Viele Millionen Becquerel im Meer

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Am 25. September las ich bei der ARD über eine mögliche Atomkatastrophe in der Arktischen See. Einem Bericht der Sendung Report Mainz zufolge, befürchten russische Behörden, dass Seewasser in ein in den 1980ern versenktes U-Boot K-27 eindringen könnte. Das könnte dann zu unkontrollierten Kettenreaktionen in den Brennstäben führen. Das ist soweit nachvollziehbar. Was ich weniger nachvollziehbar finde, sind die Angaben über Strahlungsmengen und die damit verbundenen Vergleiche.

Wir finden die Angabe, dass seit 1981 jährlich 851 Millionen Becquerel Radioaktivität aus dem U-Boot austritt und dass ein anderes versenktes U-Boot  (K-159)  6,6 Billiarden Becquerel Radioaktivität enthält, was vergleichbar mit der im Schacht Asse gelagerten Radioaktivität (3,7 Billiarden Becquerel) sein soll. Können Sie mit diesen Angaben etwas anfangen? Ich nicht so recht. Vor allem der zweite Vergleich möchte mir nicht einleuchten.

Was ein Becquerel ist, lässt sich ziemlich schnell und leicht beantworten: Ein Becquerel ist die physikalische Einheit für die Aktivität einer radioaktiven Substanz oder ein Präparat. Aktivität wird in Zerfälle pro Zeiteinheit gemessen. Ein Becquerel entspricht genau einem Zerfall pro Sekunde. In einer Substanz mit einem Becquerel Aktivität zerfällt in jeder Sekunde durchschnittlich ein Atom. Bedenkt man, dass ein paar Gramm Materie so etwa 1023 Atome enthält, so ist das erstmal gar nicht so viel. Aber 851 Milliarden Becquerel, ist das viel? Milliarden ist immerhin eine große Zahl.

Nun, große Zahlen vor kleinen Einheiten ergeben nicht unbedingt viel. Vergleiche mit alltäglichen Dingen können helfen, ein Gefühl dafür zu bekommen. Das Bundesamt für Strahlenschutz stellt eine Broschüre zum Download zur Verfügung, aus der hervorgeht, dass ein Kilogramm ganz gewöhnlicher, also nicht „verstrahlter“, Nahrungsmittel etwa 100 Becquerel pro Kilogramm Aktivität enthalten. Auch Menschen strahlen. Eine 70 Kilogramm Standardperson mit etwa 9000 Becquerel. (Ich eher mit 12000 Becquerel.)

Das ist erstmal ein Anhaltspunkt. Eine Millionen Becquerel, die wir Physiker ein Megabecquerel nennen, haben etwa die Aktivität von hundertelf Menschen oder zehn Tonnen Nahrungsmittel. Das heißt, wenn man ein Megabecquerel Aktivität in 10 Kubikmeter Wasser verteilt, entspricht das etwa der spezifischen Aktivität von ganz gewöhnlichen Lebensmitteln. Ein Kubikkilometer (10³km³) Wasser entspricht einer Milliarde Kubikmeter (109m³), also eine Milliarde Tonnen Wasser. Das sind 1012 Kilogramm Wasser. Dieses Gewicht in Lebensmittel enthielte bereits 1014 Becquerel. Das ist 160 Millionen Mal mehr, als die 851 Megabecquerel, die jährlich das U-Boot verlassen.

Nun ist das Nordmeer aber nicht ein Kubikkilometer groß. Es ist mit 14 Millionen Quadratkilometer Oberfläche und einer durchschnittlichen Tiefe von fast einem Kilometer Tiefe einige Millionen Mal größer. Wir können also zunächst davon ausgehen, dass 851 Megabecquerel Radioaktivität, die pro Jahr in ein Meer entweicht, eine sehr kleine Menge ist.

Wie ist es jetzt mit den 6,6 Billiarden Becquerel. Kurz nachgerechnet: Millionen ist 106, Milliarden 109, Billionen 1012 und Billiarden 1015. Wir haben es also mit 6,6*1015 Becquerel zu tun. Wir bräuchten also immerhin 66 Kubikkilometer Wasser, um es auf Lebensmittelniveau herunter zu verdünnen. Verglichen mit dem Ozean ist es noch immer sehr wenig.

