Kein Etappensieg für den Anstand

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Silvana Koch-Mehrins halbherziger Rückzug aus dem Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie ist weder Zeichen dafür, dass sie ihren Anstand oder ihren Respekt vor Wissenschaft und Gesellschaft wiedergefunden hat, noch ist es ein Triumph für diejenigen, die diesen Anstand und Respekt eingefordert haben.

Denn dass eine überführte wissenschaftliche Betrügerin nicht in einem Gremium sitzen darf, das über europäische Forschung und deren (viele Milliarden Euro schwere) Finanzierung mitentscheidet, sollte die selbstverständlichste Angelegenheit der Welt sein. Es sollte keines öffentlichen Aufschreis, keiner Petitionen, keiner ätzend sezierenden Artikel und Kolumnen, keines Spotts und keiner Rücktrittsforderungen von Politikern und keiner Verurteilung des Vorgangs durch die Schwergewichte der deutschen Forschungslandschaft bedürfen, um das klarzustellen.

Nun, wo Koch-Mehrin das zwar vermutlich nicht eingesehen, aber doch wenigstens danach gehandelt hat, müssen wir uns deshalb der eigentlichen Frage zuwenden: Wie wollen wir mit wissenschaftlichen Betrüger/innen in verantwortungsvollen Positionen umgehen?

Es darf nicht sein, dass die Diskussion um Konsequenzen jedes Mal von Neuem geführt wird, wenn eine öffentliche Person des Plagiats in ihrer Dissertation überführt wird. Es wird noch eine Reihe solcher Fälle geben; selbst die Fälle, die das kollaborative Plagiatdokumentationsprojekt VroniPlag aktuell bearbeitet und deren Sprengkraft beachtlich ist, werden nicht die letzten bleiben. Die öffentliche und mediale Empörung und der Druck durch Politik und Wissenschaft, der bei Guttenberg und Koch-Mehrin nötig war, um sie zu einer (teilweisen) Einsicht zu bewegen, lässt sich nicht beliebig oft abrufen und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir uns an die Plagiator/innen gewöhnt haben und außer einem Schulterzucken keine Reaktion mehr in uns finden.

Höchste Zeit also, eine Grundsatzdiskussion darüber zu führen, wie sich des Plagiats überführte Träger akademischer Grade verhalten sollten.

Ein Kernproblem dabei scheint mir nach wie vor zu sein, dass Unklarheit darüber herrscht, mit welcher Art von Vergehen wir es bei diesen Plagiaten zu tun haben. Das fängt damit an, dass in der öffentlichen Diskussion häufig verniedlichendes Vokabular wie „schummeln“, „mogeln“, „abkupfern“ usw. verwendet wird, mit dem das Plagiieren auf eine Stufe mit einem kurzen Blick zum Banknachbarn während eines Vokabeltests gestellt wird.

Viel problematischer ist aber, dass die Meinung vorzuherrschen scheint, es handle sich um ein Vergehen, das durch die (freiwillige oder unfreiwillige) Rückgabe des unrechtmäßig erworbenen Titels ausreichend gesühnt ist. Ist der Titel weg, so die Vorstellung, können die Plagiator/innen ihre Karriere doch eigentlich fortsetzten. Vertreter dieser Position sprechen hier gerne davon, dass doch jeder „eine zweite Chance“ verdient habe.

Aber wir gestehen ja Dieben auch nicht zu, die gestohlene Ware zurückzugeben und sich damit aller weiteren Konsequenzen ihres Diebstahls zu entziehen. Wir erwarten, dass sie angemessen bestraft werden. Das soll ihnen helfen, ihr Fehlverhalten einzusehen, um es in Zukunft zu vermeiden, es soll andere davon abhalten, es ihnen nachzutun, und irgendwo soll es auch einer Art allgemeinem Gerechtigkeitsempfinden genüge tun. Wenn der Dieb nichts weiter zu befürchten hätte, als die Rückgabe des Diebesguts an den Bestohlenen, dürften Eigentumsdelikte bald sprunghaft ansteigen.

