»Deutschland? Aber wo liegt es?«

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
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DeutschlandEiner der Themenbereiche, für die ich mich als (wenn nicht berufstätiger, dann aber zumindest studierter) Deutschlandhistoriker besonders interessiere, ist der nicht nur historisch, sondern auch gegenwärtig problematische Zusammenhalt jener mitteleuropäischen Gebiete, in denen Deutsch gesprochen wird bzw. wurde. Es stellt sich mir nämlich die Frage: Wie lässt sich deutsche Geschichte – und insbesondere deutsche Zeitgeschichte – im Sinne eines Geschichtsraums am besten verstehen?

 

Das »Deutsche« hinterfragen

Eine zentrale Rolle spielt hier natürlich die Frage nach der Bedeutung von »deutsch« in diesem Zusammenhang. Bekanntermaßen gab es bis 1949 »Deutschland« in dieser substantivierten Form nicht, zumindest nicht als Rechtssubjekt. Selbst nachdem Hitlers Reichstag 1934 im Zuge der Gleichschaltung das »Gesetz über den Neuaufbau des Reichs« erlassen und den Staatenbund liquidiert hatte, blieb die Staatsbezeichnung »Deutsches Reich« in der adjektivischen Form erhalten. Tatsächlich war es bis dahin nicht der Staatenbund, der dem Begriff »deutsch« eine Bedeutung verlieh, sondern umgekehrt: Das an sich freilich mannigfaltig zu interpretierende Adjektiv sollte die Föderation beschreiben und sie dadurch mit der erforderlichen Bodenständigkeit ausstatten.

Nach Kriegsende hat keine Restauration jenes Staatenbundes der Weimarer Republik stattgefunden. Trotz aller föderalistischen Charakteristika ist die Bundesrepublik keine echte Föderation und steht insofern auch weiterhin in der Tradition der hitlerschen Gleichschaltung. Die »deutsche« Staatsangehörigkeit, die Hitler 1934 durch die »Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit« einführte, um die verschiedenen Nationalitäten unter den Reichsangehörigen zu beseitigen, gibt es auch heute noch (zwar ist in Art. 6 der Verfassung des Freistaates Bayern seit 1946 erneut von bayerischer Staatsangehörigkeit die Rede, doch umgesetzt ist diese bis zum heutigen Tage nicht). In einem Punkt hat die Bundesrepublik Hitler sogar übertroffen, nämlich mit der erstmaligen Einführung eines Rechtssubjekts namens »Deutschland«. Lediglich die DDR ist der bescheidenen, weil adjektivischen Form treu geblieben (übrigens ist die Bundesrepublik seit der Föderalismusreform 2006 – vgl. Art. 22 Abs. 1 GG – nach der DDR der zweite deutsche Staat, der Berlin verfassungsrechtlich als seine Hauptstadt festgelegt hat; auch das ist bis nach Hitler nie geschehen).

Die amtliche Inanspruchnahme »Deutschlands« durch die letztendlich von den Westalliierten errichtete Bundesrepublik diente wohl nicht zuletzt der Legitimierung des neuen Staates als einzigen Rechtsnachfolgers des Deutschen Reichs (im Gegensatz zu den anderen Nachfolgestaaten: der DDR und der Zweiten Republik Österreich). Doch für die Bedeutung von »deutsch« hat sie schwerwiegende Konsequenzen herbeigeführt: Infolge der Inanspruchnahme hat sich in den darauf folgenden Jahrzehnten eine Differenzierung zwischen »deutsch« und »deutschsprachig« durchgesetzt, die den Nationalismus in sich birgt, ja aus diesem hervorgeht (»Deutscher« kann demnach nur sein, wer dem vermeintlichen Nationalstaat angehört und höchstens auch wer diesem laut dem Bundesvertriebenengesetz angehören darf und will). Dass etwa 1983 in Belgien die »Deutsche Kulturgemeinschaft« in die »Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens« umbenannt wurde, ist nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund zu verstehen.
 
