Visualisierungen – eine Nachwuchswissenschaftler-Tagung

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

NachwuchsforscherInnen unter den Wissenschaftshistorikern treffen sich seit Jahrzehnten im Vorfeld dergrößten Jahrestagung zu einer eigenen Tagung. In dieser sozusagen "professorenfreien" Tagung können sich Aufstrebende erproben, Kontakte knüpfen und mit anderen kompetenten Jungforschern austauschen: eine großartige Chance, einer Tagung beizuwohnen und Redebeiträge zu üben, ohne dass gleich alles perfekt sein muss und "ohne dass man fürchten muss, einen möglichen künftigen Arbeitgeber oder Förderer verprellen könnte" (so die Organisatoren bei der Eröffnung).

Dieser so genannte Driburger Kreis tagte dieses Jahr im September in Maastricht; die Teilnehmenden kamen aus Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz. Bereits letztes Jahr in Hannover hatte ich auf mein Namensschild als Herkunftsort "Planet Erde" geschrieben – so muss ich wohl nicht erwähnen, dass ich mich in diesem Klima sehr wohl fühle: Die "Großen", also etablierteren WissenschaftlerInnen auf der anschließenden Tagung der langnamigen Gesellschaft DGGMNT kommen auch aus anderen Ländern Europas. Maastricht, die Geburtstadt des Euro, liegt in einem dreisprachigen niederländischen Landzipfel, der von Belgien und Deutschland eng umsäumt wird. Wenn man in den Zug steigt, ist man binnen zwei Zugstunden in Brüssel, Antwerpen oder Aachen. Maastricht ist auch eine Stadt, in der Wissenschaftshistoriker der größten deutschsprachigen Gesellschaft von ForscherInnen dieses Faches im Rathaus empfangen werden.

Auf der Tagung sprach ich mal wieder – und vielleicht das vorerst letzte Mal – über das Rathenower Fernrohr, dessen Erforschung in Geschichte und Technik ich derzeit vorerst abzuschließen dabei bin. Tagungsthema waren aber – besonders treffend für mich – im Driburger Kreis "Visualisierungen" und was mich daran besonders faszinierend fand, war, dass ohne mein Zutun die Organisatoren die gleichen Assoziationen mit diesem umfassenden Thema hatten wie ich: Der eingeschränkte Blick auf das Thema, den nur-KunstwissenschaftlerInnen oder nur-Philosophen oder nur-Historiker hätten, wurde durch die Transdisziplinarität der Teilnehmenden aufgelöst und kulminierte fast von selbst in einem umfassenden Bildbegriff, den ich mit Blick auf Kommunikationsstrategien des Wissens seit Jahren zu vertreten versuche: Es ging bspw. um die Lesbarkeit von Bildern, um Auswertung von Bildern aus Mikroskopen, Teleskopen, Röntgenapparaten, um die Nutzung von Modellen im Matheunterricht und epistemische Fragen, was Astronomen, Mediziner oder Archäologen aus Bildern (in 2D, 3D oder 4D) lernen. Persönlich finde ich diese Vielfalt eigentlich nicht sonderlich überraschend, aber sehr beruhigend, dass andere junge WissenschaftlerInnen diese Vielfalt von Bildern und ihre Aussagen genauso sehen wie ich.

Thema: "Visualisierungen"

Resümieren würde ich die Tagungsdiskussionen zur Frage, wozu wir Visualisierungen nutzen und brauchen mit einer der Kernthesen meiner medienwissenschaftlich-philosophischen Promotion:

Sie ermöglichen uns eine Weltanschauung durch Weltanschaulichkeit.

Visualisierungen sind ein Werkzeug, das einerseits einer Sprache gleich kommt, wenn wir es im didaktischen Sinne einsetzen. Man könnte in diesem Zusammenhang sogar eine "Sprache der Bilder" aus den Bildsprachen der Visualisierungen definieren und sie analog zur klassischen Aussagenlogik mathematisch konstruieren. Andererseits sind Visualisierungen aber neben einem didaktischen Werkzeug auch ein Forschungs-"tool": Zu den fernen Sternen können wir nicht hinfliegen, sondern werten Himmels(abb)bilder aus, um Erkenntnisse zu produzieren. Analog kann man nicht die ferne Vergangenheit wahrhaftig bereisen und erleben, sondern erforscht sie mit Ausgrabungen, also "Bildern", d.h. Abdrücke früherer Menschenkulturen in verschiedenen Schichten der Erdkruste.

Visualisierungen sind also wichtig und nötig zum Lernen-was-andere-schon-wissen, also zur Lehre und didaktischen Aufbereitung, wenn sie einerseits Modellcharakter haben. Sie sind außerdem wichtig und nötig zum Lernen-was-die-Menschheit-noch-nicht-wusste, also zum Forschen – insbesondere da, wo wir keine anderen Beobachtungsmethoden haben.

