Zu Hause bei den Ökofritzen – Selbstversorgung

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Forschung lecker zubereitet
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Der klassische deutsche Garten ist eine Agrarwüste. Rasierte Koniferen stehen auf getrimmtem Rasen. Und bloß nicht so’n frechen Löwenzahn vorkucken lassen! Warum soll auch irgendwer nicht-EU-genormte Möhren selbst anbauen, wo’s die doch billig bei Aldi gibt?

Grauslig nicht-normierte, selbst-angebaute Pfirsiche auf ihrem Weg zur Marmelade

Möhren mit Dreck dran waren mir schon immer sympathischer als die im Plastikbeutel. Jetzt, mit Haus und Grundstück, bauen wir unser Gemüse selbst an.

Wildes Durcheinander auf dem Wendeberg’schen Gemüsebeet 2013

Beim ersten Spatenstich fällt sofort auf, dass da was Hartes ist. Wild renn ich rum, jetzt mit Spitzhacke bewaffnet, und komme selten tiefer als ein paar Zentimeter. Unser gesamtes Grundstück besteht aus Felsen, Bauschutt und Lehm. Doch von solchen Lappalien lässt sich Frau nicht abbringen. Also: Hochbeet bauen. Steine oder Holzbalken (haben wir massenhaft) für die Umrandung, Baumschnitt (haben wir massenhaft) rein, und das bisschen Muttererde zusammenkratzen und oben drauf. Stolz sähe ich Karotten, Kohlrabi und Co ein. Zwei Monate später haben die Nacktschnecken alles kahl rasiert.

Im zweiten Jahr machen wir’s ganz schlau. Zuerst mal legen wir Kartoffeln aufs Feld, denn einbuddeln kann man bei uns nix, dann bedecken wir sie mit Stroh und sind gespannt was wohl draus wird.

Wir besorgen uns Laufenten. Drei Stück watscheln quakend durch unseren Garten und kriegen sich kaum ein ob des ganzen Schleimgetiers. Es dauert geraume Zeit, bis die Schneckenplage dezimiert ist. Unser Gemüse steht in voller Pracht. Bald ist Erntezeit. Hoffen wir jedenfalls.

Laufenten

Sobald die Laufenten die Nacktschnecken ausradiert hatten, fressen sie das Gemüse. Karotten wachsen nicht so toll ohne Blätter. Nur der Hokkaidokürbis steht noch. Wir machen das Ding mit der Nahrungskette und braten die Laufenten. Die Kartoffelernte ist fantastisch – bücken, aus’m Stroh sammeln, kochen.

Drittes Jahr. Ich sehe ein, dass man einen Garten planen muss. Also kucken was man hat: Massenhaft Bruchsteine, Holzbalken, Fläche, Schädlinge; und was fehlt: Muttererde bzw. Kompost.

Die Idee mit dem Hochbeet war schon mal nicht schlecht. Wir machen also mehrere. So baut man die:

Mehrere Kubikmeter Kompost werden bestellt und geliefert, die Hochbeete gefüllt. Ausgesät wird „wild“ – aber es sieht nur so aus, in Wahrheit ist ein Prinzip dahinter: Mischkultur basiert auf Beobachtungen welche Arten sich gegenseitig begünstigen. Schon die ganz kleinen Tomatenpflanzen wachsen in Kohl-Gesellschaft schneller.

Da waren die Kohlweisslingraupen dran…

Unsere Nachbarn denken wir haben einen Knall. Nix, aber auch gar nix, wächst bei uns in Reih und Glied. Außerdem haben wir nicht die Hühner eingesperrt, sondern das Gemüse. Die Hühner übernehmen die Aufgabe der Schädlingsvertilgung, der Fraßdruck geht bis ans Netz ran, welches das Beet bedeckt. Das reicht bis Ende Juli um das Gemüse Schädlingsfrei zu halten. Dann kommen die Kohlweißlinge in Massen und ich muss die Netze vom Beet nehmen. Die Hühner freuen sich wie Bolle über die Raupen und scharren alles breit. Bruchsteine auf dem Beet verhindern Wurzelschaden am Gemüse und die Verluste durch Schädlingsfraß sind gering (Drei mal Weißkohl, die wollte eh keiner).

