Spuren

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

neu im Kino: Planet Erde, einmal ganz nah und in situ. Ein Film über eine junge Frau, die durch die Wüste geht. Warum sie das tun wollte: keine Ahnung. Sie wollte es und sie tat es. Und warum auch nicht? Der sehr empfehlenswerte Film handelt von einer wahren Begebenheit in den 1970er Jahren.

Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=kwN2uJ0EEro

Eine junge Frau, die nicht weiter erklärt wird, kommt in Alice Springs in Zentralaustralien an. Sie jobbt sich durch, um von dem mühsam verdienten Geld drei Kamele zu kaufen, die während des geplanten Trips ihr Gepäck tragen sollen. Das Geld reicht natürlich zuerst nicht und sie muss außerdem auch erstmal lernen, mit den Tieren umzugehen, wenn sie allein durch die unwirtliche Wildnis gehen will. Anfangs gibt’s natürlich ein paar Fehlversuchen, weil sie zuerst von ihren Arbeitgebern um den Lohn betrogen wird und Abmachungen nicht eingehalten werden. Schlussendlich schafft sie das aber, kriegt ihre drei “Kamele” (es sind eigentlich Dromedare, aber seien wir mal nicht kleinlich) und finanziert von der berühmten Bilder-Zeitschrift NATIONAL GEOGRAPHIC geht sie in ca. einem halben Jahr von Zentral-Australien bis zum Ozean.

Der Fotograph, der sie begleitet bzw. ab und zu besucht, nervt sie eigentlich vor allem, aberim Laufe der Zeit gewöhnen sie sich aneinander und sie akzeptiert sogar seine Hilfe, als er ihr auf einem langen logistisch mühsamen wegstück hin und wieder Wasserkanister an die Strecke stellen will.

Die Geschichte ist nichts Reißerisches, aber dennoch bewegend. Visuell ist es nicht eine Show aus dem Special Effect Studio von Hollywood, sondern eine gradiose, absolut einzigartige Aneinanderreihung von umwerfenden Bildern der realen Welt. Wer die Wüste nicht kennt, wird aufgrund der neuen Seh-Erfahrung verzückt sein – und wer sie kennt, für den aktiviert es all die Lebensenergie erneut, die sie nun einmal beschert. Es gibt fast keine Story, nur wenige Dialoge, aber atemberaubende Bilder und ein paar menschliche Gefühle.

Eigentlich ist der Film ein NATIONAL GEOGRAPHIC motion picture mit Sonifikation – und ich hoffe, er regt viele von uns zum Nachdenken an.

In unserer Gesellschaft, wo alle Menschen immer zu kommunizieren versuchen, jederzeit telefonieren, E-Mails schreiben und – Skype sei dank – mündlich und schriftlich um die Welt chatten, ist die Ruhe diese Films ein Stück Wüste im Kinosaal. Sozusagen plüschpuschelige Impression dessen, was jemand erlebt, der es wirklich tut, denkt und fühlt, der allein durch die Wüste geht.

Allein, allein

Als ich gestern Abend nach dem Film aus dem Berliner Hinterhof-Kino trat und sofort wieder im Berliner Frühling stand, versuchte ich die Atmosphäre aufzuschnappen. Ich hatte gerade noch die Wüste in mir und ging zu Fuß die Hälfte des (9 km) Weges nach Hause – die andere Hälfte fuhr ich wie gewohnt mit dem Fahrrad. Wenn ich mich – stets allein und still – unter die Menschen in der Großstadt mische, höre ich andere Kino-Besucher reden: “am Schluss wurde es ein bißchen kitschig” oder “an Stelle x war’s ein bißchen zu inszeniert”… Ich senke den Blick, schmunzele und schüttele heimlich den Kopf:
NEIN, Leute, nichts davon ist ‘zu …[irgendwas]’. Ich sah diesen Film und fühlte mich an frühere Szenen meines eigenen Leben erinnert. Die einzige Stelle, die ich komisch fand, war die Szene, als sie den Fotographen küsst und (angedeutet) mit ihm schläft, damit er ihr anschließend mehr Freiraum lässt. Naja, waren halt die 70er… und Kino ohne Sex geht wahrscheinlich nicht mehr im 21. Jahrhundert – also, ein Grund mehr, dass meine Lebensgeschichte nicht so bald auf die Leinwand kommt. Aber ansonsten kann ich den Film von vorne bis hinten so unterschreiben:

