Tag der Muttersprache 2011

BLOG: Sprachlog

Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
Sprachlog

Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins GrundgesetzDie Petition „Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz“ befindet sich im Endspurt. Sie kann noch bis zum 3. März 2011 online beim Petitions-ausschuss des Deutschen Bundestages mitgezeichnet werden. Den ursprünglichen Aufruf zur Mitzeichnung kann man hier nachlesen, die häufigsten Gegen-argumente bespreche ich hier, die Sprachsituation in Deutschland hier, und mögliche Gefahren einer grundgesetzlichen Verankerung hier.

Heute ist der Internationale Tag der Muttersprache, den die UNESCO im Jahr 2000 ins Leben gerufen hat, um „ein Bewusstsein für die Wichtigkeit kultureller und sprachlicher Vielfalt zu wecken“. Besonders die  weltweit etwa 2 500 bis 3 000 bedrohten Sprachen sollen dabei im Mittelpunkt stehen.

Wer sich mit diesen bedrohten Sprachen näher beschäftigen möchte, dem sei als Einstieg der von der UNESCO herausgegebene interaktive Atlas der bedrohten Sprachen empfohlen.

Bedrohte Sprachen gibt es nicht nur anderswo, sondern auch direkt vor unserer Tür. Nicht die deutsche Sprache ist es, um deren Überleben wir uns sorgen müssen, sondern sechs Minderheitensprachen, die die UNESCO als „gefährdet“ (definitely endangered) oder sogar „schwer gefährdet“ (severely endangered) einstuft.

Als schwer gefährdet gelten:

  • Saterfriesisch (auch Ostfriesisch), eine westgermanische Sprache, die im Landkreis Cloppenburg in Niedersachsen noch von etwa 1000–2500 Menschen gesprochen wird. [Link zum Wikipedia-Artikel]
  • Nordfriesisch, eine westgermanische Sprache, die in Nordfriesland, auf Föhr, Amrum, Sylt und den Halligen und auf Helgoland noch von etwa 8 000 bis 10 000 Menschen gesprochen wird. [Link zum Wikipedia-Artikel]

Als gefährdet gelten:

  • die sorbischen Sprachen, die zur westslawischen Sprachfamilie gehören und in der Oberlausitz und der Niederlausitz in Brandenburg und Sachsen von etwa 20 000 bis 30 000 Menschen gesprochen werden. [Link zum Wikipedia-Artikel]
  • Südjütisch (auch Sønderjysk), ein dänischer Dialekt und damit eine nordgermanische (skandinavische) Sprache, die auf beiden Seiten der deutsch-dänischen Grenze nach inoffiziellen Schätzungen von etwa 30 000 bis 35 000 Menschen gesprochen wird. [Link zum Wikipedia-Artikel]
  • Jiddisch, eine westgermanische Sprache, die weltweit von etwa 2-3 Millionen Menschen gesprochen wird (die genaue Zahl der Sprecher/innen in Deutschland ist nicht bekannt). [Link zum Wikipedia-Artikel]
  • Romani, eine indoarische Sprache die in Europa von etwa 3,5 bis 4,6 Millionen Menschen gesprochen wird  (die genaue Zahl der Sprecher/innen in Deutschland ist nicht bekannt). [Link zum Wikipedia-Artikel]

Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Sprachen in Deutschland, die nicht als unmittelbar gefährdet, aber als mittelfristig potenziell bedroht gelten müssen, darunter z.B. das Bairische und verschiedene fränkische Dialekte.

Zum Schluss ein Hinweis auf die Gesellschaft für bedrohte Sprachen, die versucht, aussterbende Sprachen wenigstens zu dokumentieren (was sowohl für wissenschaftliche Zwecke nötig ist, als auch für eine Wiederbelebung der Sprache, falls zukünftige Nachfahren der heutigen Sprecher das wünschen).

Und außerdem natürlich ein Hinweis auf die Petition „Keine Aufnahme der deutschen Sprache ins Grundgesetz“, die unter anderem verhindern soll, dass mit einer grundgesetzlichen Verankerung des Hochdeutschen als Staatssprache die Rolle der Minderheitensprachen in Deutschland weiter geschwächt wird.

Kurzlink zur Petition: http://goo.gl/guB7e
Facebook-Gruppe zur Petition: http://goo.gl/XLItl

Moseley, Christopher (Hg, 2010) Atlas of the World’s Languages in Danger, Dritte Auflage. Paris, UNESCO Publishing. Onlineversion: http://www.unesco.org/culture/en/endangeredlanguages/atlas

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

17 Kommentare

  1. Weil, ich zitiere den Artikel:
    “Besonders die weltweit etwa 2 500 bis 3 000 bedrohten Sprachen sollen dabei im Mittelpunkt stehen.”

