Unsichtbares sehen

BLOG: Quantenwelt

Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Gerade haben wir unser Rasterelektronenmikroskop in Betrieb genommen und erste schöne Bilder gemacht. Es ist faszinieren, wie kleine Strukturen man mit dieser Einrichtung sehen kann. Strukturen, die deutlich kleiner sind als die Wellenlänge sichtbaren Lichtes. Aber Moment Mal. Kann man solche Strukturen überhaupt sehen? Was bedeutet sehen?

Durch das Fernsehen haben wir uns sehr daran gewöhnt, mit den Augen Vorgänge wahrzunehmen, die wir aus verschiedenen Gründen gar nicht sehen können. Wir sehen Ereignisse die, weil sie rein fiktiv sind, nie stattgefunden haben. Mit meinen Neffen kann ich mich stundenlang über die Jediritter, Funktionsweisen von Lichtsäbeln und die Geschichte der beiden Seiten der Macht unterhalten. Wir sind alle Zeugen dieser Ereignisse von langer Zeit in einer fernen Galaxis geworden. Obwohl sie nie stattgefunden haben.

Ereignisse, die in Gebieten geschehen, in denen wir nie gewesen sind. Nachrichten übermitteln uns bewegte Bilder von allen Enden der Erde. Ich fühle mich in den Besitz von Erfahrungen aus Ländern, die ich nie betreten habe. Das ist ein Trugschluss, denn ich habe diese Bilder nur im Fernsehen gesehen, vielleicht ein paar Hintergrundinformationen in der Presse und Berichte von Augenzeugen gelesen, aber das Erlebnis dieser Länder mit allen Sinnen fehlt mir. Vor allem fehlt aber die Möglichkeit, den Blick zu wenden. Das Kamerabild gibt den Blickwinkel, die Perspektive vor. Was links und rechts ist, kann meine Aufmerksamkeit nicht wecken, weil es nicht einmal am Rand des Sichtbereichs vorhanden ist. Das Fernsehbild übermittelt unvollständige Information.

Dass man unmögliches in Bildern darstellen kann, zeigen auch die Lithographien M.C. Eschers eindrücklich. Mönche, die in ihrer Meditation die Stufen immer nur hinauf gehen, und Wasser, dass im Kreis bergab fließt und dabei eine Wassermühle antreibt, zeigen wie eine perspektivisch perfekt gezeichnete Fläche völlig unmögliche dreidimensionale Gebilde darstellen kann.

Rasterelektronen-BildSelbst diese Bilder alltäglicher Erlebnisse, Bilder von Menschen, Landschaften und Gebäuden können also täuschen. Um so mehr muss man Bildern misstrauen, die in der Mikro- und Nanowelt aufgenommen werden. Oberflächen, deren Strukturen kleiner als die Wellenlänge sichtbaren Lichtes, also kleiner als etwa einen halben Mikrometer sind, können nicht gesehen werden. Das Rasterelektronenmikroskop verwendet zur Bilderstellung ein Verfahren, dass mit dem Vorgang des Sehens fast nichts gemein hat: Ein feiner Elektronenstrahl wird nacheinander auf einzelne Punkte der Oberfläche fokussiert und während einer eingestellten Zeitspanne misst ein Detektor die Menge der entstehenden Sekundärelektronen, die diesen Detektor erreichen. Auf dem Monitor wird dann für jede Messung ein Punkt angezeigt. Je mehr Elektronen gemessen wurden, desto heller wird der Punkt.

Lassen Sie sich nicht täuschen. Bildgebende Verfahren erzeugen nicht unbedingt unverfälschte Bilder der Wirklichkeit. Wir haben es hier mit einer Darstellung von Messergebnissen zu tun. Messergebnisse, die, um der Denkgewohnheit des Betrachters entgegenzukommen, wie Abbildungen einer Oberfläche dargestellt sind. Aber die Oberfläche reagiert auf Elektronen anders als eine Landschaft auf Licht. Helle Gebiete haben hier unter Umständen andere Bedeutungen, als unsere Sehgewohnheit vermutet. Bilder können uns viel zeigen, sie können aber auch täuschen. Nicht nur im Fernsehen, sondern auch in der Wissenschaft.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

19 Kommentare

  1. @Martin Schmidt

    “wird es je möglich sein ein Atom bzw seinen Kern oder ein einzelnes Proton oder Neutron zu “sehen” ?”

