zugunsten angewandter Forschung. Die meiste Forschung in der Spintronik/Photonik ist z.B. immer noch Grundlagenforschung, das werden sie ja als Laserphysiker wissen. Bis auf HDD und MRAM ist da noch nicht viel rumgekommen auf der Nutzenseite, da hat CERN & NASA mehr Nebebprodukte produziert, aber wenn wir einen Quantencomputer hinbekommen, wird der die Möglichkeiten des wiss. Fortschritts potenzieren im Vergleich zur Entdeckung des Higgs-Teilchens. Was versuchen wir danach zu messen, Strings? Wir bewegen uns hier erkenntnistheoretisch und finanziell langsam auf eine Sackgasse zu. Mehr Rechenpower für bessere Simulationen würde sich imho mehr auszahlen, als das nächste Teleskop/Beschleuniger für ein paar Milliarden um etwas weiter/tiefer zu blicken.

    Man muss mal resümieren, was diese Gebiete in den letzten 20 Jahren an überprüfbaren Grundwissen (immer mehr hat Hypothesencharakter), das dann für nützliche Technologien verwendet werden konnte oder als wirkl. Erkenntnisfortschritt im Vergleich zu anderen Sparten produziert hat und noch wird. Denn eines ist klar, es gibt ein Finanzierungs- und damit Erkenntnislimit für Teilchenphysik, Kosmologie und Raumfahrt, die Experimente werden hier immer teurer, liegt leider in der Natur dieser speziellen Physik. Ich habe es oben erwähnt, die adaptive Optik macht viele milliardenschwere Teleskope der Vergangenheit obsolet, aber man hatte wenig Geduld, es werden keine Prioritäten gesetzt. Das Fortschritte in Laserphysik und Nanotechnologie Teleskope verbessern werden war aber wohl abzusehen.

    Die Grenze, die sie ziehen zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung existiert ja so nicht. Wenn man topologische Insulatoren untersucht oder Graphene, sind spez. Probengeometrien und Versuchsszenarien eben oft zwei Seiten einer Medaille, die Entdeckung des GMR war Grundlagenforschung, der techn. Nutzen aber auch unmittelbar klar. Deswegen ist es für die DARPA und Co. scheinbar auch nicht schwer, hier Beteiligung zu finden bei universitären Instituten. FK Physik als angewandte Forschung und Astro als Grundlagenforschung zu titulieren ist jedenfalls m.M. sehr widersprüchlich. Ist Laserphysik angewandte Forschung? Kosmische MASER gibts auch, Pulsare erzeugen auch sehr hohe Intensitäten über LASER ähnliche Mechanismen, manchmal kann man aus angewandter auch etwas über Grundlagenforschung lernen. Und letzendlich verblüffen mich überhaupt mögliche Technologien wie ein Quantencomputer mehr als die Sichtung des Higgsteilchen. Aber das kann man den Leuten eben nicht so verkaufen wie Sonne, Mond und Sterne…

  14. @Michael Ruttor

    Vielen Dank für die Klärung. Natürlich setzte ich Festkörperphysik nicht mit angewandter Physik gleich. Aber Sie haben Patente als Qualitätsmerkmal ins Spiel gebracht und Patente sind ein Maß für die kommerzielle Verwertbarkeit. Nicht unbedingt für wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn.

    Sonst stimme ich Ihnen zu. Irgendwann wird das Ende der Teilchenphysik erreicht sein. Ob es einen Nachfolger für CERN geben wird, weiß ich nicht. Das liegt auch nicht in meiner Hand. Aber auch der würde nicht “die letzte Frage” beantworten.

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