Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

“Was ist nun eigentlich Zeit?” fragte ich den Autor dieses Buches nach seiner Lesung heute in der Berliner Staatsbibliothek “weiß ich nicht” war die Antwort. : – ) Da beschäftigt er sich nun jahrelang mit den Beschreibungen der Zeit durch zwei der größten Köpfe der Mathematik, Philosophie und Physik der letzten Jahrhunderte und ihm fällt trotzdem keine bessere Antwort ein als die, die bereits der Kirchenvater Augustinus vor anderthalb Jahrtausenden gab. Tja nun, das war ja auch eine gemeine Frage, denn an der Frage nach der Natur der Zeit arbeiten sich die großen Philosophen seit Jahrtausenden ab. Andererseits war dies aber seine selbstgewähltes Thema: er wollte ein Buch über Zeit schreiben und unsere Auffassung(en) davon, nicht in erster Linie über zwei Sturköppe des 17.Jh. : – ) die nur Beiwerk und Aufhänger von Geschichten sind.

Problemskizze

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Der Autor bei der Lesung, StaBi Berlin.

Der Autor des oben genannenten Buches, Thomas de Padova, lebt in Berlin – einer modernen Metropole, in der sich die Züge, Busse, Bahnen usw. … dringend minutiös an Fahrpläne halten sollten *), weil sie sonst schon der nächste Zug/ Bus sie überholt bei einem Takt von 5 min oder so … Es geht mir hier nicht darum, ob dies immer eingehalten wird, sondern darum, dass unser modernes Leben von Uhren bestimmt wird: wir hetzen nach der Zeitplänen, von Termin zu Termin, von Zug zu Zug … und der Sekundenzähler der Digitaluhr rennt emsig im Kreis als merkte er nicht, dass er nach 60 Einheiten schon wieder bei derselben Zahl angekommen ist.

Dass unser Leben so minutengenau getaktet ist, ist allerdings eine Erfindung der Neuzeit. Im Altertum und Mittelalter, so berichtet das Buch kontextuierend, waren minutengenaue Angaben bestenfalls von akademischem Interesse: weder die schafzüchtenden Ahnen Isaac Newtons in Lincolnshire noch die Leipziger Philosophieprofessoren in der Familie von Gottfried W Leibniz haben sich im Alltag für Minuten oder Sekunden (die erste und zweite sechzigstel Teilung) der Stunde interessiert.

Erst im Jahre 1657 – Newton und Leibniz waren gerade pubertiernde Teenager mitten im Studium – gab es die weltweit erste Uhr mit einem Sekundenzeiger. Und es mussten weitere siebzig Jahre ins Land gehen bis 1730 die Sekundenzeiger auch auf die Sekunde genau richtig anzeigten!

Diese und andere Fakten lernt man, wenn man das Buch liest, das sich an den zwei großen Charakteren und auch politisch wichtigen Persönlichkeiten durchs 17. und beginnende 18. Jahrhundert hangelt.

Die treibende Kraft der Entwicklungen der Uhren kann man sehr gut erzählen: Technikgeschichte ist etwas sehr habtisches, sehr klar und mithin – mehr oder weniger – gut recherchierbar. Schwieriger wird es dann schon bei den Charakteren der genannten Herren. Leibniz war ein Vielschreiber, der Eigenbrötler Newton mitunter ein bißchen wortkarg. Ihre Prioritätsstreitigkeiten sind bekannt und beschäftigen aufgrund ihres Umfangs Scharen von Wissenschaftshistorikern bis hin zu Didaktikern. Aber die Philosophie, die hinter allem steht, ist leider nur wenigen Menschen so deutlich und zugänglich aufzubereiten gelungen.

Es ist nicht mehr und nicht minder als die Debatte um das Wesen von Raum und Zeit – eine Debatte, die bis heute nicht entschieden ist und im 20. Jahrhundert als Konflikt zwischen der Zeitauffassung in der Allgemeinen Relativitätstheorie versus der Zeitauffassung in der Quantenphysik wieder auflebt – meint dePadova. In diesem Sinne wäre die Einsteinsche Auffassung von Zeit – paradoxerweise – newtonsch und erst die quantenmechanische Auffassung alternativ leibnizsch.