Hochbeet mit Mischkultur, die weissen Bögen haben eben noch das Schutznetz gehalten. Davor: Hubschrauberlandeplatz für Hühner

Frisch geschlüpft

Die Hühner als Garten-Gesundheitspolizei zu nutzen hat viele Vorteile: Man muss weniger Futter kaufen, die Hühner legen durch die hohe Proteinzufuhr und das abwechslungsreiche Futter sehr gut. Außerdem halten Hühner durch Scharren und Picken das Unkraut kurz. Selbstgemachtes Hühnchen ist lecker, doch die Fleischversorgung läuft bei uns nicht ganz autonom. Vom Nachbarn gibt es jedes Jahr zwei Heidschnuckenlämmer in den Tiefkühlschrank und vom Jäger Wildschweinhintern für luftgetrockneten Schinken.

Muss 18 Monate hängen: Wildschweinschinken á la Serrano

Das Abendbrot ist gesichert

Mittlerweile haben wir auch den hohen „Felsgehalt“ unseres Grundstücks zu nutzen gelernt. Steine speichern Wärme und alles, was bei uns an den Bruchsteinmauern wächst, wird früher (oder überhaupt!) reif. Der Pfirsichbaum produziert zwischen 30 und 50 kg Früchte pro Jahr. Sogar unser Feigenbäumchen hat uns schon die zweite Ernte beschert, obwohl es auch im Winter draußen steht (ist ja eingebuddelt).

Die Feige im Mai

Die Bruchsteine, wenn man sie locker aufs Beet legt, puffern auch dort die Tag-Nacht Temperaturschwankungen ab. Die Honigmelone hab ich eigentlich nur aus Experimentierfreude gesät. Hat aber sehr gut geklappt, das Honigmelonenexperiment.

Honigmelone

Die Kinder freuen sich wenn wir unser eigenes Zeugs aus dem Garten essen. Schon deswegen lohnt sich der Selbstanbau. Aber auch finanziell tut es das:  Ab Mitte Mai haben wir kein Gemüse mehr dazu gekauft. Was auf den Tisch kam, kam aus dem Garten. Und eintönig fanden wir es eigentlich nie. Im Gegenteil. Wir sind durch unser Selbstangebautes ziemlich verwöhnt worden.

 

Fast alle Bilder wurden von Magnus Wendeberg gemacht.

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Der klassische deutsche Garten ist eine Agrarwüste. Rasierte Koniferen stehen auf getrimmtem Rasen. Und bloß nicht so’n frechen Löwenzahn vorkucken lassen! Warum soll auch irgendwer nicht-EU-genormte Möhren selbst anbauen, wo’s die doch billig bei Aldi gibt?

 

Möhren mit Dreck dran waren mir schon immer sympathischer als die im Plastikbeutel. Jetzt, mit Haus und Grundstück, bauen wir unser Gemüse selbst an:

 

Beim ersten Spatenstich fällt sofort auf, dass da was Hartes ist. Wild renn ich rum, jetzt mit Spitzhacke bewaffnet, und komme selten tiefer als ein paar Zentimeter. Unser gesamtes Grundstück besteht aus Felsen, Bauschutt und Lehm. Doch von solchen Lappalien lässt sich Frau nicht abbringen. Also: Hochbeet bauen. Steine oder Holzbalken (haben wir massenhaft) für die Umrandung, Baumschnitt (haben wir massenhaft) rein, und das bisschen Muttererde zusammenkratzen und oben drauf. Stolz sähe ich Karotten, Kohlrabi und Co ein. Zwei Monate später haben die Nacktschnecken alles kahl rasiert.

 

Im zweiten Jahr machen wir’s ganz schlau. Zuerst mal legen wir Kartoffeln aufs Feld, denn einbuddeln kann man bei uns nix, dann bedecken wir sie mit Stroh und sind gespannt was wohl draus wird.

Wir besorgen uns Laufenten. Drei Stück watscheln quakend durch unseren Garten und kriegen sich kaum ein ob des ganzen Schleimgetiers. Es dauert geraume Zeit, bis die Schneckenplage dezimiert ist. Unser Gemüse steht in voller Pracht. Bald ist Erntezeit. Hoffen wir jedenfalls.

