Die Debatte um den Karlsruher Physikkurs (KPK): Fachphysiker vs. Physikdidaktiker?

BLOG: RELATIV EINFACH

… aber nicht einfacher
RELATIV EINFACH

Die Debatte um den Karlsruher Physikkurs (KPK) steht bei mir schon länger auf der Liste derjenigen Themen, die ich mir näher anschauen sollte. Was die Fachdidaktik der Physik angeht, sitze ich ein wenig zwischen den Stühlen. Ich habe von der Ausbildung her einen fachwissenschaftlichen Hintergrund (Diplom und Promotion), bin aber im Bereich astronomische Wissenschaftsvermittlung gelandet und beschäftige mich, neben einigen Tätigkeiten die eher zur Öffentlichkeitsarbeit gehören, auch mit den Bildungsaspekten der Astronomie: entwickle Vereinfachungen und Elementarisierungen für interessante Themen (u.a. mit dem Ziel, sie für den Physikunterricht nutzbar zu machen), beteilige mich an der Lehramtsstudentenausbildung und an Lehrerfortbildungen, erstelle Materialien, die im Unterricht, für die Projektarbeit oder für die universitäre Lehre genutzt werden können und ähnliches. Insofern sehe ich mich zum Teil durchaus auch als Didaktiker – allerdings nicht mit dem Schwerpunkt Lehr-Lernforschung, der ja offenbar in Teilen dieser Debatte mit Didaktik schlechthin gleichgesetzt wird. Dass zwischen den Physikdidaktikern und den “Fachphysikern” (ein außerhalb dieses Begriffspaares eher unüblicher Begriff, soweit ich sehen kann) nicht immer alles im Reinen ist, hatte ich vor dieser Diskussion bereits an anderer Stelle gemerkt, aber die aktuelle Debatte lässt die Unterschiede noch sehr viel deutlicher hervortreten als bisher.

Erst einmal: Worum geht’s? Hier meine etwas flapsige, schamlos vereinfachte aber zum Einstieg hoffentlich nützliche Zusammenfassung.

Eine repräsentative Darstellung der Ereignisse aus Sicht der auf beiden Seiten beteiligten dürfte sein (was folgt sind keine direkten Zitate, aber als mein Versuch, jeweils externe Meinungen darzustellen, die nicht notwendigerweise die meinen sind, vom Haupttext abgesetzt):

Fiktiver Pro-KPK-Vertreter: Mit dem Karlsruher Physikkurs hat der Karlsruher Physiker Friedrich Herrmann (im Zusammenspiel mit Kollegen) den Versuch unternommen, die Physik ganz anders – und für Schüler verständlicher! – darzustellen als üblich. Die Schlüsselrolle spielen als übergreifendes, aber trotzdem aus dem Alltag heraus verständliches Phänomen-Konzept-Konglomerat die Flussprozesse: Was bei physikalischen Prozessen abläuft, lässt sich vielfach als Flussprozess erklären und veranschaulichen. Den Erkenntnissen der modernen Physik wird diese Darstellungsweise viel besser gerecht als die bislang übliche. Eine Reihe der bis dahin üblichen Begrifflichkeiten und Erklärungen der Physik erweisen sich als Altlasten, die das Verständnis nicht befördern, sondern hemmen. Insbesondere liefert der KPK alternative Darstellungsweisen für die Wechselwirkung von Körpern mithilfe von Kräften (an die Stelle der Kraft tritt fließender Impuls) und für den Umgang mit der Wärme (dort werden viele Phänomene deutlich einfacher als Entropiefluss gekoppelt mit Energiefluss beschrieben). Der KPK ist kompakt, bietet Physik aus einem Guss, wird von Schülern und Schülerinnen gut angenommen, schlägt Brücken zu den Nachbardisziplinen. Auch systematische Studien zeigen, dass die neuen Erklärungsweisen bei den Schülern erfolgreich sind. Der KPK gewinnt Freunde und Anwender, unter den Lehrern ebenso wie in den Ministerien – insbesondere im Kultusministerium Baden-Württemberg; sowohl “von unten” als auch “von oben” wird etwas unternommen, der neuen, besseren Darstellung mehr Verbreitung zu sichern. Seit 1994 ist der KPK in Baden-Württemberg als Alternative zugelassen; im Bildungsplan 2004 schlagen sich die Vorteile des KPK bereits deutlich nieder.

Nicht alle sind vom KPK begeistert – aus Sicht derjenigen, die im Rahmen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft gegen den KPK Stellung bezogen haben, dürfte sich das, was dann passierte, wie folgt darstellen (wiederum ein von mir als Zusammenfassung erfundenes Pseudo-Zitat):

Fiktiver KPK-Kritiker: Ich bin Professor für Physik, engagiere mich aber durchaus auch z.B. bei Lehrerfortbildungen. Was ich da über den KPK zu hören bekomme, finde ich besorgniserregend: Referendare, Lehrer und Fachberater, die nicht nach dem KPK vorgehen wollen, werden unter Druck gesetzt, sich dem KPK anzupassen. Das, was ich mir vom KPK angesehen habe, fand ich nicht überzeugend – vieles schlicht falsch, andere Konzepte einfach ungeeignet. Der Impulsstrom anstelle der Kraft beispielsweise – den kann man doch gar nicht messen! So ein Konzept hat in einer empirischen Wissenschaft nichts zu suchen. Und so etwas soll jetzt vom Ministerium über die Bildungspläne verbindlich vorgeschrieben werden? Und wenn ich meine Einführungsvorlesungen Physik halte, darf ich den Studenten dann mühsam die Fehlvorstellungen korrigieren und Begriffe wie die Kraft ganz neu einführen? Da müssen wir etwas unternehmen – dass ganzen Generationen von Schülern falsche Physik aufoktroyiert wird darf nicht sein.

Die Physiker haben eine Fachgesellschaft, die Deutsche Physikalische Gesellschaft, die es in den letzten Jahrzehnten geschafft hat, sich als ein Organ zu positionieren, das auch von der Politik und den öffentlichen Akteuren ernstgenommen wird. Das war ein guter Rahmen für die KPK-Kritiker, die ein Gutachten zum KPK in Auftrag gaben und mit dem für den KPK sehr negativen Ergebnis dann im Februar 2013 offiziell über die DPG mit der Forderung an die Öffentlichkeit gingen. Hier ist der wesentliche Teil der Einleitung des Gutachtens (und ja, diesmal ist es ein echtes Zitat):

Es ist die Überzeugung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), dass Physik auf allen Ebenen der Ausbildung so unterrichtet werden muss und kann, dass ihre wesentliche Eigenschaft unmissverständlich klar wird: Physik ist eine empirische Naturwissenschaft, die aufgrund ständiger, strenger Orientierung am Experiment zu objektivierbaren Aussagen gelangt. Die DPG unterstützt Überlegungen und Versuche, dies im Unterricht an den Schulen möglichst verständlich umzusetzen, sieht es aber auch als ihre Aufgabe an, misslungene Versuche zu kritisieren.

Der Karlsruher Physikkurs (KPK) wird den oben formulierten Zielen nicht gerecht. Er baut wesentlich auf willkürlich gewählten, nicht durch Messvorschriften belegbaren oder Messungen zum Teil widersprechenden Begriffen auf, die allein aufgrund didaktischer Überlegungen eingeführt werden und größtenteils dazu dienen, behauptete Analogien quer durch die gesamte dargestellte Physik durchhalten zu können. Dadurch erzeugt der KPK eine grundsätzlich falsche Vorstellung von Physik. Die Strenge des naturwissenschaftlichen Denkens und der empirischen Vorgehensweise werden durch den KPK verletzt.

Wir raten daher der Deutschen Physikalischen Gesellschaft mit Nachdruck, dass der Karlsruher Physikkurs weder für den Unterricht verwendet noch Lehr- oder Bildungspläne auf ihm aufgebaut oder nach ihm ausgerichtet werden sollen.

Das ist eine deutliche Sprache, und das Gutachten zeigte beachtliche Wirkung. Beim Aulis-Verlag, der den KPK verlegt hatte, wurden die Bücher offenbar 2014 komplett aus dem Sortiment genommen; seither sind sie hier zum Download verfügbar. Auch die Artikelreihe “Altlasten der Physik”, bis dahin ein regelmäßiges Feature der Zeitschrift Praxis der Naturwissenschaften – Physik in der Schule, wurde eingestellt.

Die Diskussion, die sich an das DPG-Gutachten anschloss, war entsprechend, sagen wir mal: lebhaft. Hier ist die Sammlung der DPG mit einigen Beiträgen, hier die des KPK-Schöpfers Herrmann. Wen die fachlichen Argumente interessieren, der sollte sich insbesondere die Diskussion der DPG-Gutachter mit einer Gruppe von Theoretikern durchlesen, welche die physikalischen Argumente des Gutachtens für nicht stichhaltig halten und die DPG zur Rücknahme des Gutachtens aufgefordert hatten.

Ein besonderer Aspekt der Angelegenheit ist, was sie über das Verhältnis von Physik-Fachdidaktik und Fachwissenschaftlern aussagt – und welche Auswirkungen sie auf dieses Verhältnis hat.

Tja. Die Fachwissenschaftler und die Fachdidaktiker. Am einfachsten dürfte es wieder sein, mit plakativen Vorurteilen zu beginnen; dass die Wirklichkeit vielschichtiger ist, versteht sich von selbst, aber wer das Schwarz und das Weiß kennt, dürfte eine bessere Aussicht darauf haben, die Graustufen zu verstehen. Fangen wir mit der heftigsten Ausprägung der Anti-Didaktik-Vorurteile bei einigen Fachwissenschaftlern an:

  • Die Fachdidaktiker verstehen doch gar nichts von Physik! (Insbesondere die, die von der Ausbildung her aus den Erziehungswissenschaften kommen.)
  • Die machen viel Klimbim mit unendlich komplizierten sozialwissenschaftlichen Modellen, hei-tei-tei und trallala, und die richtige Physik gerät dabei zur Nebensache.
  • Zu den Inhalten haben die gar nichts neues zu sagen, da geht es nur um Meta-Schnick-Schnack wie Kompetenzen und so.
  • Diese ganzen Studien der Lehr-Lern-Forschung bringen doch sowieso nichts. Wie ich meinen Studenten Physik vermittle, weiß ich aus meiner Erfahrungen mit Vorlesungen, aus den Übungsgruppen und bei Prüfungen.
  • Diese Lehr-Lernforschung ist reine Sozialwissenschaft und Sozialwissenschaften, das weiß man als Physiker, sind ja sowieso keine richtigen Wissenschaften.
  • Didaktik, das ist doch nur was für Leute, die es nicht geschafft haben, in der Physik erfolgreiche Forscher zu werden.

Bei den Fachdidaktikern wird dagegengehalten:

  • Die Fachphysiker haben doch keine Ahnung, was wir hier machen. Die verstehen nichts von der Didaktik – insbesondere von der Erziehungswissenschaft.
  • Was will dieser Physikprofessor uns denn sagen? Der hat doch noch nie selbst einen peer-reviewten Artikel zur Didaktik veröffentlicht!
  • Was die Physiker da machen ist doch alles nicht wissenschaftlich! Wer wissen will, wie Schüler/innen oder Studierende lernen, muss das empirisch und systematisch erforschen.

Wie gesagt: Das sind die Überspitzungen. Es gibt unter den Fachphysikern sicher Menschen, die tatsächlich so denken – und ungleich mehr Vertreter, die vielleicht sogar mit ihrem lokalen Fachdidaktiker gut zusammenarbeiten, aber moderat skeptisch sind, was einige andere Didaktiker so treiben. Es mag Fachdidaktiker geben, denen es ziemlich egal ist, was die Kollegen aus der Physik so denken – und es gibt andere, die sich massiv angegriffen fühlen.

Hinzu kommt, dass die guten unbefristeten Jobs in der Fachdidaktik, wie in anderen Wissenschaften auch, nicht auf den Bäumen wachsen. An manchen Universitäten ist die Physikdidaktik Teil eines Fachbereichs Erziehungswissenschaften, aber an anderen eben Teil des Physik-Fachbereichs. Dort können Physiker-Vorurteile bei der Besetzung von Stellen oder gar bei Berufungen durchaus negative Auswirkungen haben. Ich weiß von mindestens einem Fall, wo die Fachphysiker einen unliebsamen Kollegen, den sie nicht mehr in der Forschung haben wollten, auf eine Didaktikstelle “abgeschoben” haben. Dass Fachdidaktiker so etwas nicht witzig finden, liegt auf der Hand.