    Die Frage ist, was es dort wohl zu sehen gibt.

    Wie ich in meinem letzten Blogeintrag geschrieben habe, arbeiten wir ja schon daran, die einzelnen Atome in den Molekülen “sichtbar” zu machen. Das kommt dem Sehen schon nahe, weil mit dem Röntgenlaser Licht kürzerer Wellenlänge zur Verfügung steht,

    Aber wenn man in das Atom hineinsehen will, stößt man an die Grenzen dessen, was ich mit gutem Gewissen “sehen” nennen würde. Die Reaktion von Objekten auf Licht wird durch das Zusammenspiel der Elektronen mit dem Kern charakterisiert. Ein Proton oder Neutron allein regiert ganz anders auf kurzwellige Röntgenstrahlung als die vollständigen Atome auf Licht.

  2. Den Teilchen-Welle Dualismus wird man also nicht dadurch auflösen können, sich so ein Ding einfach mal anzuschauen?

  3. Teilchencharakter

    Nein, dass alle Teilchen, also auch die Bausteine der Atome, Welleneigenschaften haben, ist kaum noch anzweifelbar. Und hier ist auch die Grenze desses, was man sichtbar machen kann, gegeben.
    Röntgenstrahlen gehören, wie das Licht, zum Spektrum der elektromagnetischen Strahlung. Sie haben nur viel kürzere Wellenlängen.
    Damit könnte man argumentieren, dass man das Sehen durch entsprechende Röntgendetektoren beliebig weit zu kleineren Strukturen erweitern könnte, wenn man nur Röntgenstrahlen mit beliebig kurzen Wellenlängen einsetzt. (Technische Probleme lassen wie einmal außen vor.)
    Selbst dies findet jedoch spätestens dann seine Grenze, wenn die Wellenlänge der Strahlung in den gleichen Bereich kommt, wie die Wellenlängen von Elektronen und Protonen. Spätestens dann wird aus dem Sehen ein ganz anderer Vorgang.

  4. kleiner als die Wellenlänge

    Strukturen die kleiner als die Wellenlänge des sichtbaren Lichtes sind, können mit dem optischen Rasternahfeldmikroskop (SNOM) gesehen werden:

    http://www.nahfeldmikroskopie.de/…lgemeines.html

    Mikroskopie mit verbotenem Licht (hinter der Totalreflektion):

    (Light, that boldly goes, where no light has gone before)

    http://monet.physik.unibas.ch/snom/forbidden.htm

    The superlens has a negative refractive index and can be used to image structures with a resolution that is about one sixth the wavelength of light:

    http://physicsworld.com/cws/article/news/22065

    Wie man Atome atomgenau positionieren und abbilden kann:

    http://www.deutsches-museum.de/…ke-ii/mikroskop/

    Wie man einzelne Moleküle und Atombindungen zusammen stöpselt, und dann abbildet:

    http://www.news.cornell.edu/…9/molecules.ws.html

    Viele weitere Links:

    http://members.chello.at/karl.bednarik/NANO3.html

  5. Nahfeldmikroskopie

    Vielen Dank für die Links,

    Auch diese Verfahren fallen unter die selbe Kategorie, wie das Rasterelektronenmikroskop. Sie sind Messverfahren, die bessere Auflösungen als Sehen erreichen. Sie unterscheiden sich aber grunbdlegend vom Vorgang des Sehens.

    Das ist selbstverständlich kein Makel, aber es hilft bei der Auswertung solcher Bilder, sich darüber im Klaren zu sein.

  6. Eine laienhafte Frage:

    Wenn man zwei identische Atome, zum Beispiel Xenon 132, direkt neben einander legt, dann kann man mit dem Rastertunnelmikroskop erkennen, welches Atom links oder rechts liegt.

    Quantenmechanisch sind aber identische Atome prinzipiell ununterscheidbar.

    Habe ich hier etwas falsch verstanden?

  7. Optik ist auch nur Physik

    Einerseits sehe ich die Warnung als gerechtfertigt, dass es sich hierbei natürlich um eine Messung handelt, die uns Informationen dem entsprechend liefert, wie wir sie abfragen.
    Andererseits habe ich ein Problem damit, das über das Sehen nicht genau so anzunehmen. “Bildgebende Verfahren erzeugen nicht unbedingt unverfälschte Bilder der Wirklichkeit.” Aber das schafft Sehen auch nicht. Nur weil das Medium ein anderes und der Mechanismus ein anderer ist, nur weil eines “künstlich” und das andere unmittelbar erfahren wird und darum meist unhinterfragt bleibt, ist nicht eins von beiden wahrhaftiger.

