Deutscher Rückzug vom SKA und die Informationsgesellschaft

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… aber nicht einfacher
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Über den geplanten deutschen Rückzug aus dem Square Kilometre Array (SKA) hatte ich vor ein paar Tagen hier geschrieben. Zu diesem Thema und zu den Hintergründen gibt es inzwischen auch einiges an Berichterstattung – z.B. von Dirk Lorenzen im Deutschlandfunk (MP3), von Manfred Lindinger in der FAZ, bei Florian Freistetter im Blog oder von Uwe Reichert bei Spektrum.

Einen Aspekt kann man aber durchaus noch stärker betonen, und zwar die direkten Querverbindungen zum (Mode-)Konzept “Big data” und der Informationsgesellschaft. Ich war in meinem Blogbeitrag Hier entsteht das größte Radioteleskop der Welt vom April letzten Jahres schon darauf eingegangen, was es mit den riesigen Datenmengen des SKA auf sich hat. Die Seite, auf die ich damals verlinkt hatte, existiert nicht mehr; stattdessen haben die SKA-Kollegen ihre “Amazing facts” graphisch aufwändig aufbereitet – was die “facts” aber eigentlich nicht nötig hätten, denn die sind auch ohne Aufbereitung schon beeindruckend:

Dass die Daten, die das SKA an einem Tag aufnimmt, auf einem iPod abgespielt zwei Millionen Jahre brauchen würden (vermutlich Standardbitraten für Audio zugrundegelegt). Dass der Zentralcomputer des SKA die Rechenleistung von 100 Millionen PCs in sich vereinigt. Dass die Datenströme der SKA-Antennenschüsseln dem Zehnfachen des globalen Internet-Verkehrs entsprechen – die Daten der Antennenfelder (“aperture arrays”) für mittlere und tiefe Frequenzen, sogar mehr als das Hundertfache.

Das bedeutet zum einen: es können nicht alle Daten des SKA gespeichert werden. Bestimmte Auswertungen, insbesondere z.B. bei der Suche nach Pulsaren – schnell rotierenden Neutronensternen, die gebündelte Radiostrahlung aussenden – müssen “live” oder allenfalls mit kurzer Verzögerung vorgenommen werden. Die Rohdaten sind schlicht zu umfangreich, um sie längerfristig abzuspeichern.

Das heißt aber, das man nicht einfach sagen kann “Abwarten und Tee trinken, nach einer bestimmten Zeit werden die Daten des SKA allgemein zugänglich”. Das ist zwar in der Astronomie sehr weit verbreitet: Daten z.B. der ESO-Teleskope oder von Weltraumteleskopen wie Hubble und Herschel sind zwar zunächst für einen bestimmten Zeitraum (typischerweise 1 Jahr) für diejenigen Forscher reserviert, die die entsprechenden Beobachtungen beantragt haben; nach Ablauf der Frist sind sie öffentlich zugänglich. Aber beim SKA ist so ein Vorgehen einfach aufgrund der riesigen Datenmengen nicht machbar. Das heißt: Wer nicht direkt beim SKA dabei ist, verpasst wichtige Chancen bei der Auswertung. Vorbei ist vorbei.

Die Größenordnung der Datenmengen, die da im Spiel sind, macht die Entscheidung des BMBF noch in anderer Hinsicht bemerkenswert. Vermutlich dürfte ja ein Teil der Überlegungen zur Forschungs-Infrastruktur auch den wirtschaftlichen Nutzen berücksichtigen – auch wenn das für die (Grundlagen-)Forscher selbst nur ein Nebenaspekt ist: als Forschungsministerium hat man verständlicherweise auch die wirtschaftlichen Folgen im Blick (siehe z.B. diese Selbstbeschreibung des BMBF).

Grundlagenforschung trägt in zweierlei Hinsicht zu technischen Innovationen bei. Zum einen, wenn ihre Ergebnisse umgesetzt werden (z.B. der Weg von den grundlegenden Überlegungen von Einstein zur stimulierten Lichtemission bis zur Anwendung in Form von Lasern). Zum anderen, weil Grundlagenforschung typischerweise in Grenzbereiche des Messens, Nachweisens, Präparierens von Systemen vordringt – und damit Nachfrage für Technik schafft, die es sonst nicht (oder nur sehr viel später) geben würde.

Da zeigt sich wieder und wieder: Wenn es eine Fragestellung der Grundlagenforschung gibt, die zu ihrer Lösung auf bestimmte, extrem anspruchsvolle Leistungen einer Technologie X angewiesen ist, dann ist die Förderung des entsprechenden Grundlagenforschungsgebiet eine viel effektivere Möglichkeit, Technologie X weiterzuentwickeln, als jedes sorgfältig geplante direkte Programm “Weiterentwicklung von Technologie X”.

