Fukushima, quantitativ

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… aber nicht einfacher
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Nachdem auf den Wissenslogs bereits das Schweigen der Physiker thematisiert wurde (am Beispiel einer überraschend Fukushima-freien Tagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft), habe ich mich gefragt, was ich sinnvoll zur öffentlichen Diskussion beitragen kann. Vielleicht das, was jeder Physiker können sollte: Anhand von einfachen Modellen und Überschlagsrechnungen zu schauen, was es mit den Problemen von Fukushima quantitativ auf sich hat. Man hört zwar in den Nachrichten eine ganze Menge Zahlen zu Fukushima, aber es ist sicherlich nicht falsch, selbst nachzurechnen, wo zumindest einige davon herkommen.

altKernreaktionen haben ein Flussproblem: Im Reaktor wird Wärme produziert, und in Störfällen wie in Fukushima wird diese Wärme nicht ausreichend abgeführt. Dann gibt es einen Wärmestau und das Innere heizt sich auf, im Extremfall bis zur Kernschmelze.alt

Wärme im Reaktor 

Erste Überschlagsrechnung: Wärme im Reaktor. Die physikalische Größe, um die es hier vor allem geht, ist Leistung. Leistung ist Energie pro Zeiteinheit. Wenn wir wissen wollen, wieviel Energie ein AKW pro Jahr (oder pro Monat, oder pro Sekunde) erzeugt, hat die Antwort die physikalische Einheit einer Leistung, Energie pro Zeiteinheit. Wenn wir wissen wollen, wieviel Wärmeenergie die Brennstäbe pro Tag erzeugen, ist die Antwort ebenfalls eine Leistung.

Laut dem Wikipedia-Artikel zum Thema haben Siedewasser-Reaktoren einen Wirkungsgrad von 35%. Der Wirkungsgrad ist das Verhältnis der aufgewandten Leistung (hier: von den Brennstäben erzeugte Wärmeenergie pro Zeiteinheit) zur nutzbaren Leistung (hier: vom Kraftwerk produzierte elektrische Energie pro Zeiteinheit). Einen Wirkungsgrad von 100% kann es nicht geben. Verluste gibt es immer, das ergibt sich aus einem grundlegenden physikalischen Naturgesetz, dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik.

Damit können wir zurückrechnen, wieviel Wärme in den Reaktoren produziert wird. Fukushima-I 1 liefert nominal 460 MW an Elektrizität, die Blöcke 2-4 liefern 784 MW (sagt Wikipedia). Es geht uns hier und im folgenden nur um eine grobe Überschlagsrechnung, sagen wir also: Block 1 liefert 500 MW, Blöcke 2-4 liefern 1000 MW. Wenn in solchen Reaktoren nur 35% der Wärmeleistung in Elektrizität umgesetzt wird, hätten wir demnach: In Block 1 wird 1500 MW an Wärme produziert, in den Blöcken 2-4 sind es 3000 MW. (Ich habe auch noch die Gegenprobe mit der in Wikipedia angegebenen Leistungsdichte gemacht; das Ergebnis ist bis auf einen Faktor 2 das gleiche. Das ist OK, denn Faktoren wie 2 kann man bei Rechnungen, in denen es im vor allem um Größenordnungen geht, getrost vernachlässigen.)

Nehmen wir für die weiteren Rechnung den höchsten Wert, mit dem wir es bislang zu tun hatten: 3000 MW.

Kühlungsausfall

Jetzt wollen wir uns die Verhältnisse nach einem kompletten Ausfall des Kühlsystems, der Notkühlung und auch gleich der Steuerstäbe anschauen – das schlimmstmögliche Szenario diesseits einer Zerstörung der gesamten Reaktor-Grundstruktur.

Zunächst einmal gilt offenbar: Der Reaktor wird trotz Ausfall der Steuerstäbe nicht mit voller Kraft weiterlaufen. Bei einem Siedewasserreaktor wie in Fukushima dient das Wasser, das durch den Reaktor geleitet wird, nicht nur zur Kühlung, sondern auch als Moderator. Wir erinnern uns: Bei Kernspaltung entstehen Neutronen; ein Neutron, das auf einen U-235-Kern trifft, kann die nächste Kernspaltung auslösen. Ist genug U-235 vorhanden, kann diese Kettenreaktion außer Kontrolle geraten. Dann haben wir es mit einer Atombombe zu tun. In Kernreaktoren wird mit Brennmaterial mit deutlich geringerem U-235-Anteil gearbeitet (andere Brennstoffsorten lasse ich hier außen vor).

Die üblichen Atombomben sind so gebaut, dass die schnellen Neutronen, die bei einer Spaltung entstehen, gleich weitere Kerne zur Spaltung anregen; die ganze Reaktion läuft so schnell ab, dass die versammelte Kernmaterie schon aufgrund der Massenträgheit keine Möglichkeit hat, auseinanderzustieben, bevor eine hinreichend große Zahl von Kernspaltungen abgelaufen ist. In Kernreaktoren kommt es nur dann zu einer einigermaßen hohen Spaltungsrate, wenn die schnellen Neutronen durch das Moderatormaterial abgebremst werden. Langsamere Neutronen werden mit größerer Wahrscheinlichkeit von einem Kern absorbiert als schnelle.

Bei Siedewasserreaktoren ist das Wasser nicht nur das Kühlmittel, sondern auch der Moderator. Je dichter die Wassermoleküle gepackt sind, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Neutron mit einem Atom zusammenstößt. Dabei wird das Neutron typischerweise abgebremst. Je heißer das Wasser ist, umso mehr Dampfbläschen gibt es, in denen sich die Wassermoleküle rarer machen als in flüssigem Wasser. Dementsprechend weniger effektiv ist der Moderator, und die Häufigkeit der Kernspaltungen nimmt ab. Laut den Leuten, die das genauer ausgerechnet haben, sogar ganz rapide (siehe z.B. S. 46 in diesem Text, wobei es interessant wäre, die genaue Zeitskala zu wissen).