    Also, kurz, ich denke es lieber andersherum: das Sehen vermittelt uns auch nur mittelbare Information über physikalische Prozesse, nicht viel anders als der Messprozess. Entscheidend ist immer, was man mit den Informationen macht und dass man einschätzen kann, welche Aspekte der Wirklichkeit so dargestellt werden und welche nicht.

  8. @ kamenin

    Jajaja.

    Das Problem ist so alt, dass es sogar den Anatomen vertraut ist. Bei uns heisst es: “das Äquivalentbildproblem”. Es tritt vor allem in der Histologie auf: was ich sehe, ist stets abhängig davon, wie ich färbe/vorbehandle. Nie seh’ ich alles: ich seh’ immer nur Teilbilder.

    Überspitzt (ohne dabei jedoch in die Falschheit abzugleiten) könnte ich sagen: kein Mensch hat je eine Nervenzelle gesehen, sondern immer nur das, was sich gerade von ihr abbilden liess. Die “Nervenzelle” ist ein Konzept, kein Perzept.

    So betrachtet hat freilich auch kein Mensch je irgendein äusseres Ding ganz und in seiner Wirklichkeit gesehen. Aber da fängt schon wieder der Idealismus an.

  9. Nicht das sehen ist das Problem

    Selbstverständlich kann man auch das Sehen selbst hinterfragen. Und selbstverständlich ist auch Optik nur Physik.

    Mit dem Gesichtssinn haben die allermeisten Menschen die größte Erfahrung. An dem, was ich sehe, orientiere ich mich. Wenn die Reflexion von Infrarot- oder Röntgenstrahlung in eine Bildinformation umgewandelt wird oder eine Optik das Bild sichtbaren Lichtes vergrößert, dann können wir den Erfahrungen des täglichen Sehens noch einigermaßen trauen.

    Hier ging es mir aber um bildgebende Verfahren, die mit dem Sehen nichts zu tun haben. Das Rastertunnelmikroskop kommt den Tastsinn viel näher als dem Gesichtssinn. Das Mikroskop tastet eine Oberfläche ab und malt uns ein Berg wo viele, ein Tal wo wenige Elektronen fließen.

    M.C. Escher hat nach den Regeln der Perspektive Architekturen synthetisiert, die in drei Dimensionen gar nicht existieren können.

    Wir können uns bei solchen synthetisch generierten Bildern nicht auf die Intuition verlassen, die wir im täglichen Umgang mit dem Gesichtssinn erlernt haben.

  10. @Joachim

    wenn ich mir manche Bilder dieser Mikroskope ansehe, könnte tatsächlich der Eindruck entstehen, Atome seien Kugeln. Derweil ist das Äußere eines Atoms doch nur eine Hülle aus Elektronen, deren Aufenthaltsort nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit bestimmt werden kann. Sind die Kugeldarstellungen also doch nicht so verkehrt?

  11. Kugelphysik

    “Sind die Kugeldarstellungen also doch nicht so verkehrt?”

    Ganz verkehrt sind sie nicht. Im Vakuum wird ein Atom Kugelgestalt annehmen, weil die Kraft, die es zusammenhält, vom beinahe punktförmigen Kern ausgeht und keine Vorzugsrichtung hat. Es hat jedoch keine klaren Grenzen, wird also mehr eine Kugelwolke sein.

    Auf einer Oberfläche wird sich ein Atom eher wie ein Wassertropfen verhalten und sich, je nach Beschaffenheit der Oberfläche, mehr oder weniger anschmiegen.

    Da die Oberfläche auch aus Atomen besteht, ist sie für das Atom natürlich nicht glatt, das Atom wird sich am Gitter der Oberflächenatome orientieren.

    Zudem sind die Grenzen zwischen Atom und Oberfläche fließend, denn beides besteht letztlich aus ununterscheidbaren Elektronen, die ausgetauscht werden können. Das Rastertunnelmikroskop tastet die Oberfläche gerade über der Austausch von Elektronen ab.

