Heute vor 72 Jahren: die Reichskristallnacht

BLOG: un/zugehörig

Wien. Heidelberg. Berlin: ein israelischer Blick auf Deutschland
un/zugehörig

Ein jüdisches Wort zum Tag:

Halleluja! Singet dem HERRN ein neues Lied; die Gemeinde der Heiligen soll ihn loben. Israel freue sich seines Schöpfers, die Kinder Zions seien fröhlich über ihren König. Sie sollen loben seinen Namen im Reigen, mit Pauken und Harfen sollen sie ihm spielen. Denn der HERR hat Wohlgefallen an seinem Volk, er hilft den Elenden herrlich. Die Heiligen sollen fröhlich sein und preisen und rühmen auf ihren Lagern. Ihr Mund soll Gott erheben; sie sollen scharfe Schwerter in ihren Händen halten, dass sie Vergeltung üben unter den Heiden, Strafe unter den Völkern, ihre Könige zu binden mit Ketten und ihre Edlen mit eisernen Fesseln, dass sie an ihnen vollziehen das Gericht, wie geschrieben ist. Solche Ehre werden alle seine Heiligen haben. Halleluja! (Psalm 149)

…dass sie Vergeltung üben: »sie« und nicht »er«, sie und nicht Gott, denn sie, Israel, sind seine Knechten – und nicht er ihrer.

Vergebung? Ja, aber vergeben kann nur, wer zur Bestrafung das hinausgezogene Schwert in seiner Hand hält und es dennoch nicht verwendet; wer erst deswegen, weil er über »scharfe Schwerter« verfügt, auch überhaupt auf diese zu verzichten vermag.

Vergeltung und Vergebung: keine Gegensätze, sondern die beiden Seiten ein und derselben Medaille.

 

 

Veröffentlicht von

www.berlinjewish.com/

Mancherorts auch als der Rebbe von Krechzn* bekannt, heißt der Autor von "un/zugehörig" eigentlich Yoav Sapir. Er ist 5740 (auf Christlich: 1979) in Haifa, Israel, geboren und hat später lange in Jerusalem gelebt, dessen numinose Stimmung ihn anscheinend tief geprägt hat. Nebenbei hat er dort sein M.A.-Studium abgeschlossen, während dessen er sich v. a. mit dem Bild des Juden im Spielfilm der DDR befasst hat. Seit Sommer 2006 weilt er an akademischen Einrichtungen im deutschsprachigen Mitteleuropa: anfangs in Wien, später in Berlin und dann in Heidelberg. Nach einer Hospitanz im Bundestag arbeitet er jetzt selbstständig in Berlin als Autor, Referent und Übersetzer aus dem Hebräischen und ins Hebräische. Nebenbei bietet er auch Tours of Jewish Berlin. * krechzn (Jiddisch): stöhnen; leidenschaftlich jammern.

33 Kommentare

  1. Was wollen Sie sagen?

    Sehr geehrter Herr Sapir,

    was eigentlich wollen Sie den Lesern und Leserinnen dieses Blogportals mit Beiträgen wie diesen mitteilen? Sie schreiben auch hier wieder kryptisch und vor allem mehrdeutig. Oder ist auch dieser Text wieder mehrdeutig-eindeutig? Wozu muss der von Ihnen zitierte vorletzte der Psalme hinhalten? Was hindert Sie daran, endlich mal Tacheles zu schreiben? Wozu dieses Gehampel um den heißen Brei? Weshalb trauen Sie sich nicht, sich noch weiter aus dem Fenster zu lehnen?

  2. @ Christoph

    Ich glaube wirklich das gesagt zu haben, was ich sagen wollte.

    Das Verhältnis zu Deutschland ist und bleibt auch seitens solcher, die es wie ich als Faszinosum erleben, sehr ambivalent und, ja, daher auch »mehrdeutig«.