Was bleibt, ist die so genannte Nachzerfallswärme (siehe z.B. auch diesen Physikblog-Eintrag). Innerhalb einer Stunde sinkt die Wärmeproduktion dabei auf wenige Prozent des ursprünglichen Werts. Die Formel, wie sich die Restleistung mit der Zeit entwickelt, stammt von Way und Wigner, und in dem Wikipedia-Artikel sind Werte für eine Ausgangsleistung von 4000 MW angegeben; steigen wir also ab jetzt von 3000 MW auf 4000 MW um – die Differenz spielt für unsere groben Überschlagsrechnungen keine Rolle. Nach einem Tag wären wir bei einer Wärmeentwicklung von 18 MW, nach einer Woche bei 9 MW, nach einem Monat bei 5 MW.

Das ist im Vergleich zur ursprünglichen Leistung sehr wenig, aber absolut gesehen immer noch eine ganze Menge. 5 MW sind so, als ob man pro Minute rund 10 Liter Benzin verbrennen würde, also jeden Tag rund 15000 Liter. Und diese Leistung bleibt eben über ein paar Wochen hinweg so gut wie konstant.

Wo liegt die Temperatur, ab der es kritisch wird?

Ab einer so genannten Übergangstemperatur beginnen metallische Werkstoffe zu kriechen: Sie verlieren ihre Stabilität und verformen sich unter Belastung immer weiter. Das ist natürlich nicht das Verhalten, das man sich von einem Reaktorbehälter bieten lassen darf. Auch für die Menschen, die sich professionell über Fragen wie das Verhalten eines Reaktordruckbehälters bei Kernschmelze Gedanken machen (z.B. hier) ist dies ein ganz entscheidender Temperaturwert.

Die Übergangstemperatur liegt bei rund 40% der Schmelztemperatur in Kelvin. Laut Wikipedia kann der Schmelzpunkt bei Stahl bei bis zu 1536 Grad Celsius liegen (leider ohne Quellenangabe dort…), das wären rund 1800 Kelvin, so dass die Übergangstemperatur selbst im Extremfall nur bei rund 720 Kelvin liegt, also bei rund 450 Grad Celsius.

In einem typischen Siedewasserreaktor ist es knapp 300 Grad Celsius heiß. Wir haben also rund 150 Grad Spielraum, bis es potenziell gefährlich wird.

Für die Brennelemente selbst steht in diesem Artikel (dort Fig. 1), den ich über Wikipedia gefunden habe, mehr: Ab 1100 Kelvin, also etwas unter 800 Grad Celsius, verformen sich die Brennelemente. Ab etwa 1500 Kelvin (1200 Grad Celsius) beginnt die Legierung, die den Brennstoff einschliesst (Zirkalloy), zu oxidieren.

Das setzt dann noch erhebliche weitere Wärme frei: knapp 7 Megajoule pro Kilogramm oxidiertem Zirkonium (S. 35 hier), das bei Zirkalloy rund 90% der Masse ausmacht (sagt Wikipedia).

Oxidationswärme des Zirkalloy

Wieviel Wärme kann das Zirkalloy beitragen? Da fehlen mir (mal wieder) genauere Informationen, aber ich kann (mal wieder) grob abschätzen: Wenn diese Wikipedia-Abbildung einigermaßen maßstabsgerecht ist, dann dürfte das Volumenverhältnis von Zirkalloy zu Brennmaterial etwa 1:1 betragen (abgeschätzt über die Querschnittfläche). Die Union of Concerned Scientist hat auf einer ihrer All Things Nuclear-Seiten eine Abschätzung des in Fukushima in den Reaktorkernen jeweils vorhandenen Kernbrennstoffs: rund 100 Tonnen (bis auf Reaktor 1, der ist kleiner; der Wert von 100 Tonnen entspricht auch diesen Angaben bei E.ON für den Siedewasserreaktor [Block 1] des Kernkraftwerks Isar).

Die Dichte von Uran sind rund 20 Gramm pro Kubikzentimeter, von Zirkonium 7 Gramm pro Kubikzentimeter. Bei gleichem Volumen ist die Masse proportional zur Dichte. Wir haben da also 35 Tonnen Zirkonium.

Knud Jahnke, der mir Feedback zum Entwurf für diesen Blogbeitrag gegeben hat, hat mich noch auf das Energielexikon hingewiesen. Da ist von einem Brennstabdurchmesser von 11 Millimetern die Rede, davon außen (oder noch dazu?) eine 0,65 mm dicke Zirkonschicht. Die Brennstablänge wird dort mit 4,17 Metern angegeben. Macht rund 100 Kubikzentimeter Zirkon pro Brennstab, also rund 700 Gramm. Für einen Siedewasserreaktor mit 150 Tonnen Brennstoff werden dort 800 Brennelemente mit jeweils 70 Brennstäben angegeben, entsprechend 30 Tonnen Zirkon. Da ich hier nicht von 150, sondern nur von 100 Tonnen ausgehe, komme ich auf diese Weise auf 2/3 dieses Wertes, also rund 20 Tonnen. Da bei dieser Rechnung nur die Brennstabhüllen berücksichtigt wurde, nicht aber Verkleidung und Verbindungskomponenten der Brennelemente, ist nicht verwunderlich, dass ein kleinerer Wert herauskommt. Die Gegenprobe bestätigt jedenfalls, dass wir die richtige Größenordnung gefunden haben.

