Bildung und ansteckender Enthusiasmus

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… aber nicht einfacher
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Auf NZZ-online habe ich gerade den Artikel Leidenschaft und Interesse des Psychologen Allan Guggenbühl gelesen (16.1.2014). Der beschreibt, was bei Schülern Interesse für’s Lernen erzeugt, wie man dem Motivationstief in der Mittelstufe begegnen kann – und welche Rolle die Persönlichkeit des Lehrers bzw. der Lehrerin dabei spielen. Eine Reihe der Aussagen des Artikels kann ich nicht unterschreiben; die Hauptzielrichtung aber sehr wohl: Die positive Rolle der Persönlichkeit, die dazu führt, dass etwas “schräge” Lehrer, die als außergewöhnlich wahrgenommen werden – etwa wegen besonderer Interessensgebiete, die sie mit Hingabe verfolgen -, ihren Schüler/innen viel bleibendere Eindrücke vermitteln als normaler Unterricht, und Aufmerksamkeit für den von ihnen präsentierten Stoff generieren.

Das war für mich ein “Halt, da war doch noch was”-Moment. Vor inzwischen 5 Jahren hatte ich auf meinen damaligen U-Bahn-Fahrten durch Queens nach Manhattan jeweils interessanten amerikanischen Lesestoff dabei. Einige Wochen lang waren es die Essays des Journalisten H. L. Mencken, der einigen Lesern hier vielleicht indirekt durch seine kritische Berichterstattung beim Scopes-Prozess (Gerichtsverhandlung zum Evolutions-Lehrverbot in Texas anno 1925) bekannt ist.

Die folgenden Passagen aus Menckens Essay “Education” gehen in eine ganz ähnliche Richtung wie Teile von Guggenbühls Text, und sie beschreiben einen Umstand, den ich für Bildung und Outreach für extrem wichtig halte (Übersetzung auf S. 2 dieses Blogbeitrags):

[The] ability to impart knowledge, it seems to me, has very little to do with technical method. It may operate at full function without any technical method at all, and contrariwise, the most elaborate of technical methods, whether out of Switzerland, Italy, or Gary, Ind., cannot make it operate when it is not actually present. And what does it consist of? It consists, first, of a natural talent for dealing with children, for getting into their minds, for putting things in a way that they can comprehend. And it consists, secondly, of a deep belief in the interest and importance of the thing taught, a concern about it amounting to a sort of passion. A man who knows a subject thoroughly, a man so soaked in it that he eats it, sleeps it and dreams it-that man can always teach it with success, no matter how little he knows of technical pedagogy. That is because there is enthusiasm in him, and because enthusiasm is almost as contagious as fear of the barber’s itch. An enthusiast is willing to go to any trouble to impart the glad news bubbling within him. He thinks that it is important and valuable for him to know; given the slightest glow of interest in the pupil to start with, he will fan that glow to a flame. No hollow formalism cripples him and slows him down. He drags his best pupils along as fast as they can go, and he is so full of the thing that he never tires of expounding its elements to the dullest.

 

This passion, so unordered and yet so potent, explains the capacity for teaching that one frequently observes in scientific men of high attainments in their specialties- for example, Huxley, Ostwald, Karl Ludwig, Virchow, Billroth, Jowett, William G. Sumner, Halsted and Osler- men who knew nothing whatever about the so-called science of pedagogy, and would have derided its alleged principles if they had heard them stated.

(“Education”, in: H. L. Mencken. Prejudices. Third Series. A. A. Knopf 1922, pp. 238-265). Projekt Gutenberg hat zwar einige Texte von Mencken, aber leider nicht diesen.

Die Spitzen gegen die Erziehungswissenschaft allgemein würde ich zwar aus heutiger Sicht nicht unterschreiben – und weiss auch nicht genug über die Zusammenhänge damals, um beurteilen zu können, wen Mencken da auf dem Kieker hatte. Aber die Kernaussage ist aus meiner Sicht nach wie vor richtig.

Der ansteckende Enthusiasmus, den Mencken hier anführt, kommt oft ins Spiel, wenn Wissenschaftler – sei es an einem Tag der Offenen Tür, sei es in Vorträgen, sei es im direkten Gespräch – erklären, was sie da eigentlich tun. Alleine reicht er natürlich nicht aus – das kann jeder bestätigen, der je einen Wissenschaftler mit viel Enthusiasmus weit über die Köpfe seiner Zuhörer hinweg hat reden hören. Die Fähigkeit, das Gesagte auf dem richtigen Niveau zu präsentieren ist, wie Mencken ja auch schreibt, ebenso notwendig.