Newton – so Padova – lehrte, dass es eine absolute Zeit gibt und seine gesamte Methodenlehre, seine methodisch revolutionäre Beweismethode “proof by experiments” **) basiert darauf, dass eine absolute Zeit quasi als Wäscheleine dient, an der der experimentierende Naturforscher seine Ereignisse festklammert, was zugegebenerweise eine hochpräzise Zeitmessung voraussetzt, aber sobald diese gegeben ist, hat dient die Zeit eben als kontinuierliche, ewige und absolute “Wäscheleine”.

Leibniz hingegen sieht das Ganze abstrakter: Nach seiner Ansicht – so dePadova – ist Zeit etwas relationelles, d.h. sie exisitert gar nicht wirklich, sondern sie wird nur dadurch geschaffen, dass wir sie subjektiv wahrnehmen. Sie ist in dieser Vorstellung quasi eine (mathematische) Illusion und entsteht nur in uns selbst, wobei jedes Wesen eine andere Eigenzeit haben mag.
Das ist eine sehr phänomenologische Zeittheorie, die man wohl in der Soziologie pflegt, wenn es darum geht, dass das “Jetzt” typischerweise als eine Einheit von drei Sekunden empfunden wird. Auch dieser Frage widmet dePadova in seinem Buch ein ganzes Kapitel.

Auch Einstein wird gegen Ende seines Lebens der Sinnspruch zugeschrieben, dass “…die Scheidung zwischen Vergangenheit, Gegenswart und Zukunft nur die Bedeutung einer wenn auch hartnäckigen Illusion” habe, was in einem gewissen religiösen Kontext, in dem es gesagt worden sein soll, sicher auch Sinn ergibt – aber jedenfalls mit der physikalischen Kenngröße “Zeit”, mit der wir Geschwindigkeiten, Beschleunigungen, Kräfte, Halbwertzeiten, Leistungen, Entwicklungsprozesse, Wachstum usw. beschreiben sicher wenig zu tun hat.

1_ErfindungDerZeit_webdePadova versucht in diesem Buch die große Vereinigung von alle dem: von der sog. klassischen Physik und ihren mathematischen Grundsätzen (philosophiae naturalis principia mathematica), der Philosophie von Locke/ Hume bis zu modernen Sozialwissenschaftlern, den menschlichen Faktoren der Wissenschaft: den Streithähnen Leibniz, Newton und ihren jeweiligen “Verbündeten” sowie den Königen/ Fürsten, die dieser Streit politisch betraf bzw beeinträchtigte und der Prinzessin, die dies zu schlichten versuchte…

Sein Resümee ist schlussendlich, dass die historische Epoche der Neuzeit ihren Namen daher hat, dass sie eine neue Zeit(anzeige) in die Wohnzimmer und Küchen der Welt einführte. Bisher hatten die Uhren sich durch Stunden- und Viertelstundenschläge bemerkbar gemacht (engl. daher onomatopoetisch “clock”) und waren als Automaten aus Gold und Edelstein mehr ein Deko-Element als funktional und jetzt fingen sie an, die Funktionalität zu betonen und minutiös oder sekundengenau die Zeit zu zeigen (engl. daher “watch”). Sie wandelten sich also in ihrer Wahrnehmung (vom hören zum sehen), in ihrer Funktion (von Schmuck zu Zeitgeber) und in ihrer Genauigkeit und prägten damit auch eine ganz neue Kultur: plötzlich wurde es viel besser möglich,

  • Weltrekorde im Laufen aufzustellen, ohne dass sich die Läufer am gleichen Ort maßen,
  • Zeiten / Termine in Großstädten (Sitzungen, Theateraufführungen, Fahrzeiten von Kutschen und Zügen, Buchlesungen…) besser zu synchronisieren
  • auf Fernreisen den eigenen Längengrad und die Geoidgestalt der Erde zu bestimmen
  • Arbeiter nach Stechuhren zu bezahlen
  • und vieles mehr

Die genaueren Uhren und die damit verbundenen genaueren und häufigeren Verabredungen / Termine brachten also – so dePadova – die Geschwindigkeit in die Welt. Er vertritt quasi die Auffassung, dass es unser Vermögen zur Zeitmessung ist, das uns die fortwährende Beschleunigung in unseren Lebensalltag brachte.