In einem kritischen Ansatz muss folglich diese pauschale Nationalisierung bzw. Inanspruchnahme des eigentlich sprach- und daher oft auch kulturbezogenen Adjektivs »deutsch« durch den bundesrepublikanischen Nationalstaat überwunden sein. Daher darf auch in Bezug auf den deutschen Geschichtsraum nicht zwischen »deutschen« und »deutschsprachigen« Ländern oder zwischen einem »deutschen« und einem »deutschsprachigen« Sprach(en)- und Kultur(en)raum differenziert werden. Dementsprechend soll »deutsche Geschichte« offen genug begriffen werden, damit unter diesem Sammelbegriff eine Vielzahl an historiographischen Sichtweisen bzw. Konstruktionen berücksichtigt werden kann, wie es sich in Anbetracht der tiefgreifenden Vielschichtigkeit deutscher Geschichte gebührt. Im Mittelpunkt einer solchen Auffassung stehen schließlich Gesellschaften und Staaten, Kulturen und Länder, deren Entwicklungsgänge aufgrund sprachlicher Ähnlichkeit (Dialekte des Deutschen) meistenteils innerhalb ein und desselben geographischen Raumes (Mitteleuropa) trotz politischer, kultureller, konfessioneller und sonstiger Heterogenität jeweils relativ eng miteinander zusammenhängen.

 

Der Vielschichtigkeit gerecht werden

Die Notwendigkeit einer solchermaßen staatsgrenzenübergreifenden Auffassung deutscher Geschichte, die der außergewöhnlichen Heterogenität des deutschen Mitteleuropa Rechnung trägt, wird etwa am heutigen Elsass sichtbar, dessen Schwanengesang sich nicht unter französischen Geschichtskonstruktionen subsumieren lässt. Auch die – übrigens immer wieder neu eintretenden – Selbstbestimmungsinitiativen in Mittel- bzw. (heutzutage:) Südtirol werden erst als deutsche Landesgeschichte erklärlich.

Seitdem die weitgehende und dennoch nicht endgültige Verwirklichung deutscher Nationalstaatsvorstellungen 1945 gescheitert ist und obwohl die Bundesrepublik noch immer auf ihrem nationalstaatlichen Anspruch beharrt, soll sich deutsche Geschichte heutzutage wieder auch außerhalb deutscher Staatsgrenzen entfalten dürfen. Staatliche Souveränität bildet zwar ein wichtiges Moment von Geschichte schlechthin, jedoch darf die Wahrnehmung deutscher Geschichte nicht (mehr) durch staatliche Souveränität bedingt sein.

 

Das Deutsche und das Jüdische: ein theoretisches Geschwisterpaar?

Zur Veranschaulichung dieser Problematik kann und soll man deutsche Geschichte mit jüdischer Geschichte vergleichen, die einem als Paradigma zum Verständnis deutscher Geschichte weiterzuhelfen vermag: Beide Geschichtsräume sind sprachlich, konfessionell und daher auch kulturell sehr heterogen, sodass jede auf den Überblick abzielende Geschichtskonstruktion notwendigerweise vielschichtig wird. Aber auch über den verhältnismäßig hohen Komplexitäts- und Zerspaltungsgrad hinaus weisen das Deutsche und das Jüdische ähnliche Problematik auf, denn im Mittelpunkt beider Geschichtsräume liegt ein Staat (die Bundesrepublik bzw. Israel), der sich als Nationalstaat verstehen will, obwohl er – im Gegensatz etwa zu Polen, Frankreich oder Italien – diesem Anspruch de facto nicht gerecht werden kann, weil die jeweilige »Diaspora« einfach zu gewichtig ist. Wie jüdische Geschichte (im Gegensatz zu israelischer Geschichte) selbst nach 1948 nicht mit dem Staat Israel identifiziert werden kann, so darf auch deutsche Geschichte (im Gegensatz zu bundesrepublikanischer Geschichte) auch nach 1949 nicht auf die Bundesrepublik und deren sozialistischen Nebenstaat beschränkt werden.
 
Zugegebenermaßen entschied sich das Deutsche Historische Museum für eine »kleindeutsche« Konzeption, in der geopolitische Vorstellungen der Gegenwart in die Vergangenheit des deutschen Mitteleuropa zurückprojiziert werden, sodass in der Dauerausstellung nur relativ selten auf jene wichtigen Lande Bezug genommen wird, die das heutige Hoheitsgebiet der Zweiten Republik Österreich bilden (s. hierzu den Beitrag: »Das kleindeutsche historische Museum«). Doch wie tragfähig solche Aufteilungen der Geschichte sind, zeigte z. B. der Streit zwischen dem bundesrepublikanischen ZDF und der österreichischen Kronenzeitung 2003 um die »richtige« Aneignung W. A. Mozarts.