In diesem doppelten Sinne erzielen wir auf unterschiedlichen Stufen — als SchülerInnen genauso wie als Forschende — unsere Weltanschauung aus der Anschauung der Welt, die wiederum die Anschaulichkeit der Welt voraussetzt. 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

2 Kommentare

  1. Danke! + Frage:

    Vielen Dank für die Info! Ich wüßte gerne mehr über unter Wiss.-historikern als besonders interessant diskutierte Themen und Fragestellungen.

  2. Fragen der Wissenschaftsgeschichte…

    … as ist “ein weites Feld”, würde Fontane sagen. Ich glaube, das braucht mal irgendwann einen eigenen post – aber, weil Aufgeschobenes stets die Gefahr birgt, nicht rezipiert zu werden, schreibe ich lieber jetzt gleich ein kleines Essay.

    Jedenfalls ist Wissenschaftsgeschichte m.E. nicht, was sich die meisten landläufig darunter vorstellen: In der Geschichtsforschung geht es nicht darum, Tabellen mit Jahreszahlen auswendig zu lernen. Es geht mir (wie auch in der Physik) darum, Zusammenhänge zu verstehen und aufzuzeigen und eben wohl unterscheiden zu können, wo tatsächliche Zusammenhänge sind und wo nicht.

    Gute HistorikerInnen lesen sehr viel und bilden sich eine vernünftige und gut begründete Meinung, was die Wahrheit war. Ein bißchen ist das wie die Arbeit eines Kriminalkommissars: Man hat mehr oder minder zahlreiche Quellen, also historische “Zeugenaussagen”, die man auf ihre Glaubwürdigkeit prüfen (Vgl z.B. Bild-Zeitung-Artikel mit Artikel aus “die Welt”, beide sind journalistisch recherchiert, nur unterschiedlich sprachlich aufbereitet und diese beiden mit dem “Geschwätz” auf einem Bahnhofsvorplatz). Anschl. muss man sie kritisch bewerten. Daraus zeichnet man dann ein Bild vom historischen Gegebenheiten.

    “Fragestellungen” sind daher schwer zu benennen. Ich denke, die Kernfrage ist, dass man einfach wissen will, wie es war oder wie es zu etwas kam, das man heute als irgendwie “verwunderlich” erachtet – z.B. ‘wie haben die alten Ägypter es nur damals geschafft, diese monumentalen Bauten zu errichten, die auch nach drei bis 4000 Jahren noch stehen’ oder so. Man will einfach wissen, wie es geht, mit welchen Mitteln/ Technologien und unter welchen Bedingungen für die Menschen. Man will wissen, wie Menschen und Völker agieren, wie politische Prozesse ablaufen und wie sich die Wissenschaften vor der jeweiligen Kulisse entwickeln… wie schafft man es trotz manchmal widriger Bedingungen trotzdem, sich und die Technologie weiter zu entwickeln oder den (Er)Kenntnisstand voran zu treiben, man will wissen, wie die genialsten Individuen des Menschengeschlechts zu ihrem Genie kamen (der weitsichtige Astrophysiker Fritz Zwicky z.B. vertrat die Meinung “jeder ein Genie” und dann müsste man schauen, wieso manche ihr Genie besser entfalten können als andere).

    Allerdings sind die meisten Frage der Geschichtswissenschaft nicht ganz so einfach aufbereitet: Im Gegensatz zu Ingenieuren bauen Historiker keine Geräte, die sie verkaufen können. Verkaufen müssen und wollen sie also Bücher oder andersmediale Monographien, in denen man seine Erkenntnisse zusammenträgt.
    Um ein Buch (oder Film oder eine Ausstellung …) zu verkaufen, braucht man i.d.R. eine steile These oder Leitfrage, weil in dem allgemeinen Geschrei auf dem Markt der Wissenschaft sonst eine gute Forschungsarbeit droht nicht rezipiert zu werden. Am liebsten sollte diese Leitidee auch noch provokativ sein – und daher muss man m.E. sehr aufpassen, sich nicht zu polemischen Darstellungen oder unwichtigen (oder indiskreten) Details hinreißen zu lassen.

    … also … ich glaube, ich habe ein paar Ansätze geliefert und vielleicht grob umrissen, was wir wollen. Allerdings ist das Spektrum der Frage derart reich, dass es wahrlich mal einen separaten Post braucht, um dies zu beantworten. Auch, weil ich glaube, dass nicht jede/r hieraus versteht, warum diese Fragen interessant sind – aber womöglich ist das auch bei allen wissenschaftlichen Fragen so (nicht jeder versteht, warum wir wissen wollen, wie Sterne funktionieren): Glücklicherweise sind Menschen verschieden und wie wir z.B. in der Geschichte sehen, hat es immer Menschen gegeben, die sich für die einen und andere Menschen, die sich für die anderen Themen interessieren. 🙂

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