Außerirdische in den USA?

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In den Kommentaren zu meinem letzten Beitrag zitiert Leser/in Balanus folgende interessante Passage von einer Nachrichtenseite und fragt, ob es stimmt, was dort über das Wort alien gesagt wird:

Der Streit um das Gesetz in Arizona, das jetzt eine Richterin erst einmal zu Fall brachte, hat die Stimmung lediglich zusätzlich angeheizt. „Illegal aliens“ — so nennen vor allem Konservative immer häufiger die Einwanderer ohne Papiere. Schön klingt das nicht, eher bedrohlich: Aliens – das sind auch die Monster aus dem All. [Link]

Tatsächlich werden gleich drei Behauptungen über den Begriff illegal alien aufgestellt: Erstens, dass er Assoziationen „Monstern aus dem All“ auslöst; zweitens, dass es sich um einen neuen Begriff handelt („immer häufiger“); drittens, dass es sich dabei um einen Kampfbegriff der amerikanischen Konservativen handelt („vor allem Konservative“).

Die erste Behauptung ist bereits in den Kommentaren angezweifelt worden: Wie Michael Kuhlmann richtig anmerkt, bedeutet alien im Englischen schlicht „fremd“. Außerdem ist illegal alien in den USA der offizielle Begriff für Menschen, die sich ohne Aufenthaltsgenehmigung im Land aufhalten. Ich vermute deshalb, dass die zwingende Assoziation mit Außerirdischen ausschließlich im Kopf des Autors des zitierten Artikels existiert.

Armin weist darauf hin, dass der Begriff aber trotzdem allgemein negative Assoziationen des Fremden und Furchterregenden mit sich bringt. Meine Intuition zur Bedeutung englischer Wörter ist nicht umfassend genug, um das zu beurteilen, aber vorstellen kann ich es mir. Wenn es im Deutschen den Begriff illegaler Fremder gäbe, käme mir der — auch ohne außerirdische Assoziationen — distanzierender und vielleicht sogar furchteinflößender vor als etwa der Begriff illegaler Einwanderer.

Es ist also durchaus denkbar, dass der Begriff illegal alien derzeit in den USA einen Aufschwung erlebt, und dass es vor allem Konservative sind, die ihn verwenden. Spontan bin ich nicht davon überzeugt, denn wenn Leute behaupten, dass irgendetwas „immer häufiger“ der Fall ist, heißt das normalerweise nur, dass es ihnen vor einiger Zeit zum ersten Mal aufgefallen ist und sie seitdem verstärkt darauf achten.

Aber gehen wir doch einfach empirisch an das Problem heran, angefangen mit der Frage, ob der Begriff „immer häufiger“ verwendet wird.

Eine Suche des Begriffs im Google-News-Archiv zeigt, dass eher das Gegenteil der Fall ist: Der Begriff wird in der Presse tendenziell seltener verwendet wird als zur Mitte des letzten Jahrzehnts. Eine Suche nach der Alternative illegal immigrant, die ich, so gut es ging, maßstabsgetreu über das Diagramm für illegal alien gelegt habe, zeigt außerdem, dass diese semantisch neutralere Alternative seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts immer häufiger wird und inzwischen etwa doppelt so häufig ist, wie der angebliche konservative Kampfbegriff.

Wie bei jeder Google-Suche ist das Ergebnis natürlich mit Vorsicht zu behandeln, da Google darüber schweigt, wie Häufigkeiten im Index der Suchmaschine zustandekommen. Aber Evidenz für einen Anstieg der Verwendungshäufigkeit des Begriffs illegal alien gibt es keinesfalls her.

Wie steht es mit der Frage, ob vor allem Konservative den Begriff illegal alien gerne verwenden? Um das zu überprüfen, habe ich auf den Webseiten von sieben US-Medien nach diesem Begriff und der neutraleren Alternative gesucht und die Häufigkeiten proportional zueinander dargestellt. Die Medien sind dabei nach ihrer (von mir subjektiv gefühlten) Konservativität geordnet, vom Rechtsaußen-Propagandasender Fox News über den (für amerikanische Verhältnisse relativ neutralen) Nachrichtensender CNN bis zum sozialistischen Kampfblatt The Militant:

Wie man sieht, besteht keine Korrelation zwischen politischer Gesinnung und der Verwendungshäufigkeit des Begriffs illegal alien. Zwar ist bei der konservativen New York Post der Begriff überdurchschnittlich häufig, aber in den progressiveren Medien (CNN, New York Times, San Francisco Chronicle) ist er (teilweise deutlich) häufiger als auf den Webseiten von Fox News oder dem Wall Street Journal, und der sozialistische Militant schlägt sogar die New York Post noch einmal deutlich.

