Meine Jahre an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg (besser spät als nie)

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Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

[Nachtrag Mai 2014: Diese Geschichte hat hier eine Fortsetzung gefunden.]

Eine junge Dame fragt mich per Mail, warum ich in einem früheren Text, in dem ich meine Jahre an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg beschreibe,von “Korruption” spreche. Sie überlegt sich nämlich, an dieser Hochschule zu studieren, und fragt mich, ob ich ihr denn davon abraten würde. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, aber ich versuche es trotzdem.

Fangen wir erst mal mit dem Absatz an, auf den sie sich bezieht (aus »Hommage für Paul Auster – eine kurze Autobiographie nach Wohn- und Lebensorten«):

Rein akademisch gesehen waren die Heidelberger Jahre interessant, viele, wenn auch nicht alle Dozenten, die du hattest, waren kompetent. Nun weißt du aber, dass das Jüdische in Deutschland vor allem mit Geld zusammenhängt, dass da, wo zu viel Geld hinfließt, auch Politik und Korruption zu finden sind (um nicht Kriminalität zu sagen) und dass du dich alledem fernhalten solltest.

Während meiner Heidelberger Jahre habe ich hier öfter allerlei Judaistisches veröffentlicht, aber nie über die Hochschule selbst berichtet. Vielleicht ist es an der Zeit, dies nachzuholen. Schließlich besteht das akademische Leben nicht nur aus Wissenschaft. Anders gesagt: Auch die Wissenschaft, von der junge Menschen wie die oben erwähnte Dame wohl träumen, hat in der Praxis ihre Schattenseiten.

Um es irgendwie kurz zu halten, will ich meine Kritik auf fünf wesentliche Punkte reduzieren, die sich am besten in chronologischer Reihenfolge darlegen lassen:

 

1. Das Stipendium

Wie in der “Autobiographie nach Wohnorten” unter “Bergstraße, Heidelberg-Neuenheim” beschrieben, hat mich die Hochschulleitung ziemlich umworben. Dort pflegte man, wie ich später erfahren habe, mein altes Blog zu lesen, das ich vor dem Umzug nach Scilogs schrieb (und aufgrund dessen die netten Leute von Spektrum der Wissenschaft mich überhaupt hierher einluden). Daraufhin bewarb ich mich um einen M.A.-Studienplatz, den ich im Rahmen der dortigen Rabbinerausbildung auch bekam (ich glaube, bis heute ist da noch keiner Rabbiner geworden). Noch im Vorfeld wurde mir, wahrscheinlich um mich überhaupt nach Heidelberg zu locken, wortwörtlich ein “Stipendium” gewährt. Ich schreibe das in Anführungsstrichen, denn es sollte sich noch als Lüge entpuppen. Aber noch sind wir nicht so weit – zuerst will ich den Brief zitieren, der mir mitteilte…

dass die Stipendienkommission der Hochschule für Jüdische Studien am 18.07.2007 beschlossen hat, Ihnen ein Stipendium zum Studium an unserer Hochschule und ggf. auch an der Universität Heidelberg zu gewähren.

2007, als ich nach Heidelberg zog, hatte ich schon reichlich Erfahrungen mit Stipendien gesammelt. Also hatte ich überhaupt keine Sorgen, als ich in Heidelberg einen Mietvertrag unterschrieb etc. Die Überraschung kam erst nach dem Umzug, wenige Tage vor Beginn des Studienjahres. Die Hochschulleitung legte mir einen Vertrag über ein “Darlehen” vor. Nun ist ein Darlehen etwas ganz anders als ein Stipendium, also wurde ich de facto mit einer Situation konfrontiert, in der die Hochschule ihre frühere Verpflichtung einfach missachtete. Natürlich habe ich protestiert, doch helfen tat es nicht. Das hätte ich wohl als Vorzeichen für spätere Entwicklungen interpretieren sollen, aber leider habe ich den Vertrag trotzdem unterschrieben. Tatsächlich musste ich zwei Jahre später, nachdem ich die Hochschule verlassen hatte, eine beträchtliche Summe zurückzahlen.

Nun könnte man meinen, dass auch ein Darlehen nichts Schlimmes ist. Das ist vollkommen richtig, aber ein Stipendium ist es trotzdem nicht. Wenn mir die Hochschulleitung sich im Vorfeld nicht zu einem Stipendium verpflichtet, sondern von einem Darlehen gesprochen hätte, hätte ich mich höchstwahrscheinlich gar nicht darauf eingelassen.

