Beobachtungsnacht mit einem 10-Meter-Teleskop

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… aber nicht einfacher
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Donnerstag nacht hatten wir hier auf der Südafrikanischen Nationalsternwarte (South African Astronomical Observatory, SAAO) die Möglichkeit, bei astronomischen Beobachtungen mit dem Southern African Large Telescope (SALT) dabei zu sein und der diensthabenden Astronomin und dem Teleskoptechniker bei ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen. Für mich war es das erste Mal, dass ich bei professionellen astronomischen Beobachtungen dabei sein konnte — ich selbst komme ja aus der theoretischen Ecke — und damit eine äußerst spannende Erfahrung.

Konkreter: “Wir” sind in diesem Falle der Lehrer Olaf Hofschulz vom Einstein-Gymnasium Neuenhagen (in der Nähe von Berlin), seine zwei Schüler Christoph und Pascal, und ich. Dass wir hier in Südafrika sind, ist Teil eines Austauschprojekts im Deutsch-Südafrikanischen Jahr der Wissenschaft, das Cecilia Scorza vom Haus der Astronomie organisiert hat (vgl. hier). Seit Mittwoch vor einer Woche sind wir in Sutherland, dem Beobachtungsstandort des SAAO, in der Karoo-Halbwüste, rund 4 Autostunden von Kapstadt entfernt.

Welcome to Sutherland!

Sutherland selbst ist ein kleines Städtchen mit um die 2000 Einwohnern, einer Grund- und einer weiterführenden Schule, zwei Supermärkten, einem kleinen Hospital, dessen Arzt allerdings von außerhalb anreist und das deswegen nur an einigen Tagen geöffnet hat, und einer ganzen Reihe von Gästehäusern, viele davon mit astronomischen Namen. Tourismus dürfte denn auch der wichtigste Wirtschaftsfaktor sein — jedes Jahr kommen mehr als 10.000 Besucher, um das SAAO zu besuchen und/oder in einer der umliegenden Farmen selbst mit Kleinteleskopen zu beobachten. Denn eines hat Sutherland in der Tat: einen wunderschönen Sternenhimmel, dunkel und klar. Als Beispiel: Das folgende Bild zeigt unsere Beobachtungen vom Hinterhof des Hotels aus. So eine schöne Milchstraße gibt es von Deutschland aus einfach nicht, und mit den beiden Magellanschen Wolken (oben die große, am unteren Bildrand die kleine) sieht man außer unserer eigenen auch gleich noch zwei andere Galaxien:

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Aufgrund der exzellenten Beobachtungsbedingungen hatten sich die südafrikanischen Forschungsbehörden, damals noch in Abstimmung mit ihrem britischen Gegenstück, 1970 darauf geeinigt, die verschiedenen Observatorien des Landes — Pretoria, Bloemfontein, Kapstadt, Transvaal — in Sutherland zusammenzufassen. Genauer: Sutherland würde der Beobachtungsstandort werden; das Hauptquartier des neuen South African Astronomical Observatory käme nach Kapstadt (vgl. auch meinen älteren Artikel Astronomie in Südafrika).

altEntsprechend wurden eine Reihe Teleskope von anderen Standorten nach Sutherland verpflanzt. Ein Beispiel ist das 1,9-Meter-Teleskop, das ursprünglich am Radcliffe-Observatorium in Pretoria stand — dem Schwesterobservatorium des Radcliffe-Observatoriums an der Universität Oxford. Es ist rechts auf dem Bild zu sehen.

Wer sich auskennt, kann sehen, dass die Montierung dieses Teleskops etwas schief angebracht ist. Die Montierung wurde für den Standort Pretoria gebaut. Sutherland liegt auf einer anderen geographischen Breite, und die Teleskopachse, deren Bewegung die Erdrehung ausgleichen soll, muss daher in einem etwas anderen Winkel gelagert sein.

