Ist Physik eine Realwissenschaft?

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Als ich mich am Anfang meines Studiums im Nebenfach mit Wirtschaftswissenschaften beschäftigte, bestand der Dozent darauf, dass Wirtschaftslehre keine Geisteswissenschaft sei. Eine Naturwissenschaft ist sie aber auch nicht. Da sie sich nun zweifellos nicht mit etwas ausgedachtem wie Literatur oder Mathematik beschäftigt, sondern mit ganz realen, fast schon zu realen Gegenständen wie Unternehmungen, Bar- und Buchgeld und Finanzierungs- und Liquiditätsproblemen beschäftigt, können Wirtschaftswissenschaftler darauf bestehen, eine Realwissenschaft zu betreiben.

Das gilt freilich für Literaturwissenschaft auch. Auch die dort wissenschaftlich untersuchten Novellen, Romane und Gedichte existieren tatsächlich, ganz real und auch wenn sie nicht untersucht würden. Nur die Mathematik muss sich damit begnügen, eine Formalwissenschaft zu sein. Ihr Gegenstand, die Mathematik, bestünde nicht ohne die Wissenschaft Mathematik. Und wie ist es nun mit der Physik? Gibt es die Gegenstände der Physik tatsächlich? Sind sie unabhängig von der Wissenschaft?

Natürlich werde ich jetzt nicht leugnen, dass der Hauptgegenstand der Physik real ist. Dieser ist die Natur selbst. Aber Physik ist nicht reine Naturbeobachtung, die Physik steht auf (mindestens) drei Säulen:

Da ist zunächst die Naturbeobachtung. Beobachtungen sind die Grundlage jeder Physik und wecken erst die Neugier der Wissenschaftler. Beobachtete Phänomene, wie der freie Fall, der Parabelwurf, Leuchteffekte in der Atmosphäre, scheinbare Bahnen von Himmelskörpern am scheinbaren Firmament, sind die erklärungsbedürftigen Objekte der Physik. Beobachtung geschieht weitgehend passiv. Der Beobachter greift in das Geschehen nicht ein. Trivialer Weise ist das Objekt der Beobachtung also real.

Die moderne Physik wäre aber nicht weit gekommen, ohne die zweite Säule: Das Experiment. Experimente erzwingen beobachtbare Phänomene unter kontrollierten Bedingungen. So hat schon Galileo Galilei Experimente auf der schiefen Ebene gemacht, um den Gesetzen des freien Falls auf die Spur zu kommen. Das Experiment ist selbst kein Naturvorgang. Es ist bereits ein Modell, aber eines in dem der Experimentator nur die Rahmenbedingungen vorgeben kann. Wie sich das Modellsystem dann verhält, regelt die Natur. Ein gutes Experiment legt die Ausgangssituation und die Rahmenbedingungen fest, der Ausgang des Experiments wird durch Naturgesetze bestimmt, die vermutlich auch ohne das Experiment Gültigkeit haben.

Aber dann ist da noch die dritte, vielleicht mächtigste Säule der Physik, das mathematische Modell, die Theorie. Theorien werden mathematisch festgezurrt und sind damit, wie die Mathematik selbst, nicht mehr von der Wissenschaft unabhängig existent. Die Physik ist also zu einem wesentlichen Teil Formalwissenschaft. Sie beschäftigt sich auch mit mathematisch beschriebenen Modellen von der Natur. Diese Modelle existieren nicht unabhängig von der Physik. Sie bilden Beobachtung und Experiment in möglichst weiten Grenzen ab. Bei vielen Modellen wissen wir genau, wo die Grenzen liegen. Bei anderen wissen wir immerhin, wie weit wir den Anwendungsbereich ausgelotet haben.
Lassen Sie mich konkret werden. Ich bekomme aufgrund meiner Webseiten manchmal spannende Fragen vorgelegt. Oft auch zur Realität von Phänomenen. Was ist eigentlich X? Ist Y real? Manchmal, wenn es sich bei X oder Y um Phänomene der Beobachtung handelt, sind die Fragen leicht zu beantworten. Wenn es sich aber um Objekte von Modellen handelt, wird es schwieriger.

Relativitätstheorie

Viele Fragen bekomme ich zur Relativitätstheorie. Die Schwierigkeit der speziellen Relativitätstheorie ist nicht so sehr das mathematische Modell. Die zugrunde liegende Mathematik ist simpel und lässt sich mit Schulwissen nachvollziehen. Die Schwierigkeit liegt eher an der Abstraktion. Die Theorie handelt von Symmetrien und davon, wie die selben Naturvorgänge aus unterschiedlichen Perspektiven, unter wechselnden Beobachtungsvoraussetzungen verschieden wahrgenommen und vor allem gemessen werden.

