Gravitationswellen-Gerüchteküche

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… aber nicht einfacher
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UPDATE (8.2., 22 Uhr): Datum und Zeit der Pressekonferenz sind jetzt offiziell: Donnerstag 11. Februar, 10:30 Uhr EST

Als Lawrence Krauss im Januar tweetete “My earlier rumor about LIGO has been confirmed by independent sources. Stay tuned! Gravitational waves may have been discovered!! Exciting.” waren die Reaktionen in den Medien kritisch: Geltungsdrang wurde Krauss vorgeworfen, es sei schwer, zwischen ernsthafter Forschung und heißer Luft zu unterscheiden und so weiter und so fort.

Ich muss zugeben, dass ich die Aufregung nicht ganz verstehe. Die Gerüchte um die Entdeckung von Gravitationswellen machen ja nun schon eine ganze Weile die Runde. Das ist bei so vielen Beteiligten auch nicht zu vermeiden – alleine die LIGO Scientific Collaboration zählt über 1000 Mitglieder – zusätzlich zu den eigentlichen Gravitationswellenjägern sind da noch zahlreiche Astronomen an Bord, die mithelfen, indem sie ihre Teleskope auf bestimmte Himmelsregionen richten, wo die LIGO-Detektoren Gravitationswellenquellen-Kandidaten vermuten. (Solche Lokalisierung ist mit den derzeit laufenden Detektoren allerdings noch recht ungenau.)

Signalfälschung im Dienste der Wissenschaft

Außerdem wurde zumindest in den ausführlichen Medienberichten auch über den Mechanismus verhindert, der dafür sorgt, dass niemand, der derzeit Gravitationswellen-Gerüchte streut, definitiv etwas weiß.

Die Rede ist von Blind-Injektionen: von der Möglichkeit, einen der Spiegel der LIGO-Detektoren mit einem kleinen Aktuator so zu bewegen, als ob eine Gravitationswelle durch den Detektor gelaufen und dabei Raum und Zeit verzerrt hatte. Ob eine solche Injektion stattgefunden hat, wissen nur ganz wenige (2, 3, …) der beteiligten Wissenschaftler. Hauptfunktion dieser künstlichen Signale ist es, möglichst realistische “Trockenübungen” zu ermöglichen: Der Ablauf bei Nachweis eines Signals ist recht komplex. Bei der Auswertung wird der Signal-Kandidat mit möglichen Gravitationswellen-Mustern verglichen, die z.B. durch verschmelzende Schwarze Löcher oder Neutronensterne entstehen – solche Prozesse kann man recht gut modellieren und das, was die Modelle für die Erzeugung von Gravitationswellen vorhersagen, mit den Daten vergleichen.

Wie sicher der Nachweis ist entscheidet sich unter anderem daran, wie wahrscheinlich es ist, dass dieselbe Art von Signal zufällig durch die allgegenwärtigen Zufallsschwankungen im Detektor entsteht.

Schwieriger wird es bei Signalen, die nicht in die herkömmlichen Schemata passen, weil die entsprechenden Prozesse nicht so gut verstanden sind. Das ist z.B. bei Supernova-Explosionen nach wie vor der Fall – und bei der bei weitem interessantesten Möglichkeit, nämlich dann, wenn die Gravitationswellen-Detektoren Informationen über kosmische Ereignisse liefern, die die Forscher bislang gar nicht vorhergesehen hatten. (Solche Überraschungen gab es bislang immer, wenn sich neue Fenster geöffnet haben – in der Radioastronomie, der Röntgenastronomie und so weiter. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass es beim Einstein-Fenster der Gravitationswellen anders sein sollte.)

Bei diesen Analyse sorgt der Umstand, dass (so gut wie) niemand weiß, ob da ein künstliches Signal oder ein echtes Signal analysiert wird, für etwas zusätzliche Objektivität.

Und nebenbei verhindert er in der Tat, dass außer den auserwählten zwei oder drei Signal-Injizierern irgendjemand weiß, ob es sich um ein echtes Signal handelt – das schiebt spielverderbenden Gerüchten effektiv einen Riegel vor. Niemand kann die Katze aus dem Sack lassen, weil bis zuletzt niemand weiß, ob eine Katze im Sack ist.