Neben den älteren Exemplaren gibt es aber in Sutherland noch ein vergleichsweise neues Teleskop. Eines, mit dem Südafrika ganz oben in der Liga der Observatorien mitspielen will:

Das Southern Africa Large Telescope (SALT)

Spitzenteleskope definieren sich weitgehend über ihre Größe. Je größer ein Teleskop, desto lichtschwächere Objekte lassen sich damit erforschen. Außerdem bestimmt die Größe die kleinsten Details, die sich bei einem gegebenem Objekt erkennen lassen: Je größer der Teleskopdurchmesser, umso größer die Detailschärfe.

Mit der Größe steigt freilich auch der Preis. Rund 100 Millionen Dollar hat 1992 das erste der Keck-Teleskope gekostet; rund 80 Millionen Euro bekommt man heraus, wenn man die Gesamtkosten des VLT der Europäischen Südsternwarte mit seinen vier 8-Meter-Teleskopen durch vier teilt (und ja, ich weiß, beim Gesamtpreis sind dort noch kleinere Teleskope und Kosten für das VLT-Interferometer dabei). Geld in dieser Größenordnung kostet es, um eines der typischen Arbeitspferde der modernen Astronomie zu bauen.

Wer preiswerter gute Astronomie betreiben will, muss Abstriche machen und Kompromisse eingehen. Genau das hat Südafrika mit dem SALT getan. Vorbild für das Design des Teleskops war das Hobby-Eberly-Telescope (HET) in Texas (das Lesern dieses Blogs bereits bei Remco findet ein Schwarzes Loch begegnet ist). Herkömmliche Teleskope lassen sich an jeden beliebigen Punkt des aktuell sichtbaren Himmels richten. Da astronomische Aufnahmen typischerweise recht lange belichtet werden, werden solche Teleskope nachgeführt: Sie bewegen sich so mit der scheinbaren Bewegung der am Himmel befindlichen Objekte mit, dass sie ein Zielobjekt über längere Zeiten – bis hin zu Stunden – präzise anpeilen können. Das erfordert aufwändige und teure Mechanik. 8-Meter-Spiegel samt Halterung, wie sie bei heutigen Großteleskopen üblich sind, bringen ein gehöriges Gewicht auf die Waage, und ein solches Gewicht muss beim Nachführen hoch präzise manipuliert werden.

HET und SALT vermeiden das Problem präziser Teleskopbewegungen. Die Neigung dieser Teleskope zur Horizontalen ist fest eingestellt — das eliminiert einen Teil der Mechanik, heißt aber natürlich auch, dass das Teleskop nur einen begrenzten Himmelsbereich beobachten kann. Bei SALT ist das Teleskop um 53 Grad gegen die Waagerechte geneigt. Der Winkel ist so gewählt, dass die Magellanschen Wolken, die oben kurz erwähnten nahen Nachbargalaxien und damit mit die interessantesten von Sutherland aus sichtbaren Objekte, in den möglichen Beobachtungsbereich fallen.

Das Teleskop ist außerdem nicht präzise kontinuierlich um die senkrechte Achse drehbar — stattdessen wird es, wenn es auf ein bestimmtes Himmelsobjekt zielen soll, mithilfe von Luftkissen angehoben, dann gedreht und wieder abgesetzt.

Hier ist ein Versuch, das Teleskop fotografisch einzufangen — selbst mit dem 11-mm-Weitwinkelobjektiv (freilich ohne Vollformatkamera dahinter) und schräg passt es allerdings nur sehr knapp auf das Bild:

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Unten rechts ist der Hauptspiegel zu sehen. Schräg nach links oben erstreckt sich dann der Tubus aus diversen Rohren. Ganz oben links kann man das Stahl-Sechseck sehen, welches das Teleskop nach oben abschließt. Die daran angebrachte schwarze Struktur, der Tracker, wird jetzt gleich wichtig, nämlich im Zusammenhang mit der folgenden Frage: Wie kann solch ein Teleskop überhaupt Himmelsobjekte längere Zeit verfolgen?

Eine Möglichkeit, mit einem Spiegelteleskop Beobachungen vorzunehmen, besteht darin, direkt über dem Hauptspiegel ein Instrument (z.B. eine astronomische Kamera) anzubringen. Der Hauptspiegel bündelt das Licht genau in diesem Instrument (man sagt, das Instrument befinde sich “im Primärfokus”). Wandert ein Objekt am Himmel, dann lässt sich dies in einer solchen Situation begrenzt ausgleichen, ohne dass man den Hauptspiegel bewegen müsste. Man verschiebt stattdessen das über dem Hauptspiegel befindliche Instrument in geeigneter Weise.

