Scheitern die Klimaverhandlungen am Gefangenendilemma?

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Das Scheitern internationaler Klimaverhandlungen wird häufig mit dem sog. „Gefangenendilemma“ erklärt (Weimann 2012): Wenn der Schutz der Atmosphäre als ein öffentliches Gut betrachtet wird, wie es in der klassischen Ökonomie der Leuchtturm für die Seeschifffahrt ist, an dem alle teilhaben können, auch wenn sie selbst nichts dazu beitragen, hat jedes Mitglied der Völkergemeinschaft einen Anreiz „freizufahren“. Wenn das alle machen, kommt es zu einem sozialen Dilemma. Obwohl das öffentliche Gut (Leuchtturm) für alle nützlich ist, sich also als Investition sozial lohnen würde, wird es wegen des Freifahreranreizes nicht privat bereitgestellt. Dieses Dilemma ähnelt der Lage zweier Gefangener, die gemeinsam eine Straftat verübt haben, und unter einer Kronzeugenregelung sich gegenseitig verraten, anstatt gemeinschaftlich zu schweigen, denn auch die „Ganovenehre“ ist in diesem Sinne ein Gemeinschaftsgut und die Vorteile den anderen zum eigenen Vorteil zu verraten einfach zu hoch.

So anschaulich das „Gefangenendilemma“ für die Erklärung des Stillstands in der internationalen Klimapolitik auch sein mag, richtig überzeugend ist es nicht. Das hat schon Ronald Coase, der Ökonomie-Nobelpreisträger von 1991, in einer bahnbrechenden Untersuchung zum britischen Leuchtturmsystem gezeigt: Dieses wurde jedenfalls bis zur zweiten Hälfe des 19. Jahrhunderts hinein vollständig privat betrieben. Mit Coase ist in der Wirtschaftswissenschaft eine Schule entstanden, die die Bedingungen einer freiwilligen Bereitstellung öffentlicher Güter im Detail analysiert hat und dabei zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Bedingungen für die Entstehung eines „Gefangenendilemmas“  eher restriktiv sind, so dass soziale Kooperation in vielen Fällen möglich ist. Wilhelm Althammer und Wolfgang Buchholz haben dies schon 1995 in einer schönen kleinen Übersichtsarbeit (erschienen in einem Buch mit dem gleichnamigen Titel „Soziale Kooperation“) zusammenfassend und allgemein verständlich dargelegt. Hier die Eckpunkte ihrer Argumentation.

Internationale Verhandlungen zum Schutz globaler Umweltgüter werden in der ökonomischen Theorie als strategische Interaktion rational entscheidender Akteure behandelt, die jeweils ihren Nutzen (Utility = U) maximieren. Die Methode der Wahl ist die sog. nicht-kooperative Spieltheorie. In der einfachsten symmetrischen Spielkonstellation seien zwei völlig identische „Spieler“ (Verhandlungsparteien), „Spieler 1“ und „Spieler 2“. Jeder dieser Spieler hat zwei Handlungsalternativen: Kooperation (C) und Nichtkooperation (N). Je nach strategischem Zusammenspiel können sie die Nutzenniveaus

 

  • U (C,C) im Fall der beidseitigen Kooperation
  • U (N,N) im Fall der allseitigen Nicht-Kooperation (auch „Defektion“ genannt)

sowie

  • U (C,N) oder U (N,C) im Fall der einseitigen Kooperation bzw. Nicht-Kooperation

 

erreichen.

 

U (C,N) gibt das Nutzenniveau wieder, wenn ein Spieler (z.B. 1) kooperiert während der andere Spieler (z.B. 2) defektiert, und U (N,C) das Nutzenniveau im umgekehrten Fall, dass ein Spieler (z.B. 1) defektiert während der andere Spieler (z.B. 2) kooperiert.

