Karriereberatung vom Nobelpreisträger: Brian Schmidt in Heidelberg

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… aber nicht einfacher
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altHeute hatten wir im Haus der Astronomie eine eher ungewöhnliche Veranstaltung. Organisiert von Norbert Christlieb von der Landessternwarte und mit Unterstützung der International Max Planck Research School (Uni Heidelberg und Max-Planck-Institut für Astronomie) war Brian Schmidt gekommen, einer der Nobelpreisträger für Physik 2011. Schmidt erzählte vor einem Publikum von Astronomie-Studenten – überwiegend Doktoranden – von seinem Werdegang und beantwortete Fragen zum Thema wissenschaftliche Karriere: “How to win a Nobel Prize (or to be a happy astronomer even if you don’t)”.

Man ist ja versucht, bei solch einer Gelegenheit gleich einen Selektionseffekt zu wittern. Da steht jemand, bei dem es offenbar geklappt hat. Aber braucht man, um wirklich herauszufinden, welche Vorgehensweise der Karriere förderlich ist, nicht auch die Daten von denjenigen, bei denen es nicht geklappt hat? Andererseits: Bei Schmidt war es ja nun gerade nicht so, dass alles am Schnürchen gelaufen wäre. Ein gutes halbes Jahr, bevor er die später nobelpreisgekrönten Ergebnisse vorliegen hatte, war er drauf und dran, die Wissenschaft zu verlassen. Nur weil die drei Kollegen, die vor ihm auf der Wunschkandidatenliste für die Stelle standen, auf die er sich beworben hatte, sämtlich absagten, blieb Schmidt in der Forschung. (Ich hatte über Schmidts Werdegang und seine Balance zwischen Arbeit und Familie ja letzten Sommer hier bereits etwas geschrieben.)

Kein Wunder, dass eine seiner Botschaften lautet: wie es mit der Karriere geht, ist in vieler Hinsicht Glückssache, abhängig von Faktoren, auf die man keinen Einfluss hat. Darüber solle man sich aber nicht grämen, sondern die Dinge nehmen, wie sie kämen. Und wenn das bedeutet, nicht in der Wissenschaft zu landen, sei das auch nicht schlimm. Es gäbe auch außerhalb der Wissenschaft gute und interessante Jobs. Sobald man in einem Job ein gewisses Maß an kreativer Kontrolle über das habe, was man tue, ließe sich daraus etwas Gutes machen. Er jedenfalls hätte es auch nicht schlimm gefunden, die Astronomie zu verlassen. Und die Fertigkeiten, die man als Astronome erwerbe – nicht so sehr die Spezifika als Flexibilität, die Fertigkeit, sich in neue Gebiete einzuarbeiten, der Umgang mit großen und komplexen Datensätzen – wären auch anderswo gefragt. Oder, wie Schmidt es formulierte: von den Astronomen, mit denen er zusammen studiert habe, seien zwar einige tot, aber niemand arbeitslos.

Schmidts Rat dafür, wie man an seine Forschung herangehen solle, entspricht dem einer ganzen Reihe anderer Spitzenforscher (vom letzten Lindauer Nobelpreisträgertreffen erinnere ich das z.B. von Dan Shechtman): Man solle sich ein Thema suchen, das man spannend fände und für das man eine Leidenschaft entwickeln könne (“be passionate about”) – und dann mit ganzem Enthusiasmus volle Kraft voraus! So sei ihm das jedenfalls gegangen, als ihm klar geworden war, dass man mithilfe der Helligkeit von Supernova-Explosionen vom Typ Ia die Abbremsung (oder, wie sich dann eben überraschend herausstellte, die Beschleunigung) der kosmischen Expansion herausfinden könne. Er habe alles andere fallengelassen und sich nur noch auf dieses Thema konzentriert.

Auf die Zwischenfrage, was denn sei, wenn man sich irre und auf das falsche Pferd setze, meinte Schmidt nur, dass man sich nicht irren könne. Nicht in Bezug auf die wissenschaftliche Frage – da kann man selbstverständlich in eine Sackgasse laufen. Aber sich in ein Thema zu werfen, das einen interessiere, sei nie ein Fehler. Auch wenn man darauf keine Wissenschaftlerkarriere bauen könne, denn, siehe oben: Auch außerhalb der Wissenschaft gäbe es interessante Jobs.

Nach einigen spezifischeren Fragen zum Vorgehen bei Bewerbungen (sinngemäß “ein CV kann die Bewerbung vermasseln, aber nie der entscheidende Faktor für den Erfolg sein; Vorschläge für zukünftige Forschungsprojekte können das Rennen zwischen den Bewerbern der Spitzengruppe entscheiden, aber niemanden in die Spitzengruppe bringen” u.ä.) und zur Organisation von Forscherteams (“gleich am Anfang festlegen, wer was macht, auswertet, aufschreibt – nicht erst, wenn es aufregende Ergebnisse gibt”) kam dann noch einmal die Aussage vor, wie wichtig es sei, sich mit Enthusiasmus einem bestimmten Thema zu widmen. Daraufhin fragte ich Brian Schmidt, wie er denn dazu stehe, wenn sich Studenten für die wissenschaftliche Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, also beim Outreach engagierten – das würde schließlich auch Zeit in Anspruch nehmen, der dann für die Forschung fehle. (Wir hatten eine Variante des Themas in den SciLogs ja letztes Frühjahr im Bloggewitter Bloggen und Karriere – unvereinbar?)

