Von der Beschreibung zur Erklärung

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Gedanken eines Experimentalphysikers
Quantenwelt

Stringtheorien gelten als mögliche Anwärter auf die nächste große Vereinheitlichung physikalischer Theorien. Was man von ihnen erwarten kann war unter anderem Thema im Omega Tau Podcast Episode 191. Hier interviewt Markus Voelter den DESY-Stringtheoretiker Alexander Westphal. Das Interview dauert etwas 2¾ Stunden. Zwei Aspekte sind mir dabei aufgefallen, die Jacob Bronowski in der BBC Serie “The Ascent of Man” sehr schön dargestellt hat. Zwei wichtige Ziele naturwissenschaftlicher Forschung.

Bronowskis Dokumentation “The Ascent of Man” erschien 1973 im britischen Fernsehsender BBC2. In dreizehn Folgen präsentiert der Autor eine persönliche Darstellung des Aufstiegs der Menschheit durch kulturelle Evolution. Es ist also im wesentlichen eine Ideengeschichte der Naturwissenschaft und Technik. Auch wenn die Sicht von vor über 40 Jahren in Teilen veraltet ist, ist die Serie im Ganzen empfehlenswert. Sie gibt einen schönen Überblick über die Geschichte von Biologie, Chemie und Physik. Aufgrund des persönlichen Charakters kann Bronowski einige überraschende Akzente setzen. Andere Standpunkte einnehmen als in einer Lehrbuchdarstellung zu erwarten sind.

Hier möchte ich auf Episode 6 eingehen: “The Starry Messenger”. Diese Episode beginnt auf den Osterinseln und Bronowski leitet mit der Frage ein, warum es nicht die Hochkulturen Südamerikas waren, die die Kugelgestalt der Erde entdeckt haben, sondern die arabisch-europäische Astronomie mit ihren griechischen Wurzeln. Seiner These nach ist es die Erfindung des Rads als Transportmittel und mechanisches Werkzeug.

“Wheels within wheels”, Räder in Rädern war das gängige Modell für den Kosmos beginnend in der Antike bis in die Renaissance. Bronowski zeigt das eindrucksvoll am Astrarium von Giovanni de Dondi von 1364. Einem Modell, in dem die Bahnen der sieben damals bekannten Planeten von Uhrwerken getrieben dargestellt sind. Sieben Zifferblätter mit Rädern die in Rädern laufen. Je eines für die klassischen sieben Planeten: Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn. Bronowskis Kommentar: Die Schwäche dieses Himmelsmodells ist nicht, dass es kompliziert ist, sondern dass es sieben Mechanismen braucht. Eine gute Beschreibung sollte mit einem auskommen.1

In diese Richtung war der Perspektivenwechsel vom erdzentrischen zum sonnenzentrischen System, angestoßen durch Kopernikus, der richtige Weg. Vollendet wurde er erst durch Kepler, der seine drei bekannten Gesetze aufstellte. Damit schuf er ein Modell, das die Bahn jeden Himmelskörpers beschreibt. Leider auf Kosten der Kreisbahnen. Die Planeten kreisen auf Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne liegt.2

Nun gibt sich die Physik nicht mit guten Beschreibungen zufrieden. Was wir eigentlich wollen sind Erklärungen. Nicht wie sich die Planeten auf ihren Bahnen bewegen wollen wir wissen, sondern warum sie es tun. So leitet Bronowski in der siebente Episode die Arbeiten Newtons mit den Worten ein: “From the descriptions of the past to the explanations of the future”. Es ist ein großer Schritt, alle Planetenbewegungen durch Ellipsen zu beschreiben, die denselben Regeln gehorchen. Ein weiterer notwendiger Schritt ist es, diese Regeln auf ein Kraftgesetz zurückzuführen, wie Newton es getan hat. Später dann hat Einstein das Kraftgesetz durch Raumzeit-Krümmung erklärt.