    Es gibt kein Schlussstrich, die Rechnung bleibt ja noch offen, aber eben deswegen ist jede Generation erst recht in der Lage, zu vergeben; für sich, nicht für alle Zeiten – und dennoch: zu vergeben.

  3. Nun ja –

    eine nicht unoriginelle, wenn auch (zumindest) recht “assoziative” Auslegung, würde ich meinen, und zwar sowohl des Psalms als auch der Geschichte & Gegenwart des Staates Israel (denn darauf scheinst du mir ja hinauszuwollen, o großer Uneindeutiger… ;)). Man könnte natürlich zurückfragen: Ist es wirklich das, was wir heute nötig haben, und zwar gerade in dem von dir mE implizierten Horizont einer Verquickung von Politik und Religion, nämlich Gewaltphantasien von zur Bestrafung “gezückten Schwertern”?

  4. @ Christopher

    Es geht mir nicht explizit um Israel. Der Staat ist an sich nicht so wichtig, es ist nur das politische Ausdrucksmittel des jüdischen Volkes, sein kollektiver Selbstentfaltungsraum.

    Und ich wüsste nicht, wie Politik, sofern wirklich gemacht und nicht nur im BRD-Stil gefaked, nicht religiös sein könnte. Man muss nicht unbedingt eine ganze Dogmatik beherzigen, aber vom Weltgeist erfüllt muss die Staatspolitik schon sein, wenn sie das Schicksal des Volkes gestalten will.

    Ich hoffe, das war jetzt etwas weniger »uneindeutig«.

  5. @ Yoav

    “…vom Weltgeist erfüllt muss die Staatspolitik schon sein, wenn sie das Schicksal des Volkes gestalten will” – äh, puuuh…da kann ich nur mehr sagen: Euer Ehren, ich ziehe die Frage zurück!

  6. Was soll das?

    Hallo Yoav,

    Du musst schon ein wenig deutlicher werden, wenn die Deutschen es verstehen sollen.
    Willst Du uns in Ketten legen?

    Oder soll es heißen: wir könnten Euch in Ketten legen, wenn wir wollten, aber wir vergeben Euch?

    Oder soll es heißen: Wenn wir Euch in Ketten legen könnten, würden wir Euch vergeben können?

    Ich bin zwar unschuldig, würde mich aber trotzdem über Vergebung freuen. Aber mit Schwerten drohen, bringt nicht, da schalte ich auf stur.

    Schöne Grüße

    Falk

  7. Hallo Falk

    Es wird nicht mit Schwertern gedroht, aber es gibt eine theoretische, gewissermaßen metahistorische Möglichkeit, mit Schwertern zu drohen. Und die Reaktion auf diese Frage, die sich dem Volk Israel in jener Generation erneut stellt, ist die Vergebung, für die sich jede Generation erneut entscheiden muss. Die Vorstellung vom Schwert droht, wenn du magst, beiden Völkern zugleich, nur auf eine jeweils andere Art und Weise.

    Und natürlich bist du nicht schuld. Aber die Deutschen sind schuld: als Kollektiv. Du als Falk kannst, wenn du vielleicht, deinen eigenen Bezug zum Thema aufbauen, was du sicherlich schon gründlich gemacht hast. Das deutsche Volk als solches hat jedoch keine Wahl: Holocaust und Krieg gehören nunmehr unweigerlich zur historisch gewachsenen Substanz des Deutschen.

    Je mehr ein Mensch, der sich als Deutscher fühlt, sich weigert, dies zu akzeptieren, je tiefer sein Gefühl, er müsste dagegen kämpfen, umso deutlicher ist die Rolle des Holocaust im deutschen Geschichtsraum. Wenn die Deutschen eines Tages in der Lage sind, in ihrem Geschichtsbild, ihrer Identitätskonstruktion, Treblinka neben München, Köln neben Sobibor zu stellen, dann haben Köln und München eine neue Zukunft. Bis dahin liegen sie noch im Schatten von Sobibor und Treblinka, was eine erneute Blüte des Deutschen verunmöglicht.

