Bahnbrechende Entdeckung am Orionnebel?

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

Aufgrund des Beitrags von Harald Siebert in SuW 11/2010 diskutieren wir seit drei Monaten teilw. ziemlich heiß die Sichtbarkeit des Orionnebels. Was sehen wir am Himmel (wirklich)? Was kann man aus früheren Astro-Zeichnungen über die Nebel-Physik schlussfolgern? m.E. gibt’s für solche Diskussionen kein besseres Forum als die kosmologs! Ich bitte um Ihre rege Beteiligung und wünsche dem Kollegen Siebert, dass er (wunschgemäß) daraus einen Gewinn für seine Arbeiten ziehen kann.

also: Sieht man den Orionnebel mit bloßem Auge?

Hier zuerst eine Abstimmung – bitte sagen Sie auch denjenigen, die die lange wissenschaftshistorische Debatte hiernach evtl. nicht weiterlesen mögen: Ihre Stimme ist forschungsrelevant. 🙂

Ist im Orionschwert ein Nebel naked-eye sichtbar?
Ja Nein
  
 free polls

Und hier noch zwei Fragen für mich zur Auswertung:

Woher wissen Sie das?
Ich habe geraten.
Ich selbst nachgeguckt. (direkte Beobachtungserfahrung)
Ich habe Helligkeit und Winkeldurchmesser rausgesucht und mit der Beobachtungserfahrung verglichen.
  
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Sind Sie SternguckerIn mit Beobachtungserfahrung?
nein mehr als 3 Jahre mehr als 10 Jahre
  
pollcode.com

Ich fasse nun kurz zusammen und diskutiere die bisherigen Beiträge: 

Harald Siebert (Wissenschaftshistoriker an der TU Berlin) übersetzte verdienstvollerweise die Handschriften des frühneuzeitlichen Astronomen de Peiresc (1580 – 1637) und analysierte dessen Notizen und Zeichnungen. Aufgrund dieser Darstellungen eines Zeitgenossen von Galilei, schlussfolgert Siebert, dass sich die Physik dieses Nebels in den letzten Jahrhunderten dramatisch verändert habe. Er stützt diese These mit der heutigen physikalischen Deutung des Großen Orionnebels als Sternentstehungsgebiet und somit wohl veränderliche Region der Galaxis. Aus einem persönlichem Dialog weiß ich, dass Siebert diesen provokativen Artikel vor allem als Diskussionsanstoß schrieb. Nun, also hier die Diskussion:

Meines Erachtens völlig zu Recht, erhebt Arndt Latußeck (Lehrer und promovierter Wissenschaftshistoriker) in SuW 1/2011 dagegen Einspruch: Seine sachliche Kritik dieses Vergleichs historisch verschieden generierter Daten kulminiert in der Feststellung, dass es doch unwahrscheinlich sei, dass just nach der Entdeckung des Teleskops ein jahrhundertelang stabiles, für Menschenauge "unsichtbares" Naturphänomen plötzlich eine derartige physikalische Änderung erlebt, dass es sich in den Bereich des für Menschen Sichtbaren katapultiert.

Inzwischen hat er sogar noch die zweite von Siebert angeführte Quelle (Harrison) geprüft und stellt sie als bereits historisch widerlegt dar. 

Nichtsdestotrotz gibt auch Volker Witt (promovierter Physiker im Ruhestand und Autor von historisierten Astro-Reiseberichten in SuW) eine Meinung zum Besten: Er argumentiert mit Edward S. Holdens historisierenden Betrachtungen des Orionnebels im ausgehenden 19. und beginnenden 20 Jh. für eine Möglichkeit, dass Sieberts These einen wahren Kern haben könnte. Ebenfalls abgedruckt in SuW 1/2011, worauf der Autor als unterstützendes Argument in seiner Antwort verweist.

Glücklicherweise stellt Wolfgang Steinicke (bekannter DeepSky-Hobbyastronom und promovierter Wissenschaftshistoriker) in der aktuellsten Ausgabe von SuW (3/2011) eine ebenfalls plausible These vor, dass der Orionnebel weder heute noch früher für menschliche Augen sichtbar sein konnte. Er konstatiert, dass die Beobachtungen des Orionnebels damit zusammenhängen, was man gerade gelernt hat und zu wissen glaubt: Er meint, dass die Sternchengruppe theta (1,2,3,4) Orionis früheren Sternguckern einen Nebel vorgegaukelt haben könnte und die Zentralregion des Nebels mit "knapp zwanzig Bogenminuten" zu klein sei, um bei dieser geringen Flächenhelligkeit vom Auge wahrgenommen zu werden.