Sobald die Laufenten die Nacktschnecken ausradiert hatten, fressen sie das Gemüse. Karotten wachsen nicht so toll ohne Blätter. Nur der Hokkaidokürbis steht noch. Wir machen das Ding mit der Nahrungskette und braten die Laufenten. Die Kartoffelernte ist fantastisch – bücken, aus’m Stroh sammeln, kochen.

 

Drittes Jahr. Ich sehe ein, dass man einen Garten planen muss. Also kucken was man hat: Massenhaft Bruchsteine, Holzbalken, Fläche, Schädlinge; und was fehlt: Muttererde bzw. Kompost.

 

Die Idee mit dem Hochbeet war schon mal nicht schlecht. Wir machen also mehrere. So baut man die:

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Annelie Wendeberg ist eigentlich Umweltmikrobiologin. Doch eines schönen Wintermorgens klappte sie die Augen auf und dachte sich "ich schreib mal was". Seither versucht sie ihre Leidenschaft Forschung leicht verständlich und spannend in kurzen Blogartikeln zu vermitteln. Meistens schreibt sie über alles Mögliche was irgendwie mit Forschern, Biologie, Umwelt, Ökologie und vor allem Mikrobiologie zu tun hat. Des Nachts bringt Annelie Wendeberg Leute um. Auf dem Papier. Für den KiWi Verlag.

12 Kommentare

  1. Keine grüne Öko-Hölle

    Der schöne Beitrag und die eindrucksvollen Bilder zeigen, dass Sie in keiner grünen Öko-Hölle, sondern in einem kleinen bunten erfahrungs- und arbeitsintensiven Paradies leben.

    Sicherlich keine Blaupause, um die mit der modernen funktionellen Industrie-Gesellschaft verbundenen Verluste und Defizite zu kompensieren, aber vielleicht doch mehr als ein museales Bekenntnis.

    PS: Kompost im Garten ist mir im Übrigen erheblich sympathischer als im Klo.

  2. Netter Beitrag,

    der mich an meine Kindheit erinnert hat (Boah, jetzt höre ich mich schon an wie ein alter Sack…). Damals hatten wir gut die Hälfte unseres Gartens mit Obst und Gemüsebeeten voll. Heute geht das nicht mehr, da wir an einer Bundesstrasse wohnen und der Verkehr in den letzten 20 Jahren so zugenommen hat, dass wir uns wegen der Abgasbelastung nicht mehr trauen, irgendwas anzupflanzen.
    Aber wenn ich so zurück denke, schmeckten die eigenen Erzeugnisse schon um Längen besser als der heutige Einheitsdreck.
    Auch den kontemplativen Faktor der Gartenarbeit darf man hierbei nicht unterschätzen.

  3. Erinnert mich an die 70er, da gab es ja

    auch schon mal eine Selbstversorgerphase, viele Städter kauften sich alte Bauernhäuser und renovierten sie. Von Frankfurt aus war der Vogerslberg sehr beliebt. Für den., der gerne gärtnert ein weites Experimentierfeld.
    Mir geht es mittlerweile so, dass ich eine gepflegte ‘konventionelle’ Landwirtschaft vorziehen würde weil die Grundversorgung der ganzen Bevölkerung nicht über Bio gewährleisten werden kann. Auch hat sich ja herausgestellt, das es sich nicht so viel nimmt – die Erwartungen, die sich damals an Bio knüpften, haben sich größtenteils nicht bestätigt. Außer, dass es wohl ein besseres Gefühl macht, Bio zu kaufen und positive Botenstoffe kann ja jede/r gebrauchen.

  4. Selbstversorgung

    gab es auch viel im real existierenden Sozialismus, wie auch in der Nachkriegszeit in D.

    BTW, Hühner und Hunde nerven einige mit ihrem akustischen Output, und das Wildschwein würde der Schreiber dieser Zeilen nur bedingt der Selbstversorgung zusprechen wollen.

    MFG
    Dr. W

  5. EU-Möhrchen

    EU-Möhrchen – ach,nö schon wieder oder immer noch die olle Märchen.

    Zitat:
    “Aber auch finanziell tut es das”

    aber erst mal zwei Ernten in den Sand gesetzt. Interessante Kalkulation.
    Arbeitszeit und Wert der Grundstückes spielen ja auch keine Rolle. Ja dann rechnet sich alles.