Falls ich jemals ohne gültiges Visum in den USA aufgegriffen werden sollte, werde ich trotzdem mit weit aufgerissenen Augen und tiefer Stimme fordern: „Take me to your leaders“.

© 2010, Anatol Stefanowitsch

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

21 Kommentare

  1. Naja…

    Falls ich jemals ohne gültiges Visum in den USA aufgegriffen werden sollte, werde ich trotzdem mit weit aufgerissenen Augen und tiefer Stimme fordern: „Take me to your leaders“.

    Wenn du dich noch grün anmalst, könnte es funktionieren… 😉

    Ich treibe mich ja regelmäßig auf politischen US-Blogs rum, und Kampfbegriffe der einen oder anderen Coleur sind da zweifellos ein großes Thema. Dass “illegal alien” einer sein soll, ist mir neu, und das ist nun wirklich ein umkämpftes Thema.

    Ich denke eher, dass es in der allgemeinen Wahrnehmung die “unhöflichere” Variante ist, was man ja auch am Gebrauch in den Medien sieht. Das könnte die Nutzung des Begriffs zum Beispiel in Wahlkampfreden durchaus beeinflussen.

  2. Mein Sprachgefühl sagt: “alien” bedeutet zwar einfach “fremd” aber das Wort ist in ganz wenigen Zusammenhängen brauchbar; meistens wäre etwa “foreign” oder “non-native” angewendet. Das heisst, es ist mir nicht unvorstellbar, dass viele Amerikaner das Wort “alien” hauptsächlich mit Außerirdischen assozieren, da sie es am häufigsten im Science Fiction Kontext kennen. Und ich denke, diese Assoziation schwingt oft ein Bisschen mit, wenn man den Begriff “illegal alien” hört. (Es gibt übrigens ein wunderbares Kommentar dazu am Anfang von “Men in Black” wo ein LKW mit “illegal aliens”, die z.T. Außerirdischen, nicht Ausländer sind, erwischt wird.)

    Für mich hat “alien” auf jeden Fall die Konnotation von etwas, was nicht nur fremd, sondern auch irgendwie andersartig und unbegreiflich ist. Wo ein “Foreigner” vielleicht andere Sitten hat, ist er doch ein Mensch wie du und ich. Ein “Alien” ist vom Wesen her anders, und damit unassimilierbar. Klar: im offiziellen Gebrauch wird dies nicht unbedingt gemeint, aber neutral ist es im alltäglichen Gebrauch nicht, und daher ist wohl “illegal immigrant” der bessere Begriff.

  3. Sting

    Mir ist der Begriff das erste Mal begegnet als “legal alien” im Lied”Englishman in New York” von Sting.

  4. Ich glaube die sofortige Assoziation von Alien mit Ausserirdischen ist ziemlich typisch für deutsche Mutersprachler, da man das Wort im Deutschen nur mit der Bedetung kennt.
    Rein sprachlich gesehen könnte man vllt. argumentieren, dass “alien” zumindest eindeutig die Konnotation “out of place” beinhaltet und die immigrant nicht zwangsweise hat. Aber mein Eindruck ist eigentlich, das das Thema an sich schon so negativ belegt ist, dass illegal alien/immigrant gar keinen Unterschied macht.

  5. 3 sinnlose blöcke

    ich glaube auch nicht, daß englisch-muttersprachler beim begriff ‘alien’ zuerst an außerirdische dächten. ‘alien’ kommt mE recht häufig in der englischen sprache vor und ist mE stets verwendbar, ohne daß assoziationen mit gerne benutzten bilderebenen zeitgenössischer erzählungen entstünden. auch denke ich, daß ein muttersprachlicher englischtyp, wenn er ‘alien’ im durchschnittlichen sciencefiction-kontext hört, er einfach ‘fremder’ hört- das ist ein alienmovie – das ist film, da gehts um fremde, um unbekannte, anders aussehende, sich auf den ersten blick unverständlich verhaltende, so daß die verdinglichung, die bei einem deutschen muttersprachler, der das wort mit größerer wahrscheinlichkeit nur aus dem sf-kontext kennt, gar nicht erst entstehen kann.

    desweiteren wollte ich bemerken, daß alien von alius kommt, was wohl übersetzt werden könnte mit “anderer” und daß die form “alienus” wohl mit “einem anderen (zu-)gehörig” übersetzt werden mag, so daß ‘illegal alien’ vielleicht voll mit “gegen das gesetz einem anderen (staat) zugehörender (sich im land aufhaltender)” übersetzt werden könnte.

    und zuletzt wollte ich gegen die methode, nach der häufigkeit der verwendung des begriffs in bestimmten medienhäusern die dem begriff innewohnende diffamationswirkung einschätzen zu wollen, etwas sagen, nämlich: daß es schon mal vorkommt, daß eine seite, die einen begriff wegen irgendwelcher implikation nicht leiden kann, gerade diesen sich zu eigen macht, gerade dadurch versuchend, die gefühlten implikationen des begriffs ins lächerliche zu ziehen.