  8. Vergebung

    Leichter gesagt als getan. Wie sollen wir denn Sobibor neben Köln stellen? Welche konkreten Schritte schlägst Du denn vor? Wie sollen wir den unsere eigene Identität konstruieren? Es ist ja nicht so, dass es nicht massiv versucht würde, aber es funktioniert nicht.

    Wir Deutschen sollten die Schuld annehmen und uns selbst vergeben.

    Zum Beispiel so:
    “Wir waren die besten Deutschen, die wir sein konnten. Der Judenmord war ein schlimmer Fehler. Heute würden anders handeln, aber damals erschien es uns als das Richtige. Unsere letzte Stunde schien zu schlagen und die Juden zählten wir damals zu unseren Tod-Feinden. Das waren sie gar nicht, doch das konnten wir damals nicht erkennen. Wir waren von unseren Möglichkeiten selbst überrascht.”

    Wie sieht es eigentlich mit Israel aus. Vergeben sich die Juden selbst den Holocaust? Oder dient die eigene harte Haltung nach Außen nur der Bekämpfung der eigenen inneren Schwäche?

    Warum vergeben die Juden uns den Holocaust eigentlich nicht? Von kriminellen Einzelinteressen (JCC) abgesehen, haben sie doch gar nichts davon, es nicht zu tun – oder sehe ich das falsch. Warum die Metahistorische Drohung. Was meinst Du damit?

    (Übrigens hatte ich vor 10 Jahren, als der Fond eingerichtet wurde, schon so ein Gefühl. Die Deutschen wurden seinerzeit erpresst, wenn sie nicht zahlten, würden die JCC eine Kampagne gegen Deutsche Produkte in den USA starten. Nach kurzer Kosten-Nutzen-Rechnung zahlten die Deutschen. Trotz Hinweisen der echten Opfer, verzichteten die Deutschen auf jedwede Kontrolle. Sie wußten, dass der JCC der Versuchung nicht würde widerstehen können. Ich vermutete, die Deutschen spekulierten wie folgt: “Wenn die Deutschen schon zahlen müssen, dann sollen die Juden wenigsten an ihrem Geld ersticken.” – Eine Paralelle zum Holocaust übrigens: Wenn wir schon alle sterben müssen, dann soll von den Juden auch keiner übrig bleiben.)

    Eine persönliche Frage: Vergibst Du den Deutschen den Holocaust?

  9. Gute Fragen

    Ich glaube, viele Juden – vor allem solche, die in Souveränität bzw. in Israel aufgewachsen sind – können sich bzw. ihrem eigenen Volke die Schmach von Auschwitz nicht vergeben. Ich zähle wohl auch dazu.

    Und nein, ich glaube nicht, dass ich den Deutschen wirklich vergeben habe; sonst hätte ich wohl kaum noch Interesse an ihnen.

  10. Was nun?

    Wie schade. Vor allem für Dich, aber auch für uns alle. Deutschland schafft sich ab und Israel steht auf Messers Schneide.

    Sollte es nicht auch den Juden möglich sein, sich selbst zu verzeihen? Der Holocaust war unvorhersehbar, eine niedagewesene, plötzlich entstandene Gefahr. Es bestand vorher kein Anlass, sich vorzubereiten. Als sie eintrat, gab es keine Möglichkeit mehr, sie abzuwenden. Einfach Schicksal, wie ein Autounfall. Die Juden haben sich nichts vorzuwerfen.

    (mit Bitte um Nachsicht für meine laienhaften psychologischen Ausführungen.)

  11. @Falk R: Absurdes Vergebungs-Gebet

    Ihr Vergebungs-Gebet:“Wir waren die besten Deutschen, die wir sein konnten. Der Judenmord war ein schlimmer Fehler. Heute würden anders handeln, aber damals erschien es uns als das Richtige. Unsere letzte Stunde schien zu schlagen und die Juden zählten wir damals zu unseren Tod-Feinden.” ist für mich nicht zu verstehen.