Die DPG hat einen Fachverband Didaktik (neben einer Menge anderer Fachverbände zu Teilgebieten der Physik). Aber über den lief das Gutachten nicht, sondern über eine Gruppe von Fachwissenschaftlern und Didaktik-Praktikern (sprich: Lehrer und in der Lehrerausbildung Tätige). Eine ganze Reihe von Mitgliedern des Fachverbandes Didaktik haben nach Veröffentlichung des Gutachtens zu verstehen gegeben, dass die DPG mit ihren Äusserungen zum KPK ganz und gar nicht ihre Meinung vertritt. Und schon sind wir bei einer breiteren Diskussion – über die Rolle der Didaktik in der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, für einige der Diskutanten auch über die Beziehung zwischen Fachphysikern und Didaktikern allgemein. Dazu hat der Physikdidaktiker Karsten Rincke von der Universität Regensburg ein Thesenpapier (inzwischen ergänzt um die Dokumentation einer Reihe von Kommentaren, zu denen Rincke explizit aufgefordert hatte) vorgelegt, dass innerhalb der DPG einen tiefen Riss zwischen “Muttergesellschaft” und Fachverband Didaktik konstatiert, Resignation bei vielen Didaktikern, eine didaktikfeindliche Strömung innerhalb der DPG, Defizite bei den KPK-Gutachtern und in der wissenschaftlichen Diskussionskultur allgemein.

Über dieses Thesenpapier hat gestern Markus Dahlem die Debatte in die SciLogs getragen – und diese Einladung nehme ich gerne an. Das hier dürfte nicht mein letzter Blogbeitrag zu diesem und ähnlichen Themen bleiben, aber neben der obigen Darstellung das “was bisher geschah” ist mir ein Aspekt, den ich bei Rincke besonders problematisch finde, so wichtig, dass ich näher darauf eingehen möchte.

Rincke schreibt in demjenigen Teil des Thesenpapiers, in dem er sich gegen die aus seiner Sicht unzulässige Einmischung der Fachphysiker verwahrt

Dabei haben wir es mit einer grundlegenden Eigentümlichkeit des Themenumfelds »Schule« zu tun: Jede und jeder von uns hat jahrelang die Schulbank gedrückt. Das versetzt jede und jeden von uns in die Lage, mitreden zu können und zu dürfen. Dass sich Fachphysiker zu Fragen der Schule äußern, ist daher grundsätzlich nicht zu beanstanden. Dass sie dies jedoch mit der aus ihrer fachphysikalischen Expertise erwachsenden Autorität tun, obwohl sie in Fragen naturwissenschaftlicher Bildung auf kaum mehr verweisen können als ihre persönliche Erfahrung, lässt Kolleginnen und Kollegen, für die fachdidaktische Unterrichtsforschung das täglich Brot ist, ratlos zurück.

So eine Haltung ist aus meiner Sicht nicht besser als die oben erwähnten Vorurteile gegen Fachdidaktiker. In einem Thesenpapier mit dem erklärten Ziel, einen konstruktiven Dialog anregen zu wollen, sind solche Aussagen gänzlich fehl am Platz. Die Fachphysiker, die am Gutachten beteiligt waren, werden sich schließlich weniger auf ihre eigene, in den meistne Fällen länger zurückliegende Schulerfahrung verlassen haben, als darauf, dass sie sämtlich Hochschullehrer sind und als solche in Vorlesungen, Übungsgruppen und bei Prüfungen mit den Studenten interagieren. Sprich: Wir reden von Menschen, deren täglich Brot die praktische Vermittlung von Physik ist, die erhebliche Zeit damit verbringen, sich gute Vorlesungskonzepte zu überlegen, inklusive des begrifflichen Aufbaus und der Möglichkeiten, Physik möglichst gut zu elementarisieren, und das für ganz unterschiedliche Zielgruppen: in den Anfängervorlesungen für Studenten, die eben noch Schüler waren; für fortgeschrittene Studenten bis hin zu Doktoranden; in Veranstaltungen für Lehramtsstudenten für diejenigen, die Physik in die Schule tragen sollen.

Natürlich ist nicht jeder Fachphysiker gleichzeitig guter Lehrender – und insbesondere ist die Lehre leider einigen Fachphysikern komplett egal. Aber diejenigen, die sich hier gegen den KPK gewandt haben, gehören, soweit ich sehen kann, zu den engagierteren Vertretern der Zunft, sprich: zu denjenigen, denen die Lehre wichtig ist, die sich jenseits der Pflichtveranstaltungen z.B. bei Vorlesungen für allgemeineres Publikum Gedanken darüber machen, Physik auch Nicht-Physikstudenten verständlich zu machen, die selbst Lehrbücher schreiben, als Vortragende an Lehrerfortbildungen teilnehmen, sich bei der Lehre nicht auf Spezialveranstaltungen nahe am eigenen Forschungsgebiet zurückziehen, sondern sich den Herausforderungen der Anfängervorlesungen stellen, sich aktiv für die Verbesserung des Lehramtsstudiums an der eigenen Uni einsetzen.

Ich hoffe nicht, dass Rinckes herablassende Äußerungen für die Fachdidaktiker irgendwie repräsentativ sind. Aber sie zeigen, dass für eine breite, konstruktive Diskussion über das Verhältnis von Fachwissenschaft und Didaktik offenbar Vertreter beider Seiten erst einmal über ihren Schatten springen müssten.

 

 

 

 

 

Avatar-Foto

Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

65 Kommentare

  1. Der Karlsruher Physikkurs scheint ähnliche Lernerfolge zu zeitigen wie ein konventioneller Pyhiskkurs (Starauscheck 1998). Das von den Didaktikern erwartete tiefere Verständnis wird scheinbar nicht aufgebaut. Das aber – ein tieferes physikalisches Verständnis – sollte meiner Ansicht nach das Ziel der didaktischen Bemühungen in der Physik aber auch bei den anderen naturwissenschaftlichen Fächern sein.

    Der Karsruher Physikkurs will ein tieferes Verständnis durch eine konzeptionelle Straffung, eine Konzentration auf wenige Konzepte erreichen. Strömungsmechanische Begriffe tauchen nun in (fast) allen Gebieten der Physik auf. Dafür werden die Konzepte der Erfinder eines Gebiets oft gar nicht erwähnt (z.B. Newtons 3 Gesetze der Bewegung).

    Dass der Lernerfolg nicht so gross ist wie erwartet überrascht mich nicht. Ein tieferes Verständnis egal welcher Domäne gibt es meiner Ansicht nach nur bei eigener Beschäftigung mit einem Thema wobei der Student noch einmal alles durchdenken muss. Es dürfte sehr schwierig sein so etwas im Phyiskunterricht der unteren Stufen zu erreichen, egal welche Konzepte eingeführt werden. Einfach weil eigenes Denken bei einer Einführung in der Regel fast nicht möglich ist. Ganz unmöglich ist es aber nicht. Eventuell könnte man über anregendere Aufgabenstellungen näher an dieses Ziel herankommen.

    Der Sonderweg, den der Karlsruher Physikkurs einschlägt, lohnt sich wahrscheinlich nicht.

    • Man sieht, die DPG hat gute Arbeit geleistet.

      Schon das Framing in “Sonderweg” ist völlig falsch. Etwa so, wie wenn man Einstein’s Relativitätstheorie als Sonderweg bezeichnet, von dem man nach so einem Framing erst sinnvoll fragen kann, ob er sich “lohnt”. Ob er kürzer ist. Blieben wir besser auf dem Newton-Weg?

      • Den “Sonderweg” des KPK sehe ich in der Konzentration auf ganz wenige Konzepte, die angeblich die Physik, die man auf der anvisierten Stufe kennen sollte, kennzeichnen, oder wie in Zum Gutachten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft über den Karlsruher Physikkurs zu lesen ist:

        Der KPK geht von der Feststellung aus, dass die Relation zwischen Strom, Stromdichte und durchströmter Fläche für die extensiven Größen Ladung, Energie, Entropie, Stoòmenge, Impuls und Drehimpuls jeweils dieselbe ist. ..
        Die Frage ist berechtigt, weshalb man als Lehrkraft ein Konzept wählen sollte, in dessen Zentrum die Vorstellung von der Strömung abstrakter physikalischer Größen steht.

        Ist dieses abstrakte Strömungs-Konzept wirklich das was ein Nicht-Physiker schliesslich ins Leben mitnehmen sollte, was sein Bild von Physik prägen sollte? Soll also bereits derjenige, der eine Einführung in Physik erhält in Richtung “grosse Vereinheitlichung” gestossen werden?

        Ist es nicht vilemehr so, dass die der Physik eigene Verbindung von Experiment, Messung und Theorie das Bild der Physik prägen sollte und dass quantitative Aussagen, die sich in Gleichungen ausdrücken eine zentrale Rolle spielen. Vereinheitlichende Konzepte sind erst auf einer höheren Stufe angesiedelt und sollten deshalb auch nicht am Anfang des Physikunterrichts stehen sondern erst später angesprochen werden.
        Newtons Gesetze können in dieser Sicht durchaus weiterhin gelehrt werden und müssen den Schülern nicht vorenthalten werden, weil sie (Zitat aus obiger Quelle) “in mindestens dreifacher Hinsichtsicht dem heutigen Stand der Physik widersprechen”, wobei dann die Fernwirkungen, der implizite Begriff des absoluten Raums und der absoluten Zeit und ihr Versagen bei punktförmigen Objekten (unendlich grosse Werte) angeführt werden.
        Im konventionellen Physikunterricht erfahren die Schüler bei der Einführung in die Relativitätstheorie, dass Newtons Vorstellung von absolutem Raum und absoluter Zeit falsch sind und durch den Feldbegriff erfahren sie, dass Fernwirkungen wie von Newton angenommen, nicht nötig sind. Der konventionelle Physikunterricht macht also auch die Geschichte der Physik erfahrbar und offenbart, dass man mit konzeptionell nicht perfekten oder gar falschen Annahmen wie sie von Newton getroffen wurden, trotzdem sehr weit kommen kann. Eine gar nicht so unwichtige Erfahrung meiner Ansicht nach ist die Erfahrung, dass etwas was von früheren Generationen als vollkommen betrachtet wurde (Newton’sche Mechanik) später in je nach Sicht allgemeineren oder völlig neuen Theorien aufgehen kann.
        Der Karlsruher Physikkurs will dagegen die einführende Physik auf für die moderne Physik tragfähigen Konzepten aufbauen wobei aber scheinbar wichtige Hilfsmittel wie gerichtete Grössen (Vektoren) im Karslruher Physikunterricht zu kurz kommen (reduziert auf vorzeichenbehaftete Grössen (eindimensionaler Fall)) oder gar völlig unterschlagen werden.

        • Martin Holzherr schrieb (17. Oktober 2014 10:52):
          > […] dass die der Physik eigene Verbindung von Experiment, Messung und Theorie das Bild

          der Physik prägen sollte

          Nein!,
          sondern die der Physik eigene Verbindung von

          – Experiment (also der gezielten Suche nach relevanten Beobachtungsdaten),

          – Messung (also der Gewinnung von bestimmten Messwerten durch Anwendung bestimmter Messoperatoren auf bestimmte gegebene relevante Beobachtungsdaten),

          – Theorie (also der Definition von Messgrößen bzw. entsprechenden Messoperatoren),

          und

          – Modell (also der Zusammenfassung von schon gewonnenen Messwerten und von Erwartungswerten hinsichtlich weiterer Experimente).

      • Markus A. Dahlem schrieb (17. Oktober 2014 8:10):
        > Etwa so, wie wenn man Einsteins Relativitätstheorie als Sonderweg bezeichnet […] Blieben wir besser auf dem Newton-Weg?

        Eine interessante Analogie …

        Um sie zurückzuweisen, würden sich manche (Viele? Die Meisten?) wohl auf sogenannte “experimentelle Tests” berufen wollen; und gleichermaßen argumentieren,

        – dass einerseits Ergebniswerte experimenteller Tests an sich unstrittig sind und so weit wie möglich als “Weg-weisend” gelten,

        – dass der “durch (bestimmte) experimentelle Tests gewiesene Weg” jedenfalls nicht mit dem Newton-Weg übereinstimmt, sondern (nach derzeitigem Kenntnisstand) stattdessen exakt mit “dem Weg Einsteins”, und

        – dass sich aber andererseits die im obigen Beitrag beschriebene Debatte mit Fragen beschäftigt, die sich gerade nicht anhand von Ergebniswerten experimenteller Tests entscheiden lassen.

        Ich dagegen finde die genannte Analogie gut:
        die Entscheidung zwischen Einsteins Relativitätstheorie und dem Newton-Weg kann und muss von vornherein (ohne Berufung auf irgendwelche Resultate von “experimentelle Tests”) getroffen werden.
        (D.h. genau so wie in den Fragen, mit denen sich die im obigen Beitrag beschriebene Debatte beschäftigt.)

        Denn:
        bevor man Ergebniswerte von Experimenten erhält (auf die man sich eventuell berufen könnte) muss man sich darauf festlegen (und nicht zuletzt: allen anderen unmissverständlich mitteilen) können, wie Ergebniswerte aus gegeben experimentellen Beobachtungsdaten ermittelt werden sollen (und natürlich auch darauf, was überhaupt als unmissverständliches Beobachtungsdatum gilt).

        Man muss zuerst lernen (bzw. sich beibringen) und sich festlegen wie man experimentiert bevor dem Weg folgen kann, den eventuell erhaltene Ergebniswerte weisen.

        Und jemandem, der diese Reihenfolge zumindest soweit anerkennt, kann ich besser folgen, als denjenigen (Vielen? Den Meisten?), die offenbar anders herum argumentieren würden.

