Ein Haufen Sterne? Astronomische Besinnung auf die Grundlagen

BLOG: RELATIV EINFACH

… aber nicht einfacher
RELATIV EINFACH

Weihnachten ist ja auch eine Zeit, sich auf die Grundlagen zu besinnen. Auf das, was wirklich wichtig ist – und auf Dinge, die für uns oft so selbstverständlich sind, dass wir sie gar nicht mehr würdigen oder gar hinterfragen.

Da kam dieses Bild der Woche der ESA in der vorletzten Dezemberwoche gerade recht (dank an Coryn Bailer-Jones für den Tip), das einen Ausblick darauf gibt, was noch von dem Astrometrie-Satelliten Gaia zu erwarten sein wird – und warum Gaia so etwas Fundamentales tut, wie hochgenau Sternpositionen und -abstände zu vermessen.

Dies hier ist nicht das Bild der Woche, sondern ein Bild des Sternhaufens NGC 2451 vom Digital Sky Survey 2:

ngc2451
DSS2 optical HEALPix survey, color (R=red[~0.6um]/G=average/B=blue[~0.4um]) – Digitized Sky Survey – STScI/NASA, Colored & Healpixed by CDS. Bild erstellt mithilfe von Aladdin
Aber ist das wirklich ein Sternhaufen in dem Sinne, dass die Sterne tatsächlich aneinander gebunden sind? Oder stehen die Sterne eigentlich eher zufällig am Himmel nahe zusammen, ohne einander auch im dreidimensionalen Raum nahe zu sein?

Das ist gar nicht so einfach zu beurteilen. Aber 1994 hatten sich Siegfried Röser und Ulrich Bastian vom Astronomischen Recheninstitut hier in Heidelberg angeschaut, wie sich die betreffenden Sterne am Himmel bewegen – die sogenannte Eigenbewegung, entsprechend Positionsverschiebungen von nur einigen Millionstel Winkelgrad pro Jahr. Röser und Bastian fanden heraus, dass NGC 2451 kein Sternhaufen ist – die Sterne bewegen sich viel zu unsystematisch mit zu hoher Geschwindigkeit durcheinander, als dass sie über die Gravitation aneinander gebunden sein könnten.

Eine Untermenge der Sterne dagegen, die dort zu sehen sind, schien doch zusammenzugehören. Vielleicht waren es sogar zwei Sternhaufen, die sich in dem Sterngewimmel versteckten, aber das konnten Röser und Bastian damals noch nicht mit Sicherheit sagen.

Und jetzt kommt also Gaia, der Astronomiesatellit: gestartet 2013, seither (trotz einiger unerwarteter Probleme) eifrig am Messen, und jetzt gerade in der interessanten Phase, in der die Daten so miteinander kombiniert werden, dass tatsächlich ein erster vorläufiger Entfernungskatalog mit 2 Millionen Sternen entstanden ist. Das ist noch weit entfernt von der runden Milliarde Sterne, zu der Gaia letztlich Entfernungsdaten liefern soll, aber immerhin. Insbesondere waren dort auch bereits Entfernungsdaten für 1100 Sterne im Bereich von NGC 2451 dabei, und Ulrich Bastian, seinerseits eine der Schlüsselfiguren bei der Gaia-Mission, hat dann gleich geschaut, was sich daraus für die Sterneinteilung ergibt:

20151218c_hi
Bild: ESA/Gaia/DPAC/DPCE/DPCB/CU3/U. Bastian (ARI, Heidelberg)

Dass die blau eingezeichneten Punkte Mitglieder eines eigenen Sternhaufens sind, NGC 2451A, ist keine Überraschung. Aber dass Gaia die lila eingezeichneten Punkte anhand der Entfernungen so schön als Mitglieder eines zweiten Sternhaufens NGC 2451B identifiziert, bei knapp 1200 Lichtjahren, ist ein schönes Ergebnis.