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[nicht, dass Sie auf falsche Gedanken kommen: ich erzähle hier nicht meine Lebensgeschichte. Dazu bin ich viel zu jung. Vielmehr ist dies eine Art Reisebericht. “Beduine” heißt übrigens “Wüstenbewohner”]
JA, genauso so ist das, wenn man durch die Wüste geht. Genauso fühlt man sich, genau das erlebt man … das und noch viel mehr FÜHLT und DENKT man.
Und ich sage das hier, weil es sozusagen der Film zu meinem Buch ist: Ich habe in meinem Reisebericht nur die Fakten erzählt – ich bin leider eine ganz schlechte Geschichtenerzählerin, d.h. ich kann lehren und berichten – aber gefühlvolle Geschichten … hm, das fällt mir leider sehr schwer: ich wurde leider so erzogen, nicht über Gefühle zu reden und muss das erst lernen. Wenn ich mal groß bin, schaffe ich das, aber wenn Sie schon jetzt wissen wollen, was ich *fühlte* bei meinen Karawanen, dann berichtet das meiste davon dieser Film (und nicht mein Buch).

In unserer Gesellschaft ist es offenbar nicht für jeden Menschen begreiflich, dass jemand durch die Wüste geht, um einfach mal allein zu sein. Ich persönlich bin nicht so ein quirliges Wesen, eh schon immer ein sehr ruhiger Charakter gewesen und hatte es in vielen früheren Berufen (vor allem Jugendarbeit) daher oft sehr schwer. Nie fühlte mich dort wohl, dieses bunte Treiben, dieser Trubel, dieses ständige Aufgedreht sein … das ist so gar nicht meine Welt – ich habe “nur” versucht, mein nachgesagtes Organisationstalent und meine nachgesagte didaktischen Fähigkeiten dafür zu nutzen, etwas gesellschaftlich Wertvolles zu erschaffen. Es erfreut(e) mich – damals wie heute – dass es diese Organisationen und Projekte heute noch gibt und dass sie jetzt von anderen gemacht werden, die daran Spaß haben. Für mich selbst war es aber zum Ausgleich von allergrößter Bedeutung, in die Wüste gehen zu können! Die stille Schönheit dieser Landschaft, die ruhige Einsamkeit, die einfache Natürlichkeit des Lebens: nur ein dünnes Tuch bedeckt den Körper, vielleicht noch ein weiteres als “Turban” den Kopf. Waschen kann man sich ca. einmal pro Woche … Der Sand verkrustet auf der Haut und bildet damit einen natürlichen Sonnenschutz – man braucht gar keine Kosmetika, keine Cremes, Öls und Wässerchen, die allgegenwärtigen Fliegen sind einem sehr schnell egal und irgendwann macht’s auch nichts mehr, ob beim Schlafen Schwarzkäfer über einen drüber krabbeln oder eben sogar eine Schlange (im Film – ich selbst hab solche großen Schlangen in der Sahara nicht gesehen – nur mal Skorpione gefunden, auch einmal unter meiner Matraze am Morgen) … das ist so ein unvergessliches und unvergleichliches Erlebnis … wenn man diese ökologisch nachhaltige, also natürliche Art des Reisens wählt – eine Art seele-reinigender Pilgerweg für Nichtreligiöse – dann lebt ein bestimmtes Lebensgefühl und atmet ein bestimmtes savoir vivre wie es wirklich nicht jedem Charakter entspricht, aber wie es das eigene Leben für immer (nachhaltig) verändert: “von Zeit zu Zeit brauchen Menschen wie ich einfach ein bißchen Wüste”.