 

2. Der Studiengang

Die Hochschule für jüdische Studien hatte zu meiner Zeit eine absolut kafkaeske Verwaltung (vielleicht auch heute noch). Da gab es Sachen, die ich im Nachhinein noch immer unglaublich finde. So gab es z. B. keine Scheine für die Notenvergabe, da alles mit dem Computer gemacht werden sollte. Nur funktionierte die Software nicht. Ich wollte mir damals trotzdem die Noten ganz altmodisch auf Papier bescheinigen lassen, aber das ging nur “inoffiziell”. Noch schlimmer war aber die Freiheit, die sich die Verwaltung nahm, wenn es um die Immatrikulationen ging.

Ich erinnere daran, dass ich mich ein M.A.-Zweitstudium bewarb und auf dieser Grundlage zum Studium zugelassen wurde. Es war einige Wochen nach Semesterbeginn, als ich erfuhr, dass ich eigentlich als B.A.-Student eingeschrieben wurde (“Gemeindearbeit”). Wie ich später erfahren sollte, musste die Hochschule ihren neuen B.A.-Studiengang gut aussehen lassen. Mal abgesehen davon, dass ich damals ja schon einen M.A. magna cum laude und absolut keine Lust auf einen zweiten B.A. – ich verstehe bis heute nicht, wie das überhaupt rechtlich ging, schließlich bewarb ich mich niemals um einen B.A.-Studienplatz an der Hochschule für jüdische Studien.

Zugunsten der Hochschule muss ich hier erwähnen, dass die Leitung mich damals beruhigte und mir versicherte, dass ich keineswegs zur Regelstudienzeit von 8 Semestern verpflichtet war. Tatsächlich wurde mir ziemlich viel angerechnet, sodass ich alles Nötige in zwei Jahren hinter mich hätte bringen können (nur kam es dazu schließlich doch nicht, weil ich bis dahin ja die Hochschule verließ).

Auch hier möchte ich nicht meinen, dass ein B.A.-Studiengang “schlimm” ist. Es geht nur darum, dass ich mich um was anderes bewarb. Ich interessiere mich für Theologie und nicht für Buchführung und wollte dementsprechend niemals Gemeindearbeiter werden.

 

3. Maulkorb im Blog

In den alten Beiträgen in diesem sowie in meinem früheren Blog befasste ich mich manchmal mit dem Judentum im heutigen Deutschland. Dazu gehörte ab und zu eine kritische Auseinandersetzung mit dem “Zentralrat der Juden” und seiner Politik. Eines Tages rief mich der (inzwischen neue) Hochschulrektor in sein Büro und erklärte mir wahrlich, dass es nicht so gut ist, wenn ein Student an der Hochschule, die sich in der Trägerschaft des Zentralrates befindet, sich kritisch über den Zentralrat äußert.

Ich war natürlich ziemlich erstaunt (wo bleibt denn die akademische Freiheit?). Der Rektor hat zugegeben, dass mich rechtlich nichts daran hindern könnte. Es sei ein politisches Problem, argumentierte er, der Zentralrat habe ihn darauf angesprochen. Ich muss sagen, dass er mir keine Vorwürfe machte, im Gegenteil, er ließ mich vielmehr verstehen, dass meine Kritik plausibel ist und eben deswegen Aufregung bewirkt (ich nehme an, dass es sonst tatsächlich keinen Grund gegeben hätte, dass er mit mir dieses Gespräch führt).

Schließlich bat er um mein Entgegenkommen. Das bekam er auch. Ich denke, dass ich mich seitdem nicht mehr kritisch über den Zentralrat geäußert habe – bis jetzt eben.

 

4. Die Hospitanz im Bundestag

2008 bekam ich einen Platz in einem (übrigens ziemlich zu Unrecht) hochangesehenen Hospitanzprogramm im Deutschen Bundestag. Ein Semester als Mitarbeiter in einem Abgeordnetenbüro (meine Erfahrungen habe ich damals hier im Rahmen des Bundestagsblogs in Echtzeit dokumentiert). So etwas musste natürlich von der Hochschulleitung genehmigt und mit ihr geklärt werden. Das bedeutete zum einen der Rektor und zum anderen der Studiendekan.

