A(l)tair – “zwei” arabische Namen für alpha Aql

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

der Stern alpha Aquilae ist der südliche Stern im Sommerdreieck – also einer, den fast jeder Mensch kennt. Der geneigte Amateurastronom weiß aber: Es gibt alternative Schreibweisen seines arab. Namens, mit und ohne “L” nach dem ersten “A”. Woher das kommt, ist schnell erklärt, denn “t” ist ein Sonnenbuchstabe.

Den Reim “Wega – Deneb – Atair – diese Sterne merk’ ich mir” brachte mein kleiner Bruder einmal von einer Klassenfahrt mit. “Ah-ta-ir” wurde der Sternname dabei gesprochen: langes A vorne, betont, der Diphthong hinten nicht zusammengezogen, sondern als zwei getrennte Vokale gesprochen. Es ist ein arabisches Wort und das Arabische enthält zwischen dem hinteren “a” und dem “i” einen weiteren Buchstaben für den Stimm-Absatz.

Sonnen- und Mondbuchstaben

Arabisch ist eine semitische Sprache – wie z.B. auch hebräisch oder die tote Sprache des alten Orients (akkadisch), die man in Keilschrift schrieb. In diesen Sprachen werden verschiedene Auslaut-Buchstaben ans nächste Wort herangezogen und verschmelzen mit dessen Anlaut-Konsonant. Das gilt im Arabischen für “n”, “l”, “r” und alle Sibilanten (alle “s”-Laute) und Dentallaute, wie z.B. “t” und “d”. Der Artikel vor Substantiven “al” endet also auf einen solchen Buchstaben und kann folglich mit dem Substantiv verschmelzen.

Verschmilzt der Artikel mit dem Wort nicht? Die Beispielworte in der Arabistik sind ausgerechnet die Worte für Sonne (schams) und Mond (qamar), weshalb der arabistische Fachausdruck für manche von uns romantisch wirkt und uns Astros sofort hellhörig werden lässt. Eigentlich steckt aber nichts astronomisches dahinter, sondern “nur” die simple Frage, ob beim Artikel “al” das “L” wegfällt oder eben nicht. 🙂

Das ist ganz einfach:
Sonnenbuchstaben sind die, bei denen das “L” wegfällt,
Mondbuchstaben sind die, bei denen das “L” bleibt.

Sonnenbuchstaben sind alle, die so ähnlich sind wie das deutsche “sch” (im arabischen der Buchstabe “schin”) und Worte, die so funktionieren, wie das arabische Wort für Sonne: “shams“. Diese Buchstaben assimilieren das “L” des Artikels. So heißt “die Sonne” auf arabisch “al-schams” und weil das “L” nicht gesprochen wird, muss man es auch nicht schreiben, sondern darf auch “asch-schams” transliterieren, wie man es spricht. So funktionieren alle Laute für “s”/ “ß”, “sch”, “t”, “d” und das engl. “th” – wovon das arabische wesentlich mehr Buchstaben hat als unser Alphabet (allein 5 Buchstaben für verschiedene “s”, ein stimmhaftes und ein stimmloses “th”, was im englischen nicht schriftlich unterschieden wird: brother ist stimmhaft, thoughts ist stimmlos).

Mondbuchstaben im Arabischen sind analog die übrigen Konsonanten, die also nicht assimiliert werden und die so funktionieren, wie bei dem Wort für Mond (qamar). Das beginnt also mit einem Kehllaut (wir würden “k” schreiben) und “der Mond” ist dann al-qamar; da wird gar nix angepasst, nix assimiliert.

Unsere Sternnamen

Knöpfen wir uns nun die Sterne des Sommerdreiecks vor: Wega – Deneb – Atair. Was hat’s mit denen auf sich? Für uns sind sie in den Sternbildern Lyra, Schwan und Adler.