Unsicherheit bis zum Letzten

Interessante Informationen über die blinde Injektion aus dem Jahre 2011, das “Big Dog Event”, gibt es hier im Living LIGO Blog und hier auf den LIGO-Webseiten; die zugehörigen Veröffentlichungen sind hier und hier.

Wenn es wie damals läuft, dann wird es auch bei der derzeit laufenden Signalauswertung bis zum Ende spannend bleiben. Denn die Übung läuft wie in Wirklichkeit ab, und das heißt: bis zum Kollaborationstreffen, in der die Ergebnisse aller Teilgruppen zusammengeführt werden und die Anwesenden anhand der Analysen entscheiden müssen, ob sie mit dem Signal an die Öffentlichkeit gehen wollen. War da etwas oder nicht?

Die Fachartikel, in denen über die Entdeckung berichtet wird, dürften im Laufe der Beratungen und Sitzungen ebenfalls so gut wie fertig geschrieben worden sein.

Aber dann kommt am Ende eben noch der verschlossene Briefumschlag, genauer: die Powerpoint-Präsentation auf dem USB-Stick, die verkündet, ob alles nur ein künstliches Signal war oder nicht. 2011 war es ein künstliches Signal. Wie es 2015 war, ist eben noch nicht bekannt.

Ein schöner Nebeneffekt: Wenn es ein echtes Signal ist, dürfte die Öffentlichkeit das allenfalls einige Stunden nach den beteiligten Wissenschaftlern erfahren. Denn zu jenem Zeitpunkt wird die Analyse ja bereits fertig sein – bis eben auf das letzte i-Tüpfelchen, das Ausschließen einer blinden Injektion.

Was schadet es?

Wie gesagt, ich verstehe diejenigen, die sich über die Gerüchte beschweren nicht so recht. Das Verfahren schließt aus, dass man den Forschern damit wirklich zuvor kommen kann. Wollte Lawrence Krauss sich damit etwas unverdiente öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen, obwohl er nicht an der betreffenden Forschung beteiligt ist? Wenn ja, dann ging das nur über die Medienberichte (denn der Aufmerksamkeit seiner eigenen Twitter-Follower dürfte er sich bereits sicher gewesen sein), darunter paradoxerweise denjenigen, die ihm Aufmerksamkeit verschaffen, indem sie ihn dafür verurteilen, auf diese Weise Aufmerksamkeit zu suchen.

Ein nicht ganz unbekanntes Muster, und letztlich auch nur dort möglich, wo die Medien nicht selbst offene Ohren in der Community haben. Denn, wie gesagt: Die Gerüchte laufen ganz unabhängig von Krauss schon länger um. Und wenn ich, der ich auch nicht Teil der Gravitationswellen-Community bin, davon etwas mitbekommen habe, dürften das unzählige andere Menschen auch haben.

Ist die Aufmerksamkeit gut oder schlecht? Solange die Unsicherheit ehrlich mitberichtet wird, würde ich denken: sie ist gut, und sollte der Wissenschaft ebenso wenig schaden wie Spekulationen darüber, wer in diesem Jahr einen Oscar gewinnen wird. Im Gegensatz zu anderen Kommentatoren finde ich es auch gar nicht schlecht, wenn Wissenschaft nicht nur dann an die Öffentlichkeit geht, wenn alles in trockenen Tüchern ist. Im Gegenteil: Wie kann man denn sonst ein Bewusstsein für die verschiedenen Stadien der Akzeptanz schaffen: Gerücht, eingereichter Fachartikel, veröffentlichter Fachartikel und, bei der derzeit üblichen Berichterstattung kurios üblich, ein Rückblick nach einigen Jahren, ob das entsprechende Ergebnis tatsächlich Nachwirkungen in dem betreffenden Forschungsgebiet hatte?

Aufschlussreiche Spekulationen

Und solange es keine aufdringlichen Grawarazzi gibt (etwas ungelenke Neuschöpfung), die den Forschern in nerviger Weise nachstellen, ist die Vorab-Aufmerksamkeit doch eigentlich etwas positives: ein schöner Anlass, um zu erzählen, worum es geht, was es mit den Blind-Injektionen auf sich hat, wie die Forscher bei der Signal-Analyse vorgehen und derlei Dinge mehr.