    Für einen jungen Deutschen ist diese Art von Selbst-Vergebung im höchsten Masse absurd. Ich hoffe doch, dass ein junger Deutscher nicht so ohne Weiteres in die Haut seiner unmittelbaren Vorfahren, seiner Väter, Mütter und Onkel schlüpfen kann. Und weil er dies nicht kann und das, was mit den Juden, Zigeunern und Behinderten im dritten Reich geschehen ist, ein Heutiger gar nicht nachvollziehen kann, kann die Reaktion zuerst einmal nur Unverständnis und Verwunderung sein.

    Natürlich bleibt auch an den Nachfahren dieses Verbrechens etwas haften. Ich selber wundere mich vor allem zutiefst über diese Phase der deutschen Geschichte. Denn die Juden in Deutschland hatten ja in der Vorkriegszeit mehr Rechte erhalten als je zuvor und sie nutzten sie auch und waren ein wichtiger Teil des Gesellschafts- und Geistesleben in Deutschland. Lion Feuchtwanger war ein deutscher Schriftsteller und einer der meistgelesenen Autoren des 20. Jahrhunderts (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Lion_Feuchtwanger ). Und er war nur einer von vielen Juden, die damals auch als Exponenten Deutschlands wahrgenommen wurden.

    Natürlich gab es trotz (oder vielleicht wegen? ) dem Erfolg und dem Aufleben der jüdischen , deutschen Mitbürger Ressentiments und Rassenhass. Aber nicht nur in Deutschland. Für mich ist die beste Erklärung für das was im dritten Reich geschehen ist immer noch ein völliges Versagen der Demokratie und des ganzen politischen Systems. Natürlich ist es kein Zufall, dass in Deutschland die Ideologen und Gewaltfanatiker die Oberhand gewannen. Das mag tatsächlich auf deutsche Eigenarten zurückzuführen sein.
    Vergeben kann man das, was geschehen ist aber wohl nie, man kann nur versuchen es zu verstehen.

  12. @ Falk

    Aber so (effizient, umfassend, erfolgreich etc.), wie es vonstatten ging, wäre es nicht möglich gewesen, ohne die weitgehende Kooperation der Juden. Ob es mangels Erfahrung überhaupt hätte anders sein können, ist freilich eine andere Frage.

    Ja, Deutschland schafft sich ab, und das geht m. E. tatsächlich (auch) auf den Krieg zurück bzw. auf selbstzerstörerische Spätwirkungen des Judenmordes. Meine psychologischen Vermutungen sind natürlich ebenfalls nur laienhaft, aber ich glaube nicht, dass die hochgepriesenen Wissenschaftler hier Wesentliches zu melden hätten, denn mit ihren Methoden scheinen sie kaum an deutsche Volksseele zu gelangen, nein, sie würden ihre Not am liebsten ganz und gar leugnen.

  13. Kollektiv-Vergebung

    Der Text des Selbstvergebungs-Gebetes ist nicht besonders gelungen – daran muss ich noch arbeiten.

    Es geht mir nicht darum, in die Haut meiner Vorfahren zu schlüpfen und ihnen zu vergeben. Das ist nicht nötig. Die sind für den Holocaust so sehr verantwortlich, wie ich für die Finanzkrise. Es geht darum, dem Deutschen Volk als Ganzen zu vergeben – in der Zusammensetzung, die es in der jeweiligen Zeit hatte. Und nicht nur ich allein soll der Vergebende sein, sondern das jetzige Deutsche Volk als Ganzes. Nicht ich meinen Vorfahren, sondern wir uns. Als Antwort auf die Kollektivschuld eben die Kollektiv-Vergebung. Das kann Verwunderung auslösen. Aber vielleicht hilft es. Wir Deutschen sind es wert. Wir haben es verdient, dass es uns gut geht.