Zurückgelegte Wege und vergangene Zeiten zwischen zwei eindeutig bestimmten Ereignissen sind in der speziellen Relativitätstheorie keine vom Beobachter unabhängigen Messgrößen. Die Lichtgeschwindigkeit dagegen ist universell. Aus dieser Grundlage der Theorie folgen Phänomene wie Zeitdilatation und Längenkontraktion. Hier ergab sich in Diskussionen oft die Frage, ob das denn eigentlich reale Effekte sind ober ob es sich um Artefakte der Messung handelt. Ähnlich optischen Täuschungen.

Eine Fliege ist durch eine Lupe betrachtet nicht wirklich größer. Ist die Zeit durch ein Gravitationsfeld betrachtet wirklich langsamer? Ist die Zeitdilatation in der allgemeinen Relativitätstheorie real? Die Antwort hierauf ist ziemlich einfach. Die Zeitdilatation wird ja beobachtet. In einem GPS-Satelliten, der gar nicht als physikalisches Experiment gedacht ist, lässt sich der Einfluss sowohl der gravitativen als auch der geschwindigkeitsabhängigen Zeitdilatation messen. Die Zeit vergeht in solch einem Satelliten, der mit sehr genauen Uhren ausgestattet ist, tatsächlich messbar schneller. Und im Gegensatz zur Fliege, die nur durch die Lupe größer aussieht, aber an die Lupe vorbeigesehen immer gleich bleibt, ist die Zeitdifferenz zwischen Satelliten- und Erduhr völlig unabhängig vom Blickwinkel des Beobachters. Die Zeitdilatation ist objektiv und real.

Schwieriger ist das schon bei der Längenkontraktion. Die Länge eines Satelliten ist nach der Relativitätstherie auch verkürzt, so genau lässt sie sich aber von der Erde aus nicht messen. Wir wissen dennoch, dass die Längenkontraktion real ist. Dass also ein bewegtes Objekt kürzer ist als ein ruhendes, weil es viele Experimente gibt, die die Lorentzinvarianz bestätigen. Also den Grundsatz, dass zueinander bewegte Koordinatensysteme gleichen Naturgesetzen mit identischer Lichtgeschwindigkeit gehorchen. Diese Symmetrie der Natur beinhaltet aber Zeitdilatation und Längenkontraktion. Das eine macht ohne das andere keinen Sinn. Wir haben also indirekt Sicherheit, dass auch die Längenkontraktion real ist.

Photonen

Nun komme ich zu einem Punkt, wo wir die dritte Säule bemühen müssen. Das mathematische Modell. Oft stellt sich die Frage, was denn ein Photon sei und ob wir überhaupt wissen können, was ein Photon ist. Ja, wir können. Ein Photon ist nämlich nicht direkt ein Objekt der realen Welt. Es ist ein Objekt der mathematischen Modelle, mit denen die Natur beschrieben wird. Das Photon ist die elementare Anregung eines elektromagnetischen Feldes.

Real ist, dass es elektromagnetische Felder gibt und dass diese Felder die Fortpflanzung freier Wellen erlaubt. Experimentell gut bestätigt ist auch, dass Energie aus diesen Feldern in Quanten aufgenommen wird. Die Energie dieser Quanten (E) ist über die Formel E=hf mit der Frequenz (f) verbunden. In der Theorie können wir jedes elektromagnetisches Feld als Überlagerung von Photonen-Zuständen mit unendlicher Energieschärfe und unendlicher räumlicher Ausdehnung auffassen. Wir können jede elektromagnetische  Wechselwirkung als Austausch von virtuellen Photonen beschreiben. Das bedeutet aber nicht, dass diese Photonen real in den Feldern sitzen. Photonen gibt es und wir wissen genau, welche Eigenschaften sie haben. Aber nicht, weil wir die Natur bis ins Detail verstehen, sondern weil Photonen Objekte unseres Modells von der Natur sind. Und die Modelle schaffen die Physiker selber. Sie existieren in der Physik aber nicht unabhängig von der Physik.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

26 Kommentare

  1. Tja..

    Es ist eine elementare Frage..

    WAS beschreibt die “beobachtende” Wissenschaft und was beschreibt die “berechnende” Wissenschaft…

    2 verschiedene Pferde im selben Rennen!

    Ein Schimmel und ein Blackstar..

    Nur..

    Welches Rennen laufen sie denn wirklich?