 

Die bayerische Frage

Die erkennbare Spannung zwischen einstaatlichem Nationalismus und mehrstaatlichem Pluralismus im deutschen Mitteleuropa begegnet einem auch in Brüssel, wo diese Problematik vermeintlich längst in der EU aufgegangen sein sollte: Dort befindet sich heute in drei massiven und schlossähnlichen, vom Anfang des 20. Jahrhunderts datierenden Altbauten in unmittelbarer Nähe zum Europäischen Parlament eine deutsche Vertretung bei der EU; es handelt sich jedoch nicht um diejenige der Bundesrepublik, die weiter entfernt residiert, sondern um diejenige des Freistaates Bayern (somit ist diese bayerische Präsenz im Brüssler EU-Regierungsviertel mit der an Kanzleramt und Bundestag gelegenen Schweizer Botschaft in Berlin vergleichbar).

Diese topographisch-politische Aussage Bayerns steht in einer Tradition dieser mitten in Deutschland gelegenen Nation, die auch früher einen relativ eigenständigen Kurs verfolgte: An der Seite Napoleons kämpfte es in der Schlacht bei Austerlitz gegen die Habsburger (1805), dann zog es mit den Habsburgern in der Schlacht bei Königgrätz gegen die abtrünnigen Hohenzollern (1866) und nicht viel später folgte es doch den Hohenzollern im Krieg gegen Frankreich (1870-71). Je nachdem, was zum gegebenen Zeitpunkt für Bayern – ganz abgesehen von "Deutschland" – gut war.

Im Einklang mit der bewährten Tradition der »vorsichtigen Trotzigkeit« setzte sich Bayern 1949 – wenn auch vergeblich – dem antiföderativen Grundgesetz wider, das (nicht unähnlich der Entwicklung in der SBZ) eigentlich von den westlichen Siegermächten aufgezwungen wurde. Diese bestimmten nämlich nicht nur seine Notwendigkeit, sondern auch seinen Geltungsbereich, der West-Berlin (bis 1990) zumindest grundsätzlich aus-, Bayern hingegen ganz und gar einschloss. Wohl im Hinblick auf Bayern legte die Mehrheit im Parlamentarischen Rat in Art. 144 Abs. 1 fest, dass das von ihm erarbeitete Grundgesetz »der Annahme durch die Volksvertretungen in [nur!] zwei Dritteln der [damaligen] deutschen Länder [bedarf], in denen es zunächst gelten soll«. Dass die bayerische Nationalversammlung (mit oder ohne Anführungszeichen) das Grundgesetz samt diesem antidemokratischen Artikel ablehnte, spielte angesichts der US-amerikanischen Besetzung Bayerns keine Rolle.

Auch später, etwa 1983 mit dem Milliardenkredit an Honecker, gab Bayern seinen Willen nach relativ großer Eigenständigkeit – hier sogar im Bereich der Außenpolitik – kund. Wenn es den Vertretern der bayerischen Nation gelungen wäre, ihre Vorschläge 1949 im Parlamentarischen Rat durchzusetzen, wäre die alte Ordnung wiederhergestellt worden und auf den Ruinen des untergegangenen Reiches kein »Deutschland«, das seine bzw. die (abgesehen von Hitlers Änderungen nur angeblich) ihm zustehenden Kompetenzen auf die Länder überträgt, sondern eine »Gemeinschaft« grundsätzlich eigenständiger Einzelstaaten abermals entstanden, die den Namen »Bund deutscher Länder« führen, d.h. die adjektivische Form beibehalten sollte (s. die Präambel des »Chiemseer Entwurfes« bzw. den dortigen Minderheitsvorschlag). Schreibt man heute eine Geschichte Bayerns, so dürfte diese nicht einfach als eines unter mehreren Kapiteln einer bundesrepublikanischen Geschichte konstruiert werden; dafür ist das Verhältnis Bayerns zur Bundesrepublik schlichtweg zu kompliziert.

 

Deutsche und europäische Unionen

Beim vorerwähnten Begriff »Gemeinschaft« denkt man heutzutage an die Europäische Gemeinschaft bzw. die Europäische Union. Im Vergleich mit diesem noch sehr jungen Wesen enthüllen sich kleindeutsche Unionen und insbesondere die Weimarer Republik (da das bismarcksche Kaiserreich 1871 und die BRD 1949 von oben erzwungen wurden) als Vorwegnahme der EU. So waren Zoll- und Währungsunion, Freizügigkeit und nicht zuletzt auch der Verzicht auf Grenzkontrollen, der dem Schengener Abkommen gleichkommt, in deutschen Unionen schon lange verwirklicht gewesen, bevor sie auf die europäische Ebene übertragen und somit erweitert wurden. Auch der heutige Diskurs über die »europäischen Werte« und die damit zusammenhängende Zukunftsvision hat sein deutsches Gegenstück und zwar im damaligen Diskurs über das »deutsche Wesen« und das damit zusammenhängende Sendungsbewusstsein. In beiden Fällen werden Paradigmen gestiftet, deren Zweck darin besteht, das zusammenzubringen, was zwar zusammenkommen kann, aber nicht unbedingt zusammengehört.