Wenn 35 Tonnen (bzw. 20 Tonnen) Zirkonium vollständig oxidieren, würden rund 250 Milliarden Joule (bzw. 150 Milliarden Joule) an Wärme freigesetzt. Zum Vergleich: Wenn die Abnahme der Wärmeproduktion (Nachzerfallswärme) so verläuft, wie in dem Wikipedia-Artikel angegeben (Way-Wigner-Formel gültig ab 10 s nach dem Abschalten, vorherige Laufzeit 11 Monate), komme ich für die erste Stunde auf knapp 200 Milliarden Joule an Wärmeenergie (ein Joule ist gerade ein Watt mal eine Sekunde). Das ist die gleiche Größenordnung; beide Wärmequellen sind damit ähnlich problematisch. Staut sich dagegen die Wärme des ganzen ersten Tages, rund 2000 Milliarden Joule, spielt die Zirkonium-Oxidationswärme nur noch eine Nebenrolle.

Wärmeverteilung im Inneren

Viel Wärme, die irgendwie abgeführt werden muss. Kommt die überhaupt von den Brennelementen weg?

Das ist eine Frage der Wärmeleitfähigkeit. Die ist wie folgt definiert: Beträgt der Temperaturunterschied zwischen den beiden Endflächen eines Quaders δT Kelvin, haben diese Endflächen einen Endflächeninhalt von F und einen Abstand (Länge des Quaders) von L, dann fließt durch den Quader ein Wärmestrom (Energie pro Zeiteinheit, also: Leistung) von

λ · F/L · δT.

Der Wärmeleitfähigkeit hängt ihrerseits von der Temperatur ab.

Hier ist der Reaktorquerschnitt (Wikipedia-Bild). Wenn die Größenverhältnisse stimmen, haben wir näherungsweise einen Zylinder “Brennelemente plus Umhüllung” und darum herum eine Schicht Wasser (das oben und unten noch mehr Wasser ist, vernachlässige ich).

Mit dieser OECD-Seite zur Größe des aktiven Kerns, ‘raufgerechnet mit Hilfe dieser Wikipedia-Grafik, und im Vergleich mit diesen Werten für modernere Fukushima-Reaktoren mit ungefähr der gleichen Leistung (Fukushima Daini 1 und 2), lande ich bei einem Zylinder mit einer Höhe von 25 Metern und einem Durchmesser von rund 6 Metern. (Vergleichsprobe: Die e.on-Seiten nennen für den Siedewasserreaktor des Kraftwerks Isar ähnliche Werte, nämlich Innendurchmesser 5,85 Meter, Höhe 21 Meter.) Der Brennelemente-Zylinder hat dann einen Durchmesser von 4 Metern und eine Höhe von 6 Metern, die Wasserschicht darum herum eine Dicke von 1 Meter auf allen Seiten.

Nun ist Zylinder-plus-Schicht nicht die einfache Situation, die die oben angegebene Formel beschreibt. Da kommt sicher noch ein Faktor für die Geometrie dazu. Den ignoriere ich hier einfach; bei einfachen Abschätzungen spielen solche Faktoren in der Regel keine Rolle, denn dort geht es vor allem darum, Größenordnungen zu bestimmen.

Also: Für F wähle ich die Oberfläche des Reaktorkerns, der die Brennelemente enthält, und die beträgt rund 100 Quadratmeter (75 Quadratmeter die Mantelfläche, 25 Quadratmeter die beiden Zylinderkappen zusammen). L ist hier die Schichtdicke, also 1 Meter. Die Wärmeleitfähigkeitskoeffizient von Wasser ist relativ konstant; in diesem Artikel (Table I) liegt er im gesamten Messbereich, von Raumtemperatur bis 370 Grad Celsius, zwischen 0,7 und 0,5 W/(K·m). Nehmen wir die Mitte: 0,6 W/(K·m).

Dann kommt es noch auf die Temperaturdifferenz an. Wenn wir direkt an die Kriechtemperatur gehen, also 450 Grad Celsius, und als Referenz die normale Betriebstemperatur von 300 Grad Celsius nehmen, ist δT = 150 K.

Macht gemäß der obigen Formel einen Wärmefluss von knapp 10 Kilowatt. Dass Megawatt dazukommen, aber nur ein Dutzend Kilowatt abgeführt werden, ist natürlich ziemlich jämmerlich.

Bei Wasserdampf ist der Wärmeleitkoffizient noch deutlich geringer, nur 0,02 W/(K·m). Dort ist die Situation also noch um einen Faktor 30 ungünstiger.

Nun ist der Kern natürlich noch irgendwie am Reaktorbehälter befestigt, höchstwahrscheinlich mit einer Stahlkonstruktion oder so ähnlich. Nehmen wir vereinfacht (und bewusst übertrieben!) an, dass da ein massiver Stahlring ist, ein Hohlzylinder mit 1 Meter Dicke und 2 Meter Höhe, in dessen Innerem der Brennelementezylinder sitzt.

Kontaktfläche 25 Quadratmeter, Schichtdicke 1 m, Temperaturdifferenz wieder 150 K, Wärmeleitkoeffizient laut diesem Paper aus Rumänien für drei verschiedene Arten von Stahl für Temperaturen bis knapp 600 Grad Celsius etwa 35 W/(K·m): macht knapp 150 Kilowatt an Wärmefluss. Immer noch zu wenig. Selbst wenn sich die Temperaturdifferenz vervierfachte wäre das zu wenig, und dann wären wir schon beim Schmelzpunkt von Stahl. 

Wasser, das sich aufheizt

Wärmeleitung ist das eine. Aber auch im Reaktorbehälter selbst haben wir ja noch eine Menge an Materie, vor allem Wasser, und diese Materie muss erst einmal aufgeheizt werden, ehe wir irgendwelche kritischen Temperaturen erreichen.