  6. “Die Schönheit der Karotte”

    @ nurichbins

    Mit dem ‘ollen Märchen vom EU-Möhrchen’ mögen Sie Recht haben. Die Gemüse- oder Obstnormen der EU gehören weitgehend der Vergangeneheit an. Eine ‘Schönheitsdiktatur’ gibt es aber weiterhin. Dies zeigen beeindruckende Zahlen des SPIEGEL-Berichtes “Die Schönheit der Karotte”:

    “Knapp 40 Prozent des angebauten Obstes und Gemüses gelangen deshalb [aus ästhetischen Gründen] nicht in den Kühlschrank der Verbraucher.”

    http://www.spiegel.de/…gel/print/d-90048958.html

    Vor diesem Hintergrund ist es (auch finanziell oder doch zumindest volks- oder familienwirtschaftlich) relativ belanglos, ob man/frau zwei Ernten in den Sand setzt.

    Zudem könnten Sie genauso gut fragen, ob die klassische Alternative “Rasen mähen” kalkulatorisch im Hinblick auf den Wert des Grundstücks und die Arbeitszeit ein Rolle spielen? Jeder begeisterte ‘Rasenmäher’ wird glauben, Sie kämen von einem anderen, vermutlich roten statt grünen Planeten.

    Soll auch heißen: Ob sich Möhren anbauen oder Rasen mähen finanziell lohnen, hängt wesentlich davon ab, ob sie Garten- oder Rasenarbeit als Hobby betrachten und den Anblick ihres Gartens oder Rasen genießen. Wenn dem so ist, ist Möhren anbauen ohne Frage finanziell erheblich rentabler als Rasen mähen.

  7. Selbstversorgung

    Hallo Annelie,

    da der Artikel unter der Überschrift “Selbstversorgung” steht, würde mich mal interessieren, wie ernst das gemeint ist. Kaufen Sie tatsächlich keine Lebensmittel mehr ein? Gerade bei den Nährmitteln (Mehl, Zucker, Öl, Fette) dürfte das schwierig werden, oder?

    Dass man sich mit frischem Gemüse (zumindest zu bestimmten Jahreszeiten) oder auch Fleisch selbst versorgen kann, glaube ich gern. Das machen wir auch. Mit Kartoffeln kommen wir sogar das ganze Jahr aus eigener Produktion durch. Aber wenn man das auch mit anderem Gemüse und Obst machen wollte, müsste man am laufenden Band einfrieren, einkochen (mit viel Zucker natürlich) oder dörren. Dagegen steht dann der Frischevorteil bei der Supermarktware.

  8. @NaturalBornKieler

    Die Selbstversorgung muss ja nicht 100%ig sein. Das wäre sehr schwer zu realisieren. Darum hab ich auch nicht vor Autarkie geredet. Wir versorgen uns jetzt mit etwa 3/4 des Gemüsebedarfs (auf’s ganze Jahr bezogen) und 1/2 des Obstbedarfs selbst. Fleisch ist vielleicht zu 3/4 von den eigenen Hühnern, Wild vom Jäger, und den Heidschnucken des Nachbarn gedeckt. Eier kaufen wir gar nicht mehr dazu.

  9. Küken

    Aha, danke. Das ist nachvollziehbar. Wir machen es ähnlich, nur ohne Tiere. Mit Tierhaltung kann man selber so gut wie gar nicht mehr in Urlaub fahren, oder?

    Das einzige, was wir haben, ist eine Katze. Die fängt zwar Mäuse, hat aber noch nicht gelernt, auch die Wühlmäuse zu erwischen.

    Das Bild mit dem Hund und den Küken ist ja niedlich, ich frage mich allerdings, wie das mit Katzen funktionieren würde … unsere würde jedes Küken im Nullkommanix zum Nachtisch verspeisen (und wenn sie nicht wäre, würden es die Hofkatzen von nebenan tun). Der Bauer nebenan hält seine Hühner deshalb konsequent in einer Art Großvoliere (ist ein Nebenerwerbslandwirt).

  10. Pingback:Annelie Wendeberg: Schreiben mit dreckigen Fingern - Virenschleuder-Preis #vsp14

  11. Finde das ganze an sich schon eine nette Idee, aber für mich wäre es ziemlich sicher nichts. Zu viel Arbeit, zu viel Aufwand. Es gibt schon Gründe, warum es heutzutage Arbeitsteilung und Spezialisierung gibt…

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