Gaia ist gestartet!

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… aber nicht einfacher
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Auch bei den Astronomen gibt es sonne und solche. Die Mehrzahl der Astronomen beantragen Beobachtungszeit für ihre Projekte bei den jeweils in Betrieb befindlichen Großteleskopen, etwa dem Very Large Telescope (trotz des Singular-Namens sind das vier Teleskope) oder den Keck-Teleskopen, oder auch bei einem Weltraumteleskop wie Hubble. Das sind sozusagen die Teleskopkonsumenten. Dann gibt es Astronomen, die bei der Entwicklung neuer Teleskope oder, häufiger, neuer Instrumente für Teleskope mitarbeiten. Meist gibt es im Gegenzug garantierte Beobachtungszeit auf diesen Teleskopen. Unter den instrumentenbauenden Astronomen gibt es noch eine besondere Spezies: Die Weltraumteleskopinstrumentenbauer. Deren Leben birgt ein gewisses Risiko.

Denn nach Jahren oder sogar Jahrzehnten an Vorarbeit kommt der eigentliche Start, und der kann eben auch schiefgehen. Dann sind die schönen Instrumente futsch. Im besten Falle gibt es Mittel dafür, den Satelliten nachzubauen – dann wären die Investitionen in die Entwicklung wenigstens nicht verloren – und nach einigen Jahren Verzögerung einen nächsten Startversuch zu unternehmen.

Artist_s_impression_of_Gaia_node_full_imageAls sich im Klaus Tschira-Auditorium bei uns im Hause der Astronomie heute vormittag knapp 100 der Heidelberger Astronomen plus eine Reihe von Gästen und Journalisten versammelt hatten, um den Start des Astrometriesatelliten Gaia zu verfolgen (künstlerische Darstellung rechts: ESA/D. Ducros), lag durchaus etwas Anspannung in der Luft. Eine ganze Menge der Anwesenden hatten durch einen missglückten Start durchaus etwas zu verlieren: die erwähnten Jahre bis Jahrzehnte eigener Vorarbeit; die Projekte, die sie sich für das nächste Stadium ihrer Forscherkarriere vorgenommen hatten; die Chance, die eigene Zeitstelle verlängert zu bekommen oder eben nicht.

Einige der ganz eingefleischten Gaia-Wissenschaftler waren natürlich nicht bei uns, sondern noch näher am Geschehen: Bei Ulrich Bastian vom Astronomischen Recheninstitut (Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg), der die Grundauswertung der Gaia-Daten leitet, dürften es rund 30 Jahre sein, die er auf diesen Moment hin gearbeitet hat; den Start schaut er sich in Darmstadt bei ESOC an, im Kontrollzentrum für den Gaia-Satelliten. Coryn Bailer-Jones vom Max-Planck-Institut für Astronomie,  der diejenige Auswertungsgruppe leitet, die aus den Gaia-Daten astrophysikalische Parameter bestimmt, also aus den Daten die verschiedenen Objekte (Sterne, Galaxien, …) isoliert und deren Eigenschaften auswertet, war sogar nach Französisch-Guyana gefahren, um den Start live mitzuerleben.

Aber eine ganze Reihe Mitglieder der Auswertungsgruppe hatten wir vor Ort – unter anderem jene, die nachher die Gaia-Daten mit als erste genauer angucken, um sicherzustellen, dass der Satellit auch so genau und zuverlässig arbeitet, wie er soll. Und natürlich jede Menge Astronomen, die darauf warten, mit Gaia-Daten arbeiten zu können (was freilich noch einige Zeit dauern wird).

Ganz zu Anfang erklärte Stefan Jordan, der nicht nur Gaia-Astronom sondern insbesondere Outreach-Beauftragte der Gaia-Datenauswerter ist, noch, was uns erwarten würde und was Gaia eigentlich tut; direkt danach flog ich in unserem digitalen Planetarium zumindest näherungsweise den Anfang von Gaias Reise nach, um zu zeigen, wo Gaia letztlich stationiert wird (nämlich im sogenannten L2-Punkt). Anschließend noch ein wenig Last-Minute-Panik wegen der Live-Übertragung (starker Wind auf dem Königstuhl legte leider unsere Satellitenschüssel lahm), und dann hatten wir den ESA-Livestream auf dem Projektor.