Die physikalische Größe, die dabei die Schlüsselrolle spielt, ist die Wärmekapazität, genauer: die spezifische Wärmekapazität, definiert als die Wärmemenge, die man einem Kilogramm eines gegebenen Stoffes zuführen muss, um es um 1 Grad Celsius (oder um 1 Kelvin, das ist das gleiche) zu erwärmen.

Wie sich die spezifische Wärmekapazität und die Dichte von Wasser zumindest bis zu 300 Grad Celsius verändern, steht hier. Im Temperaturbereich von 0 bis rund 200 Grad bewegt sich die Wärmekapazität bei um die 4500 J/(kg·K), mit anderen Worten: Um ein Kilogramm 200 Grad Celsius heißes Wasser um ein Kelvin zu erwärmen, benötige ich 4500 Joule Energie.Bei noch höheren Temperaturen steigt die Wärmekapazität des Wassers; bei 350 Grad Celsius liegt sie schon bei rund 10.000 Joule pro Kilogramm pro Kelvin.

Betrachten wir erst einmal den statischen Fall, sprich: dass das Wasser einfach nur so da sitzt, aber nicht strömt. Der schon erwähnten Wikipedia-Grafik zufolge ist der Reaktorbehälter zu gut 70% seiner Höhe mit flüssigem Wasser gefüllt. Da ist natürlich noch anderer Krams drin, die Brennstäbe und so etwas, also nehmen wir mal an, rund 60% des Volumens enthielten flüssiges Wasser. Die Maße hatte ich oben genannt; das Zylinder-Gesamtvolumen beträgt dann rund 700 Kubikmeter, und 60% davon sind immer noch rund 450 Kubikmeter.

450 Kubikmeter sind konservativ geschätzt (d.h. bereits eine recht hohe Temperatur angenommen, nämlich 300 Grad Celsius in der schon erwähnten Tabelle) 300 Tonnen (300.000 Kilogramm) Wasser. Um soviel Wasser um 1 Kelvin (entspricht: um 1 Grad Celsius) aufzuheizen braucht man bei einer spezifischen Wärmekapazität von 4500 J/(kg·K) gerade rund eine Milliarde Joule (1 GJ).

Wie oben erwähnt fallen binnen der ersten Stunde 200 Milliarden Joule an Restwärme an, am ersten Tag insgesamt sogar 2000 Milliarden Joule.

200 Milliarden Joule reichen dementsprechend aus, um unser Wasser um 200 Kelvin aufzuheizen. Unser Spielraum bis zur Kriechtemperatur von Eisen betrug aber, wir erinnern uns, nur 150 Kelvin. Das ist recht knapp. Und wenn dort gar 2000 Milliarden Joule ins Wasser gejagt werden, sind wir jenseits von gut und böse.

Das bereits im Reaktor enthaltene Wasser reicht also nicht aus, selbst wenn es vollständig im Reaktorbehälter verbleibt. Wärmeleitung nach außen, so unsere vorige Rechnung auch nicht. (An dieser Stelle könnte noch Konvektion, also Wärmetransport durch sich bewegendes Wasser, und thermische Abstrahlung wichtig werden; die habe ich hier vernachlässigt. Mag ein Leser oder eine Leserin nachrechnen, ob diese Effekte einen Unterschied machen?)

Wenn das alles ist, dann wird verständlich, warum die Wasserkühlung, also das Vorbeiführen von großen Mengen an Wasser, die gleich wieder nach außen transportiert werden und Wärme mitnehmen, so wichtig ist. Pumpen ist angesagt.

Kühlung mit fließendem Wasser

Ein Flussprozess, bei dem sich das Wasser je nach Verweildauer und Kontaktdauer mit heißen Flächen aufheizt, ist recht kompliziert. Wir machen es uns wieder einmal einfach. Angenommen, pro Sekunde flössen X Kilogramm Wasser in den Reaktor, und im Gegenzug X Kilogramm Wasser auf der anderen Seite wieder hinaus. Wenn dieses Wasser mit Raumtemperatur (also 20 Grad Celsius) hineinströmt und, laut Wikipedia, in einem Siedewasserreaktor einen Druck von fast 8 MPa oder 1000 psi hat, dann kann es auf fast 300 Grad Celsius erhitzt werden, ohne zu kochen (sagt diese Tabelle). Macht einen möglichen Temperaturunterschied von rund 250 Kelvin (bzw. Grad Celsius).

Um ein Kilogramm Wasser um diese 250 Kelvin zu erwärmen, brauchen wir, wie oben schon angeführt, rund eine Million Joule (nämlich rund 4500 Joule pro Kilogramm pro Kelvin). 

Unser Wasser trägt damit pro Kilogramm-pro-Sekunde eine Leistung von rund 1 MW davon. Bei vollem Betrieb mit rund 4000 MW bräuchte man demnach 4000 Kilogramm pro Sekunde an Kühlwasser. Nach dem Abschalten würde der Bedarf nach 10 Sekunden auf 150 kg/s sinken, nach einer Woche wären wir bei rund 10 kg/s (ich habe wieder diese Tabelle für die Nachzerfallswärme benutzt; die Flussraten entsprechen von der Größenordnung her denen, die Mierk in ihrem Blogbeitrag zu einem Vortrag über das Thema wiedergibt).

Zum Vergleich: Wenn ich im Badezimmer den Wasserhahn voll aufdrehe, komme ich auf rund 0,15 Kilogramm pro Sekunde, in der Dusche, ebenfalls voll aufgedreht, auf das Doppelte. 10 kg/s sind in etwa das, was eine tragbare Pumpe der Feuerwehr schafft.