“Ich bin so allein” – “Sind wir doch alle” [Filmzitat]

petitprince“Man ist auch einsam unter den Menschen” heißt es schon bei Saint-Exupéry im Kleinen Prinzen. Darum gehen manche Leute einfach einmal los, um wenigstens sich selbst gut kennen zu lernen und zu verstehen, denn das ist der erste Schritt auf dem Weg dazu, die Menschen zu verstehen. “Alle denken darüber nach, die Welt zu verändern,” schrieb Tucholsky irgendwann mal, “aber niemand denkt daran, sich selbst zu ändern”. DAS ist eben anders für diejenigen, die auf diese Art durch die Wüste gehen. DESWEGEN ist der Kleine Prinz so unglaublich wahr … ich gebe zu, ich hatte ihn früher – als Schülerin – wahrscheinlich einfach nicht gut verstanden, aber als ich aus der Wüste zurück war und ihn dann als Didaktikerin noch einmal las, ging mir dieses grandiose kleine Büchlein so sehr unter die Haut, dass es mich zu Tränen rührte. Ich war ja genau dort, wo Saint-Ex. herumflog, als er Terre des Hommes und Le Petit Prince schrieb. GRANDIOSE Büchlein, ein wahrer Meister seiner Kunst, dieser Pilot – ich wünschte, ich könnte so schreiben, aber da ich es nicht kann, gibt’s von mir nur ein paar Gedichte und einen Reisebericht.

Aber “das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar” und darum bleibt ein Film wie dieser, so wunderbar er auch ist, nur an der Oberfläche: dieses vielseitige Medium [Film] ist leider begrenzt und kann nicht alles kommunizieren und darum schrieb ich oben “national geographic motion picture”. Das isses – und als solches super!

Schon allein die Tatsache, dass man als Nomade nur wenige Habseligkeiten dabei hat bzw eigentlich fast nichts, nur das nötigste. Diese Reduktion kann auch schon sehr glücklich machen [manche Reiseveranstalter werben sogar damit], weil man nicht darauf konzentriert ist, auf so viele Dinge aufzupassen. Es mag für viele von uns ein Stück Urlaub sein, einfach mal ein Weilchen nur wenige Dinge verwalten zu müssen (die man vllt wieder haben möchte, wenn man zuhause ist, aber die man im Urlaub eben nicht vermisst). Und auch die Tatsache, dass man sich – wie ein Sportler – mal ein Weilchen nur auf die unmittelbaren Lebensfunktionen des Körpers konzentriert, wie Atmen, Trinken, Essen, Ausscheiden (was in der Wüste übrigens ein Problem ist: Hygienepapier jedr Art muss ja immer prompt verbrannt werden, um nicht die Landschaft zu verunreinigen) … das machen wir zuhause oft gar nicht mehr, sondern schieben schnell irgendwas rein und hetzen durch die Gegend, weil der Kopf gerade schon an den nächsten Termin denkt. Diese Besinnungszeit tut aber jedenfalls gut – so wie jede Art der Meditation. Meditionscamps gibt’s übrigens auch in der Wüste … hab solche gesehen …, aber um das Stillsitzen geht’s hier nicht, sondern um das Gehen.

nachhaltige Art zu Reisen. Das Gehen ist etwas, das man im modernen Großstadt-Alltag mit Autos und ÖPNV bisweilen vergessen hat. Manchmal mache ich das noch heute – zum Beispiel, als ich mal in einer Kleinstadt wohnte, dass ich von der Innenstadt bis an den Stadtrand gelaufen bin und dann wunderten sich die Leute. In der Wüste, sind die Strecken, die man zurücklegt, noch viel größer: Ich erinnere mich, dass einmal eine Frau, die mit ihren Kindern und ein paar Ziegen “in the middle of nowhere” wohnte und deren Ehemann gerade auf Karawane und mithin nicht zuhause war, ca. anderthalb Kilometer zu unserer Mittagsrast gelaufen kam, um uns für den Nachmittag zum Tee einzuladen. Sie unternahm also den 15 min Fußweg, sagte “kommt worbei”, drehte sich um und ging den selben Weg wieder zurück. Undenkbar in unserer Gesellschaft: in solchen Fällen würde man doch rasch anrufen und nicht etwa eine halbe Stunde gehen. Dabei hat das Gehen durchaus etwas meditatives. Es redet sich leichter im Gehen und bei schwierigen Entscheidungen denkt es sich auch leichter im Gehen. Ich glaube, die Psychologie hat noch nciht ganz verstanden, warum das so ist, sondern nur Studien darüber, dass es so ist … das mögen aber die Kollegen von den BrainLogs besser beurteilen können.

