Buch: Die Jagd auf die Venus

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

Historikerin Andrea Wulf hat ein sehr fundiertes Überblickswissen über die Epoche, von der sie hier berichtet. Dadurch kann sie seitenweise eine Situation beschreiben, als wäre sie höchstpersönlich vor Ort, obgleich diese Situation bereits ein viertel Jahrtausend her ist. Auf diese Art versetzt die Autorin die Lesenden jeweils adäquat in eine Szene, z.B. ins Paris des 30. Aprils 1760, als Monsieur Joseph-Nicolas Delisle zu einer Sitzung der Académie des Sciences aufbrach. Bevor sie den Protagonisten aber auch nur einen einzigen Schritt tun lässt, erzählt sie auf S. 32 bis 34 in ausschweifenden Worten, wie es in Paris damals aussah. Dieser blumige, vollmundige Stil erklärt auf den ersten Blick im Nu, warum dieser Wälzer 297 Seiten stark ist: Er liest sich teilweise eher wie ein Roman. … Tja, wer’s mag … und wer’s nicht mag, kann ja auch gezielt ein paar Seiten überspringen, ohne was zu verpassen. 😉

Fazit: Man sollte das Buch lesen, wenn man viel Zeit und Muße dafür hat oder wenn sich auch ohne viel Geschichtswissen richtig in die Menschen von damals, ihre Lebensumstände und ihre Leistungen einfühlen möchte.

Für meinen persönlichen Geschmack (stets auf der Suche nach Informationen und getrieben von unentwegter Wissbegier) ist das Buch zu unterhaltsam geschrieben – aber das war ja gerade das Ziel der Autorin. Als Historikerin hat sie so gründliche Kenntnisse der politischen und sozialen Gegebenheiten, dass sie für vieles den Quellennachweis einfach weglassen kann. Es ist sozusagen “Grundlagen-Wissen” aus dem Geschichtsstudium, nur eben besonders blumig aufbereitet. Sogar in den Naturwissenschaften hat sie sich kundig gemacht, was für sie wahrscheinlich nicht leicht war (wie man der fulminanten Danksagung entnehmen kann). Es gibt nur so winzige Schwächen, dass man sie im Allgemeinen sowieso nicht sehen wird, weil der Leseschwerpunkt ein völlig anderer ist. Zum groben Verständnis des geneigten Lesers, worum’s den Astronomen in den 1760ern ging, ist das Buch exzellent geeignet. Andrea Wulf wollte ja kein wissenschaftliches Fachbuch schreiben, sondern die wahren Geschichten der Menschen erzählen, die Fachbücher damals schrieben oder auch nur Beiträge dafür lieferten, dass andere dies tun konnten.

Ausführlich beschreibt sie welcher Astronom mit welchem Politiker wie verhandelt hat, wer beleidigt war und wer sich freute, wer durch kriegerische Auseinandersetzungen auf dem Weg blockiert wurde und wie die einzelnen “Helden” ihre Ergebnisse selbst einschätzten und manipulierten.

Sie beschreibt für 1761 die Beobachtungen durch Le Gentil (an Bord der Le Sylphide in der Nähe von Sri Lanka), Chappe d’Auteroche (Tobolsk, Sibirien), Alexandre-Gui Pingré (Ind. Ozean), Lomonossow (St. Petersburg), Anders Planman (Finnland), Pehr Wilhelm Wargentin (Stockholm, Schweden), Nevil Maskelyne auf St. Helena (Südatlantik), John Winthrop in Neufundland sowie Charles Mason und Jeremiah Dixon am Kap der Guten Hoffnung (Südafrika).

Anschließend schildert sie, wie sich die Astronomen stritten und wer seine Messwerte auf welche Weise nachträglich retuschierte und wie man nach gütlicher Verwirrung dadurch dann doch lieber auf den Transit 1769 wartete.