Wir reden demnach bei vollem Betrieb von 400 Feuerlöschpumpen oder 20.000 Wasserhähnen oder 10.000 Duschen, nach 10 Sekunden nur noch von 15 Feuerlöschpumpen oder hundert Wasserhähnen, und nach einer Woche nur noch von einer Feuerlöschpumpe oder 10 Wasserhähnen.

Das klingt machbar; allerdings, und das ist ja eines der derzeitigen Probleme: Auch bei diesen nicht allzu großen Durchflussraten sammelt sich mit der Zeit einiges an Wasser an.  Auch nach einer Woche noch: pro Sekunde 10 kg, also jede Stunde 36 Tonnen, jeden Tag fast 1000 Tonnen.

Eine Tonne Wasser hat, nahe Raumtemperatur, ein Volumen von rund einem Kubikmeter. Ein olympisches Schwimmbecken mit den Maßen 50 mal 25 Metern, Tiefe mindestens 2,5 Meter, hat ein Volumen von mindestens rund 3000 Kubikmetern. Wenn man keinen geschlossenen Kühlkreislauf zustande bringt, dann läuft einem alle 3 Tage ein olympisches Schwimmbecken mit radioaktivem Wasser voll. Kein Wunder, dass die Entsorgung des Not-Kühlwassers in Fukushima ein großes Problem war und ist.

Ein physikalisch sicherer Reaktor?

Könnte man einen Reaktor dieser Größenklasse so bauen, dass er “physikalisch sicher” ist, sprich: dass es allein aufgrund der Naturgesetze nicht zu einer Kernschmelze kommen kann? In diese Richtung zielt das Konzept der passiven Sicherheit in der Kerntechnik. 

Eisen hat eine spezifische Wärmekapazität von rund 500 J/(kg·K) [sagt diese Tabelle]. Um 400 Milliarden Joule Nachwärme plus Zirkonium-Oxidationswärme zu verdauen, bräuchte ein Wärmespeicher aus Eisen, der sich um nicht mehr als 150 K aufheizen soll (um unter der Kriechtemperatur zu bleiben), demnach eine Masse von rund 5000 Tonnen, entsprechend (Dichte rund 8 Tonnen pro Kubikmeter) rund 600 Kubikmetern. Zum Vergleich: Der jetzige Reaktordruckbehälter hat, wie kurz erwähnt, ein Volumen von knapp 700 Kubikmetern. Wir würden Länge, Breite und Höhe des Gefäßes dementsprechend um rund ein Viertel erhöhen müssen. Das kann zwar immer noch zu Konstruktionsschwierigkeiten führen, und wird sicher die Effizienz des Reaktors senken, aber es ist nicht so hoffnungslos wie wenn unsere Rechnung uns ein, sagen wir, 100 Mal größeres Ergebnis beschert hätte.

Wie steht es mit einer Notkühlung, die ohne Pumpen auskommt? Z.B. über ein Wasserbecken, das höher angebracht ist als der Reaktor und dessen Inhalt daher bei Bedarf rein aufgrund der Schwerkraft in den Reaktor fließen kann? Ich komme mit der Way-Wigner-Formel auf einen Bedarf von 200 Tonnen in der ersten Stunde, 2000 Tonnen bis zum Ende des ersten Tags, und rund 8000 Tonnen bis zum Ende der ersten Woche. Eine Tonne Wasser hat ein Volumen von rund einem Kubikmeter. Ein Becken von 20 mal 20 mal 20 Metern Größe könnte die in der ersten Woche benötigten 8000 Kubikmeter fassen.

Derartige Schwerkraftbecken sind durchaus Teil moderner Anlagen, etwa des AP1000 oder des ESBWR. Der AP1000 hat direkt im Containment einen Tank mit 2000 Kubikmetern Volumen (der “In-containment refueling water storage tank” oder IRWST, Tabelle 6.3-2 hier). Freilich beruht diese Art von Schutz, trotz Schwerkraft, nicht mehr nur auf direkter Anwendung der physikalischen Gesetze, sondern macht zumindest einen kleinen Umweg über die Technik: Eine Reihe automatischer Ventile müssen funktionieren, damit der Wasserfluss (dann allerdings eben durch Schwerkraft, ohne Pumpen) in Gang kommt.

Wenn man all das, was ich oben angesprochen und abgeschätzt hatte, weiterdenkt, kommt man zu passiven Systemen wie dem des AP1000, die sich all die Phänomene, die ich hier vorgestellt habe, und noch eine Reihe weiterer physikalischer Gesetze (z.B.: erhitzt man ein Gas, dann steigt sein Druck) zunutze machen um auch bei völligem Ausfall aller Pumpen einen Kühlkreislauf zu bieten, der die Nachzerfallswärme nach außen abtransportieren kann. Das wäre zumindest für die Probleme, die ich hier durchgerechnet habe (nicht für alle Probleme bei den Fukushima-Reaktoren, siehe unten!) eine Lösung, die ich als Physiker ziemlich überzeugend finde.

Schluss

Die quantitative Betrachtung, auch bei einer bloßen Überschlagsrechnung wie hier, macht deutlich, wo zumindest einige der Probleme liegen. Brennelemente erzeugen viel Wärmeleistung auf geringem Raum. Das ist für ein Kraftwerk eine nützliche Eigenschaft, im Falle eines kompletten Kühlungsausfalls ein großes Problem, denn dann ist ein Wärmestau vorprogrammiert – das sagt sich qualitativ so einfach; beim Nachrechnen sieht man direkt, was diese Aussagen bedeuten.