    Meiner Ansicht bleibt nichts anderes, als gewisse Dinge einfach mal aus zu probieren, um zu sehen, was wirklich dabei raus kommt oder mindestens die beschreibende Welt der Wechselwirkungen MIT der beschreibenden Welt der Kräfte zu EINEM zu synthetisieren, denn nur dann kommen wir meiner Ansicht nach der “Wahrheit am nächsten.

    Denn wirklich “scharf” bis in alle Einzelheiten, das gibt es einfach nicht. Wer das glaubt, der verkohlt sich imho nur selbst

  2. @Joachim

    Sie schreiben da: “Ein Photon ist nämlich nicht direkt ein Objekt der realen Welt. Es ist ein Objekt der mathematischen Modelle, mit denen die Natur beschrieben wird.

    Ob der Anton Zeilinger dem zustimmen würde? Spätestens seit Sir Geoffrey Ingram Taylor 1909 einzelne Photonen durch den Doppelspalt geschickt hat, muss man das Photon doch auch als ein Objekt der experimentell direkt erfahrbaren Welt sehen. Und wäre aus Ihrer Sicht ein Photon auf eine andere Weise real als etwa ein Elektron?

  3. @Joachim

    Ein schöner post. 🙂

    Vielleicht sollte ich einmal etwas Ähnliches versuchen – z.B. eine Antwort auf die Frage, ob Philosophie eine Sozialwissenschaft ist.

    Na ja … es wird sowieso Wochen dauern, bis ich eine halbwegs vernünftige Antwort aud diese Frage habe. 😉

  4. @Chrys

    Es ist fast unmöglich, einen Zustand zu erstellen, der wirklich exakt einem Photon entspricht. Ein freies Photon ist unendlich lang und hat eine unendlich kleine Amplitude, so dass die Wahrscheinlichkeit, es irgendwo zu detektieren genau Eins ist.

    In Einzel-Photon-Beugungsexperimenten nimmt man oft einen kontinuierlichen Photonenstrom, also eine elektromagnetische Welle die so schwach ist, dass die Wahrscheinlichkeit, zwei Photonen direkt hintereinander zu Messen, extrem gering wird. Ist die Photonenquelle ein einzelnes Atom, so bekommt man sogar ein sogenanntes Antibunching, bei dem die Wahrscheinlichkeit für geringe Photonenabstände besonders klein ist.

    Es sind aber immer noch elektromagnetische Wellen, wenn auch sehr schwache.

    Der Unterschied zum Elektron ist, dass es für Elektronen ein Erhaltungsgesetz ist. Elektronen lassen sich nur paarweise zusammen mit Anti-Leptonen erzeugen und sie können nur bei gleichzeitiger Vernichtung eines Anti-Leptons verschwinden. Deshalb ist bei einem nicht zu energiereichen Elektronenstrahl die Zahl der Teilchen eine wohl definierte Größe. Das Elektron hat deshalb etwas mehr von einem richtigen Teilchen als das Photon.

  5. Vielen Dank für diesen Post – habe wieder etwas über Physik gelernt 🙂

    Eine Anmerkung habe ich doch. Sie schreiben: “Beobachtung geschieht weitgehend passiv”. Das möchte ich gerne differenzieren, denn so allgemein formuliert ist dies meiner Ansicht nach nicht richtig. Beobachtung ist (z. B. aus psychologischer Sicht) ein äußerst aktiver Prozess, angefangen bei der Auswahl des zu Beobachtenden, dann die mehr oder weniger bewusste Auswahl der Theorien, die diesen Beobachtungen zugrunde liegen bis hin zu deren Interpretation und Einbindung in weitere Theorien. Nicht zu vergessen die Leistung des Gehirns, aus all dem einen sinnvollen Zusammenhang zu formen. Das und einiges mehr – da gibt es eine Menge Aktivität, die durchaus auch die Beobachtung beeinflusst 🙂

  6. Photonen: Real oder Konstruiert?

    Realität oder Modell:
    “Ein Photon ist nämlich nicht direkt ein Objekt der realen Welt.”

    Realität oder Modell:
    “Real ist, dass es elektromagnetische Felder gibt und dass diese Felder die Fortpflanzung freier Wellen erlaubt”

    Für mich war ein Photon immer ein Quantenobjekt und damit so real wie ein Elektron. Auch ein freies Elektron ist ja nicht lokalisisert und hat damit genau so wenig mit einem Kügelchen gemeinsam wie das Photon.

    Warum aber sollen elektromagnetische Felder realer sein als Photonen. Auch das elektromagnetische Feld ist doch ein Modell. Wir sagen zwar, wir messen gewisse Eigenschaften des elektromagnetischen Feldes. Doch was wir messen ist weit entfernt vom mathematischen Modell des elektromagnetischen Feldes. Es passt höchstens zum Modell. Genaus so wie andere Messungen zum Modell Photon passen.