In mancher Hinsicht, z. B. in Bezug auf die seit 1870/71 zusammengeschlossen Streitkräfte und die ziemlich einheitliche Außenpolitik (es darf hier nochmals auf Strauß’ Milliardenkredit an das SED-Regime 1983 hingewiesen werden), ist die deutsche Union der europäischen noch immer voraus. In anderer Hinsicht wiederum scheint die deutsche Union gerade durch ihre fehlende Einheitlichkeit ein Vorbild darzustellen, da man bei allem künftigen Fortschritt im europäischen Einigungsprozess doch erwarten darf, dass etwa Erziehungs- und Bildungsfragen – abgesehen von allgemeinen Richtlinien, wie diese auch in der deutschen Union von der KMK behandelt werden – auch weiterhin im Ermessen der einzelnen Länder dieses »Europas« bleiben.

Schließlich umfasst die EU inzwischen den Großteil europäischer Länder, wie es die Bundesrepublik in Bezug auf das deutsche Mitteleuropa auch tut. Allerdings erhebt die EU bekanntermaßen (noch) keinen Anspruch auf den europäischen Nationalstaat »Europa«, sondern begnügt sich, im Gegensatz zur Bundesrepublik »Deutschland«, mit der adjektivischen Form »europäische Union«. Auch aus dieser europäischen Perspektive wird also ersichtlich, dass einstaatlich inspirierte Geschichtskonstruktionen genauso wenig auf den deutschen Geschichtsraum zutreffen wie auf den europäischen: Kann man sich eine europäische Geschichte (im Gegensatz zu einer Geschichte der EU) vorstellen, in der etwa Kroatien, das zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Mitgliedsstaat der EU ist, nicht behandelt wird? Verneint man diese Frage, so taucht gleich eine andere auf: Soll man eine deutsche Geschichte (im Gegensatz zu einer Geschichte der Bundesrepublik) nicht hinterfragen, die von der Schweizerischen Eidgenossenschaft als Subjekt deutscher Geschichte absieht?

 

Fazit

Vor dem oben dargelegten Hintergrund erscheinen die verhältnismäßig weit eigenständigere Gesinnung im deutschen Süden, insbesondere aber die bewährte Unabhängigkeit der Schweizerischen Eidgenossenschaft und die seit kurzem ebenfalls bodenständige Unabhängigkeit der Zweiten Republik Österreich zwar als Abweichung von der europäischen Norm (sofern von dieser die Rede sein kann), aber zugleich als der historisch gewachsene Normalfall im deutschen Mitteleuropa, wo wirtschaftliche Interdependenz und kulturelle Zusammengehörigkeit noch keine politische Einheit bedeuten müssen.
 
Historiker wie Karl Otmar Frhr. von Aretin, Karl Dietrich Erdmann, Fritz Fellner (s. prägnante Zitate hier) u. a. haben schon darauf hingewiesen, dass das deutsche Mitteleuropa seit seinen Anfängen mehrstaatlich-pluralistisch aufgebaut war und auf diese Art und Weise über längere Zeiten hinweg für geopolitisches Gleichgewicht und relativen Frieden sorgte. Die Mehrstaatlichkeit mag im europäischen Vergleich als ein deutscher »Sonderweg« oder -fall erscheinen, jedoch war in der Geschichte des deutschen Mitteleuropa gerade die weitgehende Verwirklichung nationalstaatlicher Vorstellungen im Nationalsozialismus (insbesondere durch den »Anschluss« am 12. März 1938) die ebenso für Resteuropa wie für die deutschen Lande schmerzhaft gescheiterte Ausnahme.

Im Rückblick auf die deutsche Geschichte und im Hinblick auf deren künftige Konstruktion liegt folglich der Schluss nahe, dass im deutschen Mitteleuropa die kurzlebige Einstaatlichkeit einen eigentlich kaum realisierbaren Ausnahmefall bildet und dass »Deutschland« nunmehr pluralistisch, d.h. mehrstaatlich begriffen werden soll.

 

Siehe auch: Die Sprache neu besetzen

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

9 Kommentare

  1. “Geschichtsräume” sollten vielleicht gar kein konstitutives Element der Geschichtsschreibung sein, sondern bestenfalls ein heuristisches Mittel. Sonst ist man immer leicht in der Nähe einer “nationalistischen” Konstruktion des Geschichtsbildes.