Aber ich vereinfache zu stark. Radioaktivität ist nicht gleich Radioaktivität. Die Wirkung einer radioaktiven Substanz hängt davon ab, welche Strahlungsart es ist. Alphastrahlen haben eine geringe Durchdringungskraft sind aber sehr schädlich für Gewebe. Gammastrahlung und Röntgen ist kaum aufzuhalten, aber in der biologischen Wirksamkeit schwächer. Betastrahlung lässt sich verhältnismäßig gut abschirmen und ist ähnlich schädlich wie Gammastrahlung. Alle Strahlungsarten sind zudem energieabhängig und beim Verschlucken oder Einatmen von radioaktiven Stoffen, hängt die Wirkung extrem davon ab, wie die Substanz im Körper verstoffwechselt wird und ob sie wieder ausgeschieden oder im Körper eingebaut wird.

Die Aktivität des Körpers und der Nahrung stammt hauptsächlich von Kalium-40. Bei einer Halbwertszeit von 1,3 Milliarden Jahren ist von dem ursprünglich in der Erde enthaltenem Kalium-40 in den 4,6 Milliarden Jahren Erdalter längst nicht alles zerfallen. Nach vier Halbwertszeiten, also 5,2 Milliarden Jahren, wird noch immer 1/16 der ursprünglichen Menge vorhanden sein. Jetzt sind’s noch etwa 1/11.

Die von dem U-Boot jährlich ins Meer entlassene Radioaktivität ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht Kalium-40. Es handelt sich eher um leicht lösliche Spaltprodukte aus dem Reaktor. Das sind zum Beispiel die berüchtigten Iod-131 und Cäsium-137. Beides sind deutlich schwerere und kurzlebigere Kerne. Iod-131 ist nach acht Tagen zur Hälfte zerfallen, Cäsium-137 nach etwa 30 Jahren. Die Angabe von 851 Megabecquerel sagt uns nichts, solange wir nicht wissen, aus welchen Elementen sie sich zusammensetzt. Kurzlebige Isotope sind eher ein Problem für die unmittelbare Umgebung und erzeugen dort ein hohes Strahlenrisiko. Langlebige Isotope können es dagegen in die Nahrungskette schaffen und für langfristige Kontamination sorgen. Auch die biologische Wirksamkeit ist ein entscheidender Faktor.

Die Angabe, dass 851 Megabecquerel ins Meer abgegeben werden, ist also wertlos, weil wir nicht die Zusammensetzung kennen. Aber es ist schon einmal beruhigend zu sehen, dass es eine relativ kleine Menge ist.

Noch schwieriger zu verstehen sind die 6,6 Millionen Gigabecquerel, die sich insgesamt in der K-159 befinden sollen, und der Vergleich mit Schacht Asse. Hier werden wirklich Äpfel mit Birnen verglichen. In dem einen Fall handelt es sich um einen Reaktor, in dem die Gefahr besteht, dass durch Eindringen von Wasser eine Kettenreaktion ausgelöst wird, in dem anderen Fall um radioaktive Abfälle, die keine Brennstäbe enthalten.

Was genau mit den 6,6 Millionen Gigabecquerel gemeint ist, wäre interessant. Ist das das verbleibende Spaltmaterial in den Brennstäben oder handelt es sich um eine Gesamtmenge? Um eine Gefahr einschätzen zu können, wäre es sinnvoller, statt mit großen Zahlen zu prahlen, anzugeben, welche Mengen spaltbares Material sich in dem Boot befinden. Dann wäre eine Modellrechnung spannend, die zeigt, wie viel Kontamination mit langlebigen Spaltprodukten im schlimmsten Fall zu erwarten wäre und wie sie sich im Meer verteilen würde. So ist dieser Artikel wenig informativ. Wir können die Gefahr beim besten Willen nicht einschätzen.

Übrigens ist mir eine wichtige Ungenauigkeit aufgefallen. Im Artikel steht: „Die russische Nordmeerflotte hatte es nach einem Störfall, bei dem neun Seeleute tödlich verstrahlt wurden, damals heimlich und unter Bruch des Völkerrechts versenkt.“ Das weckte bei mir den Eindruck, die Versenkung eines Atom-U-Bootes verstoße gegen Völkerrecht. Tatsächlich besteht der Bruch aber laut Wikipedia darin, dass das U-Boot nur in flachem Gewässer versenkt wurde. Nach internationalem Recht hätte das in mindestens 3000 Metern Tiefe geschehen müssen.

