Achromasie – Antwort auf Leserbriefe

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

Im Heft 5/2009 erschienen zwei Leserbriefkommentare zu meinem Artikel in 1/2009. Leider war es der Redaktion bis heute nicht möglich, meine Antwort auf Papier zu drucken: Der Platz ist ja strikt limitiert. Damit sie aber nicht in den unendlichen Weiten meiner Festplatten und der Festplatten der SuW-Redaktion verschwindet, stelle ich sie hiermit online. 

Wer nahm die Farbe aus dem Teleskop

In meiner sehr knappen historischen Skizze zur Einordnung des von mir studierten Rolfschen Medials in Rathenow von 1953 hatte ich aufzuzeigen versucht, dass Linsen- und Spiegeloptiken sich gleichzeitig entwickelten und über einige Jahrhunderte ein Wettrennen lieferten: Alexander von Humboldt stellt es in seinem Kosmos dar: “Auf eine lange Herrschaft der Reflectoren folgte wieder in dem ersten Fünftel des 19ten Jahrhunderts ein Wetteifer in Anfertigung von achromatischen Reflectoren und Heliometern […] Zu den Objectiven von außerordentlichen Größen lieferten in Deutschland das Münchener Institut von Utzschneider und Fraunhofer, später Merz und Mahler; […]” (S. 79 f.) Wie Gerhard Schmitt in seinem Leserbrief konstatiert, wurden also erst mit Fraunhofers Arbeiten große Achromate für Riesenfernrohre wie das Rolfsche 70-cm-Medial in Rathenow und das Vergleichsteleskop von F.S. Archenhold in Berlin-Treptow – übrigens ein traditioneller Achromat – möglich.

Achromasie

Richtig ist der Einwand, dass Fraunhofer die Achromasie nicht erfunden hat (herzlichen Dank fürs Bemerken dieser Ungenauigkeit an Herrn Witt), sondern dass er sie von einem Einzelhandwerk zur mathematisch verstandenen und entwickelbaren Serienfabrikation in großem Stile ausbaute. Seine Arbeiten sowie die von Ernst Abbe und Otto Schott (Jena) waren also grundlegend für Ludwig Schupmann in seiner Schrift über Medialfernrohre von 1899 (siehe insbes.: Vorwort Schupmanns).

Zur Priorität: Das Patent für den Achromaten hatte John Dollond 14 Jahre lang ab 1758, weil sein Sohn als gewitzter Geschäftsmann dies erwirkt hatte. Geschichtsforschung hat jedoch nachgewiesen, dass er nicht der Erfinder der achromatischen Optik war. Stattdessen wird diese Idee dem Optikmeister Chester Moore Hall zugeschrieben, von dessen Vorerfindung um 1729 Dollond gewusst hat. (lt. Riekher, S. 110 und Einsporn, S. 34 ff.)

Reflektor

Diskussionswürdig hingegen ist der Protest von Volker Witt bezüglich des Datums des ersten Spiegelfernrohrs. Ich schlage vor, dies hier in den kosmologs zu diskutieren und warte auf viele konstruktive Beiträge. Die Priorität ist allerdings wahrlich nicht der wichtigste Aspekt in der Geschichtsforschung, sondern vielmehr die Wege der Erkenntnis.

In meinem Artikel nannte ich “Niccólo Zucchi 1608” und berufe mich dabei auf das Handbuch zur Gechichte der Optik, Erg.Bd. 1, S. 387. Dort wird der Wiener Sternwartendirektor Johann J Littrow in Gehlers Wörterbuch (1825-1845), S. 164 zitiert. Womöglich gibt es alternative Datierungen.

Fakt ist jedenfalls, dass die Idee zum Spiegelfernrohr mindestens gleichzeitig mit dem Linsenfernrohr auf dem Markt war und nicht erst später hinzukam, wie oft in Schulbüchern dargestellt. So schreibt Sven Dupré in SuW 1/09, S. 46 “Es gab in der Tat eine lange und ausufernde Tradition im Studium sphärischer und parabolischer Brennspiegel …, die bis in die Antike zurückreicht.” und S. 45 zitiert er della Porta (von manchen als “Erfinder” oder zumindest Vorbote der Teleskope deklariert, obgleich er in seiner Magia Naturalis nur einige zwiedeutige Andeutungen macht): “… Leuchtturms Pharos im alten Alexandria. An dessen Spitze soll König Ptolemaios angeblich einen Hohlspiegel montiert haben, um ‘um damit feindliche Schiffe sehen zu können (…)’ … Interessanterweise wurden … die teleskopischen Eigenschaften Hohlspiegeln zugeschrieben, nicht Linsen.”

wann

wer

was

1608

Niccolo Zucchi

lt. Littrow (1845) erstes Spiegelfernrohr (zitiert nach Schmitz, 1982)