  6. Just a note from the U.S. about a couple of your points.

    First, “alien” is the official term used to refer to non U.S. citizens in a variety of immigration statuses. A search of the web site for U.S. Citizenship and Immigration Services shows more than 3000 hits for “alien.” However, so-called aliens are not necessarily in the U.S. illegally–note usages on the web site such as “alien worker,” “alien resident,” “alien relative,” etc. in reference to people who are in the U.S. on various kinds of legal immigration statuses.

    Second, my perception as a native U.S. English speaker is that “alien” is associated with bureaucratic legal contexts and can be seen to have a relatively negative connotation from this association alone. 🙂

    In any case, sympathetic (read: liberal) commentaries about illegal immigrants tend to use the phrase “undocumented immigrant” rather than “illegal alien” or “illegal immigrant.”

  7. Illegal Aliens in Tennessee

    We’ve just concluded a very heated primary election campaign season yesterday here in the U.S. state of Tennessee. Illegal immigrants were a prominent part of the campaign rhetoric, and they were usually referred to as “illegal aliens” by candidates for all offices, including the ones for governor. Republican candidates were the ones who used the phrase most often, promising to keep these “undesirables” out of Tennessee.

    Because this has been such a “hot-button” issue for a number of years, especially in the U.S. South and Southwest, the first thing that comes to my mind when I see or hear the words “illegal alien” is illegal immigrants (that is, undocumented immigrants) to the U.S.

    I am an 83-year-old native speaker of American English, born in Texas, now residing in Tennessee, where I’ve lived for the past several years. And I’ve found this articla and the comments about it very interesting.

  8. Negatively loaded?

    I’d like to expand my comment further and give my opinion that both terms are used in arguments about the undesirability of “illegal aliens” or “illegal immigrants.” But since those coming to their defense in the arguments use them, I think that neither “alien” nor “immigrant” is negatively loaded per se, not even when coupled with “illegal.”

  9. typos

    I’d like to apologize for the typos in my two previous comments. I’m very poor at proofreading, especially my own typing.

    Also, I’d like to say that this is my first time to read WissensLogs, and I’m reading it with the aid of a Google translator. Am delighted to become acquainted with this website, even though my command of the German language is almost non-existent.

  10. “Neuer Begriff?”

    Ich möchte noch hinzufügen, dass bereits Anfang der Achtziger der Begriff “illegal alien” in James Camerons Film “Aliens” für ein Wortspiel sorgte, als die anderen Soldaten die eindeutig lateinamerikanisch angehauchte Vasquez verspotten und sagen, sie hätte sich ja nur für diesen Trip gemeldet, weil sie “illegal alien” falsch verstanden hätte…

  11. @Pirx

    Nicht von Sting, aber von Genesis gibt es ein “Illegal Alien” vom Anfang der Achtziger.

  12. Mehr Wortspiele

    Dass sich bei Men in Black ein Alien unter illegalen Einwanderern versteckt, ist auch nur im Englischen lustig …

  13. Was mich bei solchen Aussagen immer irgendwie stört, ist, dass einige Deutsche die “Tendenz” besitzen, zu glauben, dass sie ein Sprachgefühl für Englisch haben. Also wie in diesem Fall besonders bei Wörtern, von denen wir nur eine Teilbedeutung importiert haben, und/oder sich diese im Deutschen möglicherweise ausgeweitet hat. Schwierig wird’s dann, wenn von diesen Extension im Deutschen von einigen wieder Rückschlüsse auf die Bedeutung im Englischen gezogen werden (siehe auch ‘Public Viewing’).

    (@Kristin: sehr schöhön…)

    Zur beruflichen Veränderung: Herzlich Willkommen 🙂

  14. Konservative

    Ich habe grade überlegt, ob es auch sein könnte (falls der Begriff wirklich negativ konnotiert ist), dass linksorientierte Blätter den Begriff so oft benutzen, weil sie über Konservative und deren Ansichten berichten- sozusagen um ihnen eine negative Einstellung gegenüber Immigranten zu unterstellen/attestieren? Dazu müsste man sich wohl die Kontexte genauer anschauen.

  15. Die Bezeichnung

    von Ausländern als aliens ist auch wesentlich älter als die moderne SciFi-Literatur, siehe den “enemy alien act” von 1798. Ob die Bedeutung “Nicht-Staatsbürger” in den USA inzwischen von der Bedeutung “Außerirdischer” (die ja eigentlich eine Übertragung der ursprünglichen Bedeutung ist) überlagert wird, könnte man aber tatsächlich mal untersuchen.