 

Die allgemeine Form („Normalform“) des Spiels stellt sich folglich so dar:

 

 

Spieler 1

Spieler 2

 

C

 

N

C

U (C,C)

U(C,C)

U(C,N)

U(N,C)

N

U(N,C)

U(C,N)

U (N,N)

U(N,N)

 

[aus Althammer/Buchholz 1995; S. 96, geringfügig modifiziert]

 

Schon seit Hobbes und Rousseau befassen sich Philosophen mit den Bedingungen für die Entstehung sozialer Kooperation. Während Hobbes und Rousseau in klassischer Tradition den Staat oder einen Gesellschaftsvertrag fordern, in dem die Individuen auf Freiheiten freiwillig verzichten und sich dem „Leviathan“ unterwerfen, weist die ökonomische Theorie in der Folge von Coase auf die Bedingungen für eine freiwillige Kooperation hin. Die Bedingungen, die ein „Kooperationsspiel“ kennzeichnen, sind dem gemäß:

 

  • U(C,C) > U(N,N): Die allseitige Kooperation stellt die Individuen einer Gesellschaft besser gegenüber einer allseitigen Nicht-Kooperation.
  • U(N,C) > U(N,N):  Jedes Individuum zieht einen Nutzen (als Freifahrer) aus der Kooperationsbereitschaft des anderen Individuums, weil es wegen der öffentlichen Gütereigenschaft an den Früchten der Kooperation beteiligt ist, auch wenn es keinen eigenen Beitrag dazu leistet; Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität sind gegeben.
  • U(C,C) > U(C,N): Jedes Individuum zieht einen Zusatznutzen (als Kooperationswilliger) aus der Kooperationswilligkeit des anderen Individuums.
  • U(N,C) > U(C,N), d.h. jedes Individuum hat mehr davon, wenn es bei Kooperation des  anderen defektiert als wenn es bei Nicht-Kooperation des anderen kooperiert.  Keiner will der Dumme im Spiel sein, sondern die vorteilhafte Rolle des Freifahrers im Spiel einnehmen.

 

Für die Normalform des Kooperationsspiels sind vier strategische Konstellationen oder „strategische Profile“ möglich:

 

1)      Gefangenendilemma:

 

     U(N,C) > U(C,C )> U(N,N) > U(C,N)

 

Die Freifahrerrolle, d.h. die Ausbeutung des Partners, ist die günstigste Position für alle Spieler, das – nach dem Begründer genannte – „Nash-Gleichgewicht“ in reinen Strategien ist (N,N), also das Gefangenendilemma.

 

 

2)      Bitte-nach-Ihnen Spiel („Chicken Game“):

 

     U(N,C) > U(C,C) > U(C,N) > U(N,N)

 

Auch wenn der Partner nicht kooperiert, lohnt sich für den kooperationsbereiten  Partner die einseitige Bereitstellung des öffentlichen Guts (oder eines Teils davon), weil das öffentliche Gut für ihn so wertvoll ist (, dass er diese Mindestmenge auf alle Fälle sicherstellen möchte). Anders als zuvor ist also C die beste Antwort auf N, während N immer noch die beste Antwort auf C ist. Es gibt daher zwei Gleichgewichte nach Nash: (N,C) und (C,N). Welches Gleichgewicht eintritt, kann im Fall symmetrischer Spieler nicht allgemein spieltheoretisch erklärt werden, sondern hängt vom Spielkontext ab, z.B. an der Glaubhaftigkeit der Androhung der Nicht-Kooperation eines Spielers, ob er sich z.B. in irgendeiner Weise daran selbst binden kann. Im Beispiel des „Chicken Game“ zweier, zumeist junger Männer, die mit dem Auto aufeinander zurasen um festzustellen, wer als erster ausweicht und daher das „Chicken“ ist, geschieht diese Selbstbindung z.B. indem einer sein Lenkrad auf Kollisionskurs festbindet oder ein Gewicht auf das Gaspedal legt, etc.. Wichtig:

Anders als im Gefangendilemma kommt es in jedem der beiden Gleichgewichte zum Freifahren, einer gibt nach und lässt dem anderen die Gunstposition des Freifahrers – das ist kein soziales Dilemma!

 

3)      Harmoniespiel

 

      U(C,C) > U(N,C) > U(C,N) > U(N,N)

 

Wie im “Chicken Game” ist Kooperation die beste Reaktion auf Nicht-Kooperation, jetzt aber ist der Spieler auch dann zur Kooperation bereit, wenn er sich auf die Kooperationsbereitschaft des anderen verlassen kann. Das Nash-Gleichgewicht ist (C,C) – das Reich der Harmonie („harmony reigns“).

