Astronomie, Physik, Chemie und der erste Weltkrieg (und Virginia Trimble) Teil 2

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… aber nicht einfacher
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Henry_Moseley
Immer noch nicht Virginia Trimble. (Bild Public Domain via Wikimedia Commons.)

Im ersten Teil dieses Beitrags war es fast nur um Virginia Trimble gegangen; hier jetzt ein paar Schlaglichter des Vortrags, den sie letzten Montag am Astronomischen Rechen-Institut (ARI) in Heidelberg zu Astronomie, Physik, Chemie und dem 1. Weltkrieg gehalten hat.

Ich wusste zwar, dass die Internationale Astronomische Union (IAU) um die Weit des ersten Weltkriegs herum gegründet worden war (vorher hatte die Astronomische Gesellschaft als die große internationale Organisation der Astronomen gedient); dass dem eine International Union for Cooperation in Solar Research vorangegangen war, die den Ausbruch des 1. Weltkriegs nicht überlebt hatte, war mir vorher noch nicht bekannt gewesen. Auch die Carte du Ciel als Pionierprojekt der Erstellung einer vollständigen Himmelskarte auf fotografischen Platten litt nach Kriegsausbruch – man hatte den Himmel zwischen den einzelnen Sternwarten aufgeteilt, und eine Reihe der Beiträge hätten eben Observatorien in Deutschland und Österreich leisten sollen. Beide Projekte flossen in die neu gegründete IAU ein, bei deren Gründung 1919 allerdings zunächst nur die Siegermächte zugelassen wurden – neutrale Länder immerhin ab 1921. Deutschland und Österreich traten erst nach dem 2. Weltkrieg ein, nämlich 1952.

Während Trimbles Vortrag ist mir auch klargeworden, wie clever das IAU-Logo gestaltet ist – nicht, weil diese Bezüge in ihrem Vortrag vorgekommen wären, sondern weil es in dem Vortrag allgemeiner um das Wechselspiel von Astronomie, Physik und Chemie ging. Hier ist das Logo:

630px-Internationale_Astronomische_Union_Logo.svg
Logo der Internationalen Astronomischen Union

Bei den Franzosen ist die Wortstellung (siehe UNO vs. ONU) ja oft gerade anders herum. So auch hier, mit “International Astronomical Union = IAU” vs. “Union astronomique internationale = UAI”. Im IAU-Logo sind beide Abkürzungen miteinander verknüpft. Das wusste ich schon vorher, ebenso, dass dabei das erste U und I das griechische Phi für Physik bilden. Was mir allerdings erst jetzt aufgefallen ist: Das hintere U-I-Paar bilden so etwas wie einen Mörser mit Stößel und stehen damit offenbar für die Chemie. Clever gemacht.

Trimble erwähnte natürlich auch eine ganze Reihe von Astronomen, die aktiv am ersten Weltkrieg beteiligt waren. Karl Schwarzschild, populär bekannt durch die von ihm gefundene Lösung der Allgemeinen Relativitätstheorie die, wie wir heute wissen, ein Schwarzes Loch beschreibt, aber auch darüber hinaus ein bedeutender Astrophysiker (z.B. Randverdunklung der Sonne) ist ein bekannteres Beispiel. Inwieweit die Autoimmunerkrankung, an der er 1916 mit 42 Jahren starb, ursächlich mit seinem Einsatz an der Front zusammenhing, ist mir allerdings nicht ganz klar. Dann war da noch Henry Moseley, der die zentrale Bedeutung der atomaren Ordnungszahlen erkannte und generell die Chemiker damit ärgerte, dass er mit physikalischen Methoden (Röntgenspektroskopie!) in ihr Hoheitsgebiet vordrang und fundamentale Aussagen zu chemischen Elementen traf. Der starb 1915 im Alter von 27 Jahren in der Schlacht von Gallipoli. Er ist auf dem Bild ganz am Anfang dieses Blogbeitrags zu sehen.

Wer weiss, was Moseley, hätte er überlebt, nicht noch alles herausgefunden hätte. Und, worauf Trimble extra hinwies: Das ganze ist natürlich ein Selektionseffekt. Die Männer, die an der Front starben, waren typischerweise eher jung und damit bis auf Ausnahmefälle zu jung, um sich bereits einen Ruf als eminente Wissenschaftler erarbeitet zu haben. Wer weiss, was von denen noch etliche wissenschaftliches herausgefunden hätten, wären sie nicht jung gestorben?