Die Rechnungen zeigen auch, dass die Wärmemengen, um die es geht, im Prinzip aufgefangen werden könnten. Das würde einen Reaktor aber wohl deutlich größer und damit entsprechend teurer und ineffizienter machen. Oder man stellt zumindest genügend Wasser bereit, und zwar so, dass die Kühlung auch dann gewährleistet ist, wenn nicht mehr aktiv gepumpt werden kann. Reaktoren wie in Fukushima gehen diesen Weg “physikalischer Sicherheit” nicht, sondern sind auf ein halbwegs funktionierendes aktives Kühlsystem, sprich: auf funktionierende Pumpen angewiesen.

Insofern hat es aus meiner Sicht durchaus ironische Züge, dass die Fragen, um die es hier eigentlich geht, in der öffentlichen Diskussion derzeit wieder gerne zum Drama von der Menschheit überhöht werden, die glaubt, die Naturgewalten beherrschen zu können, aber von der Natur hinterhältig überlistet wird und jetzt die schrecklichen und überraschenden Früchte ihrer Saat zu spüren bekommt. Aus dem Aufruf zu den Großdemonstrationen: “Es gibt keinen Schutz vor dem nuklearen Restrisiko – die Natur hält sich nicht an vorherige Berechnungen […]”. Und damit ist eben, soweit ich sehen kann, nicht nur die Stärke des Erdbebens gemeint.

Wenn wir von den Kühlungsproblemen in Fukushima reden, dann haben wir es zumindest bei den Vorgängen im Reaktorkern eben nicht mit irgendwelchen unvorhersehbaren Naturgewalten zu tun, sondern mit physikalischen Vorgängen, die sich quantitativ recht gut abschätzen lassen. Das ist in einiger Hinsicht vielleicht noch empörender als die Lesart der grundlegenden menschlichen Hybris. Welche Sicherheitsstandards man anlegt, ist letztlich eine politische Entscheidung: Kernkraftwerke mit Hauptaugenmerk auf der physikalischen Sicherheit, die so dimensioniert und gebaut sind, dass die Nachzerfallswärme auch bei völligem Ausfall der Maschinerie kein Problem darstellt? Oder technisch sichere Kernkraftwerke, deren Sicherheit davon abhängt, dass bestimmte Maschinen (oder, bei Ausfall, Backups der Maschinen, oder Backups der Backups) ihren Dienst tun

Zumindest bei den älteren Kraftwerken fiel die Entscheidung offenbar zugunsten der technischen Sicherheit aus. Auch die sollte man nicht kleinreden; jeder, der mit dem Flugzeug fliegt, vertraut solcher technischen Sicherheit sein Leben an. Aber passive Sicherheit und Sicherheit jenseits eines GAUs (bzw. des “Auslegungsstörfalls”) sind doch noch etwas anderes, und diese Konzepte spielen bei bei moderneren Reaktortypen eine zunehmende Rolle. Wer gegen drohende Super-GAUs demonstriert, sollte eigentlich Schilder wie “Macht passive Sicherheit zur Pflicht!” und “Kernfänger für alle!” tragen. Und umgekehrt sollte, wer die Kernkraft befürwortet, sich vehement für Regelungen einsetzen, die passive Sicherheit zur Pflicht machen und alte Reaktoren, die den neuen Sicherheitsstandards nicht genügen, zum Nachrüsten oder Abschalten zu zwingen.

Das ist doch wirklich eine vertrackte Situation. Eigentlich bräuchten wir eine Großdemo für das quantitative Denken, aber wer außer ein paar Physikern würde da schon hingehen?

 

 

Gebrauchshinweise (“Disclaimer”)

Ich habe mich hier auf einen Fragenkomplex beschränkt, der sowohl in Fukushima als auch ganz allgemein eine zentrale Rolle spielt, nämlich Wärmetransport und Kühlung. Es sollte klar sein, dass jede Diskussion für und wider Kernenergie, die Anspruch auf Vollständigkeit erhebt (was ich mit diesem Blogeintrag eben nicht tue) noch mindestens zwei weitere Aspekte einbeziehen muss: die Problematik der Endlagerung und, mit direktem Fukushima-Bezug, Fragen der Sicherheit gegenüber äußeren Einwirkungen wie Erdbeben, Flugzeugabstürzen etc.

Weiterhin: Ich bin zwar Physiker, habe aber beruflich mit Reaktortechnik (oder auch nur mit der Kernphysik als zugehörigem Grundlagengebiet) nichts am Hut. Außerdem: Dies ist ein Blogbeitrag und kein Fachartikel, und ich habe eher hemdsärmelig gerechnet und meine Rechnungen nicht so ausgiebig überprüft, wie ich es für einen Fachartikel tun würde. Daher (und ganz allgemein!): Rechnen Sie nach – es geht bei Abschätzungen dieser Art ja gerade nicht um höhere Mathematik, sondern um Rechnungen, die jeder aufgeweckte Schüler nachvollziehen und selbst durchführen können sollte! Alle meine Rechnungen habe ich hier explizit aufgeschrieben und jeweils angegeben, woher ich meine Zahlenwerte habe (und in der Regel bin ich durch bloßes Googeln auf meine Quelle gestoßen). Es kann durchaus sein, dass einige meiner Vereinfachungen zu vereinfacht sind – wenn Sie das meinen, dann melden Sie sich bitte in den Kommentaren zu Wort! Dieser Blogbeitrag soll keine Verlautbarung aus einer Autoritätsposition heraus sein, sondern eine Anregung zum quantitativen Nachdenken.

 


 

Dank an Knud Jahnke für’s kritische Gegenlesen und hilfreiche Anmerkungen und Linkhinweise!