Die Gefahr für die unmittelbare Umwelt, die ein in flachen Gewässern undicht gewordenes Atom-U-Boot darstellt, sollte man sicher nicht kleinreden. Dass es globale Auswirkungen hätte, kann ich mir kaum vorstellen. Aber es ist schade, dass ein Qualitätsmedium es nicht schafft, aus einem ihm vorliegenden 152-Seiten-Report Informationen zu extrahieren, die es mir als informierten Leser erlauben, eigene Schlüsse zu ziehen.

Nachtrag:

Ergänzend habe ich die natürliche Aktivitätskonzentration im Meerwasser nachgeschlagen. Laut Vogel, Schultz “Grundzüge des praktischen Strahlenschutzes” liegt die in Nord- und Ostsee für Kalium-40 bei zwölf Becquerel pro Liter. Also etwa um den Faktor zehn niedriger als für Lebensmittel. Ein Kubikkilometer Meerwasser kommt somit auf etwas mehr als 1013 Becquerel.

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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

20 Kommentare

  1. Hallo Joachim Schulz,

    zumindest bei mir stehen die Hochzahlen nicht hoch, zum Beipiel Billiarden 1015, im Microsoft Internet Explorer 8.

    Wurden nicht einige U-Boot-Reaktoren mit flüssigem Natriummetall und Kaliummetall gekühlt, was mit Wasser ziemlich heftig reagieren würde?

  2. Vor allem lokale Konzentrationen wären bedenklich (zumindest für die Unterwasserflora und -fauna) insbesondere wenn diese in den Nahrungskreislauf gelangen – ob dies geschieht und wenn ja in welchem Maße kann jedoch nur gemutmasst werden.

  3. Von Äpfeln und Birnen?

    Die beiden Fálle K-27 und K-159 scheinen mir aber auch nur sehr bedingt miteinander vergleichbar zu sein. Bei wikipedia zu K-27 heisst es,

    In September 2012 it was reported that the sub needed to be lifted from its shallow bed in the Kara Sea. The vessel is a “nuclear time bomb”, as the rusting and decaying vessel may be reaching a critical level leading to an “uncontrolled chain reaction”.[8]

    Dergleichen wird für K-159 nirgends unterstellt, K-27 und K-159 waren auch mit ganz unterschiedlichen Reaktortypen ausgerüstet.

    Der wikipedia Link im vorletzten Abschnitt weist auf K-159, die Rede ist aber offensichtlich von K-27, denn laut wiki wurde K-159 nicht versenkt, sondern war zum Abwracken aufgelegt und ging dann durch schweres Wetter verloren, wobei auch neun Seeleute ums Leben kamen.

  4. @Chrys

    Vielen Dank. Da habe ich im letzten Moment noch die zurechtgelegten Links vertauscht. Jetzt verweist der Link richtig.

    Es liegt, die auch die von Karl Bednarik angesprochenen Potenzen, daran, dass ich die Artikel auf Word vorschreibe und bei der Übertragung weder die Links noch die Formatierung erhalten bleiben. Beim Nachbearbeiten im LifeType-Editor entstehen dann solche Fehler.

  5. @Joachim / K-Frage ist geklärt

    Nur zum Verständnis nochmals nachgefragt: Die Agaben zur Strahlungsbelastung beziehen sich auf das, was beim aktuellen Zustand von K-27 ausgeht (und damit vergleichbar ist mit K-159)? Falls es aber bei K-27 tatsächlich zu einer unkontrollierten Kettenreaktion kommen sollte, könnte diese zumindest in einer Umgebung des Wracks ja erheblich anwachsen, und lässt sich das dann halbwegs realistisch abschätzen?

  6. @Chrys

    Das ist im Grunde der Kern meiner Kritik. Der Bericht vom WDR enthält nichts, was es mir als “Teilexperten” möglich macht, zu einem fundierten Urteil zu kommen. Wer sich gar nicht mit Kernphysik auskennt, dürfte durch die hohen Zahlen (851 Millionen Becquerel) verängstigt werden. (Der Hund war mindestens tausend Millimeter groß.)

