Noch mehr noble Astronomen?

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… aber nicht einfacher
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Das Medienunternehmen Thomson Reuters veröffentlicht seit einiger Zeit Vorhersagen dazu, wer denn wohl die Nobelpreise des betreffenden Jahres erhalten wird. Dieses Jahr sieht es in der Kategorie Physik vielversprechend aus für die Freunde der Astrophysik. Sechs der sieben Kandidaten, die bei Thomson Reuters auf der Liste stehen, kommen aus diesem Gebiet: ein Dreiergrüppchen für die Dunkle Energie, eines für Auswertungen der Messungen des WMAP-Satelliten (jeweils Repräsentanten weit größerer Kollaborationen, aber in mehr als drei Teile ist ein Nobelpreis nun einmal nicht teilbar).

In die Vorhersagen geht maßgeblich ein, welche Fachartikel in den vorangehenden Jahren wie oft zitiert wurden — entsprechend einem Kerngeschäft der Firma, die u.a. den Science Citation Index herausgibt. Außerdem wird geschaut, wer zwar noch nicht den Nobelpreis, aber immerhin andere wichtige Wissenschaftspreise bekommen hat, und darüber hinaus gehen allgemeinere Überlegungen zur Bedeutung von Fachgebiet und Ergebnissen ein. Das Webportal präsentiert stolz eine Liste erfolgreicher Vorhersagen der letzten Jahre, und auch, wenn bei mir ein paar Skeptiker-Glocken läuten, wenn ich sehe, dass eine Beschreibung wie diese hier nicht auch einfach mal eine Zahl für die Erfolgshäufigkeit nennt (in wie vielen Fällen war der Nobelpreisträger auf der Liste enthalten, in wie vielen Fällen nicht?) — nehmen wir’s einfach mal als Anhaltspunkt.alt

Wer also steht auf der Liste? In der ersten Gruppe drei Astronomen, die sich gerade erst den Shaw-Preis geteilt haben, im Bild von links nach rechts: David Spergel, Charles Bennett und Lyman Page.

 Bild von Sze-Leung Cheung von den Shaw-Preistraegern 2010
[Bild: Sze-Leung Cheung]

Hier geht’s um die Messungen des WMAP-Satelliten, der die kosmische Hintergrundstrahlung, eine Art “Echo des Urknalls“, mit beeindruckender Genauigkeit kartiert hat. Die zweite Dreiergruppe bilden Saul Perlmutter, Adam G. Riess und Brian P. Schmidt, deren Untersuchungen ferner Sternexplosionen (“Supernovae vom Typ Ia”) die ersten direkten Hinweise darauf ergaben, dass sich unser Universum nicht nur ausdehnt, sondern dass es sich beschleunigt ausdehnt. In den heutigen Standardmodellen der Kosmologie, die auf Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie fußen, ist solch eine beschleunigte Ausdehnung mit einem Term namens “kosmologische Konstante” verknüpft. Man kann sie alternativ als Wirkung von so genannter “Dunkler Energie” sehen, einer ungewöhnlichen Sorte von Energie, die mit negativem Druck assoziiert ist; dieser Druck (auch Druck ist bei Einstein eine Gravitationsquelle) treibt das Universum beschleunigt auseinander. Eine tiefer gehende physikalische Erklärung für die Dunkle Energie — etwa eine Herleitung aus der Elementarteilchenphysik — gibt es bislang nicht.

Also, wer dürfte es werden? Für die kosmische Hintergrundstrahlung sind schon mehrere Nobelpreise vergeben worden. Für ihre Entdeckung wurden 1978 Robert Wilson und Arno Penzias geehrt, und die genauere Vermessung mit dem COBE-Satelliten ergab 2006 zwei Nobelpreise: einen für John Mather als COBE-Projektwissenschaftler und Chef des Instruments FIRAS, das nachwies, dass es sich bei der kosmischen Hintergrundstrahlung tatsächlich um eine fast perfekte Wärmestrahlung handelt. Und einen für George Smoot als Chef des DMR-Instruments, mit dem winzige Temperaturfluktuationen in der Hintergrundstrahlung nachgewiesen wurden, bei denen es sich um die Vorläufer der heutigen großräumigen Strukturen des Universums handeln dürfte. Nun also noch einen Preis? WMAP hat durchaus grundlegende neue Erkenntnisse über die Hintergrundstrahlung geliefert, insbesondere über die Systematik der Fluktuationen, die so etwas wie einen “Urakkord” des frühen Universums darstellen und wichtige Informationen über die grundlegenden Parameter des Weltalls liefern (z.B. über seine Geometrie und sein Alter). Die ebenfalls in dem Urakkord enthaltenen Hinweise auf die bislang noch recht spekulative Inflationsphase im frühen Universum dürften dem eher konservativ eingestellten Nobelpreis-Komitee wahrscheinlich noch nicht belastbar genug sein, um groß ins Gewicht zu fallen, doch insgesamt ist es gut möglich, dass die WMAP-Messungen einen Nobelpreis wert sind — und die Messungen des Planck-Satelliten später eventuell noch einen.

Wie steht’s mit der Dunklen Energie? Mittlerweile gibt es außer den direkten Supernova-Messungen noch weitere Indizien für deren Vorhandensein (z.B. eben aus den WMAP-Messungen an der kosmischen Hintergrundstrahlung). Und zweifellos handelt es sich um eine grundlegend neue Erkenntnis über unser Weltall, wenn auch um eine, die nicht sehr gut verstanden ist.

Alles zusammengenommen würde es mich nicht wundern, wenn das Nobel-Komitee einer Strategie treu bleibt, der es in der Vergangenheit nicht selten gefolgt ist, und erst einmal abwartet: Was bringt Planck? Vergibt man WMAP- und Planck-Nobelpreise dann lieber zusammen? Wie geht es mit der Dunklen Energie weiter; wartet man mit dem Preis lieber noch ein paar Jahre, bis die Messungen noch weiter festgeklopft werden (etwa durch die im Decadal Review empfohlene WFIRST-Mission), oder gar solange, bis eine überzeugende fundamentale Erklärung für die Dunkle Energie gefunden wird? Dann bekommt den Preis 2010 vielleicht doch der siebte auf der Thomson Reuters-Liste: der Nanowissenschaftler Thomas W. Ebbesen, der eine völlig neue Art von Lichtübertragung gefunden hat. Ich hoffe natürlich, dass ich mich irre, und dass 2010 wieder ein nobel-astronomisches Jahr wird. Am kommenden Dienstag, den 5.10., wissen wir’s genauer. (Einen Tag später sind die Chemiker dran; darüber hat Lars Fischer ja gerade hier gebloggt.)

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

3 Kommentare

  1. Na, Lichtübertragung hatten wir gerade erst, davor theoretischen Krams, da wäre experimentelles Zeug ohne Anwendung eigentlich an der Reihe 🙂
    Vielleicht gibts aber auch mal endlich was für Aharonov…

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