Die Antwort fand ich gut durchdacht und sehr positiv: Schmidt hat argumentiert, dass die “quality time”, also etwa die “Qualitätszeit” pro Woche sowieso limitiert sei. Es gebe da zwar so eine akademische Macho-Kultur, wer jetzt am längsten arbeite, aber seiner Erfahrung nach würde jemand, der 80 Stunden pro Woche vor dem Computer sitze, dabei typischerweise auch nicht mehr leisten als jemand, bei dem es 60 Stunden wären. Die Zeit, in der man effektiv arbeiten würde, läge wohl so bei 40 bis 60 Stunden; bei ihm selbst sei nach etwa 55 Stunden Schluss.

Deswegen sei zum einen Abschalten wichtig – er selbst würde am Wochenende schon lange keine E-Mails mehr lesen, und seine besten Ideen kämen ihm in der Dusche und in seinem Weinberg. Aber auch alles, was einem nach konzentriertem Arbeiten eine etwas andere Perspektive auf die eigene Forschung gebe, sei eine wichtige Zutat. Er selbst habe immer Outreach gemacht – und nicht zuletzt auch als Postdoc Lehre gemacht, was ihn zeitlich manchmal fast an den Rand der Verzweiflung gebracht habe. Es sei auch hier eine Frage der Balance – klar, man könne als Doktorand nicht 50% seiner Zeit mit Outreach verbringen, es sei denn, man wolle das Teil seiner Doktorarbeit machen. Aber so etwa 5% seien OK – und das seien ja immerhin mehrere Stunden!

Außerdem lerne man beim Outreach eben, seine Wissenschaft anderen zu vermitteln – und Kommunikation sei nun einmal ein wichtiger Bestandteil der Wissenschaft. Nicht zuletzt bei der Teamarbeit; er selbst könne sich für sein eigenes Team eigentlich keinen Fall vorstellen, in dem er einem Forscher, der nur abgeschieden im stillen Kämmerlein arbeiten könne, einen Job anbieten würde.

So etwas höre ich natürlich sehr gerne. Ich bin (wie viele andere) der festen Überzeugung, dass die forschenden Wissenschaftler eine Schlüsselrolle spielen, wenn es darum geht, Forschungsthemen in die Öffentlichkeit, aber z.B. auch in die Schulen zu tragen. Die Argumente dafür, dass sich das mit einer wissenschaftlichen Karriere nicht beißt, so schön zusammengefasst zu hören, tut gut.

Und dann war die Stunde mit Brian Schmidt auch schon wieder vorbei – obwohl sich draußen, beim Essen, mit den Studenten offenbar noch eine Reihe interessanter Gespräche in kleinerem Kreise abgespielt haben:

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

5 Kommentare

  1. Arbeitszeit des Ordinärpreisträgers

    Wenn er sich immer nur auf seine Arbeit konzentrieren würde, könnte er sicher auch nur 30 Stunden effektiv arbeiten, der Rest geht einfach mal drauf für wichtige menschliche Bedürfnisse und Lapalien, die aber auch wichtig sind. Etwa so, wie das sprichwörtliche Salz in der Suppe. Also Leute dranbleiben, den Ball flach halten und dann mit viel Einsatz an der Materie arbeiten. Diese Formel ist ja auch nicht neu, aber man hört sie doch immer wieder auch von weniger erfolgreichen Mitmenschen. Diese haben keinen Nobelpreis erlangt. Aber das schöne ist doch eigentlich an so einem Preis, dass man ihn nicht herumtragen muss wie etwa einen Pokal, denn jeder weiß DU bist es 😉

  2. Schlüssel zum Erfolg?

    Erstmal möchte ich mich für den tollen Artikel bedanken.

    Ich befasse mich gerne mit Menschen die, ich sage mal, mehr Erfolg haben als andere Menschen und mehrere Faktoren sind immer wieder auffallend gleich:

    -Das positive Denken

    -Durchhaltevermögen

    -Effektives Arbeiten

    Der letzte Punkt wird im Internetzeitalter, in dem man gerne mal von lustigen Videos, Fotos oder spannenden, aber Informationswertlosen Artikeln, abgelenkt wird, immer schwieriger!

    LG
    Andre

  3. Stilles Kämmerlein

    Interessanter Artikel, gute Antworten von Brian Schmidt, nur eine Aussage sehe ich etwas kritisch:

    “keinen Fall vorstellen, in dem er einem Forscher, der nur abgeschieden im stillen Kämmerlein arbeiten könne”

    Im Allgemeinen ist das sicher richtig, aber gibt es nicht Forscher die gute Arbeit abliefern, auch wenn sie weitgehend im stillen Kämmerlein gearbeitet haben, z.B. Perelman?

    Schmidts Gleichsetzung von “teamfähig sein” = “gut” zu “stilles kämmerlein” = “schlecht” sehe ich, auf den Einzelfall bezogen, eher skeptisch.

  4. @Stephan Goldammer

    Da geht, glaube ich, irgendetwas durcheinander. Schmidt hat nicht “‘teamfähig sein’ = ‘gut’ zu ‘stilles kämmerlein’ = ‘schlecht'” gesagt, sondern betont, wie wichtig Kommunikationsfähigkeit für die Teamarbeit ist. Und dass er jemanden, der nicht kommunizieren könne, nicht in sein Team holen würde.

    Das lässt sich sicher auf viele andere Forschungspositionen verallgemeinern, aber natürlich nicht auf alle – insbesondere in Bereichen (theoretische Physik, Mathematik, geeignete Teilgebiete anderer Fächer…) wo es möglich ist, fruchtbar als Einzelkämpfer zu arbeiten.

  5. @Markus Pössel

    Sie haben recht, ich bin mit meiner Gleichsetzung wohl etwas übers Ziel hinausgeschossen, aber Aussagen die in die Richtung “Wer nicht gut reden kann fliegt raus.” tendieren, stören mich halt ein wenig.

    Wissenschaftler die nicht gut reden/kommunizieren können (nicht, nicht wollen!) haben leider keine Lobby.

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