Der Rektor fand es einerseits gut, weil ein angehender Rabbiner so eine Erfahrung hinter den Kulissen der Bundespolitik doch gut gebrauchen könne; andererseits nicht so gut, weil es im bevorstehenden Semester bestimmte Kurse gab, an denen ich teilnehmen musste und die aus Mangel an Studenten nur recht selten, alle paar Jahre oder so, angeboten wurden. So kam der Studiendekan ins Spiel. Nach Rücksprache mit dem Rektor tat er etwas ganz Schönes (für mich, weniger für die anderen Studenten). Er verlegte genau diese drei Kurse in die vorausgehenden Semesterferien, damit ich noch daran teilnehmen konnte, bevor ich im März 2009 nach Berlin ging.

So ein großes Entgegenkommen erlebte ich an keiner anderen Universität und das muss ich auch heute noch der Hochschule zugute halten, zumal mich die anderen Studenten (völlig zu Recht) hassten, die nicht nach Hause konnten, sondern auch in den Ferien wochenlang in Heidelberg bleiben mussten.

Wenn das also seitens der Hochschule so nett war, warum notiere ich es hier als Kritikpunkt? Nun, in diesem Dr. Jekyll steckte auch ein Mr. Hyde. Als ich nach dem Semester in Berlin versuchte, die Hochschule zu verlassen, warf mir der Rektor selbst (jedoch nicht der noch anständige Studiendekan) vor, ich wäre heimlich verschwunden und quasi in Berlin untergetaucht. Nun kann sich jeder vorstellen, wie schwachsinnig dieser Vorwurf war, zumal die Hochschule so viel unternahm, um mir die Hospitanz überhaupt zu ermöglichen. Das war der Zeitpunkt, an dem ich den endgültigen Entschluss fasste, nichts mehr mit dieser Einrichtung zu tun haben zu wollen.

Im Nachhinein nehme ich an, dass einer oder mehrere der anderen Studenten sich beim Zentralrat beschwerten, woraufhin der arme Rektor wieder im Kreuzfeuer stand und sich eine Ausrede aussuchen musste.

 

5. Meine Noten

Dieser Kritikpunkt ist wohl am wichtigsten, für mich aber auch am schmerzvollsten.

Im Herbst 2009 verließ ich die Hochschule und ging nach Berlin zurück. Dann musste ich, wie erwähnt, teilweise das Darlehen zurückzahlen. Der Umzug musste sehr schnell gehen, da ich kein Zimmer mehr in Heidelberg hatte und keinen neuen Mietvertrag unterschreiben wollte. Ich konnte mich nicht um alles kümmern, was an der Hochschule noch “offen” war, machte mir aber keine Sorgen. Das war ein Fehler.

Wie gesagt hatte ich nur inoffizielle Bestätigungen meiner Noten aus den vier Semestern, da es offiziell über die Verwaltung laufen musste, deren Software nicht funktionierte (oder was weiß ich). Zwar hatte ich nach den Erfahrungen an der Hochschule überhaupt nicht vor, anderwärts weiter zu studieren, aber eine offizielle Liste meiner bereits erbrachten Leistungen (Seminare etc.) wollte ich haben, damit ich sie später bei Bedarf doch an einer anderen Universität anrechnen lassen könnte. Also habe ich der Verwaltung geschrieben und so begann ein Alptraum, den ich nie erwartet hätte.

Die Verwaltung meinte nämlich, dass ihr überhaupt nichts vorläge und ich da keine Leistungen erbracht hätte. Zunächst dachte ich mir: Das muss wohl ein Witz sein. Aber nein, es war kein Witz. So ging es einige Monate hin und her, ohne dass ich irgendwas erwirken konnte. Ich schrieb sogar einige Dozenten an, die mir ja schon früher meine Noten “inoffiziell” bestätigt hatten, und bat sie um Intervention. Daraufhin gab man mir zu verstehen, dass sie ihre Jobs auch nicht riskieren wollen. Ich konnte es einfach nicht fassen. Kann es wirklich sein, dass eine Hochschule so einen nachträglichen Kreuzzug der Rache gegen einen ehemaligen Studenten führen würde?!

Schließlich musste ich 2010 einen Anwalt heranziehen, der mich (erwartungsgemäß) nicht wenig gekostet hat. Er schrieb der Hochschule, die Hochschule schrieb zurück und leugnete weiter. Irgendwann kam er auf eine Idee:

Sie müssten eine Liste erstellen mit sämtlichen Kursen die Sie besucht haben nach Zeitpunkt, Dauer, Leiter des Kurses, welche Abschlussarbeiten wann bei wem eingereicht wurden und mit welchen Ergebnissen. Diese Aufstellung sollte präzise gefasst und gegliedert sein, damit die Hochschule gezwungen ist, zu jedem Kurs Stellung zu nehmen.