Und eine gute Vorbereitung auf die Gelegenheit, wenn es dann wirklich soweit ist und eine entsprechende offizielle Ankündigung kommt. Ein solcher Vorlauf dürfte die Rezeption der eigentlichen Meldung eher noch fördern. Zumal ja keine Verwechslungsgefahr zwischen offizieller Verlautbarung und “lediglich ein weiteres Gerücht!” besteht.

Die LIGO-Forscher reagieren jedenfalls, wie es aussieht, genau richtig: Geben keine Kommentare ja oder nein ab (wie denn auch, siehe oben), erklären das System der blinden Injektionen, und lassen sich (hoffe ich!) bei ihrer weiteren sorgfältigen Datenanalyse nicht beirren.

In diesem Sinne…

In diesem Sinne: frisch losspekuliert.

Dass da etwas analysiert wird, scheint ziemlich klar zu sein. Aber wie gesagt: Das System führt dazu, dass (so gut wie) niemand weiß, was da analysiert wird, ein künstliches Signal oder ein echtes.

Was kann man dazu sagen?

Als erstes muss man wissen, dass der letzte Run der beiden LIGO-Detektoren tatsächlich etwas besonders war. Der Run O1 vom 18.9.2015 bis zum 12.1.2016 war die erste Messkampagne, bei der die LIGO-Detektoren als “Advanced LIGO” gelaufen sind, und damit rund viermal so empfindlich wie vorher. Ein großer Teil des Zuwachses geht übrigens auf das Konto der Kollegen vom deutsch-britischen Detektor GEO600, insbesondere auch auf das von den Kollegen vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; mein altes Institut).

Insofern: Die Chancen, dass die LIGO-Detektoren tatsächlich etwas gesehen haben, standen noch nie so gut wie jetzt. Wobei das entsprechende Ereignis, um das es jetzt geht, freilich einige Tage vor dem Beginn von O1 aufgenommen wurde, beim vorangehenden Engineering Run, der die neu eingesetzte Technologie im Zusammenspiel testen wollte – aber natürlich gleich auch genutzt wurde, um Daten zu liefern.

Die konkreten Wahrscheinlichkeiten für einen Nachweis sind leider nicht so einfach abschätzbar. Das derzeit beste Paper, was entsprechende Zahlen liefert ist dieses hier von 2013 (mit Dank an Bernard Schutz für den Hinweis darauf). Das Problem bei den Ereignissen, die man nachweisen möchte, ist, dass man sie nicht voraussehen, sondern ihre Häufigkeit nur abschätzen kann. Die bestverstandenen Ereignisse, die Verschmelzungen von Schwarzem Loch und Schwarzem Loch, oder von Neutronenstern und Neutronenstern, oder von Neutronenstern und Schwarzem Loch, kann man nur nachweisen, wenn während des Beobachtungslaufes eben gerade in nicht allzu weiter Ferne solch eine Verschmelzung stattfindet.

Die entsprechenden Zahlen hängen davon ab, wieviele solcher Objekte es gibt und wie oft sie Doppelsysteme bilden. Die beste Datengrundlage dazu gibt es bei Doppelneutronensternen, von denen man (in Form sogenannter Pulsare) ja immerhin einige nachweisen konnte. Darauf konzentriert sich das erwähnte Paper und kommt für den dreimonatigen Beobachtungslauf von 2015 auf einen Erwartungswert von 0,0004 bis 3 Ereignissen. Je nachdem, ob die optimistischen oder pessimistischen Schätzungen die richtigen sind.

Auch das hilft also leider nicht wirklich weiter bei der Frage: War da was?

Psychologische Überlegungen sind weitgehend nutzlos. Wo es um Täuschung geht – wenn auch in lauterer Absicht – lässt sich alles von zwei Seiten betrachten. Dass die Zuständigen in den Beobachtungs-Run ein Testsignal eingeflochten hätten, wäre wahrscheinlich. Allerdings stammt der Signal-Kandidat ja gerade nicht von dort, sondern aus dem vorangehenden Engineering Run. Spricht das für ein wirkliches Ereignis? Oder waren die Testsignal-Geber besonders schlau? Oder wollten zwar ein realistisches Testsignal liefern, aber den eigentlichen Beobachtungs-Run nicht stören? Alle Interpretationen sind möglich.