Spätestens im Zeitraum von Kopernikus bis Newton, also im 16. und 17. Jahrhundert haben sich die beiden Ansprüche an die Physik herausgebildet: 1) Ähnliche Vorgänge sollten durch dieselben Regeln beschrieben werden können. 2) Diese Regeln sollten erklärbar sein, also möglichst nicht nur willkürlich der Beobachtung angepasst werden. Beim Hören des eingangs erwähnten Podcast-Interviews ist mir aufgefallen, dass sich die Stringtheorie genau diese Ansprüche auferlegt. Stringtheorien sind angetreten, die unterschiedlichen Felder und Teilchen des Standardmodells auf verschiedene Schwingungen derselben Objekte zurückzuführen. Aus dem Interview wird deutlich, dass das bisher nicht gelungen ist, es aber mathematische Strukturen gibt, die möglicherweise in diese Richtung gehen werden. Weiter erwähnt Alexander Westphal, dass es manchmal schwer ist, diese mathematischen Strukturen zu erklären.

Hier zeigt sich die Bestrebung, nicht nur irgendeine Beschreibung zu finden, sondern ein greifbares Konzept, das diese Beschreibung notwendig erscheinen lässt. So wie Ellipsenbahnen mit dem Zentralkörper in einem Fokus der Ellipse immer notwendig sind, wenn eine Kraft mit dem Quadrat des Abstandes abnimmt.3

Zugegeben: Stringtheorien sind weit davon entfernt, die Teilchenphysik zu beschreiben oder gar zu erklären. Vielleicht werden sie auch zu etwas ganz anderem führen. Kopernikus führte das sonnenzentrierte System ursprünglich ein, um die einfachen Kreisbahnen zu retten. Das hat in letzer Instanz zur Überwindung der Kreisbahnen geführt. Vielleicht werden die Stringtheorien auch die jetzigen Ansätze unnötig machen und zu etwas ganz anderem führen. Das wäre auch ein nützliches Ergebnis.

Anmerkungen:
1. Sie kennen sicher Ockhams Rasiermesser
2. Das ist das erste Kepler’sche Gesetz. Das zweite beschreibt die Geschwindigkeitsverteilung eines Objektes auf seiner Bahn und das dritte die Umlaufzeit in Abhängigkeit von der Ellipsenbahn.
3. Nimmt die Kraft dagegen linear zu, so ergeben sich Ellipsen mit dem Zentralkörper im Mittelpunkt.
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Joachim Schulz ist Gruppenleiter für Probenumgebung an der European XFEL GmbH in Schenefeld bei Hamburg. Seine wissenschaftliche Laufbahn begann in der Quantenoptik, in der er die Wechselwirkung einzelner Atome mit Laserfeldern untersucht hat. Sie führte ihn unter anderem zur Atomphysik mit Synchrotronstrahlung und Clusterphysik mit Freie-Elektronen Lasern. Vier Jahre hat er am Centre for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg Experimente zur kohärenten Röntgenbeugung an Biomolekülen geplant, aufgebaut und durchgeführt. In seiner Freizeit schreibt er zum Beispiel hier im Blog oder an seiner Homepage "Joachims Quantenwelt".

14 Kommentare

  1. “warum es nicht die Hochkulturen Südamerikas waren, die die Kugelgestalt der Erde entdeckt haben, sondern die arabisch-europäische Astronomie mit ihren griechischen Wurzeln. Seiner These nach ist es die Erfindung des Rads als Transportmittel und mechanisches Werkzeug.”

    Wieso “arabisch-europäische Astronomie”? Die arabische Kultur etablierte sich erst lange nachdem sich die Kugelgestalt der Erde in der antiken Wissenschaft schon durchgesetzt hatte. Die Rad-Theorie ist mir suspekt.
    Ich habe eine andere These: die alten Griechen waren Seefahrer und bemerkten, dass am Horizont von einem Schiff zuerst der Mast mit dem Segel auftaucht. Irgendwelche kluge Reisenden dachten darüber nach.