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle das Buch “Beschleunigung” von Hartmut Rosa (Sozio-Prof in Jena) verweisen, jedenfalls geht es ab hier jetzt um Meinungen und Darstellungen, die man belächeln, bejubeln oder einfach nur darüber nachdenken kann und da möchte ich hier gar nicht Position beziehen. Sie können das in den Kommentaren gut diskutieren. 🙂

Einschätzung: Das neue Buch ist – wie gewohnt bei dePadova – eine sachlich sehr umfangreiche Zusammenstellung, blumig ausgemalt und doch klar und sachlich erzählt, d.h. journalistisch brillant, wenngleich mit ein paar kleineren Ungenauigkeiten, die man der “dichterischen Freiheit” zuordnen kann und die also wahrscheinlich nur Lehrkräfte und Didaktiker bemerken – d.h. kein Lehrbuch, kein historischer Roman, sondern eine schön formulierte Monografie nach deren Lektüre man ganz sicher intellektuell bereichert ist.

Prädikat:     Jedenfalls lesenswert!

bib.data:
de Padova, Thomas: Leibniz, Newton und die Erfindung der Zeit,
Piper-Verlag, München 2013

 

*) die Berliner S-Bahn hat angeblich eine Fehlertoleranz von 3 min – als passionierte Radfahrerin ist aber meine Stichprobenmenge zu gering, als dass ich das einzuschätzen vermochte: den ÖPNV nutze eigentlich ich nur, wenn ich entweder zu einem Flughafen will oder in eine andere Stadt fahre, denn “Genießer fahren Fahrrad und sind immer schneller da” (J von der Lippe) 😉

**) Sie werden einwänden, dass auch schon Galilei experimentiert habe; kann sein, aber in vielen Fällen ist das nicht so gesichert, wie es bei Bert Brecht dargestellt wird und erscheint aus heutiger Sicht auch viel weniger systematisch als Momo_tit_webbei Newton. Jedenfalls sind die Schlüsse des italienischen Wegbereiters längst nicht so stringent und nüchtern wie bei Newton, der das Experiment als Beweismethode auf eine neue philosophische Stufe hebt


Gimmick:

Zur Ausgangsfrage: Wenn Sie wissen wollen, was Zeit ist, dann empfehle ich Ihnen a) nehmen Sie sich bitte die Zeit, dieses Buch zu lesen und b) mindestens die Zeit fürs Schauen (oder gar lesen) von Michael Endes Meisterwerk Momo.

Da lernt man, dass man Zeit nicht sparen kann – denn sonst müsste man sie ja in eine Zeitsparkasse einzahlen und verzinsen lassen können – sondern man kann sie nur sinnvoll nutzen, wobei “sinnvoll” zwar im Ermessen des Betrachtenden liegt, aber jedenfalls in Gemisch aus fleißiger Arbeit und Streben, Müßiggang mit Freunden und den kleinen Freuden des Lebens (wie schöner Musik, Sinnlichkeit, Fröhlichkeit, ein Glas guter Wein, der Genuss des Sternhimmels oder der Lektüre eines Buches) ist. Die Schildkröte Kassiopeia steht dabei poetisch für “die Entdeckung der Langsamkeit”.

Jedenfalls herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, dieses Netz-Logbuch zu lesen.

 

BTW:
Haben Sie’s auch gemerkt: den ersten Sekundenzeiger datiert Padova auf 1657, also genau dreihundert Jahre, bevor ein erster künstlicher Satellit (Sputnik) die Erde umrundete, umrundete ein erster Sekundenzeiger das (analoge) Zifferblatt.

 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

14 Kommentare

  1. Den Vergleich der Zeitauffassungen von Newton und Leibniz mit denen der Relativitätstheorie und Quantenmechanik finde ich etwas befremdlich. Ich habe das Buch nicht gelesen, und interpretiere daher hier möglicherweise etwas falsch. Aber ist es nicht fast genau umgekehrt wie im Artikel beschrieben?

    In der nichtrelativistischen Quantenmechanik (Schrödingergleichung und so) ist die Zeit ein äußerer Parameter, in dem sich der Zustandsvektor – oder im Heisenbergbild die Operatoren – entwickeln. Auch bei Mehrteilchensystemen gibt es nur eine einfache (äußere) Zeit.
    Der einzige Unterschied zur Newton’schen Physik entsteht (in manchen Interpretationen der Quantenmechanik) bei Messvorgängen. Aber bei moderneren Herangehensweisen wie der Dekohärenz ist auch das kaum noch der Fall.