Nun ist das Erschleichen eines akademischen Grades per se keine Straftat. Es kann mit Straftaten kombiniert werden, z.B. der Verletzung des Urheberrechts oder dem Leisten falscher eidesstattlicher Erklärungen, aber die Verfolgung (oder Nicht-Verfolgung) dieser Straftaten ist ein Nebenschauplatz, der mit dem eigentlichen Problem bestenfalls am Rande zu tun hat (siehe hierzu auch die Beiträge von Joachim Schulz und Dierk Haasis).

Akademische Grade werden von einzelnen Universitäten vergeben und können von diesen Universitäten (und im Prinzip auch nur von diesen, bzw. von den für sie zuständigen Behörden) wieder zurückgenommen werden. Für die Universitäten und die Enttitelten ist mit der Rücknahme des Titels das Problem aus rechtlicher Sicht erledigt. Rechtlich spricht also nichts dagegen, dass Letztere ihre Mandate, Mitgliedschaften in Ausschüssen oder sogar Ministerposten behalten.

Moralisch allerdings schon, denn die Tatsache, dass sie sich einen akademischen Grad erschlichen haben, zeigt mindestens, dass ihnen die Fähigkeit fehlt, Recht und Unrecht zu unterscheiden, wenn es um ihre eigenen Vorteile geht. Wahrscheinlich ist es auch ein Symptom einer allgemeinen Charakterschwäche. Auf jeden Fall lässt es sie als ungeeignet für Posten mit gesellschaftlicher Verantwortung erscheinen.

Haben akademische Betrüger wie Guttenberg, Koch-Mehrin und die anderen, die da noch kommen, eine zweite Chance verdient? Natürlich haben sie das. Nur muss einer zweiten Chance ein Besinnungs- und Erkenntnisprozess vorausgehen, und man muss sie sich erarbeiten.

Die Frage, wie man sich eine zweite Chance erarbeitet, ist im Fall von Mandatsträgern noch relativ leicht zu beantworten: indem man sich zu gegebener Zeit erneut zur Wahl stellt und damit die Fortsetzung seiner politischen Karriere dem Wählerwillen unterstellt.

Wie lang ein Besinnungs- und Erkenntnisprozess dauern und wie er nach außen sichtbar werden muss, um glaubhaft zu sein, ist dagegen eine schwierige Frage. Als Orientierung könnte vielleicht die sechsjährige Wohlverhaltensphase dienen, die wir von Steuersündern oder Schuldnern in Privatinsolvenz verlangen.

Allerdings ist auch klar, dass die Dauer einer plausiblen Besinnungsphase davon abhängt, ob die Betreffenden von sich aus handeln, oder ob sie durch Druck von außen zu einem Rückzug in Trippelschritten gedrängt werden müssen. Gegenüber akademischen Betrüger/innen, die sich selbst anzeigen (und nicht erst, wenn ihre Dissertation bereits auf VroniPlag steht), dürfte man sicher großzügiger sein als gegenüber Menschen, die, wenn sie mit unbestreitbaren Belegen ihres Fehlverhaltens konfrontiert werden, die Schuld auf die betrogene Universität und auf die Menschen abzuwälzen, deren Vertrauen sie in schändlicher Weise ausgenutzt haben.

 

Hinweis: Die Petition für den Rücktritt von Silvana Koch-Mehrin von ihrem Posten im Forschungsausschuss und von ihrem Mandat im Europäischen Parlament läuft weiter, denn noch ist ja nur die erste Hälfte der Forderung erfüllt. 

http://www.gopetition.com/petitions/resignation-of-silvana-koch-mehrin-from-the-european-pa.html

Kurz-URL: 

http://goo.gl/24Vep

QR-Code:

http://goo.gl/24Vep

©2011, Anatol Stefanowitsch

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

14 Kommentare

  1. Politiker stehen halt im medialen Fokus

    Immerhin haben wir bei Mandatsträgern die Möglichkeit, bei der nächsten Wahl die Schwere des Vergehens zu gewichten, also sie abustrafen oder ihnen die “zweite Chance” zu geben.
    Was ist aber mit den Titelbetrügern, die keine Mandatsträger sind, denen aber z.B. in Wirtschaft und Verbänden der Titel für die Karriere sehr förderlich ist? Nur weil sie nicht im medialen Fokus stehen, ist der Schaden, den diese Betrüger anrichten nicht geringer, denn auch sie sind letztlich charakterschwache Blender mit krimineller Energie in Führungsposition.