  7. @Simone D. Wiedenhöft: Beobachtung

    Ja, die Rolle des gar nicht so passiven Beobachters ist natürlich auch ein interessanter Punkt. Danke für die Ergänzung. Darüber lohnt sich fast ein eigener Beitrag.

  8. @Martin Holzherr: Theorie und Realität

    Sie haben recht, auch beim Elektron sollte man ehrlicher Weise zwischen dem Elektron als Naturphänomen und dem Elektron als Objekt des Modells unterscheiden. Beim Photon fällt es etwas leichter, weil einzelne Photonen in der Natur nicht vorkommen. Einzelne Elektronen kann man dagegen im Spektrum des Wasserstoffs direkt untersuchen.

    Was das Feld betrifft, so ist das ein weites Feld. Tatsächlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Feldbegriff einzuführen. Solche, die mehr experimentell sind, und solche, in denen das Feld ein theoretisches Konzept ist.

  9. @Joachim

    Unendlich lang und unendlich kleine Amplitude… so darf man das auch nicht betrachten. Im Gegensatz zum Elektron kennt ein Photon keinen Ortsoperator und hat keine Wellenfunktion im Sinne der klassischen QM. In einer axiomatischen Formulierung der QM taucht das Photon auch lediglich auf als eine Interpretationsregel zur Energieerhaltung beim Übergang zwischen zwei Eigenzuständen eines Schrödinger Operators. Das Photon ist nicht einmal ein richtiges QM-Teilchen, es gehört eigentlich zur QED.

    Für die Frage nach einer physikalischen Realität, die hinter den Experimenten und Beobachtungen steckt, ist es aber auch völlig irrelevant, ob das interessierende Phänomen nun im Rahmen der QM, der QED, oder vielleicht der klassischen Mechanik modelliert wird. Ein klassisches Teilchen ist ja nicht a priori realer als ein Elektron oder Photon. Und was wäre denn überhaupt ein “richtiges Teilchen”? Ein Massenpunkt? Bestimmt nicht, der ist ganz und gar nicht real.

    Den Zeilinger hatte ich nicht ohne Hintergedanken genannt, denn der scheint mir durchaus die Vorstellung vom Photon als einer experimentell erfahrbaren Wirklichkeit zu vertreten. Ich habe dazu noch einen “Nature” Aufsatz herausgesucht, an dem er mitgewirkt hat. [PDF Download]

  10. @Chrys

    Danke für den Link.

    “Den Zeilinger hatte ich nicht ohne Hintergedanken genannt, denn der scheint mir durchaus die Vorstellung vom Photon als einer experimentell erfahrbaren Wirklichkeit zu vertreten.”

    Interessant, für mich klingt der Artikel eher, als beschreibe Zeilinger hier mit “Photon” stets das theoretische Konzept mit dessen Hilfe die Phänomene, nämlich die Zählereignisse der Detektoren beschrieben werden.

    Er schreibt doch sogar explizit, dass man sich nicht vorstellen solle, das Photon sei irgendwo zwischen Quelle und Detektor. Das Quantenmechanische Modell beschreibt lediglich, mit welcher Wahrscheindlichkeit ein Detektor oder der andere ansprechen wird.

    “Und was wäre denn überhaupt ein “richtiges Teilchen”?”

    Ich möchte hier gar nicht zwischen richtigen Teilchen und richtigen Wellen unterscheiden. Elektronen und Photonen sind beides gut funktionierende Konzepte der theoretischen Physik, die tatsächlich auftretende Phänomene (der Experimentalphysik) richtig beschreiben.

    Wir sehen übrigens bei den Verschränkten Teilchen sehr schön, dass der Begriff “Photon” hier eher eine Metapher ist. Denn in der Theorie gibt es nicht zwei separate Teilchen, sondern einen Zustand der die Gesamtsituation beschreibt.

  11. @Joachim

    Das ist schon korrekt, anders als über seine Wechselwirkungen lässt sich ein Photon nicht beobachten. Das gilt aber entsprechend auch für das unquantisierte elektromagnetische Feld. Und allgemeiner für jedes Wechselwirkungsfeld, quantisiert oder nicht. Die “Clicks” eines Photonendetektors künden auf gleiche Weise von einer empirischen Realität wie etwa der Empfang einer Radiosendung.

    Bei Zeilinger et al. finde ich u.a. auch folgende Aussage zu Taylors Doppelspalt Experiment:

    In the simplest of such experiments, the light intensity can be dimmed down far enough that only one photon at a time is inside the apparatus.