Offenbar vertritt die Hochschule die Auffassung, dass Sie zwar eingetragen waren, aber an den Kursen nicht teilgenommen haben, bzw. diese nicht abgeschlossen haben. Es liegt hier bei Ihnen den Beweis zu führen, dass Leistungen erbracht wurden und die Schule sich weigert diese zu beurteilen.
Anderenfalls wird die Hochschule bestenfalls bestätigen, dass Sie zwar eingetragen waren, aber keine Ergebnisse erzielt haben.

Diese Liste gab ich ihm und er schickte sie an die Hochschule weiter. Dann kam erst mal keine Antwort. Er musste nochmal anfragen und dann hieß es, sage und schreibe:

Es sind keine Studienleistungen erbracht worden.

Da kann man nur noch eines machen, erklärte er mir, und zwar die Hochschule am Verwaltungsgericht in Heidelberg anzuklagen. Aber, fügte er hinzu, Recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Sachen. Ich darf nicht davon ausgehen, dass meine früheren Dozenten, die schon hochschulintern nicht intervenieren wollten, sich bereit erklären würden, für mich als Zeugen aufzutreten etc. Außerdem würde so etwas wesentlich mehr kosten als sein bislang außergerichtlicher Einsatz. “Ist es Ihnen wirklich so wichtig?”, frage er mich.

Ich gab nach und ließ es sein. Allerdings hatte ich noch einen Kontakt, nämlich jemand, der im Präsidium des Zentralrats saß. “Ich schaue, was ich machen kann”, schrieb er mir. Einige Monate später meldete er sich zurück: “Es lässt sich nichts machen, sie handeln böswillig.” Das war schon Sommer 2010, ich war dabei, mich selbstständig zu machen, und dachte nicht mehr an die verlorenen Noten, die übrigens alle zwischen 1 und 2 waren. Rein akademisch gesehen, habe ich also zwei Jahre bzw. vier Semester und unzählige Arbeitsstunden verloren – aus Böswiiligkeit und Willkür.

Aber menschlich habe ich viel gelernt. Und das ist der Hintergrund für meine Aussage, “dass das Jüdische in Deutschland vor allem mit Geld zusammenhängt, dass da, wo zu viel Geld hinfließt, auch Politik und Korruption zu finden sind (um nicht Kriminalität zu sagen) und dass du dich alledem fernhalten solltest.”

Das austersche Du, das ich hier anspreche bin ich. Ich habe gelernt, mich diesen Machenschaften und allem, was damit zu tun hat, fernzuhalten. Aber das ist mein rein subjektives Urteil, das natürlich nicht für andere gilt. Und so kommen wir zur Fragestellerin zurück: Ja, rein subjektiv würde ich dir von der Hochschule für jüdische Studien abraten. Aber ich kenne auch andere, die dort, wiederum rein subjektiv, eine gute Zeit gehabt haben. Keiner kann dir im Voraus sagen, wie du behandelt werden wirst. Versuchen kann man ja alles, aber an deiner Stelle würde ich den Versuch nicht allzu sehr in die Länge ziehen, sobald sich die ersten Anzeichen zeigen sollten, die ich 2007 leider ignorierte.

 

PS.

Nachdem ich die obige Antwort geschrieben habe, fällt mir jetzt noch was ein. Nämlich ein Stück Papier, das ich in meiner alten Akte gefunden habe, als ich für den obigen Text die Zitate gesucht hab. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, erscheint mir ziemlich erstaunlich:

Die Hochschule bestand darauf, dass auch die Stipendiaten Bafög beantragen. Das Stipendium, das ja eigentlich ein Darlehen war, wurde nur dann weiterhin ausgezahlt, nachdem der Student seinen Bafög-Bescheid vorlegte.