    Ich denke, wir sollten die Verwendung des anachronistischen Doktortitels selbst hinterfragen, so wie es der Blognachbar macht: http://www.brainlogs.de/…26/weg-mit-den-doktoren

    Ein Doktor ist für mich entweder ein Synonym für Arzt oder ein aktiver(!) Wissenschaftler. Alles andere ist Schaumschlägerei.

  2. kein Etappensieg

    Ich bin ganz Ihrer Meinung,bin aber dafür das genau dieser Personenkreis überhaupt nichts mehr im Tätigkeitsbereich der öffentlichkeit zu tun hat.Ihr Vergleich zur Insolvenz ist zwar gut aber zeitlich unrichtig.
    Zum Neuanfang braucht hier jeder ehemalige Insolvenzler 9 Jahre!!!
    Und der Gedanke zur Wohlverhaltensphase ist gut und richtig,doch müßten demzufolge auch auch die finanziellen Zuwendungen aus öffentlichen Geldern komplett und ersatzlos gestrichen werden,letztlich soll ja geläutert und nich gebauchpinselt werden.

  3. Kommentare

    @Lichtecho: Bei Titelbetrügern aus der Privatwirtschaft muss man es wohl leider dem Arbeitgeber überlassen, wie mit dem Betrug umgegangen wird.

    @Thomas Tischewski: Die Wohlverhaltensphase beträgt sechs Jahre, die neun Jahre beziehen sich m.E. auf das gesamte Verfahren.

    Zur Frage nach den finanziellen Konsequenzen: evtl. die Auflage, während der Wohlverhaltensphase kein öffentliches Amt und keine Position im öffentlichen Dienst auszuüben?

  4. Zustimmung aus ganzem Herzen

    Und eines noch: Die Analogie mit dem Diebstahl ist einsichtsreich ergänzbar. Die im vorigen Blogeintrag beschriebene, stockdreiste Reaktion SKMs auf die Aberkennung ihres Doktortitels durch die Uni Heidelberg ist ein bisschen so, als beschwere sich ein mit einiger Verspätung per CCTV-Aufnahmen überführter Dieb unter Hinweis darauf, dass die Videoaufnahmen schon seit langem vorgelegen hätten. Motto: “Das finde ich jetzt aber nicht gut. Als ich den Diebstahl beging, hättet ihr’s doch auch schon merken können. Wie stehe ich denn jetzt da!”

  5. Koch Merin

    Es geht weiter:
    Wer hat Frau Koch Merin den Platz freigemacht:

    http://www.europarl.europa.eu/…e=DE&id=28243

    Ich denke, die Uni Bonn wird als nächstes
    Herrn Chatzimarkakis den Doktortitel aberkennen. Erstaunlich, dass er seine Position vor kurzem “wegen vieler Arbeit”
    Frau Koch Marin überlassen hat…
    FS

  6. Handlungsanweisung

    Wie wäre Ihrer Meinung nach eine (rechtlich, moralisch, wissenschaftlich und politisch) angemessene Reaktion darauf, wenn sich herausstellt, dass man vor 10 oder 15 Jahren bei seiner Doktorarbeit betrogen hat?

    Anders gefragt: Was soll man tun?

  7. koch mehrin

    DLDwoman bei Facebook:
    DLDwomen Silvana Koch-Mehrin will talk as a politician on how statal/european infrastructure can support innovative networks, she will not talk about the historic currency union.

    Vorher stand noch der Satz, sinngemäß: Fehler zu machen ist menschlich.

    Der ist jetzt Weg. Du kannst dir denken warum. Bitte diesen Beitrag nicht veröffentlichen, du hast ja kein Kontaktformular für Insiderinfos :p

  8. “Höchste Zeit also, eine Grundsatzdi…”

    “…skussion darüber zu führen, wie sich des Plagiats überführte Träger akademischer Grade verhalten sollten.”

    NEIN!