Fanden die ersten Expeditionen noch im siebenjährigen Krieg statt, war dieser acht Jahre später also bereits vorbei. Hier gab es also nicht nur einzelne, versprengte “Schäfchen”, die die “Hochzeit der Venus mit der Sonne” zu beobachten trachteten. Vielmehr teilt die Autorin nun die Beobachter in Gruppen nach ihren Himmelsrichtungen ein: Nach Süden fuhr die Endeavour des berühmten britischen Entdeckungsreisenden James Cook bei seiner ersten Weltumseglung. Auf Tahiti beobachtete der Astronom Charles Green den Transit. Nach Westen ging die französische Expedition von Chappe d’Auteroche (siehe oben), der in Nordkalifornien beobachtete. Im Norden, konkret in Vardoe auf dem Polarkreis beobachtete Maximilian Hell und auch Jeremiah Dixon hatte sich in der Nähe des Nordkapps zu einer Beobachtung eingefunden. Nach Osten ging eine weitere französische Expedition: Le Gentil war nach dem ersten Transit gleich in der Südsee geblieben und wollte nun von Pondichéry beobachten, doch waren dem armen Mann leider die Wetter nicht gesonnen.

Die Autorin schildert die Ängste und Sorgen der Astronomen aus ihren Tagebüchern, so dass man live und mitfühlend dabei zu sein fühlt, während sie auf einen wolkenfreien Himmel warten. Man weint und jubelt mit ihnen, obgleich sie lange tot sind und der schwarze Punkt vor der Sonne offenbar (sie können es manchen Kommentaren in meinem Blog entnehmen) manche Menschen auch gar nicht weiter interessiert. Aber Mitgefühl mit diesen Herren Artgenossen hat man sehr wohl, so wie es Andrea Wulf schildert. Mit Worten malt sie Bilder in unsere Hirne, die wir plötzlich durch alle Sinne wahrnehmen – es sind nicht rein visuelle Bilder, sondern man hört regelrecht den brausenden Sturm des LeGentil 1769 und riecht das dreckige und miefende Paris des Delisle 1760.

Zu Gute halten möchte ich der Autorin auch die offenbar gründlichen Recherchen zu den Venustransit-Expeditionen und ihre ausführlichen sachkundigen Berichte des Wesentlichen davon. Sie erzählt für beide Transits mehrere Geschichten parallel, überschrieben stets durch den Namen des Expeditionsleiters. Ich habe das Buch vor einer Weile auf einem Segeltörn gelesen und meine Begleiter lasen währenddessen gerade einen Roman, der ganz ähnlich aufgebaut war. Nur, dass es in “meiner” Geschichte um wahre Begebenheiten und echte (wenngleich inzwischen verstorbene) Menschen ging, während der Roman frei erfunden war.

Das ist wohl das Kunststück, das die Autorin hier vollbringen will – sie verheiratet quasi den Stil des künstlerischen Genres “Roman” mit den fachlichen Informationen aus ihrem Studium. (Da kann man ja mal ein Auge zudrücken bei der Genauigkeit.) Ein uralter “Trick” von schreibenden Wissenschaftlern, die ihr Metier unters Volk bringen wollen – und zwar ein ziemlich raffinierter. 🙂 Eine Art Geniestreich, der irgendwie immer funktioniert… aber man muss es natürlich lesen wollen.

Alles in allem halte ich das Buch durchaus für sehr lesenswert: ein Buch für Hobby-Astros, Schmökernde, Hobby-Historics, … und alle die gern was über die Menschen hinter und in der Wissenschaft lernen wollen. 


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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

3 Kommentare

  1. Bilder – Avatare

    Nur mal so nebenbei: können Sie sich eigentlich für kein Bild entscheiden, oder warum wechseln Sie die Bilder dauernd?