 

 

4)      Absicherungsspiel („Assurance Game“)

 

      U(C,C) > U(N,C) > U(N,N) > U(C,N)

 

„Tit for tat“: Jetzt ist jeder Spieler bereit, zu kooperieren, wenn es der Partner auch tut, aber die Nicht-Kooperation des anderen wird mit Nicht-Kooperation bestraft. Hier hängt es an der „glaubhaften Versicherung“ der kooperationswilligen Partner, ob es zu dem guten (C, C) oder dem schlechten (N, N)-Gleichgewicht kommt. 

 

Alle vier strategischen Profile sind „normal“, d.h. grundsätzlich möglich. Es hängt an den Randbedingungen des Spiels, welche strategische Interaktion und welches Gleichgewicht in einer strategischen Konstellation eintreten. Bei einem galoppierenden Klimawandel, wie wir ihn nach den Nicht-Beschlüssen von Doha erwarten dürfen, scheint das „Chicken Game“ jedenfalls realistischer als das Gefangenendilemma, da wir in einer 4°C Welt (Verweis auf Studie der Weltbank) mit einer hohen „Strafe durch die Natur“ rechnen können, die abschreckend wirken sollte. D.h. eine Mindestmenge an Klimaschutz dürfen wir von denen erwarten, die sich am meisten davon versprechen (wie die EU und Australien), aber es wird Freifahrer geben, die sich nicht viel vom Schutz der Atmosphäre versprechen (wie Russland) oder dafür sehr hohe Kosten aufwenden müssten und dadurch (netto) wenig davon haben (wie die USA und Kanada).

 

Wenn man berücksichtigt, dass die Spieler – wie in den genannten Beispielen EU und USA – unterschiedlich („asymmetrisch“) sein können, gibt es also sechszehn (4 x 4)  Spielkonstellationen (vgl. Tab. 2). 

 

 

Tab.2: Spielkonstellationen

 

 

Typ 1

Typ 2

Typ 3

Typ 4

Typ 1

Gefangenendilemma

N,C

N,C

N,N

Typ 2

C,N

„Chicken-Game“

N,C

Kein GG

Typ 3

C,N

C,N

Harmoniespiel

C,C

Typ 4

N,N

Kein GG

C,C

Absicherungsspiel

 

 [aus Althammer/Buchholz 1995; S. 100, leicht modifiziert] 

 

Die Tabelle liest sich so: (Zeilen-)Spieler vom Typ 1 mit unbedingten Präferenzen für das Freifahren treffen auf (Spalten-)Spieler vom Typ 2, die als „Chicken“ mit Kooperation auf Nicht-Kooperation reagieren, so dass ein Nash-Gleichgewicht (N, C) resultiert, usw..

Betrachtet man Tabelle 2 als Möglichkeitsraum für die internationale Klimapolitik mit heterogenen Spielern so fällt auf: Das „Gefangendilemma“ ist eine eher seltene Ausprägung einer strategischen Interaktion. Dafür müssen entweder alle Spieler unbedingt auf Freifahren aus sein (Typ 1 x Typ 1) oder die unbedingten Freifahrer auf Partner treffen, die auf Vergeltung aus sind (Typ 1 x Typ 4, je rot hervorgehoben). Meistens kommt es zu einer Mindestmenge des öffentlichen Guts, die durch den/die Partner mit der größeren Wertschätzung für das öffentliche Gut bereitgestellt wird – und zum Freifahren wie wir es heute nach den Beschlüssen von Doha sehen: Einige schreiten voran – nach Kyoto-2 oder auf die Durban-Plattform -, andere sehen zu und halten sich heraus.

 

 

Quellen:

Wilhelm Althammer und Wolfgang Buchholz (1995), Die Bereitstellung eines öffentlichen Gutes aus spieltheoretischer Sicht : die Grundsachverhalte. Ökonomie und Gesellschaft Bd. 12, Soziale Kooperation, Frankfurt/New York: Metropolis,  S. 92-128.

Ronald Coase (1974), The Lighthouse in Economics. Journal of Law and Economics 17, S. 357-376.

Joachim  Weimann (2012), Institutionen für die Beherrschung globaler Commons und global öffentlicher Güter, Kurzexpertise für die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages, Kommissionmaterialie M17 26-19, Berlin.

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Reimund Schwarze ist Klimaexperte im Department Ökonomie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ). Als Professor für Volkswirtschaftslehre hält er Vorlesungen an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Seine Forschungsschwerpunkte sind ökonomische und juristische Untersuchungen zur Klimapolitik. Er beobachtete in den letzten Jahren die Klimakonferenzen der UNO und berichtete davon im UFZ-Klimablog.