  14. weitgehende Kooperation

    Ist das der Kernpunkt der israelischen Selbst-Geißelung? Sich nicht nur widerstandslos dem Holocaust gefügt, sondern weitgehend mit den Deutschen kooperiert zu haben. Die letzten Kriegsjahre müssen für die Beteiligten wie in Trance vergangen sein. Der Druck, der auf ihnen lastete, muss überwältigend gewesen sein.

  15. Selbstvergebung

    Das geht schon in die Richtung, die ich meine. Also ja, Selbstvergebung, wohl nur teilweise, aber immerhin. Allerdings darf hier »Vergebung« nicht mit »Verdrängung« oder »Verharmlosung« verwechselt werden – und aus dem Wunsch allein, es möge den Deutschen gut gehen, kann nicht auf eine Selbstvergebung geschlossen werden; allzu oft steckt dahinter eben nur Verharmlosung oder Verdrängung.

    Selbstvergebung – und somit auch die Integration von Sobibor in den Kern des Deutschen und der deutschen Geschichte – das ist eben die Stellung Sobibors neben Köln, des Bösen neben das Gute.

    Aber wie schon gesagt: Ein solches Moment ist sehr zerbrechlich, kann schnell umkippen und tut es meistens auch.

  16. @Yoav Sapir

    Hmmm, ein interessantes Raunen. Da höre ich doch einfach mal in mich selbst hinein. Wissend, dass es unter meinen Vorfahren eben beides gab: Einen, der eine leitende Position in einer Firma hatte, die Zwangsarbeiter beschäftigte, was viele nicht überlebten. Und einen anderen, der im KZ ermordet wurde, weil er einer religiösen Minderheit angehörte.

    Auf welche Seite des “Gebetes” sollte ich mich also stellen? Desjenigen, der Vergebung sucht? Oder der vergibt? Mit welchem Recht, als Nachgeborener?

    Für mich gab und gibt es da nur eine Option: Aus der Geschichte zu lernen, dass die Menschenrechte nie mehr außer Kraft gesetzt werden dürfen, für niemanden – weil Hass und Gewalt jeder Ideologie gegen die Menschenrechte stets in den Abgrund geführt haben (und führen). Und die Erinnerung nicht deswegen wach zu halten, um irgendwelche psychologischen Komplexe zu bedienen, sondern damit auch andere Menschen und künftige Generationen daraus lernen können. Oder ist Dir das zu wenig “Stahl” und “Weltgeist”?

  17. @ Michael

    In diesem Fall hat es weniger mit Weltgeist zu tun und eher damit, dass du das heutige Konstrukt der Menschenrechte völlig übertrieben idealisierst und de facto zu einem Glaubensbekenntnis machst. Doch alles ins Extrem Getriebene wird gefährlich – nachweislich auch die Schwärmerei für eine schwammige Vorstellung von Menschenrechten, die eigentlich keine sind (sondern vielmehr Privilegien).

    Dein Ansatz ist mithin doch alles andere als »aus der Geschichte lernen«. Er ist vielmehr ein Versuch, den historischen Kreislauf auf den Kopf zu stellen. Ich wünsche dir dabei viel Erfolg – es wird dir genauso gut gelingen wie den unzähligen, die es schon vor dir versucht haben.

    Dein doppelter Hintergrund erinnert mich an eine deutsch-jüdische Freundin von mir: die Mutter ist Jüdin, der Vater Deutscher. Was kann man dazu sagen? Zweifelsohne ein hartes Los, zu dem man wohl besser schweigen sollte. Da wird man notwendigerweise, meistens ohne es selber wahrnehmen zu können, zu einem narrativen Mischkind, das weder hie noch da beheimatet sein kann und dessen Identität von Geburt an zu immer tiefer werdender Zerrissenheit bestimmt ist. Es sei denn, sie treffen eine bewusste Entscheidung, sich ganz mit der einen Seite zu differenzieren und die andere Seite nur noch aus der einen Sicht zu betrachten.