Beim wohl folgenreichsten Beispiel ging es dabei noch nicht einmal um die physikalischen Grenzen, sondern schlicht darum, dass die Kooperationen in der Teilchenphysik, und insbesondere bei der europäischen Teilchenphysikorganisation CERN, soweit angewachsen waren, dass zum Teil hunderte, inzwischen sogar tausende Wissenschaftler und Ingenieure zu ein und demselben Experiment beitragen (und dann auch, ja, als Koautoren genannt sind – hier zum Beispiel mehr als 2000 Autoren für einen Fachartikel). Dementsprechend machte man sich beim CERN durchaus Gedanken darüber, wie Information effektiv in einer so großen Community zu verteilen und zu organisieren sei. Der Rest ist Geschichte: ab 1990 lief bei CERN der erste Webserver überhaupt. Und wer an Grundlagenforschung unbedingt Kosten-Nutzen-Rechnungen anlegen möchte: Wenn man die rund eine Milliarde Euro Kosten für CERN und Umfeld pro Jahr auf die eine Wagschale legt und auch nur einen Bruchteil der mehr als 2 Billionen Euro der in einem Jahr durch die Internet-Wirtschaft (die ja im wesentlichen eine WWW-Wirtschaft ist) geschaffenen Produktwerte allein bei den G-20 (hier) dann fällt das Urteil ziemlich eindeutig aus.

Insofern kann man von der Astronomie her vielleicht noch abwägen und sagen: Hey, wir machen das European Extremely Large Telescope im sichtbaren Bereich, wir sind über die ESO an ALMA beteiligt, in der Astro-Teilchenphysik an CTA und Pierre Auger; vielleicht muss man als Land ja wirklich nicht auf allen Hochzeiten tanzen. So schwer es für die betroffenen Astronomen ist: Solche Abwägungen (allerdings natürlich mit Input der Betroffenen!) ist eben eine der Aufgaben eines Forschungsministeriums.

Aber dass die wirtschaftsnäheren Abteilungen des BMBF in Bezug auf das SKA nicht gesagt haben: Vergesst die Astronomie, hier kriegen wir für den Spottpreis von etwa 10 Millionen Euro im Jahr ein Stimulationsprogramm für Übertragung, Management und Real-Time-Auswertung von riesigen Datenmengen – mit Herausforderungen, wie sie in dieser Form häufig eben nur Spitzen-Grundlagenforschungen bieten kann und, so hofft man, mit Firmen, die aus der dafür entwickelten Technologie dann später noch vieles andere für einen allgemeineren Markt anfangen können – das wundert mich. 10 Millionen pro Jahr (so der von Dirk Lorenzen genannte Betrag ab 2:00 hier) dürften in dem, was Deutschland für digitale Technikförderung ausgibt, eher Peanuts sein. Eine Nichtbeteiligung am SKA heißt, dass entsprechende Aufträge dann eben an Firmen aus anderen Ländern vergeben werden. Und das klingt neben den Problemen für die Astronomie wie eine zweite verpasste Chance.

 

[Dank an Michael Kramer vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie und an einen hier nicht namentlich genannten Wissenschaftsjournalisten für Hintergrundinformationen.]

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

3 Kommentare

  1. Das Square Kilometre Array ist ein Meilenstein in ganz vielen Bereichen – nicht nur in der Astronomie. Wer wegen Ausgaben von 10 Millionen Euro pro Jahr nicht mitmacht muss ein Trottel sein oder er wird überhaupt nichts von der Sache verstehen.
    Oder er glaubt nicht an die Sache. Könnte ja sein, dass das Square Kilometre Array noch lange auf eine Realisation warten muss?
    In der Wikipedia liest man:

    Der Bau des SKA startet 2016 mit einem Budget von 1,5 Milliarden Euro, um 2019 die ersten Daten zu erhalten und 2023 in voller Betriebsbereitschaft zu stehen.

    Das wäre tatsächlich schon sehr bald. Doch wie realistisch ist dieser Zeitplan? Man liest in der Wikipedia nämlich auch noch:

    Das SKA budgetiert 1,5 Milliarden Euro für Phasen 1 und 2 bis 2023, darin inbegriffen 300 Millionen Euro für Phase 1 bis 2019. Vorgesehen wird eine Aufteilung zu gleichen Teilen auf Europa, USA und die restlichen Teilnehmerstaaten. Vor 2017 wird der europäische Beitrag vermutlich nicht entrichtet werden können, da der ASTRONET Fahrplan für europäische Astronomie das E-ELT mit höherer Dringlichkeit empfiehlt.

    Ist der Wikipedia-Eintrag überhaupt korrekt? “Vorgesehen wird eine Aufteilung zu gleichen Teilen auf Europa, USA und die restlichen Teilnehmerstaaten” Die USA gehören doch gar nicht zu den Teilnehmerstaaten und sie werden auch nicht als Mitgliedsstaaten in der Wikipedia aufgeführt. Zahlen aber sollen sie?

  2. Ich denke, dass Sie einen beliebten Argumentationsfehler machen. Um eine Entscheidung zu rechtfertigen reicht es nicht die positiven Konsequenzen zu schildern. Sie müssen stattdessen ein Auswahlkriterium einführen. Es reicht nicht zu zeigen, dass die USA mit jedem investierten Dollar in die NASA 7$ gewinnt. Sie müssen zeigen, dass es “keine” bessere Alternative gibt.
    Sie nutzen hier verschiedene Argumentationsfehler aus, um ihre Interessen zu vertreten.
    Darunter:
    -riding the bandwagon
    -anecdotal evidience
    -false composition
    -false burden of proof

    Ich denke es schadet ihrer intellektuellen Integrität.

    • …und Sie begehen den Argumentationsfehler “giving a list of alleged mistakes without concrete evidence”. (Wow, klingt doch gleich viel beeindruckender auf englisch!)

      Will sagen: Könnten Sie bitte konkreter werden, wenn Sie meine intellektuelle Integrität infrage stellen? Und z.B. sagen welche Passagen genau Sie monieren?

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