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Jedenfalls gehen Menschen manchmal einfach auf Pilgerreise oder eben allein durch die Wüste, um dabei über etwas nachzudenken: Ich traf dort z.B. Menschen, die sich in einer großen Krise befinden und einfach mal raus wollten – Menschen, die vor einer wichtigen beruflichen oder privaten Entscheidung standen [“soll ich heiraten oder nicht”, “ich hab ‘nen sicheren Job: soll ich mich auf die höhere Position bewerben?” … ]. Das Gehen durch diese Landschaft und das Leben in der freien Natur hilft uns, die hektische Welt zuhause auch einfach mal mit etwas Abstand zu sehen und “was uns groß und wichtig erscheint, wird plötzlich nichtig und klein”… schon allein DARUM … wenn nicht aus tausendundein anderen Gründen, wollen manche Menschen einfach einmal ein Weilchen allein sein. … bis man irgendwann merkt, dass man (plötzlich) extrem einsam ist und das Alleinsein schwer zu fallen beginnt. Dann fängt selbst der schweigsamste Mensch zu reden, wenn er zufällig mal einen anderen trifft, dann möchte man einmal in den Arm genommen werden und freut man sich über jedes Lächeln – und das beste ist, einen vertrauten Menschen (oder gar einen Freund) wiederzusehen; egal, wie sehr man sich früher auf die Nerven ging – Hauptsache: Man ist nicht mehr allein und fremd, wenn man zurück kehrt! (wäre zumindest schön)

Auch die Bilder von Menschen, den Aboriginals, die Robyn Davidson trifft, sind großartig. Die Bilder von Menschen, vom Leben einer für uns fremden Kultur, die Rituale, dass bestimmtes Land heilig ist und daher nur mit einem Alten durchquert werden darf – die Tatsache, dass die Hauptfigur aber dessen Aborigenee-Sprache nicht spricht und man daher “mit Händen und Füßen” kommuniziert … die Art, wie sie mit den Frauen dieser einheimischen Kultur zusammentrifft und tanzt, die Art wie sie lebt und zu Fuß reist … eben so, wie die Leute dort es schon lange vor der Ankunft der Bleichgesichter und ihrer Strafgefangenen taten… Es ist ein wunderbarer Film, der Australien in Landschaft und Einheimischer Kultur kurz beleuchtet. Es kann nur eine Skizze sein, was man in anderthalb Stunden im Kino sieht – und mit Abstand nicht so intensiv wie das, was man erlebt, wenn man sowas macht. Aber für uns “daheim gebliebenen” ist ein faszinierender Blick auf unseren Heimatplaneten.

 

Diesen Film mit seinen atemberaubenden Bildern lohnt es also unbedingt anzuschauen! … und sich daraus so viel wie möglich von der Wüste im eigenen Herzen dauerhaft zu speichern – oder gar selbst loszugehen, auf den ganz persönlichen, eigenen Weg durch die Wüste.


Gimmick:

Titel4_smh_webDie “Sprache ohne Grenzen” lässt sich – falls sie überhaupt existiert – nicht mit Worten schreiben und auch nicht nur mit Bildern skizzieren. Vielmehr ist es eine Sprache, die nonverbal zwischen Menschen untereinander und sogar mit (manchen) Tieren zur Kommunikation genutzt wird.

Die Einsamkeit, Stille, Rohheit und Unberührtheit der Wüste kann einen menschlichen Charakter in der Tat für immer prägen. “Von Zeit zu Zeit brauchen wir alle ein bißchen Wüste” schrieb daher der schwedische Geograph und Expediteur Sven Hedin.