Das ist das Grundrezept von HET und SALT: Das Teleskop selbst bleibt während jeder einzelnen Beobachtung unbewegt. Stattdessen sind die Instrumente auf einer Art beweglichem Schlitten 13 Meter über dem Hauptspiegel angebracht, dem Tracker der sich um einige Meter in alle Richtungen bewegen parallel zum Hauptspiegel bewegen kann. Diese Bewegungen erledigen die Nachführung. (Auf die gleiche Weise funktioniert das Anpeilen übrigens auch bei dem berühmten Radioteleskop von Arecibo, dessen Radioschüssel, entsprechend dem Hauptspiegel, fest in einen Talkessel eingebaut ist.)

Auf dem folgenden Bild ist der Tracker gut zu sehen:

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Unsere Reisegruppe, links im Bild, ermöglicht einen ungefähren Größenvergleich. Die hellere Fläche im Hintergrund oben ist die Öffnung, durch die das Teleskop nachts den Himmel beobachten kann — jetzt, tagsüber, ist sie freilich geschlossen. Direkt vor der Öffnung ist wieder die sechseckige Struktur zu sehen, die das Teleskop nach oben hin abschließt. Den im Bild oberen und unteren waagerechten Balken dieses Sechsecks verbindet so etwas wie eine schwarze Brücke. Die kann nach links und rechts bewegt werden und ist bereits Teil des Trackers. Die rundliche Struktur auf der Brücke kann sich nach oben und unten bewegen; in dieser Struktur sind die Instrumente installiert.

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Bereits die auf diese Weise deutlich einfachere Mechanik spart erhebliche Kosten. Allerdings sind große Spiegel auch für sich genommen bereits ein beachtlicher Kostentreiber — selbst dann, wenn man sie nicht präzise bewegen muss. Hier greifen HET und SALT auf baugleiche Spiegelsegmente zurück, jedes davon ein 1 Meter großes Sechseck. 91 davon bilden den segmentierten Hauptspiegel mit den Maßen 11 mal 9,8 Metern. Einige davon sind rechts zu sehen; darin spiegelt sich eine Strebe des Teleskoptubus.

Solch ein Spiegel hat zwar merklich schlechtere Abbildungseigenschaften als ein großer Einzelspiegel, der hochpräzise geformt und geschliffen wurde. Aber es gibt eine Beobachtungsart, bei der sich die große Spiegelfläche sehr positiv bemerkbar macht und die schlechteren Abbildungseigenschaften so gut wie gar nicht stören: Spektroskopie nämlich, also das Verfahren, bei dem das Licht eines astronomischen Objekts in eine Vielzahl von Farben und Unterfarben zerlegt wird. Diese Zerlegung bedeutet, dass man gerade bei lichtschwachen Objekten gehörig viel Licht sammeln muss, um akzeptable Ergebnisse zu erhalten. Man teilt das Licht schließlich in eine Vielzahl von Unterfarben, und bei jeder dieser Unterfarben sollte tunlichst noch genügend Licht vorhanden sein, um es sich mit einem Detektor nachweisen zu können.

Eine mechanisch einfache Montierung, ein großer, durch die Segmentbauweise aber trotzdem noch erschwinglicher Spiegel und ein Schwerpunkt auf der Spektroskopie: Das ist das Rezept von HET und SALT. Auf diese Weise hat sich Südafrika für die vergleichsweise bescheidene Summe von rund 15 Millionen Euro ein modernes Großteleskop gebaut – Baubeginn war das Jahr 2000; der Testbetrieb begann 2005; die letzten Macken waren 2011 ausgebügelt. Außer Südafrika sind noch Deutschland (Universität Göttingen), Großbritannien, Neuseeland, Polen und die USA an SALT beteiligt.