    In der allgemeinen Relativitätstheorie hingegen ist der Zeitbegriff viel komplexer: Zum einen hat man in vielen Problemen eine Koordinate t (oder x^0) einer Parametrisierung der Mannigfaltigkeit, die in gewissen Grenzfällen der klassischen Zeit entspricht (z.B. weit draußen), aber das ist nur ein Artefakt einer willkürlichen Parametrisierung und hat keine physikalische Bedeutung. Zum anderen gibt es die Eigenzeit eines Teilchens entlang seiner Weltlinie; das ist eine prinzipiell messbare Größe und hat physikalische Bedeutung, ist aber nichts global gültiges, sondern für jede Weltlinie unterschiedlich.
    In gewissen Fällen mag man global zwischen Vergangenheit und Zukunft unterscheiden können, aber im Allgemeinen ist das nicht der Fall. Man sieht das beispielsweise an Lösungen mit geschlossenen zeitartigen Kurven, wie der von Kurt Gödel.

    Auch bei den verschiedenen Ansätzen zur Quantengravitation sehe ich die größeren Abweichungen vom klassich Newton’schen Zeitverständnis aus Richtung der Gravitation (d.h. der Relativitätstheorie) kommen.

  2. Wenn sich die Welt ändert und in ihr Erkenntnissubjekte vorkommen, werden diese zu dem Schluss gelangen, dass die Art dieser Veränderlichkeit ‘Zeit’ ist.
    Terry Pratchett hat sich mit dieser Thematik beschäftigt, in:

    ‘Der Zeitdieb’

    MFG
    Dr. W

  3. Kulturell/zivilisatorisch betrachtet hat sich der Zeitbegriff und die Art des Zeitmessens vom lokalen zum globalen entwickelt, also entlokalisiert, globalisiert (paradoxerweise ist es in der Physik gerade umgekehrt).
    Ein paar Belege dafür: Bis 1850 hatten in Europa die meisten Städte ihre eigene Lokalzeit, die teilweise schon von der Lokalzeit der nächsten Stadt abwich. Und ja, bevor Uhren zum Alltag gehörten orientierte man sich am Verlauf der Sonne um sich gegenseitig zu synchronisieren so wie das bei einem Treffen ja nötig sein kann.
    Andererseits gilt: Gibt es Prozesse, die aufeinander einwirken, spielt das Timing meistens eine Rolle. Nicht nur im Berliner Verkehr (Zitat)

    Berlin – einer modernen Metropole, in der sich die Züge, Busse, Bahnen usw. … dringend minutiös an Fahrpläne halten sollten *), weil sie sonst schon der nächste Zug/ Bus sie überholt bei einem Takt von 5 min oder so .

    Auch schon bei Prozessen in unserem Körper wie dem Herschlag, der Reizleitung, den Nervenimpulsen, die von unseren Finger in unser Hirn laufen und dort verarbeitet werden.

    Heute ist die Zeitglobalisierung so weit fortgeschritten, dass man in Berlin nach 60 Millisekunden ein Ereignis, das sich in New York abspielt, mitbekommen kann und nach 200 Millisekunden bereits eine Antwort darauf zurück in New York ankommen kann. Und dennoch ist das immer noch zu langsam um Videokonferenzen zwischen New York und Berlin in virtuellen Meetings abhalten zu können in einer Art, dass man die Zeitverzögerung nicht als störend empfinden würde.

    • Und dennoch ist das immer noch zu langsam um Videokonferenzen zwischen New York und Berlin in virtuellen Meetings abhalten zu können in einer Art, dass man die Zeitverzögerung nicht als störend empfinden würde.

      Hängt wohl auch von der Konnektivität ab. BTW: Dieser ehemalige Dienst ist rührend, gell: -> http://de.wikipedia.org/wiki/Ruth_Belville