  2. Es ist die Frage, ob und wie überhaupt noch ein konstruktiver Dialog angeregt werden kann. Müssen nicht dazu auch die eigenen Reihen geschlossen stehen?

    Ich habe dieses Thesenpapier deswegen eher so gelesen, dass offen die eigenen Reihen mit Argumenten versorgt werden sollen, so dass dort sich erstmal eine klare Position formen kann.

    Auch dann zählt das Argument “jeder hat Schulerfahrung und denkt mitreden zu können” zu den schwächsten. Es wäre besser nicht angeführt worden. (Vielleicht war ein wenig Wunden lecken im Spiel.)

    Ich habe dieses Thesenpapier eher nicht so gelesen, dass man brav die Fachphysiker zum Dialog abholt. (Es wäre auch fraglich, ob die sich dann wegbewegt hätten.)

    Eigentlich will ich hin zu einer ausgedehnten Fragestellung:

    Werden vielleicht auch mal MOOCs in dieser Art und Weise von einer Fachgesellschaft abqualifiziert? Oder Blogs? Wie siehst es aus mit Deinem “Einstein online” und Joachim’s Quantenwelt?

    Rincke schreibt: “Eine Fachgesellschaft, die in dieser Weise verfährt, kann von einzelnen Innovationsträgern als latente Bedrohung anstatt als unterstützender Verband wahrgenommen werden. Die Bedeutung der DPG als Umfeld für Innovationen in der Didaktik steht in Frage.”

    Genau an dieser Stelle knüpft die Debatte an uns Wissenschaftblogger an. Zum einen könnte man fragen, wovon sich die Fachphysiker bedroht fühlen. Das andere ist, wer sich nun von ihnen bedroht fühlt.

    Man darf sicher feststellen, dass die am KPK beteiligten Menschen nun wie dumme Schulkinder aussehen. Das sind natürlich gestandene theoretische Physiker. Könnten nicht zumindest Teile aus ihrem Werk sehr wertvoll sein? Wo ist sie nun hin, die Innovation, nach so einem Verfahren?

    • Den im Netz befindlichen Materialien nach war wichtiger Auslöser, in dieser Form aktiv zu werden, die Wahrnehmung, dass da etwas durchgedrückt werden soll – Lehrer unter Druck gesetzt, den KPK zu benutzen; Vergleichstestfragen so verändert, dass der KPK auf diesem Wege in die Verbindlichkeit rutscht; KPK-Einflüsse auf die Bildungspläne. Jetzt kann man natürlich fragen, inwieweit diese Wahrnehmung berechtigt ist, aber mein Eindruck ist: ohne diese Wahrnehmung hätte es die DPG-Aktion in dieser Form nicht gegeben.

      Zweiter Aspekt ist, wie erwähnt: Eine allgemeine Umstellung auf KPK hat Konsequenzen für die Physik-Anfängervorlesungen.

      Das ist, soweit ich sehen kann, was die Fachphysiker, die da aktiv geworden sind, beunruhigt hat.

      Was heißt das für die anderen Bereiche, die du ansprichst? Wenn es eine Lobby-Bewegung gäbe, die MOOCs flächendeckend und verpflichtend an den Unis einführen und herkömmliche Vorlesungen etc. per Ministeriumsbeschluss stark einschränken will, könnte sich in der Tat ähnlicher Widerstand auf Fachgesellschafts-Ebene regen. Bei Blogs, Einstein Online oder Quantenwelt kann ich mir derzeit auch mit einiger Anstrengung kein Szenario vorstellen, das eine ähnliche Reaktion hervorrufen könnte. Deswegen fühle ich mich da wirklich nicht bedroht.

      Zum Thesenpapier: Doch, das sollte der Aufruf zur Diskussion nicht nur der Didaktiker unter sich, sondern gerade auch mit dem weiteren Kreis innerhalb der DPG (Vorstand, kritische Gutachter, Mitglieder anderer Fachverbände) sein. Aber ich stimme dir zu, so liest sich das Papier im Haupttext in der Tat nicht.

      Dem Autor scheint das aber gar nicht bewusst zu sein; der schreibt zu dem Umstand, dass sich, oh Wunder, auf dieses Papier hin niemand von der “Gegenseite” zum Dialog gemeldet hat “Ich überlasse es der Leserin und dem Leser dieses Textes, dies beredte Schweigen zu bewerten. Allein Desinteresse kann es nicht sein, das diesen Personenkreis von einer Reaktion abhält.” Dass da auch die Art und Weise, wie das Papier geschrieben ist und wie der Diskussionsaufruf verfasst war (und eben solche Dinge wie die Abqualifizierung der Hochschullehrertätigkeit) hineinspielen, scheint dem Autor gar nicht bewusst.

      • Ob es Rincke nicht bewusst ist oder Teil seiner gewählten Strategie werden wir nicht klären können. Beides fände ich legitim. Der Ton ist zumindest gemäßigt und der Respekt doch erkennbar.

        Letztlich geht es mir auch nur um die Thermodynamik und die dort guten Ansätze mi KPK. Insofern will ich jetzt nicht zu sehr weiter über die Form des Streites jetzt diskutieren.

        Ich hoffe, das Thema Neustruktuerierung (der Thermodynamik) ist jetzt nicht erstmal für einige Zeit durch. Natürlich wird es dann ggf. international nach Deutschland getragen.

        • Naja, die erwähnten Hürden bewusst aufzubauen und dann scheinheilig zu sagen “Schaut mal, die gehen auf das Diskussionsangebot nicht ein – das spricht für sich!” fände ich schon ziemlich heftig. Insofern möchte ich der Datenlage nach nicht davon ausgehen, dass das Teil einer bewusst gewählten Strategie ist.

          Ich habe jetzt mal angefangen, mir die KPK-Thermodynamik durchzulesen; dazu dann später mehr, aber mein erster Eindruck ist: Wenn der KPK offener damit umgehen würde, dass er einen derzeit noch ungewöhnlichen Ansatz verfolgt, wäre vermutlich auch die Kritik daran nicht so heftig. Aber schon “die Einheit der Entropie nennt man Carnot” in der gleichen Weise zu schreiben wie “die Einheit der Energie nennt man Joule” – da wird den Schülern etwas untergeschoben, was später zu Verwirrung führen kann. Das ist doch einfach daneben.

          • Ich halte das “Carnot” nicht für (völlig) daneben. Schreibe dazu aber noch ausführlicher.

            Falls Hürden bewusst aufgebaut worden sind, dann doch (hoffentlich) nur, um auch die eigene Seite und Position nicht zu verwässern. Es wäre also eine abwägender Prozess. Aber das ist jetzt auch egal.

          • Um Missverständnisse zu vermeiden: Es geht mir nicht um das Carnot, sondern darum, dass so getan wird, als sei das die Einheit, die “man” benutzt – während es in Wirklichkeit eben derzeit nur eine Minderheit tut. Das hat auch mit der Anschlussfähigkeit zu tun – durch die Präsentation “so isses” fällt jemand, der dann im Internet nachliest, sich aus anderen Büchern zusätzlich informieren will etc. im ungünstigsten Falle aus allen Wolken. Ein ehrliches “wir nennen es so (aber keine SI-Einheit)” [verkürzt], und das Problem würde in dieser Form gar nicht erst auftreten.

          • ‘Ein ehrliches “wir nennen es so (aber keine SI-Einheit)” [verkürzt], und das Problem würde in dieser Form gar nicht erst auftreten.’

            Ich halte das alles nicht für physikalisch begründet, sondern für psychologisch:

            1. Augenscheinlich haben die Schüler gar kein Problem [1] und sie werden auch nicht mit diesem vermeintlich falschen Wissen in die Lebenswirklichkeit entlassen. [2] Energie und thermodynamische Temperatur sind zu dem Zeitpunkt, an dem die Entropie eingeführt wird, noch gar nicht bekannt. Der KPK führt die Entropie als Grundgröße ein, folgerichtig braucht man dafür auch eine Einheit.

            2. Die Einführung des Carnots als Einheit der Entropie (statt J/K) ist nicht unehrlich, weil der Einheitenbegriff gar nicht synonym zu “SI-Einheit” eingeführt wurde. Ich muss allerdings einräumen, dass sie auch mich überrascht hat, weil es kontraintuitiv ist, wenn man erwartet, dass in der Schule das Primat der SI-Einheit (Newton statt Kilopond) herrscht.

            3. Möglicherweise stößt die Einheitenbenennung “Carnot” auch deshalb auf, weil sich hier ein nicht-legitimierter Personenkreis anmaßt, einen Physiker auf einen Sockel zu heben, schließlich ist es ein Ehrenerweis, wenn eine Einheit nach einem benannt wird. “Huygens” für den Impuls und “Carnot” für die Entropie – und das alles ohne Beteiligung der Fachgesellschaften?

            [1] http://www.youtube.com/watch?v=oD3gwtEx1qg&t=3m55s
            [2] Absatz (2) in http://www.physikdidaktik.uni-karlsruhe.de/kpk/Fragen_Kritik/Reaktionen/Friedrich-Schiller-Gymnasium.pdf

          • Dass “die Schüler” gar kein Problem haben, halte ich für eine gewagte Behauptung. Und warum soll es dann an der Lehrkraft hängen bleiben, zu sagen: Es gibt noch ein anderes System, und es gibt einen Unterschied zwischen den hier eingeführten Einheiten und dem allgemein üblichen? Den Anspruch sollte ein Buch schon erfüllen – auch für sich allein stehen zu können. Zumal das ja, wie gesagt, vergleichsweise kleine Änderungen im Text wären.

            Und was heißt “synonym zu SI-Einheiten”? Gerade bei Schülern wird bei der Lehrbuchrezeption nicht sonderlich hinterfragt – im Zweifelsfall, so zumindest meine Erfahrung, gilt: das, was da drin steht, stimmt. Damit bekommen die Aussagen “die Einheit für Energie nennt man Joule” und “die Einheit für Entropie nennt man Carnot” die gleiche Wertigkeit. Die haben sie aber im größeren Zusammenhang nicht. Und das zu verschweigen, und die Unreflektiertheit stillschweigend auszunutzen, finde ich in der Tat grenzwertig unehrlich.

          • Dass “die Schüler” gar kein Problem haben, halte ich für eine gewagte Behauptung.

            Ich sehe im Video keins. Welche(s) sehen Sie dort?

            Es gibt noch ein anderes System, und es gibt einen Unterschied zwischen den hier eingeführten Einheiten und dem allgemein üblichen?

            Ein anderes System? Ist das Zoll [1] eine “allgemein übliche” Größe, das Pfund [2], die Pferdestärke oder die Kilokalorie? Oder ist das Joule-pro-Kelvin allgemein üblich [3]. Oder das Elektronenvolt [4] als Masseneinheit wahlweise auch erst nach Teilung durch das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit [5]? Das sind allesamt übliche Einheiten in ihren Bereichen, sie stammen aber nicht aus einem anderen (internationalen) System.

            Richtig ist aber, dass außerhalb des KPK die Einheiten Carnot (als Synonyme für J/K) und Huygens (für kg·m/s) weitgehend nicht üblich zu sein scheinen. [6] Die Schüler werden damit aber nicht in die Lebenswirklichkeit entlassen (vgl. Fn. 2 meines letzten Kommentars).

            Und was heißt “synonym zu SI-Einheiten”?

            “Einheit” ist der Name des Begriffs Einheit, “SI-Einheit” ist der Name des Begriffs SI-Einheit und “Übliche Einheit” ist der Name des Begriffs Übliche Einheit. Das sind drei verschiedene Namen für drei verschiedene Begriffe.

            Im Video fällt schlicht und einfach nicht die Aussage, dass das Carnot oder das Huygens eine SI- oder eine Übliche Einheit wären. Sie werden als neue Einheiten eingeführt.

            Es ist eine Konditionierung – aber eben nicht mehr –, wenn man im Kontext von schulischem Physikunterricht unter “Einheit” “SI-Einheit” oder “übliche Einheit” versteht. Jeder, der von der Schule kommend Physikvorlesungen besucht, wird irgendwann mit merkwürdigen Einheiten konfrontiert (eV, dyn, Angström etc.). Zur Sicherheit rechnet man das eine oder andere nach und um, findet sich dann aber schnell in diesen neuen Einheiten zurecht und stellt so den Anschluss her.

            Wie die Anschlussfähigkeit dadurch verbaut wird, dass zwei zusätzliche Einheitennamen eingeführt werden, erschließt sich mir nicht. Niemand käme auf die Idee, einen Lehrplan für Ökotrophologie hinsichtlich der “Anschlussfähigkeit” zu beanstanden, wenn dort Volumina in Litern oder Teelöffeln (statt in Kubikmetern) abgemessen werden.

            Damit bekommen die Aussagen “die Einheit für Energie nennt man Joule” und “die Einheit für Entropie nennt man Carnot” die gleiche Wertigkeit.

            Diese “Wertigkeit” ist aber kein physikalischer Topos. Hier wird den Autoren des KPK das Recht abgesprochen, den Grundeinheiten ihrer Lehre Namen zu geben.