9 Kommentare

  1. Problem: Ist das Klima das einzige Ziel?

    Kooperation funktioniert bei Klimafragen/Klimaverträgen scheinbar bis jetzt nicht – das zeigt der Verlauf der Klimaverhandlungen von COP1 bis COP18.

    Es gibt aber globale Angelegenheiten, die leidlich durch globale Überwachungsbehörden geregelt und gemanagt werden. Ein Beispiel das sich aufdrängt ist die Proliferationsfrage mit der zugehörigen Behörde der Internationalen Atomagentur IAEA (wobei sich sogar hier Konflikte, ja sogar die Gefahr des Versagens zeigt).
    Warum funktioniert die IAEA in Bezug auf das Eindämmen der Proliferation von Nuklearwaffen eingermassen? Weil es ein paar federführende Staaten gibt, die an der Nichtproliferation Interesse haben und diese gegen Nuklearwaffen-Aspiranten durchsetzen wollen.

    Wenn aber alle globalen Player innerhalb eines Gesamtziels ihre Eigeninteressen wahren wollen und es keinen Kern von Staaten gibt, die Druck ausüben, dann wird es schwierig. Unter anderem weil es sehr viele “Spiel”-Konstellationen geben kann, wie oben aufgezeigt.

    In Wirklichkeit ist das Gefangenendilemma noch eine Stufe einfacher als es die Klimaverhandlungen sind. Denn bei den Klimaverhandlungen gibt es nicht nur ein Ziel wie im Eingangsbeispiel mit der Ökonomie der Leuchttürme für die Seeschifffahrt
    Es gibt möglicherweise – behaupte ich böswillig – Staaten, die an den Klimaverahndlungen teilnehmen, die aber gar nicht das Klimaziel im Sinne haben, sondern die beispielsweise finanziell entschädigt werden wollen unter der Behautung der von den andern verursachte Klimaschaden müsse von diesen andern nun auch entschädigt werden.
    Das macht diese Verhandlungen aber zu Scheinverhandlungen, denn einige (viele?) Staaten verfolgen im Geheimen andere Ziele als das offiziell Vorgegebene.

  2. individueller Gewinn

    Obwohl das öffentliche Gut (Leuchtturm) für alle nützlich ist, sich also als Investition sozial lohnen würde, wird es wegen des Freifahreranreizes nicht privat bereitgestellt.

    Soll das öffentliche Gut, das anzustreben ist, also allgemeinen Nutzen verspricht, erreicht werden, sind in der Tat “Dilemma-Situationen” zu meiden, die dazu führen, dass der einzelne Teilnehmer nicht leistet.

    Abhilfe könnte bei der Klimaproblematik eine effizient steuernde Weltregierung bieten, unwahrscheinlich und zudem wenig sympatisch, ODER eben die (erfolgreiche) Suche nach “Workarounds”, also bspw. i.p. Geo-Engineering.

    Ein anreizgesteuertes Geoengineering könnte also viel eher leisten, denn es würde auch dann Sinn machen, wenn der Klimawandel in der befürchteten Form nicht eintritt und zudem wären regional steuernde Lösungen möglich, d.h. nicht alle müssen mitmachen.

    MFG
    Dr. W

  3. Lieber Herr Holzherr, Sie haben recht, Klima ist nicht das einzige Ziel der Verhandlungen. Es geht z.B. um Technologietransfer und Patentrechte, Handels- und andere Sektorabkommen wie WTO, ICAO, etc.. Spieltheoretisch erhöht diese Chance einer Kooperation (nach Cararro/Siniscalco 1994, s.u.). Das in Cancun beschlossene Programme zur Kompensation von “loss and damages”, das sie ansprechen, wirkt allerdings in die gegenteilige Richtung. Länder wie Saudi-Arabien, das darunter seine Verluste aus dem Ölexport bei einer konsequenten Klimapolitik geltend machen, waren immer schon Bremser in den Klimaverhandlungen, hatten also nie Klima als Ziel. Deshalb musste es die willkürliche Regel “Konsens – X”, also das Überstimmen einzelner Länder geben, damit sich auf UN-Bühne überhaupt etwas bewegt. (rs)
    Erwähnte Quelle:
    Carraro, C., Siniscalco, D. (1994): R&D cooperation and the stability of international environmental agreements. FEEM-dp, Venice.