    Ja, die 851 MBq sind – soweit ich das verstehe- das, was zur Zeit im Jahr ausgewaschen wird. das ist wirklich nicht allzu viel. Wenn aber im Reaktorkern eine Kettenreaktion einsetzt, kann das zum hitzebedingten Bruch der Strukturen kommen und sehr viel größere Mengen von Spaltprodukten freisetzen.

    Ich bin sicher, dass echte Experten das rechnen können. Man würde mit Ratengleichungen herauszufinden versuchen, welche Produkte unter welchen Umständen entstehen, und man kennt die Löslichkeiten der wichtigsten Isotope. Es wäre interessant zu erfahren, ob es solche Abschätzungen in dem russischen Report gibt.

    Ich bin sicher, dass da viel mehr als nur Mutmaßungen möglich ist.

  7. Radioaktivität versus Chemie

    Messwerte für Radioaktivität in Nahrungsmittteln werden in der Regel mit Bequerel pro Kilogramm angegeben und verglichen mit dem als “sicher geltenden Radioaktivitätspegel”. Und hier zeigt sich wiederum der Einfluss des Linear no Treshold-Ansatzes und der völligen anderen Behandlung von Radioaktivät im Vergleich zu chemischen Belastungen.
    So liest man unter dem Titel Tepco Finds Extreme Levels of Radioactivity in Fukushima Fish folgendes: “The utility detected a combined 25,800 becquerels per kilogram of cesium 134 and cesium 137 in a greenling caught on Aug. 1, it said yesterday in a statement. That beat the previous high of 18,700 becquerels per kilogram found in cherry salmon and is 258 times the level of cesium Japan’s government considers safe for consumption”
    Die oben angegebene 258-fache Überschreitung des “sicheren” Radioaktivitätspegels lässt darauf schliessen, dass gerade 100 Bequerel Radioaktivät pro Kilogramm in Fisch als sicher betrachtet werden. Doch 100 Bequerel pro Kilogramm entsprechen auch gerade der natürlicherweise vorhandenen Radioaktivität in Lebensmitteln. Die 258-fache Überschreitung des sichern Pegels ist somit die 258-fache Überschreitung des natürlichen Pegels und nicht etwa die Überschreitung eines aufgrund von Tieversuchen festgelegten Grenzwerts. Dahinter steckt die Linear-no-Treshold-Annhame, dass es keinen wirklich sichern Radioaktivitätspegel gebe.
    Wenn es aber um chemische Belastungen geht gelten völlig andere Gesetze. Man vergleich beispielsweise die Quecksilberbelastung eines Fisches im Meer nicht mit der Quechsilberbelastung eines Fisches in einem Bergsee, sondern man nimmt als Vergleichsmassstab den Wert, der sich im Tierversuch als schädlich erwiesen hat. Im übrigen hat man sich an die chemische Belastung – zum Beisiel mit Quecksilber -, auch schon viel mehr gewöhnt, selbst wenn sie über den empfohlenden Grenzwerten liegt. So liest man in der Wikipedia:
    “In der EU gilt ein Grenzwert von 1 mg/kg Quecksilber für großen Raubfisch. Bei anderen Fischen ist der Grenzwert auf 0,5 mg/kg reduziert. Dieser Wert wird bei Grenz- und Marktkontrollen öfter überschritten und die Funde als RASFF-Meldungen EU-weit den Behörden mitgeteilt.”
    Verkauft und konsumiert wird solcher quecksilberhaltiger Fisch trotzdem während man bei radioaktiv belasteten Fisch auch dann davon hört und davon beunruhigt wird, wenn der Radioaktivitätslevel sogar deutlich unter dem “natürlichen” Wert liegt. So liest man in FUKUSHIMA. GLOBAL NUCLEAR RADIATION?: ” he bluefin spawn off Japan, and many migrate across the Pacific Ocean. Tissue samples taken from 15 bluefin caught in August, five months after the meltdowns at Fukushima Daiichi, all contained reactor byproducts cesium-134 and cesium-137 at levels that produced radiation about 3% higher than natural background sources …
    The fish that will be arriving around now, and in the coming months, to California waters may be carrying considerably more radioactivity and if so they may possibly be a public health hazard.”