Die Araber hatten zeitweise statt des Musikinstruments der griechischen Götter an der Stelle unserer Lyra einen Adler [nicht in den berühmten Karten des as-Sufi, da ist unsere Lyra ein bauchiges Gefäß – aber in anderen alten arabischen Beschreibungen ist an dieser Stelle ein Adler]. Dieser Adler hängt aber kopfüber und hat die Flügel am Körper und unterscheidet sich folglich von dem anderen Adler (südlich davon), den wir – wie sie – ebenfalls Adler nennen. Unser Adler hat ausgebreitete Flügel, er fliegt offensichtlich.

Die Namen für Wega und für Altair hängen daher zusammen: Es sind die Adjektive der beiden arabischen Adler. Wega leitet sich ab von “an-nasr al-waqi“, dem herabstürzenden Adler (nicht, weil er vom Himmel fällt, sondern, weil er seine Beute angreift) und Atair stammt von “an-nasr at-ta’ir“, dem fliegenden Adler. Das “t” ist hier ein “ta” und verschiebt den Vokal des folgenden “a” ein wenig zum “o”. Wir haben also in dem Worte vorn ein klares Hochdeutsch-“a” und das zweite “a” ist etwas dumpfer, d.h. ein eher sächsisches “a”, das dem grch. omikron ähnelt.
Wir stellen fest: Es gibt VOKALE im Arabischen – das Märchen, dass man gar keine Vokale im arabischen hat oder wenigstens keine schreibt, ist genauso eine Volksdummheit wie das (falsche) Gerücht, dass der Polarstern der hellste Stern am Himmel sei.

Adjektive werden im Arabischen nachgestellt, wörtlich heißt es alpha Aquilae also “der Adler, der fliegende” und es ist nicht mal sicher, dass “nasr” wirklich einen Adler meint, denn es könnte wohl auch ein Geier sein.

für die Arabisten unter Ihnen: in diesem Bild, das ich einfach mit TheGIMP beschriftet habe, fehlen die typischen Kennzeichen der Buchstaben laut Transliterationsvereinbarung der DMG, also, z.B. fehlt der Punkt unterm “t” bei ta’ir und der Querbalken auf dem “a”, der sagt, dass dies ein “a” ist, das auch im Arabischen als Buchstabe geschrieben wird (also lang ausgesprochen). Ich habe nur versucht, mit normaler Tastatur halbwegs normal-lesbar abzubilden (also für Hobby-Astros, die nicht gleich arabische Transliteration lernen wollen, um diesen post zu verstehen).

nota bene: Was man in diesem Bild auch sieht: die deutsche Schreibweise “Wega” mit einem “W” vorne wäre im englischen eigentlich auch die bessere, d.h. die richtige. Keine Ahnung, warum man es da mit “V” schreibt. Jedenfalls ist das “w” im arabischen genauso ein Halbvokal wie das englische “w” und nicht ein stimmhaftes “v” wie im Deutschen. (Dies nur als Randbemerkung, wenn ich hier schon beim Dozieren bin. 😉 )

Resümee

Für A(l)tair ist jedenfalls beides ist irgendwie richtig: die angelsächsische Schreibweise mit dem “L” ist so, wie man’s richtig schreibt, d.h. Buchstabe für Buchstabe stur transliteriert (das “l” steht ja da, im Arabischen). Die deutsche Schreibweise ohne das “L” ist so, wie man es spricht – also nach Gehör aufgeschrieben – oder wie man das nennt: phonetisch transliteriert.

Literatur: Wer die Etymologie von einigen wichtigen Sternnamen nachlesen möchte, dem empfehle ich z.B. “A Dictionary of Modern Star Names” von Paul Kunitzsch und Tim Smart, erschienen bei Sky&Telescope, Cambridge (Mass) 1986. Das Taschenbüchlein ist nur ca. 65 Seiten stark.
Wer im Englischen nicht so fit ist, der sei auf zwei Artikel des Berliner Arabisten Gotthard Strohmeier verwiesen: für Amateurastronomen, in: Astronomie und Raumfahrt im Unterricht, 21, 1983 (S. 82f., 150 u. 172f.)