    • Nun war den Bewohnern der Osterinseln aber das Meer auch nicht fremd und sie hätten ähnliche Beobachtungen machen können. Dennoch sind sie, soweit wir heute beurteilen können, nie auf die Idee gekommen, den Sternenhimmel zur Navigation zu benutzen.

      Die arabische Kultur hat im 12. und 13 Jahrhundert sehr genaue astronomische Beobachtungen angestellt und viel zur Vervollkommnung des Ptolemäischen Modells beigetragen.

      • Was weiß man den über das Denken der Osterinsulaner? Sie waren keine Südamerikaner, sondern polynesischer Herkunft und kamen einst über das Meer und hatten das Seefahren verlernt, spätesten als der letzte Baum auf der Insel verschwunden war. Die Polynesier benutzten sicherlich unter anderem auch die Sterne zur Navigation.

        Ich wollte nicht die astronomischen Fähigkeiten der Araber schmälern, aber die Erkenntnis der Kugelgestalt der Erde geht nicht auf ihr Konto.

        • Ja, das haben wir geklärt. Sie geht auf die griechischen Wurzeln zurück.
          Aber das ist ja nur der Startpunkt. Im Artikel geht es weiter um die Bahnen der Planeten und wie sie durch Räder, die in Rädern laufen erklärt wurde.

          Haben Sie Quellen dazu, dass die Polynesier und die Ureinwohner der Osterinsel Sterne zur Navigation nutzten? Das würde in der Tat Bronowskis These widerlegen.

          • In der englischen wikipedia steht etwas dazu, hier der link:

            https://en.wikipedia.org/wiki/Polynesian_navigation

            “For navigators near the equator celestial navigation is simplified since the whole celestial sphere is exposed. Any star that passes the zenith (overhead) is on the celestial equator, the basis of the equatorial coordinate system. The stars are known by their declination, and when they rise or set they determine a bearing for navigation. For example, in the Caroline Islands Mau Piailug taught natural navigation using a star compass. The development of “sidereal compasses” has been studied[34] and theorized to have developed from an ancient pelorus.[32]”

            Es handelt sich um eine experimentelle Untersuchung (Archäonautik, wenn man da so nennen darf) was möglich gewesen sein könnte, nicht was gesichert ist.

          • Danke, Paul Stefan,

            sehr interessant.
            Ich muss zugeben, dass meine EInleitung schwach ist. Zum einen, weil Sie Bronowskis Argument zu stark verkürzt. Zum anderen, weil sie in die falsche Richtung lenkt. Interessiert doch in diesem Zusammenhang weniger die Gestalt der Erde als die Himmelsmechanik, die sich eben an den Bahnen der Planeten deutlich zeigt.

  2. Schon Pyhtagoras, Aristarch und Aristoteles waren von der Kugelgestalt der Erde (und seines Mondes) überzeugt und gaben recht gute Gründe dafür an. Aristoteles führte in Über den Himmel beispielsweise folgende Gründe für die Kugelgestalt der Erde auf:

    – Sämtliche schweren Körper streben zum Mittelpunkt des Alls. Da sie dies von allen Seiten her gleichmäßig tun und die Erde im Mittelpunkt des Alls steht, muss sie eine kugelrunde Gestalt annehmen.
    – Bei von der Küste wegfahrenden Schiffen wird der Rumpf vor den Segeln der Sicht verborgen.
    – In südlichen Ländern erscheinen südliche Sternbilder höher über dem Horizont.
    – Der Erdschatten bei einer Mondfinsternis ist stets rund.