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

9 Kommentare

  1. RELATIV EINFACH- und doch verschlampt

    Das Problem der Nachzerfallswärme im Megawattbereich, die über viele Wochen nach Herunterfahren des Reaktors noch abgeführt werden muss, wurde von den Reaktorbauern scheinbar durchaus erkannt. Deshalb gibt es in den neueren Reaktoren wie dem AP1000 unter anderem – wie beschrieben – ein grosses Wasserbecken innerhalb des Containments, dessen Inhalt die Nachzerfallswärme “verdünnen” kann.
    Was mich verwundert ist dieses Gefälle in den Sicherheitsstandards zwischen neuen Reaktoren, bei denen ein erheblicher Aufwand getrieben wird um die Kühlung auch bei Ausfall der Notstromaggregate zu gewährleisten und den älteren Reaktoren, in denen man überhaupt keine Vorkehrungen für den Fall eine Ausfalls aller Notkühlsysteme getroffen hat. Selbst wenn es betriebliche und wirtschaftliche Gründe gegeben hat, die Reaktoren nicht nachzurüsten, hätte man doch mindestens ein sicheres externes Lager mit Notstromaggregaten anlegen müssen.
    So kam es zur Situation, dass den Reaktorbetreibern niemand helfen konnte. Sie waren komplett von der Umwelt abgeschnitten (kein Strom, keine Ersatzaggregate, kein Einsatzkonzept für so einen Fall).
    Dieses Alles oder Nichts – also entweder aufwendige Nachrüstung oder dann eben überhaupt keine Vorkehrungen – war sicherlich falsch. Meiner Meinung nach sollte sogar bei Reaktoren mit passiven Sicherheitsmerkalen ein Konzept für eine externe Hilfe im Notfall existieren. Dabei könnten auch von Beginn weg externe Fachleute (z.B. der IAEA) mit einbezogen werden. Ein so schwerer Störfall wie in Fukushima kann doch keine Privatangelegenheit der Betreiberfirma sein.

  2. kT

    Die Atomlobby hätte ja auch mal die Frage beantworten können, warum z.B. nicht in sichere Reaktortechniken wie Thorium-Reaktor investiert wurde. Wahrscheinlch weil auch waffenfähiges Plutonium hergestellt werden sollte. Für mich ist die Diskussion mühselig, die Lobby hat jetzt mehrfach gezeigt, das Sicherheitsinteressen nur sekundär sind und damit sich selbst disqualifiziert ihr die Freiheit und Verantwortung für diese Technik zu übertragen. Das für den Ernstfall keine Notfallpläne oder Schadensbegrenzungen vorhanden waren und mit Mac Guyver Methoden ala flüssigen Harz und Planen improvisiert wird ist auch nicht sonderlich vertrauenserweckend

    Mich als Physiker verwundert auch das Argument/Hoffnung, dass die Müllfrage oft mit der weiteren techn. Entwicklung “gelöst” wird, als ob techn. Fortschritt ewig ginge und die Naturgesetze und Effekte nicht irgendwann mal auch eine technologisceh Schranke statt ewigen techn. Fortschritts implizieren. Transmutation und Kernfusion sind evtl. selbst in Jahrhunderten noch nicht technisch lösbar oder nie. So plausibel wie das Gegenteil…

    Man stelle sich der Gau wäre beim schmalen Japan im Landesinnern passiert, man hätte ne radioaktive Mauer die das Land zweiteilen würde, soll mir das mal einer in ner ökonomischen Risikostudie abschätzen, so sind sie mit nem blauen Auge davon gekommen, so zynisch das klingen mag

  3. kt

    Die Atomlobby hätte ja auch mal die Frage beantworten können, warum z.B. nicht in sichere Reaktortechniken wie Thorium-Reaktor investiert wurde. Wahrscheinlch weil auch waffenfähiges Plutonium hergestellt werden sollte. Für mich ist die Diskussion mühselig, die Lobby hat jetzt mehrfach gezeigt, das Sicherheitsinteressen nur sekundär sind und damit sich selbst disqualifiziert ihr die Freiheit und Verantwortung für diese Technik zu übertragen. Das für den Ernstfall keine Notfallpläne oder Schadensbegrenzungen vorhanden waren und mit Mac Guyver Methoden ala flüssigen Harz und Planen improvisiert wird ist auch nicht sonderlich vertrauenserweckend

    Mich als Physiker verwundert auch das Argument/Hoffnung, dass die Müllfrage oft mit der weiteren techn. Entwicklung “gelöst” wird, als ob techn. Fortschritt ewig ginge und die Naturgesetze und Effekte nicht irgendwann mal auch eine technologisceh Schranke statt ewigen techn. Fortschritts implizieren. Transmutation und Kernfusion sind evtl. selbst in Jahrhunderten noch nicht technisch lösbar oder nie. So plausibel wie das Gegenteil…

    Man stelle sich der Gau wäre beim schmalen Japan im Landesinnern passiert, man hätte ne radioaktive Mauer die das Land zweiteilen würde, soll mir das mal einer in ner ökonomischen Risikostudie abschätzen, so sind sie mit nem blauen Auge davon gekommen, so zynisch das klingen mag

  4. @Thomas Rupp

    “Die Atomlobby hätte ja auch mal die Frage beantworten können, warum z.B. nicht in sichere Reaktortechniken wie Thorium-Reaktor investiert wurde. “

    Die Antwort scheint mir einfach: Weil der Bau neuer Atomkraftwerke politisch schon seit Jahrzehnten nicht mehr durchsetzbar ist. Warum sollte eine privatwirtschaftlich organisierte Industrie, also eine, die gezwungen ist Gewinne zu erwirtschaften, in eine nicht durchsetzbare Technologie investieren?