Zu diesem Teleskop sind wir heute abend gefahren; hier der Anblick von Kuppel und Kalibrationsturm in der Abenddämmerung, der sich uns bei unserer Ankunft bot:

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Im Kontrollraum

Um den Beobachtungsbetrieb mitzuerleben, finden wir uns im Kontrollraum von SALT ein — von hier aus finden die Beobachtungen statt; das Teleskop selbst bekommt die diensthabende Astronomin, in unserem Falle Amanda Gulbis, während ihrer Arbeit gar nicht unbedingt zu Gesicht. Im Vergleich mit dem Inneren der Kuppel sieht der Kontrollraum eher unspektakulär aus: wie eine Art Büro mit Tischen und Bildschirmen, wenn auch etwas mehr von letzteren als an astronomischen Büroarbeitsplätzen üblich.

Amanda sitzt am Tisch vorne, der Teleskoptechniker Siphelo Ngxanga im Bild hinten. Links neben Siphelo steht noch Anthony Mietas, der uns während unseres SAAO-Aufenthalts betreut, außerdem steht dort noch Olaf Hofschulz und sitzen dort noch Pascal und Christoph, die zuschauen, was dort passiert:

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Sowohl Siphelo und Amanda haben auf geeigneten Monitoren alle wichtigen Parameter des Teleskops im Blick. Hier ist ein Bild von Amandas Übersichtsmonitor:

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Links oben angefangen zeigt der Monitor zunächst die Position des Zielpunkts am Himmel, und zwar im häufigsten astronomischen Koordinatensystem, über zwei Winkel am Himmel: Rektaszension (RA) und Deklination (Dec). Darunter folgen der Positionswinkel der, wenn ich richtig verstanden habe, die Ausrichtung der (drehbaren) Instrumentenplattform auf dem Tracker angibt, und die lokale Sternzeit (LST), ein Maß dafür, wieweit sich die Himmelskugel vom Beobachtungsstandort gedreht hat und welche Objekte z.B. jetzt gerade im Zenith stehen.

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Wie schon erwähnt, verfolgt SALT seine Zielobjekte, indem der Tracker am oberen Teleskopende geeignet verschoben wird. Damit kann man das Objekt allerdings nur begrenzte Zeit verfolgen; “Track” zeigt daher an, wielange eine Nachführung noch möglich ist. “Exposure” ist die Belichtungszeit. Darunter folgt eine Grafik, die ich rechts etwas größer wiedergegeben habe. Auf der schematischen Darstellung des Hauptspiegels mit all seinen Segmenten ist dabei ein blauer Kreisbogen zu sehen. Wenn der Tracker nicht genau in der Mitte steht, fängt er nur von einem Teilbereich des Hauptspiegels Licht auf. Dieser Teilbereich ist mit dem blauen Kreis markiert.

In der mittleren Spalte ist schließlich eine Schemadarstellung des Teleskops zu sehen. Darunter wird angezeigt, in welche Himmelsrichtung das Teleskop und die Kuppelöffnung derzeit ausgerichtet sind. Darunter wiederum stehen verschiedene Fehlermeldungen.

Ebenfalls wichtig sind die Umweltbedingungen. Die liefert ein weiterer Übersichtsmonitor, nämlich dieser hier:

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Links oben werden Windrichtung und -geschwindigkeit angezeigt – wieweit der rote Punkt vom Mittelpunkt weg ist, zeigt die Geschwindigkeit, die Lage des Punktes außerdem die Richtung. Überschreitet die Windgeschwindigkeit einen bestimmten Grenzwert (entspricht dem eingezeichneten Kreis), dann muss die Kuppel geschlossen werden und es sind keine weiteren Beobachtungen möglich.

Rechts daneben sind Temperatur und Taupunkt angezeigt. Dass die Temperatur in 2 Meter Höhe und die in 30 Meter Höhe soweit auseinanderlagen, würde sich im Laufe der Nacht noch als Problem erweisen. Der Taupunkt ist wichtig, um beurteilen zu können, ob sich Wasser auf dem Teleskopspiegel niederschlagen könnte. Ganz rechts werden noch Luftfeuchtigkeit und Luftdruck angezeigt.