Allerdings, auch das muss man hinzufügen: All das sind vorläufige Auswertungen, noch nicht begutachtet, veröffentlicht. Keine offiziellen Forschungsergebnisse, sondern eher eine kleine Vorschau darauf, was von Gaia 2016 und in den Folgejahren noch zu erwarten ist.

Offiziell wird es erst im Sommer 2016. Dann werden die vorläufigen Gaia-Ergebnisse samt Entfernungswerten für rund 2 Millionen Sterne veröffentlicht. Und dann wird es auch mit den richtigen Fachartikeln auf Basis der neuen Entfernungswerte losgehen. Entfernungsmessungen sind nun einmal etwas Fundamentales für die Astronomie. Ohne einen Entfernungswert kann man nicht sagen, ob man es mit einem näheren, leuchtschwächeren Objekt zu tun hat oder einem ferneren, helleren – sprich: ohne Entfernungswerte keine Verbindungen zwischen Beobachtungen und physikalischen Modellen. Von unserem Verständnis der Sternphysik bis hin zur Bestimmung der kosmologischen Parameter hat Gaia das Potenzial, an einer ganzen Reihe tragender Elemente des astronomischen Wissensgebäudes zu rütteln.

Avatar-Foto

Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

2 Kommentare

  1. Ja, Gaia ist ein MUST. Sind die 3D-Koordinaten, die Geschwindigkeiten und Beschleunigungen der Sterne eines grossen Raumbereichs einmal bekannt, dann kann man (unter anderem) auf das Gravitationsfeld in diesem Raumbereich schliessen. Lokale dunkle Materie müsste sich bemerkbar machen. Vor allem wenn sie inhomogen verteilt ist. Aber auch Exoplaneten sollten sich durch das Rütteln am Mutterstern zeigen. Und weil Gaia Millionen von Sternen beobachtet, kann Gaia auch Millionen von Exoplaneten nachweisen. Wobei die Genauigkeit der Messungen von Gaia wohl nur für die Entdeckung von Gasriesen reicht.
    Ich bin überzeugt davon, dass es irgendwann Gaia-Nachfolgemissionen geben wird, die – nach dem gleichen Prinzip – alles noch viel genauer vermessen und so detailreich kartieren, dass Weltraumbegeisterte und Science-Fiction-Autoren sich ihre je eigenen Lieblingsorte in dieser Galaxie aussuchen können.

  2. Markus Pössel schrieb (31. Dezember 2015):
    > […] Entfernungsmessungen sind nun einmal etwas Fundamentales für die Astronomie.

    Aha.

    Ob dieses “Entfernungs“-Maß (der Astronomie) wohl auf grundlegende, nachvollziehbare Begriffe hinausläuft; d.h. auf Begriffe, die man überhaupt nicht versuchen kann zu hinterfragen, ohne allein dadurch schon zuzugegeben und zu demonstrieren, dass man sie begreift und richtig benutzt
    ?

    Insbesondere, so wie laut Einstein alle unsere zeiträumlichen Konstatierungen, auf

    Bestimmungen zeiträumlicher Koinzidenzen (bzw. ansonsten: Nicht-Koinzidenzen); wie z.B. die
    Begegnungen (bzw. ansonsten: deren Gegenteil) zweier oder mehrerer unterscheid- und identifizierbarer materieller Punkte, oder die gemeinsame (oder ansonsten: getrennte, sequentielle) Wahrnehmung zweier oder mehrerer unterscheidbarer Anzeigen
    ?

    > […] Und jetzt kommt also Gaia, der Astronomiesatellit: gestartet 2013, seither (trotz einiger unerwarteter Probleme) eifrig am Messen […]

    Also im unmittelbar materiell Wesentlichen: ein Haufen (etwa eine Milliarde) unterscheid- und identifizierbare “Pixel”.

    Ob deren (kollektives) “Mess“-Wesen wohl (insbesondere) auf Konstatierungen betreffend “Entfernungs“-Verhältnisse untereinander hinausläuft? …