            Die haben sie aber im größeren Zusammenhang nicht. Und das zu verschweigen, und die Unreflektiertheit stillschweigend auszunutzen, finde ich in der Tat grenzwertig unehrlich.

            Das wird doch gar nicht verschwiegen (vgl. Fn. 2 meines letzten Kommentars). Es ist doch vielmehr in der Schule stets so, dass am Anfang eines neuen Themenkomplexes nicht sofort die ganze Wahrheit aufs Tapet kommt, sondern ein Einstieg gewählt wird, der notwendig unvollständig ist.

            [1] “17-Zoll-Monitor”
            [2] “1 Pfund Butter”
            [3] “Gestern habe ich im Stau wieder 12.000 kJ/K erzeugt.”
            [4] http://de.wikipedia.org/wiki/Elektronenvolt#Verwendung_als_Masseneinheit
            [5] http://de.wikipedia.org/wiki/Neutron
            [6] http://www.gutefrage.net/frage/gibt-es-die-einheiten-carnot-und-huygens

          • Wieso beziehen Sie alles nur auf das Video? Ich meine meine Aussagen durchaus allgemeiner. Und Aussagen wie “es wird verschwiegen” beziehen sich direkt auf das KPK-Thermodynamikbuch Sek. 2.

            Und wenn eine Unterscheidung, die deutlich gemacht werden sollte (was von dem, was da im Buch behauptet ist, ist allgemein akzeptiert und passt zu dem, was Schüler bei weiterer Beschäftigung mit dem Thema in der heutigen Standardliteratur finden, und was nicht), nicht gemacht wird, dann ist vorprogrammiert, dass zumindest einige Schüler damit Probleme bekommen.

            Zu dem speziellen Fall, den Sie als [2] angeben: Im Falle der Einheiten “Flitz” oder “Bär” werden die Lehrer ganz gewiss explizit darauf eingehen, dass das keine allgemeingültigen Einheiten sind, und einen sanften Übergang ermöglichen. Warum geschieht das im KPK-Buch nicht auch so explizit? Das ist aus meiner Sicht so, als würde jemand ein Buch mit “Flitz” oder “Bär” schreiben, ohne im Text darauf hinzuweisen, dass diese Einheiten eben nicht allgemein verbreitet sind.

            Zu “Einheit” “SI-Einheit” oder “übliche Einheit”: Wie gesagt, ich beziehe mich nicht auf das Video. Und im KPK-Buch wird da, soweit ich sehen kann, eben nicht differenziert, sondern alles so eingeführt, als stünden Joule und Huygens auf demselben Level.

            Dass es noch weitere Einheitensysteme gibt, ist mir bewusst – aber da sorgt entweder der Kontext (Computermonitore) für Klarheit, oder es wird explizit auf die Besonderheit hingewiesen. Selbst in Teilchenphysikbüchern, die sich ja nun weiß Gott nicht an Physik-Anfänger richten, steht typischerweise nicht “die Energieeinheit heißt eV” sondern so etwas wie “in der Teilchenphysik verwendet man als Energieeinheit typischerweise das eV”. Ein modernes Mechanikbuch, das behaupten würde, die Längeneinheit sei in Physik “Zoll”, würde genauso kritisiert wie der KPK (und aus dem gleichen Grunde).

            Noch einmal: Ich spreche den KPK-Autoren nicht das Recht ab, aus didaktischen Gründen neue Einheiten zu definieren. Aber warum schenken die den Schülern nicht reinen Wein ein? Dass der KPK einen anderen Ansatz hat als üblich gehört mindestens ins Vorwort; dass “Huygens” ungewöhnlich ist gehört als Nebenbemerkung dorthin, wo er eingeführt wird. Eine Aussage wie “im in der Physik allgemein verbreiteten Einheitensystem wird der Impuls in kg m/s gemessen; in diesem Buch nennen wir diese Einheit Huygens” sollte doch nun wirklich kein Problem sein – oder?

  3. Die Fachphysiker fuehlen sich sicher von niemandem bedroht. Es geht schlicht um das Lehramtsstudium Physik und die Gewichtung der fachlichen Anteile gegenueber den eher sozial- und erziehungswissenschaftlichen Anteilen. Und natuerlich geht es auch darum, was an den Schulen unterrichtet wird, ob die Schulbildung Schueler zur Aufnahme eines technisch-naturwissenschaftlichen Studiums befaehigen oder eher Softskills vermitteln soll.

    • Wikipedia zu zitieren ist ja immer etwas fragwürdig, dies vorausgeschickt: “Universität Karlsruhe ausgearbeiteter Vorschlag zur Neustrukturierung des Physikunterrichts in Schule und Hochschule.” (Hervorhebung meine.)

      Ich weiß natürlich nicht, worum es anderen geht. Aber ich sehe z.B. die Herangehensweise in der Thermodynamik im PKP als überlegen an, sowohl für Schule als auch Hochschule. Wobei der PKP nur die Schulversion dieser Neustrukturierung anbietet und teils vorwegnimmt. Viele Kollegen gehen einen ähnlichen Weg für die Hochschule in der Thermodynamik.

      Zum Beispiel: “Das Entropieprinzip” von André Thess (Stuttgart) beginnt auch mit der Entropie.

      Diese Bewegung geht u.a. auf meinen Thermodynamiklehrer Hans-Jürgen Borchers zurück. Immerhin ein Träger der Max-Planck-Medaille als Auszeichnung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.

      Er schreibt:
      “Every time one has to lecture a course on classical theoretical physics one faces the problem of introducing pairs of new variables simultaneously.” (Hervorhebung meine.)

      (Aus: Borchers, H. J. (1985). Some remarks on the second law of thermodynamics. Reports on mathematical physics, 22(1), 29-48.)

      Bei Borchers wurde Jakob Yngvason promoviert, der zusammen mit Elliott H. Lieb “The Mathematical Structure of the Second Law of Thermodynamics“, die Grundlagen für das Entropieprinzip, wie es André Thess nennt, geschaffen hat.

      Der Teil des KPK, der die Thermodynamik betrifft, steht so auch in dieser Tradition (soweit ich es beurteilen kann). Er geht mit der Forderung den Begriff Entropie enger an das Wort “Wärme” zu koppeln weiter als andere. Mach das aber mit Bedacht. Und der KPK sieht die Notwendigkeit für Entropie den Schülerinnen und Schülern eine eigne (und keine zusammengesetzte) Einheit zu nennen. Nach meiner Kenntnis wurde beides so nicht von anderen vorgeschlagen. Diese Beiden Ideen finde ich folgerichtig.

      Auf den vier Seiten des Gutachten finde ich keine einzige Würdigung dieser Tatsachen. Man legt da, dass es keineswegs ein Ausrutscher sei, kommt aber gleichzeitig nicht auf die Idee, dass es dann wohl vielleicht doch gut fundiert ist. Man muss es nicht Angst nennen. Doch es geht bestimmt nicht nur schlicht um das Lehramtsstudium Physik.

      • @Markus A. Dalem:
        Leider kam ich erst jetzt zum genauen lesen Ihrer Beiträge auf diesem Blog .

        Unter den Literaturangaben von Lieb und Yngvarson findet man auch das Buch von
        H.A. Buchdahl: The Concepts of Classical Thermodynamics.

        Buchdahl hat ja auch bedeutende Beiträge zur Einführung der Entropie über die adiabatische Erreichbarkeit verfasst, zumindest behauptet dies U. Backhaus.

        Die KPK-Wärme-Entropie lehnt Buchdahl allerdings völlig ab:

        “…I take it for granted that ‘to understand … in terms of’ is not intended to be a reference to statistical mechanics. What then is one to understand by a ‘picture of entropy’? I can think of no good answer to this question. Perhaps it means that ‘one has a good picture’ if upon encountering entropy after having undergone a course of instruction one feels at ease with it. One is, however, unlikely to feel at ease if this course treated the subject of classical thermodynamics essentially as it was formulated long ago during the first industrial revolution; ….. ”
        Er verweist dann auf eine Reihe von Defiziten und stellt den Anspruch, der KPK sei in “voller Übereinstimmung mit den modernsten Prinzipien der heutigen Physik” dadurch in Frage, dass er z.B. auf das Fehlen von Eich-Invarianz, dem Prinzip der (kleinsten) Wirkung und der Erwähnung der Symmetrie mit ihren Konsequenzen verweist. (Bemerkung: die DPG kritisiert das Verhalten des KPK-Impulsstroms unter Drehungen!).

        H.A. Buchdahl: Remarks on a proposed up-to-date approach to physics, Am.J.Phys. Vol 88, Nr. 9, September 1988.

        In einer Fußnote schlägt Buchdahl dann als Alternative zu der kritisierten Entropie-Einführung vor, die Entropie ( phänomenologisch) mit Hilfe der adiabatischen Erreichbarkeit zu vermitteln.

  4. Ich kann das Unbehagen, das einige “Fachphysiker” beim KPK befällt sehr gut nachvollziehen. So lautet im KPK Sekundarstufe 1 Band 1 der erste markierte (Lehr?-)Satz

    “Um etwas zu bewegen, braucht man Energie.”

    was *so* ja zumindest grob unvollständig ist, wenn es nicht gar einen komplett falschen Eindruck erzeugt. Vollständig müsste dies ja eher heißen “um die Bewegung eines Gegenstands zu ändern oder diesen gegen Widerstand (Reibung) weiter in Bewegung zu halten muss man Energie zuführen”

    Auch die Erklärung kurz vorher im Text
    “Energie hat etwas mit Anstrengung zu tun. Wenn wir einen Wagen ziehen, strengen wir uns an. Wir brauchen zum Ziehen des Wagens Energie. Während des Ziehens schicken wir diese Energie in den Wagen.”
    ohne auf Reibung etc einzugehen führt wohl eher nicht zu weniger aufgestellten Haaren bei “klassischen” Physikern.

    Wenn der Rest des Buches ebenso ist… (und das scheint mir beim schnellen Überfliegen so zu sein)

    • Engywuck schrieb (8. November 2014 22:34):
      > […] Vollständig müsste dies ja eher heißen “um die Bewegung eines Gegenstands zu ändern oder diesen gegen Widerstand (Reibung) weiter in Bewegung zu halten muss man Energie zuführen”

      Ob man wohl “Energie zuführen” (und/oder “im Sinne des KPK: sich anstrengen“) müsste, um eine Maß Bier (z.B. am ausgestreckten Arm) davon abzuhalten, ihre “Bewegung zu ändern“?

      (Mir drohen jedenfalls die (metaphorischen) Socken davonzurutschen, wenn es scheint, dass Betrachtungen zur Dynamik angestellt werden, bevor die Betrachtung der Geometrie/Kinematik abgeschlossen ist.)

  5. Den Karlsruher Physikkurs (oder erste Ideen davon) kenne ich nun schon seit mehr als dreissig Jahren. Zuerst dachte ich mir auch, dass diese Leute einen Flick weg haben. In der Zwischenzeit haben Kollege Hans Fuchs und ich in Winterthur darauf aufbauend die Systemphysik entwickelt. (zu Kollege Hans Fuchs siehe auch ” The Dynamics of Heat” Springer 2010). Ich bin somit Partei, unterrichte aber an einer Fachhochschule. In den letzten Jahren ist bei uns (ZHAW) der Anteil der Studienanfänger mit gymnasialer Matura (Abitur) deutlich gestiegen. Gezielte Befragungen haben ergeben, dass die meisten Studienanfänger von den Grundprinzipien der Mechanik soviel wie gar nichts verstehen. Im Folgenden gehe ich nur auf das Gutachten und nicht auf die Problematik des KPK im Unterricht ein.
    1. Wer ein Gutachten in Auftrag gibt, sollte darauf achten, dass die Gutachter unabhängig und unvoreingenommen sind. Die Gutachtergruppe der DPG besteht aber zur Hauptsache aus erbitterten Gegnern des KPK und aus Vorstandsmitgliedern.
    2. Wenn ein derart dominanter Fachverband wie die DPG ein Gutachten gegen neue Ideen verfasst, sollte er minimalste Verfahrensregeln einhalten. Man hätte zum Beispiel Gegner und Befürworter des KPK zu einer wissenschaftlichen Debatte einladen können. Stattdessen wurde klammheimlich ein vernichtendes Gutachten verfasst, bei dem man nachträglich noch das Datum nach hinten verschieben musste, weil die Gegenpartei erst nach dem Verdikt des Vorstandes informiert worden ist (das erinnert doch an die dunkle Zeit der alleinseligmachenden Kirche).
    3. Das Gutachten hat keine erkennbare Struktur. Man hätte zum Beispiel bei jedem Punkt beifügen müssen, ob die Kritik fachlich, didkatisch oder bildungspolitisch gemeint ist.
    4. Greifen wir den ersten Kritikpunkt, bei dem die Existenz von Impulsströme verneint wird (etwa die Hälfte des Gutachtens). Die Begriffe konvektive und konduktive Impulsströme findet man heute praktisch in jedem Lehrbuch zur Kontinuumsmechanik. So enthält zum Beispiel die Navier-Stokes-Gleichung die Aussage, dass die Divergenz der beiden Impulsstromdichten plus die Änderungsrate der Impulsdichte gleich der gravitativen Impulsquelle ist. Weil die Gutachter statt dieser allgemeinen, lokalen Impulsbilanz die materielle Impulsbilanz ohne Gravitation (Euler-Gleichung) genommen haben, kommen sie zu falschen Schlüssen. Aber ausgehend von der Euler-Gleichung kann man nicht einmal den Klotz auf der schiefen Ebene erklären.
    5. Anschlussfähigkeit bedeutet nicht, dass der gymnasiale Physikunterricht auf das Physikstudium vorbereiten soll (das betrifft wenige als ein Prozent der Schüler). Schaut man zum Beispiel, was in den Ingenieurwissenschaften unterrichtet wird, findet man implizit vieles aus dem KPK. Das erstaunlichste dürfte der Blick auf die Multi-Domain-Sprachen (Modelica, VHDL-AMS, ..) zeigen. Alle diese Sprachen benutzen das Energieträgerkonzept des KPK (die Wurzeln dieser Ideen sind aber älter und zum Beispiel in der Akustik zu suchen).
    6. Wer sich etwas Zeit nehmen will (25′), soll sich mal mein Video zum Car Crash ansehen. Da steckt mehr Physik drin als in vielen Physikkursen: https://www.youtube.com/watch?v=lVu6Evur4gE