    Fazit: Immer wieder wird jede noch so kleine Erhöhung der Radioaktivität als gesundheitsgefährdend aufgefasst, während man bei chemischen Belastungen von Gesundheitsgefährdung nur dann spricht, wenn Grenzwerte überschritten werden, die sich aus Krankheitssymptomen ergaben, welche Tiere zeigten, die der chemischen Substanz ausgesetzt waren.

  8. Einheit von Becquerel

    Hallo,

    die Frage ist sicher eher dämlich, aber ich kenne mich mit dem Thema zugegebenermaßen nicht allzugut aus:

    Wenn Becquerel ein Zerfall pro Sekunde ist, was bedeutet es dann wenn jährlich 850 Mio Becquerel austreten?
    Sind das 850 Mio Zerfälle / Jahr, oder ein Jahr lang ein mittlerer Zerfall von 850Mio Zerfälle/s.

    Und welchen Sinn macht der Ausdruck dass Asse xxx Becquerel Radioaktivität enthält? Denn die Aktivität nimmt doch über der Zeit ab, ist mithin eine Momentaufnahme.
    Oder nimmt man dann implizit an, dass es Bequerel-Sekunden sind, d.h. Zerfälle?

    Vielleicht (wahrscheinlich) stehe ich auch nur auf dem Schlauch, wäre aber für Aufklärung dankbar.

  9. @thomas

    Was die 850 Millionen Becquerel pro Jahr angeht, soll das wahrscheinlich bedeuten, dass pro Jahr Substanzen mit einer Gesamtaktivitaet von 850 Millionen Becquerel austreten. In Anbetracht der simplen Berichterstattung ist Einheitenumrechnung wahrscheinlich zu kompliziert gedacht.

  10. Anreicherung in Nahrungskette

    Das Problem ist, dass sich Radioaktivität in der Nahrungskette anreichert. Wenn das Wasser die Aktivität von durchschnittlicher Nahrung (gemessen in Bequerel/kg) hätte, dann hätten die Fische in dem Wasser durch die Anreicherung ein vielfaches dessen. Um dies zu verhindern, muss die Aktivität des Meerwassers weit unter den akzeptablen Grenzwerten für Nahrungsmittel liegen. Das Hauptproblem sind aber nicht momentane Freisetzung sondern die Tatsache, dass die Reaktorbehälter zwangsläufig irgendwann wegkorrodieren und dann ein Großteil des radioaktiven Inventars relativ plötzlich freigesetzt werden kann (möglicherweise mit einer unkontrollierten Kettenreaktion).

  11. @Jakob: Anreicherung geschieht chemisch

    (Zitat)“dass sich Radioaktivität in der Nahrungskette anreichert.” ist ungenau. Tieren und Pflanzen reichern Stoffe, die sie benötigen, die aber nur in kleiner Menge in der Umgebung vorkommen an, z.B. wird Jod in der Schilddrüse angereichtert.
    Die wichtigsten radioaktiven Substanzen, die aus Kernreaktoren in relativ grosser Menge freigesetzt werden sind Jodisotope, Cäsiumisotope und (in weniger grossen Mengen) Strotiumisotope und diese werden genau wie gewöhnliches Jod und gewöhnliches Cäsium, resp. Strontium verstoffwechselt. Jod wird in der Schilddrüsse angereichert, Cäsium wird mit Kalium verwechselt und landet bei Tieren vorwiegend im Muskelgewebe und wird im Vergleich zum Jod nur schwach angereichtert. Strontium wird von Organismen mit Calcium verwechselt und in Knochen eingebaut.
    Die meisten Jodisotope haben Halbwertszeiten von Tagen bis Wochen (Ausnahme Jod-129). Hier noch Informationen zur radioaktiven Belastung von Fischen und Meerestieren

    Fazit: Die biologische Wirkung von in einem Medium (z.B. Wasser) gleichmässig verdünnten radioaktiven Stoffen hängt stark von der Chemie der Stoffe ab, also ihrer Elementzugehörigkeit und von den Tieren und Pflanzen, die die Stoffe aufnehmen. Cäsium wird von Tieren nur schwach angereichtert, kann sich aber in bestimmten Pflanzen wie Pilzen anreichern.