1616

Niccolo Zucchi

Veröffentlichung über Konstruktion und Beobachtung mit einem Reflektor

1626

Cesar Caravaggi

Reflektor konstruiert

1639

Marin Mersenne

Publikation über Reflektor

1661

James Gregory

experimentiert mit Reflektor

1663

James Gregory

Publikation über seine Arbeiten

1668

Isaac Newton

experimentiert mit Reflektoren

1669

Isaac Newton

präsentiert Isaac Barrow seine Arbeiten

1672

Isaac Newton

Präsentation des Newton-Reflektors in der Royal Society

1672

Laurent Cassegrain

erfindet sein Spiegelsystem (lt. Riekher)

 

Referenzen 

Leserbriefe in SuW 05/ 2009 S. 8 von Volker Witt und Gerhard Schmitt. 

Sven Dupré: Die Ursprünge des Teleskops, in SuW 1/09, S. 44 ff.

Herbert Einsporn: Vom Brillenglas zum Riesenspiegelteleskop, in: Susanne Hoffmann [Hrsg]: Augen des Astronomen, Archenhold-Sternwarte, 2003, S. 34-43

Alexander von Humboldt: Kosmos, Entwurf einer physischen Weltbeschreibung, 1845, Bd 3

Rolf Riekher: Fernrohre und ihre Meister, Verlag Technik GmbH Berlin, 1990

Emil-Heinz Schmitz: Handbuch zur Geschichte der Optik, Bonn 1982

Ludwig Schupmann: Die Medialfernrohre – Eine neue Konstruktion für große astronomische Instrumente, Druck und Verlag Teubner, Leipzig 1899

 

Nota Bene

Leider ist Volker Witt einem Trugschluss aufgesessen, wenn er meint, “Sicher hätte dann auch Galilei … diesen Instrumenttyp ausprobiert”, wenn es bereits erfunden gewesen wäre. Allein die Tatsache, dass eine Person im 17. Jh. etwas erfunden hat, sagt überhaupt nichts aus über die Verbreitung dieser Erfindung zu jener Zeit. In einer Zeit ohne die flächendeckende Verbreitung von schnellen Internetzugängen, ist man hinsichtlich Publikationen auf langsamere Medien angewiesen (z.B. Brief per Bote). Zudem ist es sehr stark von Zufällen abhängig, ob ein bestimmter Gelehrter von einem bestimmten anderen Nachricht erhält. Dieser Schluss ist also nicht zulässig.

 


Historische Wissenschaften sind eine knifflige Angelegenheit, mindestens so knifflig wie Physik, nur auf andere Art – nicht zuletzt deshalb, weil die Leute oft von einander abschreiben (zitierend oder früher manchmal auch nicht) und man nicht immer alle Quellen nachvollziehen kann, so dass sich auch Falsches tradiert. Ich danke daher meinen Lesern für die Hinweise auf andere Literatur, womit ich manche (nach bestem Gewissen zitierten) Lexikoneinträge ad absurdum führen kann. Ich bitte aber im Gegenzug auch um Ihrerseits kritisches Hinterfragen von vermeintlichen Zitaten, bevor Sie mir Leserbriefe schreiben: Nicht alles, das irgendwer in einem Museum gehört oder gesagt hat, ist korrekt und wissenschaftlich wertvoll. Der Wissenschaft wäre jedoch sehr geholfen, wenn wir dies hier im Blog online diskutieren können, um miteinander gemeinsam der Wahrheit auf die Spur zu kommen… bevor es im Print-Medium SuW ins Reine geschrieben (gedruckt) wird. Danke!  🙂

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

1 Kommentar

  1. Achromasie

    Der ewige Streit um die “Erfindung des Teleskops” treibt immer wieder neue Blüten: Dabei hat Leonardo da Vinci schon 1508 (Cod.Atl. fol 190 recto) geschrieben: “Mache Augengläser, um den Mond groß zu sehen.” Die Lösung hat er in Cod. Forster von 1508 fol. 25 recto gezeichnet und geschrieben, dass man zwei Gläser braucht, éine Sammellinse, wie sie alte Leute brauchen und eine “dick an den Rändern und dünn in der Mitte”. Im richtigen Abstand angeordnet ergeben sie dann das später Galileo zugeschriebene Fernglas (heute: Opernglas).
    Außerdem hat erschon den Unterschied der Strahlengänge im Kugelspiegel und im Parabolspiegel richtig nach unserer heutigen Schreibweise) gezeichnet.
    Das Ganze ist ausgegraben worden von einem Herrn Argentieri in einem Katalog über die Leonardo-Ausstellung in Mailand 1939. Bildband: “Leonardo da Vinci, Das Lebensbild eines Genies, 6. Aufl. Instituto Geografico De Agostino S.p.A. Novara 1955 /1972

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