 

PS: Australien! 🙂 … irgendwann komme ich da auch noch hin! … wenn ich mal groß bin 🙂

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), ... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

5 Kommentare

  1. (…) … das ist so ein unvergessliches und unvergleichliches Erlebnis … wenn man diese ökologisch nachhaltige [Hervorhebung: Dr. W], also natürliche Art des Reisens wählt – eine Art Pilgerweg für Nichtreligiöse (…)

    Hmja, ‘nachhaltig’ hieß früher mal: im Erfolgsfall nicht an Anderem, nicht am Unvorhergesehenen zu scheitern.

    Alaska im Winter (Grizzlies und so) und Erdumsegeln in der Einzelperson gingen vielleicht auch vergleichsweise.
    Ob es sich hier aber um keine Religion (“Zurückbindung”, gerne auch atheischer Art) handelt, ist nicht klar.

    MFG
    Dr. W (der seine Kids eher auf Schokoriegel trimmte)

  2. Vor einigen Jahren habe ich mir einmal vorzustellen versucht, wie Menschen, die in der Wüste leben, die Wüste empfinden, wie die Wüste auf sie wirkt und wie sich die Menschen dadurch entwickeln.
    Einige Dinge waren mir damals eingefallen. Etwa, dass es viel weniger zu sehen gibt in der Wüste – also man ziemlich aufmerksam hinsehen muß, dass man die Landschaft und das, was an Tieren und Pflanzen dennoch darin lebt, sehen kann. Nichts/wenig bricht den Blick – große Weiten und große Berechenbarkeit der Landschaft (also optisch). Ein meditativer Zustand macht sich automatisch, zwangsläufig breit. Die äußeren Reize für unsere Sinneswahrnehmungen reduzieren sich auf wenig Input – ganz im Gegensatz zum Innenstadt-Leben, wo es unendlich tönt und bewegt und zu jeder Zeit irgendwas den Blick kreuzt und den Weg auch. Die Wüste ist zivilisatorisch grenzenllos – sie hat ganz andere Art Grenzen – viel unmittelbarere, die es gilt zu überwinden (Wasser, Hitze, Sonne, Unwegbarkeit, Lebensanforderungen…usw), um die große Freiheit erfahren zu können.

    Jemanden in die Wüste schicken – nehme ich an – tut man deshalb, weil der anderswo die vielen Reize nicht mehr verkraftet und derart gestresst desintegriert in der (Stadt)Gesellschaft existiert.

    Etwa deswegen habe ich neulich jemanden im Kommentarbereich empfohlen, in die Wüste zu gehen, damit seine Reizüberflutung, die er offenbar nicht verkraftete, damit ein Ende hat.

    Die moderne Zivilisation/Hochkutltur braucht niemanden mehr in die Wüste zu schicken. Wer derart desintegriert ist, dem wird eine ganz besondere Therapie zuteil, die es in sich hat. Antidepressiva, Dopamin-Rezeptor-Antagonisten, o.ä.. Oder als letzte Instanz offenbar Esterasehemmer, die einem das Gehirn zerbrutzeln lassen. Danach gibt es keine Reizüberflutung mehr, weil dann jeder Reiz willkommen ist – weil man sich trotz haufenweise sozialen Umgangs einsam fühlt. Man degeneriert dann neuronal zu einem alten Mann (oder eben Frau) – Keine Stirnhirn-, keine Scheitellaappen-Hardware mehr. Nur ein Minimum an Nervenbahnen zur Aufrechterhaltung der Lebensfähigkeit. Kein Scherz. Alzheimer ist keine Schicksalskrankheit, sondern zivilisatorische Notendigkeit – scheinbar – wenn Menschen mit Esterasehemmer vorsätzlich vergiftet werden.