    Außerdem gibt’s auch solche, die es gerade so mögen, also muss das harte Los nicht unbedingt als eine schwere Last empfunden werden. Neulich habe ich eine Sendung gesehen über Veit Harlan und dessen Nachkommen, darunter auch eine Enkelin, deren Mutter, die Tochter des Regisseurs, einen Juden heiratete (oder so) und die sich jetzt immer wieder denkt, dass der eine Großvater irgendwie am Tod des anderen mitgewirkt hat. Soweit ich mich erinnern kann, schöpft sie aus diesem Zwiespalt Kreativität u. dgl.

  18. Selbstvergebung

    Vergib doch beiden. Demjenigen, der am Tod der anderen schuldig ist, und demjenigen, der sich hat umbringen lassen. Bei der Vergebung darf man auch nichts verdrängen, sonst geht die Vergebung ins Leere.

    Aus der Geschichte gibt es viel zu lernen. Unter anderem, das viele Wege in den Abgrund führen – nicht nur die gegen Menschenrechte gerichteten Ideologien. Auch die Unfähigkeit, sich zur Wehr zu setzen, führt in den Untergang, wie beim Holocaust. Deswegen ist wichtig, dass ein Volk sich selbst bejaht, damit es sich verteidigen kann und seine Zukunft gestalten kann, damit nicht das von Thilo Sarrazin skizzierte Szenario eintritt. Die Frage ist auch, inwieweit dies auf Israel zutrifft.

  19. @Yoav

    “Ich glaube, viele Juden – vor allem solche, die in Souveränität bzw. in Israel aufgewachsen sind – können sich bzw. ihrem eigenen Volke die Schmach von Auschwitz nicht vergeben. Ich zähle wohl auch dazu.”

    Scheint mir ein bisschen wie ein Vater der seiner vergewaltigten Tochter vorwirft die Familienehre beschmutzt zu haben.

    Du bist der Meinung das Rechte b.z.w Privilegien nicht angeboren sind sondern verdient werden müssen, sehe ich das richtig?

    Ein Filmtipp zum Thema Jüdische Komplexe:

    http://www.youtube.com/watch?v=YJl6N4ygJ8c

    Fand ich Interessant.

  20. @Yoav

    Warum sollten Menschen schweigen, die unterschiedliche Vorfahren mit unterschiedlichen Identitäten haben? Wenn wir weit genug zurück gehen, ist das bei uns allen der Fall – bei Völkern außerhalb Afrikas sind inzwischen sogar Neandertaler-Vorfahren nachgewiesen… Jeder von uns hat allein ca. 8.000 Homo sapiens-Vorfahren – unterschiedlichster Art und vielfach miteinander verwandt.

    Wie es Harras in “Des Teufels General” mal so schön formuliert hat:

    “Und jetzt stellen Sie sich doch mal Ihre Ahnenreihe vor – seit Christi Geburt. Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl, braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht. Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie, das war ein ernster Mensch, der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. Und dann kam ein griechischer Arzt dazu, oder ein keltischer Legionär, ein Graubündner Landsknecht, ein schwedischer Reiter, ein Soldat Napoleons, ein desertierter Kosak, ein Schwarzwälder Flözer, ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland, ein Magyar, ein Pandur, ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler, ein böhmischer Musikant – das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt – und – und der der Goethe, der kam aus demselben Topf, und der Beethoven und der Gutenberg, und der Matthias Grünewald und – ach was, schau im Lexikon nach.”

    Warum sollte das eine Krise auslösen? Diese Vielfalt ist doch völlig normal, findet sich in jedem freiheitlichen Land und lässt sich doch ins Konstruktive, Positive integrieren! So fährt Harras fort:

    “Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt – wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen.”