  2. Geschichtsräume

    – seien es europäische, amerikanische oder chinesische Geschichte – spielen schon eine sehr zentrale Rolle bei der Arbeit des Historikers, dessen Aufgabe eben darin besteht, den bloßen Tatsachen durch Aufteilung und Einordnung Sinn zu verleihen. Ansonsten tut er nicht viel mehr als der Chronist, dessen Arbeit von französischen Poststrukturalisten tatsächlich – und dennoch fälschlicherweise – für Geschichtsschreibung gehalten wurde/wird.

  3. Theorie der Geschichtsschreibung, Historik, ist ein weites Feld. “Bloßen Tatsachen” (was ist eigentlich eine Tatsache”?) durch “Aufteilung” und “Einordnung” (nach welchen Kriterien?) “Sinn zu verleihen” – das greift sicher zu kurz. Das hört sich doch zu sehr nach historischem Roman an.
    “Geschichtsräume” können bei der Aufteilung und Einordnung hilfreich sein, deswegen sage ich ja: heuristisches Hilfsmittel – aber mehr eigentlich nicht.

  4. Obwohl ihre Argumentation durchaus schlüssig ist sollte nicht vernachlässigt werden das eine überbordende terretoriale Verwendung des Begriffs “deutsche Geschichte” sicher immer noch Anstoß in einigen der betroffenen Regionen erwecken könnte. Sicherlich wäre es bereits systematisch fehlerhaft deutsche Geschichte auf das Gebiet der heutigen Bundesrepubklik zu beschränken. Auf der anderen Seite handelt es sich dabei doch lediglich um einen sowieso bereits abstrakten Begriff. Im Zuge der political correctness eine sprachliche Trennung vorzunehmen ist doch im Grunde genommen nur eine Formalie.
    Apropos Wortklauberei. Nicht das ich an dieser Stelle mit Ihnen darüber diskutieren möchte inwieweit die DDR wirklich sozialistisch war. Die Bezeichnung Nebenstaat halte ich jedoch für verfehlt. Über die völkerrechtliche Einordnung der DDR kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Impliziert die Existenz eines Nebenstaates aber nicht die Existenz eines Hauptstaates der wichtige administrative Entscheidungen in beiden Teilen versucht zu harmonisieren? Nur auf Grund geringerer Größe der einen Verwaltungseinheit von einem Nebenstaat zu sprechen halte ich für falsch. Ist Nordkorea ein Nebenstaat Südkoreas? Vielleicht interessanter noch wird oder ist Palästina ein Nebenstaat Israels?

  5. Ist die Sache nicht unproblematisch, wenn man statt ‘deutsch’ zu verwenden, ‘deutsche Politik’ oder Sprache o.ä. sagt?
    Wenn man ‘deutsche Geschichte’ ein bißchen genauer fasst, weiß doch jeder, was gemeint ist.

  6. Falschinformationen in diesem Blog

    Zum Teil falsch:

    1. Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches! Sie ist vielmehr ein anderer, neuer Name für den völkerrechtlich selben Staat, dasselbe Völkerrechtssubjekt, wie es seit 1867 als Norddeutscher Bund gegründet worden ist. Das und nichts anderes ist auch gemeint, wenn von völkerrechtlicher Identität die Rede ist.

    2. Deshalb ist es auch falsch, zu behaupten, ein Rechtssubjekt “Deutschland” gäbe es erst seit 1949. Ganz und gar nicht, weil eben die Bundesrepublik Deutschland nur eine andere Staatsform des fortbestehenden Staates nach 1945 ist. Auch als dieser deutsche Nationalstaat noch nicht “Bundesrepublik Deutschland” hieß, sondern in der Staatengemeinschaft als Deutsches Reich auftrat, wurde er – unabhängig von der amtlichen Staatsbezeichnung – als Deutschland bezeichnet (vgl. etwa den Versailler Vertrag, dort als “Germany”).
    An der Tatsache, dass die Bundesrepublik als Staat identisch mit dem Deutschen Reich ist, gibt es übrigens spätestens seit 1990 nichts mehr zu rütteln. Das ist die allgemeine Auffassung über die Rechtslage Deutschlands, die sich im völkerrechtlichen Verkehr mit Drittstaaten vollständig durchgesetzt hat und die in der allgemeinen Völkerrechtsliteratur nachgelesen werden – oder eben bei Wikipedia.

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