      MFG
      Dr. W

  4. Danke Sven, ich hatte gehofft, dass das jemand sagen würde – bzw. hatte beabsichtigt in naher Zukunft einmal selbst einen post zum Zeitbegriff in der Physik zu machen. Was hier gemeint war, ist – nach meinem Verständnis – die Zeit als gerichtete Größe (der Zeitstrahl läuft stets in dieselbe Richtung). Dass man in der SRT findet, dass jedes Objekt seine eigene Weltlinie und mithin seine Eigenzeit hat, ist ja quasi “nur” die Betrachtung aus Sicht eines anderen Koordinatensystems: also, die Lorentzschen Transformationsgleichungen muss man ja nur deshalb anwenden, weil man eben nicht das gleiche Eigensystem hat, sondern aus einem anderen guckt. Die “absolute Zeit” Newtons, die dePadova behauptet, halte ich daher auch für kritisch als Vokabel in der Sprache der Physik.
    Ich glaube aber gestern verstanden zu haben, was dePadova meint: Ich denke, er will die gerichtete kontinuierliche newtonsche Zeit (die wir ja wirklich bei Einstein beibehalten, nur eben mit Koord.trafo.) abgrenzen von einem abstrakten/ diffusen/ relationales Etwas, das fast schon transzendent auf Physiker wirken mag, weil es eben erst im menschlichen Geiste durch die Sinneswahrnehmungen entsteht und das Leibniz favorisiert. Der Leibnizsche Zeit-Begriff wird wohl heute vor allem in der Soziologie genutzt – oder zumindest sowas ähnliches, das leibnizsch aussieht -> aber ehrlich gesagt, verlasse ich hier meinen Kompetenzbereich, denn was Soziologie angeht, habe ich mein Wissen im Wesentlichen aus dem Feuilleton aufgeschnappt.
    Die Sache mit der QM … tja, da bin ich nicht sicher, ob ich dePadova da richtig verstanden habe, aber QM ist auch nie mein Arbeitsschwerpunkt gewesen und daher muss ich über diese Theorie eher länger nachdenken.

    Jedenfalls ist das, was Padova-Bücher auszeichnet, dass er über die Grenzen der Fächer hinweg zu synthetisieren versucht. Im Falle des Themas “Zeit” erscheint mir das aber eine gigantische Nummer zu sein und bin – ehrlich gesagt – gar nicht sicher, ob das überhaupt zwischen zwei Buchdeckel passt. Auf jeden Fall ist es ein schöner Versuch und als solcher unterhaltsam und gewiss inspirierend.

    Danke auch für die anderen Kommentare. 🙂 Ich wäre dankbar, wenn hier eine gesunde Diskussion entstehen wird, denn das Thema ist ja sehr ergiebig.

    • Ich wäre dankbar, wenn hier eine gesunde Diskussion entstehen wird, denn das Thema ist ja sehr ergiebig.

      Ga-anz am Rande angemerkt, der Schreiber dieser Zeilen hat ja keine Probleme mit dem herkömmlichen relativistischen Zeitbegriff und ist auch nicht dezidiert soziologisch aufgestellt, abär es ist wohl schon so, dass die Welt sich ändert und dass hier (primär) physikalische Sichten angelegt werden, wenn eben die Physiklehere betrieben wird.
      Nichtsdestotrotz werden die Konstrukte Zeit und Raum in einigen Experimenten in Frage gestellt und aus philophischer Sicht ist es eben (letztlich) so wie oben beschrieben.

      MFG
      Dr. W (der auch nichts Besonderes gegen “kranke” Diskussionen hätte)

  5. Susanne M. Hoffmann schrieb (22. November 2013):

    > “Was ist nun eigentlich Zeit?”
    >
    fragte ich den Autor [Thomas de Padova] dieses Buches [Leibniz, Newton und die Erfindung
    der Zeit] nach seiner Lesung heute in der Berliner Staatsbibliothek

    > “weiß ich nicht” war die Antwort.

    Um so anerkennenswerter erscheint Einsteins deutliche und selbstverständliche Antwort:

    […] daß ich an Stelle der „Zeit“ die „Stellung des kleinen Zeigers meiner Uhr“ setze

    [ Zur Elektrodynamik bewegter Körper, §1,
    http://wikilivres.ca/wiki/Zur_Elektrodynamik_bewegter_K%C3%B6rper ]

    die zugleich als universell-verbindliche Grundlage aller weiterer Festsetzungen zum Erlangen
    von (einvernemhlichen) “zeiträumlichen Konstatierungen” (betreffend die Beziehungen mehrerer Beteiligter zueinander) dient.

  6. Die Annahme, dass Zeit eine Illusion unserer Wahrnehmung ist, scheint am vernünftigsten. Denn es gibt nur die sich dauernd ändernde Gegenwart. Geht man vom Urknall als Beginn des Universums aus, so könnte man diesen als Start-Impuls für die Maschine ´Universum´ betrachten – seitdem verringert sich das Energieniveau (durch die Ausbreitung des Universums nimmt der Energieinhalt pro Volumen ab). Zeit wäre demnach der Energieunterschied um den die Maschine ´Universum´ energieärmer wird von Moment zu Moment.
    Die zunehmende Ausbreitungsgeschwindigkeit des Universums würde sich als gleichmäßig beschleunigte Bewegung beschreiben lassen, welche sich dadurch ergibt, dass zusätzlich auch die Bestandteile des Universums (z.B. Atome) immer energieärmer werden. Die dabei abgegebene Energie treibt das Universum zusätzlich auseinander – zusätzlich zu der durch den Urknall vorgegebenen Anfangsgeschwindigkeit.
    So gesehen, ließe sich Zeit als Energiemenge betrachten.