In der Schule funktioniert dieselbe Kombination genau so gut. Aber sie ist nicht häufig, und sie wird nicht gerade ermutigt. Bei Guggenbühl klingt das an einigen Stellen an; das Grundproblem kann man aber noch schärfer formulieren: Ein Lehrer oder eine Lehrerin mag noch so tolle Interessen haben, mit denen er oder sie den Unterricht anreichern und die Schüler/innen richtig begeistern könnte – ansteckender Enthusiasmus eben. Aber das kann man leicht verhindern – man muss den Stoffplan nur voll genug packen, dass selbst für das unbedingt nötige, später abgefragte und zwingend vorgeschriebene nicht genügend Zeit bleibt, und schon ist der Enthusiasmus-Ansteckung ein Riegel vorgeschoben, oder sie ist zumindest in außerunterrichtliche Bereiche wie Arbeitsgemeinschaften verbannt.

Wir erleben das bei unserer Arbeit im Haus der Astronomie immer wieder. Unter anderem ermutigen wir Lehrer ja, astronomische Forschung in den Unterricht einzubringen – als eine Möglichkeit, z.B. den Physikunterricht spannend zu gestalten (eine ganze Menge an Beispielen dafür gibt es in der Astronomie-Abteilung von Wissenschaft in die Schulen!, die von unserem Kollegen Olaf Fischer betreut wird). Aber immer wieder hören wir auch, dass das alles nicht so einfach sei, und insbesondere in Zeiten von G8 mit zwölfjähriger Schulzeit wäre es ohnehin kaum zu schaffen, den ganzen Stoff durchzunehmen, der gefordert wird.

Ich wünsche mir deutlich mehr ansteckenden Enthusiasmus in der Schule, und das heißt: Ich wünsche mir Schule ohne vollgestopfte Lehrpläne, die Zeit dafür lässt, ausgewählte Themen etwas anders und durchaus schräger zu behandeln als derzeit üblich. Die Zeit dafür lässt, dass diejenigen Lehrer, die besondere eigene Sachinteressen haben – ob als Amateurfunker oder als Astronomiebegeisterter in der Physik, als Kochkünstler in der Biologie, als Extremsportler, als Hobby-Historiker mit einer Spezialisierung, die im Lehrplan kaum vorkommt, aber die Methoden der Geschichtswissenschaft exzellent illustrieren könnte – ihre Interessen in den Unterricht einbringen können, auch wenn das ein paar Umwege und mehr Zeit als das Lehren-nach-Lehrbuch erfordert. Wenn wir das nicht ermöglichen, dann vergeuden wir eine wertvolle Ressource.

Bei dem derzeitigen Trend in Richtung Kompetenzorientierung bin ich zwar angesichts des Jargons und dessen, was mir wie Schemahaftigkeit scheint, einigermaßen skeptisch, aber die Grundidee finde ich richtig: Im Zentrum sollten in der Schule ganz bestimmte Kompetenzen stehen, nicht ein möglichst vollständiger Stoffkatalog. In Geschichte beispielsweise der richtige Umgang mit Quellen – ob nun gelernt am Beispiel des Hochmittelalters oder des Ersten Weltkriegs.

All diese Ideen sind nicht neu – die von der Wichtigkeit des ansteckenden Enthusiasmus nicht, der sich wahrscheinlich noch deutlich weiter als die 92 Jahre bis zu Menckens Text zurückverfolgen lässt, und die Forderung nach dem “Mut zur Lücke” und dem exemplarischen Lernen (Martin Wagenschein lässt grüßen) auch nicht. Nur durchgesetzt haben sie sich noch nicht. Wahrscheinlich, weil die Versuchung einfach zu groß ist, sein Gewissen damit zu beruhigen, dass im Lehrplan ja im Prinzip aller wichtiger Stoff aufgeführt ist. Die Studien, die zeigen, wie wenig davon bei den Schülern hängenbleibt, kommen eben erst Jahre später, und dann ist es zu spät

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

2 Kommentare

  1. Es muss nicht die Persönlichkeit des Lehrers oder der Lehrerin sein, die den Enthusiasmus erzeugt.

    Ich las damals (1957) Science-Fiction-Romane (Schundhefte), und interessierte mich daher stark für die Naturwissenschaften, Physik, Chemie, Technik, Astronomie, und Biologie.

    Alle anderen Fachgebiete erzeugten bei mir keinen Enthusiasmus.

  2. Karl Bednarik schrieb (31.01.2011, 05:54 Uhr):
    > Ideal starre Körper mit unendlich hoher Schallgeschwindigkeit gibt es nicht.

    Offenbar lassen sich bestimmte Mengen von Beteiligte denken, und ggf. sogar auffinden, die in dem Sinne gegenüber einander starr waren und blieben, dass ihre jeweiligen gegenseitigen Ping-Dauern konstant waren und blieben;
    und zwar insbesondere auch während sie dabei nicht gegenüber einander ruhten, also nicht alle gemeinsam Mitglieder des selben Inertialsystems waren.

    Dazu gehören beispielsweise “gleichmäßig rotierende (und dabei hinreichend kleine) Scheiben”,
    und “Einstein-Aufzüge” d.h. deren Decken- und Boden-Bestandteile durchwegs gegenüber einander (chronometrisch) starr blieben.