  5. Falsche Frage

    Die Frage “warum z.B. nicht in sichere Reaktortechniken wie Thorium-Reaktor investiert wurde” ist falsch, denn die Industrie hat investiert: in der Nähe von Hamm wurde ein Thorium-Reaktor (THTR300) gebaut und für kurze Zeit betrieben. Der Betrieb war nuklear erfolgreich, allerdings hat der Apparatebau damals die Betriebstemperatur von über 700°C noch nicht sicher beherrscht. Heute, nach mehr als 30 Jahren, tasten sich die modernsten Kohlekraftwerke an diesen Wert heran.
    Die Industrie beendete ihr Engagement, als durch die veränderte Haltung der Landesregierung NRW keine Investitionssicherheit mehr gegeben war.

  6. @Bernd: Thorium, LFTR und Fukushima

    Der mit Thorhium betriebene THTR300 war effizienter aber nicht wirklich sicherer als heutige Druckwasserreaktoren.

    Inhärent sicher – auch gegen Proliferation – ist dagegen der LFTR (Liquid Fluorid thorium Reactor). Er arbeitet mit flüssigem Salz unter Normaldruck, dessen Wärme auf ein Arbeitsgas übertragen wird. Fukushima wäre mit dem LFTR schon darum nicht möglich, weil der LFTR kein Wasser benutzt: Es kann also weder Dampf- noch Wasserstoffexplosionen geben und Überhitzungen (die im LFTR kaum aftreten) können mit rein passiven baulichen Massnahmen begegnet werden. Im Artikel The Fukushima Daiichi Disaster and Designing for Fundamental Safety wird dargelegt, was inhärente Sicherheit bedeutet und wie ein LFTR sie garantieren kann. Die Darstellung schliesst dabei kein noch so schlimmes Szenario aus, berücksichtigt also auch Unfälle, die über einen GAU (grössten anzunehmenden Unfall) hinausgehen. Sollte ein LFTR vollkommen zerstört werden (z.B. Terroranschlag mit Desintegration des ganzen Reaktorgebäudes) würde ein LFTR nur radioaktives Jod freisetzen, denn Cäsium würde in der erstarrenden Salzschlacke gebunden bleiben.

  7. Wirkungsgrad

    Hallo Markus,

    danke für diesen detailreichen Beitrag.

    Eine interessante Definition stellst Du ja gleich an den Anfang, die des Wirkungsgrades:
    “Laut dem Wikipedia-Artikel zum Thema haben Siedewasser-Reaktoren einen Wirkungsgrad von 35%. Der Wirkungsgrad ist das Verhältnis der aufgewandten Leistung (hier: von den Brennstäben erzeugte Wärmeenergie pro Zeiteinheit) zur nutzbaren Leistung (hier: vom Kraftwerk produzierte elektrische Energie pro Zeiteinheit). Einen Wirkungsgrad von 100% kann es nicht geben. Verluste gibt es immer, das ergibt sich aus einem grundlegenden physikalischen Naturgesetz, dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik.”

    Mich würde mal interessieren wie hoch der Wirkungsgrad ist, wenn man die erzeugte elektrische Leistung mit der Spaltenergie des Brennstoffs in Beziehung setzt.

    Die Energiedichten der Abbrände variieren ja recht stark, siehe z.B hier:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Energiedichte
    oder hier:http://www-pub.iaea.org/…ons/PDF/te_1006_prn.pdf

    Könntest du das mal abschätzen? Liegt dann der Wirkungsgrad im Prozentbereich?

    Grüße, Stefan

    Was in einem “normalen” Brennstab am Ende vorhanden ist, zeigt dieses Bild hier wohl ganz gut:
    http://upload.wikimedia.org/…/0e/Brennstab_1.png

    Antwort von MP: Hallo Stefan, gar nicht so
    einfach! Wenn’s nur um das U-235 ginge, dann könnte man ja
    überschlagen: rund 3/4 des vorhandenen U-235 sind laut der
    von dir gezeigten Grafik
    verbraucht, von der entstehenden Wärme
    werden dann nochmal rund 30% zu Elektrizität, das wäre ein
    “U-235-Wirkungsgrad” von rund 20%.

    Alternativ kann man sich wohl den Abbrand
    anschauen (der englische Wikipedia-Artikel, Burnup, ist
    ausführlicher). Im deutschen Artikel werden neue Konzepte mit “500
    Gigawatt-Tagen pro Tonne Schwermetall” erwähnt. “Schwermetall” ist in diesem
    Zusammenhang wohl das gleiche wie “prinzipiell spaltbares Material”,
    und dazu gehört auch U-238 [im englischen gibt es da noch eine
    Unterscheidung “fissile” = “leicht spaltbar” und “fissionable” =
    “prinzipiell spaltbar”, für die ich noch keine richtige deutsche Entsprechung
    gefunden habe. Liest ein Fachmann/eine Fachfrau mit,
    der/die weiterhelfen kann?]. Abbrand ist damit in der Tat so etwas wie
    ein Maß für die Energie, die man pro Masseneinheit Brennmaterial
    herausholen kann.

    Vergleicht man das mit dem Ertrag 40-55
    GWd/t SM von Leichtwasserreaktoren, wären wir dort in punkto extrahierte
    elektrische Energie durch prinzipiell erreichbare Energie pro Tonne
    Brennmaterial bei 30% von (55/500) und damit tatsächlich nur bei rund
    3 Prozent. Das wäre aber nicht das gleiche wie
    “elektrische Energie durch aus der gleichen Sorte Brennelement
    herausholbare Energie”, da die Brennelemente bei den zitierten neuen
    Konzepten (wohl der GT-MHR hier) eine
    deutlich andere Zusammensetzung haben.

  8. Nüchterne Zahlen

    Ein wirklich interessanter Artikel, den man ohne Probleme nachvollziehen kann. Aktuelle Nachrichten gehen von Kernschmelzen in drei Reaktoren kurz nach dem Beben aus. Dies ist aufgrund der höchsten Temperaturen, die es laut Artikel zu diesem Zeitpunkt gab, durchaus plausibel.

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