Knapp 20′ ist 2/3 vom Vollmonddurchmesser, also eigentlich gut am Himmel erkennbar. Allerdings ist der Vollmond nunmal deutlich heller als das DeepSky-Objekt. Es ist also fraglich, ob wir das wesentlich schwächere Objekt bei "wenig Licht auf viel Fläche" überhaupt wahrnehmen würden. Das ist m.E. eigentlich mehr eine Frage des Gehirns als des Auges, denn unser menschliches Auge ist ein regelrechtes Wunderwerk der Natur. Wenn ich den Worten meines Photonik-Profs glauben darf, kann es sogar einzelne Photonen "sehen". Die Frage ist also nur, ob das Gehirn die Photonen dieses Stückchen Himmels als "Nebel" oder als "Sternchengruppe" erkennt oder vielleicht sogar gänzlich für eine optische Täuschung hält. Das ist im Grunde auch das Argument von Arndt und Wolfgang, die beide als erfahrene DeepSky-Beobachter wissen, dass man oftmals Dinge nur für bare Münze nimmt (und "sieht"), die man bereits von Fotos oder detaillierteren Zeichnungen kennt (Wolfgangs wahrnehmungspsychologisches Argument) und dass es natürlich auch vom Beobachtunginstrumentarium abhängt (Arndts Argument): Je größer der "Lichteimer", desto mehr Licht sammelt er ins Auge des Betrachters und je qualitativ besser die Optik, desto weniger wahrscheinlich ist man Täuschungen aufgesessen. Hinsichtlich der Entwicklung der Optik ist nun wahrlich seit de Peiresc (ein Zeitgenosse des Galilei) oder auch seit den ersten teleskopischen Beobachtungen sagenhaft viel geschehen! Man darf aber nicht Beobachtungen mit verschiedenem Instrumentarium wertungsfrei nebeneinander legen und unmittelbar vergleichen.

Ulrich Bastian schildert als SuW-Leserbriefredakteur eine "Blitzumfrage" in der SuW-Redaktion. Ich halte diese Umfrage in jedem Fall für nicht repräsentativ (zu kleine Stichprobenmenge und nicht bewertbar) und bitte darum alle Mitlesenden sich an der obigen Großumfrage zu beteiligen. 🙂 Wissenschaft ist zwar glücklicherweise keine Demokratie, wo die Mehrheitsmeinung den Wahrheitsanspruch garantiert – aber sie ist auch keine Diktatur, in der eine handvoll Leute an bestimmter Position "die Wahrheit" lehren. 🙂

 Eigene Meinung

Meine persönliche Meinung ist aus obigem Diskurs ja zumindest tendenziell bereits ersichtlich. Ich möchte dennoch einige weitere Aspekte einbringen, die ich dem Autor bereits im vergangenen Oktober schrieb:

Astrophysikalisch ließe sich eine solch dramatische Veränderung der Struktur von M42  "dass der Große Orionnebel an Helligkeit gewann und innerhalb von weniger als dreihundert Jahren die Sichtbarkeitsschwelle für das bloße Auge überschritt" (S. 36) schwer verstehen (d.i. ja was anderes als z.B. bei eta Carinae). Historisch würde man verschiedene (evtl. unvergleichbare?) Optiken vermuten und in beiden Wissenschaften sollte man sich an die Lehren der Wissenschaftstheorie und Medienwissenschaften erinnern und vor der inhaltlichen eine methodische Diskussion führen: Man muss sich zuerst die Randbedingungen der Bildgenese anschauen, bevor man daraus astrophysikalische Schlüsse zieht: Mit welchem Instrument wurde beobachtet? Welcher Beobachter war’s (jeder Mensch hat andere Augen, Beobachtungserfahrungen beeinflusst das Sehen und das Gehirn "sieht" bevorzugt Dinge, die es kennt bzw. zu erkennen gelernt hat (Ludwik Flecks Gestaltsehen))? Wie erfolgte die Dokumentation (hier stellen wir alle typischen Fragen der Kunstgeschichte: welches Medium wurde benutzt – Fotographie, Text oder Zeichnung und dokumentierte der Beobachter selbst oder diktierte er einem Assistenten? und und und … )? Welchen historischen Prozessen ist die Dokumentation in der Zwischenzeit unterlegen? (sind z.B. Fotos vergilbt, Zeichnungen ausraddiert, bewusste Retuschierungen vorgenommen worden… ?)