Unten links sind diverse Warnlampen, die aber alle auf grün oder gelb stehen. Unten mittig sieht man das Bild einer Fischaugenkamera, die den Himmel über Sutherland zeigt. Daran lässt sich sehen, ob gerade Wolken vorbeiziehen; der helle Kreis ist der Mond, der diese Nacht etwas größer als halb zu sehen war. Rechts unten noch ein ganz wichtiges Fenster, nämlich das des “Seeing-Monitor”, der zeigt, wie gut die aktuellen astronomischen Beobachtungsbedingungen sind, sprich: wie ruhig oder unruhig die Atmosphäre ist. Angegeben ist der Abstand von Details am Himmel, die sich unter den herrschenden Bedingungen gerade noch auseinanderhalten lassen. Ein Wert von 0,79 Bogensekunden, wie angezeigt, ist dabei sehr gut. In Heidelberg freuen wir uns schon, wenn es in einer guten Nacht rund 2 Bogensekunden sind.

Vorbereitungen auf die Nacht

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Als wir ankommen, ist Siphelo schon seit etwa einer Stunde dabei, das Teleskop für die Nacht in Betrieb zu übernehmen und die diversen Untersysteme zu überprüfen. Als einer seiner ersten Schritte hat er die vielen Lüftungsöffnungen im Kuppelgebäude geöffnet, von denen einige im Bild rechts zu sehen sind. Tagsüber heizt sich das Kuppelinnere auf; würde diese heiße Luft während der Nacht aus der Beobachtungsöffnung entweichen, würde das Teleskop vor lauter Luftflimmern gar kein richtiges Bild hinbekommen. Deswegen bekommt das Kuppelinnere jetzt gehörig Zeit, seine Temperatur der Außentemperatur anzupassen.

Während die Dämmerung in Nacht übergeht, wird das Teleskop dann das erste Mal kalibriert. Dazu wird es so gestellt, dass es direkt auf die Spitze des neben dem Gebäude stehenden Turmes zielt. Dort befindet sich direkt im Mittelpunkt der gedachten Kugelfläche mit Radius 26 Metern, von welcher der Spiegel einen Ausschnitt nachbilden soll, ein Wellenfrontsensor, vereinfacht: Ein Sensor, den man nutzen kann, um die Spiegelsegmente genau so auszurichten, dass die Lichtsammelfläche möglichst genau die gewünschte sphärische Form bekommt.

altIm Bild rechts ist diese Situation aus dem Kuppelinneren heraus zu sehen. Durch die Kuppelöffnung sieht man im Hintergrund den Himmel, direkt davor den Kalibrationsturm. Davor wiederum zeichnet sich als Schatten die Struktur des Teleskops ab. Unten im Bild sieht man die erwähnten Lüftungsöffnungen.

Erste Beobachtungen

Ab etwa 20 Uhr nimmt Amanda die ersten Beobachtungen vor: die Spektren einiger sogenannter Standardsterne. Diese Spektren sind sehr genau bekannt, und sie dienen hier Kalibrationszwecken: Gestern hat Amanda einige Spektren astronomischer Objekte beobachtet; die Beobachtungen der gut bekannten Standardsterne heute liefern Vergleichsmaterial, an dem sich feststellen lässt, wie gut der Spektrograf arbeitet, und mit dessen Hilfe sich die gestrigen Spektren kalibrieren lassen.

Die Beobachtungen laufen vom Grundprinzip immer gleich ab: Amanda hat den Standardstern auf ihrem Monitor in eine Zielliste eingetragen; den jeweils letzten Eintrag schickt sie an Siphelo, der das Teleskop dann auf das neue Ziel richtet. Vom Kontrollraum aus hört man dann in der Ferne ein Geräusch, das klingt, als würde da jemand eine Luftmatratze aufblasen. Das sind die Luftkissen, die das Teleskop anheben. Dann rumpelt es, während Teleskop und Kuppel sich Richtung Zielobjekt drehen.