    • Mich überzeugt diese Analyse nicht. Gemeinerweise bleiben, zugegeben, bei der Lektüre immer die zweifelhaftesten Stellen im Gedächtnis, aber eine Analyse, in der die Beteiligung von DPG-Vorstandsmitgliedern zur “Vetternwirtschaft” wird, den Andersdenkenden wie selbstverständlich “Angst” vor dem von einem selbst bevorzugten Wissen unterstellt wird und DPG-Präsidentin Johanna Stachel als mögliche Motivation untergeschoben wird, dort könnten “handfeste wirtschaftliche Interessen” eine Rolle spielen (= KVK-Leser verstehen besser, dass ein Teilchenbeschleuniger nicht “die wahren Probleme der Menschheit zu lösen vermag”), kann ich nicht als ernstzunehmenden Beitrag zu dieser Diskussion wahrnehmen.

      Ich will nicht behaupten, die KVK-Gegner hätten die Rationalität gepachtet; ich bin persönlich-fachlich selbst gerade dabei, Geschmack an Kontinuumsmodellen zu finden, und ich bin in der Thermodynamik durchaus aufgeschlossen gegenüber Versuchen, die Grunddefinitionen nachvollziehbarer zu wählen als in der üblichen Weise. Aber eine so geschriebene Analyse leistet der KVK-Seite wirklich keinen guten Dienst.

    • @ Werner Maurer:



      Mit Ihren Ausführungen setzen Sie die schweizerische Tradition von Gottesbeweisen
      der Form (a + b^n)/n = x fort. Leider findet man wenig zum eigentlichen Thema.



      Was soll das Argument mit der Lorentz-Invarianz der Masse, das noch dazu bei weitem nicht so klar ist, wie Sie es darstellen?

      Dazu A. Einstein: „Es ist nicht gut von der Masse M = m / (1 – (v/c)^2)^0,5 eines bewegten Körpers zu sprechen, da für M keine klare Definition gegeben werden kann. Man beschränke sich besser auf die „Ruhe-Masse“ m.“

      (Brief an Lincoln Barnett, 19.6.1948)



      Was wollen Sie mit den Vierer-Vektoren eigentlich zeigen? Der KPK-Impulsstrom, der eben nicht wie richtige Impulsströme durch Integration eines Spannungs-Tensors über eine Fläche, sondern, wie wir seit Regensburg wissen, durch Multiplikation des Spannungs-Tensors mit einem Einheitsvektor in Richtung einer Koordinaten-Achse entsteht, dreht sich deshalb auch weiterhin bei einer Drehung des Koordinatensystems mit diesem mit und besitzt deshalb die Eigenschaft „Kovarianz“ nicht. Deshalb lässt sich mit diesem Konstrukt auch keine Mechanik begründen, die die Newton’sche Mechanik ersetzen könnte.
      
Auch dazu A. Einstein: „Die Überwindung des absoluten Raums bzw. des Inertialsystems wurde erst dadurch möglich, daß der Begriff des körperlichen Objektes als Fundamentalbegriff der Physik allmählich durch den des Feldes ersetzt wurde…..Sind die Gesetze dieses Feldes allgemein kovariant, d.h. an keine besondere Wahl des Koordinatensystems gebunden, so hat man die Einführung eines selbständigen Raumes nicht mehr nötig.“

      (Vorwort zu Max Jammer: Concepts of Space)



      Die Unterscheidung zwischen „Impulsstrom“ und „Impulsstromstärke“ ist absolut künstlich und weder üblich noch gerechtfertigt. Interessanterweise hat der KPK diese künstliche Unterscheidung zwischen Strom und Stromstärke ursprünglich auch nicht enthalten
      (Vergl. Herrmann, Schmid: Statics in the momentum-current picture).



      Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

  6. Wenn ein Verband mit 60’000 Mitgliedern eine Expertenkommission zusammensetzt, die nur aus erklärten Gegnern des KPK besteht, so soll man diese Vorgehensweise als nicht üblich bezeichnen? Da ist doch Vetternwirtschaft ehrlicher.
    Wieso findet man in meiner Analyse wenig zum eigentlichen Thema? Ich weise doch der Expertengruppe massive Fehler nach: Wechselwirkungsprinzip falsch angewendet, nicht brauchbare Definition der Kraft aus dem Spannungstensor, Gravitation vergessen, Oberflächenintegrat falsch ausgewertet. Für diejenigen, die es noch nicht ganz begriffen haben ein einfaches Beispiel: Ein Metallzylinder steht auf dem Tisch. Wenn ich jetzt den Spannungstensor über die ganze Oberfläche integriere (gemäss der Expertengruppe zwingend, damit der Impuls erhalten bleibt), bekomme ich die Normalkraft, die nach oben zeigt. Nun brauche ich noch eine Gewichtskraft (Volumenkraft, nicht direkt mit dem Spannungstensor erklärbar), damit der Zylinder im Gleichgewicht ist. Schon bei diesem Beispiel wird die zentrale Botschaft in den ergänzenden Bemerkungen ad absurdum geführt.
    Stromstärke und Stromdichte sind physikalische Grössen, wobei die Stromstärke durch Integration der Stromdichte über eine (in der Regel offene, orientierte) Referenzfläche zu bestimmen ist. Strom ist dagegen Begriff, der ein Phänomen beschreibt. Auch in der Elektrisziätslehre misst man die Stärke eines Stromes bezüglich eines orientierten Drahtquerschnitts (Strombezugspfeil).

    • @ Werner Maurer

      Wenn es in Physik nach Ihrer Meinung so sehr auf Semantik ankommt, können Sie sicher auch den tieferen Sinn der folgenden Formulierung erklären:

      “Wir betrachten eine bestimmte Wärmepumpe. Sie ist so beschaffen, dass sie den Entropiestrom von 5 Ct/s eine Temperaturstufe von ΔT = 20 K hinauf pumpen kann.”

      Wird die Entropie oder wird der Entropie-Strom eine Stufe hinaufgepumpt? Ist der Entropiestrom eine extensive Größe? Angeblich ist doch die Unterscheidung zwischen extensiv und intensiv zum Verständnis der Physik wichtig!
      Man könnte glauben, dass es sich um einen Flüchtigkeitsfehler handelt. Aber es geht genauso weiter:

      “Diese neue Pumpe fördert nun 10 Ct/s dieselbe Temperaturstufe hinauf und verbraucht 2 · P0.”

      Wiederum wird ein “Strom” angehoben, aber im 2. Teil der Satzes kommt es noch schlimmer,
      Leistung bzw. Energiestromstärke wird verbraucht!

      Finden Sie wirklich, dass man Schüler mit solchen Fehlkonzepten konfrontieren soll?

      Nachzulesen in: F. Herrmann KPK Sek. 2 Thermodynamik Kapitel 1.10.

      Mit freundlichen Grüßen

      Wolfhard Herzog

  7. @ Werner Maurer

    Dann hätte ich gerne eine vollständige Liste aller physikalischen Größen, bei denen man zwischen dem Phänomen und der Größe, die dieses Phänomen misst, unterscheiden muss mit Begründung.
    Wenn Sie in ein englischsprachiges Lehrbuch schauen, werden Sie die von Ihnen behauptete Unterscheidung nicht finden. (current-strength ????).
    Herrmann und Schmid bezeichnen in dem o.g. Artikel auch das Integral des Spannungstensors
    über eine offene Fläche als momentum-current und nicht als momentum-current-strength.
    Sinnvoller wäre es, wie Feynman die Bezeichnung flow-rate zu verwenden, dann wäre klar, dass nichts fließen muss.

  8. Eine reale Wärmepumpe pumpt die Entropie von der kalten Seite auf die warme. Also fliesst der Entropiestrom (getrieben von der Wärmepumpe) vom kalten in den warmen Bereich. Aber die Stärke dieses Entropiestromes ist beim ersten Wärmetauscher kleiner als beim zweiten. Nehmen wir den Wärmetauscher allein, dann fliessen ein Energie- und ein Entropiestrom durch diesen hindurch, wobei die Stärke des Entropiestromes beim Austritt grösser ist als beim Entritt. Die Stärke des Energiestromes ist dagegen im stationären Fall beim Einritt gleich gross wie beim Austritt. Man könnte natürlich auch sagen, dass der Energiestrom beim Eintritt gleich stark ist wie beim Austritt.

    Hier ein Video dazu: https://www.youtube.com/watch?v=rRlIdv2MgkU

    Ein elektrischer Strom fliesst durch einen Kondensator hindurch (nicht aber der Elektronenstrom). Die Stärke dieses Stromes ist an beiden Anschlüssen gleich gross, d. h. der elektrische Strom ist gleich stark. Kleine Abweichungen sind möglich bei kleinen Strömen, kleiner Kapazität und asymmetrischer Geometrie. Dann könnte die Gesamtladung des Kondensators von null abweichen.

    • @ Werner Maurer

      Sie beschreiben den Sachverhalt völlig richtig: eine Wärmepumpe pumpt Entropie. Der KPK behauptet, sie pumpe einen Entropie s t r o m.
      Es kann nicht sein, dass man über 150 “Altlasten” mit angeblichen Fehlern der traditionellen Physik verfasst und selbst einfache Zusammenhänge nicht richtig darstellen kann.
      Die Behauptung, dass eine Energie s t r o m s t ä r k e verbraucht werde, finde ich fast noch schlimmer.

      MfG

      W. Herzog

  9. Eine Wasserpumpe pumpt Wasser (Volumen) aber keinen Wasserstrom (Volumenstrom)? Eine Menge kann gespeichert und transportiert werden werden. Den Transport beschreibt man mit dem Begriff Strom. Ein Haus speichert Entropie, eine Wärmepumpe pumpt Entropie und durch die Gebäudehülle fliesst ein Entropiestrom weg. Also pumpt die Wärmepumpe einen Entropiestrom ins Haus hinein. Ein zweiter Entropiestrom fliesst durch die Gebäudehülle nach aussen weg.

    • @ Werner Maurer

      Es tut mir schrecklich leid, aber Ihre Probleme sind nicht physikalischer Natur, sondern liegen im Bereich der Syntax und der Semantik.
      Eine Fortsetzung der Diskussion mit Ihnen erscheint mir angesichts Ihrer fortgeschrittenen Rabulistik deshalb wenig sinnvoll.

      Mit freundlichen Grüßen

      Wolfhard Herzog

      • Sie dürften sich darüber im Unklaren sein, dass sich die Schweizer Syntax und Semantik in der Schweizer Form der deutschen Sprache von der Deutschland-Form der deutschen Sprache unterscheidet.

        Wie engstirnig muss man denn sein, um Personen abzukanzeln, nur weil deren lokal völlig legitime äußere Form der Sprache sich von der eigenen – lokal ebenfalls legitimen – äußeren Form der Sprache unterscheidet? Auch Sie, Herr Herzog, sind nicht der Nabel der Welt. Blicken Sie doch mal über den eigenen Tellerrand.

        • Sehr geehrter Herr Slateff,

          wäre es denkbar, dass Sie die Begriffe “Semantik” und “Idiomatik” hier verwechseln?
          Zu Ihrer Information: Semantik oder auch Bedeutungslehre, nennt man die Theorie oder Wissenschaft von der Bedeutung der Zeichen. Zeichen können in diesem Fall Wörter, Phrasen oder Symbole sein. (Wikipedia).

          Im übrigen habe ich mein Auto oft genug “parkiert” und mich bei Bergtouren durch ein Seil gegen einen “allfälligen” Spaltensturz gesichert, um die Unterschiede der beiden Sprachen zu kennen.