  4. Unsinn

    Die Klimaverhandlungen scheitern daran, dass die bisherige Vorgehensweise einfach sinnlos ist.
    die Weltbevölkerung nimmt ständig zu und damit auch der Verbrauch von Rohstoffen bzw. die Umweltbelastung pro Person.
    D.h. man müsste sinnvolle Mechanismen entwickeln um die Geburtenrate drastisch zu senken – und ausgerechnet darüber werden keine ernsthaften Strategien entwickelt. D.h. die Klimaverhandlungen sind aus diesem Grund von vorne herein zum Scheitern verurteilt und das ist auch jedem Beteiligten wohl klar.
    Aber Flug, Essen und Getränke sind frei, deshalb wird es wohl auch in Zukunft derartige Verhandlungen geben.

    Diese Veranstaltungen erinnern irgendwie an Feuerwehrleute, welche, wenn sie zu einem Brand gerufen werden, sich hinsetzen um erst gründlich zu diskutieren, was denn die Ursache des Brandes gewesen sein könnte. Und ob man das entstehen des Brandes hätte verhindern können: eine unsinnige Diskussion.

    Beispiel: Wenn der aktuelle Verbrauch pro Kopf bei zur Zeit 6.5 Mrd. Menschen um 28% gesenkt wird – aber bis 2050 die Anzahl der Menschen auf 9 Mrd. ansteigt, dann wird 2050 in der Summe genau so viel verbraucht wie Heute.
    Frage: Sind Sie oder irgendeiner der Leser dieses Beitrags bereit, auf deutlich mehr als 28% Ihres Konsums dauerhaft zu verzichten? Wenn Ja – auf was?

  5. @KRichard: Bevölkerung nicht das Problem

    Sie schreiben: “Die Weltbevölkerung nimmt ständig zu und damit auch der Verbrauch von Rohstoffen bzw. die Umweltbelastung pro Person.”

    Doch nicht das Weltbevölkerungswachstum sondern das Weltwirtschaftswachstum lässt den Verbrauch an Rohstoffen und die Emissionen steigen – mindestens wenn die Ressourcen/Emissions-Effizienz der Wirtschaft nicht verbessert wird.
    Das Weltbevölkerungswachstum beträgt heute 1% pro Jahr, das Weltwirtschaftswachstum jedoch beträgt 4% pro Jahr.

    Bei Klimaschutzmassnahmen geht es allerdings nur um das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle. Ohne irgendwelche Massnahmen ist zu erwarten, dass der Verbrauch dieser fossilen Rohstoffe etwa gleich zunimmt wie das Weltwirtschaftswachstum. Mit Massnahmen müsste man im Idealfall eine starke Verlagerung des Verbrauchs von Öl, Gas und Kohle auf andere Energierohstoffe beobachten oder aber eine Senkung des Verbrauchs von Öl, Gas und Kohle ohne dass dies das Wirtschaftswachstum deutlich beeinträchtigt.
    Eines dürfte sicher sein: “Nur” wegen dem Klimaschutz sind Länder kaum bereit, das Wirtschaftswachstum zu reduzieren. Die UNO-Klimaverhandlungen können also nur dann wirksam sein, wenn es
    1) überhaupt eine Verlagerungsmöglichkeit oder wirtschaftswachstumsneutrale Einsparmöglichkeiten bei Kohle, Öl und Erdgas gibt.
    2) Wenn Länder, die über Bodenschätze in Form von Kohle, Öl und Erdgas verfügen, darauf verzichten diese zu fördern oder aber wenn die Nachfrage nach Kohle, Öl und Erdgas von sich aus sinkt.

    Es gibt offensichtlich beim Klimaschutz sowohl politische als auch technologische Dimensionen. Die Uno-Klimaverhandlungen setzen auf die politische Dimension. Das Gefanngendilemma setzt als Gleichnis zudem auf ein aktuelles Problem, das kooperativ gelöst werden muss und von allen aktuell anfallende Anstrengungen/Kosten einfordett.
    Doch ist es wirklich so: Ist das Klimaproblem ein aktuelles Problem? Ich würde antworten: Ja und Nein. Ja, insoweit ein Handeln heute nötig ist, nein, insoweit die stärksten Folgen erst die nachfolgende Generation betrifft: Unsere Kinder werden mehr unter einem veränderten Klima leiden, als wir es tun werden. Solch eine Situation – wo sich Wirkungen erst in ferner Zukunft und bei der nächsten Generation zeigen – wird wiederum vom spieltheoretischen Gefangenendilemma nicht abgedeckt.
    Historisch gesehen hat die Gegenwart und eine unmittelbar bevorstehende Zukunft (als Sieger oder Besiegter beispielsweise) schon immer sehr viel mehr gezählt als die ferne Zukunft. Man kann sogar sagen, dass die ferne Zukunft von Menschen bis jetzt noch nie in die Überlegungen einbezogen wurde.