Einmal durften wir diesen Vorgang im Inneren des Kuppelgebäudes erleben – auf einer Galerie, welche die Kuppel in rund 20 Meter Höhe innen umrundet. Das war eine sehr eindringlichere Erfahrung: die sich drehende Kuppel direkt hinter uns, das sich mitdrehende Teleskop vor uns, der Lärm, und vor allem das beachtliche Tempo mit dem sich diese riesigen Strukturen bewegen.

Das Ziel liegt am Ende des Ausrichtens zwar bereits ungefähr, aber noch nicht ganz in der Mitte des Teleskopbildes. Auf ihrem rechten Bildschirm kann Amanda auf einem Kamerabild nachkorrigieren, welches Objekt genau in der Mitte liegt. Sie wählt außerdem noch einen vergleichsweise hellen Stern aus, der als Referenz verwendet wird, um das Teleskop scharfzustellen und anschließend genau nachzuführen.

Das nächste Bild zeigt, was Amanda dann sieht:

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Der Monitor zeigt einen runden Bildausschnitt mit Sternen, abgebildet durch drei CCD-Chips (die senkrechten schwarzen Balken sind die Zwischenräume zwischen den Chips). Der grüne Strich im mittleren Bild stellt den Spalt des Robert-Stobie-Spektrografen dar, des Hauptinstruments an SALT, mit dem Amanda beobachtet; Licht, das durch diesen Spalt fällt, wird in seine Unterfarben zerlegt und untersucht. Die blaue Kontur im mittleren CCD-Feld oben ist die Position der Nachführungskamera. Den Stern in der Mitte am unteren linken Ende der Kontur hat Amanda als Referenzstern ausgesucht.

altWenn das Teleskop sehr unscharf eingestellt wird, kann man übrigens — wie bei kleineren Teleskopen ja auch — die Spiegelform des Teleskops sehen. Jeder Stern sieht dann so aus wie in dem Bild rechts: Man erkennt deutlich eine Reihe der Spiegelsegmente und den Schatten des Instrumentenschlittens, der ins Blickfeld ragt. Dass nur ein Teil der Spiegel zu sehen ist — nach rechts durch einen Halbkreis begrenzt — liegt wiederum daran, dass der Instrumentenschlitten nicht mittig steht und daher nur ein Teil des Hauptspiegels genutzt wird.

Während Siphelo das Teleskop ausgerichtet hat, hat Amanda außerdem den Spektrografen richtig eingestellt, insbesondere die richtigen Filter und Gitter ausgewählt. Ist der Nachführstern erfasst und alles zur Beobachtung bereit, wird der Spektrograf in den Strahlengang eingeschaltet. Dann kann Siphelo auf einem Bildschirmausschnitt noch einmal sicherstellen, dass tatsächlich das richtige Objekt vom Spalt des Spektrografen erfasst wird, und dann wird belichtet — bei den Standardsternen recht kurz, später am abend, bei lichtschwächeren Objekten, für bis zu zwanzig Minuten.

Das Ergebnis, erfasst wieder durch drei CCDs, ist ein Spektrum, wie in dem folgenden Bild zu sehen:

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Der helle Stern in Bildmitte ist zu einem hellen Band auseinandergezogen worden; die waagerechte Richtung entspricht dabei der Wellenlänge. Der Helligkeitsverlauf und die winzigen dunkleren und helleren Gebiete (Spektrallinien) sind mit dem bloßen Auge nicht auszumachen, werden aber bei geeigneter grafischer Aufbereitung sichtbar. Die (leicht gebogenen) senkrechten Linien, die sich durch das ganze Bild ziehen, sind sogenannte atmosphärische Linien, also Licht, das bei ganz bestimmten Wellenlängen von der Erdatmosphäre ausgesandt oder besonders stark absorbiert wird.

Beobachtungen in der Warteschlange

Das SALT ist kein Teleskop, zu dem Astronomen, die dort Beobachtungen beantragt haben, selbst hinfahren. Die Beobachtungen werden stattdessen durch Astronomen der SAAO vorgenommen, die dann jeweils eine Woche lang Beobachtungsdienst haben — wie in unserem Falle eben Amanda.