Gimmick: uminterpretiertes Sternbild: Die Sternguckerin

Blogger-Teamwork:
auf Schloss Albrechtsberg durfte ich mal wieder den Sternhimmel erklären und die anwesenden Hobby-Astros waren sehr begeistert, dass sie dabei sogar noch was Neues erfahren haben. Ich wurde gebeten, diese “Weisheit” mal zu bloggen und diesen Wunsch habe ich hiermit erfüllt. 🙂

DANKE Jan für die extra hierfür gemachten Fotos vom Sommerdreieck!

 


Nachtrag vom 03.09. 2013

Das Portraitbild zum hiesigen Beitrag wurde irgendwann zwischen Anfang 2006 und April 2008 in Mauretanien (Adrar-Gebirge) aufgenommen. Hier das ganze Bild, aus dem es ausgeschnitten ist:

Bei der Autofahrt im 4×4 durch die staubige Landschaft erwies sich die örtliche gewickelte Kopfbedeckung (auf Französisch “chech”) als sehr zweckmäßig. Die Krempe, die durchs Wickeln entsteht, bietet einen Sonnenschirm – ähnlich wie amerikanische BaseCaps, nur dass man bei der hochstehenden Sonne hier eben nur einen kleineren Schirm braucht – und für diese Fahrten habe ich vorzugsweise den Chech so gewickelt, dass ich ein Tuch unterm Kinn und auf den Wangen hatte. (im Bild weht der Wind mir es gerade über die rechte Gesichtshälfte) Das kann man nämlich bei der Autofahrt über Mund und Nase legen, so dass es als Mundschutz funktioniert.

So ist der “chech” ein multifunktionales Tool – es ist darin keine politische oder religiöse Botschaft enthalten.

 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

5 Kommentare

  1. Aquila

    Mal kurz erklären, der Schreiber dieser Zeilen hat ‘aquila’ als lateinisch für ‘Adler’ gebucht und ‘aquilus’ für ‘dunkel’.

    Die Artikel-Aussage ist, dass dieser lateinische Begriff inklusive der Derivate (‘Adler’, ‘Eagle’ etc.) aus dem Semitischen kommt?!

    MFG
    Dr. W

  2. Die Etymologie

    konnte mittlerweile geklärt werden, diese falschen Angaben (Kostprobe: ‘Der lateinisch Name Aquila entstammt als übersetzte Kurzform der ursprünglichen arabischen Redewendung Al-Nasr am-l’ir („Der fliegende Adler“)’) haben ein wenig irritiert.

    MFG
    Dr. W

  3. Sternnamen

    seit 1603 (Bayer: Uranometria) werden Sterne mit einem griechischen Buchstaben und dem lateinischen Namen des Sternbilds im Genitiv bezeichnet. “alpha Aquilae” ist der erste, d.h. hellste, Stern im Sternbild Aquila (lat. Adler) bei Bayer.

    Der Jurist und Amateurastronom Joh. Bayer verwendete zeitgenössische Sternkarten als Quelle seiner Darstellungen, die auf Ptolemaios (+2. Jh) beruhen, also griechische Sternbilder – NICHT ARABISCHE.

    Im arabischen “Mittelalter” wurden durch zwei große Übersetzungswellen vor allem in Syrien die grch-antiken Sternbilder in die arabische Wissenschaft übernommen und später auch weiter entwickelt.

    Antike und arabische Sternnamen sind typischerweise so lang hier die geschriebenen. In der Renaissance und Neuzeit (also bei Bayer längst vorhanden) waren aber verkürzte Sternnamen gebräuchlich, die sich aus diesen langen Bezeichnungen ableiten – so, dass z.B. aus an-nasr at-ta’ir verkürzt “Atair” wurde.

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