Teil der Gerüchte ist die Aussage, dass das Signal unerwartete Eigenschaften habe. Von einem Testsignal hätte man vielleicht erwartet, dass es eine bekannte Signalform nachbilde, um die Auswertung mithilfe der Modelle bis zum letzten Schritt durchspielen zu können. Aber vielleicht sollte ja auch getestet werden, wie die Forscher auf unerwartete Signale reagieren – und nach welchen Kriterien das Signal dann bewertet wird.

Nein, man kann mit solchen Spekulationen nicht wirklich weiterkommen. Aber ein schöner Anlass, die verschiedenen Aspekte des Gravitationswellennachweises Revue passieren zu lassen, sind sie allemal.

Bleibt also, abzuwarten. Bis wann? Da sind wir natürlich wieder beim Spekulieren. In einigen Artikeln zu den Gerüchten Mitte Januar (z.B. hier in der ZEIT) ist von einer Pressemitteilung am 11. Februar die Rede, also in etwas über einer Woche. Andererseits dürften sich eine Reihe der zentralen Akteure gerade dieser Tage treffen, nämlich heute und morgen, bei einem Workshop zur nächsten Generation von Gravitationswellendetektor in Florenz. Ob die da vielleicht…? Oder doch erst beim großen Treffen des LIGO Science Consortium und der VIRGO-Kollegen vom 14. bis 18. März in Pasadena?

Immerhin die Auflösung der jetzigen Gerüchte sollten wir jedenfalls in nicht allzu ferner Zukunft erfahren. Und ob es dann schon die große Pressekonferenz samt Nachweis-Verkündung gibt, auch. Es bleibt spannend, und das ist ja in der Wissenschaft das Schlechteste nicht.

UPDATE (8.2., 22 Uhr): Datum und Zeit der Pressekonferenz sind jetzt offiziell: Donnerstag 11. Februar, 10:30 Uhr EST

 

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

5 Kommentare

  1. Lawrence Krauss Meldungen über LIGO-Ereignisse hat auch bei einigen Wissenschaftlern und Bloggern Reaktionen ausgelöst wie etwa der Artikel LIGO rumors reflect genuine, healthy excitement zeigt.

    Lawrence Krauss äusserte sich in letzter Zeit auch kontrovers zum Thema Wissenschaft und Glaube, etwa im Artikel All Scientists Should Be Militant Atheists. Überhaupt scheint er die Kontroverse und die damit verbundene Aufmerksamkeit zu geniessen. So hat er auch ein Anti-String-Buch geschrieben. Mit Büchern und Artikeln hat er sich mehrmals schon erfolgreich an die Öffenltichkeit gewendet (Bestseller) und wird von Scientific American als “public intellectual” bezeichnet, ein Prädikat, das bis jetzt nur wenige Physiker erhielten.

  2. Markus Pössel schrieb (2. Februar 2016):
    > […] von der Möglichkeit, einen der Spiegel der LIGO-Detektoren mit einem kleinen Aktuator so zu bewegen, als ob eine Gravitationswelle durch den Detektor gelaufen und dabei Raum und Zeit verzerrt hatte.

    Das macht ja den Eindruck, als ließe sich mit der LIGO-Messmethodik an sich gar nicht unterscheiden, ob sich in einem betrachteten Versuch/Run/Dataset die Krümmung aller Spiegel insgesamt gegenüber einander geändert hatte (ggf. sogar mit bestimmbarer Periodizität),
    oder ob („nur“) der eine oder andere Spiegel gegenüber den restlichen gewackelt hatte (ggf. sogar mit bestimmbarer Periodizität).

    Vielleicht ist es ja nur ein Gerücht, dass das die Signale (von charakteristisch-erwartbarer Amplitudenentwicklung und ggf. sogar Periodizität), deren Empfang LIGO eventuell als Entdeckung bekanntgeben würde, rein und ausschließlich ein Maß der „Gravitationswellen“(-Amplitude) hätten sein sollen, die dabei durch den Detektor gelaufen sind.

    • Paper sind auf alle Fälle im Umlauf. Wenn es wirklich das übliche Nature-Timing mit Sperrfrist ist, dann wäre die Information dann ja auch bald bei den Journalisten. Bald wissen wir’s, one way or the other.