    Wie interpretieren Sie das? Von einem abstrakten Objekt, das nur in einem mathematischen Modell existiert, würde man nicht behaupten können, es befinde sich innerhalb einer experimentellen Apparatur. Die Aussage erscheint mir nur dann sinnvoll, wenn man dem Photon denselben Status an Realität zugesteht wie auch einem Elektron, das durch den Doppelspalt geschickt wird.

    Wir sehen übrigens bei den Verschränkten Teilchen sehr schön, dass der Begriff “Photon” hier eher eine Metapher ist. Denn in der Theorie gibt es nicht zwei separate Teilchen, sondern einen Zustand der die Gesamtsituation beschreibt.

    Das Wort “Teilchen” ist da bereits die Metapher. Eine quantenmechanische Wellenfunktion beschreibt in Wahrheit ja auch nicht einzelne Teilchen, sondern den Zustand eines quantenmechanischen Systems. Nehmen Sie die Schrödinger Gleichung für das Wasserstoffatom, das ist dann auch ein 2-Teilchen System. Bei Elektronen und Protonen ist das also auch nicht so ganz anders als bei Photonen.

  12. @Chrys

    “In the simplest of such experiments, the light intensity can be dimmed down far enough that only one photon at a time is inside the apparatus.”
    “Wie interpretieren Sie das?”

    Genau hier ist es klar, dass kein Ein-Photon-Zustand gemeint sein kann, sondern eben ein “klassisches” Lichtfeld, dass so weit abgeschwächt wurde, dass die Photonenzahl im Lichtstrahl kleiner als Eins ist. Das heißt, der Erwartungswert der Teilchenzahloperators ist viel kleiner als eins. Quantenmechanisch muss man bei solch einem Feld eigentlich eher sagen, dass zu jedem Zeitpunkt weniger als ein ganzes Feldquant vorhanden ist und dass die Wahrscheinlichkeit, zwei Quanten direkt nacheinander oder gar gleichzeitig zu absorbieren nahezu verschwindet.

    Es ist also ein vereinfachter Ausdruck, für einen quantenmechanisch komplizieren Sachverhalt. Gegen solche Vereinfachungen ist auch nichts einzuwenden. Es ist eine griffigere Aussage. Aber man kann sich von Zeit zu Zeit gerne mal klar machen, was hinter solchen Aussagen tatsächlich steht.

    “Nehmen Sie die Schrödinger Gleichung für das Wasserstoffatom, das ist dann auch ein 2-Teilchen System. Bei Elektronen und Protonen ist das also auch nicht so ganz anders als bei Photonen.”
    Ja, da haben Sie recht. Aber wir haben hier den Vorteil, dass hier die Teilchenzahl eine Erhaltungsgröße ist. Jedenfalls wenn das Proton stabil ist. Wir haben es hier also strikt mit einem Elektron und einem Proton zu tun und müssen erst in hoher Ordnung zusätzlich virtuelle Teilchenpaare berücksichtigen. Im Fall eines Photonenfeldes muss man dagegen berücksichtigen, dass man es fast nie mit einem Eigenzustand des Photonenzahl-Operators zu tun hat.

  13. @Joachim

    Wenn Sie Ihren Einwand so umformulieren, dass der Bezug zu einem Teilchenzahl Operator (s.u.) daraus verschwindet, dann ist das genau die semiklassische Deutung des Taylor Experimentes, deren Zulässigkeit ja auch von Zeilinger et al. bestätigt wird. Es erfolgt dann aber auch der Hinweis auf eine raffiniertere Version des Experiments (Grangier et al., Ref. 10), die sich nicht mehr semiklassisch interpretieren lässt.

    Mit einem Teilchenzahl Operator sollten Sie bei Photonen tunlichst nicht argumentieren. Das funktioniert nur für “echte” quantenmechanische Teilchen, also solche, deren Dynamik durch die Schrödinger Gleichung beschrieben wird. Die Dynamik des Photons ist hingegen durch die Maxwellschen Gleichungen bestimmt, man darf es in der Tat als ein Quantum elektromagnetischer Strahlung betrachten. Aber im Formalismus der QM ist das Photon überhaupt kein Teilchen, und ein Photonenzahl Operator ist mithin nicht definiert.

    Wenn ich Sie richtig verstehe, dann entspricht Ihre Sicht der Dinge eigentlich exakt dem semiklassischen Standpunkt: Zwar sind Emission und Absorption von Licht quantisiert, aber zwischendurch ist es grundätzlich nur Maxwell, der die Sache regelt. Eine Quantisierung des EM-Feldes selbst und den daraus erhaltenen Begriff des Photons verstehen Sie dabei als mathematische Artefakte, die bequem und elegant sein mögen, aber im Prinzip durch klassische Konzepte ersetzbar und daher nicht physikalisch real sind. Damit kommen Sie beim Zeilinger aber nicht durch, beachten Sie dazu bitte auch die “Box 2” in dem Aufsatz und die dort genannten Referenzen.