    Also, mir geht es mit dem Wissen um vielfältige Wurzeln in meinen vielen Identitäten (Christ, Ehemann, Familienvater, Deutscher, Wissenschaftler, Baden-Württemberger, Schwabe, Europäer, Ex-Soldat, Autofahrer, Altstadtrat 😉 etc.) prima, ich fühle mich heimisch und verwurzelt – und scheine Rache- und Vergebungspsalmen gegenüber anderen vielleicht deswegen auch nicht nötig zu haben.

    Inwiefern ich Menschenrechte “idealisiere” und zum “Glaubensbekenntnis” erhebe?

    Nun, Du hast m.E. da in einem Punkt schon Recht: Die Existenz von Menschenrechten ist ebenso wenig beweisbar wie z.B. jene Gottes. Es ist eine normative Setzung, die jedoch nicht von einem Codex ausgeht, sondern von der Annahme eines Wertes des Menschen – jedes Menschen, unabhängig von Geschlecht, Volks- oder Religionszugehörigkeit etc. Das kann man philosophisch herleiten oder auch religiös (z.B. “In Verantwortung vor Gott und den Menschen…”) – und erst daraus leiten sich dann die von Dir so genannten “Privilegien” des Menschen ab.

    Ich denke nicht, dass Menschenrechte “extremistisch” sein können, weil sie in sich ja vielschichtig sind und immer wieder gegeneinander abgewogen werden müssen. Sie balancieren sich damit gegenseitig aus. Kannst Du ein Beispiel für ein extremes Menschenrechts-Regime nennen?

  21. @ Michael

    Schweigen sollen doch sinngemäß die anderen – nicht diejenigen, die das schwere Los zu tragen haben.

    Und wie gefährlich die Schwärmerei fürs Konstrukt der Menschenrechte sein kann, kannst du mal die Opfer der Hamas fragen: Wüsste die Hamas nicht, dass sie mit einem pawlowschen Reflex bei den europäischen Menschrechtsschwärmern rechnen kann, hätte sie keine Menschen als Schutzschilder missbraucht, keine Schulhöfe zu Kampfzonen verwandelt. Aber über diese Achillesferse der Moral habe ich hier doch schon viel geschrieben.

  22. @Yoav

    Ich kann nicht erkennen, dass die Hamas oder sonst ein Regime im Nahen Osten Probleme wegen “zuviel Menschenrechten” aufwerfen würde… Es ist doch eher das Gegenteil richtig: In der Region werden Menschenrechte von verschiedenster Seite zu oft mit Füßen getreten und das ist einer der Hauptgründe für Hass und Gewalt.

  23. Menschenrechte sind Rechte des Menschen gegenüber dem Staat, (juristisch). Dem widerspricht, dem Menschen einen Eigenwert zuzusprechen, den er gegenüber anderen Menschen hat. (Dies wird nur über das Konstrukt der sog. „Drittwirkung der Grundrechte“ erreicht.) Zwischen den Menschen balancieren sich die Menschenrechte deshalb eben nicht gegenseitig aus. Die Folgen sind fatal. Die Menschenrechte der Bösen sind unantastbar. Das Leben der Opfer zählt nichts, z.B. in Deutschland. Schwerkriminelle werden aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Kriminelle arabische Familienclans bleiben unbehelligt. Deutschenfeindlichkeit an Schulen und Migrantengewalt machen vielen Menschen, v. a. Kindern und Jugendlichen, das Leben zur Hölle. Vom Gewährenlassen des Islam – für den Menschenrechte keine Kategorie sind – gar nicht zu reden. Zwangsheirat, Schwulenfeindlichkeit, etc.

    Nötig ist ein höheres Selbstwertgefühl der deutschen Opfer, um den Tätern entgegenzutreten. Auch dafür ist es wichtig, uns selbst zu vergeben und zu erkennen, dass wir es wert sind, für unsere Rechte einzustehen und sie zu verteidigen.