    Die brauchen sich gar nicht mehr zu verhalten; die sollten einen Schritt zurücktreten und zunächst einmal in der Öffentlichkeit in jeder Beziehung still sein, bzw. still halten.
    Und vielmehr fragen sollte sich die (wissenschaftliche) Gesellschaft und jedes einzelne ihrer Mitglieder, wie sie selbst denn verfahren will/wollen mit solchen “Gestalten” …

    (und nun lese ich zunächst einmal weiter 🙂

  9. Blamage als Strafe

    Welche Strafe angemessen ist, ist nicht so ganz einfach zu beantworten. Ein Dieb, der sich in Kreisen redlicher Leute aufhält, bisher für einen von ihnen gehalten wurde und auch als ein solcher gelten möchte, für den ist die Aufdeckung des Diebstahls eine Strafe, die durch einen Gefängnisaufenthalt nur noch unerheblich mehr gesteigert werden könnte. Hält er sich dagegen unter seinesgleichen auf, dann ist es ihm egal, daß er nun als der Dieb gilt, der er ist.

    Das Problem bei unseren Doktor-Plagiatoren scheint mir zu sein, daß sie Politiker sind und daß in deren Kreisen ebenso wie in den Kreisen, die für ihre Wahl ausschlaggebend sind, die Aufdeckung keineswegs mit einer gewaltigen Blamage verbunden ist, die an sich Strafe genug sein könnte.

  10. @chimpsky:
    Es ist zugegebenermassen eine faule Ausrede wenn SMKs jetzt jammert, man habe das alles schon viel früher merken müssen.

    Aber aus meienr Sciht kommt in der ganzen Diskussion die Verantwortung der Universitäten eindeutig zu kurz.
    Denn einerseits erscheint mir persönlich fragwürdig, ob die armen getäuschten Doktorväter wirklich nichts merken konnten oder schlicht nichts merken wollten. Grade Guttenberg war neben seiner Doktoarbeit ja bereits MdB und hat vermutlich die Uni Bayreuth relativ selten gesehn. Dennoch scheint seine im luftleeren Raum geschriebene Dissertation dem Doktorvater ein summa wert gewesen zu sein. Da kann man sich schon fragen ob das nicht eher der Promi-Bonus als fahcliche Exzellenz war.

    Andererseits wird es immer Plagiatoren und Betrugsversuche geben. Dei Unis sollten sich also auch mal überlegen, wie Sie in Zukunft besser und effektiver solche Vergehen aufdecken können bevor Sie die Promotionsurkunden verteilen.

  11. Andererseits wird es immer Plagiatoren und Betrugsversuche geben. Dei Unis sollten sich also auch mal überlegen, wie Sie in Zukunft besser und effektiver solche Vergehen aufdecken können bevor Sie die Promotionsurkunden verteilen.

    Internet, Plagiatssoftware.

    Gibts halt alles erst seit ein paar Jahren.

  12. Wissen hat halt keinen Geldwert

    Wenn es um Raubkopierermörderverbrecher geht, werden gern exorbitante Strafen als angemessen angenommen. Schließlich behauptet die Lobbytruppe, dass exorbitanter wirtschaftlicher Schaden entsteht, was die Politik gern glaubt.
    Allerdings entsteht bei den Dieben in der Politik genau dies nicht. Die Frau, von der zu Guttenberg abgeschrieben hat, hat keinen wirtschaftlichen Schaden erlitten, also ist das alles kein Problem.
    Wobei der Gedanke, Anstand und Politiker habe etwas miteinander zu tun, in meinen Ohren sehr eigenartig klingt…

  13. Zustimmung

    Es passiert nur sehr selten, dass ich in politischen Dingen mit Ihnen einer Meinung bin, Herr Stefanowitsch, muss Ihnen bisher aber in jedem einzelnen Punkt und jedem Beitrag, den Sie bezüglich der rezenten Plagiatsaffären* geschrieben haben, vollständig zustimmen.

    * Sowie des blödsinnigen und dumpfen sowie lange und nicht zuletzt durch unser Zutun überwunden geglaubten Nationalismus, in den meine Partei leider beim Punkt “Deutsch im Grundgesetz” verfallen ist

  14. Wohlverhaltensphase

    Ja, da weiß einer, worüber er sich äußert.
    Insolvenz mit Hilfe allerlei “hilfreicher Hände” durchziehen, ohne Rücksicht, auf wessen Rücken. Dafür gibt es wohl auch andere Ausdrücke!