    Viele alten Griechen hatten also eine überzeugende, konsistente Theorie zur Kugelgestalt der Erde. Dennoch setzte sich ihre Ansicht nicht überall durch. Wohl auch darum weil es nur beschränkte Konsequenzen hatte. Wer zu dieser Zeit an die Kugelgestalt der Erde glaubte hatte damit kein mächtiges Erklärungswerkzeug, konnte damit weder Weltreisenden noch Schifffsfloten wesentlich weiterhelfen.
    Mit der Stringtheorie verhält es sich heute genau gleich. Die Stringtheorie bietet für Dinge wie Schwarze Löcher (und einige andere Dinge) wunderbare Erklärungen. Doch ausser der Schönheit der Erklärung ändern sie damit wenig und geben kaum jemanden neue Hilfsmittel an die Hand. Deshalb geben die Physiker, die von der Stringtheorie nicht überzeugt sind, weiterhin ihre eigenen Wege. Erst wenn die Stringtheorie ganze Gebiete neu aufrollt und bekannte und unbekannte Dinge in neuem Licht erscheinen lässt, dann wird sie sich durchsetzen. Genau so wie sich der Glaube an die Kugelgestalt der Erde erst dann durchgesetzt hat, als sich eine Flut von Konsequenzen daraus ergab – von der Möglichkeit der Erdumrundung bis zur Berechnung des Sonnenauf – und Sonnenuntergangs.

        • Dass die Erde eine Kugel ist, ist in der alten Welt in der Tat seit der Antike unumstritten. Es gab zwar hier und da immer wieder Außenseiter, die das angezweifelt haben, aber Flache-Erde-Vertreter gibt es ja heute auch noch.

          Für Atronomen ist es recht einfach festzustellen, dass die Erde eine Kugel ist. Man muss nur die Höhe der Ekliptik an verschieden weit nördlich liegenden Orten vermessen.

  3. Die 300 vor Christus von Aristarch angefertigte Skizze mit Erde, Mond und Sonne als Kugeln (im Bild als Kreise dargestellt) zeigt, dass schon Aristarch geometrische Modelle für diese Himmelskörper entwarf, die der Realität sehr nahe kamen.
    Aristarch berechnete aufgrund von Beobachtungen die Grösse des Mondes und die Entfernung der Erde zur Sonne und seine Überlegungen waren qualitativ richtig und quantitativ war der Fehler für die Mondgrösse kleiner als 50%.

    Mir scheint es sehr unwahrscheinlich, dass die Bewohner der Osterinseln ähnliche Erkenntnisse hatten. Denn dazu fehlte ihnen der wissenschaftliche Hintergrund. Die Beschäftigung mit Geometrie (wie bei den Griechen (Platon nahm nur Leute in seine Philosophenakademie auf, die sich mit Geometrie beschäftigt hatten)) scheint mir eine unverzichtbare Voraussetzung um zu schlüssigen Modellen der Himmelsmechanik zu kommen.

    • @Martin Holzherr
      “Mir scheint es sehr unwahrscheinlich, dass die Bewohner der Osterinseln ähnliche Erkenntnisse hatten. Denn dazu fehlte ihnen der wissenschaftliche Hintergrund.”

      zunächst war ja im Beitrag auch von “südamerikanischen Hochkulturen” die Rede.
      Und das (bzw. wohl besser “mittelamerikanischen”) waren extrem genaue Himmelsbeobachter.

      • Den Himmel beobachten und ein Modell der Himmelsmechanik zu haben sind sehr unterschiedliche Dinge. Zweifellos haben sowohl die Bewohner der Osterinsel als auch die Süd- und Mittelamerikaner den Himmel beobachtet. Die Frage ist aber: Hatten sie ein Modell des Kosmos.

        Bekannt über die mittel- und südamerikalischen Kulturen ist, dass sie das Rad nur als Kinderspielzeug kannten. Es spielte in ihrer Kultur nicht dieselbe Rolle, die es zum Beispiel in Europa spielte. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass sie auf die Idee gekommen sind, den Himmel durch Räder zu modellieren.

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