Wie anderswo in der Astronomie auch, entscheiden Time Allocation Committees (TACs), wörtlich Zeitzuweisungsausschüsse, darüber, wer was mit SALT beobachten darf. Genauer gesagt ist die Zeit zwischen den Partnern aufgeteilt: Südafrika etwa darf entsprechend seines finanziellen Beitrags ein Drittel der Beobachtungszeit vergeben. Jeder Partner hat sein eigenes TAC.

Beobachtungsanträge zu schreiben gehört zum täglich Brot beobachtender Astronomen. Diese Anträge kommen noch zu den Forschungsgelder-Anträgen hinzu, die Wissenschaftler ganz allgemein schreiben müssen — und z.B. am Max-Planck-Institut für Astronomie merkt man recht deutlich, wenn wieder die Abgabefrist für eines der großen Teleskope (etwa für das Weltraumteleskop Hubble oder für die VLT der Europäischen Südsternwarte) naht. Dann arbeiten die betroffenen Kollegen typischerweise bis in die Nacht hinein. Gute Teleskope sind immer überbucht — die dafür vorgeschlagenen Beobachtungsprojekte übersteigen die verfügbare Beobachtungszeit um ein Vielfaches.

In einem Beobachtungsantrag wird begründet, warum die dort vorgeschlagenen Beobachtungen wissenschaftlich besonders interessant sind, welche größeren Forschungszusammenhänge sie betreffen, und nicht zuletzt warum das Teleskop, für das man Zeit beantragt, für das betreffende Vorhaben besonders geeignet (besser: unverzichtbar!) ist. Aus diesen Anträgen wählt das TAC die seiner Meinung nach besten aus — diejenigen, die das beurteilen, sind oft Astronomen der Betreiberinstitutionen, gerade bei größeren Organisationen wie der Europäischen Südsternwarte aber durchaus auch externe Gutachter.

Bei SALT bekommen die genehmigten Anträge eine von vier Prioritätstufen zugewiesen. Stufe 1 sind Beobachtungen, die auf alle Fälle durchgeführt werden, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt. Als nächstes werden Stufe 2-Vorschläge berücksichtigt, dann Stufe 3.

Die Stufe 4 ist eigentlich nur dazu gedacht, dafür zu sorgen, dass keine Beobachtungszeit verlorengeht. Schließlich ist es ja nicht so einfach, dass man die Beobachtungen einfach der Reihe nach abarbeiten könnte. Zunächst einmal muss das gewünschte Beobachtungsobjekt überhaupt am Himmel stehen (und nicht etwa unter dem Horizont). Dann kommt hinzu, dass SALT aufgrund seiner Konstruktion zu jedem Zeitpunkt nur ganz bestimmte Himmelsausschnitte beobachten und die darin befindlichen Objekte nur eine bestimmte Zeit lang verfolgen kann. Auch das muss passen.

Bestimmte Messungen können nur gelingen, wenn das Seeing (zur Erinnerung: das war die von den Atmosphärenbedingungen abhängige Beobachtungsqualität) besser als ein bestimmter Grenzwert ist, oder wenn der Mond nicht zu hell am Himmel steht. Auch das muss man einberechnen. Bei all diesen Einschränkungen kann es sein — und ist in “unserer” Nacht auch passiert —, dass gerade keiner der für Stufe 1-3 bewilligten Vorschläge als Zielobjekt infrage kommt. Dann greift man auf Stufe 4-Projekte zurück, um keine Beobachtungszeit zu verschwenden.

Amanda hat auf einem ihrer Bildschirme die Möglichkeit, die verschiedenen Anträge aufzurufen und sich nach den Beobachtungsbedingungen — Zeit, Mondphase, Seeing — vorsortieren zu lassen. Dann wählt sie aus, welche Beobachtungen als nächstes vorgenommen werden. Die Antragsteller müssen dabei eine Aufsuchkarte beilegen; die benutzt Amanda, um das gewünschte Zielobjekt einzustellen. Details dazu, in welchem Betriebsmodus der Spektrograf betrieben werden soll, sind dort natürlich auch aufgeführt.  