All diese Fragen bedenkend, muss ich mich zuerst vorübergehend Arndts und Wolfgangs Meinung anschließen:

1. physikalische Argumente:

Der Gr. Orionnebel, M42, ist – wie auch Harald Siebert argumentiert – ein Emissionsnebel, d.h. ein Sternentstehungsgebiet, das einige hundert Lichtjahre durchmisst (siehe z.B. Abbildungen im "Neuen Kosmos" von Unsöld/Baschek, S. 378) – der Kern, den wir M42 nennen, freilich nur ca. 30 Lichtjahre. Die Ausläufer vom hellen Kern im Schwertgehänge erstrecken sich über das ganze Sternbild, was auf fotografischen Himmelspanoramen gut sichtbar ist: ein großer roten Nebelbogen (Barnard’s Loop) reicht um das ganze Sternbild herum. Das physikalische Gebilde in dieser Gegend ist also – unabhängig von seiner (un)sichtbarkeit – gigantischen Ausmaßes. Man kann folglich jedenfalls davon ausgehen, dass diese Wasserstoffregion, aus der Sterne potentiell entstehen können, auf historischen Skalen, die von Menschen erlebt wurden, ganz sicher "schon immer" da war: a) weil Materie sich nicht so schnell ausbreitet wie das Licht, also die Ausdehnung von einigen zehn Lichtjahren eben nicht in einigen zehn Jahren zustande bringt (es handelt sich ja nicht um einen Supernova-Überrest wie M1 oder einen stark veränderlichen Stern wie eta Carinae – es handelt sich auch nicht um einen superschnellen Sternwind wie von den heißesten bekannten Sterntypen: z.B. WR,O,B…). Wenn also der Nebel sich erst ausdehnen müsste, würde er zum Ausfüllen dieses riesigen Gebietes länger brauchen. b) Da im Zentrum von M42 bereits junge Sterne sichtbar sind und allein die Prozesse, die dahin geführt haben einige Zeit dauern. Da die Trapezsterne übrigens ca 300 000 Jahre alt sind und zwei von ihnen für das Leuchten der HII-Region verantwortlich sein sollen, sollte der Gr. Orionnebel bereits tausendmal so lange leuchten, wie es Teleskope bei Menschen gibt (selbst wenn man in Betracht zieht, dass es sich bei allen vier um schnellebige heiße Typen handelt).

Insofern denke ich, dass wir die Siebertsche Hypothese vom Aufleuchten des Nebels seit der Erfindung des Teleskops leider getrost verwerfen müssen. Stattdessen würde ich sie gern ersetzen mit einer Theorie der Verbesserung der Optik und der Beobachtungsmethoden.

2. beobachtungstechnische Argumente:

Die Trapezsterne liegen (alle oder mindestens drei von vieren) mit ihren 5 bis 7 oder sogar 8 mag an der Sichtbarkeitsgrenze. Man kann sie also leicht als Nebel wahrnehmen, weil das Auge sie einfach nicht mehr auflöst. Den gleichen Effekt erlebt jeder Hobbyastronom, der seinen Freunden die Plejaden zeigt – aus dem Augenwinkel "sehen" wir sie als milchigen Schimmer. (Dieses Argument hat aber inzwischen auch Wolfgang Steinicke gebracht.) 

Vor der Einführung der Fotografie hat jeder Astronom mit einem eigenen Teleskop und eigenen Augen und eigenen Zeichen"künsten" und unter anderen klimatischen Bedingungen … eben auch u.U. etwas anderes ge"sehen". Das ist nicht immer (oder meistens schwer) objektivierbar und mithin auch schwer vergleichbar: man muss eben alle genannten Parameter berücksichtigen.