So einfach ist es natürlich nicht, als Stipendiat auch noch Bafög zu bekommen, es sei denn, man lügt das Bafög-Amt an. Also bekam jeder Stipendiat eine offizielle Erklärung der Hochschule, die er dem Bafög-Amt vorlegen musste:

Das Stipendium soll wenigstens anteilig die Mehrkosten finanzieren, die dem Studenten durch die Notwendigkeit der Einnahme koscherer Nahrung entstehen. Bei Zuwanderern aus dem Kreis der Kontingentflüchtlinge sollen mit Hilfe des Stipendiums ferner auch übersiedlungsbedingte Mehrkosten wenigstens teilweise abgedeckt werden, so z. B. besondere Kosten für den Aufbau einer Lebensgrundlage in Deutschland, Kosten zur Überwindung von Integrationsschwierigkeiten und Kosten der Übersetzung, Beglaubigung und Anerkennung von Vorbildungsnachweisen. Da das Stipendium mithin für einen anderen Zweck als den der Finanzierung des allgemeinen Lebensunterhalts und der allgemeinen Ausbildungskosten bestimmt ist, handelt es sich bei dem Stipendium um Einnahmen, die gem. § 21 Abs. 4 Nr. 4 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (Bafög) nicht als Einkommen gelten.

So lautet wörtlich der Text, der dem Bafög-Amt vorzulegen war (und vielleicht bis heute noch ist), damit man trotz des Stipendiums noch richtig “abzocken” konnte. Auf den ersten Blick erscheint es sehr nett, so, als ob die Hochschule sich darum bemüht, dass die Studenten mehr Geld haben. Die Wirklichkeit sah aber anders aus. Denn im “internen” Darlehensvertrag, der dem Bafög-Amt nicht vorgelegt wurde, steht geschrieben:

Jeder Student soll zur Entlastung des Stipendienfonds Bafög beantragen und den Bescheid vorlegen. Wird Bafög gewährt, wird das Stipendium um den Bafögbetrag reduziert.

Hier ist plötzlich keine Rede mehr von “Mehrkosten wegen koscherer Nahrung” usw. Im Gegenteil, denn das Darlehen (“Stipendium”) wird um den ganzen Bafög-Betrag reduziert, bis auf den letzten Euro (und zwar auch rückwirkend, falls der Bescheid länger auf sich warten ließ). Die offizielle Erklärung an das Bafög-Amt erscheint mir plötzlich als Betrug. Nicht die Studenten waren (und sind vielleicht auch heute noch) die Abzocker, sondern die Hochschule, die das Bafög-Amt einfach belog. Das Darlehen war von der Hochschule niemals für “koschere Nahrung” etc. bestimmt.

Übrigens kann man sich auch vegetarisch ganz koscher ernähren, ohne jedwede Sonderkosten. In der offiziellen Erklärung heißt es aber “zumindest teilweise”. Damit sollte wohl der Anschein erweckt werden, dass sogar das Stipendium nicht alle Kosten der koscheren Nahrung finanzieren kann. So wollte die Hochschule sicherstellen, dass den armen Studenten so viel Bafög gewährt wird wie möglich. Aber dieses Darlehen, das einerseits zumindest teilweise ausreichen sollte, wurde (wird?) andererseits nicht nur teilweise, sondern ganz um den Bafög-Betrag reduziert. Schein und Sein, Betrug und Wirklichkeit. Das ist seitens der Hochschule nicht nur zynisch, sondern auch ziemlich kühn. Übrigens wird die Hochschule für jüdische Studien gemeinhin als eine private Hochschule betrachtet, tatsächlich aber wird sie auch mit Steuergeldern finanziert (Art. 5 des Staatsvertrages).

Damit keiner sich denkt, ich hätte das alles erfunden, füge ich die Nachweise bei:

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

11 Kommentare

  1. Hm, irgendwie scheint es an Deiner Hochschule immer nur um Scheine, Geld und große Politik gegangen zu sein. Wie waren denn die Vorlesungen und Seminare?

      • Besten Dank.
        Nun, die Nachdenkseiten sind in erster Linie ein politischer Blog, der sich zum Ziel gesetzt hat, das Handeln von Regierungen und anderen politischen und wirtschaftlichen Akteuren genauer zu beleuchten und zu erklären. Bzw. zum nachdenken darüber anzuregen, warum bestimmte Leute so handeln, wie sie es tun und welche Konsequenzen das für die Gesellschaft hat oder nicht hat. Dabei geht es u.a. auch um Bildungspolitik, so z.B. hier.

  2. Höchst amüsant!, wenn naturgemäß auch nicht für die Betroffenen.
    Danke für den Erlebnisbericht.
    MFG
    Dr. W

  3. Kleiner Tipp: Es sind Begriffe wie mafiös, Korruption und ähnliche, mit denen du bei einer Klage Probleme bekommen könntest, selbst wenn die entsprechenden Vorwürfe belegbar sind.

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