Hat Amanda eine Beobachtung ausgewählt, dann programmiert sie die entsprechenden Aufnahmen in Form eines Skripts. Meist sind mehrere Aufnahmen gewünscht, mit bestimmten Belichtungszeiten. Dazwischen sind oft Kalibrationsaufnahmen vorgeschrieben. Bei denen wird z.B. eine Neonlampe zugeschaltet; der Vergleich der Neonlampen-Spektrallinien und der Spektrallinien des Beobachtungsobjekts ermöglicht die Kalibration. Nebenbei tippt Amanda in einem entsprechenden Feld ein Protokoll mit, das alles festhält, was sie und Siphelo getan haben, inklusive bestimmter Instrumenteneinstellungen.

Ein komplexes System

Nicht immer geht alles glatt. Als das Teleskop während der Beobachtungsnacht das nächste mal mit Hilfe des Kalibrationsturms eingestellt werden soll, bekommt Siphelo keine zufriedenstellenden Werte. Irgendwie wollen sich die Spiegel nicht richtig zu einem Kugelschalenausschnitt formieren. Aus der Telefonliste wird daher herausgesucht, welcher Techniker für das betreffende System zuständig ist und heute nacht Bereitschaft hat. 

Der Techniker loggt sich dann von außen in das Computersystem ein, und Siphelo überträgt ihm die benötigten Steuerungsrechte. Nach einer halben Stunde ist das Problem behoben und das Teleskop bereit für die nächsten Messungen. Das Beobachtungs-Auswahlsystem am SALT soll bald weitgehend automatisiert sein; die jetzige Situation zeigt aber, warum man auch dann nicht darauf wird verzichten können, jemanden wie Amanda vor Ort zu haben. Durch das Kalibrationsproblem hat sich das Beobachtungsprogramm nämlich verzögert, und das aktuelle Zielobjekt ist für SALT gar nicht mehr solange zugänglich, um die ursprünglich geplanten Beobachtungen durchzuführen. Amanda schaut sich an, was Sache ist, und beschließt, dass zwei Aufnahmen mit reduzierter Belichtungszeit es den Astronomen ermöglichen sollten, ihre Daten noch einigermaßen gut auszuwerten.

Tschüß, SALT!

Gegen Mitternacht machen wir uns auf den Weg zurück ins Hotel. Für Amanda und Siphelo ist die Nacht dagegen noch lange nicht zuende: Amanda wird erst kurz nach 5 Uhr zurück in eines der lichtdicht abgeschlossenen Wohnhäuser auf dem Observatoriumsgelände zurückfahren und sich den Tag über ins Bett legen. Am Ende der Woche ist ihre Beobachtungsschicht vorüber, und sie fährt zurück nach Kapstadt. Siphelo muss noch eine Stunde länger da bleiben als Amanda, die Systeme abschalten und das Teleskop in seinen Ruhezustand versetzen. Erfolgreiches Beobachten noch, Amanda und Siphelo!

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[Der Bericht wurde nachträglich veröffentlicht; er bezieht sich auf Donnerstag, den 21.3.2013]

Alle Artikel zur Südafrikareise:

  1. SciFest Africa!
  2. Zu Besuch in drei Township-Schulen
  3. Beobachtungsnacht mit einem 10-Meter-Teleskop
  4. Hier entsteht das größte Radioteleskop der Welt
  5. Spaziergang am Südhimmel


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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

2 Kommentare

  1. @Leo

    Ich weiss nicht, wie Magic das macht, aber bei dem (sphärischen) Hauptspiegel von SALT ist der geometrische Krümmungsmittelpunkt nun einmal der Punkt, von dem aus du Licht zum Spiegel senden kannst und es dann direkt zurückbekommst.

    Genau so macht SALT das wohl: (weißes) Licht durch ein kleines Löchlein auf den Hauptspiegel schicken; wenn es zurückkommt, wird es durch ein Linsenfeld (Shack-Hartmann-Sensor) so gebündelt, dass man für jedes Spiegelsegment ein eigenes kleines Bildchen auf dem Sensor bekommt. Dann werden die Spiegelsegmente solange verkippt/verschoben, bis es mit dem Bildchenmuster hinkommt.

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