3. Argument aus der Kunstgeschichte und Kartografie:

Sternkarten (u.a. Darstellungen) wurden oft nach dem gezeichnet, was man sehen wollte und nicht unbedingt, was man wirklich sieht. Heute würde man das "didaktisch aufbereitet" nennen, also reduziert auf das, was es gezeigt werden soll bzw. was für wichtig erachtet wird (analog wie man jedes Bild so zeichnete, dass es zeigte, was es zeigen sollte – siehe Bedeutungsperspektiven in der Kunst oder die Darstellungen Jesu, die ja niemals den Anspruch erhoben, Fotografien sein zu wollen, sondern eben lediglich einen Mann in einer Gruppe als "auserwählt" zu kennzeichnen etc). Da man in der klassischen Astronomie (vor Johannes Bayer, wie Hamel in seinem Begleitbuch zur Uranometria schreibt – vllt aber sogar auch vor Charles Messier) lediglich zwischen den "fixen" Erscheinungen "Stern" und "Milchstraße" unterschied, musste alles Milchige außerhalb der Milchstraße (wenn’s nicht Komet war, also nicht fix) eben als Stern gezeichnet werden – selbst dann, wenn es einen permanenten Hof hatte wie die Sterne im Schwertgehänge.

Diese Herangehensweise scheint mir für die Sternkarten bei al-Sufi u.a. symptomatisch zu sein. Im Analogschluss zu Plejaden, Praeseppe u.a. offene Sternhaufen, die man bei direktem Beobachten als Ansammlung von Punkten erkennt, die jedoch bei indirektem Sehen als silbrige Nebel erscheinen würde man Nebelchen eben auch als Sterne zeichnen. So auch mit dem Schwertgehänge des Orion: man sieht eine Sternchenkette und erkennt um das mittlere stets einen Halo, d.h. man zeichnet einen Stern (oft sowieso mit Zacken und untermalt mit einem Hof). – Eben aufgrund von sowas hat ja Messier seinen Katalog gemacht, um bei der Kometenjagd nicht darauf hereinzufallen, weil es in den Sternkarten, nicht weiter auffällt – also einfach nicht differenziert eingezeichnet wurde. 

 

Da ist doch gar kein Platz für das Zeichnen eines Nebels (Abb. aus der neu aufgelegten Uranometria von 1603, die ich im Dezember besprach).

  So zeichne ich das heute: ich sehe (in einer klaren Nacht am Stadtrand, also bei nicht sehr dunklem Himmel) zwischen den zwei Sternchen in der Mitte ein weiteres "Sternchen", dieses aber verwaschen. Ich sehe auch, dass dieses "Sternchen" dauerhaft einen Hof hat. Bei indirektem Sehen stelle ich sehr schnell fest, dass sich ein silbriger Glanz über diese ganze Gegend erstreckt (in der Skizze durch Wischen angedeutet); dies würde ich aber nicht für ein reales Himmelsphänomen halten.

Beim Anblick im Feldstecher sehe ich den silbrigen Glanz gar nicht mehr, aber in der Tat löst sich das mittlere "Sternchen" in eine Sternchengruppe auf, die aber wirklich von einem Nebel umgeben ist. Da der Nebel hier sehr deutlich ist, "glaube" ich auch an den Nebel mit dem bloßen Auge. In klassischer Sternkartentradition ist er aber zu dicht an dem "verwaschenen Sternchen", um zeichnerisch in Erscheinung zu treten. 

 


Folglich ist meine These – abweichend von Wolfgang Steinickes:

Man hat zu jeder Zeit und in jeder Kultur dort etwas "Nebeliges" gesehen – nur vielleicht aus verschiedenen Gründen. d.h. Ich stelle es der Auswertung obiger Umfrage und den Tests und Antworten der Wahrnehmungsphysiologie nach, zu entscheiden, welches physikalische Phänomen man jeweils als Orionnebel sah. d.i. m.E. weiters vom Beobachter abhängig. Darum bezweifle ich auch (wie Arndt Latußeck und Wolfgang Steinicke), dass man daraus auf eine starke physikalische Veränderlichkeit der HII-Region schließen dürfe – vllt aber auf eine Veränderung des Beobachtungsgegenstands.

Dass es aber schon immer einen "Großen Orionnebel" für die Menschheit gab, sieht man schon allein daran, dass es für die Griechen in der Mythologie ein (metallisches) Schwert war und für die australischen Aboriginees ein (silbrig glänzender) Fisch auf dem Lagerfeuer. Dass diese nicht in die Sternkarten eingetragen wurden, hat (wie oben gezeigt) wahrscheinlich ganz andere Gründe als die der Beobachtung.