  3. @Dr W: das Adjektiv “ökologisch” ist nicht mit Komma abgetrennt und bezieht sich daher auf das folgende Adjektiv “nachhaltig” – “ökologisch nachhalitg” heißt, dass sowas wie “ökologisch nicht schädigend” oder anders ausgedrückt “nicht die Umwelt belastend”. In den naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken spricht man in der Themen-Dekade “BNE = Bildung für nachhaltige Entwicklung” lässt man das Wort “öko”Wort inzwischen meist weg, weil jeder zu wissen glaubt, dass “Nachhaltigkeit” sich auf Ökologie-Frage bezieht. Manche Studierenden waren schon so sehr mit dieser Vokabel aufgewachsen, dass sie gar nicht mehr wussten oder verdrängt hatten, dass “nachhalitg” ein deutsches Wort ist, das es umgangssprachlich auch in anderem Kontext gibt als im Sinne von Umweltfreundlichkeit oder Umweltverträglichkeit. Ich habe daher aber hier eben dieses zweite Adjektiv davor gesetzt, um diesen Kontext klarzustellen.

    Mit der Vokabel “Pilgerreise” wollte ich nicht auf eine religiöse Richtung (z.B. Sufismus oder so) hindeuten, sondern nur sagen, dass – völlig unabhängig von Religion oder nicht – der Mensch manchmal einfach eine Pause braucht vom Gewohnten. Vielleicht auch eine Art “Reinigung der Seele”, die man eben durch Meditation erreichen kann – also “einfach mal runter kommen” – oder auch durch Sport. In der Schule hab ich mal ein grandioses Büchlein gelesen: “The loneliness of the longdistance runner” … keine Ahnung, ob’s das auch auf deutsch gibt, aber es erzählt, was ein junger Mann denkt, der als Langstreckenläufer für seine Schule trainiert. Man konzentriert sich einerseits auf seinen Körper, andererseits hat man beim Langstreckenlauf (anders als beim Sprint) auch sehr viel Zeit, über sich und die Welt nachzudenken.
    Wandern – egal, ob in den Alpen, von Berlin zur Ostsee zu Fuß, den Jakobsweg, von Mekka nach Medina oder eben das Gehen in der Wüste – hat daher immer so etwas meditatives, was die Seele reinigt. Ich habe dies adjektivisch im Text ergänzt.

    Ich glaube, ich habe mit diesen Worten auch den Kommentar von Chris gleich mitkommentiert. Ja, wir müssen niemanden mehr in die Wüste schicken – aber wer sich selbst in die Wüste schickt und zwar mit der Sicherheit, nach geschaffter Strecke wieder zurück zu kehren, der hat fürs Leben viel gewonnen! Von Nervenbahnen und Antidepressiva verstehe ich leider zu wenig. Ich weiß nur, dass ich seitdem ich in der Wüste war, sehr viel gesünder, gelassener lebe als früher, mich nun noch weniger aus der Ruhe bringen kann, weil ich, wenn ich aufgewühlt bin, immer diese Fotos anschaue und die Ruhe und Momente zurückhole, wie sie im Kleinen Prinzen beschrieben werden … und jedenfalls besser auf meinen Körper achte als früher (ich war immer überzeugt, dass man mit der Kraft des Geistes alles schafft – Langstreckenläufe gewinnen und das Universum verstehen, nur die Menschen nicht) – bis mich gegen Ende meines ersten Studiums mein Körper belehrte, dass ich ihn mit dieser Theorie leider stark überfordert hatte. Auch darum musste ich damals in die Wüste, damit ich jetzt besser – eben wie ein Sportler – mit meinem Körper umgehe und so gesprochen vielleicht auch /noch/ bewusster lebe als früher.

    Da sind die Gründe für die Menschen aber ganz verschieden.

    • Loge! [1]
      Man versteht sich, das mit dem ‘nachhaltig’, das es in neuerer Interpretation [2] schon sehr lange im ökologischen oder ökologistischen Sinne geben soll, betreffend: sowieso.
      MFG + weiterhin viel Erfolg! [3]
      Dr. W

      [1] im Sinne von ‘Word!’ (Quelle)
      [2] streng genommen hat ja Joschka Fischer nur ‘Sustainibility’ Anfang der Neunziger in D zu übersetzen, wie zu kommunizieren gesucht
      [3] Schöne Ostertage!

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