  2. nur mal so nebenbei:

    1. Ich wechsele das Avatar (Passbild) abhängig vom Thema des Artikels, das war zumindest die anfängliche Intention (manchmal bin ich schusselig) – ist das Thema eines Artikels z.B. “arab. Astro” wähle ich ein Bild mit Schleier oder Turban, ist das Thema andererseits Fernrohre dann eben ein Bild mit Fernrohr, ist das Thema Venustransit dann eben mein Bild mit Beobachtung eines – ok – Mond-Transits (also einer partiellen SoFi), wenngleich man mich darauf dann kaum erkennt, weil so winzig… aber der Bilder hinterfragende Lesende, kommt vielleicht drauf und wer sie nicht hinterfragt, der hat wenigstens ein bisserl Abwechslung und die scheint ja im Internet immer sehr erwünscht zu sein. 🙂

    2. Außerdem habe ich damit gleich noch ein anderes Thema “erschlagen”, ein ganz persönliches, für das ich weiter ausholen muss: aus emotionalen Gründen hatte ich früher einmal (ungefähr in der Oberstufen-Schulzeit) Fotos von Menschen wirklich gehasst, denn Fotos sind tot, Menschen lebendig: Ich wollte von Menschen, die mir etwas bedeuten darum keine Fotos um mich herum stellen, weil a) Fotos eben nur ein (Ab)Bild des Menschen sind und ich lieber den echte Menschen als ein totes Avatar um mich gehabt hätte und weil b) Fotos naturgemäß einen Zustand in der Vergangenheit zeigen, eine Momentaufnahme. Die Realität kann dies schon längst überholt haben.

    Tja … Bei Sternen macht sich jeder “Depp” (sorry) darüber Sorgen, ob es sein könnte, dass ein Stern, den oder dessen Bild am Himmel wir sehen, aufgrund der Lichtlaufzeit vielleicht schon weg sein könnte – bei Menschen schert das irgendwie keinen. Menschen sind lebendige Wesen, die sich bewusst und unbewusst entwickeln, willendlich und zufällig verändern und nicht nur exakt berechenbar verändern wie ein Stern. Bei Menschenfotos ist also die Wahrscheinlichkeit, dass sie schon überholt sind viel höher als bei Sternen (deren Lebensdauer im Schnitt deutlich größer ist als unsere Sichttiefe am Himmel – hat zumindest mein Astro-Prof immer gesagt). Da gaukelt einem das Foto diese Echtheit vor, als wäre es aus dem echten Leben so und nicht anders, denn die photo-graphie hat ja die Natur selbst durch ihren “Pinsel”, dem Licht, gezeichnet und nicht ein künstlerisch verfälschender Portraitmaler, der’s vllt mit der Naturtreue nicht so genau nimmt. Stattdessen ist aber das Foto der Realität zeitlich sehr hinterher und wenngleich es im Augenblick der Aufnahme (von verzeichnender Optik abgesehen) naturgetreu gewesen sein mag, so muss es ja zum Zeitpunkt der Betrachtung nicht mehr aktuell sein. Es ist also genau genommen nur gut für die Erinnerung an jenen Moment, aber nicht an einen Menschen.

    Damals hatte ich übrigens mit solchen Überlegungen beschlossen, dass ich in meinem Kopf stets aktuelle Bilder von den mir wichtigen Menschen aus meinem Umfeld haben möchte und nicht nur veraltete (tote) 2D-Avatare. Also, lieber die jeweiligen Menschen persönlich treffen, als alte Fotos aufstellen.

    Nun bin ich inzwischen zwar nicht mehr ganz so radikal in meinen Ansichten wie als Teenager und sehe auch neue Argumente der Praktikabilität. Inwzischen lasse ich daher gerne Fotos von mir und anderen Menschen zu und habe die Vorzüge von Fotos sogar akzeptiert. 🙂 Allerdings bin ich auch bestrebt, sie halbwegs abwechslungsreich zu halten, wenn ich kann:

    Wechsle ich also hier das Bild, zwinge ich mich, für jeden Artikel neu zu entscheiden, ob ein Bild noch aktuell/ angemessen ist oder nicht. – Ein zaghafter Versuch, auch mit einem 2D-Avatar eine gewisse Lebendigkeit der Schreibenden zu vermitteln.

    Übrigens: Ich habe gewiss viele Eigenschaften, aber einen Mangel an Entscheidungsfreude kann man mir wirklich nicht vorwerfen. 🙂 Insofern: sehr charmante Formulierung der Frage, da offensichtlich absurd. 🙂

  3. Pingback:Venustransit als Jugend-Expeditionen zur Vermessung des Sonnensystems › Uhura Uraniae › SciLogs - Wissenschaftsblogs

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