 


Weitere Literatur (ergänze ich auch durch Ihre Hinweise)

 

Johannes Bayer: Uranometria, 1603, neu: Kunstschätzeverlag 2010 

Tibor Herczeg, The Orion Nebula: A chapter of early nebular studies in: Acta Historica Astronomiae“ Bd. 3 „The Message of the Angels: Astrometry from 1798 to 1998“, S. 246 

Gotthard Strohmaier: Die Sterne des Abd ar-Rahman as-Sufi, Müller & Kiepenheuer, 1984 

Unsöld, Baschek: Der neue Kosmos, Springer Verlag, 1999 (und neuer) 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

6 Kommentare

  1. M 42 mit dem bloßen Auge

    Hallo Frau Hoffmann,
    mir würde bei der Abstimmung noch ein Punkt fehlen: Und zwar, das es durchaus möglich sein könnte, den schwachen Schimmer von M 42 mit dem bloßem Auge zu sehen, aber nur “durchmischt” mit dem nicht aufgelösten Trapez, so dass gar nicht entschieden werden kann, welche neblige Struktur visuell “Vorrang” hat.

    Dennoch würde ich auch zustimmen, dass wir eine Fotografie mit in das visuelle Erleben hinein interpretieren. Meine ersten freiäugigen Beobachtungen von M 42 als 9- oder 10-jähriger Junge würden dies bestätigen. Ich sah deutlich eine kleine neblige Region an der gesuchten Stellen und interpretierte dies als Orionnebel, wahrscheinlich weil ich vorher Fotografien in einem Astronomiebuch gesehen habe.

  2. “Sichtbarkeit unentschieden” – ist ein sehr guter Hinweis, danke, denn ich habe es ja selbst so beschrieben und heute sogar auch eine Zeichnung eingefügt, um zu verdeutlichen, was ich meine.

    Allerdings war ich ja bestrebt, die gegebene Abstimmung der SuW-Red auf mehr Stimmen ausweiten. Meinen Sie wirklich, ich sollte auch die Option bieten, “Sind Sie vllt 3. meiner Meinung?” Hm. Ich werde darüber nachdenken.

  3. Einordnung visueller Beobachtungen

    Hallo,
    das Problem, wie Beschreibungen des visuellen Bildes astronomischer Objekte astronomiehistorisch einzuordnen sind liegt meines Erachtens zum großen Teil darin begründet, dass die meisten Astronomiehistoriker nie wirklich eigene Beobachtungen angestellt haben. Dieser Grundmangel ist auch bei Siebert zu beobachten: Mit ein bisschen Beobachtungserfahrung würde man sicherlich etwas vorsichtiger mit de Peirescs Aufzeichnungen über die Form des Orionnebels umgehen. Schließlich hat de Peiresc M42 nicht nur bei Neumond, sondern unter anderem in der Zeit um Vollmond beobachtet hat (mit entsprechend aufgehelltem Himmelshintergrund). Und je nachdem, ob er vielleicht (zufällig) indirektes Sehen bei der Beobachtung nutzte, erschien ihm M42 doch sowie immer anders (mal größer, mal kleiner).
    Für mich liegt die besondere Leistung de Peirescs tatsächlich darin, dass er den Orionnebel überhaupt sehen konnte. Zunächst ist da der wissenschaftshistorisch wichtige Grund, dass er (wie auch Galilei) plötzlich mit einem Phänomen konfrontiert wurde, das außerhalb seiner Vorstellungskraft lag und die Wahrscheinlichkeit sehr groß war, dass man es deshalb einfach übersah (im Weltall des frühen 17. Jahrhunderts gab es zwar Sterne, aber Nebelmaterie war unbekannt, ja, undenkbar). Es ist ja ein bekanntes Phänomen in der Astronomie, dass Dinge, von deren Existenz man nichts weiß, geradezu unbeobachtbar sind (Beispiele gibt es viele, ich nenne nur die Entdeckung der Plejadennebel oder – für Amateure leicht nachvollziehbar – die Sichtbarkeit des Gegenscheins). Darum ist deren Entdeckung so unheimlich schwer. Man musste (bei M42) erst einmal die prinzipielle Existenz von Nebelmaterie im Weltraum akzeptieren, um sie auch sehen zu können; diese Unvoreingenommenheit rechne ich de Peiresc hoch an.
    Und dann musste auch die Sehphysiologie überlistet werden. Dass die ersten teleskopischen Beobachter irgendeine Ahnung vom Phänomen des “indirekten Sehens” und der mit ihm verbundenen Empfindlichkeit des Auges gehabt haben könnten, wage ich ernsthaft zu bezweifeln. Bei den absolut winzigen scheinbaren Gesichtsfeldern der frühen Teleskope wird indirektes Sehen aber wohl kaum (und wenn, dann nur absolut zufällig) zum Einsatz gekommen sein, nicht einmal zufällig. Also starrte man meist direkt auf die zu beobachtende Region. Und so ist es keine Hexerei, wenn beispielsweise Galilei M42 in seiner Karte nicht verzeichnet hat – das foveale Sehen machte ihm da wahrscheinlich schon einen Strich durch die Rechnung. Deshalb ist de Peirescs Beobachtung auch in dieser Hinsicht hoch einzuordnen.
    Was sagt uns das zur Sichtbarkeit von M42? Da bin ich skeptisch. Denn, wie Susanne schreibt, wissen wir heute einfach schon viel zu genau, was an der Stelle ist – sehphysiologisch könnten wir es also durchaus übertreiben, wenn wir “einfach so” annehmen, der Orionnebel müsste doch auf jeden Fall mit dem bloßen Auge sichtbar sein. Man sieht ja aktuell im VdS-Journal, wohin übertriebene Wahrnehmungsvermutungen hinführen, wenn man plötzlich mit 60mm Öffnung Dunkelwolken in den Antennengalaxien (NGC4438/4439) zu beobachten meint. Aber das ist eine andere Geschichte…