  12. @ Joachim

    Okay, die Intuition ist das Problem, oder besser die Anwendung makroskopisch definierter Anschauung auf nicht mehr makroskopische Objekte: wenn etwas wie eine Kugel unserer Erfahrung aussieht, sollten wir reflektieren, wie das zustande kommt, und nicht denken, es wäre wie eine vermeintlich vertraute makroskopische Kugel. Die Illusion von Kontinuität oder Homogenität etc. ist makroskopisch nützlich, im Mikroskopischen schnell missverständlich.

    Mit der Art der Messung hat es meiner Meinung nach nicht viel zu tun: meine Schreibtischlampe tastet ja auch nur mit Photonen eine Oberfläche ab, und mein Auge entnimmt ein frequenzabhängiges Intensitätsmuster der Reflexion.
    Wenn wir ganz andere Wellenlängen in ganz anderer Vergrößerung “sehen” könnten, würde das an dem eigentlich Problem nicht viel ändern.

  13. Elektronensenke

    Wichtig ist der Hinweis des Autors, dass man sich bei der Interpretation der Bilder, bewusst sein sollte, dass es sich ursprünglich um die Messung der Anzahl der von einem bestimmten Ort reflektierten Elektronen, handelt.

    Gesetzt Schwarz symbolisiere, dass kein Elektron reflektiert wurde, und sonst wäre eine weiß-graue “Landschaft” zu sehen, dann sähe ein schwarzer Fleck, wie ein Loch aus, tätsächlich könnte sich an dieser schwarzen Stelle aber ein makroskopischer Festkörper befinden, der lediglich keine Elektronen reflektiert.

    Um es ganz deutlich zu sagen, wo man nichts sieht, kann dennoch etwas sein.

  14. @ Helmut Wicht

    Die “Nervenzelle” ist ein Konzept, kein Perzept. So betrachtet hat freilich auch kein Mensch je irgendein äusseres Ding ganz und in seiner Wirklichkeit gesehen.

    Seh’ ich auch so. Gerade darum bin ich immer noch verwirrt, wie Du eine richtige Position für den Beginn des falschen Idealismus halten kannst 😉 Ich verstehe gerade nicht, wo der Realist zu anderen Ergebnissen kommen sollte.

  15. Atome zum Anfassen:

    Atome zum Anfassen:

    Das Rasterkraftmikroskop:

    http://www.weltderphysik.de/de/279.php

    Bewegliche DNA in Wasser abtasten:

    http://malone.bioquant.uni-heidelberg.de/…97.pdf

    Atome sind zwar unscharf, aber beim Van-der-Waals-Radius gibt es einen deutlichen Übergang von hart nach weich.

    Noch etwas weiter weg treten dann die anziehenden Van-der-Waals-Kräfte auf.

    Deshalb gibt es in der Chemie die Kalottenmodelle, und das Phänomen der sterischen Behinderung.

    http://www.chemieseite.de/organisch/node14.php

    Modell von Aspirin:

    http://static.startblatt.net/…Kalottenmodell.png

  16. Der Van-der-Waals-Radius

    Der Van-der-Waals-Radius ist jener Abstand vom Atomkern, in dem bei ungebundenen und ungeladenen Atomen die starke abstoßende Kraft in eine schwache anziehende Kraft übergeht.

    Deshalb kristallisieren ungebundene und ungeladene Atome im Abstand von zwei Van-der-Waals-Radien.

    Die starke abstoßende Kraft bewirkt unter anderem auch die geringe Kompressibilität von Flüssigkeiten und Festkörpern.

  17. @ kamenin

    🙂

    Schon erstaunlich, wie man auf der Basis der Einigkeit über grundlegende Dinge doch zu völlig unterschiedlichen Weltbildern gelangen kann.

    Fast scheint’s mir, als ob unser Dissens nur in den Begriffen von “Realist” und “Idealist” läge, die wir anders auffassen.

  18. aha

    ich bin mal gespannt wann ihr euch mit dem Ur Grund allen Seins beschäftgen werdet, ich meine unmittelbar , ihr nähert euch an aber ich habe als aussenstehender das gefühl das ihr noch nicht ganz drann seid.
    Was bringt Materie dazu zu entstehen und sich irgendwie zu formieren ?
    Welche Kraft oder Intention treit dies an ?
    Wäre das dann Gott ?
    Gedanken eines Yoga Lehrers

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