          MfG

          Wolfhard Herzog

  10. Ich denke, hier geht es weniger um die klassische Auseinandersetzung zwischen “Fachphysiker” vs. “Physikdidaktiker”. Hier geht es mehr darum, dass klassisch orientierte Physikdadaktiker (bzw. -Lehrer) nicht akzeptieren wollen oder interlektuell akzeptieren können, dass es auch alternative, aber trotzdem inhaltlich korrekte Wege in der Physik geben kann. Nach meinem Empfinden ist der KPK in vielen Bereichen (aber insbesondere in der Wärmelehre) sogar die bessere Fachphysik. Ob es didaktisch sinnvoll ist, den KPK zu unterichten (Anschlussfähigkeit an Uni, Lehrerwechsel usw…), finde ich hingegen nicht so eindeutig.

    • @ Neutrino
      Wenn es sich bei Ihrem Empfinden um mehr handelt, als bloßes “Bauchgefühl”, sollten
      Sie bitte belegen, wo der KPK in “vielen Bereichen” sogar die bessere Fachphysik ist.

      MfG Wolfhard Herzog

  11. Das DPG-Gutachten zeigt eher, dass die Gutachter (und anscheinend auch viele spondierte/promovierte Physiker) leider wenig Ahnung von Technischer Mechanik und Konstruktionslehre haben dürften. Diese Bereiche werden in einem üblichen Physikstudium an einer nichttechnischen Universität leider selten angesprochen, vielleicht an Technischen Universitäten etwas öfter.

    Zum Impulsstrom als möglichem Ersatz für das Konzept “Kraft” haben sich auch die 24 Theoretischen Physiker geäußert. Der Impulsstrom ist physikalisch sachlich rechtfertigbar. Soweit ich sehen konnte, unterrichtet der KPK ihn auch sachlich korrekt.

    Unter den Gutachtern dürfte Verwirrung vorgeherrscht haben, dadurch, dass sich der Impulsstromdichtetensor als Tensor zweiter Stufe bei einem Bezugssystemwechsel eben anders transformiert als ein (Stromdichte-)Vektor, sie selber aber allzu sehr einer rein vektoriellen Vorstellung anhingen. Aus dieser Situation gibt es für die Gutachter leider kein Entkommen ohne Gesichtsverlust. Das mag vielleicht eine mögliche Quelle der Emotionen in der Diskussion sein.

    Um einen Großteil der in der Mechanik vorherrschenden Verwirrungen zu entsorgen, müssten die meisten Größen der Mechanik eigentlich als “Zwei-Punkt-Tensoren” bzw. als “Zwei-Punkt-Tensordichten” dargestellt werden (siehe zB. Marsden/Hughes: Mathematical Foundations of Elasticity, http://store.doverpublications.com/0486678652.html ). Bereits die Geschwindigkeit einer bewegten Punktmasse wäre ein Vektorfeld entlang der Bahnabbildungen/Punktplatzierungen. Darüberhinaus wäre ein Impuls aus Sicht der analytischen Mechanik nicht als Vektor, sondern eher als Kovektor zu behandeln, axiale und polare Vektoren müssten unterschieden werden, affiner Punktraum mit kovarianter Ableitung (Beschleunigung!) unterschieden werden von Vektorräumen (Fasern im Tangential, Bitangential, …)

    Wie viele Physikbücher gehen darauf überhaupt ein, wie viele bringen diese geometrischen Zusammenhänge?
    Wie viele Physiker wissen darüber Bescheid, wie man mit Liniengeometrie räumliche Kinematik starrer Körper erfasst? In welchem aktuellen deutschen Physikbuch ist der lineare Komplex der Bahnnormalen einer Starrkörperbewegung erläutert, seine geometrische Bedeutung?
    Wie viele Physiker kennen die Art und Weise, wie in Frankreich Mechanik unterrichtet wird (mit Torsoren, Schraubentheorie, …)?

    Die deutsche Physik (gemeint als Physik in Deutschland) ist keineswegs die Krone der Schöpfung, ein Blick über den Tellerrand täte so manchem der Gutachter gut!

    All das hat im Kern nur wenig mit dem Thema “Schul- oder Hochschulphysik” zu tun, sondern viel eher mit einem weitgehenden Unverständnis von mechanischen Begriffen zugrundeliegenden Geometrien. Und mit einer Art des Unterrichts an Hochschulen, bei dem das möglichst schnelle Auswendiglernen und “Nachbeten” gefördert, aber das selbstständige Denken, selbstständige Aneignen und “Anders-Sein” fast schon bekämpft wird.

    Hand auf’s Herz: Wie viele studierte/promovierte/habilitierte Physiker (ohne einen Kursus in Technischer Mechanik) wären denn auf Anhieb in der Lage, die Biegelinie, Querkräfte und Biegemomente eines Brettes ihres Bücherregales auszurechnen, gegeben die aktuelle Belastung und Form der Aufhängung/Lagerung? Auf Anhieb – ohne erst Formeln nachzuschlagen oder wikipedia zu bemühen?

    Zurück zum Impulsstrom.

    Der “klassische” Spannungstensor (kaum ein Physikbuch geht darauf ein, dass es viele völlig unterschiedliche Spannungstensoren gibt! cf. Marsden/Hughes loc. cit.) wäre ein Tensorfeld T=T(x) zweiter Stufe (x ein Raumpunkt). Auf der Oberfläche eines (zB. freigeschnittenen) Körperteils mit nach aussen gerichteter Oberflächeneinheitsnormalen n lebt das Feld t der Spannungsvektoren, t = t(x,n) = T . n.
    Die Vektoren t geben an, welche Kraft pro Oberflächeneinheit VOM Material der Umgebung AUF den freigeschnittenen Körper ausgeübt wird, wenn die Oberflächennormale n ist.
    Für jeden Einheitsvektor e (zB. Koordinatenachsenvektor in x-Richtung) liefert das innere Produkt e.t die Komponente von t in Richtung e.
    Ausgedrückt durch den Spannungstensor lautet dieser Ausdruck e.t = e.T.n.
    Der Ausdruck e.T.n wird kurz diskutiert, denn er lässt sich auf zwei verschiedene Arten klammern: e.(T.n) versus (e.T).n.

    Der herkömmliche Weg besteht darin, orientierte Oberflächen festzulegen. Damit ist das Feld n der Oberflächeneinheitsnormalen vorgegeben. Dann wird das Feld t=t(x,n)=T.n auf dieser Oberfläche veranschaulicht und als Kraftdichtevektorfeld gedeutet. Die herkömmliche technische Mechanik benutzt daher massiv das “Freischneiden” – das ggf. künstliche Einführen von Oberflächen, um innere Kräfte “sichtbar” zu machen.

    Der KPK geht einen anderen Weg, der gar nicht dumm ist. Der KPK liegt mit seiner Darstellung sogar viel näher an der Denkweise von Ingenieuren in Konstruktion, Maschinenbau und Systemtheorie: Man gebe sich nicht eine feste Oberfläche (und somit n) vor, sondern eine feste Raumrichtung per Einheitsvektor e!
    Anstatt das Feld T.n auf Oberflächen zu betrachten (die Oberflächen muss man in der herkömmlichen Methode durch sukzessives Freischneiden überhaupt erst schaffen), betrachte man das Feld e.T im Raum – freischneiden ist nicht notwendig. Zum Tensor erster Stufe e.T lassen sich momentane Integralkurven (“Stromlinien”) zeichnen – und schon hat man das Konzept der e-Komponente einer “Impulsstromdichte” erreicht. (Konvention ist dabei nur, ob man generell lieber e.T oder -e.T zugrundelegt.)
    Für einen Einheitsvektor n wird (e.T).n genau dann maximal, wenn e.T in Richtung n zeigt. Dh., das e.T-Feld gibt an, in welcher Richtung man lokal Schnitte (Oberflächen mit Einheitsnormale n) legen müsste, um maximale Übertragung von e-Impuls zu erhalten. Da e.T tangential an die e-Impulsstromlinien liegt, wären solche Oberflächen orthogonal zu den e-Impulsstromlinien zu legen. (Das Thema “Integrabilität” lasse ich mal außen vor.)
    In diesem Sinn geben drei Bilder von e-Impulsstromlinien zu drei linear unabhängigen Vektoren e (zB. e_x, e_y, e_z) einen vollständigen makroskopischen Überblick über den Spannungsverlauf und die Verteilung innerer Kräfte im Material!

    Der grundlegende Unterschied zwischen KPK und herkömmlicher Physik ist beim Thema Impulsstrom/innere Kräfte/Spannungen, dass der KPK den Ausdruck e.T.n mit Klammersetzung (e.T).n bevorzugt, während herkömmliche Physik den Ausdruck e.T.n mit Klammersetzung e.(T.n) bevorzugt.

    Darüber einen Fachstreit zu führen ist eigentlich Zeitverschwendung.

    Wenn man sich noch die Zeit nimmt, geometrisch genauer zwischen axialen und polaren Vektoren zu unterscheiden, und sich vergegenwärtigt, dass der Impuls natürlicher als Kovektor gegeben ist, dann liegt mMn der KPK in seiner Wahl der Darstellung sogar näher am geometrischen Sachverhalt als die “herkömmliche” Darstellung in Physikbüchern!

    Vielleicht aber könnte als gemeinsamer Ausweg für beide Streitgruppen sich eine der zahlreichen Didaktik-Forschungsgruppen zur Aufgabe machen, eine Darstellung des geometrischen Sachverhalts, wie zB. in Marsden/Hughes ausgeführt ist, didaktisch auf elementares Niveau “herunterzubrechen”, inklusive der Aufnahme des Impulsstromkonzepts und der Trennung von Lagrangeschem, Eulerschem und gemischtem Standpunkt.
    Die “Platzierung” eines Körpers im Raum ist nämlich ein natürlicher, alltäglicher Vorgang. Kinematik, Kinetik und Dynamik werden damit viel klarer.

    Wie der Schweizer Prof. Maurer in seinen youtube-Videos erläutert, ist das Impulsstromkonzept besonders in der Technik hilfreich (zB. beim Verständnis der Reibungskräfte Reifen/Boden beim Hinterradantrieb eines Lastwagens mit Anhänger) und in der Konstruktion gebräuchlich (dort oft fälschlich als “Kraftstrom” oder “Kraftfluss” bezeichnet).

    Das Konzept der Impulsströme finde ich dem Konzept der “Kraft” didaktisch sogar überlegen.

    • Kritischer sehe ich im KPK eher den Bereich der Atomphysik und der chemischen Bindung.

      Aus heutiger Sicht lässt sich chemische Bindung eben nicht alleine durch Coulomb-Kräfte erklären, sondern sie ist ein quantenmechanisches Phänomen, das den Elektronen-Spin benötigt.

      Bzgl. Quantenmechanik ist die Kopenhagener Deutung keinesfalls der Weisheit letzter Schluss. Wie Anregungen von Quantenfeldern zu “interpretieren” seien und verschiedene Aspekte der Interpretation von Quantenfeldern und damit assoziierten Observablen, das ist immer noch Gegenstand der Forschung (zB. Experimente zur Quantenoptik, zum EPR-Themenkreis, ja überhaupt die Frage der Existenz einer widerspruchsfreien wechselwirkenden Quantenfeldtheorie). Aber es hat schon auch Gründe gegeben, warum Schrödinger von “seiner” ursprünglichen Deutung des Ausdrucks
      – e_0 |psi(x)|^2 dV(x)
      wieder wegkam und die Quantentheorie sich in weiterer Folge anders entwickelte.

      Das Bohrsche Atommodell muss man nicht unbedingt unterrichten – Chemie kann auch ohne dieses gelernt werden, zB. indem sofort Molekülorbitaltheorie unterrichtet wird. Ein deutschsprachiges Erstsemester-Chemiebuch dieser Art ist mir unbekannt, englisch hingegen sind die Bücher von Keeler und Wothers vorhanden:
      http://www.amazon.de/Chemical-Structure-Reactivity-Integrated-Approach/dp/0199604134/
      http://www.amazon.de/Chemical-Reactions-Happen-James-Keeler/dp/0199249733/

      Das Gebiet “Chemie” legt aber grundsätzlich weniger Wert auf Theorien, die “Theoretische Chemie” und “Quantenchemie” hat innerhalb der Chemie keinen leichten Stand und kämpft dort nach wie vor mit Akzeptanz. Da die Chemie wesentlich experimenteller und praktischer ausgerichtet ist, als die Physik, sehe ich allerdings keine “Anschlussprobleme”, wenn in einem Physikkurs das Bohrsche Atommodel nicht unterrichtet wird.

      Interessanter wäre es vielleicht, die Theorie “Atoms in Molecules” von Bader didaktisch zu reduzieren; gemeinsam mit einer didaktisch reduzierten Molekülorbitaltheorie könnte das ein reizvolles Konzept für den Schulunterricht in Chemischer Physik sein.

    • Sehr geehrter Herr Slateff,
      vielen Dank für Ihre ausführlichen Erklärungen.