  6. Gefangenendilemma

    Das Gefangenendilemma ist ein psychologisches Experiment mit gleichberechtigten Partnern/Spielern; welche übersehbar gleichviel zu gewinnen/verlieren haben. Und darum ist es nicht auf die Klimadiskussion übertragbar!

    Wir sitzen jetzt im geheizten Zimmer in der Nähe des gefüllten Kühlschranks und tippen in die Computer-Tasten. Ein Großteil der Weltbevölkerung ist von solchen Bedingungen weit entfernt. Die meisten Menschen wollen, dass es ihnen und ihren Kindern genau so gut geht, wie uns. Von gleichen Ausgangsbedingungen wie beim Gefangenendilemma ist hierbei nicht auszugehen.

    Im aktuellen Heft von ´Psychologie Heute´ spricht Prof. Welzer von einem ´Esoterisierungsprozess´ in den aktuellen Sozialwissenschaften: Man löst alles in einen vagen Diskurs auf, welcher der Realität möglichst nicht nahekommen sollte. Dann lässt sich trefflich und unangreifbar diskutieren ohne dass man angreifbar wird. Gut, dass wir diskutiert haben! Bei der Klimadiskussion ist das Verhalten ähnlich

  7. @Kinseher

    Das Gefangenendilemma ist ein psychologisches Experiment mit gleichberechtigten Partnern/Spielern; welche übersehbar gleichviel zu gewinnen/verlieren haben. Und darum ist es nicht auf die Klimadiskussion übertragbar!

    Wenn die Sachlage, die klimatologische Lage inklusive Prädiktion, klar ist, kann man die Sache spieltheoretisch betrachten. Die hier geschilderte Situation ähnelte dann einer Schiffsbelegschaft, die, weil das Schiff abzusaufen droht, Ballast in Form von persönlichem Eigentum abwerfen müsste, sich aber nicht rechtzeitig einigen kann, wer wieviel abwirft.

    Das Gefangenendilemma ist eher der Mathematik zuzuordnen, mit klar bestimmten oder modellierten Teilnehmerpräferenzen, klar. Es spricht aber wenig dagegen hier derart zu vergleichen, auch wenn es, wie Sie schreiben, psychologisch (also auch: komplex) wird.

    MFG
    Dr. W

  8. Das Gefangenendilemma ist ein psychologi

    Der UN-Prozess ist ein politisches Experiment mit 192 gleichberechtigten Partnern/Spielern; die unübersehbar unterschiedlich viel zu gewinnen/verlieren haben. Nur aus dem letzten Gesichtspunkt heraus ist das Gefangenendilemma nicht auf die Klimadiskussion übertragbar. Zudem droht uns mit der 4°plus-Welt ein “Strafe”, die dem ‘Overkill’ des kalten Kriegs
    nahe kommt. Auch deshalb haben wir kein Gefangenendilemma in der internationalen Klimapolitik. Die ‘Asymmetrie’ in der Betroffenheit zwischen den kleinen Inselstaaten (= existenziell betroffen) und Russland/Kanada/USA (= zunächst wenig betroffen) wäre eigentlich ein Vorteil in diesem Spiel, d.h. würde die Chancen für Kooperation erhöhen, wenn die am stärksten Betroffenen nicht gerade auch die Ärmsten wären. Darin liegt das Dilemma.

  9. Chicken Game

    Das ChickenGame als KEIN soziales Dilemma zu bezeichnen ist falsch. Zwar liegt hier nicht wie im Gefangenendilemma lediglich ein Pareto-inferiores Gleichgewicht in reinen Strategien vor, jedoch befinden sich die Akteure in einem multiplen Gleichgewichtsproblem mit gegensätzlichen Interessen, die zu keiner Lösung des Spiels führt. Hier wären zusätzliche Anreize vonnöten.

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