  4. Sichtbarkeit des Orionnebels?

    Hallo, jetzt bin ich echt perplex, da ich schon seit vielen Jahren Astronomie betreibe,ist es vielleicht etwas heikel so zufragen, andererseits denke ich, dass ich einfach da was falsch verstanden habe??, also:
    was bitte soll ich denn nicht sehen können?Man sieht doch deutlich mit bloßem Auge einen großen Nebel an der Stelle von M42?
    Wo liegt mein “Sehfehler” ??

  5. Sieht man M42?

    Hallo Wilfried Wacker,
    wir denken, dass es sich bei dem Gesehenen in der Mitte des Schwertgehänges von Orion nicht unbedingt um dasjenige Gebilde handeln muss, das man auf modernen Fotos unter der Bezeichnung “M42” kennenlernt.

    Diese Fotos zeigen eine HII-Region, die von jungen Sternen zum Leuchten gebracht wird.

    Die erste Frage ist, ob man die HII-Region naked eye sehen kann – und dafür würde ich mich nicht verbürgen. Es könnte sein, denn ich sehe ja einen deutlichen Halo um den Stern – aber es muss nicht sein, denn dieser Halo könnte auch durch Integration der schwachen Sternchen vom Feldstecherbild entstanden sein (Plejadeneffekt): These von Wolfgang Steinicke.

    Die zweite Frage ist aber, ob man an dieser Stelle einen Nebel sieht, den man also als “Großen Orionnebel” in Sternkarten hätte zeichnen können, wenn man es denn jemals vor Messier gewollt hätte. Auf diese Frage würde wohl jeder versierte Sterngucker mit “ja” antworten: Wie Sie selbst beschreiben, sieht man doch klar einen “Nebel”.

    Ich wollte mit meinem Beitrag das Bewusstsein für mögliche Fehlerquellen dieses übereilten “Ja” schärfen. Und gleichzeitig die Frage in den Raum stellen, ob jemand eine vernünftige Strategie kennt, dies zu entscheiden.

  6. Leserbrief an SuW zum Thema M 42

    Liebe Redaktion,

    Im neuesten SuW-Heft (1/2011) sind zwei Leserbriefe von Arndt Latusseck und Volker Witt zum Artikel von Hrn. Siebert über die Entdeckung des Orionnebels M 42 (SuW 1/2010) erschienen. Dazu ist auch eine Stellungnahme des Autors abgedruckt. Diese Beiträge lassen noch einige Aspekte unberücksichtigt, die ich hier kritisch beleuchten möchte.