      Leider übersehen Sie zwei Dinge:
      1. Das DPG-Gutachten setzt sich mit dem KPK- S c h u l b u c h auseinander. Didaktische Forschung zu treiben mit dem Ziel, zu untersuchen, ob und wie man Newton’sche Mechanik und evtl. die Mechanik starrer Körper auf Schulniveau auf der Elastizitätstheorie und Kontinuumsmechanik aufbauen könnte, wäre reine Zeitverschwendung. Das wäre genauso sinnvoll, wie wenn die Kinematik in der Schule erst nach der Behandlung n-dimensionaler reeller Analysis unterrichten würde.
      Dias Gutachten untersuchte deshalb die Frage, ob die durch den Verzicht auf die Vektor- und Tensorrechnung erforderliche Elementarisierung und Reduktion im KPK noch zu einer richtigen Darstellung der Mechanik auf Schulniveau ausreicht und kam zu dem Ergebnis, dass diese Frage zu verneinen ist. An dieser Einschätzung hat sich bis heute nichts geändert und diese wird auch
      von den “Theoretikern” nicht bestritten. Das Gutachten betont deshalb, dass der K P K – Impulsstrom zu falschen Folgerungen führt. Das Gutachten bestreitet nicht, die Verwendung von Impulsströmen in geeigneten Kontexten sinnvoll sein kann. Die KPK-Anhänger und insbesondere Herr Herrmann haben hier von Anfang an eine Strohmann-Diskussion geführt.

      2. Ihre Kritik an der “deutschen Physik” (die Tatsache, dass Sie diesen historisch belasteten Begriff verwenden, ist gewiss kein Zufall) geht natürlich völlig an den Bedürfnissen der Physiker-Ausbildung an den Universitäten vorbei. Die Vorlesungen in Experimental- und Theoretischer Physik sollen die Studenten auf eine Forschungstätigkeit in einem aktuellen Forschungsgebiet
      vorbereiten. Auf welchen Gebieten die am Gutachten beteiligten Professoren, von denen nicht wenige selbst Lehrbuch-Autoren sind, forschen, können Sie selbst herausfinden.

      Ihre Ausführungen sind also primär Ausdruck einer gewissen Praxisferne und wenig hilfreich.

      Vielleicht noch eine Bemerkung zu den Videos von Herrn Maurer. Herr Maurer polemisiert z.B. lautstark gegen die angeblich fehlerhafte Einführung der Normalkraft in deutschen Lehrbüchern
      (z.B. Gerthsen). Anscheinend hat er sich nicht ausreichend mit d’Alembertschem Prinzip, Zwangskräften u.ä. beschäftigt. Sonst würde er verstehen, dass seine Behandlung der Mechanik
      meist nur zur kompliziertesten der möglichen Lösungen führt.

      MfG

      Wolfhard Herzog

  12. @ A. Slateff:

    Mit Ihrer Feststellung: “Unter den Gutachtern dürfte Verwirrung vorgeherrscht haben, dadurch, dass sich der Impulsstromdichtetensor als Tensor zweiter Stufe bei einem Bezugssystemwechsel eben anders transformiert als ein (Stromdichte-)Vektor, sie selber aber allzu sehr einer rein vektoriellen Vorstellung anhingen.” scheinen Sie den damaligen Erkenntnis-Zustand der Gutachter aus der Frosch-Perspektive einschätzen zu wollen. Ihnen scheint entgangen zu sein, dass unter den Gutachtern viele aktuelle und emeritierte Lehrstuhl-Inhaber und Lehrbuch-Autoren vertreten sind.

    Den physikalischen Kern des Problems haben Sie (zufällig?) aber irgendwie doch erfasst.

    Bei skalaren Strömen ergibt sich die Stromrichtung durch die Richtung des Stromdichte-Vektors.
    Bei vektoriellen Strömen hingegen wird die Stromrichtung durch die Richtung des Stromstärke-Vektors bestimmt. Der Stromdichte-Tensor gibt hier lediglich Achsen im Raum an, aber keine Richtungen und eignet sich damit für diesen Zweck nicht. (Vergl. Ulrich Harten: Zu Bilanzgleichungen für Energie, Impuls und Entropie, MNU 3/2015, S.183)

    Die KPK-Analogie stößt hier somit abrupt an ihre Grenzen. Es ist bezeichnend, dass Herr Herrmann zu dem o.g. Leserbrief in MNU nicht einmal zu einer Stellungnahme bereit oder fähig war.

    Mit freundlichen Grüßen

    Wolfhard Herzog

  13. Leider bin ich wieder etwas spät in dieser Diskussion dran.
    @W. Herzog:
    Sehr geehrter Herr Herzog,
    Sie behaupten, die Stromrichtung bei Strömen skalarer Größen ergebe sich durch die Richtung des Stromdichtevektors. Einverstanden.
    Dann behaupten Sie, bei vektoriellen Strömen (ich nehme an, Sie meinen: bei Strömen vektorieller Größen wie z.B. beim Impulsstrom) werde die Stromrichtung durch die Richtung des Stromstärke-Vektors bestimmt.
    Es wäre freundlich, wenn Sie das näher erläutern könnten. Ihr Gutachter-Kollege Herr Hüfner sagt ja sehr richtig, dass der Impulsstromdichte-Tensor keine Richtungen vorgibt. Er schließt daraus (so habe ich es jedenfalls verstanden), dass es keinen Sinn macht, dem Strom des Impulsvektors eine Richtung zuzuordnen. Damit gehe ich (und ich bin sicher, auch Herr Herrmann) konform.
    Nun behaupten Sie, es gebe eine Richtung, die sich irgendwie aus einer Stromstärke-Vektors ableiten ließe?
    Gruß, Stefan Vinzelberg

    • Sehr geehrter Herr Vinzelberg,

      Sie deuten es ja bereits an: “…Er schließt daraus (so habe ich es jedenfalls verstanden), dass es keinen Sinn macht, dem Strom des Impulsvektors eine Richtung zuzuordnen…..”

      Genau dies schließt Herr Hüfner nicht! Da der Impulsstrom bis auf das Vorzeichen (je nach Konvention) gleich der Kraft ist, hat er selbstverständlich eine Richtung. Diese hängt von der orientierten Fläche ab. Vergl. R.P. Feynman: Lectures on Physics, Vol. 2, 31-6 ff..

      MfG

      Wolfhard Herzog

      • Sehr geehrter Herr Herzog,
        hier haben Sie etwas grundsätzlich missverstanden. Die Richtung des Impulsstroms ist nicht gleich der Richtung der Kraft und hängt auch nicht von der Orientierung irgendwelcher Flächen ab. Das gilt übrigens ganz generell für jeden Strom: Das Vorzeichen der Stromstärke hängt von der Flächenorientierung ab und ist daher nicht eindeutig festgelegt. Die Stromrichtung hingegen folgt aus der Logik: “von da weg, wo es weniger wird, und nach da hin, wo’s mehr wird” (deswegen fließt übrigens auch der elektrische Strom “von Plus nach Minus”.
        Sie verwechseln das Vorzeichen der Stromstärke mit der Richtung der Stromdichte.
        Gruß, Stefan Vinzelberg

        • Lieber Herr Professor Dr. Vinzelberg,

          darf ich Sie höflichst darauf aufmerksam machen, dass es in einem Vektorraum zwar eine Norm und eine Metrik, aber keine Anordnung gibt. Als Experimentalphysiker haben Sie doch sicher irgendwann eine Mathematik-Vorlesung gehört.
          Die Kategorie “mehr” oder “weniger” können Sie auf Vektoren nicht anwenden.
          Vermutlich haben Sie etwas missverstanden, denn Ihr Satz
          “..Die Stromrichtung hingegen folgt aus der Logik: “von da weg, wo es weniger wird, und nach da hin, wo’s mehr wird”
          hat leider mit Logik überhaupt nichts zu tun. Die Richtung des elektrischen Stroms ist eine schlichte Konvention.

          Herzlichst

          Wolfhard Herzog

        • Lieber Herr Vinzelberg,

          vielleicht noch ein weiteres Argument, aber dann muss es reichen: Wie erklären Sie denn mit Ihrer Behauptung “…Die Stromrichtung hingegen folgt aus der Logik: “von da weg, wo es weniger wird, und nach da hin, wo’s mehr wird” (deswegen fließt übrigens auch der elektrische Strom “von Plus nach Minus”…” die Richtung eines Induktionsstroms?
          Wenn Sie sich an den Zusammenhang zwischen Stromdichte und Feldstärke in einem Leiter erinnern, sehen Sie, dass der Strom in Richtung des elektrischen Feldes fließt.
          War nicht ein wesentliches Argument von Herrn Hauptmann, dass sich nichts anhäuft?
          Ihre Erklärung reicht also nur für einen bescheidenen Spezialfall !

          Als KPK-Anhänger müsste Ihnen doch die damit deutlich werdende Analogie eine wahre Freude bereiten: Der elektrische Strom fließt in Richtung der Kraft auf die positiven Ladungen und der Impulsstrom fließt ebenfalls in Richtung der Kraft, die
          man durch Integration des Stromdichte-Tensors über eine orientierte Fläche erhält.

          Noch ein letzter Hinweis: die Stromdichte hat beim Impulsstrom keine Richtung. Tensoren zeichnen lediglich Achsen im Raum aus! Genaueres finden Sie im o.g. Artikel Ihres Kollegen Ulrich Harten.

          Mit freundlichen Grüßen

          Wolfhard Herzog

          • Sehr geehrter Herr Herzog,
            Ihr Einwand bezüglich der fehlenden Anordnung vektorieller Größen trifft genau den Kern. Das ist der Grund, warum der Impulsstrom des ImpulsVEKTORS keine Richtung hat.
            Widmen wir uns aber zunächst den Strömen skalarer Größen (z.B. Energie oder Ladung).
            Sie werden in jedem Lehrbuch der E-Dynamik die Kontinuitätsgleichung in der Form d/dt(rho)+div(j)=0 finden. Wichtig ist hier das Plus-Zeichen. Es sichert das, was ich mal die “logische Konsistenz des Stromes” nennen möchte. Nimmt in einem Raumbereich die Ladung ab (d/dt(rho) 0 heiß nämlich, dass das Raumgebiet ein Quellgebiet ist, der Stromdichtevektor also aus diesem Gebiet heraus zeigt, so wie es aufgrund der Logik (“von da weg, wo’s weniger wird”) auch sein muss.
            Dieselbe Logik gilt für jeden anderen Strom einer skalaren Größe ebenso, also z.B. auch für einen Energiestrom oder einen Stoffmengenstrom.
            Betrachten Sie einen geladenen Kondensator, der entladen wird. Beim Entladen wird die Ladung der positiven Platte kleiner, die der negativen Platte größer. Das kann nur durch einen Strom verursacht werden, der Ladung von der positiven Platte weg und zur negativen hin transportiert. Die Stromrichtung ist keine Konvention, sondern eine logische Notwendigkeit (wäre sie anders herum, so würde die Ladung der positiven Platte abnehmen durch einen Zufluss von Ladung).
            Eine Konvention ist hingegen das Vorzeichen der Ladungsträger (Elektronen negativ,…). Das könnte man ändern.
            Sie stellen die interessante Frage, wie es mit der Richtung bei geschlossenen Stromkreisen ist. Da dieses Post schon recht lang ist, möchte ich die Antwort verschieben.
            Gruß, Stefan Vinzelberg

          • Sehr geehrter Herr Herzog,
            hier möchte ich nur kurz antworten: Nein, der Impulsstrom fließt nicht in Richtung der Kraft, die man durch irgendeine Integration erhält.
            Und ja, richtig, ein Tenor zeichnet keine Richtung aus, daher kann man dem Strom des ImpulsVEKTORS (der durch eine Tensordichte beschrieben wird) keine Richtung zuordnen.
            Im KPK wird nun aber lediglich der Strom einer ImpulsKOMPONENTE betrachtet, und diesem Strom kann man in einem gegebenen System mit gegebenen Spannungen etc. eine eindeutige, koordinatenunabhängige Richtung zuordnen.
            Gruß, Stefan Vinzelberg

  14. Entschuldigung, der letzte Satz ging daneben:
    “… eine Richtung, die sich irgendwie aus der Richtung eines Stromstärke-Vektors ableiten ließe?”

  15. Sehr geehrter Herr Vinzelberg,

    die Grundlagen der Elektrodynamik sind die vier Maxwell-Gleichungen und die Gleichung für die Lorentz-Kraft. Ob ein elektrischer Strom fließt, sehen Sie an dem damit verbundenen Magnetfeld gemäß c^2*rot B = j/epsilonnull + dE/dt.
    Die Kontinuitätsgleichung drückt doch lediglich die lokale Bilanz bzw. Erhaltung einer extensiven Größe aus. Sie ist so allgemein, dass sie sogar im Bereich der Musik gilt. Nikolaus Harnoncourt hat dies in Form der sog. “Knödeltheorie” formuliert: “Wenn ich irgendwo etwas hinzufügen will, muss ich an einer anderen Stelle etwas wegnehmen”. Beispiel: Tongenauigkeit bei modernen Instrumenten geht auf Kosten der Klangfarbe.
    Zurück zur Physik: Die Tatsache, dass eine Kontinuitätsgleichung gilt, ist nicht hinreichend dafür, dass tatsächlich ein Strom fließt.
    Der KPK erklärt die Überweisung Ihres Gehalts folgendermaßen: Zwischen dem LBV und Ihrem Girokonto besteht ein stationärer geschlossener Geldstromkreis. Die meiste Zeit fließt genauso viel Geld auf Ihr Konto, wie wieder zurück fließt. Am 30. jeden Monats wird der Rückfluss dieses Geldstroms unterbrochen, bis sich Ihr Gehalt auf Ihrem Konto angehäuft hat. Entspricht das der tatsächlichen Situation?