Wer’s sich gleich selbst ansehen möchte: Hier gibt es einen Zusammenschnitt der Highlights (16 Minuten) und hier die Übertragung in voller Länge (1 Stunde 24 Minuten).

Und dann steht sie da, die Rakete:

Screen shot 2013-12-19 at 8.55.34 PM

Gaia_Sticker_Fairing_wo_frame_2kAn der Nutzlastverkleidung ein Logo das, stilisiert, (die Erdgöttin) Gaia zeigt, die eine Hand zur Milchstraße ausstreckt – genaue Positionen für rund eine Milliarde Sterne der Milchstraße soll Gaia dann schließlich vermessen.

Bevor’s losgeht, gehen einem natürlich unwillkürlich diejenigen Missionen durch den Kopf, bei denen es schiefgelaufen ist. Ich hatte mich heute auf der Fahrt zur Arbeit noch mit Sterne-und-Weltraum-Redakteur Tilmann Althaus unterhalten,  der sich in punkto Weltraummissionen bestens auskennt, und war dementsprechend vorbelastet: Würde es Gaia so ergehen wie der Fobos-Grunt-Mission 2011, bei der die Triebwerke, welche die Sonden aus der Erdumlaufbahn hin zum Mars schieben sollten, nicht zündeten? Auch bei Gaias Startmanövern würde als letztes die Fregat-Oberstufe zum Einsatz kommen, Basis für die Entwicklung der MDU-Oberstufe, die bei Fobos-Grunt nicht angesprungen war. Oder würde die Sache schon früher schiefgehen, wie bei der ISS-Versorgungsmission, wo ein Progress M-12M-Raumschiff letzlich über Russland niederging, ohne die Umlaufbahn zu erreichen – gestartet ebenfalls mit einer Sojus-Rakete, wie Gaia?

Weltraummissionen sind zwar inzwischen sehr zuverlässig. Aber Routine ist so ein Raketenstart dann doch noch nicht ganz.

Insofern erste Erleichterung, als die Sojus-Rakete pünktlich um 12 Minuten nach 10 Uhr unserer Zeit zündete und aufstieg:

startDann folgten in unregelmäßigem Abstand die nächsten Schritte. Den Abwurf der vier Booster-Raketen hat man sogar noch auf den Verfolgerkameras direkt sehen können. Danach sind wir auf die Kommentare (mit begleitenden Animationen) angewiesen: Abwurf der Schutzverkleidung (der mit dem Logo), Zündung der dritten und Abtrennung der zweiten Stufe, Abtrennung der dritten Stufe.

Um knapp 10:23 Uhr wird es spannend: Da folgt die erste Zündung der Fregat-Oberstufe. Auch die verläuft einwandfrei, ebenso wie das Abschalten etwas mehr als zwei Minuten später. Ebenso gut geht die zweite Zündung der Fregat um knapp 10:34 Uhr vonstatten. Diesmal Brenndauer 15 Minuten. Auf dem ESA-Livestream gibt es bei diesen Pausen eingestreute Arianespace-Werbung.

Dann noch das Auffangen des Gaia-Signals am ESOC in Darmstadt. Wieder ein Meilenstein, denn ein Satellit, der nicht mit der Bodenstation kommuniziert, ist teurer Schrott.

Als letzter Meilenstein: Um 11:30 Uhr begann die Entfaltung des großen Sonnenschirms von Gaia; die Tests dazu sind z.B. in diesem Zeitraffer-Video zu sehen. Die Entfaltung dauert rund 10 Minuten und lässt sich auf der Erde aufgrund der Schwerkraft nur unvollständig testen. Diesen kritischen Schritt hatten wir abwarten wollen, bevor wir auf den Erfolg des Startes anstoßen würden.

Leider hat uns die ESA da aber einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Livestream endete einfach (und offenbar war es mit der Launch-Veranstaltung in Darmstadt ähnlich). Das stieß auf einiges Unverständnis nicht nur bei den an der Mission beteiligten Astronomen, die hier bei uns saßen. Modernerweise erreichte uns die Information über die erfolgreiche Ausklappung per Twitter. Auf Niederländisch:

nederlands-tweet

Kurz darauf hatten wir dann auch Rainer Kresken vom Flight Dynamics Team am ESOC (danke!) am Telefon mit offizieller Bestätigung. Und dann haben endlich auch bei uns in Heidelberg die Sektkorken geknallt.