    Darum.
    Und auf Deutsch ist der Post selbst schon verfasst, wenn ich mich nicht irre. Weil man mit Deutsch nämlich eine ganze Menge potenzieller Leser erreicht, weitaus mehr als mit Saterfriesisch oder sebst Romani.

    [Für einen ersten Überblick über ein Thema eignet sich Wikipedia recht gut: http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_Sprache ]

  2. @Martin:

    Wer des deutschen mächtig ist, dem dürfte der erste Abschnitt aufgefallen sein..

    “Heute ist der Internationale Tag der Muttersprache, den die UNESCO im Jahr 2000 ins Leben gerufen hat, um „ein Bewusstsein für die Wichtigkeit kultureller und sprachlicher Vielfalt zu wecken“. Besonders die weltweit etwa 2 500 bis 3 000 bedrohten Sprachen sollen dabei im Mittelpunkt stehen. “

    Das ist doch selbstredend..
    Deutsch wwird von mehr als 120 Mio Menschen gesprochen, inkl der Deutschen Dialekte noch ein paar mehr..
    Da ist nichts von bedrohung zu sehen..

  3. Weil:

    Deutsch steht mit 90 Millionen Sprechern an zehnter Stelle, direkt nach Russisch und Japanisch, weit vor Sprachen wie Französisch, Türkisch oder Polnisch (s. Ethnologue – Languages of the World. Da fällt es mir schwer, an eine Gefährdung der deutschen Sprache zu glauben.

  4. Deutsch

    Richtig, Deutsch ist nicht „dabei“, weil die UNESCO sich trotz Anglizismenschelte und Sprachpanscher-Wahlen weigert, einzusehen, dass diese Sprache dem Untergang geweiht ist. Man will bei der UNESCO nicht verstehen, dass Deutsch bei dem derzeitigen Tempo des Sprachwandels möglicherweise schon in 500 Jahren kaum noch wiederzuerkennen sein wird.

  5. A.S
    Wenn man mal alte Bücher liest, die 100 jahre alt sind, erkennt man das Deutsche da kaum wieder. Von daher sind 500 jahre etwas hoch gegriffen. Und noch ältere Bücher, die so an mein Haus (1832) herran reichen, können eh höchstens nur wenige wirklich lesen.. Und wenn ich mit meiner Oma praat, verstehen das höchstens Kässköppe 😉

  6. alte Bücher

    @mathias: So sehr hat sich das Deutsche denn doch nicht gewandelt, sonst wären Goethe und seine Zeitgenossen uns unverständlich. Ich habe gerade mit großem Vergnügen und ohne Probleme Friedrich Gerstäckers “Im Eckfenster” von 1870 gelesen. Außer dem Begriff “Ausschnitthandlung” mußte ich nicht ein Wort nachschlagen. Der Stil mag etwas altertümlich sein, manche Ausdrücke sind es auch, aber es ist alles als Deutsch zu erkennen.

  7. 100 Jahre???

    Wenn man mal alte Bücher liest, die 100 jahre alt sind, erkennt man das Deutsche da kaum wieder.

    Hab ich da irgendwo einen Ironiemarker übersehen?

  8. Alte Bücher…

    @ mathias:

    … kann zumindest ich problemlos lesen. Hab grad mal ein naja… “nur” 84 Jahre altes Buch rausgekramt. Bis auf einen gewissen “Kochbuchstil” (“Man nehme …”) ist das Ganze in einer heute absolut verständlichen Sprache und in einem absolut verständlichem Sprachstil verfasst.

  9. Martin schrieb: > Warum … Hm?

    Weil … gestern ja nicht der “Tag der Landessprachen” begangen wurde; der bislang wohl sowieso noch keinen Termin hat (sondern nur hypothetisch ist, so sehr er vielleicht auch für Touristen, Entwicklungshelfer und/oder -profiteure oder sonstige Kosmopoliten ein Anlass zum Feiern und Reflektieren wäre).

    Sofern die Sprache “Deutsch” also nicht mit bestimmten Müttern zusammenhängt —
    warum dann eigentlich mit bestimmten Ländern? …

  10. Ist Sprache nicht letztlich auch etwas, das dem ständigen Wandel unterliegt, so wie alles auf der Erde? Manchmal hab ich ein Problem damit, dass man unentwegt das was war, um jeden Preis erhalten will, saniert und renoviert. Das Leben entwickelt sich in neue Richtungen und damit auch die Sprache, egal ob in Deutschland oder sonstwo. Und je näher die Völker zusammenrücken werden, desto mehr werden sich die Sprachen in Zukunft vermischen.