    Mit freundlichen Grüßen

    Wolfhard Herzog

  16. Sehr geehrter Herr Vinzelberg,

    Sie schreiben: “Und ja, richtig, ein Tensor zeichnet keine Richtung aus, daher kann man dem Strom des ImpulsVEKTORS (der durch eine Tensordichte beschrieben wird) keine Richtung zuordnen.
    Im KPK wird nun aber lediglich der Strom einer ImpulsKOMPONENTE betrachtet, und diesem Strom kann man in einem gegebenen System mit gegebenen Spannungen etc. eine eindeutige, koordinatenunabhängige Richtung zuordnen.”
    1. Wenn man andere Leute verbessert, dass es anstelle von “vektoriellen Strömen” heißen müsse “Ströme von vektoriellen Größen”, sollte man eine solche beckmesserische Haltung auch gegenüber dem KPK vertreten. Wenn der KPK von einem Impulsstrom spricht und einen Strom einer Impulskomponente meint, dann ist dies eben falsch formuliert.
    2. Durch den Übergang zu den Strömen der Impulskomponenten werfen sie alle in der Physik üblichen Grundsätze über Bord: Die drei den kartesischen Koordinaten entsprechenden Stromdichte-Vektoren der Impuls-Komponenten lassen sich nicht mehr zum Stromdichte-Tensor zusammensetzen, was dem Superpositionsprinzip bzw. der Linearität der Vektoraddition widerspricht. Die so entstehenden Stromdichte-Vektoren transformieren sich bei einer Drehung des Koordinatensystems nicht wie Vektoren und sind deshalb keine Vektoren im physikalischen Sinn.
    Vergl: R.P. Feynman: Lectures on Physics, Vol. 1, 11-3
    3. Vielleicht kennen Sie folgendes Zitat: „Doch auch die Sprache <> schützt nicht vor Phantasmen, sie kann – ebenso wie die Umgangssprache – statt echte Realität zu beschreiben, erfundene Realität produzieren, aus Physik also Metaphysik machen.“

    G. Falk: Physik: Zahl und Ralität, S. 50

    Mit freundlichen Grüßen

    Wolfhard Herzog

    • Sehr geehrter Herr Herzog,

      bitte erläutern Sie Ihre unter 2. geäußerte Ansicht dahingehend genauer, wieso sich die genannten Komponenten nicht mehr zusammensetzen lassen sollten und inwiefern es durch Feynmans 11-3 belegt wird. Dort ist von dem in 2. angesprochenen nicht die Rede.

      Mit freundlichen Grüßen,

      O. Bethyse

      • Sehr geehrter Herr Bethyse,

        das Kapitel 11-3 in den Feynman Lectures trägt die Überschrift “Rotations”. Ich habe geschrieben: “…Die so entstehenden Stromdichte-Vektoren transformieren sich bei einer Drehung des Koordinatensystems nicht wie Vektoren und sind deshalb keine Vektoren im physikalischen Sinn.”.
        Wenn Sie einen falschen Kontext herzustellen versuchen, sehe ich keinen Anlass zu einer Erläuterung.

        Viele Grüße

        Wolfhard Herzog

  17. Bei Punkt 3 ist leider ein Wort verloren gegangen. Das Falk-Zitat lautet vollständig:

    „Doch auch die Sprache schützt nicht vor Phantasmen, sie kann – ebenso wie die Umgangssprache – statt echte Realität zu beschreiben, erfundene Realität produzieren, aus Physik also Metaphysik machen.“

    G. Falk: Physik: Zahl und Ralität, S. 50

    MfG Wolfhard Herzog

  18. Sorry, noch ein Versuch:
    Bei Punkt 3 ist leider ein Wort verloren gegangen. Das Falk-Zitat lautet vollständig:

    „Doch auch die Sprache “Mathematik” schützt nicht vor Phantasmen, sie kann – ebenso wie die Umgangssprache – statt echte Realität zu beschreiben, erfundene Realität produzieren, aus Physik also Metaphysik machen.“

    G. Falk: Physik: Zahl und Ralität, S. 50

    MfG Wolfhard Herzog

  19. Sehr geehrter Herr Herzog,
    die Konsistenz der Stromrichtung halte ich schon für wichtig, denn wir wollen unseren Schülern schließlich keinen Strom zumuten, der einen Kondensator dadurch entlädt, dass er Ladung von der negativen zur positiven Platte transportiert.
    Aber natürlich muss nun auch die Frage geklärt werden, wie sich die Stromrichtung in einem Stromkreis ergibt, wo sich ja keine Ladung anhäuft.
    Ein elektrischer Strom hat, wie Sie richtig bemerkt haben, weitere Auswirkungen. Er erzeugt ein Magnetfeld, dessen Richtung von der Stromrichtung abhängt. Vergleichen wir nun einen “offenen” Transport, bei dem sich die Ladung an den Enden ändert (wie beim Kondensator) mit einem “geschlossenen” (also einem Stromkreis). Wenn wir feststellen, dass die Drähte in beiden Systemen von einem Magnetfeld mit der gleichen Richtung umgeben sind, dann muss in beiden Drähten auch der Strom in der gleichen Richtung fließen.
    Genauso läuft es beim Impulskomponentenstrom. Dieser führt zu mechanischen Spannungen in dem durchflossenen Material. An einem “offenen” Transport (Mensch zieht oder schiebt Wagen) sieht man, dass eine Strom, der eine Impulskomponente in Komponentenrichtung transportiert, von einer Druckspannung begleitet wird (entgegen der Komponentenrichtung führt zur Zugspannung). Wiederum muss dies aus Gründen der logischen Konsistenz in einem geschlossenen Stromkreis genauso sein.
    Auch der Geldstrom hat i.d.R weitere Auswirkungen. Er führt zu Überweisungsgebühren und Einträgen im Kontoauszug. Da ich von beiden nichts bemerke, gehe ich davon aus, dass kein Geldkreisstrom durch mein Konto läuft.
    Freundliche Grüße, Stefan Vinzelberg

  20. @Wolfhard Herzog “Wenn der KPK von einem Impulsstrom spricht und einen Strom einer Impulskomponente meint, dann ist dies eben falsch formuliert.”
    Der KPK ist ein Schulbuch. In der Jahrgangsstufe, an die er sich richtet, ist es z.B. durchaus auch üblich, von “positiven und negativen Geschwindigkeiten” zu reden. Ist die Geschwindigkeit nicht ein Vektor? Gibt es negative Vektoren? Offensichtlich ist mit einer negativen Geschwindigkeit der Wert einer Vektorkomponente der Geschwindigkeit gemeint. Kein Schulbuch thematisiert das, da zu dem Zeitpunkt der Einführung dieser Größen ja Vektoren und Vektorkomponenten noch unbekannt sind. Hier sollte man nicht mit zweierlei Maß messen. Die Bezeichnung “Impulsstrom” ist für die Altersstufe angemessen. Mathematische Präzisierungen sollte man dem Begleitmaterial für die Lehrer vorbehalten.
    Gruß, Stefan Vinzelberg

  21. Sehr geehrter Herr Vinzelberg,

    die Zerlegung des Impulsvektors in Komponenten ist der entscheidende Gesichtspunkt. Eine Komponente ist eindeutig ein Skalar. Sie schreiben:
    “..dass eine Strom, der eine Impulskomponente in Komponentenrichtung transportiert, von einer Druckspannung begleitet wird (entgegen der Komponentenrichtung führt zur Zugspannung)…”

    Wenn Sie meinen einleitenden Überlegungen zustimmen, wie bestimmt man die Richtung eines Skalars?

    Mit freundlichen Grüßen

    Wolfhard Herzog

    • Sehr geehrter Herr Herzog,
      ein Skalar hat keine Richtung, sein Strom aber schon. Das gilt nicht nur für den Strom von Vektorkomponenten, sondern auch für Ladungsstrom, Energiestrom, Massenstrom, Teilchenstrom usw.. All dies sind Ströme skalarer Größen, denen man eine eindeutige Strömungsrichtung zuordnen kann.
      Freundliche Grüße, Stefan Vinzelberg

  22. @Wolfhard Herzog
    Verzeihung, ich hatte Ihren letzten Beitrag missverstanden:
    Eine skalare Vektorkomponente bildet man, indem man den Vektor auf eine gegebene Richtung projiziert. Rechnerisch geht das dadurch, dass man den Vektor (z.B. den Impulsvektor) mit einem Einheitsvektor in der interessierenden Richtung skalar multipliziert.
    So bildet man z.B. eine der beiden vertikalen Impulskomponenten durch Skalarprodukt des Impulsvektors mit einem Einheitsvektor, der senkrecht nach oben zeigt.
    Mit der “Komponentenrichtung” meine ich die Richtung dieses Einheitsvektors, also die Richtung, bezüglich derer man die Komponente bildet.
    Freundliche Grüße, Stefan Vinzelberg

    • Sehr geehrter Herr Vinzelberg,

      mit “Komponentenrichtung” meinen Sie also die Vektorkomponente in Richtung eines Basis-Vektors!
      Solche Komponenten gibt es natürlich auch, wenn man keine kartesischen Koordinaten, sondern Kugelkoordinaten oder Zylinderkoordinaten verwendet. Aber wie veranschaulichen Sie dann die Richtung des KPK-Impulsstroms?
      Ist der KPK-Impulsstrom nicht doch nur ein Artefakt, das auf der Verwendung kartesischer Koordinaten beruht?

      Viele Grüße

      Wolfhard Herzog

  23. @Wolfhard Herzog: “…mit “Komponentenrichtung” meinen Sie also die Vektorkomponente in Richtung eines Basis-Vektors!”
    Nein, mit einer Vektorkomponente meine ich keine Komponente in Richtung eines Basisvektors.
    Sie können einen Vektor in Komponenten zerlegen, ohne ein Koordinatensystem einzuführen.
    Beispiele: Normal- und Parallelkomponente der Gewichtskraft an der schiefen Ebene,
    Tangential- und Zentripetalkomponente des Beschleunigungsvektors,
    Komponente des Bahndrehimpulses bezüglich der Richtung eines Magnetfeldes usw.
    Hier geht es um Komponenten eines Vektors bezüglich einer _bestimmten Richtung im Raum_.
    Eine _Richtung im Raum_ ist das einzig “physikalisch reale”, denn Koordinatenrichtungen
    bzw. Richtungen von Basisvektoren sind beliebig veränderbar (sind “Schall und Rauch”).
    Zur Festlegung der Richtung benötigt man einen (Einheits-)Vektor (keinen Basisvektor).
    Diesen nenne ich mal u. Die Komponente des Vektors v bezüglich der Richtung von u bildet man dann durch Bildung des Skalarprodukts v*u. In welchen Koordinaten man v und u darstellt, ist völlig belanglos. Da das Skalarprodukt koordinateninvariant ist, ist auch die Vektorkomponente nicht vom Koordinatensystem abhängig.
    Im KPK ist nun diese _Richtung im Raum_ die Richtung “aus Schülersicht nach rechts”
    (bzw. bei Fallbewegungen auch “nach unten”).
    Beste Grüße, Stefan Vinzelberg

    • Sehr geehrter Herr Vinzelberg,

      mit Ihrer Aussage Zitat: “Eine _Richtung im Raum_ ist das einzig “physikalisch reale”, denn Koordinatenrichtungen bzw. Richtungen von Basisvektoren sind beliebig veränderbar (sind “Schall und Rauch”).” begeben Sie sich aber auf ziemlich dünnes Eis! Die Frage, was “physikalisch real” bedeutet, kann man so einfach sicher nicht beantworten.

      Ich möchte Sie zum Vergleich auf Heinrich Hertz hinweisen, der schreibt:
      ‘I have further endeavoured in the exposition to limit as far as possible the number of those conceptions which are arbitrarily introduced by us, and only to admit such elements as cannot be removed or altered without at the same time altering possible experimental results’

      H. Hertz: Electric Waves p. 28.

      In diesem Sinn besitzt der KPK-Impulsstrom (weiterhin) keine physikalische Realität.

      Mit freundlichen Grüßen

      Wolfhard Herzog

  24. Gestritten wird um ein Ergebnis lobenswerter Absichten. Ein Gedankengang könnte den Streit allerdings beenden:
    Da ist eine Glühlampe. Die Glühlampe verbraucht U * Anzahl e =Joule Der Glühwendel hat verschiedene Resonanzfrequenzen f. Aus dem Glühlampenverbrauch U e = Watt s wird über Resonanzen U e f = Watt = elektromagnetische Leistung durch R e² f² = R * I².im Glühwendel.
    Aus der Glühlampe entspringt mit U e f / e f² = U / f der magnetische Fluss.

    Denn Ue = eV , die Photonenenergie, kann der Glühlampe nicht entspringen, weil Ue = eV nicht nur “verbraucht” wurde, sondern obendrein noch = Epot ist. Es gibt also keine Photonen !
    Kann dieser Gedankengang vielleicht den Streit beenden?