Für andere brachte gerade der Weltkrieg mit seinen unschöneren Folgen Erkenntnisgewinn. Ich konnte zwar bei meiner eigenen Suche keine Quellen dafür finden, dass die Explosionskrater direkt der Schlachtfelder des ersten Weltkriegs eine Rolle dabei gespielt hätten, dass sich das Einschlagsmodell für Mondkrater (Meteorit schlägt auf die Mondoberfläche auf und explodiert) in den 1920er Jahren gegen die Vulkanismustheorie (Mondkrater = Vulkankrater) durchgesetzt hätte. Aber der entsprechende Beitrag von James Ives 1919, “Some Large-Scale Experiments Imitating the Craters of the Moon” steht natürlich schon in diesem Zusammenhang – die entsprechenden Experimente sind Bombenabwürfe auf der Langley Air Force-Basis und Teil der Waffen-Weiterentwicklungen während des Krieges und direkt danach. Die entsprechenden Krater sehen tatsächlich wie Mondkrater aus – hier das entsprechende Bild aus dem Artikel von Ives:

einschlagkrater

Insbesondere sind die Krater schön kreisförmig-symmetrisch, obwohl die Bomben, vom Flugzeug aus abgeworfen, durchaus nicht senkrecht zu Boden gefallen sind. Das Material wurde eben nicht durch Impulsübertrag von der Bombe selbst sondern durch deren Explosion beiseitegeschleudert. Analog lässt sich der Einwand, Meteorkrater auf dem Mond müssten aber je nach Einschlagswinkel mehr oder weniger langgestreckt sein, entkräften – auch dort, das lässt sich mit entsprechenden Rechnungen belegen, ist es die Explosion des Einschlagkörpers bei Aufprall auf der Mondoberfläche, die gehörige Energie freisetzt, das Material symmetrisch in alle Richtungen schleudert und damit die kreisrunden Mondkrater erzeugt.

In der Chemie waren die Triebfedern der Forschung mehr praktisch-ökonomischer Art. Die Mittelmächte waren dabei vor allem stickstoffbedürftig – nicht in Form des nicht reaktiven Stickstoffs, der in der Luft vorkommt und alles andere als selten ist; gesucht wurde fixierter Stickstoff, Salpeter, aus dem sich sowohl Dünger als auch Sprengstoff herstellen ließ. Der war vor Kriegsbeginn aus Chile importiert worden; von dieser Quelle war dann mit Kriegsbeginn abgeschnitten. Auf das Salpeterversprechen von Carl Bosch an die Deutsche Heeresleitung 1914, nämlich das Versprechen, Salpeter mithilfe des Haber-Bosch-Verfahrens künstlich aus Luftstickstoff herzustellen, folgte tatsächlich Salpeterproduktion im großen Stile. (Auch die Allierten hatten durch den Krieg Importengpässe: Kalium, Pottasche, hatten sie zuvor vornehmlich aus Deutschland importiert. Dort wurde Abhilfe aber durch die Eröffnung eigener Förderstätten geschaffen, nicht durch die Entwicklung gänzlich neuer Verfahren.)

In dem Vortrag kamen noch viele weitere Aspekte zur Sprache – nicht systematisch aufbereitet, aber anregend und interessant präsentiert. Ich hoffe, dass Trimble dann bald auch zu diesem Thema einen Artikel veröffentlicht, indem man das, was sie gesammelt hat, dann in Ruhe nachlesen kann.

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

4 Kommentare

    • Auf den ersten Treffern, die mir da angezeigt werde: Ja. Treffer 18 ist dagegen Moseley (siehe oben).

      Und ja, ich gebe zu: Ich ticke inzwischen so, dass bei solchen Nachfragen ein leises “Hm, wäre diese Nachfrage nach einem Bild auch gekommen, wenn du über einen männlichen Wissenschaftler geschrieben hättest?” durch meinen Hinterkopf wieselt.

      • Danke!

        Das wäre eine Testserie von Artikeln wert. (Und wir hätten den Vorteil, diese Artikel zu bekommen) 🙂

        Mich irritierte das vorhandene Bild, das bis weit in die Artikel hinein keinen Bezug zu haben schien. Habe immer auf eine Pointe gewartet.

  1. Hm… – und ich frage mich, was das Bild von Moseley in beiden Beiträgen soll? – Zumal auch nur drunter steht, wen es nicht zeigt, aber nicht, wer dort abgebildet ist. Das halte ich für einen Fehler. Man kann hier (also online) zwar dem Link zum Wikimedia-Server folgen, aber das lenkt nur vom Text ab. Und wenn man den Text in gedruckter Form vorliegen hat, fehlt einem auch der Link und man erfährt erst sehr spät, wer das ist, und was er mit dem übrigen Text zu tun hat. Ein weiterer Punkt, der mir dabei komisch vorkommt, ist diese Glaskugel, die er auf dem Bild in der Hand hat. Dadurch wirkt er für mich im ersten Moment eher weniger wie ein Wissenschaftler, als vielmehr wie einer aus der Esoteriker Ecke, zumal es dazu ja auch keine weiteren Angaben gibt. Wenn er da wenigstens ‘ne Kanonenkugel in der Hand hätte, wäre das schon nicht mehr so.