  12. @Jakob

    Das mit dem Anreichern in der Nahrungskette kann selbstverständlich nur für einige Isotope gelten. Nämlich nur für die, die tatsächlich von Lebewesen im Muskelgewebe oder in den Organen angereichert werden. Zudem können sich nur relativ langlebige Isotope wirklich anreichern. Iod-131 mit seinen acht Tagen Halbwertszeit wird sich nicht merklich anreichern.

    Genau deshalb ist es unsinnig, mit der 851 MBq zu argumentieren, ohne anzugeben, welche Isotope gemeint sind. 851 MBq Iod-131 ist nicht dasselbe wie 851 MBq Uran-238.

  13. @thomas

    Es ist wie Ulf Lorenz sagt: Gewöhnlich wird Becquerel als als eine Art Einheit für die Stoffmenge genutzt. Die 851 MBq bedeuten also, dass in einem Jahr Stoffe mit der Gesamtaktivität von 851 MBq zu Zeit ihres jeweiligen Austritts freigesetzt werden. Wenn da ein großer Anteil kurzlebiger Elemente darunter ist, bedeutet das nicht, dass die über ein Jahr gesammelten ausgetretenen Stoffe dann noch diese Aktivität aufweisen.

  14. Gewöhnliche aktive Inakkuratesse

    Joachim schrieb (02.10.2012, 16:37):
    > Gewöhnlich wird Becquerel als […] eine Art Einheit für die Stoffmenge genutzt.

    Bei “Aktivität” (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Aktivität_(Physik) ),deren Einheit das Becquerel ist, handelt es sich um eine “extensive Größe” (vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Extensive_Größe ); so wie z.B. auch “Stoffmenge”, “Masse” oder “Volumen” extensive Größen sind.

    Gewöhnlich wird als Einheit der Stoffmenge allerdings das “Mol” genutzt; vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Stoffmenge .

    > Die 851 MBq

    … laut Artikeltext (Joachim Schulz, 29. September 2012, 08:10):
    > dass […] in der Arktischen See […] seit 1981 jährlich 851 Millionen Becquerel Radioaktivität aus dem U-Boot austritt

    > bedeuten also, dass in einem Jahr Stoffe mit der Gesamtaktivität von 851 MBq zu Zeit ihres jeweiligen Austritts freigesetzt werden.

    Im Vergleich dazu wäre interessant, wie sich die Aktivität der Arktischen See wegen des beschriebenen Austritts jährlich (durchschnittlich, seit 1981) erhöht hat; bzw. ob diese beiden Größen im vorliegenden Artikel (oder den zugrundeliegenden Berichten) überhaupt unterschieden wurden.

  15. @Frank Wappler

    Nun, 851 MBq pro Jahr sind im Vergleich zu einem Ozean sehr wenig, selbst wenn man sie über mehr als 30 Jahre rechnet. Bei der Fukushima-Katastrophe wurden Kontaminationen von mehr als einem Becquerel pro Milliliter gemessen, das Wäre schon ein Megabecquerel pro Liter. Verglichen damit sind 851 MBq selbst dann wenig, wenn sie sich nicht besonders gut verteilen.

    Sehr viel interessanter ist die Frage, mit welcher Kontamination im Fall des Eindringens von Meerwasser und der einsetzenden Kettenreaktion zu rechnen ist. Dazu wäre es interessant zu wissen, welche Mengen Kernbrennstoff noch vorhanden sind.

  16. Seufz …

    Joachim schrieb (03.10.2012, 17:35):
    > Nun, 851 MBq pro Jahr sind im Vergleich zu einem Ozean […]

    “In Bezug auf”, Joachim; “in Bezug auf”.

  17. Ergänzung

    Bitte beachten Sie meine Ergänzung von heute. Ich hatte mit der aktivität von etwa 100 Becquerel pro Kilogramm Lebensmittel gerechnet. Einen besseren Vergleichswert liefert die natürliche Radioaktivität von Meerwasser, die bei 12 Becquerel pro Liter liegt.

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