  14. @Chrys: Quantenfeldtheorien

    Sie haben mich falsch verstanden. Wenn ich sage, dass Photon sei ein Objekt der Theorie, dann bedeutet das nicht, dass es ein Artefakt ist oder dass die Theorie darauf verzichten könnte. Es wird benötigt um tatsächlich auftretende Phänomene zu beschreiben.

    Der Teilchenzahloperator ist natürlich in klassischer Maxwelltheorie nicht definiert. Man kann aber auch bosonische Felder quantisieren. Dabei kommt man auf Quentenfeldtheorien, die auch Teilchenzahloperatoren für Photonen definieren.

    In Resonatoren ist das nicht besonders schwer, weil das elektromagnetische Feld zu einem harmonischen Oszillator äquvalent ist und sich damit genau so quantisiert, wie die Schwingungszustände eines gebundenen Elektrons. Man findet das zum Beispiel in dem Buch “Quantum Electronics” von Amnon Yariv.

    Das Photon ist notwendiger Bestandteil der modernen theoretischen Physik.

  15. @Joachim

    In der QED Interpretation wird das Taylor Experiment (simple Version) schlicht zu einer geordneten Abfolge der Kreation und Annihilation jeweils eines Photons, sodass zu jedem Zeitpunkt höchstens ein Photon im Apparat existiert. In diesem Bild ist es doch völlig offensichtlich, dass der Zeilinger “single photon” meint, wenn er “single photon” sagt.

    Es ist schon korrekt, dass Sie hier einen Teilchenzahl Operator auf einem bosonischen Fock Raum einführen können, wenn Sie wollen. Das bringt aber keine neuen Einsichten für die Deutung des Experimentes. Und die Frage, warum ein Photon vielleicht weniger real sein soll als ein Elektron, wird damit auch nicht geklärt.

  16. @Chrys

    Mir liegt das Paper von 1909 leider nicht im Original vor, so dass ich hierzu im Detail nichts sagen kann. Die einfachsten Ein-Photon-Experimente werden aber mit einer abgeschwächten klassischen oder Laserlichtquelle durchgeführt. Dabei handelt es sich um einen monochromatisierten und abgeschwächten Lichtstrahl, der eben kein reiner Ein-Photon-Zustand ist.

    Den Eindruck, das Photon sei weniger real als das Elektron, wollte ich nicht geben. Es ist doch eher das Gegenteil: Ich betone, dass wir genau wissen können, was ein Photon ist, weil es ein Objekt unseres Modells ist. Selbst wenn in der Natur meist Viel-Photonen-Zustände auftreten, bei denen die Photonenzahl nichteinmal scharf ist, hat der Begriff des Photons als kleinste Einheit der Theorie, mit der wir Licht beschreiben können, eine entscheidende Bedeutung in der Physik.

  17. kein neues Thema:

    Ich halte die auf die moderne Physik zielende Blickrichtung dieser Fragestellung für falsch, denn wie man in diesem Aufsatz Poppers und diesem (leider nicht mehr auf Rovellis website frei downloadbaren) Buch sieht, ist die in der Fragestellung thematisierte Vorstellung von “Realität” Ausgangspunkt, und nicht eine problematische spätere Entwicklung, von Physik. Insbesondere steht sie nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Mathematisierung.

  18. @Joachim

    Die Erklärung des Taylor Experiments durch das klassische Feld bleibt ja auch trotz QED gültig. Und eigentlich überrascht das nicht: Der QED Lagrangian für ein freies Photonenfeld ist -½F∧∗F wobei F den Faraday Tensor bezeichnet. Das heisst aber letztlich, die Dynamik eines Photons ist die eines EM-Feldes und wird folglich beschrieben durch die Maxwellschen Gleichungen. Dem Lagrangian sieht man die Quantisierung nicht einmal an, die steckt bereits zuunterst im Formalismus der QED.

    Mit anderen Worten, ein einzelnes Photon lässt sich auch kennzeichnen als ein EM-Feld mit Photonenzahl 1. Mittlerweile scheint es mir doch vielleicht eine recht gute Idee, auch in eher populären Zusammenhängen von Photonenzahl zu reden. Einem interessierten Laien kann man zwar nicht wirklich erklären, wie die Photonenzahl aus dem Feld durch Quantisierung erhalten wird. Aber es wäre zumindest treffender als die Worthülse vom Lichtteilchen, die bestenfalls nichts erklärt und schlimmstenfalls falsche Assoziationen mit “Teilchen” aus der Alltagswelt erweckt.