    • Wie kann einerseits die Zeit eine “Illusion unserer Wahrnehmung” sein, es aber andererseits eine sich “dauernd ändernde Gegenwart” geben? Ändert sich die Gegenwart, so gibt es doch offensichtlich eine Zeit. Wenn andererseits die Zeit eine Illusion wäre, dann wäre eine feste Gegenwart das einzige Existente und sämtliche Hinweise auf eine Vergangenheit eben eine Illusion (z.B. würde ich “immerfort” diesen Kommentar schreiben und mir das Lesen Ihres Kommentars nur einbilden).
      Zu den kosmologischen Ideen: Diese stehen ziemlich deutlich im Widerspruch zur Beobachtung. So ist zum Beispiel im aktuellen Standardmodell der Kosmologie (ΛCDM-Modell, gut bestätigt durch sämtliche Beobachtungen) der Großteil der momentanen Energiedichte des Universums Vakuumenergie (Kosmologische Konstante); und diese hat die nette Eigenschaft, sich bei Expansion des Raumes nicht zu verringern, sondern konstant zu bleiben. Das ist übrigens auch was die Beschleunigung der Expansion antreibt.
      Außerdem: Würde Ihr Modell nicht bedeuten, dass in Gebieten mit ansteigender Energiedichte (z.B. in Sternentstehungsgebieten wo große Gaswolken (E=mc²) kollabieren) die Zeit rückwärts in Relation zum Rest des Universums verläuft?

  7. Die Zeitpfeil-Idee ist nicht notwendig, wenn man davon ausgeht, dass ein Anfangsimpuls die Richtung von allen Ereignissen vorgibt; wobei die andauernde Änderung des Energieniveaus hin zu einem energieärmeren Zustand als ´Zeit´ zu betrachten ist. Vergangene ´Zeit´ ist also die Differenz zwischen zwei Energieniveaus; d.h. ´Zeit´ wäre eine Energiemenge.
    Ein Perpetuum Mobile ist physikalisch unmöglich, daher kann die Zeit nicht rückwärts verlaufen, sondern der Energieinhalt eines Systems muss in der Summe abnehmen
    Gegenwart kann keine Dauer haben, denn dann würde sie gleichzeitig aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bestehen

    • Wieviel Energie entspricht denn in Ihrem “Modell” einer Sekunde? Das muss ja ein extrem kleiner Wert sein, sonst hätte man Ihren postulierten Energieverlust ja schon längst bemerkt. Oder sind Ihnen Beobachtungen bekannt, die die Verletzung des Energieerhaltungssatzes andeuten?

  8. Die zunehmend beschleunigte Ausbreitungsgeschwindigkeit des Universums deutet darauf hin, dass Bestandteile des Universums ständig Energie abgeben, welche das Universum auseinandertreibt. In der Summe geht keine Energie verloren, aber die Energiedichte pro Volumen wird geringer. D.h. die vom Anfangsimpuls vorgegebene Richtung bleibt bestehen – hin zu einem energieärmeren System (pro Volumen). – Der Energieerhaltungssatz wird damit nicht verletzt.

    Die ´Sekunde´ ist nur ein subjektiver Zeitbegriff, den wir benutzen, um Beobachtungen zu erklären – in der Realität sollte ´Zeit´ flexibel sein; die abgegebene Energie müsste von den Umgebungsumständen beeinflusst werden.
    Geht man von der Urknall-Theorie aus, dann entstand das Universum aus geballter Energie. D.h. alle seine Bestandteile (z.B.: Materie, Zeit) müssen Varianten von Energie sein.

  9. Meine Zeit ist ein metaphysisches Konzept. Keine Geschwindigkeit und keine Gravitation kann ihr etwas anhaben. Die läuft und läuft stets gleichmässig. Es sind die Uhren, die unzulänglich sind und meine Zeit nicht exakt messen können!

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