    Die Selbstvorwürfe, bei Juden und bei Deutschen, ähneln weniger dem Vorwurf des Vaters der vergewaltigten Tochter, sie habe die Familienehre verletzt, sondern mehr den Vorwürfen der Tochter gegen sich selbst, sie habe sich falsch verhalten.

  24. Danke für die Blumen – ich nehme Sie mir jedenfalls. Mit dem Zauberwort “juristisch” hat man halt die Backstagekarte. Dabei sind Grundrechte erstes Semester. Hat es sich jetzt ausgebloggt oder kommt noch was? Ich würde mich über anregenden Widerspruch freuen.

  25. @ Falk

    Hmm… Ich bin mir nicht sicher, dass ich dich recht verstanden habe bzw. dass du mich recht verstanden hast. Jedenfalls galt mein letzter Kommentar von 13h46 nicht dir, sondern Michael.

  26. @Falk R.

    Kein Problem – Yoav hat sicher nichts dagegen, wenn ich die Blumen einfach weitergebe. Und als Gutmensch, Christ und deutscher Patriot habe ich dabei nicht einmal irgendwelche Komplexe… 😉

  27. Vielen Dank für die aufmunternden Worte, ich habe mich schon wieder ein wenig aufgerappelt und werde wohl darüber hinwegkommen.

  28. Sehr richtig. Mir geht es darum, dass man die Tat als eigene Tat annimmt. Als selbstbestimmt verursacht, und sich nicht von Ihr distanziert, wenn es um die Vergangenheit geht, z.B. nicht sagt “Hitler-Deutschland” oder “Nazi-Deutschland”, sondern “Deutschland”. Ebensowenig, wie man sich distanzieren sollte, wenn es um die Gegenwart geht, und nicht von “diesem Land” sprechen sollte, wenn man Deutschland sagen könnte.
    Und es geht mir darum, dass wir als heutiges Deutschland dem damaligen Deutschland die Taten vergeben.

  29. nicht noch mal

    Zu diesem Beitrag blieb mir beim ersten mal Lesen die Sprache weg wie wohl vielen Lesern, die gar nicht erst kommentierten. Es blieb mir die Luft weg.

    Es verbot sich und verbietet sich jeder Kommentar. Dieser Beitrag müßte sofort wieder gelöscht werden. Von der Redaktion, vom Autor – was weiß ich. Schließlich darf so affirmativ aus Hitlers Mein Kampf in Deutschland auch nirgends zitiert werden, so viel ich weiß. Und ich weiß nicht, ob es solche krassen Textstellen in Hitlers Mein Kampf überhaupt gibt.

    Aber da sich jetzt doch eine irgendwie ziemlich “akademische” Diskussion an diesen – vergleichsweise hochgradig merkwürdigen – Beitrag geknüpft hat, dennoch meine 5 Pfennige:

    Wir Deutschen (- wer immer sich als solcher verstehen mag – oder wer immer sonst) sollten uns nicht noch einmal provozieren lassen – durch SO etwas. Mit rachsüchtigen Monotheismen sollte es – endgültig – vorbei sein.

    … Ein bischen merkwürdig, all das … “Befremdend” …

  30. @

    Geht der Vergleich mit Hitlers Mein Kampf nicht ein bisschen zu weit? Ich habe diesen Beitrag nicht als ernst gemeinten Aufruf zum Massenmord an den Deutschen verstanden. Ich sehe darin auch keine Kranken Weltherrschaftsfantasien, außerdem könnte aus einem solchen Beitrag eine interessante Diskussion über Ethik und Moral entstehen.

    Rache ist moralisch nicht vertretbar. Wird dem Gesetz von Auge um Auge, Zahn um Zahn in der Jüdischen Religion oder Philosophie b.z.w Ethik irgendetwas entgegengestellt?

Schreibe einen Kommentar