  19. @Chrys

    Langsam kommen wir uns näher. Auch ich denke, dass man von dem Lichtteilchen wegkommen muss, weil ein Laie sich dann die Lichtwelle wie ein Strom kleiner Punktteilchen ähnlich einem Sandsturm vorstellt. Diese Vorstellung wäre definitiv falsch.

    “Mit anderen Worten, ein einzelnes Photon lässt sich auch kennzeichnen als ein EM-Feld mit Photonenzahl 1.”

    Ja, aber bei den einfachen “Ein-Photon-Experimenten” ist es meist so, dass nicht das ganze Lichtfeld im Interferometer ist. Man hat in der Regel eine Lichtquelle (thermisch oder Laser), einen Abschwächer und dann das Interferometer mit den Detektoren.

    Von Einzel-Photon-Experimenten spricht man dann, wenn die Photonenzahl im Bereich des Interferometers deutlich kleiner 1 ist. Im Gesamtsystem, Lichtquelle, Abschwächer und Interferometer ist die Photonenzahl aber in der Regel sehr groß und hat eine große Unbestimmtheit, weil das Photonenfeld in kohärenter Wechselwirkung mit dem Leuchtmittel ist.

  20. @Joachim

    Ideale Vorgaben sind allerdings in der Theorie leichter formuliert als im Experiment umgesetzt. Strenggenommen müsste man garantieren, dass die Photonenzahl nie grösser als 1 ist. Glaube ich Ihnen aber auf’s Wort, dass das praktisch nicht zu machen ist.

    Ja, der Vergleich mit einem Sandstrahl trifft wohl ziemlich genau, wie sich die meisten einen Photonenstrahl vorstellen. Leider sind diese Bilder schon in den Köpfen bevor der Nachwuchs an die Uni kommt. Oft werden Photonen ja als kleine leuchtende Kügelchen dargestellt, manchmal haben sie noch einen hübschen welligen Schweif. Sehr einprägsam… und voll daneben.

  21. Artikel zu D. Deutschs’ Multiversum

    Hier ein weiterer Denkanstoß für die Realitätsfrage. Wie begründet Deutsch den Realitätsanspruch für seine Version des Polyversums?

  22. Psychologisch und methodisch richtig!

    Beobachtung ist (z. B. aus psychologischer Sicht) ein äußerst aktiver Prozess, angefangen bei der Auswahl des zu Beobachtenden, dann die mehr oder weniger bewusste Auswahl der Theorien, die diesen Beobachtungen zugrunde liegen bis hin zu deren Interpretation und Einbindung in weitere Theorien. Nicht zu vergessen die Leistung des Gehirns, aus all dem einen sinnvollen Zusammenhang zu formen. Das und einiges mehr – da gibt es eine Menge Aktivität, die durchaus auch die Beobachtung beeinflusst 🙂

    Bis auf den “Ausrutscher”, Denkleistungen einem “Gehirn” und nicht seinem Benutzer – Gehirne sind immer noch nicht zufällig sog. “Organe”, wörtl. Werkzeuge! – zuzuschreiben, ist psychologisch völlig richtig, worauf Frau Wiedenhöft hinweist.

    Schon psychologisch gibt es zB. keine “Beobachtung” ohne gezielte und dann absichtliche oder “intendierte” (ja nicht einmal ohne unwillkürliche) Selektion von etwas “Bestimmten” aus dem Gesamt des Wahrgenommenen und Konzentration, Einengung oder Beschränkung ganau darauf; sonst würde es sich ja um ein ungerichtetes (vielleicht breit-offenes, eher diffuses oder ‘allgemeines’) “Wahrnehmen” handeln.

    Methodisch entspricht dem die (evtl. willkürliche…) “Bestimmung” und ggf. auch theorieabhängige “Defintion” – Ab- oder fast wörtlich “Umgrenzung” – des Untersuchungsgegenstandes und dessen sprachlich genaue Beschreibung, seiner evtl. Ana-“lyse” (wörtl.: Auf-“Lösung”, oder Zerlegung in Einzelteile) sowie seiner evtl. weiteren “Unter”-suchung.

    Die sprachliche Darstellung des dabei “Beobachteten” und Einordnung in schon Bekanntes gehört allerdings nicht mehr zur (“empirischen”) Beobachtung, sondern zur traditionell “geistig” genannten “Verarbeitung” und ggf. auch theoretischen “Einordnung”.