    Was “veränderliche Nebel” angeht, ist M 42 nur ein Beispiel von vielen. Im 19. Jahrhundert gab es diesbezüglich eine wahre Euphorie – und heftige Auseinandersetzungen. Grundlage war William Herschels These von der Evolution der Nebel – mit M 42 als Paradebeispiel (siehe die ausführliche Darstellung in meinem Buch “Nebel und Sternhaufen”). Bis auf “Hind’s Variable Nebula” im Stier (NGC 1555) haben sich letztlich alle Kandidaten als unveränderlich herausgestellt! Ursache der Probleme ist die mangelnde Vergleichbarkeit subjektiver, visueller Beobachtungen (auch heute ist das noch ein kontroverses Thema). Holden’s Monographie über M 42 muss man entsprechend kritisch sehen (er hat übrigens auch bei M 8 und M 17 vermeintliche Veränderungen dokumentiert). Seine Vorgehensweise wird auch aktuell von Hr. Siebert benutzt: Analyse von texlichen Beschreibungen bzw. Zeichnungen früherer Beobachter. Hier wird eine scheinbare Objektivität erzeugt, die nicht gerechtfertigt ist, da zu viele Faktoren die Beobachtung beeinflussen (instrumentelle und personelle). Insbesondere der versierte Beobachter und Zeichner Wilhelm Tempel hat das Problem deutlich angesprochen – und ist ihm dennoch selbst zum Opfer gefallen. Selbst der Vergleich moderner Aufnahmen ist – wegen der unvermeidlichen Bildbearbeitung – problematisch. Hier kann man beim unkritischen Vergleich zweier Bilder schnell den Schluss ziehen, das Objekt habe sich verändert.

    Eine weiterer Punkt ist die Beobachtbarkeit von M 42 mit dem bloßen Auge. Als Argument für die “Veränderlichkeit” des Nebels behauptet Hr. Siebert, dass er früher nicht sichtbar war, heute allerdings schon. Zunächst gilt: Ist ein Objekt (oder eine Struktur) erst einmal bekannt, so wird die visuelle Beobachtung deutlich einfacher. Auge und Gehirn sind entsprechend eingestellt. Die Entdeckung von Neuem ist dagegen viel schwieriger. Dafür gibt es viele historische Beispiele, etwa die Galaxie M 51. Deren Spiralstruktur blieb William und John Herschel mit 18″ Öffnung verborgen. Sie wurde erst 1845 von Lord Rosse im 72″-Reflektor entdeckt (frühere Beobachtungen im 36-Zöller hatten dagegen nichts gezeigt). Heute ist sie bei dunklem Himmel bereits im 10-Zöller sichtbar und auch der bereits 1835 errichtete 12″-Refraktor in Cambridge zeigt sie! Hätte also Herschel eine moderne Aufnhame besessen, hätte er sicher auch Spiralarme gesehen! Auch der Andromedanebel (M 31) ist so ein Fall. Nach As-Sufis Sichtung im 10. Jahrhundert dauerte es bis 1612 als Marius ihn im kleinen Refraktor wiederentdeckte. Danach war die Beobachtung mit dem bloßen Auge plötzlich kein Problem. Kann man daraus auf eine Veränderlichkeit von M 31 schließen? Das geschah in der Tat bereits durch Boulliau (1667), Kirch (1676) und Legentil (1759). Erst George Bond verwies 1867 alle Spekulationen ins Reich der Fantasie. Meine These zu M 42: Der Nebel war zu allen Zeiten kein Objekt für das bloße Auge! Im Gegensatz zu M 31 steht er nicht isoliert am Himmel sondern ist mit der Theta Orionis-Sterngruppe assoziiert. Oft täuchen Sternpaare oder -muster einen “Nebel” vor (die Geschichte der visuellen Deep-Sky Beobachtung bietet wiederum viele Beispiele). Hier ist zwar tatsächlich ein Nebel, dessen hellster Teil ist aber mit knapp 20′ für das bloße Auge zu klein (M 31 ist, bei ähnlicher Helligkeit, wesentlich ausgedehnter). Selbst Galilei entging er in Fernrohr. Heute “denkt” man dort einen Nebel zu sehen.

    Schließlich vermutet Hr. Siebert noch, dass das von Peiresc erwähnte “zweite Wölkchen” oberhalb von M 42 der Reflexionsnebel NGC 1977 sei. Spätestens hier wird klar, dass sich der Autor zwar in der Theorie (Astronomiegeschichte) auskennt aber offenbar nicht über die notwendige praktische Erfahrung in der visuellen Deep-Sky Beobachtung verfügt. Selbst mit größerer Öffnung ist NGC 1977 ein schwieriges Objekt, was allgemein für Reflexionsnebel gilt. Für das “Opernglas” von Peiresc ist es indiskutabel.

    Mit freundlichen Grüßen,
    Dr. Wolfgang Steinicke

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