Bis es Ergebnisse von Gaia gibt, wird freilich noch einige Zeit vergehen. Der weitere Ablauf: In den nächsten Tagen bereitet sich Gaia erst noch auf den Flug zum Einsatzort L2, rund 1,5 Millionen Kilometer außerhalb der Erdbahn, vor. Dann folgt die Reise dorthin, die rund 30 Tage dauern wird. Dann folgt eine mehrmonatige Inbetriebnahme, und anschließend beginnt Gaia ernsthaft damit, den Nachthimmel abzufahren. Die gesamte Grund-Mission dauert fünf Jahre und dürfte 2019 zuende gehen.

Einige Vorab-Daten wird es dann jeweils recht bald geben – nämlich die von vorübergehenden Ereignissen sowie von erdnahen Asteroiden, die einer Nachbeobachtung durch andere Astronomen bedürfen. Wenn Gaia beispielsweise eine Supernova beobachtet wird das selbstverständlich sofort allgemein bekannt gemacht, damit andere Beobachter diese Sternexplosion näher unter die Lupe nehmen können!

Nach rund einem halben Jahr Datensammeln hat Gaia den Himmel das erste Mal durchmustert. Aber einen richtigen Gaia-Datensatz hat man damit noch nicht. Gaia soll ja zum einen Sternentfernungen bestimmen, indem es Sternpositionen von verschiedenen Orten der Erdumlaufbahn miteinander vergleicht. Der Effekt, um den es geht, heißt Parallaxe, und man kann eine irdische Version davon schnell nachspielen: Einfach den ausgestreckten Daumen am langen Arm vor das Gesicht halten, dann einmal das linke, dann das rechte Auge schließen, und sofort sieht man, wie der Daumen vor dem Hintergrund hin- und herzuspringen scheint. Analog dazu “bewegen” sich nähere Sterne vor dem Hintergrund der ferneren Sterne hin und her, wenn sich Gaia einmal auf der einen, ein halbes Jahr später dann auf der anderen Seite der Sonne befindet.

Um den Parallaxeneffekt von der Eigenbewegung der Sterne (also Verschiebungen der Sternpositionen aufgrund der Bewegung der Sterne durch den Raum) zu trennen, braucht man mindestens anderthalb Jahre an Daten. Dann kommen noch rund drei Monate an Nachbereitung dazu, und mit etwas Glück gibt es 2016 eine erste größere Gaia-Datenveröffentlichung.

Jetzt sind wir jedenfalls erst einmal froh, dass der Satellit gut gestartet ist. Daumen drücken, dass es ebenso gut weitergeht!

Blauer Text nachträglich eingefügt am 20.12.2013.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

2 Kommentare

  1. Kleine Korrektur: a) Fobos-Grunt mit MDU und b) Fregat-Beschleunigungsstufe
    Fobos-Grunt wurde nicht mit Fregat gestartet, separate Stufe wäre autonom besser gewesen.
    Aufgrund der Nutzmasse(beschränkungen) bei der Zenit hat man sich was einfallen lassen.
    Die sogenannte MDU als Teil der Fobos wurde nur auf der Basis der Fregat “umentwickelt”.
    War also nicht baugleich und hatte auch eine andere Steuerung, hätte wohl funktioniert.
    Das Versagen war eher ein Sensor- und/oder Computerproblem, nicht der Antrieb, auch wenn
    die Zündung “verhindert” wurde. Alle Fregat waren bisher ohne Ausfall erfolgreich.

    • Richtig, da war die Verkürzung missverständlich. Ich habe jetzt einen Nebensatz “auf Basis der Fregat…” eingefügt. Was letztlich die Zündung verhindert hat, ist in diesem Zusammenhang aber relativ unwichtig. In dem entsprechenden Moment sieht man über Details großzügig hinweg, wenn man sich Sorgen macht. Entscheided ist, dass vor nicht allzu langer Zeit etwas mit dieser Art von Gerät schiefgegangen ist…

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