  11. Internationaler Tag der Muttersprache

    http://www.unesco.de/2975.html

    Sprachliche und kulturelle Vielfalt repräsentieren universelle Werte, die Einheit und Zusammenhalt einer Gesellschaft stärken. Der Internationale Tag der Muttersprache erinnert an die Bedeutung des Kulturgutes Sprache. Er soll die Sprachenvielfalt und den Gebrauch der Muttersprache fördern und das Bewusstsein für sprachliche und kulturelle Traditionen stärken.

    Wenn schon nicht – aus einseitig sprachwissenschaftlicher Sicht, versteht sich – unsere Muttersprache Deutsch bedroht ist, dann doch unsere kulturelle Vielfalt.
    Ich habe das hier bereits an anderer Stelle ausgeführt, wie wenig Vielfalt man z.B. in unseren Rundfunk- und Ferbsehprogrammmen erkennen kann. Die sind nämlich allesamt anglo-amerikanisch geprägt. Viel englische Musik, viele amerikanische Filme machen noch lange keine Vielfalt aus. Im Gegenteil, sie beweisen eine beklagenswerte Einseitigkeit unserer gegenwärtigen Kulturlandschaft. Noch nicht einmal unsere Einwanderer (um das Wort Migranten einmal zu vermeiden) kommen gebührend zu Wort. Weder wird in unseren Schulen z.B. Türkisch unterrichtet, noch haben wir Sendeplätze für sie übrig.

    Beim Tag der Muttersprache geht es tatsächlich um die Muttersprache, und zwar – bitte nicht vergessen – um die jeweils eigene. Die Unesco setzt sich für die (Mutter-)Sprachen ein, aus den oben genannten Gründen, und nicht dafür, dass eine Sprache oder eine Kultur die Welt dominiert.
    Sprachenvielfalt im Sinne der Unesco heißt außerdem Sprachenvielfalt auf der Welt und nicht babylonische Sprachzustände in einem Lande oder die Durchsetzung der Muttersprache mit Anlizismen. Im Gegenteil, Sprache soll Einheit und Zusammenhalt einer Gesellschaft stärken. Jedenfalls lese ich das so heraus, und auch so etwas wie das hier verpönte Wort Sprachenpflege.

    Das alles hat nichts mit dem Schutz von Minderheitensprachen zu tun, der selbstverständlich sein sollte, für mich als erklärter Anhänger von Mundarten und Dialekten allemal.
    Statt Englischunterricht schon in der Grundschule wäre für die jeweiligen Kinder die Unterrichtung in Sorbisch, Saterfriesisch usw. in den entsprechenden Regionen Deutschlands viel sinnvoller. Und für unsere Migrantenkinder wäre ein Unterricht in der Sprache der Eltern und Großeltern mit Sicherheit fruchtbringender als alles andere. Die Fremdsprache, die der normale Bürger in der Regel noch nicht einmal im Beruf braucht, kann der Schüler auch später noch auf einer weiterführenden Schule lernen. Und für das bisschen Englisch, auf das unser Fremdsprachenunterricht ja eigentlich beschränkt ist, reicht es allemal.

  12. Die sprachlose Forschung

    Neben Saterfriesisch und Nordfriesisch ist in Deutschland noch eine andere Sprache bedroht bzw. bereits ausgestorben, nämlich die Wissenschaftssprache Deutsch. Das jedenfalls sieht Peter-Andre` Alt, Literaturwiisenschaftler und Präsident der Freien Universität Berlin, so:

    http://www.tagesspiegel.de/…rschung/4679386.html

    So enthält man mir als Steuerzahler und Bürger dieses Landes und mit meinen verblassten Schulenglischkenntnissen viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Das ist nicht nur ein Skandal an sich, sondern auch eine neue Form der Zensur, wie wir sie lange nicht mehr hatten.

    Die geschätzten Werke von A.S. z.B. werden mir deshalb wohl auf immer verschlossen bleiben.

  13. @Klausi

    Bei Interesse an meinen wissenschaftlichen Einsichten empfehle ich Ihnen, erstmal mit meinen zahlreichen deutschsprachigen Publikationen anzufangen. Ich empfehle allerdings, vorher Sprachwissenschaft zu studieren, da die (durch und durch deutsche) Fachterminologie sonst ein Problem darstellen dürfte.

  14. Tag der Analphabeten

    Die Sprache kommt als Letztes. Das ist das Allerletzte.

    Mehr denn je widmet man sich den der Sprache nicht mehr Mächtigen, den mentalen Analphabeten. Ihrer Wichtigkeit entsprechend ist ihr Tag einzig, er reicht vom 1. Januar bis zum 32. Dezember (um ganz sicher zu gehen, keinen zu vergessen.)