  23. Nachtrag: Infos über Ulf von Rauchhaupt

    …sind hier zu finden – und seine FAZ-Artikel einschließlich seiner Rezensionen sind ein intellektueller Hochgenuss, bestimmt auch seine Bücher, zu denen ich allerdings selbst nichts weiter sagen kann.

  24. Längenkontraktion, Strom und Magnetismus

    In diesem Beitrag erhält man den Eindruck die Längenkontraktion sei schwierig zu beobachten, müsse aber aus Symmetriegründen existieren. Doch Alltagsphänomene wie Magnetismus um stromdurchflossene Leiter gehen letztlich auf die Längenkontraktion zurück. Sie ist also kein exotisches Phänomen.
    Hier der Abschnitt über die Längenkontraktion im Artikel:

    Schwieriger ist das schon bei der Längenkontraktion. Die Länge eines Satelliten ist nach der Relativitätstherie auch verkürzt, so genau lässt sie sich aber von der Erde aus nicht messen. Wir wissen dennoch, dass die Längenkontraktion real ist. Dass also ein bewegtes Objekt kürzer ist als ein ruhendes, weil es viele Experimente gibt, die die Lorentzinvarianz bestätigen.

    Dies erweckt den Eindruck, Längenkontraktion sei etwas was unter normalen Umständen nicht zu beobachten sei.
    Dazu möchte ich anmerken, dass das magnetische Feld, das zwei parallele stromdurchflossene Leiter einander anziehen lässt, auf die Längenkontraktion zurückgeht, die die bewegten Leitungselektronen im anderen Draht beobachten. Hier die Erklärung: Wir gehen von 2 parallelen Drähten mit Gleichstrom in die gleiche Richtung aus. Die Elektronen, die sich durch einen der Leitungsdrähte bewegen, erleben den anderen Draht als positiv geladen, denn die positiven Ladungen (Atome) des anderen Drahtes liegen aufgrund der Längenkontraktion nun näher zusammen, während die negativen Ladungen (Elektronen) des anderen Drahtes einen unveränderten Abstand zueinander haben, da sie sich gleich schnell bewegen wie im ersten Draht (Die Ströme gehen ja in die gleiche Richtung). Die magnetische Anziehung zwischen zwei Drähten geht also auf die Längenkontraktion zurück und das obwohl die Leitungselektronen in einem Draht sich sehr langsam fortbewegen.

    Dies zeigt also, dass die Längenkontraktion ein Alltagsphänomen ist, welches die magnetische Anziehung zwischen Drähten erklärt.

  25. Erfahrungswissenschaft

    Vielleicht kann man Physik in dem Sinn als Realwissenschaft bezeichnen, als es um eine Realität geht, die wir erfahren und insbesondere beeinflussen können; so wie die Wirtschaftswissenschaft ebenfalls unsere Realität mit ihren Modellen und Regeln beeinflussen können. Der Unterschied liegt darin, dass der Erfahrungsgegenstand der Physik von menschlicher Existenz unabhängig ist, während der der Wirtschaftswissenschaften eng an die Existenz des Menschen und menschlicher Gesellschaften geknüpft ist (jedenfalls, solange wir nicht noch anderen Wesen begegnen, die solche Dinge wie Derivatgeschäfte ausdenken).

    Letztlich scheint mir aber unser Wissen im wesentlichen darin zu bestehen, was wir ausdrücken können. Ob als Experimentalist in Form eines experimentellen Aufbaus oder als Theoretiker in Form eines mathematischen Modells. In beiden Fällen jedoch gehen wir extrem reduktionistisch vor, indem wir möglichst vieles, um das wir uns zunächst nicht kümmern möchten, ausblenden, um den Gegenstand, der uns tatsächlich interessiert, möglichst genau beschreiben (präparieren) können. Unsere Erkenntnisse beruhen also nicht auf der Natur als solcher, sondern auf einem präparierten Zustand der Natur, von dem wir HOFFEN, dass wir ihn für unsere Erkenntnisabsicht hinreichend genau beschreiben UND kontrollieren können, um daraus eine Regelmässigkeit zuverlässig ablesen zu können.

    Wir haben leider keine andere Instanz, die uns mitteilt, ob die von uns formulierten Naturgesetze irgendetwas mit der Wiklichkeit zu tun haben, ausser jener, bei der unsere Gesetze zutreffen (unzuverlässig) oder widerlegt (weniger unzuverlässig) werden. M.a.W. der liebe Gott hält uns keinen Böppel vor die Nase und sagt, das ist ein Elektron, kapiert ?! So isser nich’, … er will auch seinen Spass, mit dieser Schöpfung. Wenn er gut drauf ist, lässt er uns infinitesimal nahe dran.

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