    Dabei sind diese Bestandteile aber voneinander getrennt, d.h. die jeweiligen Ping-Dauern des einen bzgl. des anderen sind nicht Null.

    > […] Wenn man aber die Triebwerke gleichmässig […] verteilt […] simuliert das […] Raumschiff einen ideal starren Körper

    Ja: jeweils konstante gegenseitige Ping-Dauern (die allerdings nicht außerdem gegenseitig gleich sind) stellen sich genau dann ein, falls die jeweiligen konstanten/hyperbolischen Beschleunigungen (Beträge) ebenfalls entsprechend ungleich sind; für zwei “Enden” A und B, mit den jeweiligen Beschleunigungsbeträgen “a” bzw. “b”:

    a / b =
    Exp[ -a/c τA_(BA) ] =
    Exp[ -b/c τB_(AB) ] =
    (τB_(AB) / τA_(BA)) = konstant.

    Da die gegenseitigen Pingdauern ungleich sind, lässt sich den beiden Enden auf dieser Grundlage aber nicht ein bestimmter “gemeinsamer/gegenseitger Abstand voneinander” zuschreiben,
    und erst recht nicht eine bestimmte Länge.

    > mit unendlich hoher Schallgeschwindigkeit.

    Nein: Jeglicher Signalaustausch zwischen derartig gleichmäßig und gegenüber einander starr beschleunigten Enden erfolgt trotzdem mit von Null verschliedenen “Rundlauf”-Dauern;
    und insbesondere hinsichtlich der jeweiligen Signal-Front mit von Null verschiedenen Ping-Dauern.

    > Da überall die Beschleunigung und die Geschwindigkeit gleich groß sind, […]

    Im betrachteten Fall der gegenseitig starren konstanten/hyperbolischen Beschleunigung(en) sind die Beschleunigungsbeträge der einzelen Bestandteile aber ausdrücklich ungleich, wie gezeigt.
    Von “Geschwindigkeit(en)” (etwa bzgl. bestimmten Inertialsystemen) ist dabei allerdings nicht ausdrücklich Rede …

    Schließlich lässt sich ganz allgemein und direkt beweisen, dass konstante/gleichmäßige Beschleunigung auch “hyperbolisch” ist;
    nämlich (z.B. hinsichtlich des Beteiligten A) dass,
    falls für alle je drei Ereignisse, ε_AF, ε_AJ, ε_AP, an denen A teilgenommen hatte, gilt

    (1/4) (1/ℓ[ ε_AF, ε_AP ])
    (
    (ℓ[ ε_AF, ε_AJ ] / ℓ[ ε_AJ, ε_AP ])^2 +
    (ℓ[ ε_AJ, ε_AP ] / ℓ[ ε_AF, ε_AJ ])^2 +
    (ℓ[ ε_AF, ε_AP ] / ℓ[ ε_AF, ε_AJ ])^2 (ℓ[ ε_AF, ε_AP ] / ℓ[ ε_AJ, ε_AP ])^2 –
    2 – 2 (ℓ[ ε_AF, ε_AP ] / ℓ[ ε_AF, ε_AJ ])^2 – 2 (ℓ[ ε_AF, ε_AP ] / ℓ[ ε_AJ, ε_AP ])^2
    )
    = konstant := a,

    dann ergibt sich die Dauer As von dessen Anzeige der Beteiligung am Ereignis ε_AF, bis zu dessen Anzeige der Beteiligung am Ereignis ε_AP als

    τA[ _F, _P ] :=
    Integral_(ε_AF)^(ε_AP)[ dℓ[ ε_AΦ, ε_AΨ ] =
    1/a ArcSinh[ a ℓ[ ε_AF, ε_AP ] ].

    Aber immerhin: bei gegenseitig starren konstanten/hyperbolischen Beschleunigung(en) im Flachen lassen sich jeweils [[momentan mitbewegte Inertialsysteme]] finden.
    Deshalb bezeichnet man solche Beschleunigung(en) auch als “Born-starr”.

    Die Bestandteile eines derartig gegenseitig starren konstant/hyperbolisch beschleunigten Raumschiffs bilden (natürlich) trotzdem ein Bezugssystem, und nach Vorgabe sogar ein starres,
    weil und sofern sich keine zwei dieser Bestandteile jemals trafen; solche Systeme werden allgemein auch als “[[(zeitartige) Kongruenzen]]” bezeichnet.

    (Die Vorgabe von genau gleichen Beschleunigungsbeträgen wäre offensichtlich ein wesentlich anderer, nämlich nicht-starrer Fall.
    Insbesondere bleiben die Ping-Dauern zwischen den beiden Raumschiffen in der bekannten Versuchsanordnung nach J. S. Bell nicht jeweils konstant, sondern nehmen immer weiter zu.)